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Geoarchäologie aus geomorphologischer Sicht: Eine konzeptionelle Betrachtung — erdkunde

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1 Einleitung

Seit einigen Jahren ist festzustellen, dass in Deutsch- land der Begriff der Geoarchäologie immer häufiger verwendet wird, und zwar vornehmlich im Bereich der Geowissenschaften (z.B. BRÜCKNER2003; FUCHSu.

WAGNER2005; ZANGGER1999; ZÖLLER2002). Dies ist daran zu erkennen, dass immer mehr geowissenschaft- liche Projekte das Wort Geoarchäologie im Titel tragen und dass auf geowissenschaftlichen Tagungen und Kongressen immer häufiger geoarchäologische Themensitzungen angeboten werden, wie beispiels- weise auf der 30. Tagung des Arbeitskreises Geomor- phologie 2004 in Heidelberg und auf dem 55. Deut- schen Geographentag in Trier 2005. So kommt GERLACH (2003) – wenn auch in einem archäologi- schen Fachblatt – gar zu dem Schluss, dass wir es in Deutschland gegenwärtig mit einem wahren „Boom des Begriffes Geoarchäologie” zu tun haben. Doch un- geachtet der Gründe für das gestiegene Interesse an dem Gebrauch des Begriffes Geoarchäologie ist das Interesse der Geowissenschaften an geoarchäologischen Projekten und Themen aktuell sehr groß, was sich letzt- lich in der Gründung eines neuen Arbeitskreises – dem Arbeitskreis Geoarchäologie – im Frühjahr 2004 sowie seiner erfolgreichen ersten Jahrestagung im Mai 2005 in Thurnau bei Bayreuth widerspiegelt.

So sehr allerdings das Interesse an der Geoarchäolo- gie vorhanden ist, so fehlt unseres Erachtens bislang

dennoch die konzeptionelle und inhaltliche Ausein- andersetzung mit dieser Thematik. Dabei sind folgende Fragen zu beantworten:

– Was ist Geoarchäologie?

– In welcher Beziehung steht die Geoarchäologie zu den Geowissenschaften, vornehmlich zur Geomorpho- logie und damit zur Geographie?

– Welche möglichen Konsequenzen ergeben sich aus der Beantwortung der ersten beiden Fragen?

Nach AHNERT (1996, 394) „zählen die vom Men- schen geschaffenen oder beeinflussten Formen und Formungsvorgänge” zu den Kernbereichen der Geo- morphologie. So soll in dem vorliegenden Beitrag das Thema Geoarchäologie aus geomorphologischer Per- spektive erörtert werden und damit vor dem Hinter- grund geomorphologischer Konzepte und Methoden, ohne damit andere geowissenschaftliche Perspektiven wie seitens der Geologie, Paläontologie, Mineralogie, Geochemie u.a. zu negieren. Dies hat seine Berech- tigung, da die Geomorphologie maßgeblich an der Be- arbeitung geoarchäologischer Fragestellungen beteiligt ist oder sein sollte, denn sie ist aufgrund ihres Metho- denspektrums und ihrer Konzepte prädestiniert für die Beantwortung geoarchäologischer Fragestellungen.

Das soll in diesem Beitrag exemplarisch anhand des Beispiels der Sedimentspeicher, einer der wichtigs- ten Archivgrundlagen geomorphologisch-geoarchäo- logischen Arbeitens, aufgezeigt werden. Keinesfalls hingegen liegt die Absicht dieses Beitrages in einem G E OA RC H ÄO L O G I E AU S G E O M O R P H O L O G I S C H E R S I C H T

E I N E KO N Z E P T I O N E L L E B E T R A C H T U N G Mit 4 Abbildungen

MARKUSFUCHSund LUDWIGZÖLLER

Summary:Geoarchaeology from a geomorphological perspective – a conceptual consideration

The term geoarchaeologyis relatively new within the German-speaking countries, despite a long history in geoarchaeological research. In English-speaking countries, in contrast, the term geoarchaeology has been used for much longer. In this article, notwithstanding other possible perspectives, geoarchaeology will be discussed and defined from a geomorphological point of view approaching geoarchaeology as part of geomorphology. Nevertheless, geoarchaeology is claimed as a self-contained sub-discipline due to its explicit emphasis on the multidisciplinary role between geosciences and cultural sciences.

Zusammenfassung:Der Begriff der Geoarchäologie ist im deutschsprachigen Raum relativ neu, im Angelsächsischen wird der Begriffgeoarchaeologyhingegen schon wesentlich länger verwendet, auch wenn im deutschen Sprachraum eine lange Tradition geoarchäologischer Forschung besteht. In diesem Beitrag wird die Geoarchäologie aus Sicht der Geomorphologie betrachtet und definiert, ohne damit andere Perspektiven zu negieren. Danach kann die Geoarchäologie auch als Teilbereich der Geo- morphologie verstanden werden. Dennoch wird für die Institutionalisierung der Geoarchäologie plädiert, da sie explizit die Multidisziplinarität und die interaktive Arbeitsweise zwischen den Geowissenschaften und den Kulturwissenschaften betont und dadurch ihre Berechtigung als eigenständige Teildisziplin erhält.

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„Review” bisheriger geomorphologischer Arbeiten zur Geoarchäologie.

2 Was ist Geoarchäologie?

Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff „Geo- archäologie” relativ neu, wohingegen im angelsächsi- schen Raum der Begriff geoarchaeologyschon wesentlich länger verwendet wird, so dass auch dessen konzep- tionelle und inhaltliche Auseinandersetzung bis auf wenige Ausnahmen (z.B. ZANGGER 1999; ZÖLLER

2002) vornehmlich in der angelsächsischen Literatur ihren Ausdruck findet (z.B. BUTZER1972; GLADFELTER

1977; HERTZu. GARRISON1998; RAPPu. HILL1998;

WATERS1992). Dementsprechend ist im deutschspra- chigen Raum sowohl der Begriff geoarchaeologyaus dem angelsächsischen Raum übernommen worden als auch dessen Bedeutung.

Eine einheitliche Definition des Begriffs Geoarchäo- logie existiert allerdings nicht, jedoch sind die Unter- schiede der einzelnen Definitionen nur marginal, was das zentrale Thema geoarchäologischer Forschung anbelangt, und Variationen ergeben sich vornehmlich aus unterschiedlichen Auffassungen beispielsweise bzgl. des anzuwendenden Methodenspektrums (z.B.

WATERS 1992; ZANGGER1999). Gerade bei WATERS (1992) fällt eine sehr starke Betonung geomorpholo- gischer Feld- und Labormethoden für die Geoarchäo- logie auf; andere Methoden, wie solche aus der (Geo-)Physik, (Geo-)Chemie, zur Prospektion oder zur Materialherkunft verweist er eher in das Gebiet der

„Archäometrie”. Eine breit angelegte und allgemein auf Zustimmung stoßende Definition von Geoarchäo- logie ist die von RAPPund HILL(1998, xi), die unter Geoarchäologie “the use of geologic concepts, methods and knowledge base in the direct solution of archaeo- logical problems” verstehen. Diese Definition ist im deutschsprachigen Raum allgemein akzeptiert (z.B.

GERLACH 2003; ZÖLLER2002), so dass in Anlehnung an die von RAPPund HILL(1998) aufgestellte Definition Geoarchäologie als die Wissenschaft verstanden wer- den kann, die mit geowissenschaftlichen Konzepten, Methoden und Kenntnissen kulturgeschichtlich rele- vante Fragestellungen zu beantworten versucht.

Damit ist die Geoarchäologie abzugrenzen von der Archäometrie, die ganz allgemein den Einsatz natur- wissenschaftlicher Methoden zur Klärung kultur- wissenschaftlicher Fragestellungen beschreibt. ZÖLLER (2002, 35 ff.) begründet nach einer Diskussion der etwas unterschiedlichen Sichtweisen von RAPP und HILL (1998), HERTZund GARRISON(1998), WATERS(1992) sowie unter dem Eindruck der methodischen Vielfalt

aktueller archäometrischer Forschungen: „Archäome- trie kann als ein Überbegriff angesehen werden” und möchte darunter „auch die geowissenschaftlichen Methoden verstehen, d.h. die Geoarchäologie könnte als ein Teilgebietder Archäometrie verstanden werden”

(Zöller 2002, 37). Er folgert: „Geoarchäologie, unab- hängig von breiterer oder engerer Auslegung, trägt mit dem Methodenspektrum der Geowissenschaften einschließlich der Geographie zur Archäometrie bei, wenn diese letztlich das Ziel verfolgt, das Verhalten von Menschen der Vorzeit in ihren jeweiligen Kulturen und in Wechselwirkung mit ihrer jeweiligen Umwelt zu ver- stehen. An dieser Stelle müsste zwangsläufig die Frage aufgeworfen werden, ob und wie weit sozialwissen- schaftliche Ansätze zu integrieren sind (RAPPund HILL

1998). In dem Maße, wie geographische Ansätze ein- fließen, wird sich diese Frage aufdrängen” (ZÖLLER

2002, 37 f.).

Die Geoarchäologie ist somit Teilbereich der Archäo- metrie, darf aber nicht auf ihre naturwissenschaft- lichen Aspekte beschränkt bleiben, sondern muss immer die zu beantwortende kulturwissenschaftliche Fragestellung im Fokus haben. Diese ist wiederum vor dem Hintergrund der Wechselwirkung vom Menschen mit seiner physischen Umwelt zu betrachten, unter dem Aspekt der Interaktion von natürlichen und anthropogenen Systemen. Der so definierte geoarchäo- logische Ansatz entspricht dem Modell der „Mensch- Umwelt-Spirale” von BORKet al. (1998) aus landschafts- genetischer Perspektive oder auch dem humanöko- logischen Ansatz aus geographisch-integrativer Per- spektive (EHLERS2000), allerdings auf den historisch- prähistorischen Zeitskalenbereich bezogen. So verstan- dene Geoarchäologie rückt damit aber auch ganz nahe an die Geographie heran, weshalb ZÖLLER(2002, 40) sogar über Geoarchäologie als „Archäogeographie”

nachdenkt, worunter er eine „ganzheitliche, natürliche wie anthropogene Faktoren gleichermaßen berücksich- tigende historische Raumwissenschaft, die sich – im Unterschied zur rein naturwissenschaftlichen „Paläo- geographie” – mit dem Zeitraum seit dem Auftreten des Menschen befasst” versteht.

Die Geoarchäologie als historisch-prähistorisch ori- entierte Wissenschaft, die als Untersuchungsgegen- stand das komplexe Mensch-Umwelt-Wirkungsgefüge zum Inhalt hat, ist damit per definitionem auf die Zusammenarbeit mit den Kulturwissenschaften ange- wiesen. Diese Kooperation muss von Anbeginn der zu bearbeitenden Fragestellung gegeben sein, so dass eine Interaktion von der Konzeptentwicklung über die Geländearbeit bis hin zur Datenanalyse gewährleistet ist. Eine bloße Synopse der geowissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Einzelergebnisse würde –

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nach den Postulaten von RAPP und HILL(1998) und auch nach unserer Ansicht – der komplexen Frage- stellung nach der Mensch-Umwelt-Beziehung nicht gerecht werden.

3 Geomorphologie – Geoarchäologie – Geographie

Aus der Sicht der Geomorphologie stellt sich nun die Frage, in welchem Verhältnis die Geomorphologie zu der gerade definierten Geoarchäologie steht und welche Bedeutung die Geomorphologie in der Beantwortung geoarchäologischer Fragestellungen hat.

Die Geomorphologie verfügt über zahlreiche Kon- zepte, beispielsweise aus dem Bereich der fluvialen Dynamik (LEOPOLD et al. 1995), aber auch über ein umfassendes Methodenspektrum, das von technisch diffizilen Datierungsverfahren bis hin zu den klassi- schen Methoden der Boden- und Substratansprache reicht. Aus naturwissenschaftlich-geowissenschaftlicher Perspektive betrachtet sind damit innerhalb der Geo- morphologie die notwendigen Voraussetzungen ge- geben, die komplexen Fragen der Geoarchäologie zu beantworten.

Darüber hinaus ist die Geomorphologie aber auch Teildisziplin der Geographie, der Wissenschaft von der Natur- und der Kulturlandschaft, und berücksichtigt damit den Menschen als system- und landschaftsgestal- tende Komponente. AHNERT (1996, 394) zählt sogar

„die vom Menschen geschaffenen oder beeinflussten Formen und Formungsvorgänge” zu den Kernberei- chen der Geomorphologie und stellt das so genannte anthropische System mit den anderen Systemen inner- halb des geomorphologischen Systems, wie beispiels- weise dem fluvialen oder glazialen, gleich. In diesem Zusammenhang geht AHNERT(1996, 394) sogar noch einen Schritt weiter und erachtet „die Forschungen über die tatsächlichen und potentiellen Einflüsse geo- morphologischer Systeme auf die sozialen, kulturellen und vor allem wirtschaftlichen Belange des Menschen als mindestens ebenso wichtig“.

Damit ist unseres Erachtens einer der Kernbereiche der Geomorphologie definiert, und zwar die Erfor- schung der Wechselwirkungen des natürlichen Systems mit dem anthropischen, die Erforschung der Inter- aktionen von Mensch und Umwelt. Dies ist nicht nur auf rezente Systeme zu beziehen, wie es im Besonderen Gegenstand der Untersuchungen in der angewandten Geomorphologie ist (RATHJENS 1979), sondern auch auf Systeme der Vergangenheit.

Es stellt sich nun die Frage, ob damit der For- schungsgegenstand der Geoarchäologie, wie er oben definiert wurde, nicht dem der Geomorphologie gleicht

bzw. die Geoarchäologie nicht einen Teilbereich der historisch-genetisch ausgerichteten Geomorphologie darstellt. Wir denken, dass diese Frage mit ja beant- wortet werden kann. Allerdings beschäftigt sich die Geomorphologie auch mit dem Zeitabschnitt vor dem Auftreten des Menschen und setzt sich so mit Fragen auseinander, die unabhängig von der vom Menschen beeinflussten Umwelt sind. Die Geoarchäologie hin- gegen beschäftigt sich per definitionem ausschließlich mit der Interaktion von Mensch und Umwelt in der Vergangenheit und betont explizit die Interdisziplina- rität von Geowissenschaften, unseres Erachtens vor- nehmlich der Geomorphologie, einerseits und Kultur- wissenschaften, vornehmlich der Archäologie und historischen Geographie, andererseits. Daher scheint es gerechtfertigt, die an der Schnittstelle interdiszipli- när angelegte und historisch ausgerichtete Geoarchäo- logie als eigenständige Disziplin auszuweisen.

4 Sedimentspeicher – Fallbeispiel eines geomorphologischen Konzeptes in der Geoarchäologie

Die Geomorphologie ist also aufgrund ihrer Kon- zepte und ihres Methodenspektrums prädestiniert, geoarchäologische Fragestellungen zu bearbeiten. Die Bedeutung der Geomorphologie für die Beantwortung dieser Fragen ließe sich an zahlreichen Beispielen er- läutern, was aber nicht Ziel dieses Beitrages sein kann.

Stattdessen soll hier exemplarisch ein Beispiel zur prähistorisch-historischen Bodenerosionsforschung im ostmediterranen Raum angeführt werden. Die Diskus- sion ihrer Ursachen und der raum-zeitlichen Stellung von Phasen erhöhter Bodenerosion wird kontrovers geführt. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, wie ein modernes geomorphologisches Konzept vor voreiligen und möglicherweise falschen kulturwissenschaftlichen Interpretationen schützt.

Die Fragen, die bei der Diskussion der prähistorisch- historischen Bodenerosion im Ostmediterraneum auf- geworfen werden, lauten:

– Sind die holozänen Erosionsereignisse natürlich oder anthropogen bedingt? Sind klimatische Variatio- nen im Holozän für die Erosionsprozesse verantwort- lich oder ist es der wirtschaftende Mensch und haben wir es daher mit dem Phänomen der Bodenerosion zu tun?

– In welcher Zeit ist der anthropogene Eingriff des Menschen in den Naturhaushalt erstmals sichtbar bzw.

geomorphologisch relevant?

Um diese Fragen zu klären, bedient man sich allge- mein diverser Sedimentarchive, in denen die korrelaten Sedimente der Erosionsereignisse dokumentiert sind.

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Die zeitliche Einordnung der Sedimente erfolgt dann über geeignete Datierungsverfahren. Auf Basis dieser Vorgehensweise wurden von verschiedenen Autoren zahlreiche Untersuchungen im Ostmediterraneum durchgeführt. Deren Ergebnisse wurden für Griechen- land beispielsweise von VANANDELet al. (1990) heran- gezogen, um die raum-zeitliche Verteilung einzelner Sedimentationsphasen synoptisch darzustellen (Abb. 1).

VANANDELet al. (1990) folgern daraus, dass im Holo- zän der Mensch dominant für die Erosion verantwort- lich war, da bei klimatischen Ursachen die Sedimen- tationsphasen in den unterschiedlichen Regionen Griechenlands hätten isochron verlaufen müssen.

Unabhängig von einer Beurteilung der Qualität der Daten, die dieser Grafik zugrunde liegen, muss aller- dings anhand dieses Beispiels die Frage nach der Aus- sagekraft der Sedimentspeicher gestellt werden, die für die jeweiligen regionalen Untersuchungen heran- gezogen wurden. Waren die Sedimentspeicher für die jeweilige Fragestellung adäquat gewählt? Lassen bei- spielsweise die aus einem Deltabereich gewonnenen Informationen zur Sedimentationsgeschichte die Schlussfolgerung zu, in welchen Phasen mit erhöhter Erosion zu rechnen war? VANANDELet al. (1990) kom- men in ihren Untersuchungen in der Ebene von Argos zu dem Ergebnis, dass erhöhte Erosion, die auf den wirtschaftenden Menschen zurückzuführen sei, erst- mals im Übergang der Kulturepochen von Endneo- lithikum und Früher Bronzezeit auftritt. In Unter-

suchungen zur Rekonstruktion prähistorischer Boden- erosion im Becken von Phlious durch FUCHS et al.

(2004), die an kolluvialen Sedimenten zeitlich hochauf- lösend durchgeführt wurden, konnten erhöhte Sedi- mentationsraten, die anhand der Indizien auf Boden- erosion zurückgeführt werden, bereits im Frühneo- lithikum ausgewiesen werden (Abb. 2), also mehr als 2000 Jahre früher!

Die Diskrepanz der Ergebnisse ist aus Sicht der Geo- morphologie natürlich nicht verwunderlich, da zwei völlig unterschiedlichen Typen von Sedimentspeichern involviert sind. Die Komplexität fluvialer Systeme, und besonders die Komplexität von Sedimentkaskaden mit ihren unterschiedlichen Sedimentspeichern (WALLING

1983; BRUNSDENu. THORNES1979), sind in der Geo- morphologie bekannt. Die Wahl des zu untersuchen- den Sedimentationsspeichers ist abhängig von der zu beantwortenden Fragestellung. So haben kolluviale Speicher beispielsweise einen unmittelbaren Bezug zum Erosionsgebiet, da sie aber räumlich begrenzte Ereignisse dokumentieren, unterliegen sie einer star- ken räumlichen Variabilität. Sie besitzen also eine räumlich begrenzte Aussagekraft. Alluviale Speicher hingegen repräsentieren einen größeren Raum, lassen aber keinen unmittelbaren Bezug zur lokalen Situation mehr zu.

Daneben zeigen die Sedimentspeicher hinsichtlich ihrer Reaktionszeit auf Erosionsereignisse ein unter- schiedliches Verhalten. Allgemein betrachtet ist die

Abb. 1: Sedimentationsphasen unterschiedlicher Lokalitäten in Griechenland (verändert nach VANANDELet al. 1990) Sedimentation phases of various localities in Greece (modified after VANANDELet al. 1990)

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Reaktionszeit eines Sedimentspeichers auf ein Erosions- ereignis um so größer, je weiter der Speicher von dem Raum entfernt liegt, in dem das zu dokumentierende Ereignis stattfand. Dabei spielt sowohl die Distanz von Erosions- zu Sedimentationsraum eine Rolle, als auch die mit größer werdender Distanz ansteigende Zahl von Zwischenspeichern.

Die Sedimentspeicher wiederum dokumentieren nur bedingt die im oberen Einzugsgebiet auftretenden Ero- sionsereignisse, da Zwischenspeicher die Information zurückhalten können, oder aber der Transportprozess eine Sedimentation in bestimmten Zwischenspeichern verhindert. So können beispielsweise Erosionsereig- nisse erst gar nicht dokumentiert sein, wenn bestimmte Schwellenwerte bei Niederschlagsereignissen über- schritten werden: HARVEY (2001) zeigt am Beispiel des Hang-Vorfluter-Systems, wie ein ‘high magnitude – low frequency’ Niederschlagsereignis einen Durch-

transport der am Hang abgetragenen Sedimente in den Vorfluter bedingt, ohne dass diese Ereignisse im kollu- vialen Speicher dokumentiert werden. Andererseits kann das Hang-Vorfluter-System entkoppelt sein und die am Hang abgetragenen Sedimente werden als Kol- luvien im Hangfußbereich über längere Zeiträume gespeichert, ohne dass die Sedimente den Vorfluter er- reichen (Abb. 3). Der Hang kann wiederum selbst eine komplexe Sedimentkaskade aufweisen, wie dies bei- spielhaft von LANG und HÖNSCHEIDT (1999) gezeigt werden konnte, die die Kolluvienbildung in ihrer raum- zeitlichen Abhängigkeit untersuchten (Abb. 4).

Das oben aufgeführte Beispiel lässt erkennen, dass für die Auswahl und Interpretation der Sedimentspei- cher ein Verständnis für die Komplexität der vorliegen- den Sedimentkaskaden notwendig ist. So ist die Frage nach Ursache und erstmaligem Einsetzen der Boden- erosion im Ostmediterraneum nicht adäquat zu beant-

Abb. 2: Holozäne Sedimentationsraten im Becken von Phlious. Die Berechnungen basieren auf Datierungen mittels optisch stimulierter Lumineszenz (OSL) an Kolluvien. Die Sternsymbolik repräsentiert dabei minimale Sedimentationsraten, die wesentlich höher liegen können (verändert nach FUCHSet al. 2004)

Holocene sedimentation rates in the Phlious basin. The calculations are based on datings by optical stimulated luminescence (OSL) of colluvial material. The star symbol represents minimum sedimentation rates – the true sedimentation rates can be much higher (modified after FUCHSet al. 2004)

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worten, wenn bei der Interpretation der Ergebnisse nicht die Unterschiedlichkeit der Sedimentspeicher be- züglich Reaktionszeit oder Speichervermögen berück- sichtigt wird. Erst dann lassen die Korrelationen von entsprechenden Klimadaten und archäologischen Daten mit Sedimentationsraten eine sinnvolle Interpre- tation zu. Allen Sedimentspeichern verschiedener Ord- nung kommt sehr wohl eine individuelle Bedeutung zu, wenn die raum-zeitlichen Auswirkungeneines kultur- landschaftlich prägenden Ereignisses (hier: Beginn der Bodenerosion) nachzuzeichnen sind.

5 Schlussfolgerung und Ausblick

Die Bearbeitung geoarchäologischer Fragestellun- gen ist im Allgemeinen mit der Untersuchung entspre- chender Geo-Archive verbunden. Am Beispiel der Sedimentkaskaden fluvialer Systeme wurde gezeigt, dass ein Verständnis der Komplexität dieser Sediment- kaskaden Voraussetzung für eine der Fragestellung adä- quate Bearbeitung und Interpretation der zu unter- suchenden Sedimentarchive ist. Die Geomorphologie beschäftigt sich heute intensiv mit derartigen Themen, wie z.B. die Initiative Rhein-LUCIFS verschiedener geomorphologischer Arbeitsgruppen in Deutschland zeigt. Sie stellt auch die notwendigen konzeptionellen Voraussetzungen bereit, um solche grundlegenden Fragen wie beispielsweise die der adäquaten Auswahl von Sedimentarchiven bearbeiten zu können. Dies ist erforderlich, damit die geoarchäologische Fragestellung nicht isoliert von ihrem raum-zeitlichen Kontext be- trachtet wird, sondern vielmehr unter Berücksichti- gung desselben.

Darüber hinaus liegt das Potential der Geomorpho- logie als Teildisziplin der Geographie in ihrer Fähigkeit

der fächerübergreifenden Kooperation. Dadurch er- langt die Geomorphologie zusätzliche fachliche Kom- petenz, die für die Bearbeitung geoarchäologischer Fragestellungen unabdingbar ist. Die Geomorphologie ist damit wie keine andere Geowissenschaft prädesti- niert, geoarchäologische Fragestellungen zu bearbeiten.

Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus dem bisher Gesagten für die Geomorphologie bzw. für die Geoarchäologie?

Zunächst einmal ist die Geomorphologie aufgerufen, die Bearbeitung geoarchäologischer Themen zu über- nehmen bzw. derartige Themen zu stellen. Dies ge- schieht bereits mit großem Erfolg, und so ist die Bear- beitung vieler geoarchäologischer Fragestellungen in der Geomorphologie angesiedelt (z.B. BRÜCKNER2003;

FUCHS et al. 2000; VÖLKEL et al. 1998; VÖTTet al.

2006; WUNDERLICH2000). Hier ist die Geomorpholo- gie aber auch in die Pflicht genommen, denn von ihr hängt entscheidend die Qualität geoarchäologischer Arbeit ab, von der Fähigkeit, das geomorphologische Wissen in die geoarchäologische Fragestellung mit ein- zubringen, wie es am Beispiel der Sedimentkaskaden aufgezeigt wurde.

Die erfolgreiche Bearbeitung geoarchäologischer Themen setzt die Zusammenarbeit mit den Kulturwis- senschaften voraus, vornehmlich die Kooperation mit der Archäologie und der historischen Geographie vom Zeitpunkt der Konzeption des Projektes an. In diesem Bereich der kooperierenden Projektarbeit, die einen stetigen wissenschaftlichen Austausch verlangt, besteht unseres Erachtens noch ein Defizit, nicht zuletzt auf- grund bisher mangelnder Institutionalisierung geo- archäologischer Forschung. Durch die Schärfung des Bewusstseins für die jeweiligen kultur- oder geowissen- schaftlichen Methoden und Konzepte könnte diesem Defizit begegnet werden. Um dies perspektivisch zu

Abb. 3: Sedimentarchive am Hangfuß (Kolluvium) und in der Aue (Alluvium) und ihre Kopplung. Die Sedimentation und damit Dokumentation eines Erosionsereignisses ist abhängig von der Intensität des Niederschlagsereignisses

Sediment archives at the foot of slope (colluvia) and in the floodplain (alluvia) as well as their coupling. The sedimentation and documentation of an erosion event is depending on the intensity of the precipitation

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erreichen, sollte die geoarchäologische Ausbildung integraler Bestandteil des Archäologiestudiums sein (siehe hierzu GERLACH2003). Damit verbunden ist die

Forderung nach der institutionellen Einrichtung der Geoarchäologie mit entsprechenden Aktivitäten in Lehre und Forschung, – letztlich also der Einrichtung

Abb. 4: Sedimentkaskaden am Hang und das Füllen und Leeren der Sedimentspeicher in Abhängigkeit von Raum und Zeit (verändert nach LANGu. HÖNSCHEIDT1999)

Sediment cascades at the slope and the filling and emptying of the sedimentary sinks in dependence of space and time (modified after LANGu. HÖNSCHEIDT1999)

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eines Studiengangs Geoarchäologie1). Hier ist die Geo- morphologie nun aufgefordert, sich an diesem Gestal- tungsprozess aktiv zu beteiligen. Diese Rolle ist der Geomorphologie schon länger zugedacht, denn GLAD-

FELTERschreibt 1977 bereits: “The contribution of the earth sciences, particularly geomorphology …, to the interpretation and environmental reconstruction of archaeological contexts is called geoarchaeology” oder wie AHNERT (1996) sinngemäß schreibt, „zählen die vom Menschen geschaffenen oder beeinflussten For- men und Formungsvorgänge” zu den Kernbereichen der Geomorphologie.

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1) Der erste deutsche Master-Studiengang Geoarchäolo- gie ist zum WS 2005/6 in Marburg akkreditiert worden.

Referenzen

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