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Reviewed by Peter Hübner. Published on H-Soz-u-Kult (February, 2004)

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Beatrix Bouvier. Die DDR - ein Sozialstaat?: Sozialpolitik in der Ära Honecker. Bonn:

Verlag J.H.W. Dietz, 2002. 357 S. EUR 27.80, broschiert, ISBN 978-3-8012-4129-2.

Reviewed by Peter Hübner

Published on H-Soz-u-Kult (February, 2004)

Das Interesse an der in der DDR betriebenen Sozialpolitik speist sich aus mehreren Quellen.

Zum einen verweist jeder Versuch, die DDR und ihre Geschichte einigermaßen schlüssig zu beur‐

teilen, nicht zuletzt auf die Frage nach den Stabili‐

sierungsfaktoren des SED-Regimes. Einer der wichtigsten war die Sozialpolitik. Noch im nach‐

hinein werden der DDR auf diesem Politikfeld oft bessere Noten konzediert, als dies für andere Be‐

reich gilt. Werden so mitunter auch alte Schlach‐

ten um das Für und Wider der DDR-Sozialpolitik noch einmal geschlagen, so spielt sie gleichwohl in den Debatten um die künftige Rolle der Sozial‐

politik im Zeichen der Globalisierung und um die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme eine zu‐

mindest indirekte Rolle. Das strahlt unvermeid‐

lich auf die geschichtswissenschaftliche Auseinan‐

dersetzung mit dem Thema aus. Eine notwendige Historisierung, die nicht nur auf eine Kontextuali‐

sierung der einzelnen Segmente des Politikfeldes hinausläuft, sondern auch das Gesamtkonzept der

"sozialistischen Sozialpolitik" problematisiert, er‐

scheint um so dringlicher.

Es ist jedoch nicht nur die politische Affinität des Gegenstandes, die ihn schwer handhabbar machen. Vielleicht mehr noch sind es die ambiva‐

lenten und teils auch inkohärenten Befunde der empirischen Forschung, die eine einfache, griffige Bewertung erschweren. Man kann dies u.a. an den unterschiedlichen Versuchen ablesen, der DDR ein sozialpolitisches Etikett anzuheften: So schlug Stefan Leifried die Bezeichnung "autoritä‐

rer Versorgungsstaat" vor, Klaus Schröder hielt die DDR für einen "totalitären Versorgungs- und Überwachungsstaat" und Konrad Jarausch glaub‐

te im Begriff der "Fürsorgediktatur" die wesentli‐

chen Merkmale eingefangen zu haben, bei Man‐

fred G. Schmidt war von "Wohlfahrtsstaat" die Rede. Auch der Sozialstaats-Begriff fand in Verbin‐

dung mit Adjektiven wie "sozialistisch" und "ge‐

scheitert" auf die DDR Anwendung, so bei Hans Günter Hockerts und Gerhard A. Ritter. Für jeden dieser Vorschläge gibt es gute Gründe, andere sprechen dagegen. Zu dieser Diskussion hat nun Beatrix Bouvier mit dem hier anzuzeigenden Buch einen gewichtigen Beitrag geleistet.

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Nachdem Johannes Frerich und Martin Frey in ihrem Handbuch zur Geschichte der Sozialpoli‐

tik in Deutschland zu Beginn der 90er-Jahre einen systematisierenden Überblick auch zur Sozialpoli‐

tik der DDR geboten haben, Frerich, Johannes;

Frey, Martin, Handbuch der Geschichte der Sozial‐

politik in Deutschland, Bd. 2: Sozialpolitik in der Deutschen Demokratischen Republik, München 1993. ist in nunmehr absehbarer Zeit im Rahmen des Großvorhabens "Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945" auch mit einer Veröf‐

fentlichung der Bände zu rechnen, in denen die DDR behandelt wird. Erschienen sind bereits:

Bundesministerium für Arbeit und Sozialord‐

nung, Bundesarchiv Koblenz (Hgg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945 1:

Grundlagen der Sozialpolitik, Baden-Baden 2001;

Bd. 2/1 und 2/2: 1945-1949. Die Zeit der Besat‐

zungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten (ver‐

antwortlich für diesen Band: Udo Wengst), Baden Baden 2001. Aus der offiziellen DDR-Perspektive resultierte noch 1989 ein erster Überblick zur So‐

zialpolitik 1945 bis 1985. Winkler, Gunnar (Hg.), Geschichte der Sozialpolitik der DDR 1945-1985, Berlin 1989. Ihm folgte reichlich zehn Jahre dar‐

auf ein kritischer Rückblick von Wissenschaft‐

lern, die an der Konzipierung der Sozialpolitik in der DDR einen Anteil hatten. Sachse, Ekkehard, Ein Beschäftigungssystem auf der Grundlage des Rechts auf Arbeit, in: Manz, Günter; Sachse, Ekke‐

hard; Winkler, Gunnar (Hgg.), Sozialpolitik in der DDR. Ziele und Wirklichkeit, Berlin 2001. Bouviers Buch ergänzt diese Palette um einen methodisch bemerkenswert reflektierten Einblick in die Sozi‐

alpolitik der "Ära Honecker". Ein erklärtes Ziel der Autorin ist es, "anhand ausgewählter Beispiele aus der Sozialpolitik für die letzten zwanzig Jahre der Existenz der DDR" danach zu fragen, "ob und wenn ja, in welcher Weise die DDR ein Sozialstaat gewesen ist und ob sozialpolitische Faktoren zur Akzeptanz und eventuell zu ihrem Zusammen‐

bruch beigetragen haben" (S. 9).

Dem Problem geht Bouvier auf vier sozialpo‐

litischen Handlungsebenen nach: der durch das Recht auf Arbeit zu gewährleistenden Vollbe‐

schäftigung, der Wohnungsfrage, der Rentenpro‐

blematik sowie der Frauen- und Familienförde‐

rung. Zuvor jedoch vermittelt ein thematisch übergreifendes Kapitel genauere Einblicke in das für die Honecker-Ära charakteristische Konzept der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Schwerpunkte der Betrachtung sind die sozialpo‐

litische Programmatik der SED unter Honecker, deren sich in der Praxis zeigende ökonomische Grenzen und die Sozialpolitik in den Betrieben.

Für Leser hält dieser Abschnitt viele wichtige In‐

formationen über die Grundsätze, Ziele und Ent‐

wicklungsbedingungen der Sozialpolitik in der späten DDR bereit. In mancher Hinsicht hätte eine kritischere Sonde angelegt werden können. So war es mit der Originalität von Honeckers Sozial‐

politik nicht gar so weit her: Der Slogan "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" etwa taucht nahezu wortgleich bereits zu Beginn der 50er-Jah‐

re auf. Auch ist in dem zwischen Investition und Konsumtion gefährlich pendelnden Ressourcen‐

einsatz eher mehr als weniger Kontinuität zur Ära Ulbricht zu erkennen.

Souverän behandelt Bouvier die schwierige Thematik des Rechts auf Arbeit. Als "wichtiges Fundament ihres Selbstverständnisses" (S. 110) war das in der Verfassung garantierte Recht auf Arbeit zugleich eines der hauptsächlichen Legiti‐

mationsinstrumente der SED. Ausführlich geht die Autorin auf zentrale Aspekte der Erwerbsarbeit in der DDR ein, so auf die Gründe für die Arbeits‐

kräfteverknappung, die hohe Frauenerwerbsquo‐

te, die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte und die mangelhaften Leistungsanreize. Auch der komplizierten Frage der "verdeckten Arbeitslosig‐

keit" wendet sie sich unter Hinweis auf die Unter‐

auslastung und die mangelnde Arbeitsproduktivi‐

tät zu (S. 150). Vielleicht lohnt es, den damit ver‐

bundenen beschäftigungspolitischen Aspekt ein‐

gehender zu diskutieren. Denn alles das vollzog sich vor dem Hintergrund einer in den Siebziger-

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Jahren global einsetzenden Beschäftigungskrise.

Wirtschaftlicher, vor allem industrieller Struktur‐

wandel und die Freisetzung von Arbeitskräften wurden in der späten DDR durchaus thematisiert.

Auf weitere Sicht hätte man wohl auch über die Beschäftigung von, wie Robert Castell sie nennt,

"Überzähligen" in einem staatlichen Arbeitsbe‐

schaffungssektor nachdenken müssen. Castel, Ro‐

bert, Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit, Konstanz 2000, S. 348.

Auch die Kehrseite des Rechts auf Arbeit, die Pflicht zu Arbeit, wird von Bouvier analysiert.

Hiermit verbanden sich, vor allem bedingt durch die Schwerpunkte der zentralen Arbeitskräftepla‐

nung, zweifellos auch Einschränkungen bei der Wahl des Arbeitsplatzes oder des Arbeitsortes.

Gleichwohl ist die Vollbeschäftigungspolitik von der Erwerbsbevölkerung im Wesentlichen akzep‐

tiert und positiv perzipiert worden. Ein Problem erwuchs der SED aber daraus, dass man hierin immer weniger eine "Errungenschaft" sah, son‐

dern den Arbeitsplatz eher als Selbstverständlich‐

keit betrachtete.

Das Kapitel zum Wohnungsbau enthält länge‐

re Passagen über die Gründe und Erscheinungs‐

formen der in der DDR herrschenden Wohnungs‐

not sowie über den staatlichen, genossenschaftli‐

chen und privaten Wohnungsbau. Die hierbei in der Ära Honecker erreichten Fortschritte waren beachtlich, doch von der angestrebten Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem blieben sie weit entfernt. Bouvier spricht von einem "Schei‐

tern der Wohnungspolitik" (S. 201). Sie verdeut‐

licht die angespannte Situation quellennah an‐

hand von Eingaben und Beschwerden. Dabei ging es nicht nur um neue Wohnungen oder Baugen‐

ehmigungen, sondern mehr noch um die fatalen Folgen des fortschreitenden Verfalls von Altbau‐

gebieten. Der Alltag in der "realsozialistischen"

Mangelwirtschaft wird am Beispiel der Wohnun‐

gen überaus transparent. Im Kampf um Wohnun‐

gen blieb kaum ein Argument ungenutzt, bis hin zur Drohung mit einem Ausreiseantrag.

Im folgenden Kapitel über die "schwachen Glieder der Erwerbsgesellschaft", die Rentner, zeigt die Autorin, dass trotz periodischer, aber auch minimaler Rentenanhebungen ein beträcht‐

licher Teil der aus dem Erwerbsleben ausgeschie‐

denen Bevölkerung ein kärgliches Auskommen hatte. Schlechter ging es jedoch noch den von So‐

zialfürsorge Abhängigen sowie den Behinderten und pflegebedürftigen Alten. Auch wenn man all‐

zu grobe Missstände zu beheben versuchte, bleibt der Befund, dass die einseitige Produktionsorien‐

tierung der sozialistischen Arbeitsgesellschaft in diesen Bereichen erhebliche Defizite zuließ. Die Autorin verfolgt diesen Aspekt jedoch nicht wei‐

ter. Ausführlicher hingegen geht sie auf die Ren‐

tensysteme und ihre Finanzierung ein. Besonde‐

res Interesse verdient der Hinweis auf Zusatz- und Sonderversorgungssysteme, auf deren Grundlage "regimespezifische ‚Versorgungsklas‐

sen'" entstanden (S. 219). Die hierzu vorgetrage‐

nen Überlegungen erscheinen geeignet, die Dis‐

kussion zur sozialen Struktur der DDR-Gesell‐

schaft von einer bisher etwas unterbelichteten Seite her anzuregen. Zum Problem der in der zeit‐

historischen Literatur wenig beachteten Altersar‐

mut im "Realsozialismus" hingegen hätte man sich eine etwas ausführlichere Darstellung ge‐

wünscht.

Das Kapitel zur Frauen- und Familienförde‐

rung stützt sich vor allem auf die zu diesem The‐

menkreis recht umfangreiche Sekundärliteratur.

Hier resümiert Bouvier im Wesentlichen den ak‐

tuellen Forschungsstand, was allein schon ein Verdienst ist. Sie beleuchtet die staatlichen Förde‐

rungsmaßnahmen mit gutem Grund vor allem unter dem Aspekt der damit verbundenen wirt‐

schafts- und bevölkerungspolitischen Ziele. Indes wäre es wohl einer genaueren Nachfrage wert, ob sich darin neben dem unzweifelhaft vorhandenen obrigkeitsstaatlichen Gestaltungsanspruch nicht auch ein sozialpolitischer Druck manifestierte, der von Frauen und Familien ausging, und auf den die SED reagieren musste. Einen solchen Be‐

fund legen zumindest die neueren Forschungen

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zur Geschichte der DDR-Sozialpolitik nahe. Bou‐

vier setzt den Akzent allerdings anders: Ange‐

sichts der "Perpetuierung von paternalistischen Strukturen" (S. 296) blieben Frauen in einer Ver‐

liererrolle, die sich über 1989/90 hinaus fortsetzte und sie "zu den Verlierern des Vereinigungspro‐

zesses [gehören]" (S. 297) ließ.

Resümierend konstatiert die Autorin eine er‐

hebliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Sozialpolitik in der Ära Hone‐

cker, um abschließend zu ihrer Ausgangsfrage zu‐

rückzukehren: War die DDR ein Sozialstaat? Bei einer Antwort müsse man die verschiedenen Epo‐

chen der DDR-Geschichte differenziert betrach‐

ten. Unter Honecker sei ein Mehr an sozialer Si‐

cherheit mit einem Mehr an Überwachung und Polizeistaat verbunden gewesen. Von Sozialstaat könne deshalb keine Rede sein. Vielmehr sei ange‐

sichts einer "Rundumversorgung auf niedrigem Niveau" die Bezeichnung der DDR als "Versor‐

gungsdiktatur" (S. 337) treffender. Ob dieser Be‐

griff Bestand hat und ob überhaupt mit solchen Etikettierungen viel zu gewinnen ist, mag dahin‐

gestellt bleiben. Wichtiger erscheint, dass das Buch die für die "Versorgten" höchst problemati‐

sche Seite der Verbindung von sozialer Sicherheit und Diktatur deutlich macht. Die "Sozialpolitik mit ihren Ansprüchen und der in dieser Studie beispielhaft aufgezeigten kontrastierenden Wirk‐

lichkeit" sei "nicht von dem Gesamtkontext des diktatorischen Staates, der die DDR war, abzukop‐

peln", betont Bouvier (S. 328).

Die Arbeit basiert sowohl auf gründlich aus‐

gewerteter Sekundärliteratur als vor allem auch auf Unterlagen des Ministeriums für Staatssicher‐

heit sowie auf den als Quelle sehr ergiebigen Ein‐

gaben der Bürger an die Staatsorgane und deren Analysen. Hieraus mag sich erklären, dass wichti‐

ge Teilbereiche wie die betriebliche Sozialpolitik oder auch die oft mit sozialpolitischen Absichten verfolgte Konsumpolitik eher kursorisch behan‐

delt werden. Gleichwohl tut das dem Anliegen der Studie keinen Abbruch. Zur Funktion von Sozial‐

politik in der zweiten deutschen Diktatur und zum Verhältnis von Sozialpolitik und Diktatur hat Bouvier wichtige Erklärungsansätze beigesteuert.

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Citation: Peter Hübner. Review of Bouvier, Beatrix. Die DDR - ein Sozialstaat?: Sozialpolitik in der Ära Honecker. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. February, 2004.

URL: https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=17532

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