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"Einerseits die passende Hose / andererseits Richard den Dritten im Kopf" : Theater und Mode(rne) bei Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek

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Academic year: 2022

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Von Kopf bis Fuß

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Christine Kutschbach / Falko Schmieder (Hg.)

Kulturverlag Kadmos Berlin

Von Kopf bis Fuß

Bausteine zu einer

Kulturgeschichte der Kleidung

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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver wertung ist ohne Zustimmung des Verlages

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Copyright © 2015, Kulturverlag Kadmos Berlin.

Wolfram Burckhardt Alle Rechte vorbehalten Internet: www.kulturverlag-kadmos.de

Umschlaggestaltung: Kaleidogramm. Coverbild © D.M. Nagu, 2015 Gestaltung und Satz: Readymade, Berlin

Druck: Finidr Printed in EU ISBN 978-3-86599-289-5

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar

Die Drucklegung des Bandes wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01UG1412 gefördert.

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»Einerseits die passende Hose / andererseits Richard den Dritten im Kopf«. Theater

und Mode(rne) bei Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek

Alexander Schwieren

Die passende Hose und die Dramatik Shakespeares, diese Konstellation ist – einerseits – ein Witz Thomas Bernhards, der Stoff und Sujet, Schnitt und Stil in seinem Dramolett Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen (1986) in eins denkt und damit die Theaterversessenheit des Regis- seurs Claus Peymann in Szene setzt. Die Verbindung von Hosenkauf und Dramatik eröffnet aber – andererseits – auch eine sehr plastische Auseinandersetzung des Autors mit der eigenen Beziehung zum Theater. Diese Auseinandersetzung verrät nicht nur einiges über Thomas Bernhard und das The- ater, über das Burgtheater und das ›Theater Österreich‹. Sie verrät auch einiges über die Moden und Modernisierungen des Theaters in der ›Postmoderne‹.

Dass Thomas Bernhard nicht in erster Linie ein Dramatiker war, dass er die Dramatik vielmehr als kurzweilige Selbstin- szenierungs- und Diffamierungsmöglichkeit, aber auch als wichtige Einnahmequelle begriffen hat, ist auch vor dem Dramolett kein Geheimnis gewesen. Das Ich des Dramoletts erscheint folgerichtig zuallererst als Bestätigungsinstanz des Regisseurs, dem gesagt wird, was er hören will: »Die Hose paßt ausgezeichnet« und »Sie sind eine Figur für den italie- nischen Schnitt Peymann«.1 Diese Haltung kommt auch im wiederholten Angebot zur Sprache, dem Regisseur die alte Hose, die dieser gleich nach dem Einkauf einer neuen nicht mehr anziehen will, (nach)zutragen: »[S]oll ich Ihnen die

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155 Thomas Bernhard, 1971

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alte Hose abnehmen« (S. 32, vgl. auch S. 38, S. 46). Anders gesagt: Der Dramatiker inszeniert nicht neue Stoffe, er trägt dem Regisseur (dessen) alte Stoffe hinterher, während dieser ununterbrochen damit beschäftigt ist, Neues vorzuführen.

Was dabei als neues Stück Bernhards nur herauskommen kann, steht Peymann, bei Bernhard, ganz klar vor Augen:

»ein richtiges Burgtheatertheater«. Der Auftrag des Burg- theaterintendanten bringt dessen Selbstverständnis auf den Punkt: »[S]chreiben Sie einen richtigen Welthammer / Bern- hard« (S. 45 f.).

Diese Ambivalenz von Tradition und Innovation führt auch die Peymann’sche Hosenwahl, und mehr noch die Hosenauswahl, die dieser Hosenwahl vorausgegangen ist, vor Augen: »sechs leichte Sommerhosen der Firma Zegna«

(S. 29) hat der Regisseur probiert, bevor er eine ausgewählt und sogleich auch angezogen hat. Das spricht nicht für eine besonders große Offenheit in modischen Fragen: Nur eine, bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründete Marke wird beachtet, die der Autor zudem noch mit dem

›italienischen Schnitt‹ verbindet – die neue Hose steht in einer immensen Modetradition. Dazu passt der erinnerte Modenwandel bei Peymann, der zu Beginn seiner Laufbahn noch ein »Cocacolaleibchen« getragen hatte, ab und mit einer Inszenierung der Iphigenie, also nach der Wandlung zu einem ›klassischen Regisseur‹, aber »auf einmal sehr elegant gekleidet« war (S. 31). Schon bei der Iphigenie, aber besonders jetzt, beim Kauf der neuen Hose, geht es demnach kaum um eine ›neue Mode‹ – und dennoch: »Zu einem neuen Burgtheaterdirektor / gehört auch eine neue Hose« (S. 47).

Das Burgtheater ist an dieser Stelle nicht austauschbar.

Ob zu einem neuen Volksbühnen- oder zu einem neuen Thalia-Direktor ebenfalls eine neue Hose gehört, wird hier nicht geklärt – es ist aber eher unwahrscheinlich, denn die neue Hose geht nicht auf einen (beliebigen) Theaterwechsel, sondern auf Wien zurück: »Diese Stadt verführt zum Hosen- kauf« (S. 30). Als sanfter Stilwechsel bei gleichbleibend klas- sischen Stoffen und davon ungerührt größenwahnsinnigen Selbstinszenierungen ist der Hosenkauf, das legen Peymann

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und Bernhard im Dramolett zumindest nahe, mehr als eine Theatermode. Der Hosenkauf ist ein Charakterzug Wiens und, mehr noch, ganz Österreichs, das seine modernisie- rungsfeindliche Rückständigkeit (»lauter Nazis«) inszeniert und zelebriert: »Österreich ist das beste Theater der Welt«

(S. 50, S. 43).

Diese Diskussion der Mode im Hinblick auf das Wesen des Theaters (in) Österreich ist naheliegend, nicht so sehr aufgrund der Hosenliebe Bernhards oder Peymanns, sondern aufgrund der Situation des Theaters, in der der Dresscode der bürgerlichen Gesellschaft eine seiner letzten Bastionen gefunden hat(te). Sich von klassischen Stücken, die »im Grunde erledigt« sind, unterhalten zu lassen und sich auch noch »herrlich anziehen dazu« – diese Tradition des Thea- ters hatte Bernhard an anderer Stelle als »großen Schmarrn«

verdammt.2 Dabei ging es aber weniger um die Mode der Zuschauer als vielmehr um die Mode des Theaters, die ihm gestrig erschien, oder (mit dem Dramolett über Peymanns Hose) genauer: als Kaschierung, die eine Tradition als Inno- vation zu verkaufen sucht. Mit anderen Worten: Bernhard verachtete die fehlende Modernität des Theaters.

Die Idee, dass mit der Mode auch eine Neuerung bzw. Mo- dernisierung des Theaters verbunden sein könnte, hat Bern- hard nur angedeutet, als er die Hosenprobe für den Regisseur als gesundheitsgefährdende Belastung (»eine Theaterprobe ist nichts dagegen«), für den Autor aber als denkbare Quelle der Inspiration ins Spiel gebracht hatte: »Während einer sol- chen Hosenprobe / habe ich einmal die Idee für einen Roman gehabt« (S. 34 f.). Eine intensivere Auseinandersetzung findet sich aber bei Elfriede Jelinek, die in Österreich nicht nur als meistgespielte lebende Dramatikerin an Bernhards Stelle ge- treten ist. Jelinek teilt in einem programmatischen Text unter dem Titel Ich möchte seicht sein (1983) Bernhards Abscheu gegenüber einem Theaterbetrieb, dessen einziger Sinn darin besteht, »ohne Inhalt zu sein, aber die Macht der Spielleiter vorzuführen, die die Maschine in Gang halten«.3 Und sie teilt auch Bernhards Idee, diese Inszenierungsmaschine mit dem Begriff der Mode zu beschreiben: Der Regisseur, der

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letztlich immer nur Gegebenes und damit Vergangenes zu beleben vorgibt, »verleugnet das Vergangene und zensiert gleichzeitig (Mode!) das Zukünftige, das sich nun für die nächsten Saisonen nach ihm zu richten haben wird«.

Jelinek greift die Mode als Gegenstand des Theaters aber noch auf eine andere Art auf: »Ich will kein Theater. […] Viel- leicht eine Modenschau, bei der die Frauen in ihren Kleidern Sätze sprechen.« Das klingt zunächst nach Bernhards Dra- molett, Teil 2, jetzt mit Frauen. Es geht Jelinek, bei aller (mit Bernhard geteilten) Komik, aber um wesentlich mehr: um eine Kritik an den Figuren des Theaters, an der Verfassung des Schauspielers auf gegenwärtigen, klassischen Bühnen und um eine Befreiung der Personen auf der Bühne vom Anspruch, Menschen darzustellen: »Modeschau deswegen, weil man die Kleider auch allein vorschicken könnte. Weg mit den Menschen, die eine systematische Beziehung zu einer ersonnenen Figur herstellen könnten!« Bei Bernhard war die Mode noch die Maske, hinter der sich das klassische Theater unhinterfragt in Szene und damit fortsetzte. Jelinek reflektiert Kleider im Theater als Möglichkeit, die, gerade aufgrund ihrer Formlosigkeit (Kleidung »muß um den Menschen ge- gossen werden, der ihre Form IST«), die traditionelle drama- tische Form und die mit dieser Form verbundene Fiktion des Menschen überschreiten könnte. Anstelle eines dramatischen Lebens, das sich selbst bedeutet, tritt bei Jelinek die Mode als bloße Hülle, als inhalts- und sinnloser Stil auf die Bühne. Die Selbstreferenz der Schauspieler tritt ab – und mit der Mode treten »wir« auf: »Wir sind unsere eigenen Darsteller.« Wie dieses »wir« nach Jelinek auf der Bühne vorzustellen ist, davon mag ihr späteres Textflächen-Theater, die absatzlose Reihung von Zitaten und deren Lösung von individuellen Sprechern und Adressaten, eine Vorstellung geben. Kleider eröffnen an dieser Stelle in erster Linie die Möglichkeit, die Austauschbarkeit ihrer Träger und damit die Abwesenheit von ›klassischen‹ Subjekten vorzuführen.

Denkbar ist sicher, dass dieses Theater ohne Schauspieler auskommt. Undenkbar scheint aber, dass es ohne Regisseur auskommt. Der Regisseur lässt sich vom Theater kaum aus-

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schließen, er lässt sich aber auf die Bühne stellen. In Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen hat sich Tho- mas Bernhard gleich auch noch dazugestellt und parodiert in diesem Sinn nicht nur den Regisseur Peymann, sondern auch den Autor Bernhard, dessen unbedingten Setzungsan- spruch und seine – voraussetzungsreiche – Verdammung der Geschichte. Würde Jelinek dieses Stück inszenieren, vielleicht würde sie dem Bernhard-Schauspieler auf der Bühne gestat- ten, die alte Hose dem Regisseur nicht nur nachzutragen, sondern sie auch anzuziehen, und vielleicht wäre auch die alte Hose eine Zegna-Hose. Zweifellos gilt jedenfalls: »Zegna macht die besten Hosen« (S. 31).

Anmerkungen

1 Thomas Bernhard: Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen, Frankfurt/Main 1993, S. 31. Weitere Zitate sind im Folgenden mit Seitenzahl im Text angegeben.

2 Thomas Bernhard im Interview, zit. nach Krista Fleischmann: Das war Thomas Bernhard: Fernsehdokumente 1967–1988, Wien: ORF 1994, Min. 25:25–26:00.

3 Diese und alle weiteren Zitate Jelineks finden sich im genannten Text von Elfriede Jelinek: Ich möchte seicht sein, in: Theater heute, Jahrbuch 1983, S. 102.

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S. 115 Leather Shank Button. Foto © Sage Ross.

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Leather_shank_

button_up_close.jpg.

S. 120 Constantin Guys, Femme en velours, 1860–1864. Aquarell.

In: José Alvarez (Hg.): Constantin Guys 1802–1892. Fleurs du mal. Dessins des Musées Carnavalet et du Petit Palais, Ausst.

kat. Musée de la vie romantique, Paris 2003, S. 138, cat. 32.

S. 125 Félix Vallotton, Le Bon Marché (1893). Holzschnitt.

© Brooklyn Museum, Henry L. Batterman Fund.

S. 131 Donwan Harrell PRPS Noir Denim Jeans. Foto: PRPS Jeans, New York. https://theselvedgeyard.files.wordpress.

com/2012/03/img_2808.jpg.

S. 139 Der Papyrer. In: Hans Sachs: Eygentliche Beschreibung al- ler Stände auff Erden, hoher und nidriger, geistlicher und weltlicher, aller Künsten, Handwercken und Händeln […], Frankfurt am Mayn: Feyerabend 1568, o.S.

S. 143 The Souper Dress, 1966. Foto: Takashi Hatakeyama. © The Kyoto Costume Institute. Abdruck mit freundlicher Geneh- migung.

S. 150 Inszenierung von »Faserland« durch das Schauspiel Hanno- ver 2012. Foto © Katrin Ribbe/Schauspiel Hannover. Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

S. 155 Thomas Bernhard, 1971. Foto (Ausschnitt) © Erika Schmied.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Residenz Ver- lags.

S. 162 Jackie Kennedy im rosa Chanel-Kostüm, Love Field Airport, Dallas, 22. November 1963. Foto © Cecil W. Stoughton.

U.S. National Archives and Records Administration.

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kennedys_arri- ve_at_Dallas_11-22-63.JPG.

S. 165 Garderobe im Theater Wolfsburg. Foto © Lars Landmann.

In: Katrin Barthmann, Rocco Curti, Nicole Froberg: Hans Scharouns Theater für Wolfsburg 1973–2013, hg. Stadt Wolfs- burg, Forum Architektur, Berlin 2013, S. 40.

S. 170− Collagen © D.M. Nagu.

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