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Verbrennungen und Entzug

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98 DIE PTA IN DER APOTHEKE | Dezember 2016 | www.diepta.de

I

hr Name ist vielen ein Begriff (spätestens durch den Inge- borg-Bachmann-Preis, einem der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschsprachi- gen Raum), ihr Leben weniger. Mit ihren Werken, Gedichten, Erzählun- gen, Hörspielen, Opernlibretti („Der Prinz von Homburg“, „Der junge Lord“), ihrem freien und mutigen Umgang mit literarischen Gattungen und Formen, ihrem einzigen zu Leb- zeiten veröffentlichten Roman „Ma- lina“, dem Prosazyklus „Todesarten“, der das Schreiben ihres letzten Le- bensjahrzehnts beherrschte, dürfen sich Generationen von Abiturienten auseinandersetzen. Geboren am 25.

Juni 1926 in Klagenfurt als erstes Kind des Schuldirektors Mathias Bachmann sowie dessen Frau Olga, geborene Haas, verbrachte Ingeborg ihre Kindheit und Jugend in Kärn- ten. Früh fing sie an Musik zu kom- ponieren, Gedichte zu schreiben, studierte schließlich Philosophie, Psy- chologie, Germanistik und Rechts- wissenschaften in Innsbruck, Graz und Wien.

Sieben Wiener Jahre Hans Wei- gel (1908 bis 1991), den österreichi- schen Schriftsteller und Theater- kritiker jüdischer Herkunft, lernte die Nachwuchsliteratin bei einem Interview mit knapp 20 Jahren ken-

nen, als sie aus der Kärtner Provinz in das kriegszerstörte Wien umzog.

Er erkannte sofort die Begabung der jungen Autorin, wurde zu ihrem Mentor und unterstützte sie zu- nächst sowohl finanziell als auch durch die Bereitstellung wichtiger Kontakte. So verbrachte Ingeborg Bachmann 1946 bis 1953 in Wien, stürzte sich dort nach den Traumata der Kriegszeit voller Lebens- und Liebeshunger in das intellektuelle und künstlerische Milieu von Öster- reichs Hauptstadt. Sie studierte dort Philosophie, promovierte, arbeitete für den im amerikanischen Sektor betriebenen Sender Rot-Weiß-Rot (rasend erfolgreiche Dialoge für die Soap „Die Radiofamilie“) und ge- hörte Weigels literarischem Diskus- sionzirkel im Café Raimund beim Volkstheater an. Auch ihr Liebesle- ben war ein „Tanz auf dem Vulkan“, sie wurde Teilzeitgeliebte Weigels, verstrickte sich gleichzeitig aber in eine Liaison mit dem Poeten Paul Celan (1920 bis 1970, Schöpfer der

„Todesfuge“). Aus beiden Beziehun- gen wurde jedoch nichts langfristi- ges. Weigel heiratete 1951 ohne Umschweife die Schauspielerin El- vira Hofer (1927 bis 1995 in Tel Aviv), Paul Celan 1952 die adelige Grafikerin Gisèle Lestrange (1927 bis 1991). Dieser existenzielle Doppel- schlag traf die junge Schriftstellerin

© Dr. Heinz Bachmannn

Sie gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Prosaschriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts – Ingeborg Bachmann. Wie innerlich zerrissen sie war, wurde erst nach ihrem Tod deutlich.

Ver brennungen und Entzug

PRAXIS KRANKHEITEN BERÜHMTER PERSÖNLICHKEITEN

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | Dezember 2016 | www.diepta.de 99 ins Mark, das zauberhaft verzauber-

te Wien wurde für sie zum Toten- haus der Gefühle und sie wollte nur noch weg: nach Deutschland, nach Italien.

Preise über Preise Sie verwirk- lichte zielstrebig ihre Träume von einer freien Autorenexistenz, lebte bis 1957 mit ihrer Schwester Isolde zusammen in Italien. Bachmanns früher spektakulärer Ruhm gründet auf der Lyrik. 1954 erhielt sie den Preis der „Gruppe 47“, einem von Hans Werner Richter von 1947 bis 1967 ins Leben gerufenen deutsch- sprachigen Schriftstellertreffen, das in den 1950er Jahren zu einer öffent- lichen Institution wurde. Danach verschrieb sie sich nach und nach mehr der Prosa. Bachmann erhielt viele Preise für ihre Werke, über- siedelte 1957 zurück nach München als Dramaturgin beim Bayerischen Fernsehen. Im Juli 1958 lernte sie Max Frisch (Schweizer Schriftsteller und Architekt, 1911 bis 1991, „Bie- dermann und die Brandstifter, „An- dorra“) kennen und lieben, lebte mit ihm bis 1962 abwechselnd in Zürich und Rom. Vier Jahr lang galten sie als das „Traumpaar der deutschen Literatur“. Doch Ende 1962 endete auch diese Beziehung – für sie trau- matisch. „Tatsache ist, dass ich tödlich verletzt bin und dass die- se Trennung die größte Niederla- ge meines Lebens bedeutet“, „In mir ist die Hölle los“ und „Es war Mord“, sagte Ingeborg Bachmann damals. Verkraften konnte sie es nicht. Immer wieder katastrophal gescheiterte Beziehungen hinterlie- ßen ihre Spuren, in ihrer schriftstel- lerischen Verarbeitung und auch in ihrem persönlichen Leben. Mehr- mals musste sie sich in Krankenhäu- ser (Nervenzusammenbruch, De- pressionen, Alkoholabusus) einwei- sen lassen. Ihre Ruhigstellung mit Schlafmitteln (Barbituraten), Schmerzmitteln (Morphin) hatte je- doch wiederum ernsthafte Kon- sequenzen. Heute würde man dies als medizinische Fehlbehandlung bezeichnen, denn was folgte, war ein

Jahrzehnt der Medikamentenabhän- gigkeit und -sucht.

Zehn Jahre Selbstzerstörung 1963 wurde Ingeborg Bachmann sogar für den Literaturnobelpreis nominiert, nahm im Frühjahr die Einladung der Ford-Foundation zu einem einjährigen Schreibaufenthalt in Berlin an, wo sie bis 1965 blieb.

Berlin wurde für sie zu einem „Ort für Zufälle“ (so der spätere Titel ih- rer Dankesrede zur Verleihung des Georg Büchner-Preises 1964), zur Chiffre für Krankheit und Zerstö- rung, wo sich persönliche Krisener- fahrungen mit der historischen Krise zwischen Ost und West verschränk- ten. 1965 zog Ingeborg Bachmann schließlich zurück nach Rom, veröf- fentlichte nur noch sporadisch, litt weiter unter Alkohol-, Nikotin- und Tablettenabhängigkeit. Doch ihr Roman „Malina“ (1971) erschien ebenso wie ihr Erzählband „Si- multan“ (1972), der einerseits mit dem Anton-Wildgans-Preis aus- gezeichnet wurde, von Literatur- kritiker Marcel Reich-Ranicki (1920 bis 2013), einem Teilnehmer der

„Gruppe 47“ hingegen als „pre- ziös-anachronistische Prosa“ verris- sen wurde. Auf Leserreisen nach Deutschland und Polen (Mai 1973) mussten die Veranstalter bereits für die Autorin Apotheken zur Medika- mentenbeschaffung aufsuchen.

Ein Freund, der Ingrid Bachmann noch Anfang August zurück in Rom besuchte, berichtete entsetzt: „Ich war zutieft erschrocken über das Ausmaß ihrer Tablettensucht. Es müssen an die 100 Stück pro Tag gewesen sein, der Mülleimer ging über von leeren Schachteln. Sie hat schlecht ausgesehen, war wachs- bleich. Und am ganzen Körper voller Flecken. Ich rätselte, was es sein konnte. Dann, als ich sah, wie ihr die Gauloise, die sie rauchte, aus der Hand glitt und auf dem Arm ausbrannte, wusste ich´s: Brandwun- den, verursacht von herabfallenden Zigaretten. Die vielen Tabletten hatten ihren Körper schmerzunemp- findlich gemacht.“

Tod auf Raten Genau dies könnte zu ihrem Tod maßgeblich mit beige- tragen haben, denn: Am 17. Oktober 1973 starb Ingeborg Bachmann mit 47 Jahren in Rom in der Klinik Sant`

Eugenio an den Folgen schwerer Brandverletzungen, die sie in der Nacht vom 25. auf den 26. Septem- ber erlitten hatte. Sie war – so wurde rekonstruiert – mit einer brennen- den Zigarette in der Hand einge- schlafen. Erst in der Früh rief sie ihre Haushälterin Maria Teofili an, die angesichts der schweren Verletzun- gen unverzüglich Rettungskräfte ver- ständigte. Die Brandverletzungen waren schwer, aber nicht tödlich. Die Tablettenabhängigkeit und ihre Schmerzunempfindlichkeit durch das Morphin waren sicherlich mitur- sächlich für den Unfall. Da die Ärzte aber nichts von ihrer Beruhigungs- mittel-Morphin-Abhängigkeit wuss- ten, starb sie drei Wochen später tatsächlich an tödlichen Entzugs- erscheinungen (Konvulsionen, die epileptischen Anfällen glichen). Ihr Grab befindet sich auf dem Zen- tralfriedhof in Klagenfurt, Öster- reich. ■

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

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