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Die EU-Osterweiterung und ihre Wirkung auf die internationalen Zuwanderungen nach Deutschland

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(1)

Die politische Integration der Staaten Euro- pas wird unter anderem umgesetzt durch die Stärkung der wirtschaftlichen Kontakte der Mitgliedstaaten untereinander. We- sentliche Bestandteile dieser Strategie sind die wirtschaftliche Freizügigkeit auf den Gütermärkten wie auch auf den Faktor- märkten.

Die vollständige Freizügigkeit des Faktors Arbeit wird seit den Römischen Verträgen 1957 angestrebt (Art. 3c). Sie soll auch bei der anstehenden Osterweiterung der EU ein zentraler Bestandteil des Vertragswer- kes werden. Während die Mobilität des Kapitals schon immer weitgehend einhellig begrüßt wurde, werden bei der Arbeits- kräftemobilität häufig Bedenken und Be- fürchtungen geäußert. Diese gehen dahin, dass nach Wegfall bisheriger Mobilitätsein- schränkungen eine Massenwanderung ein- setzen werde, durch die die Aufnahmelän- der in eine ökonomische und/oder soziale Krise geraten könnten.

Diese Befürchtungen tauchten bereits im Zuge der Süderweiterung der EU in den 80er Jahren auf. Viel stärker werden sie jetzt geäußert, da das Wohlstandsgefälle zwi- schen den Beitrittsländern und den EU- Mitgliedstaaten erheblich größer ist als bei der Süderweiterung. Die zentrale Frage lau- tet:

Wie viele Migranten werden nach Ein- tritt der Freizügigkeit in die bisherigen Mitgliedstaaten der EU und insbesonde- re nach Deutschland kommen?

Dieser Frage sind bereits mehrere For- scher(-gruppen) nachgegangen. Diese haben durchweg den ökonomischen As- pekt – sowohl der Wanderungsmotive als auch der Konsequenzen im Aufnahmeland – ins Zentrum ihrer Analyse gestellt, sich bei ihren Schätzungen vorwiegend auf die Ein- kommenssituation und die Arbeitsmarkt- motive jener Wanderungspotenziale kon- zentriert. Es ist keineswegs überraschend, dass die Erwartungen über die künftigen Zuwanderungen weit streuen. Unstrittig scheint lediglich zu sein, dass mit der EU- Osterweiterung aus den Beitrittsländern

verstärkte Netto-Wanderungen zu erwar- ten sind.

Etwas außer Acht gelassen wurde bei den vorliegenden Schätzungen die demogra- phische Dimension des Wanderungsge- schehens. Diese umfasst die Bevölkerungs- struktur und die Bevölkerungsdynamik aufgrund der natürlichen Bewegungen. Ih- nen zollt dieser Beitrag mehr Aufmerksam- keit.

1 Die vielfältigen Gründe für Wanderungen

Es gibt die unterschiedlichsten Ursachen für Wanderungen. Sie können auf der per- sönlichen Ebene der Migranten angesiedelt sein, sie können aber auch allgemeine Rahmenbedingungen darstellen, die eine Wanderungsentscheidung beeinflussen.

Demographische Erklärungsversuche für Wanderungen werden bevorzugt mit Gravi- tationsmodellen unternommen. In ihnen sind drei große Gruppen erklärender Varia- blen genannt:

• die Bevölkerungen der Herkunfts- und Zielländer

• die Distanz zwischen Herkunfts- und Zielland

• Push- und Pullfaktoren, die die Wande- rungsentscheidungen beeinflussen.

Demographische Ursachen

Die demographischen Ursachen beziehen sich auf die Größe der Bevölkerung und deren inneren Aufbau. Zwischen großen Populationen entstehen in der Regel stär- kere Wanderungsverflechtungen als zwi- schen kleinen Bevölkerungen. Wanderun- gen sind altersselektiv. Die Altersgruppen in den jüngeren Erwerbsjahren haben die höchste Mobilität.

Zwischen der Struktur und der Wande- rungsdynamik einer Bevölkerung besteht insofern ein enger Zusammenhang. Junge Bevölkerungen mit hohen Geburtenüber- schüssen sind charakteristische Abwande- rungsländer, wenn die Arbeitsmärkte die nachwachsenden Gruppen nicht integrie- ren können.

Hansjörg Bucher

Die EU-Osterweiterung und ihre Wirkung auf die internationalen Zuwanderungen nach Deutschland

Dr. Hansjörg Bucher Bundesamt für

Bauwesen und Raumordnung Deichmanns Aue 31–37 53179 Bonn

E-Mail:

Hansjoerg.Bucher@bbr.bund.de

Die zu erwartende Zuwanderung aus den neuen in die älteren Mitgliedsländer der EU hängt neben ökonomi- schen Faktoren auch stark von den demogra- phischen Eigenschaften der betroffenen Bevölke- rungen ab.

(2)

Distanz

Je weiter zwei Länder von einander entfernt sind, um so geringer sind in der Regel die Wanderungsströme zwischen beiden. Die Distanz steht in einem reziproken Verhält- nis zur Wanderungshäufigkeit. Sie kann geographisch oder als Erreichbarkeit in Ab- hängigkeit vom Verkehrssystem gemessen werden.

Aber auch die soziale oder die kulturelle Distanz beeinflussen die Wanderungsnei- gung. Befinden sich im Zielland bereits Per- sonen aus dem Herkunftsland und bilden diese ein soziales Netz, das den Migranten eine möglichst hohe Transparenz über die Situation im Zielland verschafft und da- durch den Zuzug erleichtert, dann werden die Distanzfaktoren an Bedeutung verlie- ren.

Pushfaktoren

Ökonomische und politische, neuerdings immer mehr auch ökologische Disparitäten bilden Pushfaktoren, die zum Fortziehen veranlassen, oder Pullfaktoren – als Zuwan- derungsanreize in den Zielländern. Unter den ökonomischen Gründen spielen Wohl- standsunterschiede eine wichtige Rolle. Vor allem die Arbeitsmarktsituation mit Lohn- niveau, Qualifikationsstruktur und Arbeits- losigkeit gibt Anreize für die Faktormobili- tät der Arbeitskräfte.

Die ökonomische Theorie sieht die Wande- rungsentscheidung als eine Investitions- entscheidung, bei der die Wanderungs- kosten als Investition gegengerechnet werden mit dem höheren Nutzen am neuen Wohnstandort.1 Die Nutzensteigerung wird vor allem durch ein höheres Einkommen erreicht. Die Neoklassik führt in der schlichten Ausführung ihres Erklärungs- modells der Faktormobilität die Wanderun- gen auf regionale Unterschiede der Real- löhne zurück. Die weiter ausgereiften Modelle ergänzen um weitere Arbeits- marktgegebenheiten. Manche berücksich- tigen bereits, dass vielfach nicht Einzel- personen, sondern private Haushalte umziehen, deren Gesamtnutzenfunktion entsprechend komplexer ist. Neuere empi- rische Arbeiten über den aktuellen Zusam- menhang zwischen Binnenwanderungen und der Arbeitslosigkeit erbrachten ledig- lich schwache Zusammenhänge.2

2 Das demographische Wanderungs- potenzial der Beitrittstaaten

Diesseits der künftigen ökonomischen Ent- wicklung hängt das Ausmaß der Wande- rungen zwischen EU und Beitrittsländern von der Größe der Populationen, vom An- teil der besonders mobilen Jahrgänge und von der Dynamik aufgrund der natürlichen Bewegungen – insbesondere der Gebur- ten – ab. Hier sind Zukunftsinformationen gefragt, die genau diese demographischen Dimensionen abdecken.

Die Vereinten Nationen erstellen regel- mäßig weltweit und auf nationaler Ebene Bevölkerungsprognosen in eigener Regie.

Dieser Beitrag bezieht sich auf die im Jahr 2000 aktualisierte 17. Prognose, die sich ihrerseits auf die tatsächliche Entwick- lung bis mindestens Mitte der 1990er Jahre stützt. Die Vereinten Nationen rechnen je- weils drei Prognosevarianten, die sich in der Annahmensetzung der künftigen Ferti- lität unterscheiden. Für die anderen Pro- gnoseparameter wird nur jeweils eine An- nahme getroffen.

Weltweit wird angenommen, dass sich die Fertilität dem Bestandserhaltungsniveau annähert. Die Varianten unterscheiden sich in der Dynamik dieser Annäherung. Für alle Länder mit einem Fertilitätsregime unter- halb des Bestandserhaltungsniveaus von ca. 2,1 Kindern je Frau bedeutet diese glo- bale Annahme, dass dort die Fertilitätsrate wieder ansteigen wird.

Die mittlere Variante bedeutet beispiels- weise für Deutschland, dass die Fertilität bis 2020 ganz geringfügig wieder ansteigt, was bei einer weiteren Normalisierung der Verhältnisse in den neuen Ländern auch er- wartet werden darf. Die osteuropäischen Länder hatten ihren Fertilitätsrückgang we- sentlich später, er war aber in toto ähnlich stark (vgl. Tab. 2). Ein Teil des Rückgangs ist – wie in den neuen Ländern – auf die Umbruchsituation der Transformations- phase zurückzuführen. Insofern ist ein Wie- deranstieg der Fertilität nicht kategorisch auszuschließen.

Die folgenden Überlegungen zur demogra- phischen Dynamik in den Beitrittsländern stützen sich deshalb auf diese mittlere Pro- gnosevariante der Vereinten Nationen.

Internationale

Bevölkerungsprognosen werden seit Jahrzehnten von den Vereinten Nationen durchgeführt.

(1)Alecke, Björn; Untiedt, Ger- hard: Migration aus den EU- Beitrittsländern Polen und Tschechien in die Europäische Union. Potential und regionale Verteilung. – Dresden 2001.

= ifo Dresden Studien 28/II, Teilprojekt D 6, S. 360 (2)Schlömer, Claus; Bucher, Hansjörg: Arbeitslosigkeit und Binnenwanderungen – Auf der Suche nach einem theoriege- stützten Zusammenhang. In- form. z. Raumentwickl., Bonn (2001) 1, S. 33 ff.

(3)

Die demographische Ausgangssituation in den Beitrittsländern

Die in Osteuropa gelegenen zehn Beitritts- länder umfassten im Jahr 2000 eine Bevöl- kerung von ca. 104 Mio. Personen. Sie zei- gen einen hohen Konzentrationsgrad auf die vier Länder Polen, Rumänien, Tschechi- en und Ungarn. Dort leben fast 80 % aller Einwohner, etwa ebenso viele wie in Deutschland.

All diese Staaten befinden sich in einer de- mographischen Umbruchphase. Diese lässt sich durch die drei Komponenten Gebur- tenrückgang, Abwanderung und Alterung charakterisieren. Hiervon ist die Bevölke- rungsdynamik besonders betroffen. Ledig- lich zwei Staaten – Polen und die Slowakei – hatten in den späten 1990er Jahren noch Bevölkerungszuwächse zu verzeichnen, und auch nur aufgrund einer günstigen Altersstruktur.

Als Aggregat hatten die Beitrittsländer Be- völkerungsverluste von gut 1 % zwischen 1995 und 2000. Da die Hauptursache dieses

Schwundes – der Fertilitätsrückgang – zu einer exponentiellen Schrumpfung führt, wird sich die Abnahme langfristig beschleu- nigen. Zwischen 2010 und 2050 rechnen die UNO-Prognostiker mit einer weiteren Ab- nahme um ein Sechstel, in einigen Ländern sogar um ein Drittel und noch mehr.

Deutschland wird im Vergleich zu dem Ag- gregat der zehn Beitrittsstaaten erheblich geringere Abnahmen haben. Lediglich die Slowakei hat in etwa ähnliche, Polen als einziges Land geringere Schrumpfungs- raten zu erwarten (vgl. Tab. 1).

Für die besondere Dynamik Polens sind zwei Ursachen verantwortlich, ein Verhal- tenseffekt und ein Struktureffekt. Polen hatte zwar auch einen starken Fertilitäts- rückgang, liegt aber mit einer durchschnitt- lichen Kinderzahl je Frau von knapp 1,5 er- heblich über dem Länderdurchschnitt von 1,35. Der Struktureffekt hängt mit der frü- her hohen Fertilität zusammen. Polen hat eine relativ junge Bevölkerung. Nimmt man als Indikator für die Jugendlichkeit den Anteil der 15- bis unter 25-Jährigen an der

Tabelle 2

Demographische Indikatoren der Beitrittsländer

Regionaler Anteil (in %) Anteil der 15- bis 24-Jährigen Zusammengefasste Geburtenziffer Lebenserwartung

2000 2010 2050 2000 2010 1995/2000 2015/2020

Land

Polen 37,1 37,6 39,9 17,0 14,0 1,46 1,44 72,8

Rumänien 21,5 21,6 21,7 16,1 13,5 1,32 1,48 69,8

Tschechien 9,9 10,0 10,1 15,2 12,3 1,18 1,33 74,3

Ungarn 9,6 9,4 8,9 14,7 12,6 1,37 1,37 70,7

Bulgarien 7,6 7,1 5,4 14,6 12,6 1,14 1,30 70,8

Slowakei 5,2 5,4 5,6 17,1 14,1 1,40 1,37 72,8

Litauen 3,5 3,6 3,6 14,4 14,8 1,38 1,34 71,4

Lettland 2,3 2,3 2,1 14,3 14,3 1,12 1,33 69,6

Slowenien 1,9 1,9 1,8 14,6 11,5 1,24 1,26 75,0

Estland 1,3 1,2 0,9 15,0 13,5 1,29 1,43 70,0

100 100 100 15,9 13,4 1,35 1,41 71,8

Deutschland 11,1 11,5 1,33 1,35 77,3

Quelle: United Nations World Population Prospects The 2000 Revision und eigene Berechnungen Tabelle 1

Demographische Dynamik der Beitrittsländer

Gesamtbevölkerung 15- bis 24-jährige Personen

Bestand (in 1000) Dynamik (in %) Bestand Differenz Dynamik

1995 2000 2010 2050 1995/2000 2000/2010 2010/2050 2000 2010 2000/2010 2000/2010

Polen 38 595 38 605 38 035 33 370 0,0 -1,5 -12,3 6 563 5 363 -1 238 -18,9

Rumänien 22 681 22 438 21 819 18 150 -1,1 -2,8 -16,8 3 613 2 946 -667 -18,5

Tschechien 10 331 10 272 10 138 8 429 -0,6 -1,3 -16,9 1 561 1 247 -314 -20,1

Ungarn 10 214 9 968 9 489 7 486 -2,4 -4,8 -21,1 1 465 1 196 -270 -18,4

Bulgarien 8 406 7 949 7 185 4 531 -5,4 -9,6 -36,9 1 161 905 -255 -22,0

Slowakei 5 364 5 399 5 430 4 674 0,7 0,6 -13,9 923 766 -158 -17,1

Litauen 3 715 3 696 3 594 2 989 -0,5 -2,8 -16,8 532 532 -0 -0,1

Lettland 2 516 2 421 2 288 1 744 -3,8 -5,5 -23,8 346 327 -19 -5,5

Slowenien 1 990 1 988 1 955 1 527 -0,1 -1,7 -21,9 290 225 -65 -22,5

Estland 1 484 1 393 1 253 752 -6,1 -10,1 -40,0 209 169 -40 -19,0

Insgesamt 105 296 104 129 101 186 83 652 -1,1 -2,8 -17,3 18 663 15 647 -30 116 -16,2

Deutschland 81 661 82 017 81 353 70 805 0,4 -0,8 -13,0 9 104 9 356 2 542 2,8

Land

Quelle: United Nations, World Population Prospects, The 2000 Revision, Volume I: Comprehensive Tables, Table A.2. Demographic Profiles by Country or Area;

eigene Berechnungen

1995/2000

Auch in den Beitritts- ländern nimmt die Bevölkerung langfristig stark ab und altert.

(4)

Gesamtbevölkerung, dann zeigen Polen und die Slowakei Spitzenwerte um die 17 %, während im Durchschnitt aller Län- der knapp 16 % dieser Altersgruppe ange- hören. Deutschland hat diese Phase der Alterung längst hinter sich, dort liegt der Anteil bei nur noch 11 %, wird sich aber im nächsten Jahrzehnt eher stabilisieren. In den Beitrittsländern wird der Anteil der Ju- gendlichen stark zurückgehen. Mit 13,4 % in 2010 werden die Beitrittsstaaten aber im- mer noch jünger sein als die Bundesrepu- blik Deutschland (vgl. Tab. 2).

Wanderungen waren schon immer alters- selektiv. Internationale Wanderungen wer- den verstärkt von jungen Erwerbspersonen getragen. Insofern bildet die Teilgruppe der jüngeren Menschen einen besseren Indika- tor für das Wanderungspotenzial als die Ge- samtbevölkerung. Alternde Bevölkerungen stellen aufgrund ihrer sich verändernden inneren Zusammensetzung ein sinkendes Wanderungspotenzial auch dann dar, wenn ihre Gesamtzahl in etwa stabil blei- ben sollte.

Im Falle der zehn osteuropäischen Bei- trittsstaaten führt die Alterung zu einer überproportionalen Schwächung des Wan- derungspotenzials. Die Zahl der Jugendli- chen sinkt in den Jahren zwischen 2000 und 2010 von 16,6 Mio. auf 13,74 Mio. – ein Rückgang um über 17 %, während die Ge- samtbevölkerung um lediglich 1,8 % abneh- men wird. Auf Polen entfallen ca. 40 % die- ses Rückgangs der Jugendlichen, ihr Anteil fällt rapide aufgrund des starken Geburten- rückgangs der 90er Jahre.

Als Folgerung ergibt sich daraus:

Durch die Osterweiterung vergrößert sich zwar die EU-Bevölkerung von derzeit 376 Mio. auf ca. 480 Mio. Personen. Dieses Wachstum bedeutet jedoch keinen Gewinn an Dynamik. Im Gegenteil signalisieren die Bevölkerungsprognosen für die osteuropäi- schen Staaten mittel- wie langfristig noch stärkere Bevölkerungsabnahmen als in Deutschland oder in der EU-15.

Aufgrund ihrer demographischen Struktu- ren und auch wegen des starken ökonomi- schen Gefälles stellen die Beitrittsländer für die bisherigen EU-Länder zunächst ein bedeutsames Wanderungspotenzial dar, das sich allerdings – aus demographischen Gründen – wahrscheinlich rasch verringern wird. Das langfristig erwartete Problem der Arbeitskräfteknappheit der EU wird durch deren Osterweiterung nicht grundsätzlich

gelöst. Wanderungen wären letzten Endes eine Umverteilung des Mangels innerhalb der dann größeren EU – es sei denn, die ökonomischen Disparitäten sind dann noch so hoch, dass einige Mitgliedsstaaten Arbeitskräfteüberschüsse verzeichnen und diese auch abgeben.

Für das Wanderungsgeschehen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Beitrittsstaaten hat Polen eine besondere Bedeutung, und dies aus mehreren Grün- den:

• Polen hat als geographischer Nachbar eine geringe räumliche Distanz zu Deutschland. Aus historischen Gründen hat es zudem eine relativ geringe kultu- relle Distanz.

• Es ist das bei weitem bevölkerungsreich- ste Land der Beitrittsstaaten.

• Es hat die jüngste Bevölkerung und so- mit auch das relativ stärkste Wande- rungspotenzial.

• Es hat bereits die bei weitem größte hier lebende Bevölkerungsgruppe, die als so- ziales Netz Integrationsaufgaben der Zu- wanderungen leisten kann.

Die Zuwanderungen nach Deutschland werden daher besonders sensibel auf die Entwicklungen in Polen reagieren. Das Land war bereits in den vergangenen Jahr- zehnten eines der wichtigsten Herkunfts- länder. Viele der Zugezogenen besaßen als Aussiedler die deutsche Staatsangehörig- keit. Dies bewirkte eine „relative Unsicht- barkeit“ der dauerhaft hier lebenden Migranten aus Polen. Daneben existiert – auch wegen der räumlichen Nähe – ein hohes Maß an zirkulärer Arbeits- und Pen- delmigration.3 Andererseits wird unter den ehemaligen polnischen Aussiedlern auch ein Rückwanderungspotenzial nach Polen gesehen.4

3 Die demographische Ausgangs- situation für Migranten in der Bundesrepublik Deutschland Die Süd- und die Osterweiterung zeigen einen ganz gravierenden Unterschied, der die historische Phase vor der Erweiterung betrifft: Spanien, Portugal und Griechen- land hatten bereits langjährige Wande- rungsbeziehungen mit der Folge hoher Ausländerbestandszahlen in Deutschland.

Dagegen begannen nennenswerte Wande-

(3)

Pallaske, Christoph (Hrsg.):

Die Migration von Polen nach Deutschland. – Baden-Baden 2001, S. 10

(4)Okolski , Marek: Polen – Wach- sende Vielfalt von Migration. In:

Ost-West-Wanderung in Euro- pa. Hrsg.: Fassmann, Heinz;

Münz, Rainer. – Frankfurt/Main, New York 1996

Die starke Alterung der Bevölkerung in den Beitrittsländern mindert ihr Wanderungspotenzial.

(5)

rungsverflechtungen mit Osteuropa erst nach Wegfall des Eisernen Vorhangs 1989.

Ein Informationssystem über die tatsäch- liche Migration, erfolgreiche Migranten, über existierende Probleme und Chancen auf den Arbeits- und Wohnungsmärkten5 musste erst aufgebaut werden (Ausnahme:

Polen).

Insofern ist die Zahl der ausländischen Per- sonen aus den Beitrittsländern noch gering.

Es sind etwa 560 000 Personen, nicht ein- mal 8 % aller Ausländer. Der größere Teil, über 300 000 Personen, kommt aus Polen.

Bereits weniger als 100 000 stammen aus Rumänien. Diese geringe Zahl lässt ver- muten, dass die transnationalen Netze die Wanderungen bisher nur mäßig begünsti- gen (vgl. Tab. 3).

Die räumliche Verteilung der Migranten innerhalb Deutschlands

Wo werden Zuwandernde aus den Beitritts- ländern ihren neuen Wohnstandort finden?

Die ökonomischen Motive der Zuwande- rung nach Deutschland werden auch wichtige Entscheidungskriterien für die Wohnstandortwahl innerhalb Deutschland sein. Hinzu kommen in der Regel persönli- che Bindungen der Zuziehenden an bereits hier lebende Bekannte oder Verwandte.

Dies führte bereits in der Vergangenheit dazu, dass die räumliche Verteilung der hier lebenden Nationalitäten sehr verschiedene Muster aufweist (vgl. Tab. 4).

Einige Gemeinsamkeiten der räumlichen Präferenzen sind gleichwohl festzustellen.

• Die Distanz zum Herkunftsland wird möglichst gering gehalten, um die Trans- portkosten bei Kontakten mit der alten Hei- mat zu minimieren. Analog zur Besiedelung Deutschlands durch südeuropäische Gast- arbeiter von Süden her wäre ein Diffusions- prozess von Osten her zu erwarten, wenn durch die Ostererweiterung die Mobilität steigt. Dem steht allerdings derzeit das in- nerdeutsche ökonomische Gefälle entge- gen.

• Denn zum Zweiten bevorzugen Arbeits- migranten eher Regionen mit prosperie- render Wirtschaft, in diesem Falle eher Westdeutschland und dort eher den Süden als den Norden.

• Arbeitsmigranten ergreifen Beschäf- tigungsmöglichkeiten überproportional häufig im Sektor des produzierenden Ge- werbes. Ihre Standortwahl orientiert sich

Tabelle 3

Ausländische Bevölkerung nach der Staatsangehörigkeit in Deutschland am 31.12.2000

Staatsangehörigkeit Insgesamt Anteil an allen Anteil an Beitrittsländern

Europa insgesamt 5 857 791 81,1 X

1 Türkei 1 998 534 27,7 X

2 Jugoslawien 662 495 9,2 X

3 Italien 619 060 8,6 X

4 Griechenland 365 438 5,1 X

5 Polen 301 366 4,2 53,9

15 Rumänien 90 094 1,2 16,1

17 Ungarn 54 437 0,8 9,7

21 Bulgarien 34 359 0,5 6,1

22 Tschechische Republik 24 361 0,3 4,4

27 Slowenien 18 766 0,3 3,4

30 Slowakei 14 657 0,2 2,6

32 Litauen 9 442 0,1 1,7

35 Lettland 7 915 0,1 1,4

38 Estland 3 649 0,1 0,7

46 Monaco 25 0,0 X

Beitrittsländer insgesamt 559 046 7,7 100,0

Ausländer insgesamt 7 222 479 100,0

Quelle: Statistisches Bundesamt

Tabelle 4

Regionale Unterschiede der Ausländeranteile

Raumkategorie Westen Osten

Quelle: Statistisches Bundesamt

Agglomerationsräume 12,7 6,7

Kernstädte 16,8 10,4

hochverdichtete Kreise 11,1 1,2

verdichtete Kreise 7,5 1,8

ländliche Kreise 5,8 2,1

verstädterte Räume 7,9 1,7

Kernstädte 12,3 2,6

verdichtete Kreise 7,8 1,3

ländliche Kreise 5,7 1,5

ländliche Räume 5,6 1,5

ländliche Kreise höherer Dichte 6,2 1,6

ländliche Kreise geringerer Dichte 4,2 1,5

Insgesamt 10,2 4,0

deshalb an dessen räumlicher Verteilung.

Sie zeigt ein siedlungsstrukturelles Gefälle, konzentriert sich auf Agglomerationen.

Dort ist der Ausländeranteil mehr als dop- pelt so hoch wie in den ländlichen Räumen.

• Innerhalb der Ballungsgebiete bevorzu- gen Zuwanderer die Kernstädte und weni- ger das Umland. Die Kernstädte haben so- mit einen höheren Ausländeranteil als ihr Umland.

Wie lässt sich dieses Wissen umsetzen in eine Abschätzung der künftigen Wande- rungsmuster?

(5)

Faßmann, Heinz; Münz; Rainer (Hrsg.): Migration in Europa, a.a.O., S. 47

(6)

ARL 2000 100 km

© BBR Bonn 2002

bis unter -0.20 -0.20 bis unter -0.10 -0.10 bis unter 0.10 0.10 bis unter 0.20 0.20 und mehr

17 22 42 3 13

Häufigkeiten

regionen

Vergleich regionaler Bevölkerungsanteile 2015 mit und ohne Netto-Außenwanderungen

Veränderung regionaler Bevölkerungsanteile in Promille-Punkten

Quelle: BBR Bevölkerungsprognose 19962015/ rop_arl

Staatsgrenze Raumordnungs- Hamburg

Bremen

Bonn

Frankfurt/M.

Stuttgart

Nürnberg Saarbrücken

Berlin Rostock

Erfurt

Dresden Leipzig

Düsseldorf

Kiel

Schwerin

Freiburg i.Br.

Dortmund

Chemnitz

Mannheim

Hannover

München Magdeburg

Cottbus

Köln Essen

Mainz Wiesbaden

Potsdam

Kassel

Halle/S.

(7)

Im Bundesamt für Bauwesen und Raum- ordnung (BBR) wurden zur Beantwortung dieser Frage umfangreiche empirische Ar- beiten geleistet. Verwendet wurde das BBR- Bevölkerungsprognosemodell, mit dem man auch Sensitivitätsanalysen und Mo- dellrechnungen durchführen kann. Im vor- liegenden Fall wurde nach den räumlichen Auswirkungen erhöhter internationaler Wanderungen gefragt. Zu diesem Zweck wurden alternative Prognosevarianten gerechnet, eine mit internationalen Wan- derungsgewinnen, die andere mit ausgegli- chener Wanderungsbilanz. Beide Ergebnis- se wurden gegeneinander gerechnet, der Differenz zwischen beiden Varianten galt die besondere Aufmerksamkeit. Die Präfe- renzen der Zuwandernden für die Regionen wurden aus den tatsächlichen Wande- rungsbewegungen der 90er Jahre ermittelt und auf die potenziellen Zuwanderer aus dem Osten übertragen.

Die Bevölkerungsdynamik, die durch zu- sätzliche Zuwanderungen zu erwarten ist, verteilt sich sehr ungleich auf die Regionen (vgl. nebenstehende Karte):

Sieht man von einigen Regionen ab, die ad- ministrativ gesteuerte Zuwanderung auf- grund von Aufnahmeeinrichtungen haben, dann zeigen große Teile der neuen Länder, aber auch die altindustrialisierten Ag- glomerationen des Westens und deren benachbarten Regionen geringerer Ver- dichtung eine weit unterproportionale Dynamik aufgrund zusätzlicher Wanderun- gen. Weite Teile von Hessen, Baden- Württemberg und Bayern erwarten hin- gegen eine mindestens durchschnittliche, deren hochverdichtete Regionen einen überproportionalen Wanderungsdruck.

Zu ähnlichen Erwartungen auf der etwas größeren räumlichen Ebene der Bundes- länder kommen auch Alecke und Untiedt in ihrer Untersuchung zur Migration aus Polen und Tschechien in die EU-Staaten.6 Aufgrund der räumlichen Nähe zu den Bei- trittsstaaten wird in den neuen Ländern wie auch im bayerischen Grenzland dem grenz- überschreitenden Pendeln eine hohe Be- deutung für die Entwicklung des Arbeits- kräfteangebots zuerkannt.

Im Ergebnis werden also die erwarteten Zu- wanderungen in wenige bereits prosperie- rende Regionen des Westens resp. Südens drängen. Große Teile der Bundesrepublik werden dagegen von einem Anstieg der Zu- wanderungen – im Guten wie im Schlech- ten – kaum tangiert werden.

Das räumliche Wohlstandsgefälle wird durch die Zuwanderungen aus den Bei- trittsstaaten tendenziell verschärft. Regio- nen mit Entleerungstendenzen dürfen kaum hoffen, mit nennenswerter Zuwande- rung aus Osteuropa ihre Probleme lösen zu können. Im Wettbewerb um junge Arbeits- kräfte werden die schon starken Regionen noch stärker. Sie handeln sich dafür andere Probleme der ökologischen Art ein. Die hier ausgewiesenen Regionen mit hoher Zu- wanderungsintensität erleben seit langem schon auch den höchsten Siedlungsdruck.

Obwohl die Zuwanderung auf gesamt- räumlicher Ebene und in ökonomischer Sicht langfristig nicht nur als nützlich bis dringend notwendig einzuschätzen ist, zeigt deren erwartete räumliche Ausprä- gung ein problematisches Muster. Hier lässt sich somit ein Bogen schlagen zwi- schen der EU-Osterweiterung und der künftigen Raumordnungspolitik.

(6)

Alecke, B.; Untiedt, G.; a.a.O., S. 347

Weitere Literatur:

Münz, Rainer; Seifert, Wolfgang; Ulrich; Ralf: Zuwanderung nach Deutschland. – Frankfurt/Main, New York 1997 Demel, Katharina; Profazi; Manfred: Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf die Zuwanderung in die Europäische Union unter besonderer Berücksichtigung Österreichs – Bestandsaufnahme und Auswertung themenspezifischer Literatur. – Wien 1998

Bauer, Thomas K.; Zimmermann, Klaus. F.: Assessment of possible migration pressure and its labour market impact following EU enlargement to Central and Eastern Europe. – Bonn 1999. = IZA Research Report 3

Faßmann, Heinz; Münz; Rainer (Hrsg.): Ost-West-Wanderung in Europa. – Wien, Köln, Weimar 2000

Eurostat (Hrsg.): Die demographischen Folgen der Aufnahme von zwölf Beitrittsländern für die EU. – Luxemburg 2001.

= Statistik kurz gefasst, Thema 3 – 12/2001

Vereinte Nationen (Hrsg.): World Population Prospects – The 2000 Revision. Volume I: Comprehensive Tables. – New York 2001

Die Regionen in Deutschland werden sehr unterschiedlich von den Zuwanderungen profitieren.

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About 35 percent of the mangrove forests (currently 140,000 square kilometers) have been lost to shrimp farms and agricultural uses. • The rising CO 2 concentration in

124 Die Priorisierung von geeigneten Gebieten ist eine große Herausforde- rung, da das Wissen über die Artenzusammen- setzung in vielen schutzwürdigen Meeresgebieten und