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Die Mädchen für Technik begeistern | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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6 Die Volkswirtschaft  10 / 2016 FACHKRÄFTE

Marktanreize genügen nicht

Um das volkswirtschaftliche Problem zu ver- stehen, muss man sich fragen: Warum reichen derzeit die Marktanreize nicht aus, um eine volks- wirtschaftlich optimale Bildungsstruktur zu er- reichen? Antworten liefert die Wachstums- und Innovationsforschung. Demnach berücksichtigen weder Individuen bei ihrer Fächerwahl noch Firmen – bei der Nachfrage nach Fachkräften  –, dass die Produktivität eines Industrie- oder eines Dienstleistungszweiges insgesamt ansteigt, wenn das Fachkräfteangebot verbessert wird. Die Marktlöhne etwa von Ingenieuren, Informatikern oder Forschern spiegeln somit nicht in aus- reichendem Masse ihren volkswirtschaftlichen Wert wider. Beispielsweise berücksichtigt ein Maturand, der vor der Wahl steht, Informatik oder Jura zu studieren, nicht, dass ein grosses Angebot von Informatikern in einer Region zur verstärkten Ansiedelung oder Gründung von Firmen führt, die Informatiker einsetzen, oder dass bereits ansässige Firmen ihre Forschungs- und Ent- wicklungs-Aktivitäten (F&E) ausweiten. Ebenso berücksichtigen Unternehmen bei der Nachfrage nach Fachkräften nicht, dass ihre Innovationen von anderen genutzt und weiterentwickelt werden können.

Die Evidenz hinsichtlich solch positiver Ex- ternalitäten ist eindeutig, wie Studien für die USA zeigen: Wenn der Anteil der Immigranten mit Studienabschluss in den sogenannten Mint- Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissen- schaften und Technik um einen Prozentpunkt steigt, erhöhen sich die Löhne von heimischen Hochschulabsolventen um 8 bis 11 Prozent. Auch die Löhne von anderen heimischen Arbeitskräf- ten steigen – in diesem Fall um 4 Prozent –, und die Patentanmeldungen pro Kopf nehmen um er- staunliche 52 Prozent zu.2

D

ie Fachkräfteinitiative des Bundes ver- folgt verschiedene Ziele: So will sie das inländische Arbeitsangebot ganz allgemein erhöhen.1 Dazu sollen beispielsweise der Er- werb und die Anerkennung von berufsbilden- den Abschlüssen erleichtert werden. Auch sollen die Arbeitsanreize für Frauen erhöht werden und die Arbeitsmarktintegration von anerkannten Flüchtlingen und von Menschen mit einer Behinderung vorangetrieben wer- den. Zudem zielt die Fachkräfteinitiative auf flexiblere Pensionsregelungen, womit die Er- werbsbeteiligung älterer Menschen gesteigert werden soll.

Weiter verlangt die Fachkräfteinitiative mehr Effizienz im Gesundheitswesen. Deshalb sucht man nach Lösungen, um Leistungser- bringer wie Spitäler und Krankenkassen besser aufeinander abzustimmen – eine Massnahme, die auch ohne Mangel an Pflegekräften sinn- voll wäre. Schliesslich soll das Arbeitskräfte- potenzial bei Ingenieuren, Informatikern, Technikern, Forschern und Pflegekräften ge- steigert werden. Angesichts dieser vielfältigen Ziele fokussiert dieser Text auf Berufe, wo Fachkräfte besonders gefragt sind.

Die Mädchen für Technik begeistern

In der Schweiz mangelt es an Ingenieurinnen und Informatikerinnen. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt die mangelnde Motivation der Schülerinnen für Mathematik und Physik.

Hier muss die Fachkräfteinitiative des Bundes ansetzen. Volker Grossmann

Abstract  Die Fachkräfteinitiative des Bundes zielt neben allgemeinen Massnah- men zur Ausschöpfung des Potenzials qualifizierter Arbeitskräfte auf die Knapp- heit in besonders wachstumsrelevanten Berufen wie Ingenieure, Informatiker, Techniker und Forscher sowie auf Pflegekräfte ab. Subventionen für Forschung und Entwicklung sowie die Erhöhung der Löhne für Pflegekräfte in staatlichen Gesundheitseinrichtungen wären sinnvoll zur Verbesserung der Ausbildungs- struktur. Bildungspolitische Massnahmen zur Lenkung der Hochschulausbildung zugunsten mathematisch-technischer Fächer sind angedacht, sie sind jedoch längst nicht ausreichend, da sie das Kernproblem der mangelnden Motivation von Schülerinnen und jungen Frauen für diese Fächer nicht spezifisch adres- sieren. Auf die Bildungsstruktur abzielende Massnahmen sind der strukturelle Schlüssel zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Aufgrund der erst langfristi- gen Wirkung auf den Arbeitsmarkt ist eine liberale Zuwanderungspolitik jedoch weiterhin unerlässlich.

1 Der Autor dankt Martin Huber von der Uni- versität Freiburg und Thomas M. Steger von der Universität Leipzig für die wertvollen Anregungen.

2 Peri, Shih und Sparber (2015) und Hunt und Gauthier-Loiselle (2010).

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Die Volkswirtschaft  10 / 2016 7 FOKUS

Grundlagenforschung gezielt fördern

Die Lücke beim Angebot von Fachkräften zu quantifizieren, ist schwierig – auch wenn die bisherigen Überlegungen insgesamt auf starken Handlungsbedarf hindeuten. Daher werden nun die angedachten Massnahmen der Fachkräfte initiative unter dem Blickwinkel der Wirksam- keit diskutiert.

In der Schweiz ist die Zuwanderung insbe- sondere bei hochschulgebildeten Ingenieuren, Informatikern und Technikern überdurch- schnittlich: Hier gibt es viele offene Stellen, und die Arbeitslosenquote ist tief.3 Deshalb sollte der Schwerpunkt auf der Förderung der Hochschul- ausbildung liegen.

Einige der vorgeschlagenen Fördermas s- nahmen der Fachkräfteinitiative richten sich explizit auf eine Steigerung des Angebots hochschulgebildeter Fachkräfte im Bereich der mathematisch- technischen Fächer. So soll die Praxisorientierung der Mint-Studien im Hoch-

schulbereich gestärkt werden. Unter Praxis- orientierung versteht man gemeinhin die An- wendbarkeit des Erlernten und nicht so sehr die Lösungskompetenz für in der Zukunft auf- tretende Probleme und auch nicht die Förderung innovativer Tätigkeiten. Gerade das ist aber für die Wettbewerbsfähigkeit privater Unter- nehmen und der Hochschulen der Schlüssel.

Es braucht deshalb weitere Ansätze: Der Be- reich der Grundlagenforschung könnte beispiels- weise durch eine attraktivere Ausgestaltung des akademischen Karrierewegs gefördert werden.

Eine Massnahme wäre die Schaffung von mehr Assistenzprofessuren («Tenure Track»). Ver- mehrte Anreize zur privaten F&E-Tätigkeit im Be- reich der patentierbaren Innovationen könnten durch F&E-Subventionen für Firmen geschaffen werden. Dadurch würde die Nachfrage nach ge- eigneten Fachkräften steigen, was wiederum die Löhne für Forscher im Privatsektor erhöhen und somit verstärkt Anreize für die Ausbildung in Mint-Fächern generieren würde.4

3 Seco (2014).

4 Grossmann (2007).

123RF

Die Forschung an Hochschulen ist für viele Akademiker nicht attraktiv genug.

Physikerinnen in einem Labor für Quantenoptik.

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8 Die Volkswirtschaft  10 / 2016 FACHKRÄFTE

Konkret könnte beispielsweise die verstärkte Absetzbarkeit der F&E-Kosten von der Unter- nehmenssteuerbasis erfolgen. Der abzusetzende Betrag sollte die tatsächlichen Kosten dabei über- steigen.5 In der Schweiz werden private F&E Aus- gaben bislang jedoch nicht direkt subventioniert, ganz im Gegensatz etwa zum angelsächsischen Raum, zu Skandinavien oder zu Südkorea.6

Motivation der Frauen als Schlüssel

Eine durch F&E-Subventionen induzierte Lohn- erhöhung für technische Berufe würde ins- besondere für männliche Maturanden die Studienfachwahl zugunsten von Mint-Fächern erhöhen.7 Frauen hingegen werden weniger durch pekuniäre Anreize als durch das Interesse am Fach per se motiviert. Allerdings wird in der Schule offensichtlich gerade bei Mädchen eher wenig Begeisterung für Mint-Fächer geweckt.

So ist der Unterschied in der Motivation von 15-jährigen Mädchen für Mathematik im Ver- gleich zur Motivation von Knaben nirgendwo in der OECD so gross wie in der Schweiz.8 Dies drückt sich deutlich in einem Geschlechter-

missverhältnis an Hochschulen bei den Mint- Studierenden aus: Nicht einmal ein Fünftel der Studierenden der exakten Wissenschaften Mathematik, Informatik und Physik an Schweizer Universitäten ist weiblich.9

Auch wenn sich in den exakten Wissenschaften, den Naturwissenschaften und den technischen Wissenschaften zusammengenommen die weib- liche Studierendenquote an Schweizer Uni- versitäten in den letzten zehn Jahren von 16 Pro- zent auf 20 Prozent erhöht hat, ist die männliche Studierendenquote in Mint-Fächern mit 41 Pro- zent noch mehr als doppelt so hoch. An den Fach- hochschulen sind sogar weniger als 10 Prozent der Studierenden in Technik- und IT- Fächern Frauen.

Daher ist das in der Fachkräfteinitiative betonte Ziel zu begrüssen, über eine Internet- plattform die Gestaltung des Unterrichts im Mint- Bereich spannender zu gestalten. US- Psychologen haben in einer Experimental- studie10 herausgefunden: Diejenigen Schüler, die zu Beginn des Schuljahres geringe Erfolgs- erwartungen in den mathematischen und technischen Fächern hatten, können die Noten signifikant verbessern, wenn sie über die

5 Grossmann, Steger und Trimborn (2016).

6 OECD (2015), S. 170.

7 Grossmann, Osikominu und Osterfeld (2015).

8 OECD (2007).

9 BFS (2015).

10 Hulleman und Harackiewicz (2009).

KEYSTONE

Eine Ausnahme in einer Männerdomäne:

Cern-Direktorin Fabiola Gianotti.

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Die Volkswirtschaft  10 / 2016 9 FOKUS

Literatur

Bundesamt für Statistik (2015). Studierende an den universitären Hochschulen/Fachhoch- schulen: Basistabellen.

Carrell, Scott E., Marianne Page und James E.

West (2010). Sex and Science: How Professor Gender Perpetuates the Gender Gap, Quarterly Journal of Economics 125, 1101–1144.

Grossmann, Volker (2007). How to Promo- te R&D-based Growth? Public Education Expenditure on Scientists and Engineers versus R&D-Subsidies, Journal of Macroeconomics 29, 891–911.

Fenazzi, Sonia (2016). Eröffnung neuer Arzt- praxen in der Schweiz bleibt schwierig, Swissinfo.ch.

Grossmann, Volker, Aderonke Osikominu und Marius Osterfeld (2015). Are Sociocultural Factors Important for Studying a Science Uni- versity Major, IZA Discussion Paper No. 9415.

Grossmann, Volker, Thomas M. Steger and Timo Trimborn (2016). Quantifying Optimal Growth Policy, Journal of Public Economic Theory 18, 451–485.

Hulleman, Chris S. und Judith M. Harackiewicz (2009). Promoting Interest and Performance in High School Science Classes, Science 326, 1410–1412.

Hunt, Jennifer und Marjolaine Gauthier-Loiselle (2010). How Much Does Immigration Boost Innovation?, American Economic Journal:

Macroeconomics 2, 31–56.

OECD (2007). Education at a Glance, Paris.

OECD (2015). OECD Science, Technology and Industry Scoreboard 2015, Paris.

Peri, Giovanni, Kevin Shih und Chad Sparber (2015). STEM Workers, H-1B Visas, and Productivity in US Cities, Journal of Labor Economics 33, 225–255.

Staatssekretariat für Wirtschaft (2014). Fach- kräftemangel in der Schweiz – Ein Indikatoren- system zur Beurteilung der Fachkräfte- nachfrage in verschiedenen Berufsfeldern, Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), 23. April 2014.

Relevanz des Mint-Unterrichtsmaterials für ihr eigenes Leben nachdenken.

Insgesamt ist zu hoffen, dass Lehrpläne als Konsequenz solcher Studien stark revidiert werden. Rollenvorbilder können ebenfalls einen wichtigen Einfluss auf die Studienfachwahl haben, was für eine verstärkte Fokussierung auf weibliche Lehrkräfte im Mint-Bereich spricht.11 Dass in der Schweiz die mangelnde Motivation von Mädchen für diese Fächer das Kernproblem darstellt, ist bislang in der Bildungspolitik nicht ausreichend reflektiert worden.

Ärzte hat es genug

Die Fachkräftediskussion entbrennt insbesondere auch im Gesundheitssektor. Das Kranken- versicherungssystem und die Bedeutung der kantonalen Spitäler beeinflussen die Lohnbildung für Fachkräfte stark, sodass diese nicht mehr viel mit einem freien Arbeitsmarkt zu tun hat. Denn:

Bei Ärzten herrscht kein Mangel in dem Sinne, dass die Ausbildungsanreize und das Arbeitsangebot unzureichend wären. Im Gegenteil: Die Tarife für ärztliche Leistungen sind im internationalen Ver- gleich auch kaufkraftbereinigt im Durchschnitt hoch, sodass mehr Maturanden ein Medizin- studium aufnehmen möchten, als zugelassen werden. Die von Zeit zu Zeit diskutierte Senkung der Zulassungsvoraussetzungen ist dabei aus Qualitätssicherungsgründen nicht sinnvoll, zu- mal es genügend gute, zuwanderungswillige Ärzte gibt, die gerne in der Schweiz eine Praxis eröffnen würden. Allerdings ist die Eröffnung ärztlicher Praxen nach wie vor streng reguliert.12

Bei den Pflegekräften ist die Lage anders.

Hier könnten verstärkte Beschäftigungsanreize sinnvoll sein – etwa bessere Kinderbetreuungs- angebote.13 Zudem böten höhere Löhne für Pflegekräfte etwa in kantonalen Spitälern einen Anreiz, dass der Pflegeberuf öfter gewählt wird.

Zuwanderung ist essenziell

Die Ausbildungsstruktur in der Schweiz in der genannten Weise zu ändern und die Früchte zu ernten, erfordert viel Geduld. Es wäre deshalb viel zu optimistisch, anzunehmen, dass die Fachkräfte- initiative die Abhängigkeit von ausländischen Fachkräften schon mittelfristig reduzieren kann.

Daher ist eine liberale Zuwanderungs politik – trotz «Masseneinwanderungsinitiative» – weiter- hin unerlässlich.

Die Schweiz ist in der glücklichen Lage, ohne explizit selektive Einwanderungspolitik einen vergleichsweise hohen Anteil hervorragender Fachkräfte unter den Zuwanderern anzuziehen.

Darauf zu verzichten, wäre gegen jedes öko- nomische Eigeninteresse.

11 Carrell, Page und West (2010).

12 Fenazzi (2016).

13 Vgl. dazu den Beitrag von Martin Huber (Universität Freiburg) in dieser Ausgabe.

Volker Grossmann

Professor für Makroökonomie, internationale Industrie und Wachstumspolitik, Universität Freiburg

© HUGUES SIEGENTHALER

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