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Neueste Rechtsprechung und aktuelle Entwicklungen

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Academic year: 2022

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Neueste

Rechtsprechung und aktuelle

Entwicklungen

Liebe Leserinnen und Leser,

wir freuen uns, Ihnen unsere letzte Ausgabe des Corporate Law Newsletters im Jahr 2021 überreichen zu dürfen. Ein weiteres ereignisreiches, von der Pandemie geprägtes Jahr neigt sich dem Ende zu. Wir haben Ihnen auch in dieser Ausgabe wieder einige gesetzliche Neue- rungen und spannende aktuelle Entscheidungen aus den verschiedensten Bereichen des Gesellschaftsrechts zusammengestellt.

Die Reform des Stiftungsrechts mit weitreichenden Neuerungen, die sowohl neu zu errichtende als auch bereits bestehende Stiftungen betreffen werden, ist beschlossen. Unsere Kollegin Lara Piechulla hat für Sie die künftigen Neuerungen zum Stiftungsrecht einschließlich des neuen öffentlichen Stiftungsregisters dargestellt. Im August wurde im Bundesgesetzblatt der Nachfolger des „FüPoG I“ verkündet. Thorsten Ehrhard und Philipp Jaspers geben einen spannenden Einblick in die Ergänzungen und Neuregelungen zum „Zweiten Führungspositionen- Gesetz (FüPoG II)“.

Der Newsletter befasst sich wie gewohnt auch mit der Rechtsprechung aus sämtlichen Bereichen des Gesellschaftsrechts, diesmal u. a. auch mit Bezügen zum Insolvenzrecht. Die Frage der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit von Leistungen einer Gesellschaft an ihre Gesellschafter in einem nahen zeitlichen Zusammenhang mit einer späteren Insolvenz der Gesellschaft ist nun schon zum wiederholten Mal innerhalb kurzer Zeit Gegenstand der Rechtsprechung des BGH. Unsere Kollegen Nikolai Weber und Björn Weng kommentieren diese gerade auch für M&A-Transaktionen relevante Entscheidung.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre, eine frohe und besinnliche Weihnachts- 4/2021

Corporate Law Newsletter

Dr. Christian Bosse Managing Partner Europe

West Law | Rechtsanwalt Ernst & Young Law GmbH

+49 711 9881 25772 christian.f.bosse@de.ey.com

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IN H A LT

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Brennpunkt

Bezugsrechtsausschluss bei der Inanspruchnahme genehmigten Kapitals 4 Töchter haften für ihre Mütter – EuGH erweitert die Haftung für Kartellschadensersatzansprüche 10 BGH: Haftung der Gesellschafter der Obergesellschaft für KG-Untergesellschaft 14 OLG München: Einstweilige Verfügung zugunsten eines GmbH-Gesellschafters im Zusammenhang mit der Einziehung seines Gesellschaftsanteils 18 Mehr Frauen in Führungspositionen der Privatwirtschaft – Zweites Führungspositionen-Gesetz

(FüPoG II) in Kraft 22

Rechtsprechung

Insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit der Entnahme stehen gelassener Gewinne 26 Kehrtwende in der Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung 30

Keine Rechtsberatung durch nichtanwaltliche Dienstleister in Vergabeverfahren 34

Aktuelle Meldungen

Gesetz zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts 38

Kontakte 40

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BR ENN PUNK T

Bezugsrechtsausschluss bei der

Inanspruchnahme genehmigten Kapitals

• Für das genehmigte Kapital genügt es für die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses, dass die Maßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand ermäch- tigt werden soll, im wohlverstandenen Interesse der Ge- sellschaft liegt und der Hauptversammlung allgemein und in abstrakter Form bekannt gegeben wird.

• § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG besagt nicht, dass jeder Be- zugsrechtsausschluss, bei dem die Voraussetzungen dieser Norm nicht vorliegen, per se rechtswidrig wäre.

Vielmehr erklärt die Vorschrift einen Ausschluss des Be- zugsrechts „insbesondere“ bei Vorliegen der normierten Voraussetzungen für zulässig. Hieraus folgt im Umkehr- schluss, dass bei Nichtvorliegen der geregelten Voraus- setzungen die Zulässigkeit (also die Angemessenheit) des Bezugsrechtsausschlusses gesondert zu prüfen ist.

• Hat die Hauptversammlung genehmigtes Kapital mit einer Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss ohne abseh- baren konkreten Anlass beschlossen, hat die Ermächtigung regelmäßig auch dann Bestand, wenn die gleichzeitige Er- mächtigung zum Bezugsrechtsausschluss unwirksam ist.

• Hat die Hauptversammlung den Vorstand im Zusammen- hang mit der Bewilligung genehmigten Kapitals auch zur Entscheidung über einen Bezugsrechtsausschluss er- mächtigt, kommt es für die sachliche Rechtfertigung eines solchen Ausschlusses auf den Zeitpunkt der Aus- übung der Ermächtigung an.

Hintergrund

Bei einer Kapitalerhöhung steht jedem Aktionär ein seinem Anteil am bisherigen Grundkapital entsprechendes Bezugs- recht auf die jungen Aktien zu (§ 186 Abs. 1 Satz 1 AktG), das ihn bei Ausübung davor schützt, dass seine Vermögens- und Verwaltungsrechte durch die Kapitalerhöhung anteilig reduziert („verwässert“) werden.

OLG Nürnberg 12. Zivilsenat),

Urteil vom 11.08.2021 – Az. 12 U h1149/18

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Aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung des Bezugsrechts stellt das Aktiengesetz an dessen Ausschluss besondere Anforderungen:

• Als Satzungsänderung bedarf jede Kapitalerhöhung grund- sätzlich eines Beschlusses der Hauptversammlung mit einer Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Anders als bei einer Kapitaler- höhung mit Bezugsrecht, für die die Satzung eine Mehrheit von 50 Prozent des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals genügen lassen kann, bedarf der Beschluss über eine bezugsrechtsfreie Kapitalerhöhung zwingend einer Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschluss fassung vertretenen Grundkapitals, die Satzung kann die Anforde- rungen höchstens verschärfen (§ 186 Abs. 3 Satz 2 und 3 AktG).

• Der Bezugsrechtsausschluss ist weiter ausdrücklich und ordnungsgemäß bekannt zu machen (§ 186 Abs. 4 AktG).

Aktionäre sollen also nicht durch eine bezugsrechtsfreie Kapitalerhöhung überrascht werden und es soll ihnen die Möglichkeit gegeben werden, gegen die damit verbundene Verwässerung auf der Hauptversammlung zu stimmen.

• Um den Anteilseignern zusätzlich eine informierte Entschei- dung zu ermöglichen, hat der Vorstand der Hauptversamm- lung einen schriftlichen Bericht über den Grund für den

teilweisen oder vollständigen Ausschluss des Bezugsrechts zugänglich zu machen (§ 186 Abs. 4 Satz 2 AktG), in dem insbesondere auch der vorgeschlagene Ausgabebetrag, der über das Ausmaß der wirtschaftlichen Verwässerung entscheidet, zu begründen ist.

• Über diese ausdrücklich gesetzlich vorgesehenen Vorgaben nach § 186 Abs. 3 und 4 AktG verlangen Rechtsprechung und herrschende Meinung im Schrifttum, dass der Bezugs- rechtsausschluss sachlich gerechtfertigt ist. In der „Kali+Salz“- Entscheidung hat der BGH formuliert, dass, da die Erhöhung des Grundkapitals von der Sache her notwendigerweise auf den Zweck der Gesellschaft und damit auf deren Interessen bezogen ist, auch ein mit ihr verbundener Bezugsrechtsaus- schluss im Gesellschaftsinteresse seine Rechtfertigung fin- den müsse (BGH, Urteil vom 13.03.1978, Az. II ZR 142/76, NJW 1978, S. 1316 f.). Erforderlich ist, dass der Bezugs- rechtsausschluss einem Zweck dient, der im Interesse der AG liegt, zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks geeignet und überdies erforderlich ist. Eine Besonderheit enthält in diesem Zusammenhang der durch das KonTraG 1998 ein- geführte § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG. Ein Ausschluss des Bezugsrechts ist danach insbesondere dann zulässig, wenn die Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen 10 Prozent des Grundkapitals nicht übersteigt und der Ausgabebetrag den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet. >>

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Brennpunkt | Bezugsrechtsausschluss bei der Inanspruchnahme genehmigten Kapitals

Als Alternative zur direkten Kapitalerhöhung kann die Haupt- versammlung den Vorstand ermächtigen, innerhalb von fünf Jahren das Grundkapital durch Ausgabe neuer Aktien zu erhöhen (genehmigtes Kapital gem. § 202 ff. AktG). Für eine bloße Ermächtigung des Vorstands zu einer Kapitalerhöhung durch Schaffung eines genehmigten Kapitals mit der Möglich- keit zum Bezugsrechtsausschluss (vgl. § 203 Abs. 2 AktG) gelten die genannten formellen und materiellen Kriterien in leicht modifizierter Form, um dem Charakter als Vorratser- mächtigung Rechnung zu tragen. Insbesondere genügt es nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung, dass die materielle Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses der Hauptver- sammlung in abstrakter Form bekannt gegeben wird, da die konkrete Maßnahme, die mit dem möglichen Bezugsrechts- ausschluss umgesetzt werden soll, im Zeitpunkt der Haupt- versammlung, die über die Ermächtigung entscheidet, noch nicht bekannt ist. Im Rahmen eines genehmigten Kapitals kann der Bezugsrechtsausschluss entweder unmittelbar im Erhöhungsbeschluss selbst festgesetzt werden oder aber der Vorstand wird gleichfalls nur zum Bezugsrechtsrechtsaus- schluss ermächtigt (sog. Ermächtigungsausschluss); in letz- terem Fall hat der Vorstand dann im Bedarfsfall – im Rahmen seines pflichtgemäß auszuübenden Ermessens und vorbehalt- lich der notwendigen Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 204 Abs. 1 Satz 2 AktG) – die Wahl zwischen Bezugsrechtsaus- schluss oder Kapitalerhöhung unter Wahrung der Bezugsrechte.

Sachverhalt

In diesem Zusammenhang war das OLG Nürnberg jüngst auf- gerufen, zu ausgewählten Fragen eines solchen Ermächtigungs- ausschlusses im Rahmen der Ermächtigung eines genehmigten Kapitals Stellung zu nehmen. Die Klägerin, Aktionärin einer Aktiengesellschaft, deren Aktien in den Freiverkehr einbezogen sind, wandte sich im streitgegenständlichen Verfahren gegen den Hauptversammlungsbeschluss der beklagten AG, mit dem der Vorstand üblichen Usancen entsprechend zur Kapital- erhöhung aus genehmigtem Kapital bei gleichzeitiger Ermäch-

tigung zum Bezugsrechtsrechtsausschluss ermächtigt werden sollte. Die dabei vorgesehene Ermächtigung zum Bezugs- rechtsausschluss sei rechtswidrig und damit entweder nichtig oder zumindest anfechtbar (§§ 241 ff. AktG), da

• der Beschluss bzw. die Satzungsneufassung nur die Ermäch- tigung zum Bezugsrechtsausschluss enthalte, nicht aber die Gründe, unter denen der Vorstand von dieser Ermächtigung Gebrauch machen dürfe,

• der Vorstandsbericht über den Bezugsrechtsausschluss fehlerhaft sei, da er diese Gründe zwar beispielhaft, nicht aber abschließend aufführe,

• ein Bezugsrechtausschluss nur unter den in § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ausdrücklich normierten Voraussetzungen zulässig sei und

• das Volumen einer bezugsrechtsfreien Kapitalerhöhung nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG auf 10 Prozent des Grund- satzes beschränkt sei.

Zusätzlich hatte der Senat zu der Frage einer isolierten Anfechtung eines Bezugsrechtsausschlusses Stellung zu nehmen.

Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg

Im Ergebnis weist das OLG Nürnberg sämtliche dieser kläger- seitig gegen den Bezugsrechtsausschluss vorgebrachten Argumente zurück. Nach Auffassung des OLG Nürnberg ist es zunächst unschädlich, dass sich der Beschluss selbst auf die Angabe der Ermächtigung beschränkt. („Der Vorstand ist jedoch ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen.“) Nach den Grundsätzen der „Siemens-Nold“- und der „Mangusta/Com- merzbank I“-Rechtsprechung des BGH genüge im Rahmen eines genehmigten Kapitals für die sachliche Rechtfertigung

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Brennpunkt | Bezugsrechtsausschluss bei der Inanspruchnahme genehmigten Kapitals

der Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss, dass die Maßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll, im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt und der Hauptversammlung allgemein und in abstrakter Form bekannt gegeben wird. Da Kapitalerhöhung und Bezugs- rechtsausschluss im Zeitpunkt der Ermächtigung noch nicht feststehen, kann keine Angemessenheitsprüfung der konkreten Maßnahme selbst erfolgen. Der Senat lehnt deshalb ein Erfor- dernis, dass die den Bezugsrechtsausschluss rechtfertigenden Gründe bereits im Ermächtigungsbeschluss anzugeben sind, ab. Gleichzeitig schließt er sich dabei der herrschenden Mei- nung an, die in diesem Fall quasi als Korrektiv verlangt, dass der Vorstand der Hauptversammlung nach Durchführung der Kapitalerhöhung §§ 203 Abs. 2 AktG, 186 Abs. 4 Satz AktG ausführlich Bericht erstattet entsprechend.

Zutreffend wendet sich das OLG auch gegen den Vortrag der Klägerin, aus § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG lasse sich entnehmen, dass eine bezugsrechtsfreie Kapitalerhöhung nur in einem Umfang von bis zu 10 Prozent des Grundkapitals in Betracht komme. Es gilt vielmehr auch insoweit die allgemeine Volu- mengrenze von 50 Prozent des Grundkapitals, während § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG allein eine Vermutung der Zulässigkeit/

sachlichen Rechtfertigung einer Kapitalerhöhung zum Gegen- stand hat. Die Frage, ob § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG trotz feh- lender ausdrücklicher Verweisung auf das genehmigte Kapital überhaupt anzuwenden ist, konnte der Senat im vorliegenden Fall offenlassen. Man wird diese ohne weiteres zu bejahen haben, da nicht ersichtlich ist, weshalb diesbezüglich die Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital, bei der § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG im Übrigen seinen praktischen Hauptan- wendungsbereich hat, anders zu behandeln sein sollte als die reguläre Kapitalerhöhung. Bezüglich der maximalen Höhe eines genehmigten Kapitals ist darauf hinzuweisen, dass die wesentlichen Stimmrechtsberater, aber auch die immer häufigeren eigenen Proxy Voting Guidelines großer Vermögens - verwalter und institutioneller Investoren eine Vorratser-

mächtigung üblicherweise nur noch in einem Umfang von 10–20 Prozent des gegenwärtigen Grundkapitals mittragen und bei größeren Volumina gegen den entsprechenden Vor- schlag stimmen. Dies sollte in den Beschlussvorschlägen von Vorstand und Aufsichtsrat bzw. bei der Planung von Kapital- maßnahmen berücksichtigt werden.

Aufgrund des Vortrags der Klägerin war der Senat überdies genötigt festzustellen, dass § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG – man möchte ergänzen: natürlich – nicht besagt, dass jeder Bezugs- rechtsausschluss, bei dem die Voraussetzungen dieser Norm nicht vorliegen, per se rechtswidrig wäre. Vielmehr erkläre die Vorschrift einen Ausschluss des Bezugsrechts „insbesondere“

bei Vorliegen der normierten Voraussetzungen für zulässig.

Hieraus folge im Umkehrschluss, dass bei Nichtvorliegen der geregelten Voraussetzungen die Zulässigkeit (also die Ange- messenheit) des Bezugsrechtsausschlusses gesondert zu prüfen sei. Dass der Senat zu diesen Erläuterungen gezwungen war, ist fast als überraschend zu bezeichnen. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG wurde durch das KonTraG lange nach Entwicklung der Rechtsprechungsdogmatik zur materiellen Beschlusskon- trolle eingeführt, um den seinerzeit und im internationalen Vergleich immer noch schwachen deutschen Eigenkapital- markt zu stärken. Im Hintergrund steht die Überlegung, dass bei marktpreisnahem Ausgabekurs dem Aktionär zumindest ein faktisches Bezugsrecht – Parallelerwerb über den Sekun- därmarkt bzw. die Börse – zusteht. Hiermit sollte börsenno- tierten Gesellschaften eine weitere Möglichkeit zur verein- fachten Eigenkapitalaufnahme eingeräumt und gerade nicht die diesbezüglich bestehenden Freiheitsgrade beschränkt werden. >>

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Brennpunkt | Bezugsrechtsausschluss bei der Inanspruchnahme genehmigten Kapitals

Ebenfalls keine Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit ergibt sich daraus, dass der Bericht des Vorstands über die Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss zwar ausführlich, aber nicht abschließend sämtliche Fälle, in denen der Vorstand zum Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt sein soll, beinhaltet.

Nach Ansicht des OLG Nürnberg reicht es mit Blick auf den Vorratscharakter der Ermächtigung zum Bezugsrechtsaus- schluss aus, dass der Vorstand exemplarisch mögliche Fälle, in denen das Bezugsrecht ausgeschlossen werden kann, benennt. Anders könne dies allenfalls dann beurteilt werden, wenn bereits konkrete Pläne für eine Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht vorliegen und deshalb absehbar sei, aus welchen

Gründen Vorstand und Aufsichtsrat die Verwässerung der Altaktionäre für angemessen erachten. Da eine ausdrückliche Entscheidung des BGH in dieser Frage noch aussteht, hat das OLG insoweit die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Hinsichtlich der Rechtsfolgen eines rechtswidrigen Bezugs- rechtsausschlusses schließt sich der Senat ersichtlich der zwischen regulärer Kapitalerhöhung und genehmigtem Kapital differenzierenden Ansicht an. Unter Anlegung des Maßstabs des § 139 BGB geht das Gericht im Grundsatz zutreffend davon aus, dass bei einem genehmigten Kapital mit der Mög- lichkeit zum Bezugsrechtsausschluss der Bezugsrechtsaus- schluss auch isoliert angefochten werden kann. Es handelt

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Brennpunkt | Bezugsrechtsausschluss bei der Inanspruchnahme genehmigten Kapitals

Dr. Dipl-Vw. Philipp Jaspers, M.A.

Rechtsanwalt

Ernst & Young Law GmbH | Mannheim Telefon +49 621 4208 11590

philipp.jaspers@de.ey.com

Autor

Anmerkung

Die Entscheidung des OLG Nürnberg bestätigt in einer Reihe von Fragen die bisherige Rechtsprechung und trägt damit nicht unerheblich zur Rechtssicherheit bei, die darunter leidet, dass Kapitalerhöhungen nur in den seltensten Fällen vor Gericht gebracht werden. Bezüglich der zur Revision zugelassenen Rechtsfrage, ob der Vorstandsbericht sich darauf beschränken kann, die Einsatzzwecke des Bezugsrechtsausschlusses nur beispielhaft anzugeben, bleibt die Entscheidung des BGH abzuwarten. Grundsätzlich wird man annehmen können, dass eine abschließende Aufzählung aller geplanten Anlässe zum Ausschluss des Bezugsrechts eine Gesellschaft nicht über Gebühr belastet. Umgekehrt sollte man aber auch die Not- wendigkeit des Aktionärsschutzes durch Information nicht überbewerten. Letztlich sind die Anlässe, in denen eine Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss in Betracht kommt, typologisch bekannt. Es erscheint deshalb gut ver- tretbar, dem Vorstand durch die Gestattung einer „Insbeson- dere“-Formulierung zusätzliche Flexibilität zu erlauben, um auf unerwartete Konstellationen zu reagieren. Für die Praxis wird man ohnehin nur empfehlen können, sämtliche denk- baren Varianten aufzunehmen und sich durch Ergänzung von

„insbesondere“ noch einmal zusätzlich abzusichern.

sich um eine Ermächtigung für die Zukunft, sodass ohne weiteres denkbar ist, dass in dem Zeitpunkt, in dem der Vor- stand über die Kapitalerhöhung entscheidet, sowohl eine Kapitalerhöhung mit als auch eine ohne Bezugsrecht in Betracht kommt und im Unternehmensinteresse liegt. Dem- gegenüber wird bei einer regulären Kapitalerhöhung, bei der es um die Umsetzung einer konkreten unternehmerischen Maßnahme in unmittelbarem Anschluss an die Hauptver- sammlung geht, typischerweise der Bezugsrechtsausschluss ein wesentlicher Baustein der geplanten Eigenkapitalauf- nahme und des dahinter stehenden betriebs- und finanzwirt- schaftlichen Konzepts sein.

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BR ENN PUNK T

Töchter haften für ihre Mütter – EuGH erweitert die Haftung für Kartellschadensersatzansprüche

In seinem Urteil vom 06.10.2021 in der Rechtssache Sumal (Az. C-882/19) präzisiert der Europäische Gerichtshof (EuGH) den Begriff der „wirtschaftlichen Einheit“ und bejaht die kartellschadensersatzrechtliche Haftung einer Tochtergesellschaft für einen Verstoß von deren Mutter- gesellschaft gegen europäisches Kartellrecht. Damit stellt der EuGH klar, dass die schon bisher anerkannte Haftung einer Mutter für Kartellrechtsverstöße ihrer Töchtergesell- schaften („bottom up“ oder „aufsteigende Haftung“) auch in der umgekehrten Richtung („top down“ oder

„absteigende Haftung“) bestehen kann.

Sachverhalt

Grundlage für die Entscheidung bilden vier Fragen, die ein Gericht in Barcelona dem EuGH zu Vorabentscheidung vorge- legt hat. In dem Ausgangsfall nahm ein Container-Hersteller die spanische Tochtergesellschaft eines Lkw-Herstellers („Muttergesellschaft“) auf Schadensersatz in Anspruch. Die Tochtergesellschaft hatte der Klägerin zwei Lkw verkauft. Im Jahr 2016 hat die Europäische Kommission sodann kartell- rechtswidrige Absprachen zwischen verschiedenen europäi- schen Lkw-Herstellern (unter ihnen die Muttergesellschaft) festgestellt. Die Klägerin verlangt nun Ersatz angeblicher Mehrkosten, die ihr durch diese Absprachen beim Kauf ent- standen sein sollen. Anfang 2019 wies das Handelsgericht die Klage in der ersten Instanz ab, da die spanische Tochter nicht passivlegitimiert sei. Lediglich die Muttergesellschaft sei als Verantwortliche für die Zuwiderhandlung anzusehen, weil sich die Kommissionsentscheidung zwar u. a. gegen die Mutterge- sellschaft, nicht jedoch gegen die spanische Tochter richte.

Hiergegen legte die Klägerin Berufung ein.

Da die spanischen Gerichte zum Teil eine solche Haftungs- möglichkeit unter Berufung auf die Lehre von der wirtschaft- lichen Einheit bejaht haben, in anderen Fällen jedoch eine solche Haftung auf Fälle einer Muttergesellschaft für die durch sie kontrollierte Tochtergesellschaft beschränkt haben, hat das Berufungsgericht den EuGH zur Klärung angerufen.

Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 06.10.2021 – Az. C-882/19

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Es wollte insbesondere wissen, ob und ggf. unter welchen Bedingungen eine aufsteigende Haftung der Tochter für ihre Mutter nach europäischem Recht angenommen werden kann.

Entscheidung

Der EuGH bejaht die aufsteigende Haftung, wenn die Tochter- und die Muttergesellschaft zum Zeitpunkt der Zuwiderhand- lung eine wirtschaftliche Einheit bilden.

Dabei betont der EuGH zunächst, dass eine solche Durchset- zung von Schadensersatzansprüchen (private enforcement) neben dem public enforcement, insbesondere in Form von Bußgeldentscheidungen, durch die Behörden einen integralen Bestandteil des Systems des Kartellrechts darstellt und die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln erhöht. Daraus folge ein einheitliches Verständnis des Unternehmensbegriffs im Kartellrecht, sodass die Lehre von der wirtschaftlichen Einheit nicht nur bei Bußgeldentscheidungen, sondern auch im Schadensersatzrecht Anwendung finde.

Lehre von der wirtschaftlichen Einheit

Nach dieser Lehre ist anerkannt, dass mehre juristische Per- sonen, die formal selbstständige Rechtssubjekte darstellen, dennoch als einheitliches Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne angesehen werden können, wenn sie ein einheitliches Verhalten auf dem Markt zeigen. Danach besteht eine wirt- schaftliche Einheit zwischen verschiedenen Rechtspersönlich- keiten insbesondere dann, wenn diese in einer einheitlichen Organisation persönlicher, materieller und immaterieller Mit- tel dauerhaft einen bestimmten wirtschaftlichen Zweck ver- folgen. In der Konsequenz hat der EuGH daher eine Zuwider- handlung der Tochter ihrer Mutter zugerechnet und damit eine Haftung der Muttergesellschaft für Schadensersatzan- sprüche gegenüber ihrer Tochter angenommen, wenn die Tochter ihr Marktverhalten zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung nicht selbstständig bestimmt, sondern im Wesentlichen vor allem wegen der wirtschaftlichen, organi- satorischen und rechtlichen Beziehungen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt. >>

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Brennpunkt | Töchter haften für ihre Mütter – EuGH erweitert die Haftung für Kartellschadensersatzansprüche

Dieser Zurechnungsgedanke passt jedoch offensichtlich nicht für die aufsteigende Beziehung der Tochter- zur Muttergesell- schaft, da die Tochter keinen solchen bestimmenden Einfluss auf ihre Mutter hat. Für diese Fälle hat der EuGH nun dennoch eine wirtschaftliche Einheit angenommen, wenn ein konkreter Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Tätigkeit der Tochtergesellschaft und dem Gegenstand der Zuwiderhand- lung, für die die Mutter haftbar gemacht wird, besteht. Von der Haftung ausgeschlossen sollen lediglich diejenigen Gesell- schaften sein, deren eigene wirtschaftliche Tätigkeit nicht im Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung steht und die hieran nicht – auch nicht mittelbar – beteiligt waren. Im Ergebnis können somit innerhalb einer Unternehmensgruppe mehrere wirtschaftliche Einheiten im kartellrechtlichen Sinne bestehen, zu denen regelmäßig die Muttergesellschaft und einzelne nach der jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeit geordnete Töchter gehören.

Ausblick

Der EuGH macht mit der Entscheidung erneut deutlich, dass die Vorstellung vieler nationaler Rechtsordnungen, juristische Personen im Grundsatz als voneinander unabhängige, selbst- ständige Rechtssubjekte zu betrachten, einer einheitlichen Haftung einer Unternehmensgruppe nicht entgegensteht.

Auch wenn er damit die Frage, ob auch eine Haftung für Zu - widerhandlungen von Schwestergesellschaften in Betracht kommt, nicht ausdrücklich beantwortet hat, scheinen die aufgestellten Grundsätze auch auf diesen Fall übertragbar.

Besteht ein konkreter Zusammenhang zwischen den wirt- schaftlichen Tätigkeiten der einen Tochter und der Zuwider- handlung der anderen, ist es sehr wahrscheinlich, dass der EuGH auch in diesem Fall eine wirtschaftliche Einheit und somit eine Haftung annehmen würde. Maßgeblich ist dabei das Bestehen der wirtschaftlichen Einheit im Zeitpunkt der Kartellrechtsverletzung. Es erscheint demnach auch denkbar, dass eine zivilrechtliche Haftung selbst dann gegeben ist, wenn im Zeitpunkt der Geltendmachung der zivilrechtlichen Ansprüche die wirtschaftliche Einheit nicht mehr besteht, zum Beispiel weil das Tochterunternehmen zwischenzeitlich an einen dritten Erwerber veräußert wurde. Fragen dürften auch Sachverhalte aufwerfen, in denen – anders als im Ausgangs- fall – die Anteile an der Tochter nicht allein von der Mutter gehalten werden.

Praxishinweis

In der Praxis erweitert die Entscheidung die Möglichkeiten der Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche.

Neben der bisher schon bestehenden Möglichkeit, eine sol- vente (Mutter-)Gesellschaft in Anspruch zu nehmen, können im grenzüberschreitenden Kontext nun zusätzlich Überlegun- gen angestellt werden, welcher Gerichtsstand den größten Vorteil etwa hinsichtlich einer klaren Vermutungsregelung zur Höhe des Schadensersatzes bietet (forum shopping).

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Brennpunkt | Töchter haften für ihre Mütter – EuGH erweitert die Haftung für Kartellschadensersatzansprüche

Jede Erleichterung der Schadensersatzdurchsetzung macht jedoch spiegelbildlich das Offenlegen von Verstößen durch Kronzeugenanträge zu einem größeren Risiko. Ein solcher Antrag ist weiterhin sehr sorgfältig abzuwägen. Fener dürfte die Entscheidung der Forderung, Kronzeugen von einer zivil- rechtlichen Haftung freizustellen, weiter Nachdruck verleihen.

Daneben gewinnt auch die Schaffung effizienter Compliance- Systeme weiter an Bedeutung, um durch Präventionsmaß- nahmen den Haftungsfall möglichst von vornherein zu ver- hindern.

Die Entscheidung betrifft jedoch auch Sachverhalte außerhalb des Kartellrechts. So lassen sich die Tendenz zur Haftungs- erweiterung und die damit verbundenen Überlegungen auf weitere Rechtsgebiete wie das Datenschutzrecht übertragen, die sich regelmäßig ebenfalls am kartellrechtlichen Unterneh- mensbegriff orientieren.

Außerdem lassen sich beispielsweise im Bereich M&A ent- sprechende Haftungsrisiken nicht mehr allein mit einer sorg- fältigen Bewertung der Zielgesellschaft eingrenzen. Will ein Dritter etwa eine Gesellschaft kaufen, deren unmittelbare Beteiligung am Verstoß nicht festgestellt wurde, die jedoch zu diesem Zeitpunkt Teil einer wirtschaftlichen Einheit mit einer am Verstoß Beteiligten war, bleibt auch nach dem Verkauf das Risiko bestehen, für diesen Verstoß auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden. Ein solches Risiko müsste während des Erwerbsvorgangs ermittelt und etwa durch Haf- tungsfreistellungen und Garantien wirksam adressiert werden.

Hubertus Kleene Rechtsanwalt

Ernst & Young Law GmbH | Hannover Telefon +49 511 8508 16697 hubertus.kleene@de.ey.com Alexander Aumüller Rechtsanwalt

Ernst & Young Law GmbH | Hannover Telefon +49 511 8508 16687 alexander.aumueller@de.ey.com

Autoren

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BR ENN PUNK T

BGH: Haftung der Gesellschafter der Obergesellschaft für KG-Unter- gesellschaft

Sachverhalt

Der Kläger ist ein Insolvenzverwalter mehrerer Schiffsfonds in der Rechtsform von Kommanditgesellschaften (im Folgenden:

Untergesellschaften), über deren Vermögen jeweils mit Be- schluss vom Februar 2016 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Beklagte war mit einer Einlage von 100.000 Euro als Kommanditist an einer Schiffsfonds UG (haftungsbe- schränkt) & Co. KG i. L. (im Folgenden „Dachfonds“ oder

„Obergesellschaft“) beteiligt. Diese Obergesellschaft war Kommanditistin der jeweiligen Untergesellschaften.

Die Obergesellschaft erhielt von den Untergesellschaften nicht durch Gewinne gedeckte Ausschüttungen in Höhe von jeweils ca. 1,5 Mio. Euro. Insgesamt beliefen sich die nicht durch Gewinne gedeckten Ausschüttungen auf über 4,2 Mio. Euro, wobei nach haftungsbefreienden Wiedereinlagen eine offene Forderung der Obergesellschaft in Höhe von jeweils 940.000 Euro bestand.

Der Beklagte wiederum erhielt in den Jahren 2004 bis 2007 von der Obergesellschaft nicht durch Gewinne gedeckte Aus- schüttungen in Höhe von ca. 33.000 Euro.

Der Kläger verlangt vom Beklagten unter dem Gesichtspunkt der teilweisen Rückgewähr geleisteter Kommanditeinlagen für die Untergesellschaften eine Zahlung von jeweils ca.

11.000 Euro.

Das Ausgangsgericht verurteilte den Beklagten antragsgemäß, woraufhin die hiergegen gerichtete Berufung zur Aufhebung des Urteils führte. Der Kläger wendet sich daher mit der Revi- sion gegen die Abweisung der Klage.

Entscheidung

Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Der klagende Insolvenz- verwalter der Untergesellschaften sei zur Einziehung der Ansprüche der Gläubiger der Untergesellschaften befugt gewesen, da die Außenhaftung des Beklagten nach §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4 HGB wieder aufgelebt sei.

BGH, Urteil vom 03.08.2021 – Az. II ZR 123/20 (OLG Oldenburg,

Urteil vom 03.07.2020 – Az. 6 U 96/20)

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Die Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft, die als Ober- gesellschaft an einer anderen Kommanditgesellschaft als Untergesellschaft beteiligt ist, sollen auch gegenüber den Gläubigern der Untergesellschaft haften. Diese Haftung werde im Falle der Insolvenz der Untergesellschaft von deren Insol- venzverwalter geltend gemacht, solange nicht über das Ver- mögen der Obergesellschaft ihrerseits das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (§ 171 Abs. 2 HGB).

Der Kläger nehme den Beklagten unter dem Gesichtspunkt der teilweisen Rückgewähr der geleisteten Kommanditeinlage als Kommanditisten der Obergesellschaft, die ihrerseits Kom- manditistin der Untergesellschaften sei, für Ansprüche von Gläubigern der Untergesellschaften in Anspruch.

Als Insolvenzverwalter der Schuldnerinnen sei der Kläger nach § 171 Abs. 2 HGB zur Einziehung der wiederaufgelebten Außenhaftung des Beklagten gemäß §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4 HGB für die Gläubiger der Untergesellschaften befugt.

Es sei dabei unerheblich, dass der Beklagte an den Unter- gesellschaften nicht selbst, sondern lediglich mittelbar über die Obergesellschaft beteiligt sei. Teilweise werde bei mehr- stöckigen Kommanditbeteiligungen die Ermächtigung des Insolvenzverwalters zur Geltendmachung der Haftung der Kommanditisten der Obergesellschaft gegenüber den Gläubi- gern der Untergesellschaft abgelehnt, sofern ein Insolvenz- verfahren über die Obergesellschaft nicht eröffnet worden sei. Denn nur das nach § 171 Abs. 1 HGB den Gläubigern zustehende Recht werde nach § 171 Abs. 2 HGB vom Insol- venzverwalter ausgeübt. Dies beinhalte lediglich die Geltend- machung der Haftung der Gesellschafter derjenigen Gesell- schaft, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Hingegen bejahen andere Instanzgerichte und Stimmen in der Literatur sowohl die Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters der Untergesellschaft als auch die Haftung der Kommanditisten der Obergesellschaft gegenüber den Gläubigern der Untergesellschaft. >>

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Brennpunkt | BGH: Haftung der Gesellschafter der Obergesellschaft für KG-Untergesellschaft

Der Senat schloss sich der zweiten Auffassung an. Die Kom- manditisten der Obergesellschaft würden auch gegenüber den Gläubigern der Untergesellschaft haften. Dies resultiere daraus, dass die Obergesellschaft gemäß §§ 171, 172 bzw.

§ 128 HGB für die Verbindlichkeit der Untergesellschaft hafte.

Für die Haftung der Obergesellschaft wiederum würden die Gesellschafter haften. Diese Haftung werde in der Insolvenz der Untergesellschaft von deren Insolvenzverwalter geltend gemacht, solange nicht über die Obergesellschaft ihrerseits das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei.

Der Beklagte hafte daher nach §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4 HGB als Kommanditist der Obergesellschaft in Höhe von 33.042 Euro, da seine Haftung gegenüber den Gläubigern der Obergesellschaft nach § 172 Abs. 4 HGB durch die teilweise Rückgewähr von Kommanditeinlagen in dieser Höhe wieder- aufgelebt sei.

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Brennpunkt | BGH: Haftung der Gesellschafter der Obergesellschaft für KG-Untergesellschaft

Fazit

Der Bundesgerichtshof (BGH) schafft mit seinem Urteil Klarheit zu der in Literatur und Rechtsprechung umstrittenen Frage, inwieweit eine direkte Inanspruchnahme von Komman- ditisten einer Obergesellschaft durch Gläubiger der Tochter- gesellschaften dieser Kommanditgesellschaft möglich ist.

Der BGH bejahte die Haftung in dogmatisch nachvollziehbarer Weise und schafft somit für Kommanditisten einer Publikums- gesellschaft ein weiteres Haftungsrisiko, das den meisten Kommanditisten, die sich an einer Publikumsgesellschaft beteiligen, nicht bewusst sein dürfte.

Die Herleitung des BGH beschränkt sich nicht nur auf mehr- stöckige Kapitalgesellschaften, sondern darüber hinaus auch auf Gesellschaftskonstellationen, in denen Ansprüche von Tochtergesellschaften anderer Rechtsformen geltend gemacht werden. Der BGH wendet bei seiner Entscheidung konsequent die allgemeinen Haftungsregeln der Gesellschaf- ter der Obergesellschaft an. Es bleibt zu betonen, dass es sich bei dem von dem klagenden Insolvenzverwalter geltend gemachten Anspruch nicht um einen originären Anspruch gegen den Beklagten handelt, sondern dieser letztlich allein aufgrund seiner Eigenschaft als Gesellschafter der Ober- gesellschaft für die Verbindlichkeit persönlich in Anspruch genommen werden kann. Für einen Kommanditisten ist eine derartige persönliche und unmittelbare Haftung für die Ver- bindlichkeiten der Kommanditgesellschaft grundsätzlich aus- geschlossen, wenn die Kommanditeinlagen ordnungsgemäß eingebracht wurden. Für den Fall einer nicht vollständigen Einbringung der Kommanditeinlagen oder einer (teilweisen) Rückgewähr der Kommanditeinlagen haftet er jedoch nach

§ 171 Abs. 1 HGB auch persönlich und unmittelbar bis zur Höhe seiner Einlagen.

Um das Risiko einer persönlichen und unmittelbaren Inan- spruchnahme durch Gläubiger der Gesellschaft und deren Untergesellschaften als Kommanditist zu beschränken, emp- fiehlt es sich nach den allgemeinen Regeln der Kommandit- gesellschaft, die Kommanditeinlage unverzüglich und in voller Höhe in die Gesellschaft einzubringen. Im Falle von Ausschüt- tungen sollte stets geprüft werden, ob diese von Gewinnen gedeckt sind, um ein Wiederaufleben der Außenhaftung auszuschließen. Dies gilt insbesondere bei Beteiligungen an Publikumsgesellschaften wie beispielsweise Immobilien-, Schiffs- oder Flugzeugfonds.

Dr. Robert Schiller Rechtsanwalt

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht Ernst & Young Law GmbH | Mannheim

Telefon +49 621 4208 21803 robert.schiller@de.ey.com David M. Santa

Rechtsanwalt

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OLG München: Einstweilige Verfügung zugunsten eines GmbH-Gesellschafters im Zusammenhang mit der Einziehung seines Gesellschaftsanteils

Mit Beschluss vom 18.05.2021 (Az. 7 W 718/21) entschied das Oberlandesgericht München (OLG München) über die von einem GmbH-Gesellschafter, dessen Geschäftsanteile eingezogen worden sind, beantragte einstweilige Verfügung.

Sollte die Einziehung der Geschäftsanteile überwiegend wahrscheinlich rechtswidrig sein, so genügt dies nach dem OLG München für die Anordnung einer einstweiligen Ver- fügung zugunsten des betroffenen GmbH-Gesellschafters.

Ein möglicherweise sogar strafbares Fehlverhalten des Gesellschafter-Geschäftsführers kann die Einziehung nur dann rechtfertigen, wenn aufgrund der Pflichtverletzung als Geschäftsführer auch ein Verbleiben desselben als Gesell- schafter den übrigen Gesellschaftern unzumutbar wird, etwa weil durch das Fehlverhalten das Vertrauensverhältnis der Gesellschafter so nachhaltig zerrüttet wird, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit auch auf Gesellschafterebene ausgeschlossen erscheint, oder weil Treuepflichten schwer- wiegend verletzt wurden. Konsequenterweise kann mit der einstweiligen Verfügung die Korrektur der nach Einziehung bereits geänderten Gesellschafterliste angeordnet werden.

Sachverhalt

In dem hier behandelten Verfahren auf einstweilige Verfügung streiten die Parteien um die in einer Gesellschafterversamm- lung beschlossene Einziehung der Geschäftsanteile der An- tragstellerin. Die Antragstellerin ist Gründungsgesellschafterin einer Start-up-GmbH, der Antragsgegnerin, und Beteiligungs- vehikel ihres Geschäftsführers und Gesellschafters.

Im Juli 2020 lud der gemeinsame Geschäftsführer der Antragstellerin und Antragsgegnerin mehr als 8.000 sensible Firmendateien, darunter Geschäftsgeheimnisse, auf einen Laptop der Antragsgegnerin und ein Speichermedium her

-

unter. Die Antragsgegnerin nahm dies – nach Sperrung des Zugriffs Anfang August 2020 – zum Anlass, den Geschäfts- führer durch Beschluss der Gesellschafterversammlung von Mitte August 2020 als Geschäftsführer der Antragsgegnerin abzuberufen und seinen Geschäftsführeranstellungsvertrag fristlos zu kündigen. Im Rahmen der Gesellschafterversamm- lung gab der Geschäftsführer Laptop und Speichermedium

BR ENN PUNK T

OLG München, Beschluss vom

18.05.2021 – Az. 7 W 718/21 (LG München I, Beschluss vom 26.03.2021 – Az. 12 HKO 3978/21)

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zurück. Er erklärte in einer eidesstattlichen Versicherung, er habe nur noch auf ca. 200 – in der eidesstattlichen Versiche- rung konkret bezeichnete – in einer Cloud der Antragstellerin passwortgeschützt gespeicherte Dokumente Zugriff; diese würden die gesellschaftsrechtliche Dokumentation umfassen.

Im weiteren Verlauf des Jahres 2020 wurde über einen Abkauf der Geschäftsanteile der Antragstellerin – im Ergebnis erfolg- los – verhandelt. Nach Geltendmachung einer „call option“

durch die Antragsgegnerin wurde hinsichtlich der bei der Antragstellerin verbliebenen Geschäftsanteile an der Antrags- gegnerin im März 2021 die Einziehung von der Gesellschafter- versammlung beschlossen.

Mit ihrem Antrag auf einstweilige Verfügung verlangt die Antragstellerin, das von ihr gegründete Start-up-Unternehmen zu verpflichten, sie einstweilen als Gesellschafterin zu be - handeln. Des Weiteren solle es der Antragsgegnerin untersagt werden, eine geänderte Gesellschafterliste beim Handels- register einzureichen.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, es liege kein wichtiger Grund für die Einziehung vor; der vermeintliche Datenklau liege zu lange zurück. Auch drohen Beschlussfassungen der Gesellschafterversammlung, u. a. eine Verlegung der Geschäftstätigkeit in die USA.

Das Landgericht München I (Beschluss vom 26.03.2021, Az. 12 HKO 3978/21) lehnte den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung mangels Verfügungsgrundes ab. Eine Dringlichkeit sei nicht zu erkennen, da die Antragstellerin als Minderheitsgesellschafterin ohnehin keinen entscheidenden Einfluss auf die Gesellschaftspolitik nehmen könne; auch gehe es ihr nicht um die künftige Unternehmenspolitik, sondern um die zukünftige Position des Geschäftsführers bzw. um die Ver- einbarung eines Preises für die aufzugebende Beteiligung an der Start-up-GmbH. >>

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Brennpunkt | OLG München: Einstweilige Verfügung zugunsten eines GmbH-Gesellschafters im Zusammenhang mit der Einziehung seines Gesellschaftsanteils

Im Wege der sofortigen Beschwerde wandte sich die Antrag- stellerin gegen den Beschluss des Landgerichts München I und führte insbesondere aus, es drohen Beschlussfassungen, insbesondere zu zur Deckung des Kapitalbedarfs erforder- lichen Kapitalmaßnahmen, somit ein irreparabler Schaden.

Entscheidung

Nach der Entscheidung des OLG München hatte die sofortige Beschwerde weitgehend Erfolg. Die Antragstellerin habe sowohl den Anspruch auf als auch den Grund für ihren Antrag auf einstweilige (Weiter-)Behandlung als Gesellschafterin und Eintragung einer korrigierten Gesellschafterliste glaubhaft gemacht.

Vorliegend habe eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestanden, dass die Einziehung rechtswidrig gewesen sei und damit im Hauptsacheverfahren keinen Bestand haben werde.

Hierfür könne nicht verlangt werden, dass die Rechtslage eindeutig und die Berechtigung des Anspruchs der Antragstel- lerin mit Sicherheit feststeht. Wegen der positiven wie auch negativen Legitimationswirkung der Gesellschafterliste aus

§ 16 Abs. 1 GmbHG müsse dem von einer möglicherweise fehlerhaften Einziehung seines Geschäftsanteils betroffenen Gesellschafter daher ein effektives Mittel zur Verfügung gestellt werden, seine Entrechtung in der Gesellschaft während der Dauer des Rechtsstreits über die Einziehung zu verhindern bzw. seine streitige materiell-rechtliche Gesellschafterstellung bis zur Klärung der Wirksamkeit der Einziehung zu sichern.

Ein strengerer Maßstab sei auch unter dem Hinweis auf eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht anzuwenden gewesen.

Es sei die Gesellschaft, die den Beschluss – durch Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste – vor Rechtskraft voll- ziehen würde, sodass es der Antragstellerin nicht verwehrt werden könne, durch einstweilige Verfügung den Status quo ante zu sichern. Nach der Satzung der Gesellschaft könne ein Gesellschafter aus wichtigem Grund ausgeschlossen werden.

Ein solcher liege in der Verletzung von Gesellschafterpflichten,

in der Eigenschaft des Gesellschafters oder in von ihm gesetz- ten Umständen. Zu berücksichtigen sei auch der Zeitraum zwischen Anlass und Geltendmachung, da mit Zeitablauf der wichtige Grund an Gewicht verlieren würde. Hieran gemessen genügen die geltend gemachten Gründe nicht für eine Ein- ziehung.

Zum einen habe der Gesellschafter gegebenenfalls als Geschäftsführer Pflichten verletzt, was nicht unmittelbar zu einer Verletzung seiner Gesellschafterpflichten führe. Dies könne nur im Ausnahmefall, der vorliegend nicht gegeben sei, angenommen werden. Zu berücksichtigen sei zudem, dass die Antragstellerin lediglich Minderheitsgesellschafterin gewesen sei. Zum anderen mache die Antragsgegnerin geltend, die Antragstellerin habe lediglich versucht, den Lästigkeitswert ihrer Beteiligung zu erhöhen, um eine unrealistische Abfin- dung zu erzwingen. Es könne jedoch schon nicht festgestellt werden, dass die Antragstellerin Leistungen beanspruchen würde, auf die sie erkennbar keinen Anspruch habe. Bei der von der Antragstellerin geltend gemachten Abfindung habe sie sich an einer Bewertung orientiert und überdies sogar noch einen Abschlag auf diese Bewertung vorgenommen.

Für den einstweiligen Rechtsschutz sei vor diesem Hinter- grund festzuhalten, dass die Antragstellerin für sich in Anspruch nehmen könne, dass sie ihre Forderung aus einer Bewertung ableiten könne, möge diese Ableitung auch un - zutreffend sein. Völlig ins Blaue hinein sei ihre Abfindungs- forderung nicht gewesen. Es könne daher nicht festgestellt werden, dass die Antragstellerin mit ihrem Verhalten einen Anspruch verfolge, auf den sie erkennbar keinen Anspruch habe. Für sich genommen sei die Prozessführung nicht un - lauter beziehungsweise mutwillig.

Auch die Gesamtschau aller vorgetragenen Gründe würden eine Einziehung des Geschäftsanteils nicht rechtfertigen.

Denn die vorgetragenen Gründe stünden in engem Zusam- menhang mit der Abberufung des Geschäftsführers und der

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Brennpunkt | OLG München: Einstweilige Verfügung zugunsten eines GmbH-Gesellschafters im Zusammenhang mit der Einziehung seines Gesellschaftsanteils

Praxishinweis

Das OLG München führt in seiner Entscheidung nahezu lehr- buchartig aus, dass bei der Beantragung einer einstweiligen Verfügung Verfügungsanspruch und -grund gut begründet dargelegt werden müssen. Beim Verfügungsanspruch im Zusammenhang mit einer Einziehung eines Geschäftsanteils kommt es maßgeblich darauf an, dass aus der Sicht des betroffenen Gesellschafters kein wichtiger Grund für die Einziehung vorlag. Das OLG München weist in seiner Entschei- dung vom 18.05.2021 darauf hin, dass sich die Pflichtver- letzungen oder Handlungen des Gesellschafters, die für die Einziehung dessen Geschäftsanteils herangezogen werden, in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gesellschafterstellung stehen müssen und nur ausnahmsweise, wenn diese Handlun- gen auch auf die Gesellschafterstellung durchgreifen, Pflicht- verletzungen eines Geschäftsführers genügen. Hierfür sind die Hürden jedoch hoch. Bei der Einziehung eines Geschäfts- anteils ist nach der zutreffenden Auffassung des OLG München sich hieraus entwickelnden Streitigkeit. Es habe sich daher gerade nicht um eine Vielzahl von eigenständigen (potenziel- len) Pflichtverletzungen gehandelt.

Insbesondere der Umstand, dass zwischen der angeblichen Pflichtverletzung und deren Geltendmachung (Einziehung der Geschäftsanteile) über sechs Monate vergangen seien, sei zu berücksichtigen. Der wichtige Grund verliere mit zunehmen- dem Zeitablauf an Gewicht.

Nach summarischer Prüfung sei die Antragstellerin mangels wirksamen Ausschlusses Gesellschafterin geblieben und im Folgenden auch als solche zu behandeln.

Die Antragstellerin habe auch einen Verfügungsgrund glaub- haft gemacht. Insbesondere sei auch kein milderes Mittel zu erkennen. Denn die Korrektur der geänderten Gesellschafter- liste folge dem dogmatischen Ansatz des BGH, der der positi- ven und der negativen Legitimationswirkung derselben einen hohen Stellenwert beimesse (§ 16 Abs. 1 GmbHG).

auch das Zeitmoment zu berücksichtigen. Denn die Einziehung stellt die Ultima Ratio einer Gesellschafterauseinandersetzung dar und ist nur gerechtfertigt, wenn ein Zusammenarbeiten auf Gesellschafterebene nicht mehr möglich und vor allem niemandem mehr zuzumuten ist. Liegt die Pflichtverletzung, die für die Einziehung herangezogen wird, jedoch bereits mehrere Monate zurück, so führt dies zu einer Art Selbst- widerlegung, da die Rechtsprechung annimmt, dass bei einem Abwarten ein Zusammenarbeiten doch noch möglich ist.

Eine intensive rechtliche Beratung bei der Beantragung einer einstweiligen Verfügung ist daher unabdingbar, insbesondere in Anbetracht des oftmals herrschenden Zeitdrucks.

Dr. Robert Schiller Rechtsanwalt

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht Ernst & Young Law GmbH | Mannheim

Telefon +49 621 4208 21803 robert.schiller@de.ey.com Christian Rath, LL.M.

Rechtsanwalt

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(22)

Einleitung

Mit dem am 11.08.2021 im Bundesgesetzblatt verkündeten Zweiten Führungspositionen-Gesetz (Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teil- habe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, BGBl. 2021, Teil I, Nr. 51, S. 3311 (FüPoG II) werden die Bestimmungen nunmehr in Teilen nachgeschärft. Die grundsätzliche Systematik des FüPoG I wird durch die Neuregelung nicht modifiziert.

Keine Änderungen sieht das FüPoG II insbesondere bezüglich des grundsätzlichen Adressatenkreises vor. Die spezifischen Vorgaben zur geschlechtergerechten Besetzung von Führungs- positionen bleiben ein Sonderrechtsregime für große Unter- nehmen. Anwendungsvoraussetzung ist weiterhin, dass die betroffene Gesellschaft entweder (paritätisch) mitbestimmt oder aber börsennotiert ist; liegen Parität und Börsennotierung kumulativ vor, greifen erhöhte Anforderungen.

Zusammensetzung des Geschäftsleitungsorgans

Das FüPoG II sieht im Vergleich zur bisherigen Gesetzeslage Änderungen insoweit vor, als nunmehr für paritätisch mitbe- stimmte börsennotierte Gesellschaften, deren Vorstand aus mindestens vier Mitgliedern besteht, eine zwingende Mindest- quote eingeführt wird. Gleichzeitig werden die Berichtspflich- ten bezüglich der Zielgröße für die unternehmensspezifische flexible Quote erweitert bzw. verschärft.

Feste Mindestquote für Vorstände börsennotierter paritätisch mitbestimmter Gesellschaften

Für Gesellschaften, deren Aktien zum Börsenhandel zuge- lassen sind und die gleichzeitig paritätisch mitbestimmt sind,

Mehr Frauen in Führungspositionen der Privatwirtschaft – Zweites Führungs- positionen-Gesetz (FüPoG II) in Kraft

BR ENN PUNK T

Die Neuregelun-

gen im Einzelnen

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wird nunmehr eine zwingende geschlechterspezifische Zusammensetzung ihres Vorstands vorgeschrieben. Besteht der Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft, die gleich- zeitig einem paritätisch Mitbestimmungsstatut unterliegt, aus mindestens vier Personen, so muss nunmehr mindestens eine Frau und mindestens ein Mann Mitglied des Vorstands sein (§ 76 Abs. 3a Satz 1 AktG, § 16 Abs. 2 SEAG n. F.). Trägt eine Bestellung dieser zwingenden Besetzungsregel nicht Rechnung, ist die Bestellung nichtig (§ 76 Abs. 3a Satz 2 AktG n. F.). Die Vorgaben für die geschlechtergerechte Zusammensetzung des Vorstands setzen zwingend die Börsennotierung voraus, sodass nur eigenkapitalmarktfähige Rechtsformen – Aktien- gesellschaft, Europäische Gesellschaft (SE) oder Kommandit- gesellschaft auf Aktien (KGaA) – erfasst werden. Im seltenen Fall einer monistischen mitbestimmten SE ist die Vorgabe bei der Bestellung der geschäftsführenden Direktoren durch den Verwaltungsrat zu beachten. Von einer Übertragung auf Ge- schäftsleitungsorgane anderer Rechtsformen hat der Gesetz- geber abgesehen.

In der Erklärung zur Unternehmensführung ist zu berichten, ob die Mindestbeteiligungsvorgaben eingehalten wurden; falls nein, sind die Gründe für die Nichteinhaltung anzugeben. Ver- letzungen der Berichtspflicht können als Ordnungswidrigkeit sanktioniert werden.

Flexible Quote für Vorstände börsennotierter oder mitbestimmter Gesellschaften

Daneben bleibt die Verpflichtung des Aufsichtsrats, eine flexi- ble Quote für den Frauenanteil im Vorstand festzulegen, die auch für nur börsennotierte und nur mitbestimmte Gesell- schaften gilt, im Grundsatz bestehen und wird nur in Details nachgeschärft. Der Aufsichtsrat der Gesellschaft hat selbst eine im Ausgangspunkt frei wählbare Zielquote für die geschlechtergerechte Besetzung des Vorstands bzw. der Geschäftsführung festzusetzen. Dieser kommt insoweit Bindungswirkung zu, als ein einmal erreichtes Niveau vor Erreichen der Zielquote in Zukunft nicht wieder unterschritten werden darf (Verschlechterungsverbot). >>

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Brennpunkt | Mehr Frauen in Führungspositionen der Privatwirtschaft – Zweites Führungspositionen-Gesetz (FüPoG II) in Kraft

Über das bisherige Recht hinausgehend muss nicht mehr allein eine Zielgröße für den Anteil an Frauen, sondern auch für deren absolute Zahl benannt werden. Wie bisher sind daneben Fristen für die Zielerreichung zu benennen, die einen Zeitraum von fünf Jahren nicht überschreiten dürfen. Für die monisti- sche SE gilt wiederum, dass die Quote für die geschäftsfüh- renden Direktoren durch den Verwaltungsrat festgelegt wird, bei drittelmitbestimmten GmbHs wird die Quote für die Geschäftsführer grundsätzlich durch die Gesellschafterver- sammlung bestimmt.

Ferner werden die Berichts- und Begründungspflichten für die flexible Quote deutlich verschärft. Eine fehlerhafte Bericht- erstattung kann als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

Wird von der bisher verbreiteten Praxis Gebrauch gemacht, Zielquoten von null festzulegen, ist dies nunmehr unter Erläu- terung der Gründe ausdrücklich offenzulegen.

Zusammensetzung des Aufsichtsrats

Wie nach bisherigem Recht ist es für die Anforderungen an eine geschlechtergerechte Zusammensetzung des Aufsichts- rats entscheidend, ob die Gesellschaft (1) paritätisch mitbe- stimmt und kumulativ börsennotiert oder ob sie (2) entweder nur (paritätisch) mitbestimmt oder nur börsennotiert ist.

Das FüPoG II erweitert auch diesbezüglich die Berichts- und Begründungspflichten. Auch insoweit kann eine fehlerhafte Berichterstattung als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.

Erste und zweite Führungsebene unterhalb des Vorstands Im Grundsatz unverändert bleiben auch die inhaltlichen Vor- gaben für die zwei Führungsebenen unterhalb des Vorstands, die sowohl für börsennotierte als auch für paritätisch mitbe- stimmte Gesellschaften anzuwenden sind; das kumulative Vor- liegen beider Kriterien ist insoweit nicht Voraussetzung. Auch für die Führungsebenen unterhalb des Vorstands reagiert das FüPoG II auf die verbreitete Praxis, eine Zielquote von null bzw. 0 Prozent festzulegen. Ist für den Frauenanteil auf einer der beiden Führungsebenen die Zielgröße 0, so ist dieser Beschluss klar und verständlich zu begründen.

Recht auf Mandatspause („#stayonboard“)

Eine echte Neuerung im Vergleich zum FüPoG I ist das neu eingeführte Recht der Mitglieder eines aus mehreren Personen bestehenden Geschäftsleitungsorgans, den Aufsichtsrat um den Widerruf der Bestellung zu ersuchen, wenn das Mitglied wegen Mutterschutz, Elternzeit, der Pflege eines Familienan- gehörigen oder Krankheit seinen mit der Bestellung verbun- denen Pflichten vorübergehend nicht nachkommen kann (§ 84 Abs. 3 AktG n. F.). Grundsätzlich ist der Aufsichtsrat in diesem Fall verpflichtet, das vorübergehend ausscheidende

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Brennpunkt | Mehr Frauen in Führungspositionen der Privatwirtschaft – Zweites Führungspositionen-Gesetz (FüPoG II) in Kraft

Die ergänzten Anforderungen an die Festlegung flexibler Quoten für eine geschlechtergerechte Zusammensetzung von Vorstand, Aufsichtsrat und die ersten beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands gelten ab sofort.

Die Mindestquote im Vorstand börsennotierter paritätisch mitbestimmter Gesellschaften gelten für ab dem 01.08.2022 erfolgende Bestellungen.

Die ergänzten Berichtspflichten bezüglich der Zielgröße für die flexiblen Quoten betreffend den Frauenanteil in Aufsichts- rat, Vorstand und auf den Führungsebenen 1 und 2 unterhalb des Vorstands sind erstmals auf Erklärungen zur Unter- nehmensführung für nach dem 31.12.2020 beginnende Geschäftsjahre anzuwenden.

Dr. Thorsten Ehrhard Rechtsanwalt

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht Ernst & Young Law GmbH | Mannheim

Telefon +49 621 4208 15379 thorsten.ehrhard@de.ey.com Dr. Dipl-Vw. Philipp Jaspers, M.A.

Rechtsanwalt

Ernst & Young Law GmbH | Mannheim Telefon +49 621 4208 11590 philipp.jaspers@de.ey.com

Autoren

Anwendbarkeit der Neuregelungen

Vorstandsmitglied nach dem Wegfall der besonderen Situation wieder zu bestellen. Die Neuregelung zielt darauf, Organmit- glieder, die aus bestimmten persönlichen Gründen vorüberge- hend ihr Mandat nicht ausüben können, für diesen Übergangs- zeitraum von den bei fortdauernder Bestellung grundsätzlich weiter geltenden Pflichten und damit verbundener Haftung zu entlasten. Aus Sicht des Vorstandsmitglieds lassen sich damit gleichzeitig die Unsicherheiten verhindern, die ein unbedingter Widerruf mit bloßer Erwartung auf eine erneute Berufung hat.

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RE CH TS PRE CH U N G

Insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit der Entnahme stehen gelassener Gewinne

Die Frage der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit von Leistungen einer Gesellschaft an ihre Gesellschafter in einem nahen zeitlichen Zusammenhang mit einer späteren Insolvenz der Gesellschaft ist nun schon zum wiederholten Mal innerhalb kurzer Zeit Gegenstand der Rechtsprechung des BGH. Erst im letzten Newsletter wurde die Entscheidung des BGH vom 17.12.2020 (Az. IX ZR 122/19) besprochen, die die Anfechtbarkeit von Entnahmen von Guthaben auf einem Kapitalkonto eines Kommanditisten zum Gegenstand hatte. Der BGH hatte das Kapitalkonto des Kommanditisten in dieser Entscheidung als Fremdkapital eingeordnet und die Anfechtbarkeit daher bejaht. Die Frage, ob auch Auszahlun- gen aus dem Eigenkapital der Insolvenzanfechtung nach

§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO unterliegen können, hatte der BGH damals noch ausdrücklich offengelassen. In seiner aktuellen Entscheidung vom 22.07.2021 (Az.: IX ZR 195/20) hat er diese Frage nun ausdrücklich bejaht.

Ausgangsfall

Der Entscheidung des BGH lag folgender vereinfacht darge- stellter Sachverhalt zugrunde: Die Beklagte war Alleingesell- schafterin einer GmbH. In einer Gesellschafterversammlung am 28.09.2009 stellte die Beklagte den Jahresabschluss der GmbH zum 31.12.2008 fest und beschloss, den im Geschäftsjahr 2008 erwirtschafteten Jahresgewinn auf neue Rechnung vorzutragen. Rund zwei Monate später, nämlich am 01.12.2009, beschloss die Beklagte, für das Geschäftsjahr 2008 einen Gewinn in Höhe von 200.000 Euro auszuschütten.

Am 09.12.2009 überwies die GmbH der Beklagten daraufhin einen Betrag von 200.000 Euro. Am 31.03.2010 stellte die GmbH Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Das Insolvenzverfahren wurde am 01.06.2010 eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Gestützt auf die Vorschriften über die Insolvenzanfechtung verlangt der Kläger von der Beklagten die Rückzahlung der 200.000 Euro.

BGH, Urteil vom 22.07.2021 – Az. IX ZR 195/20

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Die Entscheidung des BGH

Die Klage des Insolvenzverwalters war in allen drei Instanzen erfolgreich. Der BGH führt aus, dass die Rechtsfolgen des

§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO – nach der eine Rechtshandlung, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder für eine gleichgestellte Forderung Befriedigung gewährt hat, anfecht- bar ist, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Eröffnungs- antrag oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist – nicht durch die Wahl einer bestimmten rechtlichen Konstruk- tion unterlaufen werden dürften. Die Regelung des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO setze weder ihrem Wortlaut noch ihrem Sinn und Zweck nach die Überlassung von Fremdkapital voraus.

Zwar erfolge die vorübergehende Überlassung eines Geld- betrags durch den Gesellschafter an die Gesellschaft in der

Regel als Darlehen und damit in der Form von Fremdkapitel, sofern sich Gesellschafter und Gesellschaft von vornherein darüber einig gewesen seien, dass die Gesellschaft das Geld zurückzuzahlen habe; dies schließe indes nicht aus, dass die vorübergehende Überlassung von bilanziellem Eigenkapital wirtschaftlich einem Darlehen gleichstehen könne. Entschei- dend sei, dass der Gesellschafter seiner Gesellschaft einen ohne seine Handlung sonst im Vermögen der Gesellschaft nicht vorhandenen Geldbetrag verschafft oder in der Gesell- schaft belassen habe und die Gesellschaft hierdurch über zusätzliche finanzielle Mittel verfüge. Vor diesem Hintergrund sei auch ein vom Gesellschafter zunächst stehen gelassener Gewinn als darlehensgleich zu qualifizieren, wenn der Gesell- schafter den Gewinn später entnehme. >>

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Rechtsprechung | Insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit der Entnahme stehen gelassener Gewinne

Die Entscheidung ist von elementarer praktischer Bedeutung.

Auch wenn die Entscheidung selbst keinen Transaktionssach- verhalt betrifft, gilt dies insbesondere für den Bereich der M&A-Transaktionen. Hier stellt sich künftig vor allem die Frage, in welchem Umfang ein Verkäufer dem Risiko der Inan- spruchnahme durch einen Insolvenzverwalter ausgesetzt ist, wenn über das Vermögen der Gesellschaft nach dem Vollzug der Transaktion ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Dabei besteht das Risiko für den Verkäufer auch jenseits einer vor Vollzug der Transaktion erfolgten Ausschüttung stehen gelas- sener Gewinne, wie sie der hier besprochenen Entscheidung des BGH zugrunde lag. Denn die vom BGH in seiner Entschei- dung angeführten Argumente passen auch für jede andere Form der Ausschüttung aus dem Eigenkapital. Insbesondere

Ausschüttungen aus einer aufgelösten Kapitalrücklage dürften dabei nicht anders zu behandeln sein als die Ausschüttung stehen gelassener Gewinne.

Im Hinblick auf die durch die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2013 (Urteil vom 21.02.2013, Az. IX ZR 32/12) ausge- löste Diskussion um das Risiko einer gesamtschuldnerischen Haftung des Verkäufers für einen Anfechtungsanspruch gegen den Erwerber, wenn sich dieser einen von ihm miter- worbenen Darlehensanspruch innerhalb eines Jahres nach dem Vollzug der Transaktion von der Gesellschaft zurück- bezahlen lässt, stellt sich eine weitere Frage: Besteht ein Haftungsrisiko des Verkäufers nicht nur für die von ihm in der Vergangenheit selbst vorgenommenen Ausschüttungen oder

Auswirkungen

für die Praxis

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Rechtsprechung | Insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit der Entnahme stehen gelassener Gewinne

haftet er – beschränkt auf den Zeitraum eines Jahres nach Vollzug der Transaktion – sogar generell für jede vom Erwerber vorgenommene Ausschüttung mit?

Die Entscheidung erweitert daher massiv die bereits bisher bekannte Problematik beim Umgang mit Gesellschafterdarlehen im Rahmen von M&A-Transaktionen. Insofern wird künftig nicht nur die bisher mitunter praktizierte Gestaltungsvariante einer Einbringung des Gesellschafterdarlehens in die Kapital- rücklage keinen risikolos gangbaren Weg mehr darstellen;

vielmehr stellen Ausschüttungen aus dem Eigenkapital, so- wohl was die Vergangenheit als auch was die Zukunft angeht, künftig gleichermaßen wie die Rückzahlung von Gesellschafter- darlehen ein Problem dar, dem im Rahmen der Vertrags-

gestaltung von M&A-Transaktionen Rechnung getragen werden muss.

Die Auswirkungen der Entscheidung für die Praxis sind derzeit daher noch gar nicht vollständig absehbar.

Dr. Nikolai Weber

Rechtsanwalt | Fachanwalt für Insolvenzrecht Ernst & Young Law GmbH | Stuttgart

Telefon +49 711 9881 20541 nikolai.weber@de.ey.com Dr. Björn Weng

Rechtsanwalt

Ernst & Young Law GmbH | Stuttgart Telefon +49 711 9881 18077 bjoern.weng@de.ey.com

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RE CH TS PRE CH U N G

Kehrtwende in der Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung

Aufgrund der ausufernden Praxis der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO sah sich der Gesetzgeber bereits im Jahr 2017 veranlasst, verschiedene Änderungen im Gesetz vor- zunehmen. Mit der Entscheidung des BGH vom 06.05.2021, Az. IX ZR 72/20 deutet sich insoweit nun auch eine Kehrt- wende in der höchstrichterlichen Rechtsprechung an, die einerseits zwar neue Fragen aufwirft, andererseits aber die Verteidigung gegen in der Vergangenheit teilweise beob- achtete substanzlose Inanspruchnahmen durch Insolvenz- verwalter erleichtern dürfte.

Ausgangsfall

Der Entscheidung des BGH lag der folgende, vereinfacht dar- gestellte Sachverhalt zugrunde: Weil die spätere Schuldnerin ihrer Pflicht zur Offenlegung des Jahresabschlusses nicht nachgekommen war, setzte das Bundesamt für Justiz im August 2009 nach entsprechender Androhung ein Ordnungs- geld von 2.500 Euro zuzüglich Auslagen von 3,50 Euro fest.

Auf einen telefonischen Antrag eines Vertreters der Schuldne- rin hin, im Rahmen dessen eine „eingehende telefonische Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterneh- mens“ erfolgte, erklärte sich das Bundesamt im Mai 2010 mit einer ratenweisen Begleichung der offenen Forderung einver- standen. Von Juni 2010 bis März 2011 leistete die Schuldne- rin neun Ratenzahlungen in Höhe von insgesamt 2.307 Euro.

Im Oktober 2015 wurde Insolvenzantrag über das Vermögen der Schuldnerin gestellt und das Insolvenzverfahren im November 2015 eröffnet. Gestützt auf die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO verlangte der Insolvenzverwalter die Rück- zahlung der von der Schuldnerin an das Bundesamt gezahlten Beträge.

Die Entscheidung des BGH

Die Revision war für den Kläger zwar insoweit erfolgreich, als der BGH die in den Vorinstanzen erfolglose Klage an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat; der BGH hat dem Berufungsgericht allerdings umfangreiche Hinweise erteilt, die zum Teil eine klare Kehrtwende im Verhältnis zur bisher exzessiven Auslegung der Vorschrift über die Vorsatzanfech- tung durch den BGH markieren.

BGH, Urteil vom 06.05.2021 – Az. IX ZR 72/20

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Die Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO setzt insbe- sondere einen Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und eine Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon voraus.

Beides muss im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung gegeben sein. Nach der bisherigen Recht- sprechung wurde allein aus der Kenntnis des Schuldners von seiner Zahlungsunfähigkeit in aller Regel auf das Vorliegen eines Benachteiligungsvorsatzes geschlossen. Aus einer vom Anfechtungsgegner erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wurde gefolgert, dass der Anfechtungsgegner in der Regel auch über den Benachteiligungsvorsatz des Schuld- ners im Bilde ist. Diese bisherige Rechtsprechung bedürfe, so der BGH in seiner aktuellen Entscheidung, „einer neuen Ausrichtung“. Es reiche nicht aus, dass der Schuldner wisse, dass er im Zeitpunkt der Vornahme der später angefochtenen Rechtshandlung nicht alle seine Gläubiger befriedigen könne.

Entscheidend sei, dass er wisse oder jedenfalls billigend in Kauf nehme, dass er auch künftig nicht dazu in der Lage sein werde. Aus einer gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit könne ein Benachteiligungsvorsatz daher nur dann gefolgert werden, wenn sie ein Ausmaß angenommen habe, das eine vollständige Befriedigung der übrigen Gläubiger auch in Zukunft nicht erwarten lasse. Entsprechendes gelte für die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners.

In diesem Kontext gibt der BGH ausdrücklich auch seine Rechtsprechung auf, wonach bereits allein aus der erkannten drohenden Zahlungsunfähigkeit auf die subjektiven Voraus- setzungen des § 133 Abs. 1 InsO geschlossen wurde. >>

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Rechtsprechung | Kehrtwende in der Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung

Zur Frage der Feststellung der (eingetretenen) Zahlungsun- fähigkeit verweist der BGH grundsätzlich auf die hergebrachten Grundsätze. Hierbei komme eigenen Erklärungen des Schuld- ners, nicht zahlen zu können, ein besonderes Gewicht zu. Der BGH weist aber auch darauf hin, dass bei Fehlen einer (aus- drücklichen) Erklärung des Schuldners die für eine Zahlungs- einstellung sprechenden Umstände ein der Erklärung entspre- chendes Gewicht erreichen müssen. Zahlungsverzögerungen allein, auch wenn sie wiederholt aufträten, reichten hierfür häufig nicht. Es müssten dann Umstände hinzutreten, die mit hinreichender Gewissheit dafür sprächen, dass die Zahlungs- verzögerung auf der fehlenden Liquidität des Schuldners beruhe.

Die Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung begründet der BGH vor allem mit einem ansonsten gegebenen Wertungs- widerspruch zur Deckungsanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO. Danach sind kongruente Deckungshandlungen anfechtbar, wenn der Schuldner im Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung zahlungsunfähig war und der Anfechtungs-

gegner die Zahlungsunfähigkeit kannte. Den Anfechtungs- zeitraum begrenze § 130 InsO jedoch auf die letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag. Die bisherige Rechtspre- chung zu § 133 InsO führe hingegen dazu, dass eine Rechts- handlung unter denselben Voraussetzungen für einen Zeit- raum von vier Jahren vor dem Insolvenzantrag anfechtbar sei.

Des Weiteren stelle die bisherige Rechtsprechung den Sinn und Zweck der gesetzlichen Vermutung in § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO infrage. Dieser liege in einer Erleichterung der Beweisführung im Hinblick auf die Kenntnis des Anfechtungs- gegners vom Benachteiligungsvorsatz. Da die gesetzliche Vermutung widerlegbar sei, dürften die die Vermutung aus- lösenden Umstände nicht bereits den (nicht mehr widerleg- baren) Vollbeweis begründen.

Der BGH stellt sodann noch die Bedeutung der gesetzlichen Vermutungsregelung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO für die- jenigen Fälle heraus, in denen der Vollbeweis der Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz nicht geführt ist.

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Rechtsprechung | Kehrtwende in der Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung

Wie bereits eingangs erwähnt, markiert die Entscheidung grundsätzlich eine Kehrtwende in der Rechtsprechung des BGH zur Vorsatzanfechtung. Möglicherweise besteht hier ein Zusammenhang mit der im letzten Jahr erfolgten personellen Veränderung an der Spitze des IX. Zivilsenats. Dies lässt ver- muten, dass der BGH künftig einen restriktiveren Kurs bei der Vorsatzanfechtung einschlagen wird. Für eine Entwarnung für (potenzielle) Anfechtungsgegner ist es allerdings zu früh.

Denn über die gesetzliche Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO genügt für eine Inanspruchnahme nach wie vor regel- mäßig letztlich doch der Nachweis der Kenntnis von Umstän- den, die zwingend auf eine eingetretene – bzw. bei Insolvenz- verfahren, die vor dem 05.04.2017 eröffnet wurden, sogar lediglich auf eine drohende – Zahlungsunfähigkeit schließen ließen. Dass es Anfechtungsgegnern in der Praxis gelingen wird, diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen, erscheint zweifelhaft. Von daher sollte man bei kriselnden Geschäfts- partnern auch künftig Vorsicht walten lassen, um spätere Anfechtungsrisiken zu reduzieren.

Dr. Nikolai Weber

Rechtsanwalt | Fachanwalt für Insolvenzrecht Ernst & Young Law GmbH | Stuttgart Telefon +49 711 9881 20541 nikolai.weber@de.ey.com

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