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Archiv "Das Porträt: Dr. med. Michael de Ridder – Den Finger in die Wunden legen" (28.10.2005)

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infach hereinplatzen kann man in das Büro von Michael de Ridder nicht. An der Tür ist keine Klinke, sondern ein metallener Knauf ange- bracht. Wer hinein will, muss klopfen.

Nicht ohne Grund: De Ridders Zimmer liegt auf dem direkten Weg zur Notauf- nahme des Vivantes-Klinikum Am Ur- ban in Berlin-Kreuzberg. Ohne den Knauf hätte er vermutlich permanent Patienten oder deren Angehörige zu Gast und keinen Augenblick Ruhe. Der 58-jährige de Ridder leitet die Rettungs- stelle seit über zehn Jahren. Viele Dro- genabhängige, Alkoholiker und psy- chisch Kranke gehören zu den „Stamm- kunden“. Migranten, schlecht versorgte alte und arme Menschen komplettieren das Bild der „Kiez-Medizin“.

Das Büro, in das sich die Tür mit dem Knauf öffnet, ist klein. Die Regale sind voll gestopft mit unzähligen Büchern und Aktenordnern. Nirgends „Schnick- schnack“. Das passt zu de Ridders Er- scheinungsbild: Er wirkt sportlich, trägt Jeans und eine Brille mit silberfarbe- nem Metallrand. In einem Artikel für den Berliner „Tagesspiegel“ hat er sei- nen Arbeitsplatz, die Rettungsstelle, einmal als „Gully von Kreuzberg“ be- zeichnet. Doch unwohl fühlt er sich in diesem Gully nicht. Er mag seine Arbeit – am „Puls der Gesellschaft“. „ Es ist so ein Stück Welttheater“, erklärt er. Auch nach vielen Jahren habe er noch immer nicht den Eindruck, schon alles gesehen zu haben. Man schaue in Abgründe und erfahre von großen persönlichen Notsi- tuationen. „Ich komme jeden Morgen und denke:Was wird heute für ein Stück gespielt?“ sagt er.

Wie sehr ihm der Beruf des Arztes liegt, war de Ridder nicht immer klar.

Anfangs fühlte er sich nicht zum Medi- zinstudium berufen. Sein Umfeld hat stark zur Wahl des Studienganges bei- getragen. Der gebürtige Düsseldorfer stammt aus einem gutbürgerlichen El- ternhaus. Sein Vater war Archivar. Er besuchte ein Gymnasium mit altphilo- logischem Schwerpunkt; Griechisch und Latein standen auf dem Programm.

„Da wurde man entweder Arzt, Jurist oder Theologe“, erinnert er sich. Wäh- rend des Studiums und vor allem in der Praxis merkte de Ridder jedoch, wie viel Spaß ihm die Medizin bereitete. Sein besonderes Interesse galt den Akutsi- tuationen. Nach der Approbation war er intensivmedizinisch und unfallchir- urgisch tätig. Anfang der 80er-Jahre ar- beitete er vier Monate in einem Flücht- lingslager in Kambodscha. Langfristig in der Entwicklungshilfe arbeiten woll- te er aber nicht. „Das waren andere Zei- ten. Da konnte man auch mal nach rechts und links schauen“, meint de

Ridder. Ganz identifizieren konnte er sich mit der Art der Hilfeleistung in Kambodscha nicht immer. Diese habe oft nach dem Motto funktioniert: „Jetzt kommen wir, und wir wissen, was gut für euch ist.“ Die Arme vor der Brust ver- schränkt, blickt er listig, aber ruhig durch seine Brille.Angst, sich die Finger schmutzig zu machen, hat er nicht.

Berührungsängste mit dem problemati- schen Umfeld der Kreuzberger Notauf- nahme gab es nie.

De Ridder ist Idealist und Pragmati- ker zugleich. Auch nach Jahren setzt er sich für Drogenabhängige ein, nicht nur in der Rettungsstelle. In Zusammenar- beit mit der Drogenhilfeeinrichtung

„Fixpunkt“ initiierte er ein Hepatitis- Impfprojekt für Heroinabhängige (sie- he „Hepatitisimpfung auf offenen Dro- genszenen“, DÄ, Heft 43/2004), außer- dem eine mobile medizinische Grund- versorgung mit dem „Arztmobil“. Im

„Narcanti-Projekt“ werden Szenemit- glieder im Umgang mit Naloxon ge- schult. Sie sollen so in einer Drogen- notfallsituation anderen Abhängigen helfen und mit der Naloxon-Gabe die tödliche Wirkung von Heroin antagonisieren.

De Ridder sieht darin einen guten Ansatz, die Zahl der Drogentoten zu verringern.

De Ridder hat nicht nur einen Hang zu Rand- gruppen. Die unangeneh- men Themen in der Me- dizin und Gesundheits- politik sind sein Ding:

Sterbehilfe, Pflegenot- stand, ärztliche Behand- lungsfehler, Verschwen- A

A2912 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 43⏐⏐28. Oktober 2005

Dr. med. Michael de Ridder

Den Finger

in die Wunden legen

Mit großem Einsatz leitet Michael de Ridder die Rettungs- stelle des Berliner Urban-Krankenhauses. Seinen Arbeitsplatz hat er einmal als „Gully von Kreuzberg“ bezeichnet.

Michael de Ridder engagiert sich für soziale Randgruppen. Eine gerechte Verteilung im Gesundheitswesen ist ihm wichtig.

P O L I T I K

P orträt das

Fotos:Georg Lopata

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dung im Gesundheitswesen und die Glaubwürdigkeit von Ärztinnen und Ärzten.Auf die Frage, ob er ein Mensch sei, der sich gerne einmischt, antwortet er, ohne eine Sekunde zu überlegen:

„Ja, unbedingt!“ Das zeigt sich auch darin, dass er zu vielen Themen Artikel veröffentlicht hat, sowohl in Fachzeit- schriften, wie „Lancet“, als auch in Pu- blikumsmedien. Im Berliner „Tages- spiegel“, der „Süddeutschen Zeitung“, der „Zeit“ und im „Spiegel“ waren sei- ne Texte zu lesen. „Vom Unheil sinn- loser Medizin“, „Verwahrlost und ver- endet“ oder „Stoppt die Kurpfuscher“

– so lauten de Ridders knackige Über- schriften. Er greift Tabu-Themen auf und spart nicht mit Kritik am eige- nen Berufsstand. De Ridder polari- siert. Man hört ihm zu, denn er ist von sich überzeugt und kann sich gut prä- sentieren.

Dass er für manche Kollegen ein ar- roganter Querulant oder sogar ein Nestbeschmutzer ist, stört ihn nicht, denn de Ridder verfolgt ein grundsätzli- ches Anliegen. Seine zentrale Forde- rung: „Wir brauchen eine neue Medi- zinkultur.“ Im „Spiegel“-Artikel „Alp- traum Medizin“ aus dem Jahr 1999 bringt er auf den Punkt, was er damit meint. Aus seiner Sicht läuft in Ärzte- schaft und Gesundheitswesen einiges schief: „Ein unzureichendes Wissen, mangelhaftes Qualitätsbewusstsein, un- vertretbares Gewinnstreben – einge- bettet in die schleichende Erosion ethi- scher Prinzipien.“

„Bei den meisten Ärzten sehe ich in ihrem Handeln ganz viel Eigeninteres- se“, kritisiert er. Für ihn aber ist der Arzt in erster Linie der „Anwalt des Pa- tienten“. Der Kranke steht für de Rid- der im Mittelpunkt, außerdem das Ge- spräch zwischen Arzt und Patient. Wie sich die „moderne Medizin“ diesbe- züglich entwickelt hat, passt nicht in sein Weltbild: weg von der fundierten Anamnese und klinischen Untersu- chung, hin zur apparativen Diagnostik.

Vielen Ärzten fehlt de Ridder zufolge der Wunsch und die Fähigkeit, mit ihren Patienten zu reden. Folge: ein zuneh- mender Einsatz teurer Diagnostik.

„Die Kunst liegt darin, zu wissen, wann ich was brauche“, sagt er. Worüber de Ridder auch spricht: Es mangelt nie an Stoff für Kritik.

Es gibt viele Wunden, in die de Ridder seine Finger legt. Das Gesundheitswesen bietet zahlreiche Angriffspunkte. Stich- wort: Ärztemangel. Er deckt eine Ursa- che auf, die in der Diskussion bislang fehl- te. Dem Nachwuchs mangelt es an Vorbil- dern,meint er.Seiner Ansicht nach lernen Studenten und Berufseinsteiger nicht nur an Fällen, sondern auch personenbezo-

gen. Er nennt dies eine „vorgelebte Me- dizin“. „Viele vermissen das nicht, weil sie es nicht kennen“, moniert er. De Ridder ist dankbar, selbst Vorbilder gehabt zu ha- ben. Er würde den Weg, den er gegangen ist, noch einmal wählen. Die Rettungs- stelle des Urban-Krankenhauses will er auch die nächsten Jahre noch leiten. Hier ist sein Platz. Dr. med. Birgit Hibbeler P O L I T I K

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A2914 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 43⏐⏐28. Oktober 2005

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er tiefere Sinn einer unerwünschten Nebenwirkung erschließt sich erst im Nachhinein: Unsere Patienten wissen seit langem, dass Medizin bitter schmecken muss, um danach Fieber zu senken, Gelenke abzuschwellen oder Koliken zu entkrampfen. Mir als Vertreter derjenigen medizinischen Ge- neration, die mit Multiple-Choice-Fragen aufgewachsen ist, war der eigentli- che Zweck dieses Kästchen-Kreuzens zunächst verschlossen. Aber heute bin ich zutiefst dankbar, dass mir das weit vorausschauende Institut für medizini- sche Prüfungsfragen durch den jahrelangen Drill im Kreuzchen-Malen ein al- lerfeinstes, geradezu intuitives Gespür für das korrekte X an der richtigen Stelle beigebracht hat. Hand aufs Herz: Die Profis unter uns schaffen es, 80 Prozent aller Fragen richtig zu beantworten, ohne den Text vollständig gele- sen zu haben. Dies befähigt uns heute dazu, Fragebögen jedweder Provenienz, sei es eine Anfrage von der Krankenkasse oder der DMP-Bogen, innerhalb

weniger QRS-Intervalle zu bewältigen. Das ist gut.Aber besser wäre es, wenn die Inhalte des Medizinstudiums noch mehr den heutigen Erfordernissen an- gepasst wären. Unseren geschätzten Medizineleven und künftigen Rentener- bringern könnte ein Survival-Training in einem Call-Center angeboten wer- den, damit sie sowohl nach mehrstündigem Herbeitelefonieren auswärtiger Befundberichte als auch längeren Beschimpfungen durch dysphorische Kas- senpatienten nicht selbst zu Antidepressiva greifen. Ein Kurs in der Registra- tur des örtlichen Finanzamtes soll die Studenten dazu befähigen, zielsicher zwischen den Hunderten von Anfragen diejenige herauszufischen, für die es überhaupt noch ein paar Euro Entlohnung gibt. Gleichzeitig dient das Ak- tenstudium der Erforschung der Steuerfalle und gibt praxisnahe Beispiele zur Ergründung der Frage, warum es sich in Deutschland nicht mehr lohnt, den Karriereweg zu beschreiten. Kein Semesterabschluss ohne tiefe Einblicke in die Richtliniennomenklatur! Kein Staatsexamen ohne inquisitorische Fragen über die Semantik von Verwaltungsvorschriften!

Künftige Medizinerprüfungen sollen nicht mehr am Krankenbett statt- finden, sondern zwischen den Strippen mehrerer Tele- fone, über die Fragen wie „Wie regelt das Fallpauscha- lensystem die kostenfreie Behandlung stationärer Pa- tienten?“, „Wer war wann mit wie vielen Vorschriften Erfinder des Risikostrukturausgleiches?“ oder „Durch welche Maßnahmen ist gesichert, dass der Arzt für die Krankheitskosten seiner Patienten aufkommt?“.

Wer solche Nebenwirkungen aushält, ist wirklich fit für unseren Job. Dr. med. Thomas Böhmeke

Studium

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