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Sechs berufliche Klippen für über 50-Jährige | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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56 Die VolkswirtschaftDas Magazin für Wirtschaftspolitik 11-2014

Dossier

Stereotype Bilder verändern sich im Rah- men gesellschaftlicher Lernprozesse sehr wohl – aber langsam. Je intensiver die Dis- kussion, desto zügiger die Anpassungen. An- dere Aspekte des demografischen Wandels lassen sich leichter handhaben.

Eine erste Klippe in den Laufbahnen Äl- terer betrifft die Aktualität der verfügbaren Kompetenzen. Arbeitskräfte vollziehen den dynamischen Wandel nicht immer aktiv ge- nug. Oder das, was sie besonders gut können, ist im Rahmen internationaler Arbeitsteilung hier nicht mehr gefragt. Erfahrungen kön- nen rasch an Wert verlieren. Frauen in per- sonenbezogenen Dienstleistungen sind da weniger exponiert als Männer in technischen Tätigkeiten. Gute Karten haben Reifere im

«Beziehungsgeschäft», etwa als Bankkun- denberater, als Kenner ferner Märkte oder beim Unterhalt beziehungsweise Verkauf langlebiger Investitionsgüter. Die Kernkraft- werke werden von grauhaarigen Ingenieu- ren gewartet, denn jüngere gibt es kaum.

Erwerbstätigen ist heutzutage ans Herz zu legen, ihre Arbeitsmarktattraktivität regel- mässig seriös auf die Probe zu stellen und Konsequenzen zu ziehen. Manche Unterneh- men helfen dabei.

Riskante langjährige Routine

In enger Nachbarschaft zu diesem Thema steht die zweite Klippe, die mit Um- und Neuorientierungen in der Berufslaufbahn zu tun hat. Unternehmen neigen dazu, Mitar- beitende über 45 in ihrer Position sitzen zu lassen. Langjährige Routine führt – selbst bei gelegentlichen IT-Anpassungen – zu Dequa- lifizierung und Veränderungsängsten; sie ist ein viel ernsteres Problem als das kalenda- rische Alter. Berufswege müssen alle paar Jahre zu neuen Anforderungen und Aufga- ben in veränderter Umgebung führen, um den persönlichen Kompetenzzuwachs bis ins Alter in Schwung zu halten. Wir lernen ja viel mehr informell als in formalisierten Kursen. Viele Firmen vernachlässigen die interne Mobilität von Personen 50plus und öffnen ihnen kaum attraktive weitere Lauf- bahnperspektiven – nicht zu reden von sub- stanzieller Weiterbildung als Voraus setzung für Neu orientierungen und Umstiege.

Menschen verändern sich im Lauf ih- rer Reifung. Interessen verlagern sich, viele

drängen auf eine zweite berufliche Wahl- möglichkeit. Anerkannt ist dies bei Wieder- einsteigerinnen nach der Familienphase oder bei Quereinsteigenden in den Lehrerberuf.

Unsere beruflichen und wissenschaftlichen Bildungsinstitutionen locken leider noch kaum mit qualifizierenden, neue Ziele anpei- lenden, didaktisch auf reifere Gehirne aus- gerichteten Lernwegen für diese wachsende Gruppe. Kein Wunder, bricht angesichts die- ser Brache das Interesse an Weiterbildungen jenseits von 45 ab. Darf man wünschen, dass das Eidgenössische Departement für Wirt- schaft, Bildung und Forschung (WBF) im Rahmen der laufenden Fachkräfteinitiative einen Weiterbildungsmarkt für diese Ziel- gruppe entwickelt?

Gesundheitserhaltender Arbeitsalltag Die dritte Klippe ist in nachhaltigem Le- bensstil, der Körper und Geist gesund und munter hält, lokalisiert. Heute ist der körper- liche Verschleiss nur noch in wenigen Bran- chen ein Thema. Doch immer lauter werden in der Dienstleistungswirtschaft die Klagen wegen psychosozialer Belastungen und der Folgen von Stress. Die Neuzugänge bei der Invalidenversicherung sprechen eine deut- liche Sprache. Dass Ernährung, Bewegung und achtsamer Umgang mit Nikotin, Alko- hol und andern Drogen wichtig sind, weiss jeder Schulabgänger. Männer und Frauen mit einem guten Schulrucksack steuern ihr Gesundheitsverhalten kompetenter als Leute mit geringerer Bildung. Denkbar ist, speziell diese Gruppen betrieblich in ihrer Selbstver- antwortung zu stärken – ist es auch machbar?

In Volkswirtschaften wie der schweizeri- schen muss es bald gelingen, den Arbeitsalltag selbst sowohl produktiv wie gesundheitssi- chernd zu gestalten; da stehen Arbeitgebende wie Mitarbeitende gemeinsam in der Verant- wortung. Der Ruf nach besserer Work-Life- Balance tönt angesichts der weitverbreiteten strapaziösen Freizeitprogramme überholt und ist Schnee von gestern.

Erfüllung jenseits von Boni und Beförderungen

Eine vierte Klippe – die im Blickfeld der zweiten und der dritten liegt – betrifft

«Biss» und Motiviertheit. Jenseits von 50

Elisabeth Michel-Alder Unternehmensberaterin, Sozialwissenschaftlerin, Initiantin und Leiterin des Netzwerks Silber- fuchs und Bloggerin www.silberfuchs-netz.ch

Sechs berufliche Klippen für über 50-Jährige

Die Wahrnehmung hat Vorrang gegenüber der Wirklichkeit.

Reifere Arbeitskräfte erfahren diese Regel besonders schmerz- lich. Wer vor 1964 geboren ist, kann sich kompetent und fit im Erwerbsleben bewähren und wird dennoch oft als Auslauf- modell mit reduzierter Innova- tionskraft taxiert. Die herr- schenden Altersbilder

konservieren Erfahrungen frü- herer Generationen; sie sind von Defiziten geprägt und haben mit den oft putzmunteren heu- tigen «Golden Agers», die sich kleiden und bewegen wie ihre Kinder, wenig zu tun. Je intensi- ver sich dynamische Manager anstrengen, den eigenen Alterungs prozess zu verlang- samen oder zu kaschieren, umso schwerer fällt ihnen der Umgang mit einer alternden Belegschaft.

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57 Die VolkswirtschaftDas Magazin für Wirtschaftspolitik 11-2014

Dossier

stagnieren Löhne und Boni. Beförderungen werden selten – Chef und Chefin wird man früher. Die Wirkung der gängig praktizier- ten Anreizsysteme im Hinblick auf hohe Leistung verpufft. Reifere Mitarbeitende müssen umstellen und das innere Feuer mit anderem «Stoff» nähren. Nun sollen primär Erfüllung in der Tätigkeit, positives Echo im Kollegen- und Kundenkreis und Sinndi- mensionen zu hohem Engagement treiben.

An dieser Klippe sind viele Akteure ge- fordert: Die Beziehung zu Vorgesetzten wird auf die Probe gestellt. Viele Führungs- kräfte beherrschen zwar ein hübsches Set an Instrumenten, wirken aber steif und di- stanziert gegenüber ihren Leuten. Personen- orientierte statt ausschliesslich ergebnis- orientierter Führung ist unerlässlich.

Reifere Erwerbstätige, an materielle und extrinsische Belohnungen gewöhnt, tun sich manchmal schwer, Status- und Prestigefra- gen oder Unzulänglichkeiten ihrer Umge- bung zu relativieren und auf die Freude am eleganten Meistern ihrer ureigenen Aufga- ben zu fokussieren. Männern fordern sol- che Umorientierungen meist härtere innere Kämpfe ab als Frauen. Diese Umstellungen gelingen leichter, wenn das Unternehmen die Aufgabenportfolios gelegentlich um- packt, die erwiesenen Stärken ins Zentrum rückt und Vorstösse in Neuland unter- stützt – wenn Anerkennung, Feedback und persönliche Entwicklung stimmen.

Dialog mit anderen Generationen und Kulturen

Viele Reifere brennen darauf, ihre Er- fahrung weiterzugeben. Nur ausnahms- weise zeigen Junge aber Lust, sich die Ge- schichten anzuhören. Am liebsten «erben»

junge Talente bewährte soziale Netzwerke, profitieren von persönlicher Unterstüt- zung, zapfen den Pool von Personenwissen an und kopieren Erfolgsrezepte innerhalb der spezifischen Unternehmenskultur. Die fünfte Klippe liegt im Terrain der Fähig- keit zur unvoreingenommenen, gleichbe- rechtigten Kooperation mit nachrückenden Generationen und Personen aus andern Kulturkreisen. Menschen gruppieren sich spontan möglichst selbstähnlich. Das spart langes Aushandeln von Konsens und stei- gert flinke Leistungsfähigkeit. Der generell hohe Ergebnisdruck verstärkt diese Ten- denz zu Vertrautem. Nur passt das wie- derum schlecht in den aktuellen Rahmen des schweizerischen Arbeitsmarktes. Wer Personen über 50 im Arbeitsleben zuhört, erlebt oft ein Echo auf das, was sich auf der politischen Bühne abspielt: ein Überschät- zen bewiesener (schweizerischer) Tugenden

und von Vergangenheit. Die andern sollen gefälligst die richtigen Vorbilder wählen und den Erbauern des Erfolgsmodells (was immer damit gemeint ist) Respekt zollen.

Reifere dürfen sehr wohl fordern; ans Ziel kommen sie dabei am ehesten, wenn sie zu- vor bewiesen haben, wie nützlich oder gar unentbehrlich sie sind.

Das gesetzliche Rentenalter als Guillotine

Unzulänglich gelöst ist schliesslich der Übergang vom Erwerbsleben ins junge Ren- tenalter. Einerseits schicken private und öf- fentliche Unternehmen weiterhin zu viele Mitarbeitende vorzeitig in den Ruhestand – die Älteren bilden bei Umstrukturierun- gen oder während konjunktureller Flauten einen willkommenen Personalpuffer. Das offizielle Verrentungsalter wirkt wie eine Guillotine; in den meisten Organisationen erfolgt automatisch die Kündigung.

Wir werden immer älter, bleiben aber länger jung. Wer früh schon aus den Lern- prozessen und Anpassungsforderungen wegdriftet, die berufliches Engagement mit sich bringt, mutiert zu altem Eisen und ge- fährdet seine gesellschaftliche Teilhabe. Er riskiert, dereinst seinen eigenen Putz- und Pflegeroboter nicht mehr programmieren zu können und der direkten Demokratie nötige Urteilskraft zu entziehen. Auf finan- zielle Konsequenzen und die Sozialversiche- rungen sei hier bloss verwiesen. Nötig sind massgeschneiderte Übergänge mit Pen- senreduktion vor 64 oder 65 und längerem Verbleiben im Erwerbsleben. Wieso nicht bis 70, wenn Energie, Leistung und Fitness

stimmen?

Kasten 1

Anders altern – das Silberfuchs-Manifest

Das Netzwerk Silberfuchs, ein Zusammenschluss arbeitgebender Organisationen, beschäftigt sich seit gut sieben Jahren mit den Chancen des demografischen Wandels im Er- werbsleben. Seine Philosophie, auf neun Punkte konzentriert, lautet:

– Die Fixierung eines Rentenalters ist unzeitgemäss; Arbeitgebende und Erwerbstätige legen künftig Zeit- punkt und Austrittsschritte flexibel fest.

– Nicht das Alter, sondern Langjährig- keit am selben Arbeitsplatz ist ein Problem. Jeder Berufsweg braucht regelmässig frische Impulse und neue Wendungen.

– Die Bevölkerung wird älter, bleibt aber länger jung. Heute laufen 60-Jährige Marathon; die alten Bil- der im Kopf sind korrekturbedürftig.

– Generationengerechtigkeit ist Richtschnur bei Löhnen, Sozialver- sicherungen und der Verteilung der 2.-Säule-Vermögen.

– Unerlässlich ist ein offener, flüssiger Arbeitsmarkt für über 50-Jährige – Männer und Frauen dieser Alters- gruppe sind voll leistungsfähig, wenn und solange sie herausfordernde, motivierende Arbeitsplätze finden.

– Die Kooperationschancen zwischen Generationen und Genders sind überall vielfältig zu nutzen; Vielfalt macht Dampf.

– Reifere Arbeitskräfte sind neugierig und lernbereit; noch vermissen sie angemessene Weiterbildungen, Lern- programme und Brückenangebote für allfällige Umstiege.

– Arbeitsumgebungen, -bedingungen und -aufgaben sind veränder- bar; man soll sie auf persönliche Entwicklung, Engagement und Verpflichtungen im sozialen Netz abstimmen – für alle Generationen.

– Zur Flexibilisierung der Regeln im demografischen Wandel gehört, dass sich Personen mit belasten- den Lebenswegen nicht erst in ihrer siebten Dekade vom Erwerb verab- schieden können.

Mai 2014.

Referenzen

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