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PJ113_S63-77_Davids_Wahrheit als Korrespondenz und Adäquation

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Wahrheit als Korrespondenz und Adquation

berlegungen zur Wahrheitskonzeption des Thomas von Aquin1 Tobias DAVIDS (Dsseldorf / Kln)

Quid est veritas? – Mit dieser Frage beginnt Thomas von Aquin den ersten Artikel derQuaestioI seinerQuaestiones disputatae de veritate. Er entwickelt als Antwort auf diese Frage eine subtile und perspektivenreiche Wahrheitskonzeption, deren Leitgedanken der scholastischedoctor angelicus durch die knappe Formelveritas est adaequatio rei et intellectuszusammenfasst.

Oft wird Thomas’ Wahrheitskonzeption, die in der Forschung als Adquations- theorie der Wahrheit2bezeichnet wird, als klassische Reprsentantin oder paradig- matische Formulierung der blicherweise auf Aristoteles zurckgefhrten korres- pondenztheoretischen Wahrheitsauffassung verstanden bzw. mit der sogenannten Korrespondenztheorie der Wahrheit identifiziert. Eine solche Identifizierung, die prima facieplausibel erscheinen mag, soll hier kritisiert werden. Dazu werden zu- nchst die zentralen Merkmale der Korrespondenz- und der Adquationstheorie der Wahrheit herausgearbeitet (I, II). Darauf folgt eine Analyse des adquationstheo- retischen Kernbegriffsadaequatio(III). Abschließend wird dann die Frage nach dem nheren Zusammenhang bzw. Verhltnis der Korrespondenz- und der Adquations- theorie der Wahrheit behandelt (IV).

I

Der Grundgedanke der Korrespondenztheorie der Wahrheit3 wird von Albert Menne in dem folgenden Satz zusammengefasst:

1 Ich danke Prof. Dr. Christoph Kann (Dsseldorf) und Prof. Dr. Dr. h. c. Andreas Speer (Kln) fr ihre Durchsicht einer frheren Version des Manuskriptes und fr wertvolle Hinweise und Verbesserungsvor- schlge. Einen besonderen Dank schulde ich Prof. Dr. Carlos Steel (Leuven), der mir durch ein intensives Gesprch ber die Wahrheitstheorie des Thomas von Aquin neue und die Ergebnisse dieses Aufsatzes weiterfhrende Impulse geben konnte.

2 Innerhalb der philosophischen Forschung wird die Verwendung des Begriffs ‚Theorie‘ als Wortbestand- teil klassischer Wahrheitsbestimmungen intensiv errtert. Dies machen etwa die Arbeiten von Franzen (1982), 20 ff. und Puntel (31993), 1 ff. deutlich.

3 Der Begriff ‚Korrespondenztheorie‘ ist erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprgt worden. Weite Ver- breitung fand der Begriff v. a. im englischsprachigen Raum – dank B. Russell, der die Verwendung der griffigen Formulierung ‚correspondence theory of truth‘ frderte; vgl. dazu Prior (1967), 226 ff.

(2)

‚Wahr‘ heißt eine Aussage genau dann, wenn sie mit dem intendierten Sachverhalt ber- einstimmt.4

Schon dieser Satz lsst deutlich werden, dass die Korrespondenztheorie alsrela- tionales Wahrheitsmodell charakterisiert werden muss. Was bei dem relationalen, korrespondenztheoretischen Wahrheitsmodell in Relation gesetzt wird, sind Aus- sage und Sachverhalt – die beiden Bezugsgrßen oder Relationsglieder (Relate) der Korrespondenzbeziehung. Stimmen Aussage und Sachverhalt berein, wird die Aussage wahr genannt – wie wir es bei Menne lesen knnen.

Die Relationalitt der Korrespondenztheorie kann auch an dem zentralen Begriff

‚Korrespondenz‘ (‚bereinstimmung‘) festgemacht werden, denn der Korrespon- denz- bzw. bereinstimmungsbegriff zeigt eine zweistellige Relation an. Das bedeu- tet erstens, dass die Begriffe ‚Korrespondenz‘ und ‚bereinstimmung‘ als zweistel- lige Prdikate bestimmt werden knnen, und zweitens, dass von ‚Korrespondenz‘

oder ‚bereinstimmung‘ nur im Hinblick auf zwei Relationsglieder gesprochen wer- den kann. Der Korrespondenz- bzw. bereinstimmungsbegriff als zweistelliges Pr- dikat hat somit die Grundstruktur ‚x korrespondiert mit y‘ bzw. ‚x stimmt mit y berein‘.

Auch bei Peter F. Strawson wird der relationale Charakter des Korrespondenz- begriffs deutlich. Ein wesentlicher Vorteil des Begriffs ‚Korrespondenz‘ liege nm- lich darin, dass „er klar herausstellt, daß Urteil und berzeugung der natrlichen Welt oder Wirklichkeit gegenberstehen“5. Diese Formulierung Strawsons bringt die Relationalitt des Korrespondenzbegriffs prgnant zum Ausdruck: Der Begriff

‚Korrespondenz‘ verweist auf die Relation zwischen Reprsentanten zweier von ei- nander unterschiedener Seinsbereiche – Urteil/berzeugung auf der einen und Welt/Wirklichkeit auf der anderen Seite.

Mit dieser Differenzierung verschiedener Seinsbereiche macht die Korrespon- denztheorie interessante ontologische und epistemologische Voraussetzungen. In der Forschung ist lngst darauf hingewiesen worden, dass sich diese Voraussetzun- gen in den unterschiedlichen Bezeichnungen fr die korrespondenztheoretischen Relate manifestieren.6Als Beispiele fr die verschiedenen Bezeichnungen werden oft folgende Begriffe angefhrt: Aussage – Sachverhalt, Denken – Sein, Sprache – Welt, Erkenntnis – Wirklichkeit, Urteil – Ding, usw.7 Auch das die Relate Verbin- dende, d. h. die Korrespondenz- bzw. bereinstimmungsrelation selbst, wird mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnet. Lourencino B. Puntel etwa nennt: „ber- einstimmung, Entsprechung, Angleichung, Adquation, Konformitt, bereinkunft u. .“8. Diese Aufzhlung Puntels ist allerdings ungenau, vernachlssigt sie doch den besonderen Bedeutungsgehalt des Adquationsbegriffs, auf den ich noch zu- rckkommen werde.

An dieser Stelle ist vor allem wichtig zu betonen, dass der Begriff ‚Korrespon-

4 Menne (1974), 64.

5 Strawson (1994), 73.

6 Vgl. Puntel (31993), 28 und Kann (1999), 211.

7 Vgl. Kann (1998), 21.

8 Puntel (31993), 28.

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denz‘ bzw. der mittellateinische Herkunftsbegriff correspondentia eindeutig auf einenZustandverweist.9Bercksichtigt man weiter, dass der Korrespondenzbegriff eine Relation anzeigt, so kann er daher als „statischer Relationsbegriff“10bestimmt werden.

Das ‚Ursprungsmodell‘ der Korrespondenztheorie der Wahrheit wird blicherwei- se bei Aristoteles gesehen.11Eine Formulierung aus seinerMetaphysikwurde in der latinisierten Fassung zur entscheidenden Referenzstelle fr die scholastischen Phi- losophen:„Dicere namque ens non esse aut non ens esse falsum est, et ens esse et non ens non esse verum est“ (IV 7, 1011b 26–27). Diese Aussage ist mit Vorsicht zu genießen, da sie subtile interpretatorische Probleme mit sich bringt.12 Aber trotz der Interpretationsprobleme ist in Aristoteles’ Formulierung wohl der Grund dafr zu suchen, warum Wahrheit im Rahmen der korrespondenztheoretischen Wahr- heitskonzeption seit zweieinhalbtausend Jahren Philosophiegeschichte als berein- stimmung von sprachlichen und ontologischen Grßen, von Aussagen und Sach- verhalten/Seienden angesehen wurde und die Korrespondenztheorie deshalb als propositionalesWahrheitsmodell bestimmt werden kann. Als propositionales Wahr- heitsmodell sieht die Korrespondenztheorie Wahrheit unmittelbar in der Aussage verwirklicht. Die Aussage erhlt damit eine exponierte Stellung innerhalb der kor- respondenztheoretischen Relation und wird als einzig legitimer Wahrheitstrger verstanden, d. h. als Instanz, von der allein in sinnvoller Weise ‚Wahres‘ ausgesagt werden kann. Diesen Sachverhalt mchte ich als diestarke(oderessentielle) Pro- positionalitt der Korrespondenztheorie bezeichnen, die mit der schwachen(oder akzidentellen) Propositionalitt der Adquationstheorie des Thomas von Aquin deutlich kontrastiert – wie der folgende Abschnitt zeigen wird.

Fassen wir das bisher Gesagte zusammen. Den Kern der fr gewhnlich auf Aris- toteles zurckgefhrten Korrespondenztheorie der Wahrheit machen drei grund- legende Merkmale aus: die Relationalitt (1), der zustandsbezogene Zentralbegriff

‚Korrespondenz‘ (2) und die (starke) Propositionalitt (3).

II

Thomas von Aquin gilt als derjenige, der die schlechthin ‚klassische‘ Konzeption der Adquationstheorie der Wahrheit entwickelt hat.„Veritas est adaequatio rei et intellectus“, schreibt Thomas und greift damit eine von ihm selbst auf Isaac Israeli

9 Vgl. Lehmann / Stroux (1999), 1923, wo frcorrespondentiadie Zustandsbezeichnung ‚Entsprechung‘

angegeben wird.

10 Kann (1999), 219.

11 Vgl. Andersson (1989), 369.

12 Problematisch ist z. B., ob mit dem Begriffspaarens/non ens‚Seiendes‘ resp. ‚Nicht-Seiendes‘ (1) oder

‚Sachverhalte‘ (2) gemeint sind. Gemß (1) bersetzen Bonitz und Seidl: „Zu sagen nmlich, das Seiende sei nicht oder das Nicht-Seiende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende sei und das Nicht-Seiende sei nicht, ist wahr.“ (Bonitz / Seidl (21982), 171) Tugendhat bersetzt gemß (2): „Denn zu sagen, daß, was der Fall ist, nicht der Fall ist, oder daß, was nicht der Fall ist, der Fall ist, ist falsch; daß aber das, was der Fall ist, der Fall ist und daß, was nicht der Fall ist, nicht der Fall ist, wahr.“ (Tugendhat (1976), 249)

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zurckgefhrte Formulierung auf,13die den wesentlichen Gehalt der Adquations- theorie in einem griffigen Kernsatz zusammenfasst.

Im Zentrum der Adquationstheorie der Wahrheit steht der Begriffadaequatio (‚Angleichung‘). Eine eingehende Analyse dieses Begriffs wird Gegenstand des nchsten Abschnitts sein. An dieser Stelle soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass auch der Begriffadaequatioein zweistelliges Prdikat ist, dessen semantische Grundstruktur sich durch die Formel ‚x gleicht sich y an‘ benennen lsst.14 Dies ist ein Beleg dafr, dass auch die Wahrheitskonzeption des Thomas als relationales Wahrheitsmodell bestimmt werden kann. In diesem Abschnitt meiner Unter- suchung wird sich daran anknpfend zeigen, dass die Relationalitt der Adqua- tionstheorie auch anhand einer Analyse einer Textpassage aus der Summa theo- logiaenachgewiesen werden kann.

Als wichtige Grundlage fr die Entwicklung seines Wahrheitskonzepts dienen Thomas in denQuaestiones disputatae de veritate15und in derSumma theologiae16 zwei wahrheitstheoretische Klassifikationsmodelle, die verschiedene in der philoso- phischen Tradition formulierte Wahrheitsdefinitionen in systematischer Weise zu ordnen versuchen. In der Forschung ist dem Klassifikationsmodell ausDe veritate stets ein besonderes Interesse zuteil geworden. So verwendet z. B. Arno Hoven das von Thomas inDe veritateausgearbeitete Klassifikationsmodell als zentrale Grund- lage fr eine Typisierung von Wahrheitstheorien aus moderner Sicht,17und Chris- toph Kann hat in einer genauen Untersuchung des De veritate-Modells heraus- gestellt, dass Thomas die Wahrheitsbestimmungen des Anselm von Canterbury18 und des Aristoteles19 sowie die Definition‚veritas est adaequatio rei et intellectus‘

als relationale Wahrheitsbestimmungen ausweist.20

DasDe veritate-Modell hat also sowohl in systematisch evaluierender als auch in historisch analysierender Hinsicht Beachtung gefunden. Demgegenber ist das von Thomas in derSumma theologiaeentwickelte Klassifikationsmodell in der bisheri- gen Forschung deutlich vernachlssigt worden. Ich mchte aus diesem Grunde im Folgenden der Frage nachgehen, welchen Beitrag eine Analyse desSumma theo- logiae-Modells fr eine Charakterisierung der Adquationstheorie der Wahrheit leisten kann. InSumma theologiaeI, 16, 1 teilt Thomas fnf unterschiedliche Wahr- heitsbestimmungen in zwei verschiedene Gruppen ein. Dabei setzt er in die erste Gruppe zwei und in die zweite Gruppe drei der angefhrten Definitionen. Als Schlssel fr diese Gruppeneinteilung dient Thomas der Gedanke, dass Wahrheit ursprnglich (principaliter)im Verstand und erst in zweiter Linie (secundario)in den Dingen sei. Der Klassifikationsschlssel, den Thomas anwendet, fragt also nach

13 Vgl.De veritate1, 1 c.;Summa theologiaeI, 16, 2 arg. 2.

14 Vgl. Perler (1992), 355.

15 Vgl.De veritate1, 1 c.

16 Vgl.Summa theologiaeI, 16, 1 c.

17 Vgl. Hoven (1989), 16 ff.

18 „Veritas est rectitudo sola mente perceptibilis.“ (vgl.De veritate1, 1 c.)

19 „Dicere namque ens non esse aut non ens esse falsum est, et ens esse et non ens non esse verum est.“

(MetaphysicaIV 7, 1011b 26–27.)

20 Kann (1999), 213 f.

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dem vorrangigen Ort der Wahrheit, dem primrenlocus veritatis. Dementsprechend (secundum hoc)werde Wahrheit auf verschiedene Weise(diversimode)aufgefasst.

Die erste von Thomas aufgefhrte Gruppe beinhaltet nun jene Wahrheitsbestim- mungen, die Wahrheit gemß ihrer Verortung imVerstand (secundum quod est in intellectu)definieren. Thomas fhrt hier in exemplarischer Weise zwei Wahrheits- bestimmungen an: erstens eine Definition des Augustinus, wonach Wahrheit als das aufgefasst wird, worin sich das offenbart, was ist(veritas est qua ostenditur id quod est); und zweitens die auf Hilarius von Poitiers zurckgefhrte Definition „Das Wahre ist Erklrung und Offenbarung des Seins“(verum est declarativum aut mani- festativum esse). Die zweite Gruppe von Wahrheitsbestimmungen weist demgegen- ber jene Definitionen auf, fr die die Wahrheit des Dinges (veritas rei)in seiner Hinordnung zum Verstand (secundum ordinem ad intellectum) zentral ist. Diese Gruppe von Wahrheitsbestimmungen sieht also das Ding (res) als locus veritatis an. In diese Gruppe setzt Thomas erstens die augustinische Bestimmung der Wahr- heit als einer festen hnlichkeit(firma similitudo)mit dem Urgrund(principium) ohne jede Unhnlichkeit(sine ulla dissimilitudine), zweitens die Wahrheitsdefiniti- on des Anselm von Canterbury, nach der die Wahrheit die nur dem Geist erfassbare (sola mente perceptibilis)Richtigkeit(rectitudo)sei, und drittens Avicennas Wahr- heitsbestimmung, die davon ausgeht, dass die Wahrheit eines Dinges als seine ihm unabnderlich zukommende Eigentmlichkeit(proprietas sui esse quod stabilitum est ei) verstanden werden msse. Nach der Vorstellung der beiden Gruppen be- schließt Thomas sein Klassifikationsmodell mit der interessanten Bemerkung, dass die Formelveritas est adaequatio rei et intellectus– und damit die Wahrheitsbestim- mung, die Thomas selber prferiert –beidenGruppen zugehren knne.21

Aus dem hier dargestellten Klassifikationsmodell knnen mit Blick auf eine Cha- rakterisierung der Adquationstheorie der Wahrheit des Thomas von Aquin meiner Ansicht nach folgende Schlsse gezogen werden: Thomas will offensichtlich de- monstrieren, dass seine Adquationskonzeption den maßgeblichen Wahrheits- bestimmungen der philosophischen Tradition nicht radikal widerspricht, sondern dass er mit seinem Wahrheitsmodell zwischen den tradierten Wahrheitsbestimmun- gen zu vermitteln und die verschiedenen Anstze in sein Konzept zu integrieren versucht. Dieadaequatio-Bestimmung kann nmlich offenbar deshalbbeidenKlas- sifikationsgruppen angehren, weil sie sowohl dieverstandesbezogeneWahrheits- auffassung der Wahrheitsbestimmungen der ersten Gruppe als auch dasdingbezo- gene Wahrheitsverstndnis der Definitionen der zweiten Gruppe als wichtige Teilaspekte eines gewissermaßen abgerundeten Verstndnisses von Wahrheit auf- greift und Wahrheit erst in der Verbindung beider Teilaspekte, d. h. in derRelation zwischen Seiendem und Erkenntnis selbst, verwirklicht sieht. Somit folgt diewahr- heitstheoretische Relationalittder Adquationskonzeption nicht nur aus dem zen- tralen Begriff adaequatio, sondern auch aus der Analyse des von Thomas in der Summa theologiaeentwickelten Klassifikationsmodells.

Der Beitrag, den eine Analyse desSumma-Modells fr eine Charakterisierung der

21 „Quod autem dicitur quod veritas est adaequatio rei et intellectus, potest ad utrumque pertinere.“ (Sum- ma theologiaeI, 16, 1 c.)

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Adquationstheorie leisten kann, lsst sich also auf zwei Punkte bringen: Zum einen wird der relationale Charakter der Adquationstheorie besonders deutlich, und zum anderen lsst sich die hohe wahrheitstheoretische Integrationskraftund Vermittlungsqualitt von Thomas’ Wahrheitsmodell erkennen. Diese integrative Kraft und vermittelnde Qualitt der Adquationstheorie muss zusammengesehen werden mit Thomas’ Intention, eine umfassende Antwort auf die Frage zu geben, welche Instanzen berhaupt als wahrheitstragend definiert werden knnen, bzw.

von welchen Entitten in sinnvoller Weise das Prdikat ‚wahr‘ ausgesagt werden knne. Auf der Suche nach Thomas’ Antwort auf diese Frage scheint der dritte Artikel vonDe veritateinteressant.22

Dort schreibt Thomas, dass ‚wahr‘ in erster Linie vom Zusammensetzen oder Trennen des Verstandes (compositio vel divisio intellectus), in zweiter Linie von den Definitionen der Dinge (diffinitiones rerum), in dritter Linie von den Dingen (res)und in vierter Linie vom Menschen(homo)ausgesagt werden knne. Darber hinaus formuliert Thomas, dass „von sprachlichen Ausdrcken […] Wahrheit in der- selben Weise ausgesagt [wird] wie von den Erkenntnissen, welche durch sie bezeich- net werden“23. Aber die wohl wichtigste Wahrheitsinstanz ist der gttliche Verstand – derintellectus divinus. Von ihm hngen alle brigen Wahrheitstrger ab. Er muss als der eigentliche Wahrheitsgrund angesehen werden.24Er ist gleichsam die Kardi- nalinstanz der Wahrheit. Mehr noch: Gott selbstistWahrheit.25An dieser Stelle wird besonders deutlich, dass sich die Integrationskraft der Adquationstheorie der Wahrheit auch auf theologisch-metaphysische berlegungen bezieht.26

Vor diesem Hintergrund kann eine Antwort auf die Frage zu geben versucht werden, inwiefern Thomas’ Adquationstheorie das fr die Korrespondenztheorie bereits hervorgehobene zentrale Charakteristikum der Propositionalitt aufgreift.

Thomas’ Katalog von Wahrheitsinstanzen beinhaltet nmlich auch – wie oben er- whnt – „sprachliche Ausdrcke“ (voces) und die ihnen zugrundeliegenden „Er- kenntnisse“(intellectus). Man kann daher sagen, dass die Adquationstheorie des Aquinaten insofern propositionale Aspekte aufweist, als sie „mentalsprachliche Ur- teile“ und ihre „lautsprachlichen Bezeichnungen“27 als gleichermaßenwahrheits- tragend definiert.

Es scheint mithin klar, dass die Adquationstheorie des Thomas von Aquin pro- positionale Zge aufweist. Diese unterscheiden sich allerdings von der Propositio- nalitt der anfangs vorgestellten Korrespondenztheorie ganz entscheidend da-

22 Vgl.De veritate1, 3 c.

23 „Voces autem eodem modo recipiunt veritatis praedicationem sicut intellectus quos significant.“ (De veritate1, 3 c.) Die deutschen bersetzungen der hier angegebenenDe veritate-Stellen sind derDe veritate- Ausgabe von Zimmermann (1986) entnommen. Kleinere nderungen des Verfassers werden nicht eigens angegeben.

24 Vgl. Aertsen (1984), 19.

25 Zum historischen Hintergrund dieses Motivs vgl. Beierwaltes (1980), 15–29.

26 Eine interessante Skizze der theologisch-metaphysischen Bezge der Adquationstheorie des Thomas geben etwa Milbank / Pickstock (2001). Ihre Untersuchung will zeigen, dass Thomas’ Wahrheitstheorie ebenso theologisch wie philosophisch ist („as theological as it is philosophical“, 4) und dass sie „entirely [depends] upon the metaphysical notion of participation in the divine Being“ (ebd.).

27 Kann (1999), 215.

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durch, dass fr die korrespondenztheoretische Konzeption die Propositionalitt – neben der Relationalitt und dem zustandsbezogenen Kernbegriff – das zentrale Charakteristikum ist, wohingegen die Propositionalitt innerhalb der thomasischen Adquationstheorie nur als ein Periphermerkmal angesehen werden kann: geht die Korrespondenztheorie im Kern davon aus, dass ausschließlich die Aussage als Wahrheitstrger anzusehen ist, so durchbricht Thomas’ Adquationstheorie diese korrespondenztheoretische Konzentration auf nur eine Wahrheitsinstanz, indem sie eine Pluralitt von wahrheitstragenden Grßen vorschlgt. Diese unterschiedli- che Gewichtung der propositionalen Wahrheitsinstanz lsst es m. E. als plausibel erscheinen, von einer starken bzw. essentiellen Propositionalitt der Korrespon- denztheorie der Wahrheit und einerschwachenbzw.akzidentellenPropositionalitt der Adquationstheorie der Wahrheit zu sprechen. Die Propositionalittskonzepte der beiden Wahrheitsmodelle stehen also – wie eingangs bereits angedeutet – in einem deutlichen Kontrastverhltnis.

Bei der Typisierung der Adquationstheorie des Thomas ist ferner wichtig, die epistemische Dynamik und Prozesshaftigkeit dieser Wahrheitskonzeption hervor- zuheben. Im dritten Artikel vonDe veritategreift Thomas affirmativ dieadaequa- tio-Formel des Isaak auf und betont, dass eine Angleichung(adaequatio) nur bei Entitten stattfinden knne, die zuvor verschieden gewesen seien.28 Der Verstand (intellectus)knne sich einem Ding(res)nur dann angleichen(adaequantur), wenn er zuvor seine Verschiedenheit gegenber dem Ding konstituiert habe, und zwar durch Schaffung von etwas ihm eigenen(aliquid proprium). Dieses Proprium des Verstandes sei das Urteil(iudicium), das nicht im Ding außerhalb(extra in re)ge- funden werden knne. Dieses Urteil generiere der zusammensetzende und trennen- de Verstand(intellectus componens et dividens)und es sei somit als Resultat eines intellektuellen Aktes(actus/operatio intellectus)zu verstehen.

Ferner hebt Thomas im zehnten Artikel von De veritate hervor, dass die Seele (anima), insofern sie ber Dinge urteile(de rebus iudicat), nichts von den Dingen erleide(non patitur a rebus), sondern vielmehr in bestimmter Weise ttig sei(magis quodam modo agit).29Diese berlegungen des Thomas fhren uns in aller Deutlich- keit die Prozesshaftigkeit und Dynamik der thomasischen Wahrheitstheorie vor Au- gen und verdeutlichen zudem, dass der Aquinate die Seele(anima)gleichsam als

‚agierende Potenz‘ auffasst, ohne die das Urteil (iudicium) nicht gebildet werden knnte. Die Adquationstheorie der Wahrheit des Thomas von Aquin kann somit als ein prozesshaft-dynamisches Wahrheitsmodell typisiert werden.

III

In der Forschung ist gelegentlich die Auffassung vertreten worden, dass sich die Prozesshaftigkeit und Dynamik des Adquationsmodells des Thomas auch und in besonderer Weise in dem adquationstheoretischen Kernbegriffadaequatio(Anglei-

28 Vgl. dazu und zum Folgenden:De veritate1, 3 c.

29 Vgl. dazu:De veritate1, 10 c.

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chung) manifestieren. 1966 arbeitet Robert W. Schmidt als einer der ersten die pro- zesshafte Bedeutung des von Thomas verwendeten adaequatio-Begriffs heraus.30 Auch Jan A. Aertsen macht deutlich, dass die von Thomas entwickelte Wahrheits- konzeption die Aktivitt des menschlichen Intellekts impliziere – „Realization of truth demands human activity“, schreibt Aertsen –, und betont, dass der Begriff adaequatio diese Aktivitt insofern konnotiere, als er den „process of equating“

bezeichne.31 Gudrun Schulz hebt in hnlicher Weise den dynamischen Charakter deradaequatiohervor und verwendet zur Explikation desadaequatio-Begriffs Ter- mini wie „Prozess“ und „aktiver Vollzug“.32 Ferner bestimmt Christoph Kann den Begriffadaequatioals „dynamischen Relationsbegriff“,33 der als solcher auf einen Prozess (gemeint ist der Prozess der Angleichung zwischenintellectusundres) Be- zug nehme. Der fr Thomas’ Wahrheitsmodell zentrale Terminusadaequatioknne daher als Prozessbegriff verstanden werden.34Daran anknpfend weist auch Domi- nik Perler darauf hin, dass die berhmte Formelveritas est adaequatio rei et intel- lectus eine dynamische Relation anzeige und dass der Intellekt sich durch einen sukzessiven epistemischen Prozess dem zu erkennenden Objekt angleiche.35

Allerdings muss an dieser Stelle erwhnt werden, dass Thomas in De veritate nicht nur adaequatioals Beschreibung fr Wahrheit verwendet, sondern daneben auch die Begriffeconformitas (Gleichfrmigkeit),aequalitas(Gleichheit) undcon- cordia (Zusammenstimmung). Diese Begriffe referieren jedoch eindeutig auf Zu- stnde und zeigen mithin wohl keine epistemische Prozesshaftigkeit oder Dynamik an.36 Darber hinaus muss gesagt werden, dass Thomas in De veritate adaequatio oft unvermittelt – also ohne nhere Klrung oder gar Abgrenzung – neben die gerade angefhrten Zustandsbegriffe stellt, und es somit fraglich ist, ob er selbst tatschlich unter dem Begriff adaequatioeine Prozessbezeichnung versteht. Eine berprfung der oben skizzierten Forschungsergebnisse zum thomasischenadae- quatio-Begriff erscheint daher erforderlich. Werfen wir dazu einen genauen Blick auf einige zentrale Stellen vonDe veritate.

Gleich im ersten Artikel formuliert Thomas die beiden folgenden Stze:

(1) Das erste Verhltnis des Seienden zum Verstand besteht also darin, daß Seiendes und Verstand zusammenstimmen, welche Zusammenstimmung (concordia)Angleichung(adae- quatio)des Verstandes und des Dinges genannt wird, und darin vollendet sich der Sinngehalt von ‚Wahres‘.37

30 Vgl. Schmidt (1966), 216 ff.

31 Aertsen (1984), 15; vgl. 14: „Aequatioindicates a movement; the term connotes a process which has arrived at its perfection.“

32 Schulz (1993), 47 und 98.

33 Kann (1999), 219.

34 Vgl. ebd.

35 Perler (2002), 101, Anm. 137.

36 Vgl. Lehmann / Stroux (1999), wo frconformitas(1362) undconcordia(1200) ausschließlich Zu- standsbezeichnungen angegeben werden. Vgl. ferner Georges (1969), wo auch der Begriffaequalitas(185) nur mit Zustandsbegriffen bersetzt wird.

37 „Prima ergo comparatio entis ad intellectum est ut ens intellectui concordet, quae quidem concordia adaequatio dicitur, et in hoc formaliter ratio veri perficitur.“ (De veritate1, 1 c.)

(9)

(2) Dies also ist es, was ‚Wahres‘ zu ‚Seiendes‘ hinzufgt: die Gleichfrmigkeit (confor- mitas)oder Angleichung(adaequatio)eines Dinges und des Verstandes.38

Diese beiden Stze legen die Deutung nahe, dass Thomas im Begriffadaequatio– anders als Schmidt, Aertsen, Schulz, Kann und Perler vorschlagen –keineProzess- bezeichnung sieht, setzt er doch adaequatio unvermittelt neben die Zustands- bezeichnungenconformitasundconcordia.

Hinzu kommt, dass Thomas im sechsten Artikel nicht die Termini veritas und adaequatioin eine direkte (gnoseologische) Beziehung setzt – wie etwa in der an verschiedenen Stellen vonDe veritateaffirmativ aufgegriffenen Formelveritas est adaequatio rei et intellectus–, sondern dass er den Terminus veritasmit dem Zu- standsbegriff aequalitasverbindet – und zwar ohne nhere Explikation.39 Ferner setzt Thomas im dritten Artikel den Begriff adaequatiound die Zustandsbezeich- nungaequalitasregelrecht gleich.40

Diese Text-Beispiele lassen vermuten, dass Thomas imadaequatio-Begriff wohl keine von den brigen (zustandsbezogenen) Termini abweichende (prozesshafte) Bedeutung enthalten sieht – verwendet er ihn doch offenbar als ein terminologi- sches quivalent zu den auf Zustnde referierenden Begriffenconformitas,concor- diaundaequalitas. Man knnte daher sagen, dass Thomas die angefhrten Begriffe gewissermaßen als beliebig austauschbare sprachliche Grßen versteht – als Syno- nyme. Diese Interpretation stnde in einem deutlichen Kontrast zu den oben vor- gestellten Forschungspositionen.

An dieser Stelle muss allerdings eine notwendige Przisierung vorgenommen werden: Es fllt auf, dass Thomas bei der Bearbeitung bestimmter wahrheitstheo- retischer Zusammenhnge im Hinblick auf denintellectus divinusanscheinend be- wusst die Verwendung des Begriffs adaequatiovermeidet und der expliziten und ausschließlichen Verwendung des Begriffs aequalitaseine große Rolle zugesteht.

Dies wird vor allem am siebten Artikel vonDe veritatedeutlich. In diesem Artikel, der von den philosophischen Interpreten zu Unrecht hufig bergangen wird, stellt Thomas die Frage, ob „Wahrheit in Gott in bezug auf die Wesenheit oder in bezug auf die Personen ausgesagt“41wird. Dieser Artikel, dessen theologische Implikatio- nen vor allem die Trinittslehre betreffen, ermglicht einen interessanten Blick auf das fr unseren Untersuchungskontext wichtige Verhltnis von Prozess, Zustand und Wahrheit.

Thomas macht hier deutlich, dass der gttliche Verstand(intellectus divinus)und die gttliche Wesenheit(essentia divina)– also die verstehende Potenz Gottes und sein genuiner Erkenntnisgegenstand – nicht aneinander angeglichen wrden(non

38 „Hoc est ergo quod addit verum super ens, scilicet conformitatem sive adaequationem rei et intellectus.“

(De veritate1, 1 c.)

39 „[…] necesse est inaequalitatem provenire, quae se habet ad falsitatem sicut aequalitas ad veritatem.“

(De veritate1, 6 c.)

40 „Veri enim ratio consistit in adaequatione rei et intellectus; idem autem non adaequantur sibi ipsi sed aequalitas diversorum est.“ (De veritate1, 3 c.) Im sechsten Artikel findet sich eine hnliche Stelle: „Cum enim ‚veritas sit adaequatio rei et intellectus‘, ab aequalibus autem si aequalia tollantur adhuc aequalia remanent quamvis non eadem aequalitate.“ (De veritate1, 6 c.)

41 „Septimo quaeritur utrum veritas in divinis dicatur essentialiter vel personaliter.“ (De veritate1, 7)

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adaequantur ad invicem), denn beide Entitten, die seit je her eine und dieselbe(una et eadem)Grße seien, verharrten in einem Zustand der Identitt(intelligens et res intellecta est idem). Man knne somit weder den gttlichen Verstand noch das gtt- liche Wesen als Ursprung(principium)des jeweils anderen ansehen und drfe das Verhltnis zwischen intellectus divinusund essentia divinadaher nicht so fassen wie das zwischen Maß(mensurans)und Gemessenem (mensuratum). Wahrheit in Gott (veritas in Deo) bedeute folglich ursprnglich (principaliter) die Gleichheit (aequalitas)des gttlichen Wesens und des gttlichen Verstandes.42Dies zeigt: So- fern es sich um dieveritas in Deohandelt, bergeht Thomas den Begriffadaequatio und spricht ausdrcklich von deraequalitasderessentia divinaund desintellectus divinus.

Es liegt mithin ein verblffender Befund vor, ein Befund, der fr die Bewertung der Interpretationen von Schmidt, Aertsen, Schulz, Kann und Perler eine wichtige, ja vielleicht die zentrale Rolle spielt: Untersucht man Thomas’ Ausfhrungen in Hinblick auf bestimmte wahrheitstheoretische Zusammenhnge mit Bezug auf den intellectus humanus, gewinnt man den Eindruck, dass Thomas die Begriffeadae- quatio,aequalitas,concordiaundconformitasals Synonyme begreift. Werden aber Thomas’ berlegungen im Hinblick auf die Beziehung des intellectus divinuszur essentia divina untersucht, dann fllt zum einen auf, dass Thomas erkennbar nur durch die Verwendung eines statischen Begriffs wie aequalitasden Zustand der Identitt von Intellekt und Wesen Gottes auszudrcken vermag. Zum anderen er- kennt man, dass dem Aquinaten die Verwendung des Begriffsadaequatioin diesem Zusammenhang offenbar nicht mglich erscheint, da er das Verbadaequanturso- gar negiert43 – und dies offensichtlich deshalb, weil er bei der wahrheitstheoreti- schen Verhltnisbestimmung von gttlichem Intellekt und gttlichem Wesen Wahr- heit undProzessdeutlich voneinander trennen will; dennveritas in Deoheißt nicht adaequatio, sondernaequalitas in Deo. Dieser Zusammenhang ist im Kontext von De veritate– soweit ich sehe – der Kardinal-Beleg fr die These von einemprozess- haften adaequatio-Begriff – womit die oben skizzierten Forschungsergebnisse als affirmativ berprft gelten knnen.44

Aber warum, so muss doch gefragt werden, nennt Thomas inDe veritatean ei- nigen Stellen, wo es um die Bearbeitung wahrheitstheoretischer Probleme mit Be- zug auf den intellectus humanusgeht, den Begriffadaequatiogewissermaßen im gleichen Atemzug mit aequalitas (und den anderen angefhrten Zustnde kon- notierenden Begriffenconformitasundconcordia)?

42 Dieser Argumentationsgang findet sich imcorpus articulivonDe veritate1, 7.

43 „Intellectus autem divinus et essentia divina non adaequantur ad invicem sicut mensurans et mensura- tum […].“ (De veritate1, 6 c.)

44 Die Interpretation des Begriffsadaequatioals prozesshaft kann auch durch einen Blick auf zwei andere Schriften des Aquinaten plausibilisiert werden, denn zum einen hebt Thomas in seinerResponsio ad ma- gistrum Ioannemdeutlicher als inDe veritatehervor, dass nicht der Begriffaequalitas, sondern der Begriff adaequatioeine Bewegung(motus)anzeige (vgl.Responsio, q. 44, 286: „Quantum ad hoc tamen non videtur bene dictum quod equale quandoque importat motum ad equalitatem: huiusmodi enim motum non significat equale sive equalitas sed adequatio.“) und zum anderen bestimmt er in seinem Sentenzen- kommentaradaequatiodurch einen Verstandesakt(operatio intellectus)(vgl.In Sent. I, 19, 5, 1: „[…] in ipsa operatione intellectus […] completur relatio adaequationis, in qua consistit ratio veritatis.“).

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Man knnte als Antwort auf diese Frage von einem quivoken oder homonymen adaequatio-Begriff sprechen; in Anbetracht der obigen Ausfhrungen wird jedoch rasch ersichtlich, dass diese quivokation desadaequatio-Begriffs mit einer klaren Bedeutungshierarchieverbunden ist: Die zentrale und primre Bedeutung bzw. Ver- wendungsweise des Begriffsadaequatiobesteht fr Thomas, wie die obigen Text- beispiele und die lexikalisch verbrgte Bedeutung zeigen, in der Bezeichnung einer wahrheitstheoretischen bzw. epistemischen Angleichungsdynamik; peripher und sekundr verwendet Thomas den Adquationsbegriff als semantisches quivalent zu den Zustandsbegriffen concordia, convenientia, conformitas undaequalitas – wie an den aus dem ersten, dritten und sechsten Artikel von De veritatezitierten Stzen festgemacht werden kann.

Um terminologische Unschrfen zu vermeiden, muss Thomas allerdings anden Stellen, wo eineeindeutigeBeschreibung fr den Zustand der Gleichheit eingesetzt werden muss – nmlich bei der Verhltnisbestimmung von gttlichem Wesen und gttlichem Intellekt – den Begriff aequalitasverwenden, der eindeutig auf einen Zustand verweist.

IV

Lsst man die in den Abschnitten II und III dieser Untersuchung erzielten Ergeb- nisse Revue passieren, dann scheinen fnf Charakteristika der von Thomas von Aquin formulierten Adquationstheorie der Wahrheit von zentraler Bedeutung zu sein: die wahrheitstheoretische Relationalitt (1), die integrative Kraft und vermit- telnde Qualitt (2), die akzidentelle Propositionalitt (3), die epistemische Dynamik bzw. Prozesshaftigkeit (4) und der dynamische Relationsbegriffadaequatio(5). Mit Blick auf die beiden letzten adquationstheoretischen Merkmale ergeben sich noch weitere Gesichtspunkte.

Dominik Perler hat in seiner umfassenden Studie zum propositionalen Wahr- heitsbegriff im 14. Jahrhundert herausgearbeitet, dass Wilhelm von Ockham und seine Nachfolger mit Blick auf die Lsung des Wahrheitsproblems „adquations- theoretische und teilweise auch theologische Anstze verwerfen und primr einen sprachphilosophischenAnsatz whlen“45. Man knne, so Perler, diesen Ansatz als den „sptmittelalterlichenlinguistic turnin der Wahrheitsdiskussion“46bezeichnen.

Mit diesemlinguistic turnhtten die Philosophen des 14. Jahrhunderts ihren inno- vativen Beitrag in der Geschichte des Wahrheitsproblems geleistet. Von dieser per- spektivenreichen Interpretation angeregt47, lsst sich meiner Ansicht nach folgende Antwort auf die Frage nach dem innovativen Beitrag des Wahrheitsmodells des Thomas von Aquin formulieren: Wie der innovative Beitrag von Ockham und sei-

45 Perler (1992), 358.

46 Ebd.

47 Perler hat in einer spteren Arbeit die pointierte Schrfe seiner Evaluation des innovativen Beitrags der Wahrheitsdiskussionen der sptmittelalterlichen Philosophen relativiert. Vgl. dazu Perler (2004). Dies n- dert aber, so meine ich, nichts an dem inspirierenden Potential der von Perler entwickelten Deutung.

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nen Nachfolgern in ihremsprachphilosophischenZugang zur Wahrheitsdiskussion liegt, so besteht der innovative Beitrag der Wahrheitskonzeption des Thomas von Aquin in einem primr prozesshaften bzw. dynamischen Ansatz zur Lsung des Wahrheitsproblems, denn Wahrheit wird bei Thomas wesentlich, wie wir gesehen haben, als Adquations- bzw. Angleichungsdynamik verstanden.

Diese innovative Lsung des Thomas kann und sollte auch fr heutige systema- tische Diskussionen ber Wahrheitsdefinitionen und -theorien fruchtbar gemacht werden. Eine ausfhrliche Evaluierung des (explikatorischen) Potentials der Ad- quationstheorie fr die zeitgenssische systematische Philosophie wre freilich Ge- genstand einer eigenen Untersuchung.

Fassen wir nun in einer direkten Gegenberstellung die zentralen Charakteristika der Korrespondenztheorie und der Adquationstheorie zusammen. Die nach bli- chem Verstndnis von Aristoteles begrndete Korrespondenztheorie der Wahrheit kann als relationales und stark bzw. essentiell propositionales Wahrheitsmodell charakterisiert werden, in der die statischen Relationsbegriffe ‚Korrespondenz‘ oder correspondentiabzw. ‚bereinstimmung‘ als Kernbegriffe fungieren. Die Adquati- onstheorie der Wahrheit des Thomas von Aquin kann als relationales, schwach bzw.

akzidentell propositionales, hochintegratives und deutlich prozesshaftes Wahr- heitsmodell gekennzeichnet werden, in dessen Zentrum der dynamische Relations- begriffadaequatiosteht.

Diese wahrheitstheoretischen Charakteristika verbieten es meiner Ansicht nach, die Adquationstheorie des Thomas von Aquin – wie Ernst Tugendhat vorschlgt – als „klassische Formulierung“48 des auf die Aristoteles-Textstelle inMetaphysica IV 7, 1011b 26–27 zurckgehenden korrespondenztheoretischen Wahrheitsver- stndnisses zu begreifen, denn eine solche Verhltnisbestimmung verkennt erstens die divergierenden und deutlich konfligierenden Propositionalittskonzepte der diskutierten Wahrheitsauffassungen, zweitens die Bedeutungsdifferenzen der wahrheitstheoretischen Zentralbegriffe ‚Korrespondenz‘ und ‚Adquation‘ und drit- tens die Tatsache, dass die Korrespondenztheorie anders als die Adquationstheorie metaphysisch und theologisch neutral ist. Die metaphysische bzw. theologische Neutralitt der Korrespondenztheorie zeigt sich – wie unter II ausgefhrt – v. a.

darin, dass das korrespondenztheoretische Wahrheitsmodell in seiner klassischen Formulierung die Frage nach dem Verhltnis zwischen Gott bzw. einem metaphy- sischen hchsten Wesen und der Wahrheit unbeantwortet lsst.

Auch Wolfgang Knnes Klassifikation der Adquationstheorie als „bereinstim- mungstheorie“49 muss vor dem Hintergrund der oben vorgestellten adquations- theoretischen Merkmale kritisiert werden, denn Knnes Klassifikation der Adqua- tionstheorie des Thomas wird der besonderen und primren Bedeutung des Begriffs adaequatio als Beschreibung fr einen epistemischen Angleichungsprozess nicht gerecht. Thomas’ Adquationsmodell sollte m. E. alsAngleichungstheorie und nicht als bereinstimmungstheorie klassifiziert werden. Peter Janich schließlich vertritt die Auffassung, dass „all die unzhligen […] Varianten von Abbild-, Korrespon-

48 Tugendhat / Wolf (21986), 222.

49 Knne (1991), 135 ff.

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denz-, oder auch Adquationstheorien der Wahrheit […] letztlich unter einer Leit- vorstellung [stehen], die auf den Kirchenvater Thomas von Aquin und seine klas- sisch gewordene Formel ‚veritas est adaequatio rei et intellectus‘ […] zurckgeht“50. Auch diese Auffassung Janichs greift sachlich zu kurz, denn dieadaequatio-Formel als Leitvorstellung der Korrespondenztheorie zu interpretieren, bedeutet vor allem, die divergenten Bedeutungsgehalte der Begriffe ‚Korrespondenz‘ und ‚Adquation‘

zu bersehen.

Am Ende meiner Untersuchung mchte ich die von Philotheus Boehner in die philosophische Diskussion eingefhrte Frage errtern, ob von einer‚scholastischen Tradition von Wahrheitsbestimmungen‘ gesprochen werden kann und was unter dieser Bezeichnung zu verstehen ist.51Im Lichte der von mir vorgestellten Charak- teristika der Korrespondenz- und der Adquationstheorie der Wahrheit mchte ich vorschlagen, die Kennzeichnung ‚scholastische Tradition von Wahrheitsbestim- mungen‘ alscluster conceptzu charakterisieren. Dieser aus der modernen Sprach- philosophie entnommene Begriff bezeichnet eine ausdifferenzierte Gruppe von komplexen, in einem subtilen Beziehungsgeflecht stehenden Phnomenen, aber eben kein einheitliches philosophisches Programm. Die ‚scholastische Tradition von Wahrheitsbestimmungen‘ als cluster conceptbeschreibt damit exakt das Ver- hltnis zwischen der Korrespondenz- und der Adquationstheorie der Wahrheit, denn beide Wahrheitskonzepte sind – wie die herausgearbeiteten wahrheitstheo- retischen Charakteristika zeigen – in ihren Zentralmerkmalensoverschieden, dass sie schwerlich als eineinheitlichesphilosophisches Programm verstanden werden knnen. Wir haben es vielmehr mit komplexen und in ihrer Komplexitt divergie- renden Wahrheitskonzeptionen zu tun, die aber trotz (oder wegen) ihrer Divergenz in einem subtilen Beziehungsgeflecht stehen.

50 Janich (22000), 36.

51 Vgl. Boehner (1958), 200 f., der vorschlgt, die von Wilhelm von Ockham auf aristotelischer, korres- pondenztheoretischer Grundlage konzipierte, sprachphilosophisch orientierte Wahrheitskonzeption als Teil der ‚scholastischen Tradition von Wahrheitsbestimmungen‘ zu interpretieren und damit eine Formu- lierung der Korrespondenztheorie zusammen mit der Adquationstheorie des Thomas von Aquin in einen einheitlichen Traditionskontext zu integrieren. Ockham verwendet allerdings an keiner Stelle die fr Tho- mas so wichtige Formelveritas est adaequatio rei et intellectus. Dies erkennt auch Boehner, der aber dennoch bei seiner These bleibt. Sein Interpretationsansatz weist mithin zweifellos argumentative Schw- chen auf. Vgl. zu den Defiziten von Boehners Vorschlag auch Perler (1992), 353, Anm. 12 und Kann (1999), 224.

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ABSTRACT

‚Veritas est adaequatio rei et intellectus‘– mit dieser berhmten Formel begegnen wir dem gedank- lichen Kern der von Thomas von Aquin entwickelten Adquationstheorie der Wahrheit. Oft wird Thomas’

Adquationstheorie mit der blicherweise auf Aristoteles zurckgefhrten Korrespondenztheorie der Wahrheit identifiziert. Die vorliegende Untersuchung intendiert eine eingehende Prfung dieser Auf- fassung. Es wird gezeigt, dass einige wesentliche Merkmale der thomasischen Adquationstheorie mit zentralen Charakteristika der aristotelischen Korrespondenztheorie kontrastieren. Anders als oft vorge- schlagen knnen die beiden Wahrheitsmodelle daher nicht in eine gemeinsame Tradition von Wahrheits- definitionen integriert werden. Von einer ‚scholastischen Tradition von Wahrheitsbestimmungen‘ kann mithin nur im Sinne einescluster conceptgesprochen werden.

‚Veritas est adaequatio rei et intellectus‘– with this famous formula we come across the intellectual heart of the adaequatio theory of truth developed by Thomas Aquinas. Aquinas’s adaequatio theory is often identified with the correspondence theory of truth which is usually traced back to Aristotle. The given study intends a precise examination of this assumption. It is worked out, that some essential features of the thomistic adaequatio theory differ in an obvious manner from the central characterstics of the aristotelian correspondence theory of truth. Hence, unlike often proposed the two concepts cannot be integrated in a common tradition of theories of truth. Thus, it can only be spoken of a ‚scholastic tradition of definitions of truth‘ in a sense of acluster concept.

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