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Die frühkretischen Siegel

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Academic year: 2022

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Originalveröffentlichung in: Antike Welt/16.1985, S. 51-54

P Yule Die frühkretischen Siegel

v- Chr.

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A b b . 1. C h r o n o l o g i e A l t k r e t a s .

U m 3000 vor Christi G e b u r t beginnt auf Kreta die minoische Kultur, die nach d e m mythischen, e p o n y m e n K ö n i g M i n o s be­

nannt wird. A u f d e m Festland sowie in Kreta dauerte die sich anschließende m y - kenische Kultur bis etwa 1200. D i e Siegel­

steine sind die ersten Antiquitäten dieser Kultur, die in der Neuzeit nach West­

europa gelangten. O b w o h l Siegel heutzu­

tage verhältnismäßig selten angefertigt geschweige verwendet werden, siegelten in der Vorzeit sicherlich Händler, Büro­

kraten u n d Schreiber vielleicht j e d e n Tag mit ihnen. D i e s gilt nicht nur für die Ägäis, sondern auch für alle frühen H o c h ­ kulturen. Etliche hundert Jahre nach d e m Ausklang der Bronzezeit schrieb der grie­

chische «Anthropologe» H e r o d o t z . B . , daß jeder Babylonier ein Siegel trug. B e ­ vor Frachtbriefe, Schlüssel und Schlösser, Kredit-Karten u n d Ausweise z u m Vor­

schein kamen, dienten Siegel dazu, die Besitztümer bestimmbar zu m a c h e n u n d zu versichern, daß Frachtartikel unange­

tastet geliefert werden konnten.

W i e ist das eigentlich geschehen? Bei der Beförderung z.B. eines G e f ä ß e s mit seinem Inhalt wurde v o m Besitzer ein Verschluß darauf befestigt und m i t einer Schnur umwickelt. Schließlich drückte er einen weichen T o n k l u m p e n über die Schnur. N u n konnte er den feuchten T o n mit e i n e m Siegelstein versiegeln. W e n n die Siegelung auf d e m Verschluß gebro­

chen geliefert wurde, war es n u n möglich, die Lieferung zu reklamieren. D i e M i n o e r stempelten T o n k l u m p e n , u m ihre zuge­

hörigen G e f ä ß e u n d andere Behälter z u sichern, aber nicht Schrifttafeln, wie ihre vorderasiatischen Nachbarn es taten.

W i r siegeln heutzutage sogar mit Stempeln und Tinte oder gelegentlich mit g e s c h m o l z e n e m Wachs und einem Sie­

gelring mit eingraviertem Wappenbild.

Spricht m a n v o n Siegeln, so denkt m a n vielleicht zunächst an die gut bekannten vorderasiatischen Rollsiegel. A u f Kreta j e d o c h stempelte (nicht rollte) m a n die Siegel in die weiche Knetmasse. I m A b ­ druck erschien das Siegelmotiv als erha­

benes Relief. I m Gegensatz zu unseren 51

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A b b . 2. R i c h a r d H a h n bei der G r a v e u r a r b e i t in I d a r - O b e r s t e i n . P h o t o P. Y u l e .

A b b . 3. A l t p a l a s t z e i t l i c h e Siegel. P h o t o W i l k i n g .

A b b . 4. E i n foliaie back u n d e i n P r i s m a a u s d e r m i t t l e r e n B r o n z e z e i t . A s h m o l e a n - M u s e u m , O x f o r d . P h o t o W i l k i n g .

Siegeln zeigen K a m e e n ein hervorstehen- des Relief, oft in kontrastreichem zwei- oder sogar dreilagig gemaserten Steinen geschliffen. K a m e e n sind ein Produkt des Hellenismus und tangieren v o n daher un- sere T h e m a t i k nicht. D i e Siegelsteine der frühen bzw. mittleren Bronzezeit wirken oft wie kleine Plastiken u n d zeigen eine Vielzahl v o n Gestalten. I m Laufe dei mittleren Bronzezeit n i m m t die A n z a h l der verschiedenen F o r m e n in z u n e h m e n - d e m M a ß e ab u n d insbesondere drei da- v o n stellen sich heraus. Linsenförmige Lentoide, etwa mandelförmige, sog A m y g d a l o i d e u n d Fingerringe werder die vorherrschenden F o r m e n , die zurr E n d e der bronzezeitlichen mykenischer Welt benutzt werden. Rollsiegel, die als Sonderform v o m Orient ü b e r n o m m e r wurden, tauchen nur selten auf. Siegelbil der müssen normalerweise vergrößer werden, u m sie z u veröffentlichen, unt wir dürfen nicht vergessen, daß sie of kleiner als ein Fingernagel sind. Etw;

7000 verschiedene ägäische Siegel und A b d r u c k t y p e n sind erhalten geblieben Seltsamerweise sind davon viele Motiv.- fast identisch miteinander, was für ihn:

Bestimmbarkeit als «Ausweise» keines- wegs günstig sein dürfte. Einfache, mit einem Kreisbohrer eingravierte Orna- mente sind v o n etwa 200 Beispielen be- legt, die z u m Teil sehr gleichartig ausse- hen. Spezialisten fragen sich, o b der m - noische Bürokrat bei sehr ähnlichen Sie - gelmotiven die Besitzer v o n versiegelte l G ü t e r n verwechselt hatte. Siegel beste- h e n oft aus exotischen Materialien w i ; z.B. Elfenbein, Edelmetall und Halbede - stein und gehörten z u m Schmuck des Höflings. W i e aus vorderasiatischen Kei - schrifttexten und griechischen Quellen bekannt ist, hatten viele Steine, besoi - ders augenfällige Edelsteine, eine mag - sehe Bedeutung. O b w o h l keine schrif - liehe Überlieferung eine Bestätigung Ii' - fern kann, liegt es nahe, daß auch die M i- noer und M y k e n e r daran glaubten.

D a ß die feinsten Siegel oft in und b :i d e n Palästen zu Tage k o m m e n , ist ke n Zufall, da die Siegel etwas über die gese I- schaftliche Schichtung der Ägäer aus- sagen und z u s a m m e n mit anderen Zeug- nissen v o n Luxusprodukten auf eine g i h o b e n e Gesellschaftsschicht h i n d e u t e ! Eine entsprechend feste G r u p p e ven Künstlern und Handwerkern m ü ß t e es auch gegeben haben, die sich auf die L J- xuswaren spezialisieren konnten.

Z u m K o m m u n i k a t i o n s n e t z der späten minoischen Zeit gehörend sind Abdrücke auf T o n k l u m p e n von einer kleinen Zahl 52

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von Fingerringen bekannt, die auch in verschiedenen Stätten in Kreta belegt sind. D i e versiegelten Briefe, die schon damals durch eine Katastrophe verbrann- ten, sind deutlich sichtbar in den Rücksei- ten der T o n k l u m p e n . Es handelt sich u m kleine, gefaltete Leder-, Papyrus- oder Stoffdokumente, die mit einer Schnur umwickelt waren. D i e G r ö ß e ihrer A b - drücke läßt die Vermutung zu, daß die ge- schriebenen D o k u m e n t e 10 x 10 c m ma- ßen. Naheliegend ist auch die Frage, ob der minoische Bürokrat v o n Stadt zu Stadt reiste, oder o b er einfach seine Brie- fe von e i n e m Zentralort an die verschie- denen Siedlungen entsandte. Ein Ver- gleich der auf den T o n k l u m p e n abge- druckten bronzezeitlichen Fingerabdrük- ke könnte eventuell Einblick in die Herr- schaftsstruktur der damaligen Zeit geben.

O b w o h l wir nicht mit absoluter Sicher- heit den G e b r a u c h v o n Siegeln bestim- men k ö n n e n , gibt es zumindest Anhalts- punkte darüber, wie die Siegel a m Leib getragen wurden, da eine Freskomalerei im Palast in K n o s s o s einen Höfling dar- stellt, der ein Siegel an der Außenseite des Handgelenks wie eine U h r trägt.

Auch in Gräbern k a m e n Siegel ans Tages- licht. A l s die Trageschnuren an den H a n d - gelenken des Verstorbenen verrotteten, fielen die Siegel an die entsprechenden Stellen hinunter, was als unverkennbaren Hinweis gilt, wie sie getragen wurden.

Darüber hinaus sind die Reifen minoi- scher Siegelringe derart klein, daß sie nur an die allerkleinsten Finger passen kön- nen. Sie w u r d e n an Kolliers bzw. H a n d - ketten getragen. I m Unterschied zu den griechisch/römischen Siegeln waren die minoischen nicht an Drehbügeln m o n - tiert.

W e n n Laien Siegelsteine in einer Vitri- ne besichtigen, taucht häufig die Frage auf, wie solche winzigen Meisterwerke geformt oder eingraviert werden k o n n - ten. In Idar-Oberstein wird noch die Kunst des Eingravierens mit großer Tüchtigkeit ausgeübt, woraus m a n auch indirekte Rückschlüsse auf die Technik der Vergangenheit ziehen kann. Siegel und K a m e e n aus harten Steinen werden heutzutage mit einer Gravurdrehbank angefertigt, also e i n e m Instrument, das mit seinem Zeiger und winzigen Kreissä- gen im Prinzip mit der Ausrüstung eines Zahnarztes zu vergleichen ist. Bei der Herstellung eines Siegels wird zunächst ein Siegelrohling geformt, d e r a u f ein kur- zes Holzstäbchen mit heißem Wachs be- festigt wird. N u n kann der Künstler unge-

hindert das Siegel gegen die drehenden A b b . 7. S i e g e l s t e i n e a u s v e r s c h i e d e n e n P e r i o d e n . S t a a d . M u s e e n , B e r l i n . P h o t o P. Y u l e .

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A b b . 8. Repräsentative altpalastzeitliche Siegel. M e t r o p o l i t a n M u s e u m o f A n s , N e w York. P h o t o P. Y u l e .

A b b . 9. R e p r ä s e n t a t i v e v o r p a l a s t z e i t l i c h e S i e g e l . M e t r o p o l i t a n M u s e u m o f A r t s N e w Y o r k . P h o t o P. Y u l e .

Zeiger in Berührung bringen. Entweder kann der Graveur das Siegelbild

alla pri-

ma eingravieren oder zuerst die Umrisse des Motivs skizzieren und anschließend mit Hilfe der Drehbank eingravieren.

Heutzutage wird m a n c h m a l das Motiv mit Bleistift auf der Oberfläche skizziert.

Was die eigentliche Gravur anbetrifft, werden a m A n f a n g die größeren u n d brei- teren Schnitte in Angriff g e n o m m e n und später dann die Details. Verhältnismäßig einfache Motive v o n der G r ö ß e eines D a u m e n n a g e l s k ö n n e n mit m o d e r n e n Werkzeugen innerhalb v o n fünfundvier- zig M i n u t e n auf Siegeln aus hartem Edel- stein eingraviert werden. In der Bronze- zeit k ö n n e n wir anhand v o n Bearbei- tungsspuren auf den Siegeln v o n d e m Vorhandensein der D r e h b a n k schließen.

Diese Spuren deuten auch auf die Exi- stenz v o n Polierstäbchen aus H o l z sowie pfeilartige Schleifsteine hin. Natürlich m ü ß t e dieser Arbeitsvorgang mittels einer mit Bogen (statt D r e h m o t o r ) ange- triebenen D r e h b a n k wesentlich länger dauern als heute. I m Prinzip sind aber sol- che Werkzeuge identisch mit unseren.

U m 1300, kurz vor d e m endgültigen Z u - s a m m e n b r u c h der mykenischen Kultur, verschwindet die Lapidardrehbank aus unserem Blickfeld und die Siegel werden weiterhin mit einem Stichel eingraviert.

A u f j e d e n Fall stellen ihre A n f ä n g e 500 Jahre davor den ersten Beweis für dieses Gerät dar.

In der Bronzezeit können wir nicht mit der Verwendung v o n L u p e n als zusätzli- ches Hilfsmittel beim Eingravieren rech- nen, o b w o h l a m E n d e der klassischen A n - tike ihr Vorhandensein als unumstritten gilt. H e u t e benutzen Graveure Vergröße- rungsgläser nur für die allerfeinsten A r - beiten.

In Abhängigkeit ihrer Härte bedürfen die verschiedenen Rohstoffe entspre- chender Graviertechniken und Instru- mente. D i e frühesten minoischen Siegel- steine aus w e i c h e m Stein, Elfenbein oder K n o c h e n bestehend, zeigen Bearbei- tungsspuren v o n H a n d b o h r e r n u n d Sti- chel. U m 1800 v. Chr., mit d e m Beginn des Baus der ersten Paläste auf Kreta j e d o c h fingen die M i n o e r an, härtere Materialien, wie Quarz, Achat und Bergkristall z u be- arbeiten.

D i e Siegel stellen auch eine fast u n - übertroffene bildliche Quelle über ihre minoischen Besitzer u n d deren Tätigkei- ten dar. Abgebildet sind Szenen v o n der Weinherstellung, v o m T ö p f e r n , Turnen, v o n Kultverehrung sowie diversen sonsti- gen Beschäftigungen. A u c h die früheste (noch nicht entzifferte) Schrift erscheint auf Siegeln, die bis 4200 Jahre alt sind. A l s Hauptquelle für die Bildkunst der Ägäis bezeugen sie den Reichtum, künstleri- sche Phantasie u n d ästhetische E m p f i n d - samkeit dieser U m w e l t , so wie es keine andere Quelle vermag.

Siegelsteine der frühen und der mittle- ren Bronzezeit gelten überdies als die wichtigsten Quellen über die ausländi- schen Beziehungen und den Handel Kre- tas z u dieser Zeit. Zunächst einmal beste- hen viele Beispiele aus importierten M a - terialien. Etwa ein Fünftel der G e s a m t - zahl ist aus Elfenbein, das damals in Sy- rien-Palästina u n d in Nordafrika reichhal- tig vorkam. D i e R ö m e r brachten die er- sten Elefanten nach Kreta, wohl für den Z o o in der Hauptstadt G o r t y n , kurz nach Christi Geburt. A u ß e r Elfenbein w u r d e n andere edle Materialien wie Achat, Kar- neol, Sardonyx und Lapislazuli impor- tiert. Sucht m a n heutzutage diese Steine auf den Stränden Kretas, wird klar, daß sie

nicht auf der Insel v o r k o m m e n . Weiten Indizien für ausländische Beziehungen stellen fremde Siegelformen, wie z.B. de ägyptische Skarabäus oder das vorder asiatische Rollsiegel dar. A l s v o m Orien.

inspirierte Motive gelten Mischwesen, ein Nilpferd, Krokodil, A f f e n u n d ander:

nichtägäische Geschöpfe. Vielleicht wan- den diese exotischen Tiere i m Ausland beobachtet bzw. einige davon nach Kret i überführt.

D i e zeitliche Aufeinanderfolge vei- schiedener Stile der gemalten K e r a m k bildet die Basis der relativen C h r o n o l o g i : für das minoische Kreta. A b g e s e h e n vo i dieser Materie k ö n n e n nur die zahlre - chen Siegel annähernd eine so ununte - brochene Chronik der Bronzezeit bezei - gen. D i e Welt derägäischen Siegel scheir t d e m heutigen Betrachter beim erste i Blick hermetisch verschlossen z u sein.

A b e r für den Interessenten k ö n n e n die

«Juwelen» der Vergangenheit einen Blic k in die minoische Welt erlauben, der ur s ansonsten verlorengegangen wäre.

Literatur:

J . B O A R D M A N , Greek Gems and Finger Rings (19701.

K . BRANIOAN, The Foundations of Palatial Crt ff ( 1 9 7 0 ) .

I. PINI ( H r s g . ) , Corpus der minoischen und myke, i- schen Siegel (1964).

I. PINI ( H r s g . ) , Studien zur minoischen und hellat't sehen Glyptik. C M S - B e i h e f t 1 (1981).

W . SCHIERING, Funde auf Kreta (1976).

P. Y U L E , Early Crelan Seals: A Study of Chronoh Vi ( 1 9 8 1 ) .

Adresse des Autors:

D r . P. Y U L E G o e t h e s t r a ß e 30 D - 5 3 0 0 B o n n 1

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Referenzen

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