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Zur Fr~ge der Qualität von Standorts- und Vegetationskarten
Marginalien zur Diskussion um einen Erfahrungsbericht
Der Erfahrungsbericht zur Auswahl von Untersuchungsflächen mit Hilfe von Vegetations- und Standortskarten hat lebhafte Diskussionen in Fach- kreisen ausgelöst. Eine kritische Würdigung einiger der vorgebrachten Argumente betont die Notwendigkeit, die Zuverlässigkeit oder Genauigkeit des Endprodukts der Kartierung - der Karte - explizit auszuweisen.
Walter Keller und Urs Zehnder Ausgangslage
Der Erfahrungsbericht zur Auswahl von Untersuchungsflächen mit Hilfe von Vegetations- und Standortskarten im Informationsblatt 31 (KELLER und ZEHNDER 1996) hat lebhafte Diskussio- nen ausgelöst, die sowohl in mündli- chen (DANNER 1997) wie schriftlichen (KüPER et al. 1997) Stellungnahmen als auch in weiterführenden Abhandlun- gen (BURNAND 1997) ausgetragen wur- den. Im Sinne der Bestrebungen des Erfahrungsberichtes, die finanziellen Rahmenbedingungen für die Kartie- rungen zu verbessern, möchten wir als Auslöser der Diskussion auf einige unseres Erachtens offene Fragen ein- treten.
Vegetationsveränderungen
Der Erfahrungsbericht hat auf die Dis- krepanzen hingewiesen, die den Ver- fassern beim Abschreiten der zu evaluierenden Flächen für das Projekt
«Langfristige Waldökosystemfor- schung» zwischen den Karten und den diesen zugrundeliegenden Kartierungs- schlüsseln in vegetationskundlicher Hinsicht aufgefallen sind. Demgegen- über verwirft BuRNAND (1997) eine nachträgliche Überprüfung von Kar- ten aufgrund von floristischen Merk- malen; dabei beruft er sich auf neuere Untersuchungen, welche eine unver- mutet starke Dynamik in der Vege- tationsentwicklung belegen. Uns sind gewiß seit längerer Zeit entsprechende Entwicklungen weniger, beschränkt verbreiteter, stark anthropogen beein- flußter Bestände und Standorte bekannt (KuHN et al. 1987). Ob sie allerdings ältere Karten entwerten, wagen wir hin- gegen zu bezweifeln. Wäre es so, müß- te ja von den von uns verwendeten Karten als älteste jene von FREHNER (1963) die meisten Abweichungen ge- zeitigt haben. Qem ist aber durchaus nicht so: die Karte der Waldgesell- schaften des V. aargauischen Forst- kreises ist nach unseren Erfahrungen hinsichtlich Zuverlässigkeit auch heu- te noch äußerst vorbildlich und kein Anwender käme auch nur auf die Idee,
eine erneute Kartierung durchführen zu lassen, weil einzelne Neophyten die Gesellschaften verändert haben könn- ten.
Zweck einer Kontrolle
Es spricht selbstverständlich alles für eine permanente Qualitätssicherung während der Kartierung, wie das B URNAND ( 1997) postuliert.Nur so kön- nen die im voraus festgelegten Quali- tätsstandards eingehalten werden. Die Kontrolle soll aber auch Auskunft über die Qualität des abgelieferten Produk- tes geben. Handwerker sind gewohnt, bei Werkstücken eine bestimmte Tole0 ranz einzuhalten - je nach Toleranz variiert der Aufwand und damit der Preis des Werkstückes. Der Auftrag- geber und Anwender hat ein Recht darauf, die Zuverlässigkeit des Pro- dukts - der Karte - anhand von Daten zu'erfahren, denn nur so kann er den Preis würdigen und die zweckmäßige Verwendung bestimmen.
Kontrollinstrumente
BuRNAND (1997) kommt hinsichtlich der naheliegenden Kontrolle durch punktuelle Überprüfung mit Vege- tationsaufnahmen zum Schluß, «daß eine Kontrolle einer Kartierung mit rein pflanzensoziologischen Mitteln unzulässig ist, oder allgemeiner for- muliert, daß Pflanzensoziologie und Vegetationskartierung grundsätzlich verschiedene Methoden sind». Wir sind aufgrund des selben vorliegenden Ma- terials anderer Meinung. Zum einen läßt sich aus dem von BuRNAND zitier- ten Beispiel des Jura-Nordhanges mit Adenostyles alliariae keine Schwäche der punktuellen Kontrolle ableiten, weil wir auch in diesem Falle nicht eine punktuelle Aufnahme gemacht, son- dern das Gelände abgeschritten haben (KELLER und ZEHNDER 1996). Zum an- deren können wir nicht zugeben, daß Pflanzensoziologie und Vegetations- kartierung grundsätzlich verschiedene Methoden seien - allenfalls ist die Vegetationskartierung eine Methode der angewandten Pflanzensoziologie,
Inf.bl. Forsch.bereiches Landsch.ökol. 35, 1997
Dans le cadre d'une discussion sur la maniere d'apprecier la qualite des cartes des stations et de la vegetation, les auteurs preconisent un controle par echantillonnage realise
a
l'aide de releves ponctuels. lls presentent deux exemples et en concluent qu 'il est possible de trouver un bon calibre pour mesurer la fiabilite des cartes en question.
die ihrerseits vermelden läßt, sie sei eine Disziplin und keine Methode, ver- füge aber über welche. Daß der zeitli- che Aufwand für die Überprüfung mit Vegetationsaufnahmen viel größer ist als für die Kartierung, ist klar, wenn er auch für das von BuRNAND genannte Beispiel aus der Linthebene (Aufwand für eine Aufnahme von 25 m2 45 min;
Kartieraufwand 1 h/ha) nur etwa 300fach ausfällt. Gerade dieses Bei- spiel zeigt aber das Potential einer punk- tuellen Überprüfung als brauchbarer Maßstab einer Beurteilung. Sie ent- spricht überdies der Anforderung an einen Maßstab, präziser zu sein als das Kontrollobjekt. Eine genaue Überein- stimmung von Aufnahme und Karte in 48,0 % der Fälle, eine geringe Abwei- chung «in der ökologischen Nachbar- schaft im F/R-Oekogramm» in 41,4 % der Fälle entspricht nach Ansicht von BuRNAND einer sehr genauen Kartie- rung.
Im Rahmen einer Untersuchung der Verbreitung und des Verhaltens des Blauen Steinsamens (Buglossoides purpurocaerulea) konnte die Karte der Waldgesellschaften im zweiten aargauischen Forstkreis (KELLER 1982) stichprobenweise überprüft werden. Von 87 lange - fünfbis zwanzig Jahre - nach der Kartierung systematisch erhobenen Vegetationsaufnahmen stimmten deren 77 oder 88,5 % flori- stisch exakt mit den Angaben auf der Karte überein. Über die Abweichun- gen orientiert Tabelle 1. Beispiels- weise findet sich bei Koord. 657 875 / 265 220 ein Pulmonario-Fagetum melittetosum in der typischen Vari- ante (EK 10 a). Auf der 150 m2 großen Aufnahmefläche ist gemäß Vege- tationsaufnahme kein Adlerfarn vor- handen; in der Vegetationskarte wird
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Tab. 1: Diskrepanzen zwischen Vegetationsaufnahmen und Vegeiationskarte im 2.
aargauischen Forstkreis.
Keller, W., 1982: Die Waldgesellschaften
· im 2. aarg. Forstkreis. Aarau, Waldwirtschaftsverband 2. aarg.
Forstkreis, l 982, 42 S.
Fig. 1: Divergences entre les releves phytosociologiques et la carte de la vegetation dans 1 'arrondissement forestier 2 du canton d · Argovie.
l/e~etallonsa!lfm1hme11 Aim1hl
(fllumrner nach ELLENBERG und l(Löm1, 1972)
n
~artierl ait Keller, W.; Zehnder, U., 1996: Wie verläßlich sind Standorts- und Vege- tationskarten? hlf.bL Forsch.bereiches Landsch.oekologie WSL, 31: l-3.
10
a Pulmonario-Fagetum melittetosum, typische Varianie 10 b
Kuhn, N., Amiet, R., Hufschmid, N., 1987: Veränderungen in der Wald- vegetation der Schweiz infolge Nährstoffanreicherungen aus der Atmosphäre. Ber. Eidgenöss.Forsch.anst. Wald Schnee Landsch.
295, 6 S.
10 b
Pulmonario-Fagetum melittetosum, Pteridiurn-Variante
·14
Carici-Fagetum caricetosurn albae
10a
15
a Carici-Fagetum caricetosum montanae, typische Variante
314, 15b,
16 15 bCarici-Fagetum caricetosurn montanae, Molinia-1/ariante
3 ·14, 14, 15a
Küper, M.; ::;chmider, P.; Stocker, R.;
Bun1and. J.; K.eHer, Vil o, 1997:
16
Seslerio-Fagetum
r1h ,),)
Galio-Carpineturn prirnuletosum veris
aber die Pteridium-Variante des Lungenkraut-Buchenwaldes mit Immenblatt (EK 10 b) ausgewiesen.
Ein zweites Beispiel: Bei Koord.
65 8 200 / 265 610 ist auf der Karte der Waldgesellschaften ein Pulmonario- Fagetum melittetosmn in der typischen Variante eingetragen; die Vegetations- aufnahme gehört aber mit Coronilla emerusund Ch,ysanthemumcorymbosum ins Carici-Fagetum caricetosum albae (EK 14). Die Fehler bewegen sich zuje 3,5 % auf dem Varianten- bzw.
Subassoziations-1,fiveau, wäbrend inje 2,3 % der Fälle U mterschi ede zv;is,:hen Assoziationen bzvv. Verbänden fest::u- stellen sind. Diese Aufgliederung er- . rnöglicht bessere Rückschlüsse auf die
waldbauliche und ertragskundliche Bedeutung der Abweichungen als das Krlterimi:1 der ökologisch'::n l'•,fachbm:- schaft
Die stichprobenweise Überprüfung weiterer Karten würde sehr rasch zu einer guten Maßstabskalienmg für die Verläßlichkeit von Vegetations- und Standortskarten führen und damit zur Beant,vortung der Frage beitragen, die wir im Titel auch des vorliegenden Artikels durd1aus noch offezi lassen müssen, solange die - vom Auftrag- nehmer zu ermittelnde - Angabe der Toleranz nicht zum Standard von Stand-·
orts- und Vegetationskarten gehört
Liten,hn"
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'1 ,: "ICI
a,
"iOa
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Waiderntwiicklli.mg i.Jrn 19. ll!IlG 20. Jahrhundert. Veränderungen in der Nut:nmg und Bewirrtsd1aftt1ng des V/aldes urni serner El.genschafäen ans Habl.tat am Beispiel der öffenfüd1er1 WaUdu:ngen im Züircher Unter-und 'W einliam:t
Dissertation von l\1atthias Bürgi, ETH Zürich (l·fr. 12' 152). 228 S.
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WSL~NEUERSCHEINUNGEN
Oswald, K.; Widauer, Ch.; Lüthy, Ch.; Thees, 0., 1997:
fovestiitiim11spta1rnmng ififr lF01r:,;tmaschil1e[,. Eh:ll Lefitfädeii ZIJlr Pfi~11umg tmd! ReaNi\sierung först!iclh.er fovestiii:fonsvorh.abeno
Eidgenöss. Forsch.anst Wald Schnee Landsch., Birmensdorf. 113 S.
Zu beziehen bei: Bibliothek WSL, Preis: sPr. 17.-
Bereich Lar!i«:lscllulli):.ökohJ!gie:
Bereichssekretariat
Bereichsleiter Landschaftsökologie Landschaftsdatenbank
Landschaftsentwicklung Sektionsleiter Vegetationskunde Vegetation und Waldreservate Vegetation und Erhebungsmethoden Sektionsleiter Zoologie
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Redaktion:
Susanne Tanner PD Dr. Otto Wildi Dr. Thomas Dalang PD Dr. Felix Kienast Dr. Walter Keller Dr. Nino Kuhn Dr. Bertil 0. Krüsi PD Dr. Peter Duelli Dr. Beat W erme!inger Dr. Werner Suter
Peter Longatti
Inf.bl. Forsch.bereiches Landsch.ökol. 35, 1997
Ol / 739'24'60 01 / 739'23'61 01 / 739'23'64 01 / 739'23'66 01 / 739'23'38 Ol / 739'22'47 Ol /739'23'73 011739'23'76 01 ! 739'22'58 01 / 739'25'67
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