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metall D a s M o n a t s m a g a z i n

Nr. 4 AprilJahrgang D 4713200658

B

B B e e e t tt o o o n n n k k k ö ö ö p p p f ff e e e

T

T T a a a r rr i ii f ff r rr u u u n n n d d d e e e 2 2 2 0 0 0 0 0 0 6 6 6

Arbeitszeit

Vom Leben isoliert

Ratgeber

Bildungsurlaub

i ii n n n N N N a a a d d d e e e l ll s s s t tt r rr e e e i ii f ff e e e n n n

red_04_01_Titel_apm.qxp 22.03.2006 17:40 Uhr Seite 1

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3Deutschland gerät in Bewegung. Ob Arbeitsplatzvernichtung, Ar- beitszeitverlängerung oder Lohnminderung: Die Menschen lassen sich nicht mehr alles gefallen. In Nürnberg wehrten sich unsere Kollegin- nen und Kollegen von AEG in einem wochenlangen Streik gegen die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze. Und wenn das Werk schon nicht geret- tet werden konnte, so wollten sie sich vom Electrolux-Konzern zumin- dest nicht so billig abspeisen lassen. Es war auch ein Kampf um ihre Würde. Beim Baumaschinenhersteller CNH in Berlin kämpfen unsere Kollegen ebenfalls um ihre Arbeitsplätze. Die Tochter des Fiat-Kon- zerns will das ehemalige O&K-Werk schließen. Seit dem 21. Februar sind die Beschäftigten im Streik. Von der Öffentlichkeit kaum wahrge- nommen, kämpfen am Düsseldorfer Flughafen Kolleginnen und Kolle- gen der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) bei »Gate Gourmet« – einer Firma, die Bordverpflegung in Flugzeugen anbietet – seit über 160 Tagen einen erbitterten Kampf. Sie wenden sich gegen unwürdige Arbeitsbedingungen und die Lohndrückerei ihrer amerika- nischen Muttergesellschaft. Und nicht zuletzt die Beschäftigten im öf- fentlichen Dienst. Sie streiken nicht nur gegen Arbeitszeitverlänge- rung und damit für die Chancen junger Menschen auf einen Arbeits- platz. Nein, sie kämpfen gegen ein besonderes Diktat: Verhandlungs- boykott und Verweigerung eines tragfähigen Kompromisses zum Aus- gleich zwischen den Interessen der Beschäftigten und der öffentlichen Arbeitgeber. Vielmehr wollen die Arbeitgeber die Arbeits- und Entloh- nungsbedingungen diktieren und die Arbeitnehmer sollen parieren.

Dagegen stehen die Kolleginnen und Kollegen auf. Zu Recht.

»Zurzeit sind wir gegen alles«, polterte der Verhandlungsführer der hessischen Metallarbeitgeber auf der ersten Tarifverhandlung für die Metall- und Elektroindustrie Anfang Februar. Dankenswerter Weise hat er gleich am Anfang offen ausgesprochen, was andere Arbeitgeberver- treter mit vielen schönen Worten in vielen Verhandlungen versuchten, zu kaschieren: »Wir verdienen zwar gut, aber wir wollen euch daran nicht beteiligen. Wir fordern unbezahlte Arbeitszeit und Reallohnver- lust.« Das nennen sie ein Angebot: Arbeitszeitverlängerung, Lohnsen- kung und Drohung mit dem Verlust des Arbeitsplatzes. Die Arbeitgeber überziehen.

Die Arbeitgeber haben den Bogen überspannt

Jürgen Peters, Erster Vorsitzender der IG Metall

Das nennen die Arbeit- geber ein Angebot: Arbeits- zeitverlängerungen, Lohn- senkung und Drohung mit dem Verlust des Arbeits- platzes. Die Arbeitgeber überziehen.

Foto:IGMetall/RenateSchildheuer

Editorial

2 metall4/2006

red_04_02_apm.qxp 22.03.2006 17:29 Uhr Seite 2

(3)

Zwölf-Stunden-Schicht

In der noblen IT-Branche grassiert ein Virus aus den Anfängen der Industrialisierung: inhumane Zwölf-Stunden-Schichten.

Durchgesetzt mit arbeitgebernahen Betriebsräten.

Seite 16

Foto:images/fotokurier

Foto:JörgLantelme´

Betriebsratswahlen

Seit dem 1. März werden in den Betrieben neue Betriebs- räte gewählt. Erste Ergebnisse zeigen: Die IG Metall bleibt stärkste Kraft .

Seite 6

Foto:WernerBachmeier

Editorial

Jürgen Peters:

Die Arbeitgeber haben den Bogen überspannt. . . .2

Magazin

CNH: Spandau braucht Fiat-Werk . . . .4 Betriebsratswahlen:

IG Metall auf gutem Kurs . . . .6 SAP: »Arbeitszeiten, dass es nur so kracht« . . . .6

Titel

Tarifrunde 2006:

Es reicht . . . .8

Rente

»Sanierung auf Kosten der Beschäftigten« . . . .12

Menschenrechte

Recht auf Bildung . . . .14

Betriebsreport

Era-Einführung . . . .14

Arbeitszeit

Vom Leben isoliert . . . .16

Türkei

»Kein wirklich demokratischer Staat« . . . .18

Branchenreport

Möbelindustrie: Zukunft durch Innovation . . . .20

Porträt

Zu Besuch bei

Diodoro Cocca . . . .22

Ratgeber

Arbeitsbedingte Erkrankungen:

»Wie Sie sich besser schützen können« . . . .24 Bildungsurlaub . . . .26

Rätsel

Monats- und Drei-Monats-Rätsel . . . .28

Monatsökonom

Arne Heise über

die Folgen von Lohnmäßigung . . . .30

Regionales

Aus den Bezirken . . . .32 Lokales/Karikatur . . . .35 Impressum/Leserbriefe . . . .22

Inhalt

Titelbild: Silvan Wegmann

Gesund am Arbeitsplatz

Der Krankenstand ist auf dem Tiefstand. Die Arzt- praxen sind dennoch überfüllt. Das Rentenein- trittsalter soll auf 67 Jah- re steigen. Gleichzeitig nehmen arbeitsbedingte Krankheiten zu. Wie kön- nen sich Beschäftigte schützen?

Seite 24

red_04_03_apm.qxp 22.03.2006 21:33 Uhr Seite 3

(4)

4 metall4/2006

Die Arbeitsplätze müssen in Ber- lin bleiben. Dafür streiken 400 IG Metallerinnen und Metaller seit fünf Wochen bei CNH in Berlin- Spandau. Mitte 2006 will die Fiat- Tochter die Fertigung von Bauma- schinen schließen und nach Itali- en verlagern.

Nach Samsung,JVC,Stiebel Eltron und Reemtsma ist CNH binnen kurzer Zeit das fünfte Berliner Unternehmen, das Massenentlas- sungen ankündigt. Damit würde ein 130-jähriges Traditionsunter- nehmen ausgelöscht, das unter dem Namen Orenstein & Koppel groß wurde und für hohes Tech- nologie-Know-how steht. Die Streikenden leisten Widerstand und fordern einen Sozialtarifver-

IG Metall-Vorsitzender Jürgen Peters mit Streikenden in Spandau: »Es ist menschenverachtend, wenn Unternehmen, die Gewinne machen, Standorte schließen«

er heiraten will, bekommt bereits Arbeitslosengeld II.

Auch für die Jüngeren sieht es düster aus in Berlin, wo binnen zehn Jahren 60 000

Industriearbeits- plätze vernichtet wurden und nun 320 000 Menschen erwerbslos sind.

Andreas Hubert (32) ist Bohrwerks- dreher. Als er von der Schließung

hörte, war sein Sohn wenige Tage alt. »Ich habe sofort eine neue Stelle gesucht, bekam aber nur Absagen«, sagt er bitter.

Statt Aufbau gab es bei CNH nur Abbau, berichtet der Be- triebsratsvorsitzende Christian Fromm. Nach dem Verzicht auf den Markennamen Orenstein &

Koppel 2001 entließ der Kon- zern 350 Menschen, investierte kaum noch. Trotz allem machte CNH in den ersten drei Quarta- len 2005 gegenüber dem Vor- jahr ein Plus von 133 Millionen US-Dollar.

»Es ist menschenverachtend,

wenn Unternehmen, die

Gewinne machen, Standorte

schließen«, sagte der IG Metall- Vorsitzende Jürgen Peters. Oskar Lafontaine von der »Linkspartei«

nannte so etwas »eine Schweine-

rei«. DGB-Chef Michael Sommer begrüßte die Absicht des Berliner Senats, von CNH 70 Millionen Euro Fördergeld zurückzufor- dern. »Es muss Schluss damit sein, dass Firmen Fördermillio- nen einstreichen und sich später am Staat gesund stoßen.«

Solidarität gibt Kraft Unterstützung für die Streiken- den in Spandau kommt von vielen Seiten. IG Metaller aus Berlin, Brandenburg und der ge- samten Bundesrepublik besuch- ten sie in bitterer Kälte, spende- ten Zuspruch, Geld, Lebens- mittel und Brennholz für die Feuertonnen.7

Magazin

le, die es wagen, ihre Arbeit- nehmerrechte in Anspruch zu nehmen? Oder die für ihre ge- leistete Arbeit auch gerechte Bezahlung und Arbeitszeiten fordern?

Vielleicht sollten Sie, Herr Brüderle, auch einmal über ei- ne zusätzliche Besteuerung für Politiker mit unsinnigen Geis- tesblitzen nachdenken.Da hal- ten wir es doch mit den Worten des Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske, der für Brüderles Vor- schlag nur vier kurze und klare Worte fand: »Ich finde, der spinnt.«7

P f l a u m e d e s M o n a t s

Rainer Brüderle

Für seine bisweilen abstrusen Ideen ist FDP-Vizechef Rainer Brüderle schon seit jeher be- kannt. Seine neuester Einfall ist jedoch von besonderer Qua- lität.In einem Interview der

»Berliner Zeitung« forderte Brüderle, Streikgelder in Zu- kunft zu besteuern.Es könne ja nicht angehen, dass die Bürger indirekt noch die Gewerk- schaftskassen mit aufpäppeln müssten.

Warum nicht gleich die Streikgelder komplett abschaf- fen, Herr Brüderle? Oder eine allgemeine Lohnkürzung für al-

Foto:ChristianvonPolentz

trag. »Als am 23. November be- kannt wurde, dass die Produk- tion hier eingestellt wird, wurde mir speiübel«, sagt Knut Aug- stein (52). Arbeitslose über 40 haben keine Chance, hatte ihm ein Unternehmensberater er- klärt.Also Hartz IV? Die Frau, die

Streik bei CNH in Berlin

Spandau

braucht Fiat-Werk

»Es muss Schluss damit sein, dass Firmen Fördermillionen einstrei- chen und sich später am Staat ge- sund stoßen.«

DGB-Vorsitzender Michael Sommer red_04_04_05_magazin_apm.qxp 22.03.2006 19:53 Uhr Seite 4

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Magazin

Der Honeywell-Konzern wird in seinem Werk in Raunheim nun doch weiter ausbilden. Die Kon- zernleitung in den USA hatte die Ausbildung als kostenträchtig und betriebswirtschaftlich nutz- los bezeichnet und abschaffen wollen, aber nicht mit dem Wi- derstand von Betriebsrat,Ausbil- dungsleitung und IG Metall ge- rechnet (metall berichtete in Ausgabe 3/06).

In Raunheim wird das Ausbil- dungsprogramm unverändert weitergeführt: 20 junge Men- schen werden einen Ausbil- dungsplatz bekommen.

An Honeywell-Standorten, an denen sich das Management

querstellt, bleibt die Ausbildung zum großen Teil auf der Strecke.

So werden im Werk in Glinde (bei Hamburg) zwar in diesem Jahr noch 36 Jugendliche einen Platz bekommen, 2007 wird die Ausbildung aber abgeschafft.

Bundesweit fürchten die Be- triebsräte, dass die Ausbildung um etwa die Hälfte eingestellt wird. »Das ist schlecht für die Re- gion, weil junge Leute noch we- niger Ausbildungsmöglichkeiten haben, und schlecht für den Be- trieb, weil unsere Belegschaft im- mer älter wird und wir bald schon Fachkräfte suchen müs- sen«, sagt Betriebsratsmitglied Thorsten Melsbach aus Glinde.

Wie wichtig die duale Ausbil- dung ist und bleibt, hatten 14 Berufsbildungsexperten erst kürzlich in der Streitschrift »Bil- dung ist keine Ware« für die IG Metall und Verdi zusammenge- fasst. Darin werben die Verfasser für die duale Ausbildung, die sich an fest umrissenen Berufs- bildern orientiert.

Das duale Ausbildungssystem ist im europäischen Rahmen un- ter Druck. Nach Ansicht der Ex- perten sollte es bewahrt und re- formiert werden. Von den Ge- werkschaften fordern sie, sich wieder stärker für berufliche Bildung als Kernaufgabe zu en- gagieren.7

Rückzug schadet Region und Betrieb

Ausbildung bei Honeywell

Außenansicht

Kongo-Einsatz

An Militär gewöhnen?

Im Sommer 2003 starteten Frankreich und Deutschland ihren ersten eigenständigen EU-Militäreinsatz

im Kongo. Er soll- te medizinische Hilfen für die Be- völkerung absi- chern. Der Ein- satz war auf drei Monate befristet.

Die Truppen ka- men und gingen – die Probleme blieben.

Nun soll wieder ein EU-Kontin-

gent mit deutschen Soldaten in den Kongo geschickt wer- den. Zur Sicherung der Wahlen im Juni und notfalls zur Evaku- ierung der europäischen Wahl- helfer. Aber Schutz vor Unru- hen bieten die insgesamt 1500 Soldaten nicht. Und Evaku- ierungen könnten viel besser die bereits im Kongo statio- nierten UN-Monuc-Truppen leisten. Warum drängen Berlin und Brüssel so? Entweder will die EU ihre im Aufbau be- findlichen Battle-Groups er- proben. Oder es geht um den Anspruch, auch in Zentralaf- rika die Interessen deutscher Konzerne zu vertreten. Der Kongo ist immerhin reich an Diamanten, Kupfer, Kobalt und Gold, auch an seltenen Metallen wie Germanium und Coltan.

Vielleicht soll aber auch nur ein Beweis für die Existenzbe- rechtigung europäischer Inter- ventionstruppen her. So ließen sich die Menschen an die Militarisierung der Außen- politik gewöhnen. Über die Kosten redet dabei niemand.

Dabei gäbe es viele Gründe, den Sozialstaat zu verteidigen – nicht am Hindukusch und im Kongo, sondern hier bei uns.7

Dr. Peter Strutynski, Sprecher des Bundesausschusses

»Friedensratschlag«

Gesundheitspolitik

Warten auf die große »Reform«

gelöst werden. Auch die Ausga- ben und die Qualität der medi- zinischen Versorgung müssten reformiert werden. Dazu sollte die integrierte Versorgung chro- nisch Kranker verstärkt, Doppel- strukturen abgebaut und mehr auf Vorsorge gesetzt werden. Die Kopfpauschale ist auch nach An- sicht von Experten wie dem Es- sener Gesundheitsökonom, Jür- gen Wasem, keine Alternative.

Alle Argumente für eine Kopf- pauschale hielten einer näheren Überprüfung nicht stand. Be- sonders kritisch sieht Wasem, der an der kommenden Gesund- heitsreform mit gearbeitet hat, die Abhängigkeit von der Staats- kasse. Die Höhe der Transferleis- tungen für Geringverdiener und damit die Ausgaben der GKV hingen dann von der Haushalts- lage ab.7

Mutter beim Arzt: Nicht nur Korrekturen bei den Einnahmen

Foto:FM

Foto:JürgenEffner

In der Gesundheitspolitik ist eins sicher: Die nächste »Reform«

kommt. Mit einem Minus von fünf Milliarden Euro rechnen die gesetz- lichen Krankenversicherungen (GKV) nächstes Jahr. Das Loch soll gestopft werden – nur wie?

Im Wahlkampf standen sich die Modelle von Union und SPD noch unversöhnlich gegenüber.

Seit letztem Herbst regieren beide in einer großen Koalition, und nun soll aus der Kopfpauschale der CDU und einer Bürgerversi- cherung nach SPD-Art eine ge- meinsame Lösung werden. In den Medien wird eine zehnpro- zentige Kopfpauschale diskutiert.

Der Rest solle aus Beiträgen kom- men, die auch auf Zinsen oder Mieten erhoben werden.

Für die IG Metall keine echte Bürgerversicherung. Sie fordert die Anhebung der Beitragsbe- messungsgrenze und die Einbe- ziehung aller Arbeitnehmer, also auch Freiberufler und Selbst- ständige. Nach Ansicht der IG Metall können die finanziellen Probleme des Gesundheitssys- tems allerdings nicht nur durch Korrekturen der Einnahmen

red_04_04_05_magazin_apm.qxp 22.03.2006 19:53 Uhr Seite 5

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6 metall4/2006

Der Beirat

Eine ungewöhnliche Sitzung erlebte der IG Metall-Beirat im März. Es redeten drei Gäste, die wochenlang täglich in den Medien präsent waren.

Frank Bsirske, 54,der Verdi-Vor- sitzende, be- dankte sich für die Unterstützung der IG Metall für die streikenden Verdi-Mitglieder.

Es sei »in der Brei- te und Härte der bedeutendste Streik der letzten 80 Jahre im öffentlichen Dienst«. Ein Ar- beitskampf, der alle Beschäftig- ten angehe. Denn die Politiker hätten auf Teufel-komm-raus längere Arbeitszeiten im öffent- lichen Dienst durchdrücken wol- len, um ihn zum Vorreiter für die Privatwirtschaft zu machen.

Das Verhältnis zwischen Verdi beziehungsweise seinen Vor- gängern und der IG Metall »ist in den letzten 50 Jahren noch nie so eng gewesen«, freute sich Bsirske. »Das sollten wir vertiefen.«

Aus Nürnberg waren Harald Dix, 44,der Betriebsratsvorsitzende des umkämpften AEG-Werks, und Jürgen Wechsler, 50, der Zweite Bevollmächtigte der IG Metall, gekommen. Sie be- richteten über die »überwälti- gende Solidarität«, die die AEG-Beschäftigten bei ihrem Streik erfahren hatten. 600 Busse kamen nach Nürnberg.

»Die Marke AEG ist zu einem Symbol für einen wirkungsvol- len Arbeitskampf geworden«, sagte Dix.7

dagegen aufgegeben. Das Gre- mium dürfte in einigen Wochen gewählt werden. Baustellen für den Betriebsrat gibt es zuhauf.

Beschäftigte fordern unter ande- rem mehr Transparenz bei Reor- ganisationen, Standortentschei- dungen und Entlohnungen. Man- che Einstiegsgehälter bei SAP liegen unter dem entsprechen- den Metalltarif. Moniert wird auch die Diskriminierung von so genannten »Low-Performern«.

Sorge macht die Auslagerung

von Dienstleistungen ins Aus- land und die Konkurrenz durch die USA-Niederlassung. Als Gän- gelung wird auch ein »Code of Business Conduct« empfunden, der die Beschäftigten zum Still- schweigen über Firmeninterna verpflichtet. Außerdem auf der Liste: Mehr Platz in den engen Büros, mehr Investionen in Qua- lifizierung sowie in Gesundheits- maßnahmen wie höhenverstell- bare Tische und ergonomische Stühle.7

»Arbeitzeiten, dass es nur so kracht«

Betriebsratswahl bei SAP

Erste Ergebnisse der Betriebsratswahlen

Betriebsratswahlen

IG Metall auf gutem Kurs

Wahlplakate hängen, Urnen sind aufgestellt – es wird gewählt. Die Betriebsratswahlen sind in vollem Gang und in einer Reihe von Un- ternehmen schon abgeschlossen.

Die ersten Daten, die bei der IG Metall einliefen, stellten gleich einen kleinen Rekord dar: Bei Saarstahl in Völklingen gab es das beste Ergebnis für die Liste der IG Metall seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1957.

Die IG Metall verbesserte sich auf 87,7 Prozent, die Wahlbetei- ligung kletterte auf 90,7 Pro- zent, und die »CGM« hält nun nur noch drei von 25 Mandaten.

Auch bei Opel wurde schon ge- wählt: In Kaiserslautern und Rüs- selsheim bestätigt die IG Metall ihre Führungsrolle, in Bochum erreicht sie bei zwölf konkurrie- renden Listen mit der gemeinsa- men Liste »Wir« die absolute Mehrheit der Mandate. Zuwachs für die IG Metall auch bei Ford:

Ihr Anteil wuchs in Köln von 80 auf 84, in Saarlouis von 83 auf 85 Prozent. Das Nachsehen hatten jeweils die »Christlichen« oder alternative Listen. In fast allen Be- trieben, die bis zum Redaktions- schluss von metalldie Wahl abge- schlossen hatten, kletterte die

Wahlbeteiligung auf mehr als 80 Prozent (Faurecia: in Geiselhö- ring: 93 Prozent). Über eine 80- prozentige Zustimmung kann sich Harald Dix, der Betriebsrats- vorsitzende von AEG Nürnberg, freuen. Die Wahlbeteiligung lag im streikerprobten Werk bei ebenfalls 80 Prozent.

Erste Ergebnisse kommen aus dem Siemens-Konzern. Fast überall konnte die IG Metall die AUB zurückdrängen. An vielen Orten stieg die Wahlbeteiligung beträchtlich: um 16 Prozent in der Niederlassung Köln, sogar um 25 Prozent in Hamburg.7

Die schöne heile Welt beim Software-Konzern SAP be- kommt Schrammen. Die Unzu- friedenheit im Haus wegen ausgedünnter Personaldecke nimmt zu. In Hochphasen wer- den »Arbeitszeiten gebracht, dass es nur so kracht«, sagen Kenner. Einige SAPler fordern Verbesserungen für die Be- schäftigten. Deshalb wollen sie einen Betriebsrat wählen las- sen. Das SAP-Management hat inzwischen seinen Widerstand

Foto:FrankRumpnenhorst

Foto:FrankRumpnenhorst Foto:WernerBachmeier

Betriebsratswah- len bei INA Schaeff- ler in Ingolstadt:

IG Metall legt zu

Magazin

red_04_06_07_Magazin_apm.qxp 23.03.2006 17:28 Uhr Seite 6

(7)

Nachgefragt . . . Volkswagen

Bei Volkswagen gibt es Ärger um die Restrukturierungspläne des Managements. metallsprach mit dem stellvertretenden Gesamtbe- triebsratschef Bernd Wehlauer.

metall:VW glänzt mit steigenden Absatzzahlen, der Belegschaft wird ein verschärfter Sparkurs ver- ordnet. Wie passt das zusammen?

Wehlauer:Viele Fahrzeuge zu ver- kaufen, heißt noch nicht, dass man viel Geld damit verdient. Wir haben bei Volkswagen ein Kos- tenproblem. Derzeit liegt die Aus- lastung bei 80 Prozent. Das ist aber nicht die Schuld der Kolle- ginnen und Kollegen, sondern ist auf Managementfehler zurückzu- führen. Dafür ist die Belegschaft nicht bereit zu zahlen.

metall:Was kommt auf die Be- schäftigten zu?

Wehlauer:Wie sich der Vorstand die Restrukturierung vorstellt, wissen wir noch nicht. Natürlich ist es ein Problem, dass Konkur- renten ihre Autos in deutlich kür- zerer Zeit bauen können. Aber

auch das liegt nicht an den Be- schäftigten oder den Personal- kosten, sondern an Strukturen – und dafür ist das Management verantwortlich.

metall:Was wird mit den Kompo- nentenwerken?

Wehlauer:Markenvorstand Bern- hard behauptet, dass hier einige Bereiche nicht wirtschaftlich sind.

Dazu hat das Unternehmen eine Analyse vorgelegt, die wir uns jetzt genau anschauen und prüfen. Wir begeben uns – übertragen gespro- chen – erst aufs Spielfeld, wenn die Spielregeln vorher klar sind.

Erst wenn wenn wir ein verlässli- che Gesprächbasis haben, können wir darüber diskutieren, wie es weitergeht. Und wir haben da sehr klare Vorstellungen

metall:Die wären?

Wehlauer:Kein Verkauf der Kom-

ponentenbereiche, sondern eine langfristige, strategische Aus- richtung unter Nutzung der Opti- mierungspotenziale. Die Entwick- lung, Konstruktion und Fertigung von Komponenten müssen Kern- kompetenz bleiben.

metall:Bei den Beschäftigten herrscht jetzt Unruhe.

Wehlauer:Verständlicherweise.

Das Werk Braunschweig zum Bei- spiel ist schon fünfmal verkauft worden, weil irgendwelche Mana- ger in den Medien dummes Zeug geredet haben. Diese Äußerun- gen verunsichern die Kolleginnen und Kollegen und das ist inakzep- tabel. Natürlich haben wir Proble- me. Aber um Probleme anzuge- hen, braucht man eine Aufbruch- stimmung und keine Stimmung der Verängstigung.

metall:Personalvorstand Neu-

mann will die Arbeitszeit von 28,8 auf 35 Stunden in der Woche hochsetzen.

Wehlauer:Wir haben aber nur Ar- beit für 28,8 Stunden und nicht für 35 Stunden. Die Arbeitszeit zu erhöhen, verschärft doch nur das Beschäftigungsproblem. Das kann es also nicht sein.7

»Wir brauchen eine Aufbruchstimmung«

Mindestlohn

entgelt. Danach würde in jeder Branche das jeweils niedrigste Tarifentgelt automatisch zum gesetzlichen Mindestlohn. Eine gesetzlich festgelegte Mindest- grenze sollte aber nicht unter- schritten werden. »Wo Tarifver- träge nicht mehr greifen, müs- sen wir neue Wege finden, den Menschen ein existenzsichern- des Einkommen zu garantie- ren«, sagte der IG Metall-Vorsit- zende Jürgen Peters.

Eine positive Wirkung be- scheinigt Mindestlöhnen auch eine aktuelle Studie des Wirt- schafts- und Sozialwissenschaft- lichen Instituts der Hans-Böck- ler-Stiftung. In anderen europä- ischen Ländern habe sich das Einkommen von Geringverdie- nern durch Mindestlöhne deut- lich verbessert.7

In der Diskussion um Mindest- löhne spricht sich die IG Metall für eine branchenabhängige Untergrenze aus.

Von einem existenzsichernden Einkommen können viele Ar- beitnehmer in Deutschland nur träumen. Die Zahl der Gering- verdiener wächst. Während ihr Anteil Mitte der 90er Jahre noch unterhalb des EU-Durchschnitts lag, kletterte er 2004 auf knapp 16 Prozent und lag damit über dem Durchschnitt. Im Kampf gegen den freien Fall der Ein- kommen setzen zahlreiche eu- ropäische Länder auf einen Min- destlohn. Im Herbst will Bun- desarbeitsminister Franz Mün- tefering nun auch für Deutsch- land ein Modell vorlegen.

Die IG Metall fordert ein branchenabhängiges Mindest-

Foto:FM

. . . bei Bernd Wehlauer, stellvertre- tender Vorsitzender des VW-Ge- samtbetriebsrats

Niedriglohn ist weiblich

Frauen, Geringqualifizierte und Menschen in Ostdeutschland arbeiten besonders oft für wenig Geld. Die Zahl der Beschäftigten im Niedriglohnbereich wächst in Deutschland seit Jahren. Mitte der 90er Jahre lag der Anteil in Deutschland noch unter dem EU- Durchschnitt. 2004 betrug er knapp 16 Prozent und liegt nun ober- halb des Durchschnitts.7

Niedriglohnsektor Vollzeit Frauen

Anteil an Vollzeitbeschäftigten und Niedriglohnsektor, – in Prozent –

Junge Leute bis 24

16,1

Gering Qualifizierte

11,5 Beschäftigte in Ostdeutschland

17,6 37,8

Quelle: IAB, © metall-grafik / Foto: Jürgen Effner

57,0 34,9

Freien Fall der Einkommen durch Untergrenze stoppen

7,2 15,2

Magazin

red_04_06_07_Magazin_apm.qxp 22.03.2006 20:10 Uhr Seite 7

(8)

8

Streik bei CNH in Berlin

Der Eigentümer, der Fiat-Konzern, will die Produktion nach Italien verlagern.

400 Beschäftigte sollen ihren Arbeits- platz verlieren. Die Belegschaft wehrt sich dagegen.

Foto: transit-Berlin / von Polentz

Tarifrunde 2006

metall4/2006 red_04_08_11_apm.qxp 22.03.2006 20:15 Uhr Seite 8

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Es

reicht

Aktionen, die Hoffnung machen

Nicht nur in Deutschland, auch in Europa be- wegen Kolleginnen und Kollegen etwas: Sie kippten sowohl die Hafenarbeiter-Richtlinie und verhinderten mit Demos das Schlimmste bei der EU-Dienstleistungs-Richtlinie.

Hafenarbeiter-Protest in Hamburg

Arbeiterinnen und Arbeiter sagten Nein und veränderten die Richtlinie zu ihren Gunsten

immer vorgeworfen, wir würden an Ritualen festhalten. Heute sind es die Arbeitgeber, die die Rituale ›noch ein bisschen abfeiern‹ wie sich Nordmetall-Chef Kramer äußerte«, är- gert sich Peters.

Die aktuelle Tarifrunde ist ein harter Brocken. Selbst für Tarifprofis wie Peters, Hu- ber oder auch den Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske. »Wenn ihr mich fragt, das sind doch alles nur Scheinverhandlungen, die die Ar- beitgeber führen«, erklärte Bsirske anlässlich seines Besuchs im Beirat der IG Metall Mitte März. Denn ob öffentliche Arbeitgeber oder

Manager der Privatwirtschaft, sie geben der- zeit ein deutliches Signal: »Auf Tarifverträge können wir verzichten.« Von der Küste bis nach Bayern beobachten alle IG Metall-Be- zirksleiter eine einheitliche Strategie von Ge- samtmetall: ein geschlossenes Konzept gegen die Gewerkschaften.

Auch die Öffentlichkeit beobachtet den scharfen Ton der Arbeitgeber mit wachsender Sorge. So schreibt der »Tagesspiegel« über Hartmut Möllring, Finanzminister von Nie- dersachsen und Verhandlungsführer der Tarif- gemeinschaft der Länder, er wolle »eine Eini- ürgen Peters, Erster Vorsitzender der IG

Metall, findet harte Worte: »Sowohl im öffentlichen Dienst wie in der Privat- wirtschaft haben wir es mit einer neuen Kaltschnäuzigkeit der Arbeitgeber zu tun.«

Einen scharfen Ton schlägt auch der Zweite Vorsitzende Berthold Huber an: »Wir erleben flächendeckend Verhandlungsführer auf der Arbeitgeberseite, die nur eines eint: die strik- te Weigerung, vor Ende der Friedenspflicht irgendein Angebot vorzulegen.« Die totale Verweigerung und Blockadepolitik der Ar- beitgeberseite ist neu. »Früher wurde uns

J

Foto:transit-Berlin/Thurm

Demonstrationen gegen Sozialabbau

Das Europäische Parlament verabschiedete nach den Protesten einen Kompromiss

Foto:WernerBachmeier

Tarifrunde bei IG Metall und Verdi. Arbeits- kämpfe bei CNH, Berendsen, Gate Gourmet und Lidl. Demonstrationen in Paris: Selten zuvor waren Menschen so kampfbereit, so erfolgreich und so solidarisch.

Kein Wunder: Die Beschäftigten sind es leid, immer nur zu verzichten. Sie wollen ihren Anteil am Gewinn der Unternehmen.

Und: Sie haben die Betonköpfe in Nadel- streifen satt. Denn selten zuvor zeigten sich Politiker und Arbeitgeber in Tarifrunden sowie Arbeitskämpfen so unnachgiebig, so stur und so geldgierig.

In den aktuellen Auseinandersetzungen in Deutschland und in Europa geht es um mehr als nur um Löhne. Es geht um die Zukunft der Tarifautonomie, der Mitbestimmung und der Demokratie. Und es geht um ein Stück Humanität – innerhalb wie außerhalb der Arbeitswelt.

Von Susanne Rohmund

Tarifrunde 2006

red_04_08_11_apm.qxp 22.03.2006 20:15 Uhr Seite 9

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10 metall4/2006

gung – aber zu seinen Bedingungen«. Und die Zeitung beobachtet weiter: »Was ist das für ein Verhandlungsführer, der gar keine Ver- handlungen führt? Was ist das für ein Minis- ter, der ohne Interessenausgleich mit den Be- schäftigten und deren Vertretern selbstständig verordnen will, was verdient und wie lange gearbeitet wird? Was für ein Demokratiever- ständnis steckt dahinter?«

Ihre Methoden haben sich die Arbeitge- ber offensichtlich bei den Briten abgeschaut.

Dort zerschlug in den 80er Jahren Margaret Thatcher mit eiserner Hand die Gewerkschaften.

Nun, nach mehr als 100 Jahren Mitbestimmung in Deutschland, glau- ben die Arbeitgeber, es sei an der Zeit, die Gewerkschaften zu spalten und zu zer- schlagen. So ver- suchte beispielswei- se der Bayerische Unternehmensver- band Metall und Elektro über Bayerns IG Metall-Bezirksleiter Werner Neugebauer gezielt Unwahrheiten zu streuen. Neugebauer soll bei der zweiten Ver- handlung auf ihre Vorschläge eingegangen sein. Das mussten die Arbeitgeber dann aber bei der dritten Verhandlung zurücknehmen.

Doch diese Taktik wird ihnen nichts bringen.

Denn die Zahlen sprechen für sich.Der Metall- industrie geht es so gut wie schon lange nicht mehr. »Fünf Prozent Lohnzuwachs sind mehr als fair«, sagt Jürgen Peters. Die Lohnkosten beispielsweise sind gemessen am Umsatz in den vergangenen zehn Jahren auf heute 17,4 Prozent gefallen. Würden die Löhne um fünf Prozent steigen, erhöhte sich der Lohnkosten- anteil um etwa 0,9 Prozent.

Die Firmen haben Speck angesetzt: Sie schütten an ihre Aktionäre hohe Dividenden aus. Der Deutsche Aktienindex kletterte 2005 um fast 30 Prozent.Und auch bei den eigenen Löhnen sind die Manager nicht geizig. Bei Daimler-Chrysler beispielsweise legten die Vorstandsgehälter um neun Prozent zu.

Nur die Beschäftigten gehen leer aus. Da- bei fehlt gerade ihnen das Geld im Portemon- naie, um den Konsum anzukurbeln. Der Wirt- schaftsweise Peter Bofinger: »Es ist falsch zu glauben, eine noch konsequentere Lohn- zurückhaltung bringe die Wirtschaft wieder in Schwung.« Das Gegenteil ist richtig. Das haben mittlerweile sogar einige Unions-Poli- tiker verstanden. Der CSU-Wirtschaftsminis- ter Michael Glos will, dass die Menschen »für gute Arbeit gutes Geld verdienen, und es dann auch ausgeben können«. Und der nordrhein- westfälische CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers weiß: »Es ist eine Lebenslüge, dass die Löhne zu hoch sind.«

Das sehen die Beschäftigten genauso. Sie sind es leid,ständig nur zu verzichten.»Die IG Metall«, beschreibt der »Spiegel«, »kann in der kommenden Tarifrunde mit breiter öf- fentlicher Unterstützung rechnen.« Verdi

Tarifrunde 2006

Aktionen, die Hoffnung machen

Warnstreik in Plauen

120 Beschäftigte lassen sich nicht einfach

»umsiedeln«. »Die Belegschaft wird mit allen Mitteln um den Standort kämpfen«, sagt Stefan Kademann, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Zwickau.

Foto:IgorPastierovic

Ein Logo ist Symbol für einen Kampf um den Standort gewor- den. Solidaritätsgrüße gibts unter

www.igmetall-bbs.de

Streik bei Verdi

Im öffentlichen Dienst geht um mehr als um 18 Minuten Mehrarbeit am Tag.

Es geht um noch mehr Arbeitszeit für immer weniger Lohn.

Foto:WernerBachmeier

red_04_08_11_apm.qxp 22.03.2006 20:15 Uhr Seite 10

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brachten die jüngsten Streiks sogar 5000 neue Mitglieder. Und selbst bestreikte Kin- dertagesstätten und stinkende Müllberge können die positive Stimmung nicht ändern.

»Angesichts der Breite des Streiks ist es immer noch erstaunlich, wie viel Verständnis die Öffentlichkeit für unsere Streiks zeigt«, ist Bsirske erstaunt.

Der Widerstand wächst. Die jüngsten Ak- tionen – ob bei AEG, CNH oder Berendsen in Plauen – sind kein Pfeifen im Wald, sondern ein Trommeln in der Republik. Auch die bis- herigen Warnstreiks der Metall- und Elektro- industrie belegen die neue Wut, die in den Köpfen und Herzen der Menschen kocht.

»Ich habe den Eindruck, dass die Stimmung in den Belegschaften gut ist«, beschreibt Berthold Huber die Kampfbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen.

Kein Wunder, denn der Widerstand lohnt sich. Das beweist beispielsweise der Streik bei AEG. Nach 47 Tagen und 47 Nächten haben die 1700 Beschäftigten nicht nur eine Abfin- dung von 1,8 Bruttomonatsgehältern pro Be- schäftigungsjahr und eine Beschäftigungsge- sellschaft erkämpft. Der Streik holte auch die vier AEG-Bereiche – Logistik, den Servicebe- reich, das Ersatzteillager und den Vertrieb (ausgenommen den Außendienst) – ins Tarif- werk zurück. Und das bedeutet für die Mitar- beiter: Sie werden nicht nach dem niedrige- ren Groß- und Außenhandelstarif bezahlt.

»Mit der Tarifauseinandersetzung um die AEG

ist die IG Metall in der öf- fentlichen Debatte in die Of- fensive gekommen«, freut sich Jürgen Wechsel, Zweiter Bevollmächtigter der IG Me- tall in Nürnberg. Wechsler rührte vor allem die Solida-

rität: 600 Busse kamen, um die Streikenden zu unterstützen. Gute Stimmung herrscht derzeit auch bei den Arbeitskonflikten, die bei Redaktionsschluss noch andauerten. Bei CNH in Berlin, ehemals Orenstein & Koppel, wird seit dem 21. Februar gestreikt (siehe auch Sei- te 4). Um ihre Solidarität zu zeigen, geben sich Politiker die Klinke in die Hand. Und auch die 120 Beschäftigten der Vogtländi- schen Textilpflege GmbH in Plauen sorgen seit Anfang März für Aufsehen. Nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch bei den Eig- nern, der britischen Berendsen-Kette: Überall in Plauen taucht ihr kämpferisches Motto auf

»Rettet die Waschbären«.

Die Liste lässt sich fortsetzen: Seit mehr als 160 Tagen wird bei Gate Gourmet am Düssel- dorfer Flughafen gekämpft. Aber auch Aktio- nen beim Discounter Lidl, der Kampf gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie oder die Massendemonstrationen der französischen Gewerkschaften und Studenten zeigen: Es reicht.

Die Menschen werden weiterkämpfen, für ihre Würde, für gerechte Löhne und für die Demokratie in den Betrieben.7

Tarifrunde 2006

Demos in Paris

Nach Massendemonstrationen planen die französischen Ge- werkschaften und Studenten, die Regierung mit einem lan- desweiten Streik in die Knie zwingen. Mit dem Ausstand wollen die Gewerkschaften nicht nur die Einführung des Ersteinstellungsvertrags (CPE) verhindern, der eine Probezeit von zwei Jahren für Berufsan- fänger vorsieht. Sie wollen da- mit die gesamte mehrphasige Reform des Arbeitsrechts kip- pen. Bei Redaktionsschluss lehnten Gewerkschaften und Studenten einen Dialog ab.

Foto:AFP/Guiollot

Kampflust bei den Metallern

Wenn es um geht, verstehen die Kolleginnen und Kollegen keinen Spaß. Mehr als 75 000 beteiligten sich allein in Baden- Württemberg an Warnstreiks.

Foto:Graffiti/Röttgers

red_04_08_11_apm.qxp 22.03.2006 20:15 Uhr Seite 11

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Rente

In der Rentenpolitik jagt eine Hiobsbotschaft die nächste. Ein Gespräch mit Oliver Burkhard, Leiter der Abteilung Tarifpolitik der IG Metall, wie es mit der Altersvorsorge in Zukunft weiter geht.

ner. Sie können sich keine zusätzliche Vorsor- ge leisten. Damit ist schon heute klar, dass Altersarmut zunehmen wird.

metall: Was kann die IG Metall mit ihrer Tarif- politik tun?

Burkhard: Wir müssen tarifpolitisch den Men- schen natürlich weiter unter die Arme greifen.

Das haben wir 2001 bereits getan. Als sich aber der Ausstieg aus der solidarischen Finanzie- rung nicht mehr verhindern ließ, haben wir mit dem Tarifvertrag zur Entgeltumwandlung und mit der Metall-Rente einen wesentlichen Bau- stein für eine zusätzliche Altersversorgung ge- schaffen.

metall: Du sagst selbst, dass gerade Gering- verdienern Altersarmut droht. Wie kann ihnen die Tarifpolitik helfen?

Burkhard: Im Moment noch zu wenig. Wir brau- chen mehr Möglichkeiten. Da denke ich zuerst an die vermögenswirksamen Leistungen. Was wir seit 1970 mit unserem Tarifvertrag über ver- mögenswirksame Leistungen getan haben, war – überspitzt formuliert – eine gigantische Subventionierung von Bausparkassen, Le- bensversicherungen und Sparkassen. Versteh mich richtig: Auch unsere Kolleginnen und Kollegen haben davon profitiert, klar. Der Ta- rifvertrag brachte ihnen 319 Euro pro Jahr zu- sätzlich vom Arbeitgeber, und es gab noch Sparförderung vom Staat obendrauf.

Angesichts der düsteren Wolken am Ren- tenhimmel wäre es aber wichtiger, die vermö- genswirksamen Leistungen in einen Renten- baustein umzuwandeln. Für Geringverdie- nende ist das ja jetzt schon Teil des gesparten Einkommens. Sie werden es also im heutigen Geldbeutel nicht merken, wenn sie mehr für die Rente tun.

metall: Die Menschen sollen fürs Alter vorsor- gen, jetzt denkt die Regierung darüber nach, die Sozialversicherungsfreiheit der Entgelt- umwandlung für Betriebsrenten 2008 zu strei- chen. Eine richtige oder falsche Entscheidung?

Burkhard: Tja, auf jeden Fall keine leichte Ent- scheidung. Natürlich kostet die Sozialversi- cherungsfreiheit der Bruttoentgeltumwand- lung den Staat 1,6 Milliarden Euro jährlich.

Man kann aber nicht erst eine Rentenlücke reißen und dann den Menschen sagen, geht Balalaika spielen oder tippt im Lotto. Aus wel- chem Topf auch immer gefördert wird, es muss weiter Anreize für eine zusätzliche Vorsorge geben.

metall: Was bringt die Metall-Rente?

Burkhard: Wir haben Ende 2001 in vier Mona- ten ein gemeinsames Versorgungswerk mit Gesamtmetall aufgebaut. Inzwischen ist es von der Zahl der Versicherten her das größte deutsche Versorgungswerk, und das in nicht

»Man kann nicht erst eine Rentenlücke reißen und dann den Menschen sagen, geht Balalaika spielen oder tippt im Lotto. Aus welchem Topf auch gefördert wird, es muss weiter Anreize für eine zusätzliche Vorsorge geben.«

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metall:Rente mit 67 am Rande des Existenz- minimums – wie düster sieht es mit unserer Versorgung im Alter aus?

Oliver Burkhard: Ich halte den Vorschlag, die Rente auf 67 anzuheben, beschäftigungs-, so- zial- und gesundheitspolitisch für daneben.

Beschäftigungspolitisch, weil jede Arbeitszeit- verlängerung Arbeitsplätze kostet. Sozialpoli- tisch, weil es bessere Möglichkeiten zur Sanie- rung der Rentenkasse gibt, etwa die Bürgerver- sicherung. Und gesundheitspolitisch, weil ich mir nun wirklich nicht vorstellen kann, wie man mit 67 die Belastung und den Stress an vielen Arbeitsplätzen aushalten soll.

Die Regierung macht es sich bei der Sanie- rung der Renten bequem – auf Kosten der Be- schäftigten. Sie müssen nicht nur zwei Jahre länger Beitrag zahlen, sondern bekommen auch zwei Jahre weniger Rente. Wer dann noch früher gehen will, nimmt aufgrund der Abschlä- ge deutlich niedrigere Renten in Kauf. Und eins lässt sich schon jetzt voraussagen: Die Ab- schläge werden steigen. Wer früher in Rente gehen will, wird in Zukunft mehr als 3,6 Prozent Minus pro Jahr hinnehmen müssen. Der DIHK- Präsident Braun fordert das schon heute.

metall: Laut Rentenbericht wird das Rentenni- veau eines durchschnittlichen Arbeitnehmers bis 2019 auf weniger als 50 Prozent sinken. Wie sicher ist diese Entwicklung?

Burkhard: Ja, ja, die Rentenfachleute rechnen bis 2030 sogar mit knapp 40 Prozent des durchschnittlichen Bruttogehalts als gesetzli- che Rente. Den Sündenfall hatten wir schon 2001. Die damalige Regierung hat trotz unse- rer Proteste die paritätische Finanzierung der Rentenversicherung aufgegeben. Und jetzt wird die Lücke in der gesetzlichen Rente immer größer. Besonders hart trifft das Geringverdie-

»Die Rente wird auf Kosten der Beschäftigten saniert«

Oliver Burkhard, zuständig für die Tarifpolitik der IG Metall

Foto:MichaelSchinke

red_04_12_13_rente_apm.qxp 22.03.2006 20:21 Uhr Seite 12

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Eigentum verpflichtet

Mit ihrer Forderung nach einer Verlagerungs- abgabe will die IG Metall das grenzenlose Profit- streben mancher Konzerne auf Kosten der All- gemeinheit eindämmen.

Verlagerungsabgabe

Verlagerung

In Nürnberg laufen bald keine Haushaltsgeräte mehr vom Band. Die Verlagerungskosten kann AEG von der Steuer absetzen. Auf den Folge- kosten bleibt die Allgemeinheit sitzen.

Entgeltumwandlung

Mit der Rentenreform vor fünf Jahren wurde die betriebliche Altersvorsorge umgestellt. Bis 2001 war sie eine frei- willige Leistung. Seit 2002 hat jeder gesetzlich pflichtversicherte Beschäf- tigte einen Anspruch auf eine betriebli- che Altersvorsorge durch Entgeltum- wandlung.

Er kann bis zu vier Prozent der Bei- tragsbemessungsgrenze (2005 lag sie bei 62 400 Euro) pro Jahr für die Altersvorsorge in einer Direktversiche- rung, einem Pensionsfonds oder einer Pensionskasse anlegen. Der Vorteil für Anleger: Die Beiträge bleiben bisher steuer- und sozialversicherungsfrei.

Die Befreiung für Sozialversicherungs- beiträge läuft allerdings Ende 2008 aus.7

Metall-Rente

Das Versorgungswerk Metall-Rente wurde 2001 von IG Metall und dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall gemeinsam gegründet. Die Metall- Rente bietet Beschäftigten verschie- dene Formen der betrieblichen Alters- vorsorge. Sie können zwischen Direkt- versicherung, Pensionsfonds und Pensionskasse wählen. Die Angebote gelten für Beschäftigte der Elektro- und Metallindustrie, der Holz- und Kunststoffindustrie, der Textil- und Bekleidungsindustrie sowie der Stahlindustrie. Metall-Rente kann auch von Betrieben genutzt werden, die keinem Arbeitgeberverband an- gehören. Mehr Informationen zu den Angeboten gibt es auf der Internet- seite der IG Metall und unter www.metallrente.de.7

er Kampf der AEG-Beschäftigten in Nürnberg bewegte viele Men- schen. Sechs Wochen lang streik- ten sie für ihre Arbeitsplätze. Sie erkämpften hohe Abfindungen. Die Schließung konnten sie nicht verhindern. Der Name AEG steht stellvertretend für andere – für den nieder- sächsischen Reifenhersteller Continental, für den Aufzughersteller Otis oder für die CNH Maschinenfabrik Berlin, wo die Beleg- schaft seit Februar um das Werk kämpft.

Die Namen stehen für Standortverlagerun- gen, die alle dem gleichen Muster folgen.

Rentable Werke werden geschlossen,um sie ein paar hundert Kilometer weiter östlich wieder aus dem Boden zu stampfen und höhere Gewinne einzustreichen. Für die Un- ternehmen ein profitables Geschäft. Für die betroffenen Regionen fast immer eine schmerzhafte und teure Entscheidung.

Angesichts der Mitnahmementalität mancher Unternehmer fordert die IG Metall eine Verlagerungsabgabe. Damit will sie

grenzenloses Profitstreben auf Kosten der Allgemeinheit eindämmen.

Eine Verlagerungsabgabe soll Auslands- investitionen nicht verhindern. Schließlich könne auch die deutsche Wirtschaft davon profitieren, wenn sie der dortigen Markter- schließung dienen, sagte IG Metall-Vorsit- zender Jürgen Peters. »Aber es kann nicht sein, dass Verlagerungskosten steuerlich gel- tend gemacht werden und die Sozialkosten der Allgemeinheit aufgebürdet werden.«

Peters forderte deshalb die Regierung auf gegenzusteuern. Verlagerungskosten sollten steuerlich nicht mehr absetzbar sein und öffentliche Fördermittel im Falle einer Verla- gerung zurückgezahlt werden. Mit einer Verlagerungsabgabe sollten sich Unterneh- men an den gesellschaftlichen Kosten ihrer Entscheidung beteiligen. Unternehmen hät- ten auchVerpflichtungen gegenüber der Re- gion, in der sie groß geworden sind. »Im Grundgesetz steht noch immer, Eigentum verpflichtet.«7

D

einmal fünf Jahren. Metall-Rente hat 8600 Unternehmen unter Vertrag. Das ist mehr als Gesamtmetall Mitglieder hat. In einigen Betrieben haben 80 Prozent der Beschäf- tigten eine Metall-Rente abgeschlossen.

Aber in der großen Masse der Betriebe läuft absolut zu wenig. Das Problem haben auch andere Anbieter. Angesichts der Einkom- mensentwicklung in den letzten Jahren wundert mich das allerdings nicht. Gerade für Beschäftigte mit niedrigem Einkommen bleibt einfach nichts übrig, um es für die Rente zurückzulegen.7

Fabienne Melzer

Foto:WernerBachmeier

red_04_12_13_rente_apm.qxp 22.03.2006 20:21 Uhr Seite 13

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Menschenrechte

Kosten senken mit Era?

Weitere Proteste geplant

Kostensenkung durch die Hintertür: Baden-Württem- bergs Metall-Arbeitgeber entdeckten ein neues Betätigungsfeld: die Ein- führung der Era-Tarifver- träge. Südwestmetall sieht darin die »einmalige Chan- ce, bestehende Entgelt- strukturen abzulösen«. So sollen »Fehlentwicklungen der Vergangenheit« beho- ben werden. Metallerinnen und Metaller lassen sich das nicht länger gefallen.

Era-Einführung

metall4/2006

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D i e M e n s c h e n r e c h t e

Der Besucher kam in einer heiklen Angelegenheit. UN-Sonderbericht- erstatter Vernor Muñoz sollte prü- fen, wie es im Land der Dichter und Denker um das Menschenrecht auf Bildung steht. Sein Urteil: Für die Versetzung in die Menschen- rechtsklasse muss Deutschland noch einiges tun.

Auf seiner Reise durch die deut- sche Bildungslandschaft sah Muñoz ein System, das das Recht auf Bildung nicht immer erfüllt. Er kritisierte die frühe Trennung der Kinder nach der vierten Klasse, die schlechteren Bildungschancen von Migran- ten und Flüchtlingen, die gro- ßen Unterschiede zwischen den Bundesländern und die Benach- teiligung von armen Kindern.

Aus Sicht der Kinder Ganz neu sind die Erkenntnisse nicht. Ähnliche Kritik übten be- reits internationale Bildungsstu- dien. Dennoch war der Besuch wichtig, findet Claudia Lohren- scheit vom Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin.

»Er hat die Debatte von einer an- deren Seite aufgegriffen – von der Seite der Kinder und ihrem Recht auf Bildung.« Dieses Recht bedeutet mehr als der obligato- rische Schulbesuch für alle. »Es geht auch um die Qualität der

Im Land der Dichter und Denker wird das Recht auf Bildung nicht immer erfüllt. Das deutsche Bildungssystem grenzt besonders arme Kinder aus.

Bildungsauftrag Menschenrechte

Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist eine junge Ein- richtung. Es wurde vor fünf Jahren auf Empfehlung des Deut- schen Bundestages gegründet. Mit seiner Arbeit will das Ins- titut Menschenrechte fördern und Verletzungen dagegen vor- beugen. Zu den Schwerpunkten zählen die Menschrechtsbil- dung, die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung sowie menschenrechtliche Aspekte von Migration und Asyl.

Zum Recht auf Bildung erscheint im Frühjahr eine Studie des Instituts. (www.institut-fuer-menschenrechte.de)

3Die Serie »Menschenrechte« will dazu beitragen, dass die Menschenrechte nicht in Vergessenheit geraten.7

Artikel 26

»Jeder hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zumindest (...) die grundlegende Bildung. (...) und der Hochschulunterricht muss allen (...) entsprechend ihren Fähigkeiten offen stehen.«

Bildung«, sagt Lohrenscheit.

Dazu müsse Schule sich mehr als bisher auf jedes Kind einstellen.

»Die Botschaft muss lauten: Je- des Kind ist willkommen. Kein Kind ist ein Problem.«

Geldbeutel entscheidet Ähnlich wie Muñoz kritisiert das Institut die frühe Trennung der Kinder. »Die Schulkarriere wird bei uns schon mit zehn Jahren festgelegt. Danach ist das System eigentlich nur noch nach unten offen.« Dabei hängt viel vom Geldbeutel der Eltern ab. Für arme Familien ist schon das Büchergeld ein Problem.

Klassenfahrten oder Freizeitan- gebote bleiben für sie oft unbe-

zahlbar. Das trifft besonders Migrantenkinder, da sie häu- figer aus ärmeren Familien stammen. Für Flüchtlingskin- der gilt in einigen Bundeslän- dern nur ein Schulrecht. »Da muss niemand nachforschen, wenn diese Kinder nicht zur Schule kommen«, sagt Loh- renscheit. »Deshalb brauchen wir eine bundesweite Schul- pflicht für Flüchtlingskinder.«

Um beim Recht auf Bildung aufzuholen, müsse Deutsch- land die Kinderarmut bekämp- fen, die vorschulische Bildung stärken und die frühe Selektion beenden – oder nach Skandina- vien schauen. »Da sehen wir die Lösung.«7Fabienne Melzer

Illustration:PD/Artville

red_04_14_15_apm.qxp 22.03.2006 20:26 Uhr Seite 14

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Prozent der Fälle wider- sprochen werden müsse.

Drung: »Die Kolleginnen und Kollegen sind stin- kig, es geht um ihr Geld.«

Auf die rund 220 Leis- tungslöhner wartete nach dem Weihnachtsurlaub eine Überraschung: Ab Januar gelte die bezahlte Erholzeitpause nicht mehr, weil mit dem ein- geführten Era die Rege- lungen des gekündigten Lohnrahmens II Ende 2005 ausgelaufen seien.

So jedenfalls die Auffas- sung von Geschäftslei- tung und Südwestmetall.

Die IG Metall hält daran fest, dass die bezahlten Pausen weiter gelten, bis eine neue Tarifregelung gefunden ist. Im März gab es bei Festo mit 900 Teilnehmern die bisher größte Protestkundge- bung der Firmenge- schichte. Betriebsräte kleinerer Betriebe kom- men in diesen komplizierten Verfahren schnell an Kapazitätsgrenzen. Bei Schondelmaier in Gutach im Schwarzwald widersprach der Be- triebsrat 98 Prozent aller Eingruppierungen.

Der Automobilzulieferer hat 260 Beschäftigte.

»Ich habe kaum einen Arbeitsplatz in der Be- schreibung der Geschäftsleitung wieder er- kannt«, sagt Betriebsratsvorsitzender Eric Küf- fer.Dabei ist er seit 1982 im Betrieb und kennt ihn in- und auswendig.Das Unternehmen ha- be systematisch die Arbeitsplätze zu niedrig eingestuft, um auf Kosten der Beschäftigten zu sparen.Auch die nach der ersten Reklama- tion überarbeiteten Eingruppierungen hält der Betriebsrat in 90 Prozent der Fälle für un- zutreffend. Eric Küffer hat nun die IG Metall um Unterstützung gebeten.

Die IG Metall fordert alle Betriebe zu Wi- derspruch und Protest auf: »Lohnfragen sind und bleiben Machtfragen« – auch in der angeblich schönen neuen Era-Welt.7

Uli Eberhardt

künftige Erhöhungen angerechnet werden und zusammen mit dem Grundentgelt lang- sam abschmelzen. Der Betriebsrat, so die Vorsitzende Marina Cee, forderte die Ge- schäftsleitung auf, den Konfrontationskurs bei Beru aufzugeben und die Arbeitsplätze fair und korrekt zu bewerten.

»Die Protestaktion bei Beru war nur der Anfang.« In fast allen Betrieben seiner Ver- waltungsstelle registrierte Konrad Ott Versu- che der Arbeitgeber, mit Hilfe des Era die Lohn- und Gehaltssummen zu reduzieren.

So bei Getrag,Valeo, Mann+Hummel, Elring oder Heinkel. Der Arbeitgeberverband Süd- westmetall unterstütze die Geschäftsleitun- gen aktiv dabei.

Akkordpause weg bei Festo

Bei Festo in Esslingen (Antriebe und Steu- erungen) wurde der Era Anfang 2006 einge- führt. 2500 Beschäftigte wurden neu ein- gruppiert. Betriebsratsvorsitzender Hans-Jür- gen Drung rechnet damit, dass in 30 bis 40 Jetzt engagieren, reklamieren, pro-

testieren« – dazu rief die Ludwigs- burger IG Metall im Februar ihre Mit- glieder in vielen Betrieben auf. Grund: Die Arbeitgeber in Baden-Württemberg be- trachten die Einführung des Entgeltrahmen- tarifvertrags (Era) offenbar als gigantisches Kostensenkungsprogramm.

Bei Beru in Ludwigsburg protestierten Ende Januar rund 400 Beschäftigte. Der Her- steller von Zündungstechnik für Autos hatte der Belegschaft die neuen Eingruppierun- gen nach dem Era-Tarifvertrag mitgeteilt.Al- lerdings wurden mehr als 70 Prozent zu niedrig eingestuft – mit Differenzen von bis zu zehn Prozent zum bisherigen Einkom- men, wie der Betriebsrat nachprüfte. Rund 950 Tarifbeschäftigte sind betroffen. Auch beim Leistungsentgelt will Beru den Leuten an den Geldbeutel, wie Ludwigsburgs Be- vollmächtigter Konrad Ott feststellte: Durch die Umwandlung bisheriger Leistungsent- gelte in freiwillige Zulagen könnte dieses auf

Betriebsreport

»

Protest bei Festo in Esslingen: Wo Era jetzt eingeführt wird, wollen die Arbeitgeber die »Pinkelpause« streichen red_04_14_15_apm.qxp 22.03.2006 20:26 Uhr Seite 15

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16 metall4/2006

eim Essener Bundesverband der Be- triebskrankenkassen (BKK) gehen neuerdings vermehrt Anrufe aus dem Großraum Freising ein. Beschäftigte von Texas Instruments, weltgrößter Hersteller von Halbleitern für Mobiltelefone, beschweren sich dabei über »schreckliche Arbeitsbedin- gungen« in ihrem Betrieb.

Im Zentrum der Kritik steht das neue Schichtsystem, das die US-Firma ausgerech- net im Jahr ihrer fettesten Gewinne (2,324 Milliarden US-Dollar Nettogewinn in 2005) eingeführt hat. Das neue System, das der von Unorganisierten dominierte Betriebsrat durchgewunken hat, sieht im Wechsel zwölfstündige Tag- und Nachtschichten vor.

Auf diese Weise werden sämtliche 500 Be- schäftigte in der Produktion zu Nachtarbei- tern. Als Maximum sind bis zu

47,67 Wochenstunden vorge- sehen. Barbara Orfeld vom BKK hält solche Mammutschichten für »gesundheitsgefährdend«.

Tatsächlich sieht das Arbeits- zeitgesetz für Nachtarbeiter in der Regel eine achtstündige Ar-

beitszeit vor. Zehn Arbeitsstunden sind nur ausnahmsweise erlaubt – wenn zusätzliche Freischichten im Laufe des Monats einge- plant sind. Im Durchschnitt dürfen acht Ar- beitsstunden je Werktag nicht überschritten werden. Bei Texas Instruments wäre das nur der Fall, wenn der vorgesehene Arbeitszeit- block über 46,67 Wochenstunden – derzeit

werden 38,5 gefahren – höchstens über drei Wochen läuft. Nach Angaben von Michael Schmitt, einziger Metaller im 15-köpfigen Betriebsrat, ist immerhin das garantiert.

Viel bringt das nicht. Denn inzwischen hat sich herumgesprochen, dass mit den Frei- zeitblöcken nicht viel anzufangen ist. »Mit den Freischichten lässt sich nicht planen«, berichtet Paul Niemann (Name geändert) aus der Fertigung, »mit Familie und Freunden et- was zu unternehmen, wird jetzt enorm kom- pliziert.« Und im Betrieb? Zwei Kollegen, weiß der BKK, seien dieses Jahr schon »um- gekippt« und per Notarzt ins Krankenhaus gebracht worden, womöglich auch wegen der langen Schichten. »Die Leute gehen alle zur Arbeit bis sie umfallen, aus Angst um ihren Arbeitsplatz«, glaubt Niemann.

Auch Michael Schmitt hat Bauchschmerzen.

Gerade in der Wafer-Fertigung sei »der Ar- beitstag schon hart«. Die Beschäftigten schwitzten in Overalls und »Vollkopfhau- ben«; und damit kein Staub eindringe, wer- de der Luftdruck dauerhaft erhöht. Schmitt:

»Wenigstens habe ich bewirken können, dass die 46,7-Stunden-Blöcke nur drei Mal

jährlich und nie in Folge anfallen dürfen.«

Währenddes wirbt die Geschäftsleitung mit BKK-Infos (»Besser leben mit Schichtar- beit«) für ihr frühkapitalistisches Modell.

Das ärgerte die Krankenkasse zusätzlich. Zu- mal kritische Bemerkungen über die Ge- fährdungen von Schichtarbeit verschwiegen wurden. Der Verband hat daher seine Juris- ten alarmiert. Sie sollen die unerlaubte Ver- breitung der Infos unterbinden.

Falsche Richtung

Texas Instruments ist kein Einzelfall. In Mün- chen-Perlach hat sich vor einigen Monaten Infineon mit Zwölf-Stunden-Wechsel- schichten versucht, unterstützt von den Be- triebsratsmitgliedern der »Arbeitsgemein- schaft Unabhängiger Betriebsangehöriger«

(AUB). Ausnahmsweise hatte die Geschäfts- leitung das Firmenmotto (»Never stop thin- king«) ernst genommen, aber leider in die falsche Richtung gedacht. Prompt scheiterte sie am Widerstand von Belegschaft und IG Metall. Metaller Rudi Steinberger, Vertrau- enskörperleiter: »Wir hatten 85 Prozent der Belegschaft hinter uns. Die Leute wussten, dass unmenschliche Zwölf-Stunden- Schichten ihr Privatleben zerstören und Qualitätsarbeit verhindern.«

Die Infineon-Beschäftigten in Dresden mussten die Zwölf-Stunden-Wechselschich- ten zu Jahresbeginn akzeptieren. Betroffen sind rund 2500 Beschäftigte in der Wafer-Pro- duktion. Wiederum hatten Betriebsräte von

In der noblen IT-Branche, einst Hoffnungsträger einer neuen Ökonomie, gras- siert ein Virus aus den Anfängen der Industrialisierung: inhumane Schichtmodel- le über zwölf Stunden. Arbeitgebernahe Betriebsräte bereiten ihnen den Weg.

B

metall:Sind Zwölf-Stunden-Wechsel- schichten, wie sie in der IT-Branche in Mode kommen, nicht extrem ungesund?

Friedhelm Nachreiner: Ja, unsere Untersuchungen für die Hans-Böckler- Stiftung zeigen, dass die Beschwerden zunehmen, wenn länger als zehn Stunden täglich gearbeitet wird. Schichtarbeiter klagen häufiger über Herz-und Kreislaufbeschwerden, Schlafstörungen und Magen-Darm-Er- krankungen. Zusätzlich steigt das Unfallrisiko mit der Länge der Schicht.

metall:Immerhin bieten die Unternehmen als Ausgleich längere Freizeitblöcke an ...

Nachreiner:... das ist der Köder, der die Beschäftigten locken soll. In

Foto:AndreasBurmann

Professor Friedhelm Nachreiner ist Arbeits- und Organisationspsychologe an der Universität Oldenburg.

»Gewerbeaufsicht müsste besser aufpassen«

Vom Leben isoliert

Zwölf-Stunden-Schichten bei Infineon und Texas Instruments

»Du kriegst keinen Rhythmus rein, einfach nur schrecklich. Meinen fünf Monate alten Sohn kriege ich kaum noch zu sehen.«

Ralf Müller, Senior-Operator bei Infineon, Dresden

Arbeitszeit

red_04_16_17_apm.qxp 22.03.2006 20:36 Uhr Seite 16

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