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Diese Versorgungseinrichtung bestand in Modi- fikationen auch unter veränderten politisdien Verhältnissen bis in die neueste Zeit.

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Anzeigen Horst Bltsch: Das Erzstift Lyon zwischen Frankreich und dem Reidi im Hohen Mittelalter. Musterschmidt-Verlag, Göt- tingen, Zürich, Frankfurt 1971, 237 Sei- ten ( = Göttinger Bausteine zur Ge- sdiiditswissenschaft, Bd 42).

Die heutigen europäischen Staatsgrenzen sind das Ergebnis eines langwierigen historischen Prozesses, sie verraten sdion durch ihre Linien- führung auf den ersten Blick, daß dabei das Irrationale und Zufällige eine wichtige Rolle gespielt hat. Das gilt audi für die deutsch- französische Grenze, über deren Entstehung die Wissenschaftler auf beiden Seiten nidit immer sine ira et studio geschrieben haben. Den zur holzschnittartigen Vereinfachung der Linien zu- neigenden Gesamtdarstellungen sind Einzelun- tersudiungen vorzuziehen, die den komplexen Entstehungsvorgang aus den Quellen zu rekon- struieren versuchen und die Frage nach Gut und Böse zunädist einmal beiseite lassen. Den An- fängen der Abgrenzung zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich im südburgundisdien Raum geht der Verfasser mit Sorgfalt und Sachkunde nadi. Die Aufgabe ist deswegen so schwierig, weil die Abgrenzung nidit zwischen Staaten im modernen Vollsinne erfolgte, son- dern Gebilde betraf, die nach der Formulierung des Verfassers nur als »gestufte Herrschaftsbe- reiche« angesprochen werden können. Es geht darum, für die Zeit vom 11. bis zur Mitte des 13. Jahrhundens die Stellung des Erzstiftes Lyon zu den anderen politischen Gewalten des Raumes, den Grafen von Lyon und Forez, den Herren von Beaujeau, dem Kloster Savigny und nidit zuletzt der Stadtgemeinde von Lyon, zu bestimmen. Das politische Geschehen spitzte sich bald auf den Gegensatz zwischen den Erz- bischöfen und den Lyoner Grafen zu, während die übrigen Gewalten ihren Vorteil in wechseln- den Verbindungen suchten. Obwohl der Erz- bischof zu den Fürsten des Reiches gehörte, fand er bei diesem so gut wie keinen Rüdchalt. Aber auch die französische Krone hielt sich im Be- richtszeitraum deutlich zurück und ging jeder Konfrontation mit dem Reich vorsichtig aus dem Wege. Die lokale Machtpolitik, deren mehr oder weniger zufällige Ergebnisse für die Zu- kunft von großer Bedeutung sein sollten, grün- dete sich auf den Säulen Burgenbau und Dienst- mannschaft. Immer wieder suchte die eine Par- tei der anderen strategisdi wichtige Plätze ab- M G M 1/72 zujagen, diese zu befestigen und durch ritterli- 259 che Mannschaft zu verteidigen. Davon machte

auci das Kloster Savigny keine Ausnahme, das sich mit Hilfe dieser Politik zwischen beiden Seiten, zwischen den Erzbisdiöfen und den Grafen, zu behaupten verstand. Aus gründli- cher Kenntnis der Quellen und der umfang- reichen Sekundärliteratur heraus findet der Ver- fasser zu einer einleuchtenden Darstellung der verwickelten Vorgänge und zu überzeugenden Deutungen. Die beigegebenen Karten tragen wesentlich zum Verständnis bei. S. Carsten

Carl-Hermann Colshorn: Die Hospital- kassen der hannoverschen Armee. Ein Vorläufer der Sozialversicherung seit 1680. August Lax, Verlagsbudihandlung, Hildesheim 1970, VIII, 164 Seiten ( = Quellen und Darstellungen zur Ge- schichte Niedersachsens, Bd 77).

Christian Probst: Der Deutsche Orden und sein Medizinalwesen in Preußen.

Hospital, Firmarie und Arzt bis 1525.

Verlag Wissenschaftliches Archiv, Bad Godesberg 1969, 196 Seiten ( = Quellen und Studien zur Geschichte des Deut- schen Ordens, Bd 29).

Was die beiden hier gemeinsam vorzustellenden Bücher verbindet, ist die militärgeschichtlich in- teressante Frage der Versorgung.

Der Mediziner Probst hat seine zweite Disser- tation in einer der Geschickte des Deutschen Ordens gewidmeten Reihe untergebracht; Me- dizingeschkhte beinhaltet eben immer auch ein gut Stück Sozialgeschichte. Und Coishoms (rechtswissenschaftliche) Dissertation hat Auf- nahme in einer landesgesdiichtlichen Serie ge- funden. Solche Kombinationen sind angesichts häufig geäußerter Befürchtungen, die Geschichts- wissenschaft könne auseinanderfallen, sehr zu begrüßen.

Der Deutsche Orden, Nachfolgeeinrichtung eines älteren deutschen Hospitals, dessen Wirk- samkeit mit dem Fall Jerusalems 1187 ein Ende gesetzt war, wurde 1198 zu einem Ritter- orden erhoben. Der Ritterbruder, der durch Alter, Krankheit oder beides infirmus gewor- den war, legte seine Waffen ab und gab sein Roß in andere Hände. Durch sein Gelübde war er sowieso jeden eigenen Vermögens bar; Heim, Nahrung und Pflege des Leibes bot ihm f ü r den Rest seines Lebens die Firmarie des Ordens- hauses. Für die persönlichen Dinge blieb sein Knecht zu seiner Verfügung. Er stand von da ab außerhalb des Konvents und unterlag

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nidit mehr den Möndi-Rittern geltenden Ge- setzen, sondern »gehört[e] zu den armen Sie- Aen, deren körperlidie und geistlidie Wohl- fahrt zum Objekt der Aufmerksamkeit der [gesunden] Brüder« wurde.

Finanziell stand die Firmarie einigermaßen selbständig da, es kam sogar vor, daß der Fir- mariemeister Zuschüsse an den HoAmeister oder den Hauskomtur zu leisten hatte. Die eben beschriebene Versorgung ersetzte dem Rit- terbruder die Einkünfte des Alters, die seinen nidit dem Orden beigetretenen Standesgenossen die eigenen Lehen abwarfen.

Jahrhunderte später ist die Versorgung des in Kriegsdiensten blessierten, sonstig siech oder al- tershalber dienstuntüchtig gewordenen Soldaten auf Grund der seitdem stattgefundenen politi- schen, militärisdien und wirtscfaaftlidien Wand- lungen anderen Gesetzen unterworfen. Der Ter- ritorialstaat war entstanden, im Heerwesen war die Entwicklung vom Landes- und Lehensauf- gebot zum Söldner- und weiter zimi stehenden Heer gegangen. Der miles perpetuus hatte kein Vermögen, er mußte an einer Zusage der Ver- sorgung durch den absolutistisdien Landesherrn interessiert sein. Diese Frage wurde im 17. Jahr- hundert durch die Einrichtung von Invaliden- häusern geregelt, so audi in den welfisdien Landen (1680). Für die Unterhaltung des Hau- ses in Celle stiftete der Herzog eine Hospital- kasse, in die audi später Strafgelder und Ab- züge von der Löhnung flössen, also ein Element der Selbstbeteiligung. Die Hospitalkassen ver- fügten zuzeiten über erheblidie Einkünfte, die die Aufwendungen für Unterhalt, Bekleidung und Ernährung der Invaliden, aber audi die Kosten für ihre ärztliche Versorgung deckten.

Diese Versorgungseinrichtung bestand in Modi- fikationen auch unter veränderten politisdien Verhältnissen bis in die neueste Zeit.

Beide Arbeiten sind auf eigenen Ardiivstudien aufgebaut, in der Probsts überwiegt der me- dizinisdi-soziale Aspekt, die Colshorns hat star- ke kameralistiscjie Bezüge.

Es würde der Arbeit über den Deutschen Or- den nidit gerecht, wenn nicht noch Erwähnung fände: Sein preußisches Territorium war von einem Netz von Spitälern in den Städten, die unter seinem Patronat standen, überzogen. Das ist die nach außen gerichtete Seite der »Liebes- tätigkeit« an den kranken Menschen, die auf die ursprünglidie Aufgabenstellung der Spital- bruderschaft zurückgeht. Mit einem gehaltvol- len Kapitel über die Militärmedizin des Or- dens sdiließt diese Veröffentlidiung. H. Z.

Franz-Lorenz von Thadden: Feldmar- sdiall Daun. Maria Theresias größter Feldherr. Verlag Herold, Wien, Mündien

1967, 519 Seiten.

Der Verfasser, »dessen Ahnen väterlicherseits unter den Fahnen König Friedrichs, mütcerli- dierseits unter den Fahnen der Kaiserin Maria Theresia fochten«, fühlt sich auf Grund seiner bipolaren Herkunft verpflichtet, die Geschichte etwas zurechtzurücken. Dafür bieten sich ihm mancherlei Vergleichsmöglichkeiten auf dem Gebiete der Sittlichkeit, des Glaubens, des Ehe- lebens, des Völkerredits und des Verhältnisses zum Deutschtum. Alle lassen sich zu Ungunsten des bösen Friedrich auswerten. Maria Theresia

»stand schon als Frau in einem wesensgemäßen Gegensatz zu ihrem Gegner. Während man aber nidit einfach den historischen Meinungen fol- gen sollte, die Friedridi als die Verkörperung des männlichen Ideals sehen wollen, wird man diese Beurteilung für Maria Theresia als Frau auf dem Thron eher verwenden können« (S.

66). Bei einer so klaren Hintergrundzeich- nung kann der moralische wie allgemein menschliche Platz des Helden auf der Bühne schon im Vorwort deutlich festgelegt werden.

»Wen diese Kaiserin, die größte deutsdie Frau auf einem Fürstenthron, ihrer Freundschaft ge- würdigt hat, der kann nicht als Versager ab- qualifiziert werden. Gerade weil die Bezie- hungen zwischen Maria Theresia und ihrem Feldherrn auch nicht den leisesten Hauch einer sogenannten Romanze hatten, sind sie ein wich- tiger Hinweis auf die Begabung der Kaiserin, den rechten Mann an den rechten P l a t z . . . zu stellen.«

Schon die Diktion mit ihrer perlenden Fülle historisch begründeter Lebensweisheiten zeigt, daß dieses Buch nicht in die wissenschaftlich- kritische Literatur eingereiht werden sollte.

Warum aber wird es dann hier angezeigt? Daun hat in den Jahren nach dem österreichischen Erbfolgekrieg die kaiserliche Armee wieder zu einer schlagkräftigen Truppe formiert, die Gründung der Militär-Akademie in Wiener Neustadt und der Ingenieur-Akademie in Wien betrieben und ein fachlich gut geschultes Offi- zierkorps geschaffen. Seinen Kriegsruhm be- gründete der Sieg bei Kolin, der den Krieg für Preußen in ein offenkundiges Vabanquespiel verwandelte, weiterhin der Überfall bei Hodi- kirch — die Initiative lag hier allerdings bei Laudon — und der Finkenfang bei Maxen.

Bei Torgau verwundet erlitt er seine einzige

nennenswerte Niederlage, konnte aber noch ver-

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hindern, daß die Preußen ihren zweifelhaften Triumph nutzten. Doch es sind weniger die spektakulären Erfolge als die meisterhafte — wenn audi schon damals umstrittene — Defen- sivtaktik und die einer späteren Zeit so unver- ständliche Manöverstrategie, die ihn militärge- schiditlidi interessant machen. Hier hatte er nur einen gleidiwertigen Gegner, den Prinzen Hein- ridi von Preußen, dessen Tedinik der Krieg- führung von Zeitgenossen über die seines gro- ßen königlidien Bruders gestellt wurde. Der offensiveren Kriegführung Friedrichs II. dage- gen fühlte er sich gewachsen, die erstrebte Ent- sdieidungssdiladit hat er ihm immer verwei- gern können.

Vielleicht ist in den letzten 80 Jahren der Krieg zu selbstverständlich mit Offensive identifiziert worden, als daß ein Vertreter der hinhaltenden Verteidigung je ernsthaft für ein Budithema zur Diskussion stand. Jedenfalls fehlte bisher die Lebensbesdireibung eines Mannes wie Daun.

Auch die vorliegende Biographie ist weniger aus dem Sudien des Militärs nach exemplarischen Vorbildern oder aus dem Forsdiungsdrang des Historikers entstanden, sondern mehr aus einer versdiwommenen Liebe zum Sujet. Aber es ist zu spüren, daß der Autor alles aus den Akten herausgeholt hat, was nadi seinen Maßstäben wissenswert sein sollte. So erhält der Leser nicht nur kulturhistorische Einblicke in die Le- bensverhältnisse des Feldmarsdialls als »Fami- lienvater und Grundbesitzer«, in den Brief- wechsel eines Generals mit seiner Kaiserin, in die Umstände, mit denen ein Feldherr während der Schlacht zu kämpfen hat, sondern erfährt auch eine Vielzahl aufschlußreicher Details.

Möglicherweise ist er nach der Lektüre etwas verwundert über die »Form eines überzeugten österreichischen Katholiken der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der den Feind in seiner türkischen und preußischen Form erlebt und verabscheuen gelernt hat« (S. 266), doch er wird es nicht bedauern, das Buch in die Hand genommen zu haben. G. P.

Eberhard Weis: Montgelas 1759—1799.

Zwischen Revolution und Reform. C. H . Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München

1971, XV, 489 Seiten.

Weis legt hiermit den ersten Teil seiner Mün- chener Habilitationsschrift über Montgelas vor, dessen Wirken entscheidend zum Werden des neubayerischen Staates beigetragen hat. Er

bringt erstmals eine Persönlichkeitsanalyse, die auch die Herkunft, die Jugend und die politi- schen Anfänge berücksichtigt. »Es ist also der unbekannte Montegelas« (S. XIII), der darge- stellt wird. Weis beschränkt sich in seiner Arbeit jedoch nicht auf rein Biographisches, sondern vermittelt ein umfassendes Bild der Verhält- nisse Ende des 18. Jahrhunderts mit vielfälti- gen, nicht nur für Bayern brennenden Proble- men. Ergebnis ist unter anderem, daß die nach 1799 in Bayern einsetzenden Reformen durch Montgelas von langer Hand vorbereitet wor- den waren. Diese standen stark unter franzö- sischem Einfluß (zum Beispiel das Konskrip- tionssystem, wie man es im Kantonsreglement von 1805 vorsah); man kann die Reformen jedoch nicht als Kopien des Vorbildes anspre- chen, denn das Ergebnis ging weit über dieses hinaus und eigene Institutionen und Rechtsver- hältnisse verschmolzen mit ihm. Es wird ge- zeigt wie Montgelas in die Rolle des großen Drahtziehers der Politik ides südwestdeutschen Raumes hineinwuchs (1787—1793), daß er von Zweibrücken aus auf die innere Politik des Kurfürstentums Bayern durch Gewährsleute einwirkte, statistisches Material sammelte, Re- formpläne entwickelte und bereits die Arron- dierung Bayerns um den altbayerischen Kern durch kluge Politik und gute Beziehungen zu Preußen, Frankreich und England vorbereitete.

Montgelas ist es mit zu verdanken, daß das Tauschprojekt Karl Theodors scheiterte (und somit die Herzöge von Zweibrücken ihr bayeri- sches Erbe antreten konnten) und daß Bayern aus der napoleonischen Zeit als drittgrößter deutscher Staat hervorgehen konnte und nicht das Schicksal Polens teilte. Grundlegend für die Reformtätigkeit Montgelas nach 1799 wurde seine Ansbacher Memoire von 1796 (S. 267 ff.).

Für Montgelas' Reformwerk besitzt sie eine

dem Nassauer Programm Steins von 1807 ver-

gleichbare Bedeutung. Die Denkschrift berück-

sichtigt das Steckenpferd des künftigen Kur-

fürsten, das Militär, insofern, als Montgelas

sich für die Kompetenzen und Aufgaben

des künftigen Kriegsministeriums nicht für

zuständig erachtet. Oberhaupt interessierte

sich Montgelas »nur so weit für das Militär,

als es das Staatsbudget belastete und als er es

andererseits als Aktivposten der Außenpolitik

einsetzen konnte« (S. 284). Dies wird für die

kommende Entwicklung des Heeres entschei-

dend. Der 2. Band der Biographie, der hoffent-

lich bald erscheint, wird wohl Aufschlüsse über

das Zustandekommen des Kantonsreglements

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von 1805 geben können. Verweisen sollte man noch auf das im Zusammenhang mit Montgelas behandelte Problem des Illuminatenordens (S. 33 ff.) und die eingehende Charakteristik des späteren Königs Max (S. 440 ff.).

Wolf D. Gruner

Hand- und Faustfeuerwaffen. Schweize- rische Ordonnanz 1817 bis 1967. Heraus- gegeben vom Schweizerischen Sdiützen- verein. Verlag Huber, Frauenfeld 1971, 160 Seiten, zahlreiche Abbildungen im Text.

Durch die moderne Waffenentwicklung ent- stand für jedes Land eine Fülle von Problemen, die in der Schweiz, infolge dortiger Eigentüm- lidikeiten, noch einige besondere Akzente be- saßen. Dies veranschaulicht die vorliegende Pu- blikation, bei der man zunächst den Eindruck hat, daß sie sich mit ihren vielen Waffenabbil- dungen und technisdien Daten ausschließlidi an den Waffenkundler wende. Tatsächlich stellt sie aber nadi dem sorgfältig ausgesuchten schrift- lichen Quellenmaterial — den in Auszügen ab- gedruckten Reglements, Kommissionsgutachten und Berichten der für die Bewaffnung zustän- digen Behörden — eine Dokumentation dar, die auch das Interesse des Historikers verdient.

Interessant, da scheinbar widersprüchlich, ist zunächst einmal die Tatsache, daß ausgeredinet im Lande eines weit verbreiteten Schützenwe- sens und berühmten Büchsenmacherhandwerks aus der entsprechenden Tradition und wirt- schaftlichen Situation heraus Sdiwierigkeiten bei der Ausstattung des Militärs mit Handfeu- erwaffen entstanden. Freilidi muß man hier gleich präzisieren: bei der einheitlidien Aus- stattung, womit sich der Widerspruch aufhebt.

Die schweizerischen Stutzen und Büchsen stell- ten keine Massenware dar, wie sie für die Be- waffnung des Gros der Armee benötigt wurde, sondern Qualitätsprodukte. Fast jeder Büchsen- macher wahrte ein »Fabrikationsgeheimnis«, und die Herstellung erfolgte in kleinen Privat- betrieben. Diesem Individualismus entsprach das sehr persönliche Verhältnis des Schweizers zu seiner Waffe, entsprach auch das Selbstbe- wußtsein der Kantone, die ihre Wehrkraft als das »Palladium ihrer Souveränität« wahrten.

Diese Vielfalt widersprach allerdings der For- derung nach Vereinheitlidiung, die sidi im Wehrwesen der Schweiz seit den napoleoni- schen Kriegen als unumgänglich erwiesen hatte.

Die Grundlage dafür bildete das »Allgemeine Militärreglement für die sdiweizerische Eidge- nossenschaft« von 1817. Aber bis zur Gründung des Bundesstaates im Jahre 1848 wurden die Militärwaffen im allgemeinen noch von den Kantonen besdiafft — und zwar im Ausland!

Auch danach orientierte man sich, obwohl man sie nun im Lande selbst herstellte und eine ein- heimische Waffenindustrie entstand, bis zum Deutsch-französischen Krieg noch stark am Ausland.

Als sich der waffentechnisdie Fortschritt um die Mitte des 19. Jahrhunderts geradezu über- stürzte, geriet die Schweiz anfänglich auffallend in Rückstand. In den fünfziger Jahren setzten sich in den Armeen allgemein die gezogenen Gewehrläufe durch. Früher hatte die Schweiz die meisten Präzisionswaffen mit gezogenen Läufen besessen, mit denen ja auch in anderen Staaten bestimmte Eliteeinheiten längst ausge- stattet waren. Mittlerweile hatte sich aber das Verhältnis der glatten zu den gezogenen Läu- fen derartig verschoben, daß es sich nach einem Kommissionsbericht aus dem Jahre 1856 in der Schweiz wie 12:1, in allen anderen europäischen Armeen dagegen wie 4:1 verhielt. Die Schweiz war also innerhalb eines verhältnismäßig kur- zen Zeitraums zweimal gezwungen, ihre Armee- bewaffnung zu modernisieren. Währenddessen entstanden in Amerika aber sdion die ersten Mehrladegewehre. Ein solches in der Schweiz zu konstruieren gelang im Jahre 1868 Profes- sor Vetterli durdi Weiterentwicklung des ame- rikanischen Henry-Gewehrs. Seine Einführung in das Bundesheer wurde 1869 genehmigt. Es war das erste Repetiergewehr, das in Europa als Kriegswaffe Verwendung fand. Damit war der Schweiz ein entscheidender Schritt über den bisherigen allgemeinen Stand der Militärbe- waffnung hinaus gelungen.

Die Massenherstellung der neuen Waffe ver- zögerte sich jedodi, da der größte Teil der schweizerischen Waffenfabrikanten weiterhin nach rein handwerklichen Grundsätzen arbei- tete. Die Umstellung auf eine wirkliche Waffen- industrie, wie sie dann in der Eidgenössisdien Waffenfabrik (W-l-F) und der Schweizerisdien Industrie-Gesellschaft (SIG) entstand, ging da- her so vonstatten, daß zunächst die Hand- werksbetriebe die Einzelteile herstellten, die in einer Montierwerkstatt lediglich zusammenge- setzt wurden. Kennzeichnend für das Verhältnis der beiden genannten Waffenfabriken war es dann, daß sie sidi in einem scharfen Wettkampf in ihren Leistungen gegenseitig steigerten. Das

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letzte Ergebnis dieser harten Konkurrenz war das von der SIG entwickelte Modell eines Sturmgewehrs, also einer automatischen Waffe.

Es wurde 1960 in das Bundesheer eingeführt und ersetzte den Karabiner, das leichte Maschi- nengewehr und die Masdiinenpistole.

Das Kapitel der automatischen Handfeuerwaffe wäre in dieser sonst ausgezeidineten Darstellung allerdings besser eingeleitet worden mit einem kurzen Überblidi über die Entwicklung der Masdiinenwaffen überhaupt, also durdi einen fließenderen Ubergang von den älteren Waf- fensystemen her, statt durdi einen allzu knap- pen, unvermittelt einsetzenden Kommentar, der sidi, im Gegensatz zu anderen Kommen- taren, nicJit mit dem waffenkundlichen Hinter-

grund befaßt. Rg

Eberhard Kolb: Der Kriegsausbrudi 1870. Politisdie Entsdieidungsprozesse und Verantwortlichkeiten in der Juli- Krise 1870. Vandenhoeck 8c Ruprecht, Göttingen 1970, 150 Seiten.

Kolb legt eine Case-Study der Konfliktsfor- sdiung vor. Seine Aufgabe sieht er darin, die dem individuellen Handeln der Staatsmänner zugrundeliegenden Motivationen zu erhellen und die in den französischen Kriegsentschluß von 1870 einmündenden Entscheidungsprozesse unter dem modernen Aspekt des »Krisenma- nagement« zu analysieren. Er unternimmt unter Heranziehen aller verfügbaren Quellen einen neuen Versuch, Bismarcks Beweggründe bei der Inszenierung der Kandidatur des Prinzen Leo- pold von Hohenzollern zu deuten und damit eine Frage zu lösen, die von der bisherigen For- schung ohne befriedigende Antwort geblieben ist. Zugleich möchte er herausarbeiten, welchen Stellenwert sowohl die Thronkandidatur als auch das Krisenverhalten der beteiligten Regie- rungen im Gesamtzusammenhang der Kriegs- ursachen hatten. Kolb kommt zu dem Ergeb- nis, daß weder Bismarcks Eintreten für die Kan- didatur des Prinzen noch die »Emser De- pesche« Teil eines ausgeklügelten Kalküls waren, Frankreich in den Krieg zu treiben — eine Deutung, der Bismarck später selbst Vorschub leistete. In Wirklichkeit glaubte Bismarck 1870, so Kolb, sich für die HohenzolLernkandidatur im Sinne der später im Kissinger Diktat (1877) niedergelegten, zur europäischen Friedenssiche- rung angestrebten, »politischen Gesamtsitua- tion« einsetzen zu müssen. Die heftige franzö-

sisdie Reaktion war nicht berechnet, sondern kam für ihn ebenso überraschend wie für die anderen Staatsmänner Europas. Die Geheim- haltung der Verhandlungen, von französischer Seite als Intrige aufgefaßt, entsprach den völ- kerrechtlichen Normen der Zeit, bot also für das Handeln der französischen Politiker keine rechtliche Handhabe. Ihre Kammererklärung vom 6. Juli 1870, die mit kaum verhüllter Kriegsdrohung auf eine Demütigung Preußens zielte, und die — nach dem Thronverzicht des Prinzen — am 13. Juli geforderte Garan- tieerklärung, die Benedetti dem preußischen König abverlangen sollte, bestimmten den Gang der Ereignisse. Die überstürzten Schritte der französischen Regierung, durch keinerlei Zwang der Umstände bedingt, nahmen ihr jede Mög- lichkeit zu manövrieren. Die in der Emser Depesche veröffentlichte Ablehnung des fran- zösischen Begehrens ließen ihr nur die Wahl zwischen einer folgenreichen diplomatischen Niederlage und dem Kriegsentschluß. Entschei- dend für diesen war nach Ansicht Kolbs jedoch nicht die Emser Depesche, sondern die Tatsache, daß sich die französische Regierung schon vor- her selbst jeden Handlungsspielraum genommen hatte.

Daß Preußen eine französische Präponderanz in Europa nicht mehr respektierte, verletzte den Stolz der französischen Staatsführung. Für Kolb liegt darin der tiefere Grund für ihr Ver- halten. So sahen die Leiter der französischen Politik — der Kaiser, sein Außenminister Gra- mont und der Ministerpräsident Ollivier — vorwärts getrieben durch eine chauvinistische, antipreußische öffentliche Meinung, in ihren Aktionen gegen die Hohenzollernkandidatur eine Möglichkeit, Preußen demütigen und die französische Vorherrschaft neu befestigen zu können. Kolb unterstreicht zutreffend diesen irrational-emotionalen Charakter des französi- schen Verhaltens. Er erweckte, obwohl eine vor- bedachte Kriegsabsicht fehlte, eine geistige Kriegsbereitsdiaft, die zum Kriegsentschluß führte.

Kolb hat das viel beackerte Feld der Geschichte des Krieges von 1870/71 mit einer ausgezeich- neten Modelluntersuchung der Konfliktfor- schung bereichert. Seine überzeugend geschrie- bene Studie fördert anregende Erkenntnisse zutage und setzt neue Akzente in der Beurtei- lung der Kriegsursachen von 1870. Er versteht es zudem, das Interesse des Lesers, nicht zuletzt dank seiner Darstellungsgabe, bis zur letzten

Seite wadi zu halten. Forstmeier

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Paul M. Kennedy: Imperial Cable Com- munications and strategy, 1870-1914. In:

The English historical Review, 86 (1971) 728—752.

Im Dezember 1911 konnte ein Unterauisdiuß des Committee of Imperial Defence in einem Beridit feststellen, daß der Aufbau eines den Bedürfnissen des Empire entspredienden Netzes von Seekabeln, die mit wenigen unwesentlidien Ausnahmen nur britisdies Territorium berühr- ten und daher audi in Kriegszeiten die Auf- rediterhaltung der Verbindungen innerhalb des Weltreidies gewährleisten konnten, als abge- sdilossen betrachtet werden könne. Das Colo- nial Defence Committee hatte bereits 1870 die Bedeutung eines von anderen Staaten unab- hängigen Kommunikationssystems erkannt und in einem Zeitraum von 40 Jahren, wirksam unterstützt von Marine und Kriegsministerium, mit bewundernswerter Energie die Verwirkli- chung dieser Zielvorstellung erreidit. Kennedy hat auf Grund der Akten diese in vielerlei Hinsicht erstaunliche Entwidmung untersudit und dabei insbesondere die strategisdien Über- legungen, die dem Unternehmen zugrundelagen, in seiner Darstellung berücksichtigt. Wie nidit anders zu erwarten, stand zunädist eine ge- sidierte Verbindung nadi Indien im Vorder- grund aller Bemühungen. Von einer anfänglidi defensiven Haltung ausgehend erkannte man schon um die Jahrhundertwende, nadidem der konsequent vorangetriebene Ausbau der See- kabelverbindungen ein großes Maß von Sicher- heit bereits verbürgte, welche offensiven Mög- lidikeiten sidi aus dieser Überlegenheit erga- ben. Von nun an wurde auch die Unterbre- diung der Seekabelverbindungen, zum Beispiel des Dreibundes, bis In alle Einzelheiten hinein geplant. 1911 konnte lapidar festgestellt wer- den, daß 49 Seekabel unterbrochen werden müßten, um Großbritannien von der übrigen Welt zu isolieren. Im Weltkrieg erwies sich, weldie enormen Vorteile Großbritannien aus einem intakten Kommunikationssystem ziehen konnte und weldie gravierenden Folgen die Isolierung Deutschlands auch auf diesem Gebiet hatte. W. D.

Georg Kerst: Jacob Meckel, sein Leben, sein Wirken in Deutschland und Japan.

Musterschmidt-Verlag, Göttingen, Zürich, Frankfurt/M. 1970, 164 Seiten.

Die Lebensbesdireibung eines vor 65 Jahren verstorbenen, weithin unbekannten Generals

dürfte im allgemeinen heutzutage kaum auf Interesse stoßen. Im Falle Jacob Meckels lie- gen die Dinge anders.

General a. D. Matzky, der als Militärattadie in Japan erfahren hat, welch hohes Ansehen dieser preußisdie Generalstäbler dort genoß, unterstreicht in der Einleitung die Bedeutung Meckels f ü r das Verhältnis zwischen Deutsch- land und Japan.

Dieser Seite widmet audi der Verfasser, der als Kenner japanischer Verhältnisse und der deutsdi-japanischen Beziehungen einen Namen hat, breiten Raum. Die mehrjährige Tätigkeit Medsels als Lehrer japanischer Generalstabs- offiziere und als Berater des japanisdien Ge- neralstabsdiefs in Fragen der Generalstabsor- ganisation, der Führungstedinik und der ope- rativen Führung findet ihre eingehende Würdi- gung.

Audi die Verdienste, die sich Medcel als Lehrer an der Kriegsakademie und als Militärschrift- steller um die Weiterentwidklung des preußisdi- deutsdien Generalstabs erworben hat, versteht Kerst ins rechte Licht zu rüdcen. Medcel trat sdion als Premier-Lieutenant mit »Studien über das Kriegsspiel« hervor und erregte damit Aufsehen. Sie sind heute nodi lesenswert und weisen darüber hinaus in das Wesen des Plan- spiels, das mittlerweile nidit nur bei den Mili- tärs aller Länder, sondern auch in Wirtsdiaft, Politik und einigen anderen Bereichen als Aus- bildungsmittel des Führernachwuchses ebenso anerkannt ist wie als Instrument der For- schung. Worauf es dabei ankommt, schrieb Meckel bereits vor fast 100 Jahren.

Dazu kommt seine außerordentlidie, von sei- nen Vorgesetzten erkannte Lehrbegabung, die weitgehend seine Verwendung mitbestimmt hat.

Für die Vielseitigkeit und Genialität des Gene- rals Medcel hat der Autor eine Reihe von Bei- spielen gebracht. Offenslditllch hat er nicht genügend Beweise gefunden, die angebliche Be- urteilung des Grafen Schlieffen über Meckel wiederzugeben, die Friedridi Friir. von Gaer- trlngen in dem mehrfadi zitierten Groener-Buch (S. 58) erwähnt: »General Meckel sucht die Arbelt nicht, aber wenn sie an ihn herantritt, erledigt er sie In genialer Weise.«

Der Text, in dem bereits einem allgemeinen Ex- kurs über Japan Raum gegeben wurde (S. 38 bis 52), findet seine Ergänzung in einem An- hang, In Anlagen auf über 50 Seiten und in 30 Bildern. Auf manche der Fußnoten hätte verzlditet werden können. R. Elble

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Die graue Exzellenz. Zwisdien Staats- räson und Vasallentreue. Aus den Papie- ren des kaiserlichen Gesandten Karl Georg von Treutier. Herausgegeben und eingeleitet von Karl-Heinz Janßen. Pro- pyläen Verlag, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1971, 277 Seiten.

Als außerordentlicher Gesandter im Allerhöch- sten Gefolge hat Treutier vom Beginn des Welt- krieges bis zum Juli 1916 die Politik des Reichskanzlers v. Bethmann Hollweg gegen- über dem Kaiser, der Obersten Heeresleitung und den führenden Vertretern der Kaiserlichen Marine vertreten und hat insbesondere in dem seit Anfang 1915 gefährlich schwelenden Kon- flikt um die Form der U-Bootkriegführung eine seiner Funktion entsprechende bedeutende Rolle gespielt. Der Herausgeber und Bearbeiter des vorliegenden Bandes, dem wir wesentliche Ar- beiten zur Ära Falkenhayn verdanken, wird selbst mit nicht geringen Erwartungen die Lek- türe der wiederaufgetauchten Papiere des Ge- sandten begonnen haben. Es handelt sich dabei jedoch im wesentlichen um eine von B. Schwert- feger Anfang der dreißiger Jahre angefertigte Kopie der bruchstüdchaften Lebenserinnerun- gen Treutlers und um eine Anzahl von Akten- abschriften. Der Nachlaß des Gesandten, der sich bis 1945 im Besitz der Familie befand, muß als verloren gelten. Die Lebenserinnerun- gen in der veröffentlichten Form können daher nur in wenigen Einzelheiten unser Wissen über den Gang der Ereignisse korrigieren, sie ver- mitteln aber ein interessantes Bild der Zeit aus der Sicht eines durchaus kritischen Beobachters.

Janßen hat ihnen eine auf den Lebensweg Treutlers zugeschnittene Einleitung vorange- stellt und in kurzen Vorbemerkungen zu den Kapiteln jeweils eine Orientierung über den politischen Gesamtzusammenhang gegeben.

Zu den zweifellos interessantesten Partien des Buches gehören die Äußerungen Treutlers zu Person und Politik des Admirals v. Tirpitz, dem er als Geschäftsträger in Tokio das kaiserliche Telegramm aushändigte, mit dem Tirpitz zum Staatssekretär des Reichsmarineamtes berufen wurde. Bei dieser Gelegenheit habe sich ein Gespräch über das Ziel der von Tirpitz skiz- zierten künftigen Flottenpolitik ergeben (S. 178 f). Auf die Frage Treutlers, ob die ge- plante Defensivüotte nicht zu einem Wettrü- sten mit England führen würde, habe Tirpitz geantwortet: »Halten Sie mich f ü r so dumm?«

Aufschlußreich ist auch, daß Treutier, der die von Tirpitz 1897 entwidcelte Konzeption durch-

aus akzeptierte, sich über die weitreichenden Konsequenzen des zweiten Flottengesetzes of- fenbar keine Gedanken gemacht hat und erst mit der offen ausgebrochenen Flottenrivalität 1908/09 zum Gegner von Tirpitz wurde. Für die Zeit des Weltkrieges scheint ihm kein Aus- druck zu hart, um das Verhalten des Admirals zu charakterisieren. Er ist ihm schlicht der »Va- ter der Lüge«.

Immer wieder kehrt der Autor zu dem für ihn zentralen Thema der Epoche zurück: Wilhelm IL als Kaiser und Persönlichkeit. Treutier lernte ihn als Regimentskommandeur der Potsdamer Gardehusaren kennen, der Kaiser hat mehrfach fördernd in seine diplomatische Laufbahn ein- gegriffen, schließlich war Treutier von 1907 bis 1913 ständiger Begleiter des Kaisers während der bekannten »Nordlandreisen«, über die wir leider nur Atmosphärisches erfahren. Er hat den Kronprinzen 1910/1911 nach Indien be- gleitet (hierzu liegen Tagebuchaufzeichnungen vor) und hat den Vater nicht im unklaren ge- lassen über das gewonnene negative Urteil (S. 149ff). Am 23. Dezember 1910 notierte er (S. 137): »Schneid, Geschicklichkeit, gutes Aus- sehen, Liebenswürdigkeit (wenn er will), sonst gähnende Leere und obstinater Eigensinn.«

Janßen hat das Dilemma, vor das sich Treutier durch die persönliche Bindung an den Monar- dien gestellt sah, exakt mit dem Untertitel der Publikation bezeichnet. Obwohl er alles andere als ein Höfling war, hat er, ebenso wie man- dier andere Vertreter der Führungsschicht, zeit seines Lebens keinen Ausweg aus dieser Situa- tion gesehen. Selbst als im Oktober 1918 die Würfel bereits gefallen waren und Treutier als Gesandter über die Münchener Ansichten über einen notwendigen Thronverzicht des Kai- sers berichtete, hielt er es für nötig, hervorzu- heben, daß es sich nicht um seine Meinung han- dele. Er hat schwer daran getragen, daß Wil- helm IL diese Differenzierung nicht wahrge- nommen hat. W. D.

Ursula Ratz: Georg Ledebour 1850 bis 1947. Weg und Wirken eines sozialisti- schen Politikers. Mit einer Einführung von Paul Kluke. Walter de Gruyter u.

Co., Berlin 1969, XVI, 281 Seiten ( = Publikationen z. Geschichte d. Arbeiter- bewegung, Bd 2) ( = Veröffentlichungen d. Hist. Kommission zu Berlin, Bd 31).

»Ohne Ledebour kein Lüttwitz« so hat einer seiner schärfsten Kritiker — Scheidemann —

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Ledebours Rolle in den entscheidenden Mona- ten nach dem Zusammenbrudi im November 1918 charakterisiert, und f ü r das Offizierkorps des Kaiserreiches und der Weimarer Republik verkörperte sidi in ihm, neben Karl Liebknedit, Rosa Luxemburg und anderen, der T y p eines verantwortungslosen, vaterlandsfeindlichen so- zialistisdi-kommunistisdien Politikers. In der vorliegenden Biographie hat U. Ratz auf Grund der nur nodi spärlidi vorhandenen Archivalien und der breiten literarischen Überlieferung des politisciien Publizisten ein Lebensbild Ledebours gezeidinet, das in seiner Ausgewogenheit in scharfem Kontrast zu seinem Gegenstande steht.

Denn nur f ü r die Anfangsjahre seiner politi- sdien Karriere, als er führendes Mitglied der kleinen Demokratischen Partei in der Mitte der 80er Jahre war, läßt sich nachweisen, daß Lede- bour selbst ausgleidiend und vermittelnd im Interesse des politischen Erfolgs wirkte. Mit dem Eintritt in die S P D hat sich dieser Zug seines Wesens in das Gegenteil verkehrt.

U. Ratz spricht von einer sidi immer stärker ausprägenden »Intransigenz und Starrheit« des bürgerlichen Renegaten, die im Endeffekt zu persönlidier Verbitterung und hoffnungsloser politisdier Isolierung führten. Bald nach dem Eintritt in die SPD hat Ledebour sidi ganz der offiziellen, von Kautsky angeführten Partei- ideologie verschrieben. Jede revisionistisdie Re- gung in der Partei, die darauf abzielte, das ge- meinsame Ziel auch durdi eine begrenzte Zu- sammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien zu erreidien, bekämpfte er in Wort und Schrift, den stets erfolgreichen Instrumenten seiner poli- tischen Aktivität. Seit 1900 gehörte Ledebour dem Reiciistag an und hat seine Partei in wich- tigen Ausschüssen — ab 1903 in der Budget- kommission — mit rhetorischem Gesdiick ver- treten. U. Ratz hebt sein besonderes Interesse f ü r die Nationalitäten- und Minderheiten- fragen hervor und sieht in den dabei gewonne- nen Einsichten und Lösungsvorstellungen den wesentlichen Beitrag Ledebours zum politisdien Gedankengut der deutschen Sozialdemokratie.

— Mit militäristhen Fragen hat sich Ledebour zeit seines langen Lebens nur am Rande be- sdiäftigt, militärgeschichtlidi relevant wird aber sein politisches Wirken spätestens mit der Ab- lehnung der Kriegskredite im Dezember 1915, wobei seine versdiiedenen Äußerungen zur Lan- desverteidigung besonders beachtenswert er- scheinen. Gegen die von ihm mitbegründete und an führender Stelle vertretene U S P D ridi- teten sich in erster Linie die Repressionsmaß-

nahmen der Militärbehörden der Heimat, in ihr erkannte man den innenpolitischen Gegner. An der Gestalt Ledebours wird deutlich, wie hilf- los die Partei in ihrem ideologiegebundenen Attentismus der dramatischen inneren und äußeren Entwicklung gegenüberstand. Das von Unsidierheit geprägte Taktieren eines Teils der Partei bei und unmittelbar nach dem Zusam- menbruch steigerte sidi in dem Verhalten Lede- bours bei dem Aufstandsversuch am 5. und 6. Januar 1919 zur Groteske. Bei der Beurtei- lung der Maßnahmen der Gegenseite — ins- besondere der Militärbefehlshaber, der Ober- sten Heeresleitung, der Freikorps und schließ- lich der Reichswehr — wird man mehr als bis- her diese Gegebenheiten zu berücksiditigen haben. Audi wenn in dem politisdien Wirken Ledebours während des Krieges und in der Revolutionsphase persönliche Motive eine im- mer stärker werdende Rolle spielten, so ist die gut lesbare und auf einer breiten Literatur- basis aufbauende Studie von U. Ratz doch auch ein empfehlenswerter Zugang zum Verständnis der von rechts wie von links verfemten Partei- gruppierung. W. D.

Probleme deutscher Zeitges<hi<hte. Deut- sdie Obersetzung von Christiane Boehnke Sjöberg. Läromedelsförlagen, Stockholm 1971, 266 Seiten ( = Lund Studies in international history, 2).

Es dürfte weitgehend unbekannt sein, daß es in Lund eine beachtenswerte Forsdiungsrichtung gibt, die sich der deutsdien Zeitgesdiichte ange- nommen hat. U m so mehr besteht Anlaß, die vorliegende Aufsatzsammlung in deutscher Spradie zu begrüßen, die ein breites themati- sches Spektrum erkennen läßt.

Einige Aufsätze berühren sich in der Behand- lung deutscher Ostsee- beziehungsweise Marine- politik. Methodisch ist den meisten gemeinsam eine äußerst sorgfältige Anwendung der Prin- zipien historischer Quellenkritik. Sven Tägils Gegenthesen zu Carl-Axel Gemzells wichtiger Arbeit» sind bereits an anderer Stelle er- sdiienen®, soweit dem Rezensenten bekannt, in Deutschland aber unberüdisiditigt geblie- ben. Aus beaditenswerten erkenntniskritisdien Motiven meldet er Bedenken an gegenüber

• C.-A. Gemzell: Raeder, Hitler und Skandinavien.

Sein Kampf für einen maritimen Operationsplan, Lund 1965.

2 In: Cooperation and Conflict, 2 (1967) 101—111.

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einer vorschnell behaupteten einseitigen Abhän- gigkeit der strategischen Konzeption des Ober- befehlshabers der Kriegsmarine Raeder von Wolfgang Wegeners Gedanken.

Minutiös analysiert Ola Lindqvist die Entste- hung und gegenseitige Beeinflussung sozialde- mokratisdier und kommunistischer Propagan- dathesen zum Reichstagsbrand 1933, ohne je- doch zur Substanz der kontroversen Frage nach den Urhebern des Brandes mehr beitragen zu können als den Nachweis über die Entstehung einer Reihe von Argumenten, die für eine na- tionalsozialistische Urheberschaft sprechen. Gö- ran Henriksons Studie über die heute bekannte Fassung der sogenannten »Hoßbach-Nieder- schrift« zur Besprechung am 5. November 1937 in der Reichskanzlei bringt einige wichtige überlieferungsgeschichtliche Kriterien, die ent- gegen Bußmanns Untersuchung' für eine nach- trägliche Kürzung im zweiten Teil des Doku- ments sprechen, in dem die Diskussionsbeiträge von Neurath, Blomberg und Fritsch enthalten sind; die Ausführungen Hitlers hält er demge- genüber nach wie vor mit überzeugenden Grün- den für authentisch wiedergegeben.

So wichtig und unentbehrlich die in den bislang genannten Aufsätzen praktizierte Methode quellenimmanenter und überlieferungsgeschicht- licher Betrachtungsweise für jeden Historiker auch ist, so müssen dennoch gewisse Bedenken gegen eine daraus resultierende Gefahr der Atomisierung des historischen Prozesses ange- bracht werden.

In den genannten drei Beispielen sind sicherlich zentral wichtige Fragen angesprochen worden;

wenn jedoch bei der Überfülle historischer Quel- len der jüngsten Vergangenheit ausschließlich ein derartiges Verfahren angewandt würde, be- stünde die Gefahr, daß die Darstellung größerer Zusammenhänge zugunsten der gewiß auch wichtigen Überlieferungsgeschichte vernachläs- sigt würde.

Ergänzt werden muß eine derartige Betrach- tungsweise jedenfalls durdi die Einbeziehung von Einzeldokumenten in einen größeren Ent- scheidungszusammenhang. So ist bei der von Henrikson interpretierten Besprechung erst bei einer Analyse der tatsächlichen Weithenstellun- gen und Entscheidungen in der Marinepolitik an diesem Tage eine über die »Hoßbach-Nie- dersdirift« hinausgehende Dimension zu erken-

' W. Bufimann: Zur Entstehung und Überlieferung der „Hoßbadi-Niederschrift", in: Vierteljahrshefte f ü r Zeitgesdiidite, 16 (1968) 373—384.

nen, die sich aus einer Fülle verstreuter Hin- weise ergibt, wie der Rezensent an anderer Stelle zu zeigen hofft.

Göran Rystad legt eine Untersuchung »Die deutsche Monroe-Doktrin der Ostsee« vor (der Titel geht auf einen zeitgenössischen deutschen Presseartikel zurüdt), in der das Vordringen deutschen Einflusses in Nordeuropa an der letzten Phase des Ersten Weltkrieges anhand der Alandfrage geschildert wird. Er versteht es, die schwedische Politik ebenso anschaulich zu machen wie die Großmächtepolitik Deutsdi- lands, Rußlands und Englands, in deren Span- nungsfeld Schweden sich befand, und vernach- lässigt dabei nicht den jeweils innerstaatlichen Entscheidungsprozeß. Als »Studie zur Bedeu- tung tendenziöser Kritik in der zeitgeschichtli- chen Fonchung« will Lennart Sjöstedt seinen Beitrag über die Entstehung des Programms von Dönitz bei seinem Regierungsantritt am 30. April/1. Mai 1945 verstanden wissen und gelangt zu dem Ergebnis, daß entgegen den Angaben des Großadmirals und ihm naheste- hender Persönlichkeiten erst nach der Meldung über Hitlers Tod der Entschluß zu der Politik einer Kapitulation vor den Westmächten ge- fallen sei. Arne Fryks^n stellt bei seinen Be- merkungen über Hitlers Reden zur Kultur neben den bereits erwiesenen taktischen Motiven deren Charakter als klares ideologisches Ge- dankengebäude heraus. Jost Dülffer

'Wilhelm Reich: Die Massenpsychologie des Faschismus. Verlag Kiepenheuer u.

Witsch, Köln, Berlin, 3. korrigierte und erweiterte Auflage 1971, 384 Seiten.

Wenn eine vor rund 40 Jahren geschriebene Analyse des Faschismus heute neu aufgelegt wird, so ist dies nicht nur als Qualitätsbestäti- gung zu werten, sondern auch als ein Hinweis auf die ungeminderte — oder vielleicht erst jetzt richtig erkannte — Aktualität. Letztere besteht wohl ebenso in der fortdauernden Not- wendigkeit der Analyse fasdiistischer Struktu- ren wie in der von Reich erstmals versuchten Synthese von Marx und Freud, von Gesell- schafts- und Psychoanalyse.

Das 1933 erschienene Buch wurde veranlaßt durch die der Wirtschaftskrise von 1929 folgen- de Entwidclung. Während der vulgäre Marxis- mus der Zeit glaubte, diese Krise müsse not- wendigerweise zu einer ideologischen Linksent-

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widilung der betroffenen Massen führen, kam es in Wirklichkeit zu einer extremen Reditsent- widclung in der Ideologie der proletarisdien Schiditen der Bevölkerung. »Es ergab sich eine Schere zwischen der Entwicklung in der ökono- misdien Basis, die nach links drängte, und der Entwicklung der Ideologie breiter Sdiichten nach redits. Diese Sdiere wurde übersehen«

(S. 35). Reidi erkannte früh, daß es gerade die verelendeten Massen waren, die dem Fa- schismus zur Macht verhalfen. Dieses Phänomen galt es zu erklären.

Reichs sexualökonomischer Erklärungsversuch, an dem heute niemand mehr, der sidi mit dem Fasdiismus befaßt, vorbeikommt, besteht in der Analyse des als fundamental erkannten Zu- sammenhangs zwisclwn autoritärer Triebunter- drückung und fasdiistisdier Ideologie. Dabei wird der Fasdiismus nidit als etwas spezifisdi Deutsches, sondern als eine internationale Er- sdieinung begriffen; nicht nur als eine politi- sche Partei oder »Bewegung«, sondern als »die emotionelle Grundhaltung des autoritär unter- drückten Menschen der masdiinellen Zivilisation und ihrer mechanistisdi-mystischen Lebensauf- fassung« (S. 15). Reddi versucht zu zeigen, wie der als Ausdruck der irrationalen Charak- terstruktur des Durdischnittsniensdien begriffe- ne Faschismus auf die unbefriedigte orgasti- sche Sehnsucht der Massen baut.

Die »Massenpsydiologie des Faschismus« ist mehr als nur von historisdiem Interesse. Die autoritätssüditige, freiheitsunfähige, irrational- mystisdie Charakterstruktur der Menschen, die organisierte faschistische Bewegungen her- vorbrachte, gehön nicht der Vergangenheit an.

Reichs Grundthese, daß triebhafte und sozial- ökonomische Prozesse das menschliche Sein be- stimmen, scheint heute die Anerkennung zuteil zu werden', die ihr nadi 1933 versagt bleiben mußte. Wolfram Wette

' Um eine Synthese von Marx und Freud haben sich in den vergangenen Jahren mehrere Autoren bemüht. Vgl. u. a. Glaser: Eros in der Politik.

Eine sozialpathologisdie Untersudiung, Köln 1967; A. Pladc: Die Gesellsdiaft und das Böse.

Eine Kritik der herrsdienden Moral, Mündien 1967, 8. Aufl. 1970; R. Reidie: Sexualität und Klassenkampf. Zur Abwehr repressiver Entsubli- miening, Frankfurt/M. 1968; J. Habermas: Er- kenntnis und Interesse, Frankfurt/M. 1968 (bes.

T. III); H.-P. Gente (Hrsg.): Marxismus. Psy- dioanalyse. Sexpol, Frankfurt/M. 1970; H.-J.

Sandkühler u. a. (Hrsg.): Psychoanalyse und Marxismus, Frankfurt/M. 1970.

Fernand L'Huillier: Dialogues franco- allemands 1925-1933. Editions Ophrys 1971, 171 Seiten ( = Publications de la Facult^ des Lettres de l'Universit^ de Strasbourg) ( = Le petit Format, 5).

Der luxemburgische Großindustrielle E. May- risch gründete 1926 das Comit^ franco-allemande d'information et de documentation. An diesem Komitee liest der Verfasser die Bemühungen um einen deutsch-französischen Dialog und des- sen Scheitern ab. Er zieht Dokumente aus dem Auswärtigen Amt Bonn, dem Deutschen Zen- tralarchiv I Potsdam und aus französischen Privatardiiven, besonders den Briefwechsel P.

Vi^not — W. d'Ormesson, heran.

Das Komitee wollte von konservativer, indu- strieller und teilweise rechtskatholisdier Seite durch Information und Dokumentation (zum Beispiel die Kritik Vi^nots an den französi- schen Besprediungen des deutschen Militärhaus- haltes 1928, S. 147 ff.) über gegenseitige Vor- urteile aufklären. Dazu diente die aktive jour- nalistische Tätigkeit von Mitgliedern in großen Tageszeitungen und Periodika sowie die Grün- dung der »Deutsch-französisdien Rundschau«.

Das Komitee erreichte z w a r nie den Zusammen- halt und die Bedeutung, um als pressure group auftreten zu können, doch w a r es zum Bei- spiel bei den Verhandlungen um den Youngplan ein O r t informeller Kontakte und stets darum bemüht, Gespräche zwischen einzelnen Delega- tionsmitgliedern zu vermitteln. Eine größere Wirkung auf die breite Öffentlichkeit wurde nie erreicht. Es blieb eine Kontaktstätte der konservativ-industriellen Oberschicht. Im Zen- trum der Arbeit stand jedoch der Versuch, die wirtschaftlichen Kontakte in politische Pro- gramme umzuformen. Schon die Bemühungen Adenauers und Stinnes 1923/24 um einen »bloc minier« (S. 24) deuten sehr genau die Richtung an, die auch Mayrischs Komitee einschlug: Auf dem Hintergrund einer christlich-konservativen Abendlandideologie propagierte man eine deutsch-franzÖMSche Entente, die Kern eines industriell geeinten Europas, ja einer kapitali- stisch geordneten Welt werden sollte.

Nach einer kurzen Blütezeit unter der außen- politischen Ägide Stresemanns überwogen dodi sehr schnell die Dissonanzen über Youngplan, Minoritätenfrage und Rheinlandräumung. Mit der hereinbrechenden Wirtsdiaftskrise und ihren politischen und wirtschaftlichen Folgen scheiter- te auch die Offentlidikeitsarbeit des Komitees.

Es wandelte seinen Charakter in bezeichnender

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Weise. Neben anderen, neu gegründeten Orga- nisationen wurde es zu einer diskreten Stätte für wirtsdiaftliche und politisdie Fühlungnah- men und Vorverhandlungen (mit dem Ziel

»lutter contre le double danger de l'america- nisation et du boldievisme«, S. 115). Auf die Verbindung zwischen den beiden Generalstäben geht der Verfasser leider nidit ein (vgl. S. 81, 108, 127). Im ganzen ein sympathisdies (da es nidit alte Vorurteile reproduziert), in der Art alter Diplomatiegesdiidite erzählendes Büdilein, das eine bedeutsame Hintergrundorganisation darstellt. Aber noch lange nicht »die« Arbeit über die deutsch-französischen Beziehungen in der Weimarer Republik. Mi. G.

Helmuth Giessler: Der Marine-Nadiridi- ten- und Ortungsdienst. Technische Ent- wicklung und Kriegserfahrungen. J. F.

Lehmanns Verlag, Mündien 1971, 156 Seiten, 64 Abbildungen und Skizzen ( = Wehrwissensdiaftliche Beridite, 10).

Verstreut in versdiiedenen Fachzeitsdiriften hat Giessler bereits eine stattliche Anzahl von Auf- sätzen über die Entwicklung und Anwendung der Ortungs-, Funk- und Navigationsanlagen der Kriegsmarine veröfTentlidit. Nicht nur da- mit hat sich Giessler als Fadimann dieses Ge- bietes ausgewiesen, als ehemaliger Chef der Amtsgruppe technisches Nachriditenwesen im OKM kann er aus Erinnerungen und einem reidien Erfahrungssdiatz schöpfen.

Die jetzt vorgelegte Sdirift stellt jedodi keine bloße Zusammenstellung früherer Arbeiten des Autors dar. Giessler hat sein Thema wesentlich erweitert. Getrennt nadi Kapiteln wird erst- mals ein geschlossener Oberblick über die Ent- widmung, Anwendung und die Ergebnisse der versdiiedenen Zweige des Marine-Nachrichten- dienstes (Signal, Funk, Funkmeß beziehungs- weise Radar, Funkpeil, Ultrarot und Unter- wassierschall) bis 1945 gegeben. Durch Verwen- dung neuer Quellen und Verarbeitung neuerer Literatur hat der Autor seine früheren For- sdiungsergebnisse korrigieren, ergänzen und vertiefen können. Hauptgruppe der benutzten Dokumente sind Marinedienstvorsdiriften und Gerätebesdireibungen. So ist es verständlidi, daß der Text auf längere Stredcen des Buches den Charakter militär-tedinischer Beschreibun- gen annimmt. Doch nicht nur technisdie Ent- widmung, Stand und betrieblidie Möglichkeiten der für die einzelnen Zweige des Marine-

Nadiriditendienstes entwidcelten, tedinisd»

hödist komplizierten Geräte und Ortungsver- fahren werden dargestellt. Untersucht werden auch die Auswirkungen der in den beiden Welt- kriegen eingesetzten neuen Signal-, Funk- und Ortungstediniken auf einzelne Kriegsereignisse und auf die Taktik der Seekriegführung. Unter diesem Aspekt ragen die Kapitel II und III über die Funktelegraphie und die Funkmeß- ortung (Radar) hervor. Insbesondere hier ist es Giessler gelungen, die militär-technisdien Be- schreibungen mit dem allgemeinen Kriegs- verlauf zu verbinden.

Einige Ungenauigkeiten hätte der Autor sidier- lich vermeiden können, wenn ihm breiteres Quellenmaterial zur Verfügung gestanden hätte.

So ist, um nur auf die widitigste Fehlein- sdiätzung Giesslers hinzuweisen (S. 56 f. und 89), die Anwendung des britisdten Funkpeilver- fahrens HF/DF zum Einpeilen der deutschen U-Boote im Juni 1944 von der deutschen See- kriegsleitung auf Grund der Ergebnisse der Funkaufklärung erkannt worden (KTB 1 Ski Teil A Heft 58. S. 774 f.).

Trotz einiger nicht so gewiditiger Schwächen kann der Militärhistoriker an diesem Budi nicht achtlos vorbeigehen. Bedenkt man, daß allein auf dem Gebiet der Funkortungs- und Navigationsanlagen über 950 Entwidilungen und Projekte vor und während des Zweiten Weltkrieges in Deutschland verfolgt wurden, so bleibt das Verdienst Giesslers, die widitig- sten zum Einsatz gekommenen Verfahren und Tediniken des Marine-Nadirichtendienstes für den Nidit-Tediniker verständlich dargestellt zu haben. Frank Reuter

Erid} Fellgiebel, Meister operativer Nadi- riditenverbindungen. Ein Beitrag zur Ge- schichte der Nadiriditentruppe. Heraus- gegeben von Karl Heinz Wildhagen.

Selbstverlag Wennigsen/Hann. 1970, 328 Seiten.

Im Vorwort schreibt der Herausgeber: »Dieses Buch stellt sich nach Form und Inhalt ganz bewußt in die Tradition der 1925 von Fritz Thiele herausgegebenen .Geschichte der Nach- richtentruppe 1899 — 1924*. Es ist den Lei- stungen aller Soldaten dieser Waffengattung im 2. Weltkrieg, insbesondere aber ihrem ge- nialen Inspekteur und Chef d e Heeres-Nadi- richtenwesens, Erich Fellgiebel, gewidmet.« Die- se wohlgemeinte, durchaus legitime Absicht des

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Herausgebers und der Autoren, ein Denkmal zu setzen, muß der Leser berücksiditigen. Denk- mäler werden nidit auf Grund gesdiichtswissen- sdiaftlicher, kritischer Analysen, sondern aus Zuneigung, Dankbarkeit, Verehrung, Kamerad- schaft und ähnlichen Gefühlen errichtet. Der Wahrheitsfindung dienen sie deshalb nur in begrenztem Umfang.

Herausgeber und Autoren gehörten meist län- gere Zeit zur nächsten Umgebung General Fell- giebels. Aus der Sicht dieser Tätigkeit in den Spitzengremien des Femmeldewesens der ehe- maligen Wehrmacht und der damit verbunde- nen Bekanntschaft mit Fellgiebel sind ihre recht untersdiiedlichen Ausarbeitungen entstanden.

Der erste Teil des Buches ist mit drei Beiträgen der Beschreibung der Fernmeldetechnik und der Fernmeldeorganisation für die operativen F«m- meldeverbindungen in den Jahren 1939—1942 gewidmet. Alle drei Aufsätze fußen auf Arbei- ten, die sdion vor 20 und mehr Jahren ent- standen und zum Teil audi publiziert worden sind, bringen also nichts Neues. Abgerundet wird dieser Teil durdi Auszüge aus dem be- kannten Kriegstagebudi von Generaloberst Hai- der. Der zweite Teil bringt einen Lebenslauf General Fellgiebels und einige episodenhafte Erlebnisse mit ihm. Im letzten Abschnitt wird sein Anteil am Widerstand gegen Hitler bis zu seiner Hinrichtung nach dem 20. Juli 1944 geschildert.

Alle Autoren hegen eine uneingeschränkte Ver- ehrung, ja Liebe zu ihrem »genialen« ehemali- gen Chef. Zweifellos war Fellgiebel ein äußerst fähiger General mit einem Blick für neue tech- nische MöglicJikeiten auf dem Gebiet des Fern- meldewesens. Worin seine Fähigkeiten, ja seine Genialität, von der alle Autoren sprechen, ei- gentlidi lagen, ist aus den einzelnen Beiträgen leider nicit zu ersehen. Hatte Fellgiebel eine klare Vorstellung von der Gestaltung einer modernen Fernmeldetruppe und stellte er auf Grund dieser Idee technisdie Forderungen an das Heereswaffenamt und die Industrie für die Entwicklung neuer technischer Einrichtun- gen? Oder entwickelten fähige Konstrukteure neue Fernmeldeteciiniken, deren Möglichkeiten der Inspekteur der Nadirichtentruppe erkannte und für deren Einführung in die Fernmelde- truppe er sich dann energisch und erfolgreich einsetzte? Auch seine Führungsweise, die Lö- sung von Schwierigkeiten und Friktionen beim Einsatz der Fernmeldeverbände sowie seine

»geniale Richtungsweisung« (S. 186) werden nicht hinreichend deutlich. Diese Mängel des

Buches werden aus der Zielsetzung der Autoren verständlich. Trotzdem leisteten Herausgeber und Autoren einen Beitrag zur Geschichte der Nachrichtentruppe der ehemaligen Wehrmacht und ihres sicherlich bedeutendsten Inspekteurs.

Dittrich

Revue d'histoire de la Deuxieme Guerre Mondiale. 21 (1971) N o 81.

Die Handlungsfreiheit der aus der Niederlage gegen die Deutschen im Sommer 1940 hervor- gegangenen Vichy-Regierung ist Gegenstand einer Untersuchung von Henri Michel, La Re- volution nationale, Latitude d'action du gou- vemement de Vichy. Frankreich waren nach Abscjiluß des Waffenstillstands die hauptsäch- lichen Attribute eines souveränen Staates ge- blieben, auch eine begrenzte Handlungsfreiheit, die teilweise allerdings nur von einem Desin- teresse der Besatzungsmacht an gewissen innen- politischen Problemen des Landes und von einer wachsenden Rivalität unter den zahlreichen deutschen Dienststellen herrührte. Die von Vichy angestrebten und zum Teil audi verwirk- lichten Reformen gingen also nicht auf eine deutsche Einflußnahme zurück. Diese »Revo- lution nationale« ist aber nacJi Auffassung Mi- chels trotzdem nur Ausfluß einer Selbsttäu- schung der Vichy-Regierung und von ihrer Po- litik der »Collaboration« nicht zu trennen.

Die Zahl der durch die Zusammenarbeit mit den Deutscäien kompromittierten Franzosen, die bei den gegen Kriegsende einsetzenden Säu- berungen ums Leben kamen, ist in der For- schung nodi immer umstritten. Das Comit^

d'Histoire de la Deuxiime Guerre Mondiale hat es unternommen, durch statistische Erhebungen in den einzelnen Departements zu einer genaue- ren Zahl zu kommen, die kaum noch, wie bisher häufig angenommen, sechsstellig ausfallen dürfte. Einen ÜberblicJt über die bisherigen Arbeitsergebnisse gibt Marcel Baudot, La Re- sistance frangaise face aux problemes de r^pression et d'^puration.

Auf die Protokolle der Budgetkommissionen von Senat und Nationalversammlung stützt sich der Bericht von Frangois Boudot, Sur des problemes du financement de la Defense nationale (1936—1940). Die Mitglieder beider Gremien hatten in Fragen der Landesverteidi- gung die Parteiinteressen zurückgestellt, allen beantragten Summen zugestimmt und die Re- gierung auf mögliche Versäumnisse hingewie- sen.

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Zu den unheilvollen Folgen der Niederlage Frankreichs gehörte die Ausnutzung des fran- zösisdten Arbeitskräftepotentials durch die Deutschen: der Kriegsgefangenen, der Depor- tierten, der zum Reidisarbeitsdienst verpflidi- teten Einwohner in den annektierten Departe- ments sowie der freiwillig oder zwangsweise ins Reidi abtransportierten Arbeitskräfte. Da- zu kamen jene Franzosen, die direkt für deut- sche Dienststellen inFrankreidi tätig waren oder in französisdien Unternehmen deutsche Auf- träge auszuführen hatten. Ihre Gesamtzahl, bisher nur sdiwer festzustellen, glaubt Jean- Marie d'Hoop, La main-d'oeuvre franfai- se au Service de l'Allemagne, auf zeitweise etwa 4,5 Millionen beziffern zu können. Seine Untersuchung ist der französische Beitrag zu der vom Internationalen Komitee für die Ge- sdiichte des Zweiten Weltkriegs ausgerichteten Sonderveranstaltung anläßlidi des X I I I . Inter- nationalen Historikerkongresses in Moskau, die sich mit dem Anteil der breiten Masse an den Kriegsanstrengungen der einzelnen Völker be- schäftigte. Über diese Tagung informiert ein kurzer Bericht ebenfalls von Jean-Marie d'Hoop, L'Histoire de la Deuxi^me Guerre Mondiale au Congr^s de Moscou. Es folgen eine Zusammenstellung neuerer Bibliographien zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs, Rezen- sionen und die üblichen, von der »Biblioth^que de Documentation internationale contempo- raine« besorgten Anzeigen von Neuerscheinun- gen. H. U.

Bruno Sfhmitt, Bodo Gericke: Die deut- sche Feldpost im Osten und der Luftfeld- postdienst Osten im Zweiten Weltkrieg.

Frankfurt/M.: Gesellschaft für deutsche Postgeschichte 1969, 66 Seiten ( = Ardiiv für Deutsche Postgeschidite, 1969, H . 1).

Bodo Geridee: Die deutsdie Feldpost im Zweiten Weltkrieg. Eine Dokumentation über Einriditung, Aufbau, Einsatz und Dienste: Gesellschaft für deutsche Post- geschichte 1971, 164 Seiten ( = Ardiiv für Deutsche Postgeschidite. 1971, H . 1).

Die Geschichte des deutsdien Feldpostwesens im Zweiten Weltkrieg aufzuzeichnen, kommt nicht nur einem berechtigten Interesse der Post- beamten entgegen, sondern fesselt auch das In- teresse des Historikers, des Militärhistorikers zumal; ist doch das Feldpostwesen, wie auch

der Sanitätsdienst, eine militärische Sonderein- richtung, die — ohne eigentlidien Kampfauf- trag — eine humanitäre Aufgabe inmitten ent- fesselter Feindseligkeiten wahrzunehmen hat.

In jahrelanger Arbeit haben die Verfasser das wenige und verstreute Material f ü r ihre Dar- stellung zusammengetragen. Was entstanden ist, ist ein erster informativer Überblidc über die deutsdie Feldpost 1936—1945.

Die Verfasser bezeichnen die Feldpost als einen Teil der zivilen Post, »der zur Erfüllung rein fachlidier Aufgaben in die militärische Organi- sation eingegliedert war«. Die Feldpostvor- schrift H D v 84 ( = MDv 84, beziehungsweise LDv 84) definierte den Auftrag militärisch wie folgt: »Das Feldpostwesen ist ein Versorgungs- gebiet der Kriegswehrmadit und dient der Post- versorgung der Kriegswehrmacht mit der Hei- mat und innerhalb der Kriegswehrmacht. Die Feldpostvorschrift ist vom Oberbefehlshaber des Heeres im Einvernehmen mit dem Reichs- postminister erlassen.« Daß die Feldpost im Rahmen der Wehrmacht eine Sonderstellung einnahm, ergab sich nicht nur aus ihrem Auf- trag, sondern auch aus ihrer ganzen Organi- sation, durch die sie, vor allem in den ersten Kriegsjahren, eng mit der Deutsdien Reichs- post verbunden war.

Die organisatorischen Grundlagen für das Feld- postwesen der Wehrmacht wurden in ihren An- fängen offensichtlich 1936 geschaffen, als der damalige Ministerialdirektor Ziegler vom Reichspostministerium, der aus dem Ersten Weltkrieg mit Feldpostfragen vertraut war, zu einer Wehrübung einberufen wurde. Während der Herbstmanöver 1937 wurde die Postver- sorgung der Manövertruppe erstmalig feld- mäßig durchgeführt. Bei der Besetzung Öster- reichs, des Sudentenlandes und der Resttschechei waren den Truppen bereits Feldpostämter bei- gegeben. Am 24. August wurde der Heeresfeld- postmeister ins Hauptquartier nach Zossen ein- berufen, am 2. September 1939 nahm die Feld- post offiziell ihren Dienst auf.

Die Rechtsstellung der Feldpostbeamten war anfänglidi wie folgt umschrieben: »Die Feld- postbeamten sind für die Dauer ihrer Verwen- dung im Feldpostdienst Wehrmachtsbeamte. Sie erhalten Soldbuch und Erkennungsmarke.« Am 7. Juli 1943 wurde die Reditsstellung durch einen Erlaß des O K W jedodi modifiziert. Da- nach hatten Feldpostbeamte im Offizierrang die Rechtsstellung von Ergänzungs-Wehrmacfat- beamten, bildeten aber eine Sondergruppe;

Feldpostbeamte im Unteroffizierrang wurden

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in das Soldatenverhältnis überführt. Dieser Er- laß hatte hinsiditlidi einer Verselbständigung des Feldpostwesens und seiner Trennung von der Deutschen Reidispost weitreidiende Folgen.

Gericke untersudit den Feldpostdienst bis in seine letzten Verästelungen. Breiter Raum wird der Darstellung der Feldpostnummer- und Kennummerhandhabung, Ausrüstungsfragen und dem Einsatz der Feldpost auf den einzel- nen Kriegsschauplätzen gewidmet, besonders dem in Rußland, und der praktischen Durch- führung des Feldpostdienstes. Festzuhalten bleibt, daß die Leitung von Feldpostsendungen der Luftwaffe und Kriegsmarine von der des Heeres differierte. Feldpostsendungen von nicht der Kriegswehrmacht zugeteilten SS-Einheiten und Dienststellen trugen den Vermerk »SS- Feldpost«. Interessant sind die Bemerkungen über den Feldpost-Auslandsdienst, die Zollbe- handlung und Kriegsgefangenen- und Inter- niertenpost, den Feldpostverkehr mit verbün- deten Truppen und russischen Landeseinwoh- nem sowie das Kassen- und Rechnungswesen.

Besonderer Erwähnung bedarf noch der Luft- feldpostdienst Osten. Um die immer größer werdende Distanz zwischen der Front und der Heimat reibungsloser und schneller überwinden zu können, wurden Anfang 1942 die Voraus- setzungen für die Einrichtung eines Luftfeld- postdienstes geprüft. Der Planung kam zustat- ten, daß die bis dahin noch als Bomber ein- gesetzten Ju 52 durch moderne Typen ersetzt wurden. Die Ju 52 wurden Kurierstaffeln, Son- derkommandos und Schulen zugewiesen.

Schließlich befahl der Oberbefehlshaber der Luftwaffe nach Anforderung durch das O K H / Generalquartiermeister am 26. März 1942 die Abgabe von sechs Ju 52 durch die Deutsche Lufthansa und die Abstellung von Bodenper- sonal durch die Luftwaffe; im August 1942 wurde die Anzahl auf elf Maschinen erhöht.

Im Norden berührte die Luftpostroute Gat- schina, Pleskau und Witebsk, im Mittelab- schnitt Smolensk, Orscha und Orel, im Südab- schnitt Shitomir, Nikolajew, Simferopol, Mariupol, Stalino, Dnjepropetrowsk und Poltawa; Zentralpunkt des Luftpostnetzes war Biala Podlaska. Von April bis Dezember 1942 flogen die Maschinen des Luftpostdienstes Ost 1 265 335 km unfallfrei und beförderten 1 999 342 kg Post; 1943 waren es 1 862 870 km und 2 934 850 kg Post; von Januar bis Juni 1944 waren es 1 719 679 km und 1 I I I 147 kg Post. Nach der erfolgreichen sowjetischen Offen- sive im Sommer 1944 »hatte der Luftpostdienst

Osten seinen Sinn verloren und keine Aktions- fähigkeit mehr«; am 24. Juli 1944 wurde die Feldpoststaffel aufgelöst.

Den Darstellungen in beiden Aufsätzen sind zahlreiche Anlagen beigegeben, die für den Mi- litärhistoriker, vor allem wenn er sich mit dem Rußlandfeldzug beschäftigt, wertvolle und in- teressante Informationen vermitteln. Die Kar- ten sind zwar nicht mit der gleichen Akribie gearbeitet wie die Statistiken, aber das fällt nicht sehr ins Gewicht. Vielleicht hätte sich durch eine Straffung der Darstellung und eine noch klarere Gliederung des umfangreichen Materials eine bessere Übersicht ergeben. Es wäre zu wünschen, daß auch für das Feldpost- wesen des Ersten Weltkrieges eine adäquate Darstellung in Angriff genommen würde.

Eine kritische Anmerkung muß noch gemacht werden: Gericke sieht eine Darstellung des Feld- postwesens dadurch gerechtfertigt, daß die Feld- post eine »Institution ohne kriegerische Auf- gaben, allein im Dienste des Menschen« gewe- sen sei. Niemand will die Sonderstellung der Feldpost im Rahmen der Wehrmacht bestreiten, aber ihre Tätigkeit im Gegensatz zum Kampf- auftrag der Fronttruppen zum »humanitären Dienst« hochzustilisieren, führt zu weit. Die Feldpostbeamten waren nach ihrem völkerrecht- lichen Status Soldaten und hatten im Rahmen der Versorgungstruppen auch als Nicht-Kämp- fer einen festen militärischen Auftrag. Kehrig

Werner Haupt, James K. W. Bingham:

Der Afrika-Feldzug 1941-1943. (Die Übersetzung des englischen Textes von Sigrun und Ulrich Elfrath). Podzun-Ver- lag, Dorheim/H. 1968, 160 Seiten.

Die Verleger bezeichnen dieses Buch als ein

»einmaliges«, da erstmalig ein britischer und ein deutscher Autor in parallelen Abschnitten,

»immer aus dem Gesichtspunkt ihrer eigenen Nation gesehen«, den Feldzug in Nordafrika nachzeichnen. Die Darstellung beginnt einlei- tend unter der nicht zutreffenden Kapitelüber- schrift »Der italienische Einmarsch in Ägypten 1940« mit einem kurzem Überblick über die

»britische Situation« im Mittelmeerraum und im Nahen Osten vor Beginn der Kampfhand- lungen in Nordafrika und mit der vom deut- schen Verfasser gegebenen Darlegung der Kriegsziele Italiens und der italienisdien Kräf- teverteilung in Libyen im Monat der Kriegs- erklärung Italiens an England. Sie führt dann

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vom Beginn des Wüstenkrieges mit dem bis Sidi Barrani vorgetragenen italienisdien Angriff im September 1940 bis zur Kapitulation der in Tunesien zusammengedrängten Kräfte der beiden Adisenmädite gegenüber den britisdi- amerikanisdien Verbänden im Mai 1943. Ein- bezogen sind der mit Marine- und Luftwaffen- kräften geführte Kampf auf den Versorgungs- wegen über See und um Malta. Der britische Autor gibt darüber hinaus audi einen Oberblidc über den Feldzug gegen die italienisdie Heeres- gruppe des Herzogs von Aosta in Ostafrika bis zu deren Kapitulation im Mai 1941.

Der Umfang des Budies läßt von vornherein keine bis ins einzelne gehende Sdiilderung er- warten. Zudem schränken die 131 guten Bild- reproduktionen den Raum für den Text nodi erheblidi ein. Eine Darstellung dieses wedisel- vollen Kampfes erfordert, wenn sie ausgewo- gen sein soll, dann neben der selbstverständli- dien fundierten Sadikenntnis um so mehr eine klare, balastlose Diktion und eine straffe Linie.

Bedauerlidierweise ermangelt es dem deutsdien Part im Gegensatz zu dem britischen hieran.

Hinzu kommt, daß der deutsche Verfasser ei- nerseits sidi stellenweise textlidi sehr eng an zwar nicht genannte, doch unverkennbar be- nutzte deutsche Publikationen anlehnt, was sidi auch stilistisch erkennen läßt, andererseits aber audi diese nur oberflädilidi und sogar fehlerhaft auswertet. So heißt es zum Beispiel bei P. Ca- rell, Die "Wüstenfüchse, Hamburg 1960, S. 33:

»Das Panzerregiment 8 unter Oberstleutnant Gramer stößt von Sollum aus südlich in die Wüste, dreht dann nach Norden und greift die britischen Paßverteidiger von rückwärts an.«

Bei Haupt (S. 44) lautet dies: »Das Panzer- regiment 8 [Oberstleutnant Gramer] stieß von Sollum aus südlich in die Wüste, drehte nach Norden und griff den Paß von rückwärts her an.« Nach Gajus Bekker, Angriffshöhe 4000, Oldenburg 1964, 5. 252, erwarteten die Ver- bände des nach Sizilien verlegten X . Flieger- korps »zahlreiche Aufgaben: Sperrung der Meerenge zwischen Sizilien und Tunis...« Nach Haupt (S. 32) gab hingegen der Kommandie- rende General des X. Fliegerkorps, dessen Stab übrigens zuerst in Gatania lag, »in den ersten Januartagen folgende Befehle: Sperrung der Meerenge zwisdien Sizilien und Tunesien...«

und wörtlich weiter; vergleiche hier auch die Verlegung des IL/K. G. 26 von Sizilien nach Benghasi (»kurz entschlossen... «).

Statt der nach Bekker (S. 253) am 17. Januar 1941 von Benghasi zum Angriff auf den briti-

schen Nachschubverkehr durch den Suezkanal gestarteten acht Kampfflugzeuge, von denen vier den Kanal von Norden nach Süden und vier in umgekehrter Richtung überfliegen sollten, flogen nach Haupt insgesamt nur vier Maschi- nen diesen Einsatz (S. 52). Daß Generalmajor Frhr. v. Funck nicht durch den damaligen Ge- neralleutnant Rommel ersetzt worden ist (S. 32/33), sondern dieser vielmehr mit der Führung des nach Libyen zu überführenden Korpsstabes beauftragt wurde, geht eben aus der hier einmal genannten, aber falsch ausge- werteten Quelle (Kriegstagebuch des OKW, Eintragung vom 6. Februar 1941) hervor. Kom- mandeur des zur 5. leichten Division umgebil- deten Sperrverbandes wurde am 7. Februar 1941 unter gleichzeitiger Beförderung General- major Streich (S. 37 fälschlich »General Schleich«

benannt). Die (S. 33) genannte Anzahl der Transportschiffe, der Soldaten und Kraft- fahrzeuge ist offenbar nach dem am 9. Januar 1941 vom Oberbefehlshaber des Heeres für die Zusammensetzung des Sperrverbandes und den Transportraum unterbreiteten Vorschlag ange- geben, entspricht also nicht den tatsächlichen Zahlen, zumal in dieser Vorausberechnung auch die vorgesehenen Panzerkräfte nicht berüci- sichtigt worden sind (vergleiche Kriegstagebuch des OKW, Band 1, Frankfurt/M. 1965, 5. 254).

Auch waren es nicht die Soldaten der Aufklä- rungsabteilung (mot) 3, die zuerst afrikanisdien Boden betraten, sondern Angehörige der Ver- sorgungstruppen. Die Aufklärungsabteilung 3 traf zusammen mit der Panzerjägerabtailung 39 am 13. Februar 1941 in Tripolis ein. Aller- dings waren dies die ersten abgesetzten Kampf- teile des Heeres. Pathetisch-phrasenhafte For- mulierungen wie »der Sieg war errungen!«

oder »Die Gefahr wurde gemeistert« (S. 44) können Ungenauigkedten und Oberflächlichkei- ten auch in der Schilderung der Kampfhandlun- gen, die nach dem Eintreffen der ersten Teile des Afrikakorps bereits am 24. März 1941 mit dem nicht erwähnten Vorstoß der verstärkten Aufklärungsabteilung 3 auf el Agheila (Süß- wasserbrunnen!) begannen, nicht verdecken.

Der durch die Parallelschilderung ermöglichte Vergleich fällt in jeder Hinsicht nicht zugun- sten des deutschen Autors aus. Selbst nodi in den Schlußsätzen findet sich ein Beispiel für dessen mangelhafte Sorgfalt. Die von ihm Feld- marsdiall Rommel zugeschriebene Formulie- rung »Krieg ohne Haß« wurde von den Her- ausgebern seiner 1942—1944 gefertigten Nie- derschriften als Titel gewählt (s. Erwin Rom-

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