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GRUPPENDYNAMIK DER BLAUE REITER. Neue Künstlervereinigung München, NKVM

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GRUPPENDYNAMIK – DER BLAUE REITER Neue Künstlervereinigung München, NKVM

Nach dem produktiven Malaufenthalt von Wassily Kandinsky, Gabriele Münter, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin in Murnau 1908 vertieften sich in München die Diskussionen unter den progressiv gesinnten Künstler*innen, die sich regelmäßig in der Wohnung von Werefkin und Jawlensky in Schwabing trafen. Im Januar 1909 gründeten sie die Neue Künstlervereinigung München (NKVM), um sich eine Plattform für Ausstellungen, Verkäufe und die Propagierung ihrer Ideen zu schaffen. Weitere Gründungsmitglieder waren Adolf Erbslöh, Alexander Kanoldt, Alfred Kubin, Paul Baum, Wladimir von Bechtejeff, Erma Bossi, Mossej Kogan und der Tänzer Alexander Sacharoff.

Bereits der Gründungskreis zeigt deutlich, dass viele Beteiligte aus Osteuropa oder dem damaligen russischen Kaiserreich stammten und der Salon Marianne von Werefkins eine Keimzelle der Vereinigung war. Bechtejeff, 1878 in Moskau geboren, siedelte 1902 auf Empfehlung Jawlenskys nach München über. Kogan, 1879 im ehemaligen Bessarabien geboren, arbeitete seit 1903 als Gemmenschneider und Plastiker in München und war vermutlich durch den Galeristen Wladimir Isdebsky in Kontakt zu Jawlensky, Werefkin und Kandinsky gekommen. Bossi, 1875 im damaligen Königreich Kroatien-Slawonien der

österreichisch-ungarischen Monarchie geboren, lebte spätestens seit 1908 in München und war in jenem Jahr auch in Murnau mit dabei. Der junge Tänzer Alexander Sacharoff wiederum, 1886 im damals russischen Mariupol geboren, war seit seiner Ankunft in München 1905 eng mit dem Paar Jawlensky und Werefkin befreundet.

Im Gründungszirkular der NKVM vom März 1909 schrieb Kandinsky programmatisch: „Wir gehen aus von dem Gedanken, dass der Künstler ausser den Eindrücken, die er von der äusseren Welt, der Natur, erhält, fortwährend in einer inneren Welt Erlebnisse sammelt; und das Suchen nach künstlerischen Formen, welche die gegenseitige Durchdringung dieser sämtlichen Erlebnisse zum Ausdruck bringen sollen – nach Formen, die von allem Nebensächlichen befreit sein müssen, um nur das Notwendige stark zum Ausdruck zu bringen, – kurz, das Streben nach künstlerischer Synthese, dies scheint uns eine Losung, die gegenwärtig wieder immer mehr Künstler geistig vereinigt.“ Mit „Synthese“ ist hier nicht nur die Neuerung besonders der französischen Nachfolger von Paul Gauguin gemeint, das Bild als eine unabhängige Formeinheit aus Farbflächen und Konturen aufzufassen. Gefordert wird auch

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eine Synthese von äußerem Motiv und der inneren, emotionalen Vision des Kunstschaffenden, mit der man sich endgültig von einem traditionellen, akademischen Realismus verabschieden wollte.

Die 1. NKVM-Ausstellung wurde im Dezember 1909 in der neu eröffneten Galerie von Heinrich Thannhauser in bester Münchner Innenstadtlage gezeigt, vermittelt von Hugo von Tschudi, dem Museumsdirektor der Münchner Pinakotheken, der zuvor in Berlin wegen seiner fortschrittlichen Ankaufspolitik beurlaubt worden war. Neben Werken der

Gründungsmitglieder sowie von Emy Dresler, Robert Eckert und Carla Pohle war mit Pierre Girieud bereits ein Gast aus Frankreich vertreten. In der Folgezeit bemühte sich die

Vereinigung intensiv um den Ausbau internationaler Kontakte; 1910 traten Girieud und Henri Le Fauconnier der NKVM bei.

Die 2. NKVM-Ausstellung im September 1910 hatte aufgrund ihrer Gäste aus europäischen Ländern einen internationalen Charakter und präsentierte mindestens 115 Werke, darunter solche von Georges Braque, David und Wladimir Burljuk, Wassily Denissoff, André Derain, Kees van Dongen, Francisco Durrio, Eugen von Kahler, Alexander Mogilewski, Adolf Nieder, Pablo Picasso, Georges Rouault, Edwin Scharff, Séraphin Soudbinine und Maurice de

Vlaminck. Dem Katalog wurden fünf Vorworte von Le Fauconnier, David und Wladimir Burljuk, Kandinsky und Odilon Redon vorangestellt sowie ein separates Vorwort zu einer Rouault-Ausstellung. Diese Besonderheit der 2. NKVM-Ausstellung kann nicht genug betont werden: Erstmals in Europa lud eine Künstler*innenvereinigung eine größere Zahl externer Gäste der Avantgarde aus dem europäischen Ausland ein (wenngleich sich die Auswahl auf französische und russische Künstler*innen beschränkte), die damit fast alle zum ersten Mal in Deutschland vorgestellt wurden.

Die Kontakte zu den französischen Kunstschaffenden hatte Girieud vermittelt, auch zu Picasso, mit dem er damals eng befreundet war. Kandinsky hatte die Kolleg*innen aus Russland

verpflichtet. Die 2. NKVM-Ausstellung 1910 brachte jedoch eine Wende in seinem Verhältnis zur russischen Avantgarde. Bald bedauerte er nicht nur, etwa den noch dem Jugendstil

verbundenen Denissoff eingeladen zu haben, im Oktober reiste er nach längerer Zeit auch wieder nach Moskau und Odessa. Er vertiefte die Kontakte zu Nikolai Kulbin, dem St. Petersburger Künstler, Musiktheoretiker und Gründer der Künstler*innenvereinigung Treugolnik (Dreieck), den er später zur Mitarbeit am Almanach aufforderte. In Moskau lernte Kandinsky jetzt auch Aristarch Lentulow, Natalija Gontscharowa und Michail Larionow persönlich kennen, die die Rückbesinnung auf die russische Volkskunst und den Primitivismus der eigenen bäuerlichen Überlieferung weitaus radikaler als die Brüder Burljuk vertraten. Alle waren ihm von David Burljuk für die 2. NKVM-Ausstellung empfohlen worden, damals hatte Kandinsky ihre Einladung nach München jedoch abgelehnt. In Moskau erkannte er nun das Potenzial der sogenannten Neoprimitivisten und der im Entstehen begriffenen

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Künstler*innenvereinigung Bubnovi Valet (Karo-Bube). Jawlensky und er waren bereits zu deren geplanter erster Ausstellung in Moskau eingeladen worden, nun bemühte sich Kandinsky um die Beteiligung auch anderer Mitglieder der NKVM. Auf der im Dezember 1910 gezeigten Karo-Bube-Ausstellung waren neben Larionow, Gontscharowa, David und Wladimir Burljuk, Pjotr Petrowitsch Kontschalowski, Lentulow, Kasimir Malewitsch, Ilja Maschkow und

Alexander Kuprin dann auch die NKVM-Mitglieder Kandinsky, Jawlensky, Münter, Werefkin, Erbslöh, Kanoldt und Bechtejeff vertreten. Bereits zuvor hatte Kandinsky auf eine Einladung der NKVM-Künstler zum Salon 2. Internationale Kunstausstellung von Isdebsky in Odessa hingewirkt, der ebenfalls im Dezember 1910 eröffnete.

Die beiden NKVM-Ausstellungen von 1909 und 1910 in München erhielten vernichtende Kritiken in der Presse. Besonders heftig waren die polemischen Angriffe des Kritikers Maximilian Karl Rohe, bei dem es über diese „Münchner Vereinigung östlicher Europäer“

hieß, „daß die Mehrzahl der Mitglieder und Gäste der Vereinigung unheilbar irrsinnig ist, oder aber, daß man es mit schamlosen Bluffern zu tun hat, denen das Sensationsbedürfnis unserer Zeit nicht unbekannt ist und die die Konjunktur zu nutzen versuchen.“1 Die Kritik veranlasste Franz Marc, der bislang in München weitgehend isoliert gearbeitet hatte, zu einer engagierten Parteinahme für die Gruppe, durch die er in Kontakt mit der NKVM kam: zunächst, während Kandinsky sich in jenem Herbst in Russland aufhielt, mit dem Sekretär der Gruppe, Erbslöh, sowie mit Jawlensky und Werefkin. Am 1. Januar 1911 lernte Marc im Salon von Werefkin und Jawlensky erstmals Kandinsky und Münter persönlich kennen, im Februar 1911 wurde er schließlich Mitglied der NKVM. Kandinsky und Marc schlossen sich eng zusammen und gerieten mit ihren künstlerischen Ideen bald in Konflikt mit den gemäßigten Mitgliedern.

Trotz der verheerenden Kritiken verfolgte die NKVM ihre kunstpolitischen Ziele durch Ausstellungstourneen konsequent weiter. Der „Turnus“ der ersten Ausstellung 1909–1910 wanderte nach Brünn, Elberfeld, Barmen, Hamburg, Düsseldorf, Wiesbaden, Schwerin und Frankfurt am Main. Der „Turnus“ der zweiten Ausstellung 1909–1910 ging nach Karlsruhe, Mannheim, Hagen, Berlin, Leipzig, Dresden und Weimar. Insbesondere im Rheinland fanden die Werke eine weitaus positivere Aufnahme als in München; die Künstler*innen konnten sich nicht nur über erste Verkäufe oder Einzelausstellungen freuen, sondern betätigten sich auch als erfolgreiche Netzwerker*innen zwischen Kolleg*innen, Galerien und Museumsdirektor*innen.

Ab dem Sommer 1911 planten Kandinsky und Marc unter Mitarbeit von Gabriele Münter die Publikation eines Kunstalmanachs, dem sie den Namen Der Blaue Reiter gaben. Beiträge oder Werke ihrer NKVM-Kolleg*innen zogen sie hierfür schon bald nicht mehr in Betracht. Auch bei der Vorbereitung der 3. NKVM-Ausstellung entstanden Konflikte um die Einbeziehung von Künstler*innen aus anderen europäischen Ländern, die Kandinsky und Marc nachdrücklich befürworteten, die Partei um Erbslöh und Kanoldt jedoch zu verhindern wusste. Als am 2. Dezember 1911 die Jury der 3. NKVM-Ausstellung ein fast abstraktes Bild von Kandinsky

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zurückwies, traten Kandinsky, Marc und Münter aus der NKVM aus und organisierten eine eigene Schau, die berühmt gewordene 1. Blauer Reiter-Ausstellung.

Während im Kreis des Blauen Reiter nun verschiedene Vertreter*innen eines spirituell ausgerichteten Expressionismus zusammenfanden, wanderte die 3. NKVM-Ausstellung in kleiner Besetzung mit Werken von Bossi, Bechtejeff, Erbslöh, Girieud, Jawlensky, Kanoldt, Kogan und Werefkin ins Kunsthaus Zürich, sieben weitere vorgesehene Stationen fanden nicht mehr statt. Als 1912 der Kunsthistoriker Oskar Fischer, auch er Mitglied der NKVM, sein Buch Das Neue Bild. Veröffentlichung der Neuen Künstlervereinigung München publizierte, in dem er Kandinskys Weg in die Abstraktion kritisiert, traten Ende des Jahres auch Werefkin und Jawlensky aus der Gruppe aus, die sich daraufhin auflöste.

Von Annegret Hoberg

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1 Maximilian K. Rohe, „Zweite Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung München in H. Thannhausers Moderner Galerie im Arco-Palais“, in: Münchner Neueste Nachrichten, 10.9.1910, zitiert nach Andreas Hüneke, Der Blaue Reiter. Dokumente einer geistigen Bewegung, Leipzig 1986, S. 29. Siehe auch: „Anthologie“, in: Der Blaue Reiter und das Neue Bild. Von der „Neuen Künstlervereinigung München“ zum „Blauen Reiter“, hrsg. von Annegret Hoberg und Helmut Friedel, Ausst.-Kat. Lenbachhaus München, 1999, S. 36.

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