DEUTSCHES
ARZTEBLATT
KURZBERICHT
IAussagefähigkeit
der OsteodensitoInetrie in der Osteoporose-Diagnostik
steoporosen sind die häufigsten Osteopa- thien, die zu einer- Osteopenie mit erhöh- tem Frakturrisiko füh- ren (1). Etwa 80 Prozent der Osteo- porosen sind idiopathisch und wer- den den senilen und postmenopausa- len Formen zugerechnet, die nach Schätzungen 30 bis 40 Prozent aller Menschen über 60 Jahre betreffen (33). Definition und Diagnosesiche- rung sind dennoch bis heute ohne Knochenbiopsie in zahlreichen Fäl- len nicht unumstritten. Es gibt kei- ne aussagekräftigen biochemischen Tests, so daß sich die Diagnose vor Auftreten von Deformierungsereig- nissen auf klinische Symptomatik und Bestimmungen des Knochenmi- neralsalzgehalts stützen muß (5).
Charakteristische röntgenologische Strukturveränderungen mit Zunah- me von Strahlen transparenz und reaktiver Hypertrophie residueller Spongiosa lassen sich am Achsenske- lett erst in fortgeschrittenen Stadien (Verlust an Knochensubstanz > 50 bis 60 Prozent, [1]) nachweisen.
Osteodensitometrie, Methoden
Als Verfahren zur Knochendich- temessung sind derzeit drei Techni- ken etabliert, die auf der Schwä- chung einer Photonenstrahlung be- ruhen (Abbildung 1). Trotz erhebli- cher Unterschiede bezüglich Strah- lenquelle, Meßgeometrie, Objektab- bildung und Meßwertregistrierung ist allen Methoden gemeinsam, daß sie bei hohen Reproduzierbarkeiten
« fünf Prozent) mit systematischen Fehlern behaftet sind, die keine aus- reichend genaue Bestimmung des
Gerd Reuther*, Martina Dören**, Michael Montag***, Peter E. Peters * und Herrnann P. G. Schneider* *
I Bildgebende Osteodensitometrie
I
,----./--. ~~----.
Projektive Verfahren Dual Energy Photon Absorptiometry
(DPA)
Dual energy X-ray Absorptiometry (DXA, DPX, QDR)
Tomographische Verfahren Quantitative Computertomographie
(QCT)
Abbildung 1. Verfahren zur Messung des Knochenmineralsalzgehalts
wahren Knochenmineralsalzgehaltes zulassen (12,15,31). Die wichtigsten Kennzeichen, die Vor- und Nachtei- le der Systeme widerspiegeln, sind in der Tabelle zusammengefaßt.
Normalkollektive lassen im Meßwertebereich aller drei Ver- fahren eine große physiologische Schwankungsbreite erkennen, die sich nach Erreichen der höchsten Knochendichte im dritten bis vierten Dezennium ("peak bone mass") zu- nehmend der unteren Meßgrenze annähert (10, 13, 18; Abbildung 2).
Eine osteoporotische Osteopenie führt dabei zu Volumen- oder Flä- chendichten, die zwar in der Mehr- zahl unterhalb der Regressionsgera- den, aber innerhalb der zweifachen Standardabweichung liegen (11, 14, 15). Die Verdachtsdiagnose einer
* Institut für Klinische Radiologie (Direktor:
Prof. Dr. med. P. E. Peters) Westfälische Wilhelms-Universität Münster
** Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Frauenheilkunde (Direktor: Prof. Dr. med.
Hermrnm P. G. Schneider) Westfälische Wil- helms-Universität Münster
*** Klinik für Allgemeine Röntgendiagno- stik und Neuroradiologie (Chefarzt Prof. Dr.
med. E. Kühne), Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Krankenhaus Essen
Osteoporose ohne Frakturen kann sich daher nur selten auf den Abso- lutwert einer einzeitigen Knochen- dichtebestimmung stützen, sondern muß in der Verlaufsbeobachtung ei- ne pathologisch erhöhte Knochen- verlustrate nachweisen.
Quantitative
Computertomographie
Die quantitative Computerto- mographie (QCT), mit der wir seit 1985 über 3000 Untersuchun- gen durchgeführt haben, zeichnet sich gegenüber den projektiven Photonenabsorptiometrie- Verfahren durch die höchste Empfindlichkeit aus (2, 3, 24, 26). Die selektive Mes- sung des spongiösen Knochens mit seiner acht- bis zehnfach höheren Stoffwechselaktivität gegenüber der Kompakta, der größte auch negative Werte (Fettmark) einschließenae Meßbereich (Abbildung 3a) und die detallierte morphologische Abbil- dung (Abbildung 3b) sind trotz Ver- besserungen der Photonenabsorptio- metrie in Zwei-Energie-Technik (DPA und DXA) mit unselektiver Messung der Flächendichte des Kno- chens nicht zu erzielen. C>
A-4136 (66) Ot. Ärztebl. 88, Heft 4}, 21. November 1991
QCT Wem
klein ja 3-4 x
+++
nicht erforderlich
+++
10 70 ( + Topogramm)
10-402) Allgemeine Betriebskosten
nein 2x
erforderlich
25-30 200 ( + LWS)
120-160 Betriebskosten
+ Gd-Quelle
DXA g/cm2 groß nein 2x
erforderlich ++
10 200 ( + LWS)
150-250 Allgemeine Betriebskosten Anschaffungskosten (TDM)
Untersuchungszeit (Minuten Dosis effektiv (ItSv)
Unterhaltungskosten
selektive Spongiosamessung relative Sensitivität')
Übersichtsaufnahmen Fehlerdetektion Meßgröße
orphologie
DPA g/cm2 groß Meßvolumen
San Francisco (n = 203), Alter 37 — 65 Jahre Münster (n =152), Alter 19 — 77 Jahre 250- mg K211PO4 /cm 3
0
[±40] 0
MÜNSTER B 0 04 8; 0
0 o8ogr 0 00
. 0 8 08 9 § 0
O
9 0 2,8 3gg 0 ° 8 0 -0000ögoo88° 00
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200-
150-
100
50-
•
[±60]
o o
0 SAN FRANCISCO
30 40 50 60 70 Jahre
0 20
Abbildung 2: Altersabhängige Extrapolation des Knochendichteverlaufs nach QCT-Untersu chungen (14, 18). Die niedrigeren Durchschnittswerte und die geringere Schwankungsbrei te zeigen die Notwendigkeit eines regionalen Vergleichskollektivs. Jenseits des 70. Lebens- jahres reicht die untere Grenze des Schwankungsbereichs nahe an den Nullwert Tabelle: Die wichtigsten Kennzeichen der Osteodensitometrie-Verfahren im Vergleich
Preis einer Untersuchung (DM) ca. 100
1) nach Genant, 1982 (13)
2) Kosten für Referenzkörper und Auswerteprogramm bei vorhandenem CT-Scanner
Die überlagerungsfreie Spongio- samorphologie kann darüber hinaus zuverlässig destruktive (multiples Myelom, diffuse Metastasierung) und nicht-destruktive Osteopenien anderer Ätiologie (zum Beispiel Osteomalazie) differenzieren und sy- stematische Meßfehler durch Struk- turalterationen (degenerative Skle- rosierung, Osteophyten, extraossäre Verkalkungen) erkennen, die bei den projektiven Verfahren zu einer unerkannten Meßwertverfälschung führen können (Abbildungen 4a, b;
Lit. 3, 12, 15, 20).
Natürlicher Verlauf
Mehrjährige Verlaufsbeobach- tungen der Wirbelkörperspongiosa zeigen, daß nicht nur der kollektive Streubereich „normaler" Knochen- dichten sehr groß ist, sondern daß auch die jährlichen Schwankungen der individuellen Verläufe beträcht- liche Zu- und Abnahmen zeigen, die die meßtechnische Variation um ein
Mehrfaches überschreiten (Abbil- dung 5). Die hypothetische lineare Abnahme des Mineralsalzgehalts läßt sich nur im statistischen Durch- schnitt eines Kollektivs nachweisen, wird im individuellen Verlauf jedoch
durch die biologische Variation von Mineralisation und Markraumzu- sammensetzung als Folge von Ernäh- rung, Bewegungsmuster und Stoff- wechselaktivitäten überlagert (Abbil- dung 6). Eine Diskrimination von Dt. Ärztebl. 88, Heft 47, 21. November 1991 (69) A-4137
00
o °
o o
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oo 0 • s
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O •
•• • •
o
n•
50 45 40 35 f, 30 25 20
2 15
° 10
a -5 - 10 - 15 20
• = untherapierte Frauen (n ..55), SD =-3±9 o = hormonsubstituierte Frauen (n 65), SD =12±11
Abbildung 5: Variati- on der LWS-Spongi- osadichte postmeno- pausaler untherapier- ter und hormonsubsti- tuierter Frauen (Klio- gestg) pro Jahr. Signi- fikante Zunahmen der Knochemmineralisati- on und das Fehlen von Abnahnien über der biologischen Va- riation führen unter Hormonsubstitution
zu einer Erhöhung der Spongiosadichte (p < 0,001) Abbildung 3:
(a, rechts) Meßwerte- bereich der Spongi- osadichten in der QCT von etwa — 30 bis + 300 Hounsfield- Einheiten. (b, unten) Meßsituation der QCT zur Bestimmung der Wirbelkörperspon- giosa: Meßvolumen (Pfeil), Referenzsy- stem nach Cann und Genant (Pfeilspitzen) Personen mit überdurchschnittlichen
Verlustraten mineralisierter Sub- stanz ist daher auch bei selektiver Spongiosamessung im Ein-Jahres-In- tervall nicht zuverlässig möglich. Im Verlauf zeichnen sich Untergruppen ohne Dichteabnahme, mit altersent- sprechenden und überdurchschnittli- chen Verlustraten ab, so daß für eine Früherkennung einer postmenopau- salen Osteoporose Intervalle von drei Jahren adäquat sind.
Mit der strukturell weniger emp- findlichen DPA ist dies bisher nicht gelungen. Mit den DXA-Systemen müssen erst mehrjährige Erfahrun- gen gesammelt werden, jedoch zei- gen erste Vergleiche, daß entspre- chende Unterschiede nicht mit glei- cher Empfindlichkeit darstellbar sind (24).
Therapieeffekte
Das „Dilemma der Osteoporo- se-Therapie" (33) besteht auch dar-
Abbildung 4: Verfälschte Meßwerte oder destruktive Rarefizienmgen der Spongiosastruktur sind in der QCT zuverlässig zu erkennen: (a, links) falsch überhöhter Meßwert bei Kompres- sionsfraktur und (b, rechts) Aufdeckung einer osteolytischen Osteopenie durch ein multi- ples Myelom
Für eine kombinierte Parathormon- fragment/Calcitonin-Therapie wur- den Anstiege der Spongiosadichte mit der QCT objektiviert (16). Einer Östrogen/(Gestagen)-Substitutions- behandlung zur Prävention der post- menopausalen Osteoporose wird überwiegend eine stabilisierende Wirkung auf die Knochendichte zu- gesprochen (8,30); Fluoride sind trotz meßbarer und auch röntgenolo- gisch sichtbarer Dichtezunahmen in ihrem Wert umstritten, da Erhöhun- gen der Dichte noch nichts über die Qualität der mineralisierten Sub- stanz aussagen (29). Bestimmte Ra- refizierungsformen der Knochen- struktur, die nur bioptisch zu ermit- teln sind („Poro-Malazie"), stellen zudem eine Kontraindikation dar.
Eigene Langzeituntersuchungen über bis zu fünf Jahren (6, 27) zei- gen, daß Therapieeffekte einer si- multanen Östrogen/Gestagen-Dau- ertherapie bereits im Ein-Jahresin- tervall mit der QCT nachgewiesen werden können, wenn ein gutes An- sprechen vorliegt (6, Abbildung 5).
Dies gilt auch für 40 Prozent der in- dividuellen Verläufe, die Dichtezu- nahmen über der physiologischen
in, etwaige Veränderungen der Mi- neralisation überprüfbar quantitativ zu sichern. Wenn osteodensitome- trisch mit einem Verfahren kürzer- fristig keine erhöhten Verlustraten ermittelt werden können, hat ein fehlender Unterschied einer The- rapiegruppe zur Kontrollgruppe wenig Aussagekraft. Die überwie- gend mit der DPA gemessenen Ver- läufe unter verschiedenen Formen der Therapie haben bisher, ausge- nommen für Fluoride, keine eindeu- tigen Ergebnisse erbracht (29, 30).
A-4138 (70) Dt. Ärztebl. 88, Heft 47, 21. November 1991
dmg 142 1100./cW
12
-12
-16
-20
-24
3 Jahre
Anzahl 8
4
0 -10 -15 -5--0
I I I
0 5 5-10 10-15 15-20 20-25 25-30 30-35 35-40 40-45 45-50 3 mg KzHPO4/cm3
Initiale Spongiosadichte
■
< 86 mg (n=35)> 86 mg (n=30)
Schwankungsbreite aufwiesen. Das Ausmaß der Meßwertänderungen (vergleiche Abbildung 5), die eine hy- pothetische Abnahme des Fettmark- anteils weit übersteigt („Fettfehler"
des Verfahrens [23, 311), zeigt, daß keine Dichteerhöhungen in der Zu- sammensetzung der nichtminerali- sierten Knochensubstanz vorliegen.
In Einzelfällen ist auch bildgebend
Schlußfolgerung
Von den zur Verfügung stehen- den Osteodensitometrie-Verfahren ist bisher nur mit der QCT in der in- dividuellen Längsschnittbetrachtung bei postmenopausalen und senilen Osteoporosen der Nachweis eines erhöhten Verlustes ossärer Substanz möglich. Innerhalb der auch intrain- dividuell großen Schwankungen sind dafür jedoch Kontrollintervalle von mindestens drei Jahren erforderlich, aber auch ausreichend, um eine
eindeutig eine Anlagerung neuer mi- neralisierter Substanz an residuelle Leitstrukturen sichtbar (Abbildung 7). Dieser Effekt ist bei Frauen mit niedrigerer Dichte signifikant stär- ker ausgeprägt als bei Frauen mit hö- herer Dichte (Abbildung 8). Hieraus kann auf eine bedarfsorientierte Re- mineralisation des Knochens ge- schlossen werden.
Früherkennung zu ermöglichen. Mit der QCT ist auch erstmals eine Zu- nahme der Knochendichte mit Resti- tution der vorhandenen Substanz un- ter einer Hormonsubstitution post- menopausal zu belegen. Im Gegen- satz zu den projektiven Verfahren können in der QCT diese Effekte von einer umstrukturierenden Skle- rose durch Fluoride abgegrenzt .wer- den, die ansonsten zusätzliche über- sichtsaufnahmen erfordern würde.
Eine Therapiekontrolle einer Osteo- porose kann damit mit der QCT im
Abbildung 6: Exemplarische Darstellung von 13 individuellen Verläufen der LWS- Spongiosadichten untherapierter postme- nopausaler Frauen über drei Jahre. Durch intermittierende Dichteabnahmen über der normalen Variation, die im Folgeinter- vall nicht kompensiert werden, lassen sich nach drei Jahren mehrere Verläufe mit über- durchschnittlicher Verlustrate diskriminie- ren. Ob es sich dabei um pathologisch er- höhte Verlustraten handelt, die in einer Ost- eoporose münden, kann nur ein weiterer Verlauf zeigen
Ein- und Zwei-Jahres-Intervall durchgeführt werden. Ob dies für die neu eingeführten DXA-Verfahren ebenfalls gilt, muß erst deren mehr- jährige Erprobung zeigen.
Der letztlich für die Effektivität einer Therapie und die Validität ei- ner Osteodensitometrie entschei- dende Nachweis einer Reduktion von Frakturereignissen kann erst nach einem längeren Verlauf gesi- chert werden. Die höhere Inzidenz von Frakturen bei Individuen mit niedriger vertebraler Spongiosadich- te (15) macht dies aber wahrschein- lich.
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordern über die Verfasser.
Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Gerd Reuther Institut für klinische
Radiologie — Röntgendiagnostik der Universität Münster
Albert-Schweitzer-Straße 33 W-4400 Münster
Abbildung 7: Initialer Wirbelkörperquerschnitt vor Therapie mit einer zentralen Spongiosa- dichte von 69 mg K2HPO4/cm 3 (a) und einer Dichtezunahme um 52 mg K2HPO4/cm 3 nach 2 Jahren Dauertherapie mit KliogesM (b). Bei gleicher Fenstereinstellung ist die Zunahme der mineralisierten Substanz unter Erhaltung des Spongiosamusters augenfällig
Abbildung 8: Ver- gleich der jährlichen Andenrogen der Spongiosadichte hor- montherapierter post- menopausaler Frau- en in bezug auf die initiale Spongiosa- dichte. Die Frauen mit einer Spongiosa- dichte unterhalb des Mittelwerts zeigen signifikant höhere Mineralisationszunah- men (p < 0,01)
Dt. Ärztebl. 88, Heft 47, 21. November 1991 (73) A-4139