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Archiv "Blinde Spezialisierung zerstört, Bewußtsein der Gemeinsamkeiten pflegt die Einheit des Arztberufes" (07.10.1983)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen THEMEN DER ZEIT

1. Übersicht

Zur Frage steht, ob die Einheit des ärztlichen Berufes heute noch le- bendige Realität ist oder ob sie — als Folge spezialistischer Fort- schritte der Medizin — zur juristi- schen Fiktion verblaßt ist. Politi- sche Kräfte, die diese Einheit als Fiktion sehen, wollen sie auch rechtlich abschaffen. An der Ant- wort auf die Frage nach der Ein- heit des Arztberufes hängen prak- tische Folgen: Sie entscheidet, ob ein approbierter Arzt ohne Weiter- bildung ärztlich berufsberechtigt ist oder nicht und ob ein weiterge- bildeter Arzt (der nicht als Arzt für Allgemeinmedizin weitergebildet ist) irgendwann einmal auch eine Allgemeinpraxis eröffnen darf oder nicht.

Unsere Antwort: Die Einheit des Arztberufes ist, in des Wortes dop- pelter Bedeutung, zu behaupten:

Einmal ist sie als wertvolles Kultur- gut gegen Angriffe zu verteidigen, zum anderen ist sie als geistiges Band auch eine Behauptung, die erst durch das Bewußtsein der Be- weise wirksam sein kann. So möchten wir beweisen, daß die Einheit des Arztberufes ungeach- tet aller fortschreitenden Speziali- sierungen substantielle Wirklich- keit ist, die als Hintergrund jedes ärztlichen Handelns lebendig blei- ben soll, was nur durch bewußte Bildung gesichert werden kann.

Die Einheit des ärztlichen Berufes wird durch die Befähigungs- und Bildungsmängel frisch approbier- ter Ärzte (als Folge des Massen-

studiums) nicht prinzipiell, wohl aber faktisch gefährdet.

2. Ist die Einheit des ärztlichen Berufes zur Fiktion geworden?

2.1 Unsere Gesetz- und Verord- nungsgeber gehen heute noch von der Einheit des ärztlichen Be- rufes aus: So berechtigt die Ap- probation als Arzt zur uneinge- schränkten selbständigen Aus- übung des ärztlichen Berufes.

Zweitens bestimmt § 1 der Bun- desärzteordnung: Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Vol- kes. Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe, er ist seiner Natur nach ein freier Beruf (BGBl. vom 14. 10. 77, S. 1885).

2.2 Gewichtige Einwände gegen die Idee der Einheit des ärztlichen Berufes

Offensichtlich ist die Einheit des ärztlichen Berufes hinter ihren Spezialisierungen nur noch schwer zu erkennen: Der zwangs- läufig fortlaufende Spezialisie- rungsprozeß hat zu sehr verschie- denen ärztlichen Berufsbildern geführt, denen sehr verschieden- artige Befähigungen und Erfah- rungen entsprechen, die sehr ver- schiedenartige Menschen anzie- hen und deren Ausübung die Per- sönlichkeit unterschiedlich prä- gen. So ist nicht zu bezweifeln, daß Allgemeinpraktiker, Interni-

sten, Chirurgen, Pädiater, Psy- chiater, Hygieniker, Radiologen, Amtsärzte usw. usw. recht ver- schiedene Menschengruppen und Berufsfelder repräsentieren. Dies bedeutet eine notwendige frucht- bare Vielfalt, der in der Zeit des Numerus clausus eine Verarmung durch die Bevorzugung von Mu- sterschülern und Testkoryphäen droht (gemildert durch die Korrup- tion der Schulzeugnisse) (Weite- res dazu siehe Lit. 1, 2, 3, 10)*).

Unabhängig von der Frage der Einheit des ärztlichen Berufes sollte das Massenstudium endlich beseitigt werden, das aus änder- baren organisatorischen Gründen den nicht weitergebildeten Berufs- anfänger zum Sicherheitsrisiko für Patienten macht: Das Massenstu- dium verhindert die Ausbildung zu jenen ärztlichen Mindestbefähi- gungen, die es dem Berufsanfän- ger zuverlässig erlauben würden, der Berechtigung zur uneinge- schränkten Berufsausübung nütz- lich, selbstkritisch und ohne Pa- tientengefährdung zu genügen (Weiteres dazu siehe Lit. 4, 5).

2.3 Reformbestrebungen überse- hen die grundlegende Einheit Angesichts dieser Realitäten (ins- besondere der Spezialisierung) fordern SPD und die Gewerk- schaft ÖTV eine Ausbildungsre- form, die von der traditionellen Einheit des ärztlichen Berufes ab- rückt. Vorgesehen wurden unter- schiedliche faktische Approbatio- nen in drei bzw. mehreren ärztli- chen Kompetenzbereichen, die den Arzt auf Spezialitäten ohne Wechselmöglichkeiten zur Allge- meinpraxis festlegen (siehe Vor- schläge und Forderungen der Ge- werkschaft ÖTV zur ärztlichen Aus- und Weiterbildung usw., ÖTV Stuttgart, 31. August 1982).

In dieser Situation kann traditions- verhaftetes Unbehagen nicht ge- nügen, um Plänen zur Beseitigung der Einheit des ärztlichen Berufes

*) Die Ziffern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis beim Sonderdruck

Blinde Spezialisierung zerstört,

Bewußtsein der Gemeinsamkeiten pflegt die Einheit des Arztberufes

H. J. Bochnik, C. Gärtner-Huth und W. Richtberg

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 40 vom 7. Oktober 1983 95

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Einheit des Arzt-Berufes

entgegenzutreten, die sich schein- bar konsequent als Anpassung an Spezialisierungsprozesse verste- hen. Es muß vielmehr abgewogen werden, ob eine Einheit des ärztli- chen Berufs noch sachlich be- gründet ist oder ob sie eine juristi- sche und standespolitische Leer- formel geworden ist, die aus Ge- dankenlosigkeit, Tradition oder unreflektiertem Standesbewußt- sein gegen die Sachlogik der wis- senschaftlichen, technischen und didaktischen Entwicklung weiter- lebt.

3. Einheit des ärztlichen Berufes:

Geistige Herausforderung und didaktische Aufgabe im Bewußtsein

von Gemeinsamkeiten

3.1 Daß die Verteidigung der Ein- heit des ärztlichen Berufes, unge- achtet weitergehender Spezialisie- rungen, sachlich geboten ist, wol- len wir im folgenden begründen.

Wenn es aber richtig ist, daß die Einheit des ärztlichen Berufes nur durch bewußte Pflege eines geisti- gen Bandes gesichert werden kann, dann hat dies zwei Konse- quenzen: Die Ärzteschaft sollte die Herausforderung annehmen und ihre geistige Verbundenheit in al- len Spezialisierungen bewußt pfle- gen. Zum anderen sollten die Grundlagen der Einheit des ärztli- chen Berufes als Erlebnis und Ein- sicht im Medizinstudium vermittelt werden.

3.2 Es geht also um die Prüfung und Anerkennung jener grundle- genden Sachverhalte, die alle Ärz- te verbindet. Sie zu erkennen er- fordert einen Blick hinter die Vor- dergründe unserer alltäglichen Wichtigkeiten:

4. Gemeinsamkeiten, die die Einheit des Arztberufes begründen

4.1 Ärztliches Dienen; es ist so ba- nal wie grundlegend: Das älteste und stärkste Band der Einheit des

ärztlichen Berufes ist ärztliches Dienen, das direkt oder indirekt der Gesundheit des einzelnen gilt (siehe § 1 der Bundesärzteord- nung).

4.2 Am einzelnen Patienten wird Heilkunde zur Heilkunst; Werkzeu- ge für diesen Dienst stellt die me- dizinische Wissenschaft in ihren vielen Spezialisierungen zur Ver- fügung. Erst die Anwendung die- ser Werkzeuge durch den Arzt beim einzelnen Patienten kann aus Heilkunde Heilkunst machen.

Heilkunst gehört zu den Chancen der Gemeinsamkeit, auch wenn die Kunst im Praxisalltag manch- mal nur Kunsthandwerk und — im ungünstigen Fall — nur dogmati- sches Dilettieren ist. Über die Ge- meinsamkeiten der Heilkunde und Heilkunst weisen die medizini- schen Wissenschaften legitim hin- aus, wenn sie sich am Leitfaden der Sachlogik gegenüber dem ärztlichen Hilfsauftrag verselb- ständigen. Dies ist am deutlich- sten in der medizinischen Grund- lagenforschung, in der es keine Grenzen zu den mathematisch-na- turwissenschaftlichen wie zu den sozial- und geisteswissenschaftli- chen Disziplinen geben kann.

Selbst in der klinischen For- schung können die Grenzen der Medizin zu anderen Wissenschaf- ten nur durch den Gegenstand und nicht durch die Methoden be- stimmt werden. Der Versuch, me- dizinische Forschung als wissen- schaftliche Einheit zu proklamie- ren wäre problemblinde Selbstbe- schränkung. Was würde aus inne- rer Medizin, Chirurgie, Pädiatrie, Psychiatrie, Radiologie usw. wer- den, wenn sie von Physik, Chemie, Biochemie, Pharmazeutik, Psy- chologie, Soziologie und Pädago- gik abgeschnitten wären.

4.3 Die gemeinsame medizinisch- wissenschaftliche Bildung; sie ist ein wesentliches Band der Einheit des ärztlichen Berufes. In der Grundausbildung dominiert heute die regelwissenschaftlich-natur- wissenschaftliche Seite, die Spe- zialisierungen fördert und Praxis-

bezüge schafft. Die andere wis- senschaftlich weniger kultivierte Seite betrifft das personal-histori- sche Moment der Arzt-Patienten- Beziehung. Die beiden metho- disch unterschiedlichen, aber glei- chermaßen unentbehrlichen Sei- ten des komplexen Problemfeldes Medizin sind kurz als die „Krank- heit an sich" und „der Kranke und seine Krankheit" zu bezeich- nen.

4.4 Auftrags-Bewußtsein: Der Kranke und die Krankheit; wer als Arzt nur die naturwissenschaftli- che Seite seiner Aufgabe, also nur die Krankheit und nicht den Kran- ken sieht, dem fehlt es bereits an dem gemeinsamen ärztlichen Be- rufsbewußtsein. Dieses Defizit wird von der Routine vieler Fächer begünstigt. Ein solcher Arzt wird zum spezialistischen Bioinge- nieur, der die Beziehung zum ver- bindend Ärztlichen zwar immer re- al lebt, wenn er für einen Patienten arbeitet, dem aber die bewußte Verbindung zur personalen Seite seiner Aufgabe fehlt. Er akzeptiert sich selbst nur als Techniker mit Zuständigkeit für ganz bestimmte Störungen, wobei er übersieht, daß er in jedem Fall routinierter

„Pannenhilfe" immer auch einer einmaligen Persönlichkeit auf ih- rem leidensbeschwerten Weg zwi- schen Konzeption und Tod ge- dient, ihr geholfen und im un- glücklichen Falle auch geschadet hat.

Unter dem Defizit des ärztlichen Bewußtseins wird ärztliche Zu- ständigkeit manchmal als Abwehr- waffe gegen Patientenansprüche angewendet, die dann inhuman ist, wenn sie den Patienten in sei- nem Leiden allein läßt.

Die Einsicht, daß ärztliche Hilfe Störungsminderung und Kompen- sationsverbesserung für die Ge- staltung eines leidensbeschwer- ten persönlichen Lebens umfaßt, kann inhumane Spezialisierungs- effekte aufheben — und wenn dies nur im Rat besteht, einen anderen zuständigen Arzt oder anderen Helfer zuzuziehen (s. Lit. 6). D 98 Heft 40 vom 7. Oktober 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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Im Bewußtsein der persönlichen ärztlichen Hilfe für den einzelnen Kranken sehen wir das geistige Band der Einheit des ärztlichen Berufs, das real in jeder ärztlichen Handlung lebt, ungeachtet ob es vergessen, verdrängt oder überse- hen worden ist.

4.5 Vertrauen als Grundlage des Arztberufs

Das Erkennen der vielseitigen Ver- trauensbezüge und ihre Übernah- me als ärztliche Verpflichtung zur Vertrauenswürdigkeit gegenüber dem Patienten und der Gesell- schaft ist eine Grundlage der Ein- heit des ärztlichen Berufes.

Hierzu gehört die Verpflichtung, sich im Konfliktfall zwischen den Interessen des Patienten und der Gesellschaft um gewissenhaft ab- gewogene Entscheidungen zu be- mühen.

Vertrauenswürdigkeit des Arztes macht für den Patienten die Un- vermeidlichkeit des Anvertrauens, ja oft der Auslieferung an den Arzt, ohne die medizinische Hilfe nicht erlangbar ist, erst erträglich:

~ Der Patient muß darauf ver- trauen können,

~ daß der Arzt seinen Beruf or- dentlich erlernt hat,

~ daß er keine Aufgaben über- nimmt, denen er nicht oder auch nur im Augenblick nicht gewach- sen ist,

~ daß er die Interessen des Pa- tienten in erkennbaren Grenzen über die seinen stellt,

~ daß er mit allen angemessenen Mitteln für Leben und Gesundheit eintritt und

~ daß er Geheimnisse wahrt.

~ Die Gesellschaft muß darauf vertrauen können, daß der Arzt die Interessen des Patienten und sei- ne eigenen nur in den Grenzen

wahrnimmt, die Recht und Sitten zulassen.

~ Aber auch der Arzt muß, um optimal helfen zu können, darauf vertrauen dürfen, daß sein Patient ihm die vollständige Wahrheit über Befinden und Beschwerden sagt, daß er die verordneten Arz- neien nimmt und nicht zuletzt, daß diese Arzneien wie die angewand- ten technischen Hilfsmittel sowie die Leistungen der Heilhilfsberufe von zuverlässiger Qualität sind.

4.6 Freiberuflichkeit als Band der Einheit

Abhängigkeit von "König Kunde",

"König Dienstherr" oder "König Kostenträger" gefährden die Frei- beruflichkeit des Arztes und damit auch die Berufseinheit (vgl. Lit. 3, 7).

4.7 Ärztliches Verhalten

Medizinische Hilfe für den einzel- nen Patienten wird unvermeidlich durch ärztliches Verhalten reali- siert. Ärztliches Verhalten, früher eine selbstverständliche, heute ei- ne gefährdete und kultivierungs- bedürftige Kunst, hat eine allge- meine, die Einheit des Arztberufes verbindende Seite, in der die Rol- lenfunktion mit ihren Sitten, Pflichten und den Grenzen des Dienens wesentlich sind. Daneben hat ärztliches Verhalten noch viele fachspezifische Besonderheiten, die sich aus den sehr verschiede- nen Aufgaben der operativen und konservativen Fächer der Medizin ergeben (Ausführliches dazu siehe Lit. 8).

4.8 Die rechtlichen Klammern der Einheit des ärztlichen Berufes Daß diese gemeinsamen Rahmen- bedingungen des ärztlichen Beru- fes auchseine Einheit ausmachen, wurde dargelegt, und daß diese Einheit noch rechtlich durch die Bundesärzteordnung und die Ap- probationsordnung verankert ist,

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Einheit des Arzt-Berufes

sollten wir in einem schutzwürdi- gen Zusammenhang sehen.

5. Ärztliches Bewußtsein als Lernziel im Medizinstudium noch nicht gesichert

Die Heranbildung des Bewußt- seins einer lebendigen Einheit des ärztlichen Berufs, die jeden Arzt ungeachtet seines speziellen Standortes umfaßt, erfordert im Studium besondere Pflege, die neute noch nicht gesichert ist: Die leider zunehmende Beschrän- kung der Studierenden auf eine Berufsschulung, in der Medizin nur praktisch-dogmatisch genom- men wird (vgl. 9), sollte durch An- regung zu echtem selbstverant- wortlichem Studium ergänzt wer- den, in dem Themen nach freier Wahl durch Lesestudium vertieft und Erfahrungen durch Famulatu- ren erweitert werden. Heute ist die Beschränkung des Studiums auf das Bestehen von Prüfungen üb- lich, die Detailwissen erfordern und zusammenhangloses Skrip- tenpauken provozieren. Können, exemplarische Erfahrung und ärztliches Verhalten werden nur unvollständig oder gar nicht in der Prüfung berührt. Was nicht ge- prüft wird, wird aber nicht zuver- lässig erlernt. Nur ein problem- orientiertes Studium der Medizin könnte diesen üblen Folgen des derzeitigen prüfungsorientierten Paukens antizyklisch entgegen- wirken.

6. Antizyklische, ergänzende Lerninhalte im Medizinstudium Die schon genannten Sachverhal- te, die die Einheit des ärztlichen Berufes begründen (vgl. Ziff. 3), sind in ihren vielen Erscheinungs- weisen in den Lehrveranstaltun- gen immer wieder exemplarisch und grundsätzlich zu reflektieren:

6.1 Anzusetzen wäre an der Refle- xion des therapieorientierten dia- gnostischen Prozesses, der vom Auftrag des Patienten ausgeht und Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 40 vom 7. Oktober 1983 101

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Einheit des Arzt-Berufes

auf der Basis von Anamnese und Befund Feststellungen, Unter- scheidungen und begriffliche Zu- ordnungen erbringt. Auf dieser Basis gabelt sich der Erkennt- nisweg.

..,.. Einmal führt der medizinische Hauptweg der naturwissenschaft- lichen Regelfeststellung zur Krankheitsdiagnose und zur zuge- hörigen rationellen Therapie. ..,.. Der zweite, nicht immer erfor- derliche diagnostische Weg ist hi- storisch individualisierend auf die Persönlichkeit, ihre Lebenssitua- tion, ihre biographische Vergan- genheit und ihre mehr oder weni- ger offene, gestaltungsbedürftige Zukunft gerichtet.

..,.. Erst die Erträge beider Be- trachtungsweisen erlauben eine Strukturanalyse, die die Interak- tion von Krankheit, Person und Sozialfeld zum Ziele hat.

..,.. Aus den individuell konkreten Einzelheiten ergibt sich die Basis

für

eine Behinderungsanalyse, die jede Behinderung als Interaktion krankheitsbedingter Störungen und individueller Kompensation jeweils in biologischen, psychi- schen und sozialen Bereichen sieht. Das Therapiekonzept kann dann allgemein Störungsminde- rung und Kompensationsverbes- serung heißen (vgl. 6).

Wenn auch nicht immer alle Schritte nötig sind und in der ver- kürzten Routine vieles wegfallen

kann, so ist die Fähigkeit, die ärzt-

lichen Gesamtzusammenhänge zu sehen, doch für die Lösung aller etwas schwierigeren ärztlichen Aufgaben hilfreich. Im Bewußtsein dieser Zusammenhänge liegt eine starke Sicherung der Einheit des ärztlichen Berufes.

7. Didaktische Vermittlung verbindender

ärztlicher Aufgaben

7.1 Die didaktische Vermittung ei- nes ganzheitlichen ärztlichen The-

rapiekonzeptes könnte die natürli- che Aufgabe von Psychiatrie, Psy- chotherapie und Psychosomatik

sein. Sie sollte aber als Gesichts-

punkt exemplarisch in jedem Fa- che verdeutlicht und vertreten werden .

7.2 Bewußte Verhaltenskultivie- rung ist heute angesichts der Ar-

beitsteiligkeit der Medizin, bei der

der Patient von mehreren Teilzu- ständigen als Person häufig allein gelassen wird, dringend erforder- lich. Wegen der zentralen Bedeu- tung des ärztlichen Verhaltens und der Notwendigkeit der Ver- trauenswürdigkeit und des Um- gangs mit sich selbst als Arzt in der Arzt-Patienten-Situation sollte diese Thematik in jedem klini- schen Fach durch Vorbild und durch Reflexion kultiviert werden . 7.3 Die geistige Bildung zum Arzt muß bei den Hochschullehrern be- ginnen! Durch ihr Bemühen um Bewußtseinsbildung im Medizin- studium soll deutlich gelehrt und gelebt werden, daß es eine Einheit des ärztlichen Berufes gibt, daß es vernünftig ist, sie zu pflegen, und daß es folgenreich und nicht wün- schenswert wäre, sie zu verdrän- gen und durch einseitige Favori- sierung technischen Spezialisten- tums verkommen zu lassen. Dies setzt voraus, daß die Hochschul- lehrer sich den Versuchungen des

"Fachidiotentums'' widersetzen.

Anstöße zu einem selbstverant- wortlichen Studium (neben den üblichen fachlichen Vorlesungen und Übungen) sollten (im Sinne der vorliegenden Arbeit) besonde- re Lehrveranstaltungen in Vorkli- nik und Klinik geben.

7.4 Bei der Organisation sollte nicht daran gedacht werden,

"ärztliche Philosophie, Erkennt- nis- und Pflichtlehre" durch Beru- fung eines Philosophen rein addi- tiv zum Medizinstudium hinzuzu- fügen. Solche Additionen wesent- licher Grundlagenfächer haben

sich, wie das Beispiel der Psycho-

logie und Soziologie zeigt, als we- nig erfolgreich für eine echte Inte- gration in die Medizin bewährt. Ef-

fektiver dürfte die langfristige, kli- nisch vielgleisige, geduldige Ent- wicklung der Bewußtseinsbildung sein, die aus der Problematik kon- kreter ärztlicher Aufgaben entwik- kelt wird.

7.5 Die Frage, ob bei der Hinzu- nahme eines neuen Lehrstoffs nicht ein anderer gestrichen wer- den müßte und wenn ja, welcher, ist so zu beantworten, daß die Stu- dienordnung, die in den EG-Richt- linien ca.

+

5000 Stunden festlegt, nur 20 Prozent inhaltlich zuordnet.

Jede Universität hat reichlich Möglichkeiten, bestimmte Akzente in der Lehre zu setzen.

7.6 Als Träger des Unterrichts kommen geeignete, d. h. problem- interessierte Dozenten aller Fach- richtungen in Frage. Nach unserer Einschätzung ist davon auszuge- hen, daß in jeder Fakultät minde- stens ein bis zwei Professoren vor- handen sind, die diese Grundla- genfragen des ärztlichen Berufes auch in der Lehre vertreten kön- nen. Es bieten sich an: Vertreter der Geschichte der Medizin, der Medizinischen Psychologie, der Medizinischen Soziologie, der Psychotherapie, der Psychiatrie, der Psychosomatik, aber auch der Informatik.

7.7 Da Studenten im wesentlichen prüfungsorientiert studieren, wäre eine vorsichtig dosierte und in- haltlich sorgfältig überlegte Mit- vertretung dieser Ausbildungszie- le als Prüfungsinhalte in verschie- denen Fächern zu erwägen.

(Prof. Dr. med. Karl Ed. Rothschuh, Münster, zum 75. Geburtstag - Die Verfasser)

Literatur beim Sonderdruck Anschrift der Verfasser: Prof. Dr. med.

Hans-Joachim Bochnik Dr. med. Dipi.-Psych. C. Gärtner-Huth Dr. phil. Dipi.-Psych. W. Richtberg

Heinrich-Hoffmann-Straße 10 (Zentrum der Psychiatrie) 6000 Frankfurt/Main 71 102 Heft 40 vom 7. Oktober 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

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