Geoffroy Rudèl und Melisande von Tripoli
von Heinrich Heine
Notizen / Anmerkungen 1 In dem Schlosse Blay erblickt man
2 Die Tapete an den Wänden, 3 So die Gräfin Tripolis
4 Einst gestickt mit klugen Händen.
5 Ihre ganze Seele stickte 6 Sie hinein, und Liebesthräne 7 Hat gefeyt das seidne Bildwerk, 8 Welches darstellt jene Scene:
9 Wie die Gräfin den Rudèl
10 Sterbend sah am Strande liegen, 11 Und das Urbild ihrer Sehnsucht 12 Gleich erkannt’ in seinen Zügen.
13 Auch Rudèl hat hier zum ersten 14 Und zum letzten Mal erblicket 15 In der Wirklichkeit die Dame, 16 Die ihn oft im Traum entzücket.
17 Ueber ihn beugt sich die Gräfin, 18 Hält ihn liebevoll umschlungen, 19 Küßt den todesbleichen Mund, 20 Der so schön ihr Lob gesungen!
21 Ach! der Kuß des Willkomms wurde 22 Auch zugleich der Kuß des Scheidens, 23 Und so leerten sie den Kelch
24 Höchster Lust und tiefsten Leidens.
25 In dem Schlosse Blay allnächtlich 26 Giebt’s ein Rauschen, Knistern, Beben, 27 Die Figuren der Tapete
28 Fangen plötzlich an zu leben.
29 Troubadour und Dame schütteln
30 Die verschlafnen Schattenglieder, 31 Treten aus der Wand und wandeln 32 Durch die Säle auf und nieder.
33 Trautes Flüstern, sanftes Tändeln, 34 Wehmuthsüße Heimlichkeiten, 35 Und posthume Galantrie 36 Aus des Minnesanges Zeiten:
37 „Geoffroy! Mein todtes Herz 38 Wird erwärmt von deiner Stimme, 39 In den längst erloschnen Kohlen 40 Fühl’ ich wieder ein Geglimme!“
41 „„Melisande! Glück und Blume 42 Wenn ich dir in’s Auge sehe, 43 Leb’ ich auf – gestorben ist 44 Nur mein Erdenleid und -Wehe.““
45 „Geoffroy! Wir liebten uns 46 Einst im Traume, und jetzunder 47 Lieben wir uns gar im Tode – 48 Gott Amur that dieses Wunder!“
49 „„Melisande! Was ist Traum?
50 Was ist Tod? Nur eitel Töne.
51 In der Liebe nur ist Wahrheit, 52 Und dich lieb’ ich, ewig Schöne.““
53 „Geoffroy! Wie traulich ist es 54 Hier im stillen Mondscheinsaale, 55 Möchte nicht mehr draußen wandeln 56 In des Tages Sonnenstrahle.“
57 „„Melisande! theure Närrin, 58 Du bist selber Licht und Sonne, 59 Wo du wandelst, blüht der Frühling, 60 Sprossen Lieb’ und Maienwonne!““
61 Also kosen, also wandeln 62 Jene zärtlichen Gespenster
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63 Auf und ab, derweil das Mondlicht 64 Lauschet durch die Bogenfenster.
65 Doch den holden Spuk vertreibend, 66 Kommt am End die Morgenröthe – 67 Jene huschen scheu zurück
68 In die Wand, in die Tapete.
Das Gedicht „Geoffroy Rudèl und Melisande von Tripoli“ von Heinrich Heine ist auf abi-pur.de veröffentlicht.
Autor Heinrich Heine Titel „Geoffroy Rudèl und Melisande von Tripoli“
Verse 68 Wörter 330
Strophen 17
Checkliste zur Analyse / Interpretation eines Gedichtes
Einleitung der Gedichtanalyse
Titel des Gedichtes, Name des Autors und Entstehungs- oder Erscheinungsjahr
Gedichtart (Sonett, Ode, Haiku, Ballade, Hymne usw.)
Thema des Gedichtes (Liebesgedicht, Naturgedicht, Krieg usw.)
zeitliche Einordnung / Literaturepoche benennen
kurze Beschreibung des Gedichtes
Absicht des Gedichtes
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Hauptteil der Gedichtanalyse
Inhalt
Thema des Gedichts
Was beschreibt das Gedicht (Erlebnis, Jahreszeit oder eine bestimmte Zeit)?
Zusammenhang zwischen Titel und Gedicht
Lyrisches Ich - Wer spricht im Gedicht? Woran erkennt man das?
Hauptteil der Gedichtanalyse
Aufbau
Verse und Strophen
Reimschema (Kreuzreim, Paarreim, umarmender Reim, Haufenreim, verschränkter Reim, Schweifreim etc.)
Gibt es ein Versmaß? Versmaß (Metrum) bestimmen.
Kadenz: Wie sind die Endsilben im Gedicht?
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Hauptteil der Gedichtanalyse
Sprache
Auffälligkeiten der Sprache (Werden beispielsweise viele Adjektive, nur Substantive, Vokale etc. verwendet?)
Wie spricht das lyrische Ich (traurig oder fröhlich)?
Benenne die Stilmittel und Reimformen, die zum Einsatz kommen.
Satzbau: Parataktischer & hypotaktischer Satzbau
Welche Zeitform wird genutzt (Präsens, Präteritum, Futur)?
Hauptteil der Gedichtanalyse
Gedichtinterpretation
Was bewirken die Ergebnisse der vorangegangenen Analyse?
Welche Stimmung ruft die Sprache in uns hervor?
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Inhalt und Funktion?
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Schlussteil
Gedichtinterpretation
Intention des Gedichtes: Was will das Gedicht?
Wurde unsere Vermutung (Deutungshypothese Einleitung) darüber bestätigt?
Gibt es Fragen, die im Gedicht unbeantwortet bleiben?
Wertung: Ist das Gedicht typisch für die Epoche? Ist es charakteristisch für den Autor?
Ist das Gedicht (Form, Sprache, Inhalt, Aussage) aus heutiger Sicht noch bedeutungsvoll?
Persönliche Stellungnahme (sofern ausdrücklich verlangt)
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