Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 6⏐⏐9. Februar 2007 A313
P O L I T I K
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aum ein Kompromiss bleibt lange unangetastet – schon gar nicht, wenn es um die Begren- zung von Forschungsmöglichkeiten geht. Ende vergangenen Jahres hat die Deutsche Forschungsgemein- schaft für eine Abschaffung der Stichtagsregelung im Stammzellge- setz plädiert (DÄ, Heft 4/2007).Nun hat sich die FDP-Fraktion mit einem Antrag im Bundestag eben- falls dafür eingesetzt: Sie plädiert für ein Ende der Begrenzung, die es bundesdeutschen Wissenschaftlern bislang ausschließlich erlaubt, an embryonalen Stammzellen aus dem Ausland zu forschen, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden.
Angesichts der Forschungsent- wicklungen sei es unerlässlich, we- nigstens die rigide Einfuhrpolitik hinsichtlich embryonaler Stamm- zellen zu lockern, begründet dies die FDP-Fraktion. „Die Ausschöpfung der Heilungsmöglichkeiten solcher Krankheiten, wie sie durch embryo- nale Stammzellforschung entwi- ckelt werden können, ist ein Gebot der Ethik“, heißt es weiter.
Doch solche Vorstöße provozie- ren auch Abwehr, beispielsweise von Organisationen wie dem Bun- desverband Lebensrecht (BvL), der gegen die Forschung mit embryona- len Stammzellen ist. Damit, glaubt der BvL, vertritt er eine Mehrheits-
meinung. Denn zwei Drittel der Bundesbürger hielten es für richtig, dass in Deutschland keine mensch- lichen Embryonen zu Forschungs- zwecken erzeugt und zerstört wer- den. Etwas mehr als die Hälfte be- fürworte, dass nur an adulten Stammzellen geforscht wird. Das schließt der BvL aus einer bei TNS Infratest in Auftrag gegebenen tele- fonischen Befragung von 1 000 Haushalten. Dabei behaupteten al- lerdings auch rund 83 Prozent der Befragten, mit den Begriffen em- bryonale/adulte Stammzellen etwas anfangen zu können.
Der BvL hat zugleich auf eine ak- tuelle Ausarbeitung der wissen- schaftlichen Dienste des Bundes- tags zum Stand der Forschung ver- wiesen. Darin heißt es: „Die Poten- ziale der embryonalen Stammzellen werden in den Medien regelmäßig als sehr groß dargestellt und Anwen- dungen nicht selten binnen einiger Jahre in Aussicht gestellt. Doch sind die Einschätzungen der Fachleute heterogen und teilweise nüchter- ner.“ Embryonale Stammzellen würden derzeit nicht in klinischen Studien oder Therapien eingesetzt.
Und weiter: „In den kommenden Jahren kann nicht mit zugelassenen Anwendungen der Stammzellen in der Behandlung von Patienten ge- rechnet werden. Diese wären, wenn
überhaupt, dann vermutlich in ei- nem Zeithorizont von 20 Jahren zu realisieren.“
Gleichwohl wird sich der Bun- destag erneut umfassender mit der Stammzellforschung befassen. Für 9. Mai ist eine Expertenanhörung des Forschungsausschusses anbe- raumt. Beobachter rechnen nicht da- mit, dass zuvor aus den Koalitions- fraktionen Gruppenanträge für oder gegen eine Änderung des Stamm- zellgesetzes vorgelegt werden. Dass der geltende Stichtag ersatzlos ge- strichen wird, ist derzeit nicht zu er- warten. Auch eine Verschiebung gilt noch als unwahrscheinlich. Zumin- dest haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesforschungsmi- nisterin Annette Schavan (beide CDU) zu erkennen gegeben, an der gegenwärtigen Regelung nicht rüt- teln zu wollen.
Debatte kann erneut beginnen
Reinhard Loske, Leiter der Arbeits- gruppe Biotechnologie von Bündnis 90/Die Grünen, sieht ebenfalls kei- nen Grund dazu. Bislang seien keine neuen ethischen Argumente vorge- bracht worden, die einen Kurswech- sel nötig machen würden, sagte er bei einer Fachveranstaltung seiner Fraktion. Dies könne sich jedoch ändern, gab die ehemalige SPD-Ab- geordnete Margot von Renesse zu bedenken, die seinerzeit als Vorsit- zende der Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ für die heutige Kompromissregelung gekämpft hatte.Sollte es zu einem Durchbruch bei der Therapie kommen, werde die Stammzelldebatte erneut und mit voller Wucht losbrechen.
„Wenn todkranken Menschen mit solch neuen Methoden geholfen werden kann, wird auch kein evan- gelisches oder katholisches Kran- kenhaus Patienten die entsprechen- de Therapie verweigern können“, ist von Renesse überzeugt. I Samir Rabbata, Sabine Rieser
STAMMZELLFORSCHUNG
Stiche gegen den Stichtag
Die Liberalen wollen ein Ende der Importbegrenzung.
Noch ist unklar, was ihre Forderung bewirken wird.
Auf Eis gelegt:
Vor dem Sommer werden keine Ände- rungsanträge aus den Koalitionsfrak- tionen erwartet.
Foto:laif