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Freiheit in Verantwortung

Referat bei der Akademietagung (Ethiktag) über die EKD-Denkschrift

„Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“

am 24. Oktober 2008

I. Eine Annäherung

Wer über unternehmerisches Handeln nachdenkt, wird schon in einer ersten Annäherung auf ein Begriffspaar stoßen, ohne welches unternehmerisches Handeln gar nicht denkbar ist, nämlich auf das dialektische Begriffspaar von Freiheit und Verantwortung.

Unternehmerisches Handeln braucht, wenn es gelingen soll, Freiräume zu eigener

Entscheidung, Freiheit zur Gestaltung unternehmerischen Tuns, Freiheit zu Innovation und Aufbruch. Und es kann nicht gelingen, ohne dass dabei die Verantwortung für die in einem Unternehmen Tätigen ebenso mit bedacht wird wie die Verantwortung des Unternehmens für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Gesamtgefüge. Wenn Unternehmer in ihrer Freiheit vollkommen eingeschränkt werden – sei es durch wirtschaftliche Rahmenbedingungen oder gesetzliche Normierungen -, kann ein Unternehmen nicht gedeihen. Wenn Unternehmer ihre Freiheit in Zügellosigkeit und Gier missbrauchen und ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, drohen sie zu Despoten zu verkommen oder zu Schmarotzern der Gesellschaft.

Unternehmerisches Handeln kann nur gesellschaftliche Anerkennung finden, wenn es die Balance hält zwischen Freiheit und Verantwortung. Auch wenn uns die derzeitige

Bankenkrise anderes zu lehren scheint, hat doch in aller Regel die Wirtschaft selbst längst erkannt, dass wirtschaftliche Verantwortung ethische Dimensionen hat. In den Leitsätzen, Visionen oder Leitbildern führender Unternehmen in Deutschland, in zahllosen großen und mittelständischen Unternehmen, die auch ich immer wieder einmal besuche, wird

ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Unternehmen sowohl nach innen als auch nach außen soziale Verantwortung wahrzunehmen hat. Viel Sorgfalt wird darauf verwandt, diese Verantwortungszusammenhänge transparent darzustellen und fest mit der eigenen

Unternehmenskultur zu verknüpfen. In solchen Texten, - bisweilen werden sie „Credo“

genannt, also eigentlich „Glaubensbekenntnis“ - aber auch im Alltag des Unternehmens wird Verantwortung für die Mitarbeiterschaft und die Kunden groß geschrieben. Die

Verantwortung für den Schutz der Umwelt wird hervorgehoben und praktiziert und auch die Verantwortung für die nachkommenden Generationen kommt immer mehr in den Blick.

Hinsichtlich der Wahrnehmung von Verantwortung ist unternehmerisches Handeln vielfach besser als sein Ruf.

Allerdings ist festzustellen: Auch wenn Verantwortung als selbstverständlicher Bestandteil unternehmerischen Handelns gilt, folgt dieses Handeln niemals ungebrochen den Leitbildern, die dafür aufgestellt werden. Auch unternehmerisches Handeln kann sich der Gebrochenheit menschlichen Handelns nicht entziehen. Besonders massiv bricht dieser Konflikt immer dann auf, wenn die Absicht der Gewinnerzielung und die Verantwortung für Mitarbeiter in

Spannung zueinander geraten, besonders deutlich dann, wenn Firmen – manchmal sogar in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang – die Erhöhung der Rendite und die Verminderung der Zahl der Arbeitsplätze zugleich mitteilen. In vielen Fällen wird dabei geltend gemacht, dass aus Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens und damit auch aus Verantwortung für den Erhalt von Arbeitsplätzen keine andere Möglichkeit bliebe, als einen bestimmten Standort zu schließen. Oft sind auch die örtlich Verantwortlichen in ihrer Entscheidung gar nicht frei; es bleibt ihnen unter Umständen aufgrund von

Entscheidungen durch eine international agierende Konzernführung keine Wahl, als diese ohne Rücksicht auf lokale Gegebenheiten umzusetzen. Andrerseits kommt es auch dann zu einem Konflikt, wenn die Übernahme von Verantwortung durch eine Unternehmensführung

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auf Kosten der wirtschaftlichen Notwendigkeiten geschieht. Unternehmerische Verantwortung muss eben auch wirtschaftsverträglich gestaltet sein, wenn sie von einem Unternehmen

dauerhaft wahrgenommen werden soll. Man sieht daran: Pauschalurteile verbieten sich ebenso wie Pauschalverurteilungen. Aber dass ethisches Nachdenken über unternehmerische

Verantwortung notwendig ist, haben diese annähernden Überlegungen wohl bereits verdeutlicht.

II. Biblische Erinnerungen

Wenn ich heute über „Freiheit in Verantwortung“ in Bezug auf unternehmerisches Handeln sprechen soll, kann ich es nicht bei diesen Annäherungen belassen. Mit Recht werden Sie erwarten, dass ich das Augenmerk vor allem darauf richte, was das dialektische Begriffspaar

„Freiheit und Verantwortung“ aus theologischer Perspektive bedeutet. Ich will dies tun, indem ich zunächst einige Grundlinien der biblischen Botschaft ausziehe und dann spezifische reformatorische Grunderkenntnisse in Erinnerung rufe. Weiter zeige ich die

Wirkungsgeschichte eines solchen protestantischen Ansatzes auf und nehme schließlich aktuelle Fragestellungen in den Blick. All dies tue ich, indem ich mich – wenn auch nicht explizit – zurück beziehe auf die EKD-Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in

evangelischer Perspektive“ und auf ein bemerkenswertes Referat, das der Ratsvorsitzende der EKD Bischof Huber vor einigen Monaten in Mannheim gehalten hat.

Beim Blick in die Bibel fällt zunächst auf, dass sich zwei Wirtschaftsformen gegenüber stehen. Die eine kommt in der Mannageschichte (2. Mose 16) zum Ausdruck: „Die

Israeliten...sammelten ein, der eine viel der andere wenig. Als sie die Behälter zählten, hatte keiner, der viel gesammelt hatte, zuviel, und keiner, der wenig gesammelt hatte, zu wenig.

Jeder hatte so viel gesammelt, wie er zum Essen brauchte“ (Vers 17f.). Diese Ökonomie Gottes ist eine Ökonomie des Genug – für das Leben aller, gespeist aus den ausreichenden guten Gaben Gottes, kreativ gestaltet im Einklang mit Gottes gerechten Weisungen.

Demgegenüber kommt seit dem 8. Jh. v.Chr. eine Wirtschaftsform auf, die darauf beruht, dass Eigentum nicht mehr als Gebrauchseigentum verstanden, sondern absolut gesetzt und darum als Grundlage für zinstragende Kredite benutzt wird. Die Folge ist die Spaltung der

Gesellschaft in Landlose und Schuldsklaven auf der einen Seite und Reiche, die ihren

angesammelten Großgrundbesitz durch die Schuldsklaven bearbeiten lassen, auf der anderen Seite. Die Bibel sieht nun jenen Reichtum als verwerflich an, der über das nötige

Gebrauchseigentum hinaus so zur Vermehrung des eigenen Eigentums eingesetzt wird, dass andere ihres Gebrauchseigentums und ihrer Würde und Freiheit beraubt werden. Daran üben die Propheten (als erster Amos), die Tora – also die 5 Bücher Mose - und Jesus scharfe Kritik und fordern Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.

An die in der Mannageschichte entfaltete Ökonomie des Genug knüpft Jesus an, etwa im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) oder wenn er seine Jünger vor die Entscheidungsfrage stellt, ob sie Gott oder Mammon dienen wollen (Mt 6,24; Lk 16,13) Beide Texte lohnen sich nachzulesen! Höchst lehrreich ist auch die Erzählung von der Begegnung Jesu mit Zachäus (Lk 19,1ff), der sich für Gott entschied und damit die Freiheit zum Teilen fand. Zachäus war ein reicher Oberzöllner, der für die Besatzungsmacht Rom Tribut eintrieb. Oberzöllner mussten feste Summen an die Großmacht zahlen, während der Rest bei ihnen blieb. Zachäus war nicht eine moralisch besonders schlechte Person, sondern er machte einfach bei den normalen gesellschaftlichen Bereicherungsmechanismen mit. Zachäus lässt sich auf die Gemeinschaft mit Jesus ein. Er verzichtet freudig auf sein Eigentum durch eine doppelte Handlung: Er gibt die Hälfte seines Eigentums den Armen. Und zweitens leistet er Wiedergutmachung und zwar das Vierfache der erpressten Zollsumme. Zachäus kehrt um zu Gott und damit zu einem solidarischen Leben mit den Armen. Jesus nennt diesen Vorgang

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Heil für Zachäus und sein Haus. Nicht geteilter Reichtum kann heilsverhindernd sein. Gott rettet Reiche, indem er sie zum Teilen des Eigentums befähigt, soweit dieses über das zum Leben Nötige hinausgeht.

In den Kontext einer biblisch begründeten Ökonomie des Genug wären noch weitere neutestamentliche Texte einzuzeichnen, die zu einem freien und zugleich

verantwortungsvollen Umgang mit anvertrauten Gaben und Gütern ermuntern: Ich nenne jetzt einige biblische Texte in aller Kürze und möchte für eine intensivere Auseinandersetzung damit werben:

1. Ein zentrales Thema der Bibel ist die Dankbarkeit für das erfahrene Gute und die daraus sich ergebende Verantwortung für den Nächsten, wie dies besonders eindrucksvoll im Gleichnis vom Schalksknecht (Mt 18,21-35) dargestellt ist. Das Gleichnis schärft die Wahrnehmung für die vielen Gaben, die uns Menschen unverdient auf den Weg gegeben werden. Es schärft die Achtsamkeit für die verschiedenen Faktoren eines Erfolgs, die sich nicht der eigenen Leistung verdanken, sondern allein dem Segen Gottes, den er auf unser Leben legt. Die aus solcher Achtsamkeit erwachsene Demut ist die beste Voraussetzung für Barmherzigkeit und Großzügigkeit.

2. Viele Texte der Bibel werben für eine kluge Haushalterschaft. Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten (Mt 25,14-30) ist zu verstehen als ein Aufruf, in verantwortlicher Weise mit den anvertrauten Pfunden zu wuchern.

3. Eine immer wiederkehrende Orientierung der Bibel ist die Mahnung zur Freiheit von der Sorge, wie sie grundsätzlich in der Bergpredigt ausgesprochen ist (Mt 6,25-27). Der Ruf zur Freiheit von der Sorge schafft Distanz zu vermeintlichen Zwängen. Er bedeutet für

unternehmerisches Handeln zugleich Herausforderung angesichts unkalkulierbarer Risiken und Ermutigung zu Risikobereitschaft angesichts der Gewissheit einer letzten Geborgenheit in Gott.

4. Die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19-31) mahnt die Verantwortung der Reichen für die Armen an: Weil der Reiche seine Verantwortung gegenüber dem Armen nicht wahrnimmt, erfährt er ewige Verdammnis. Dieser Text bringt die „vorrangige Option für die Armen“ ins Spiel, die in einem verantwortlichen Handeln Realität wird, das auch den Schwächeren Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand ermöglicht.

Dieser Überblick über Grundlinien der biblischen Botschaft gibt Maßstäbe vor für einen verantwortungsvollen Umgang mit erworbenen Gütern. Niemals darf aus biblischer Perspektive der Erwerb solcher Güter ein Selbstzweck sein. Die Ökonomie des Genug, die Verantwortung für die Schwächeren und der Maßstab einer gerechten Teilhabe anderer an den erworbenen Gütern kennzeichnet die biblische Botschaft Alten und Neuen Testaments.

Was dies konkret für unsere heutige Situation bedeuten kann, will ich kurz ausführen. In einer Situation, in der sich das Kapitaleigentum durch seine globale Mobilität seiner sozialen Verantwortung entzieht und damit gleichzeitig die Sozialstaatlichkeit zu zerstören droht, können wir in der Kirche die Frage der privaten Bereicherung nicht ausklammern, weder gesellschaftlich-politisch noch im Blick auf die persönliche Frage, wie Christenmenschen mit Reichtum umgehen. So dürfen wir auch nicht schweigen, wenn wirtschaftliche

Fehlentwicklungen zu Reichtumsanhäufungen führen, die sozial nicht mehr zu verantworten sind. Uns allen sind aus den letzten Wochen im Blick auf die weltweite Bankenkrise Beispiele verantwortungslosen wirtschaftlichen Handelns deutlich vor Augen. Das Problematische eines solchen Missbrauchs unternehmerischer Freiheit liegt darin, dass dieses sich menschlichem Gedächtnis viel stärker einprägt als die unzähligen Beispiele vorbildhaften unternehmerischen Verhaltens in der Balance von Freiheit und Verantwortung. (Dies gilt übrigens für kirchliches

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Handeln in ganz ähnlicher Weise.) So verstärkt die Bankenkrise, aber auch die Steuerhinterziehung durch Steuermillionäre die Vertrauenskrise gegenüber der Wirtschaftselite in unserem Land. Zu dieser Krise haben auch Abfindungen oder Spitzengehälter in schwindelnden Höhen beigetragen. Wenn Menschen in höchsten Gehaltsklassen nie genug bekommen können und dann auch noch meinen, auf unlautere Weise Steuern sparen zu dürfen, dann handelt es sich hierbei keineswegs um ein

„Kavaliersdelikt“. Es handelt sich um einen Bruch des Rechts. Es handelt sich um Diebstahl an der Gemeinschaft. Vorgänge dieser Art zeigen, dass die Wirtschaft nicht nur auf Geld angewiesen ist, sondern auch auf Vertrauen in der Gesellschaft.

Vertrauensbildende Maßnahmen für Unternehmen sind also gefragt. Hierbei haben alle, die sich als Christenmenschen an Grundzügen der biblischen Botschaft zu orientieren versuchen, die Aufgabe, das Leitbild einer Ökonomie des Genug und der gerechten Teilhabe im eigenen Handeln umzusetzen und zugleich Vermögende in unserer Gesellschaft auf ihre

Verantwortung für das Gemeinwohl anzusprechen. Unter „Vermögenden“ sind all jene zu verstehen, deren Einkünfte und Vermögen über das hinausgehen, was sie zu einem Leben in Würde brauchen. Bei der Ansprache Vermögender könnte folgender Aspekt in den

Mittelpunkt gestellt werden: Eingeladen werden könnte zu einer Selbstverpflichtung zur Förderung der Steuergerechtigkeit in unseren Gemeinwesen im Sinn einer Amos-Tora-Steuer.

Unter einer „Amos-Tora-Steuer“ wird alles verstanden, was Vermögende tun können, um Steuergerechtigkeit und damit gerechte Teilhabe zu fördern. Dazu zählen:

- die Selbstverpflichtung Vermögender, keine Steuern zu hinterziehen,

- die Distanzierung von der gängigen Praxis, die den Staat unter Druck setzt, um Steuersenkungen für Vermögende zu erreichen

- und der Einsatz für eine Vermögenssteuer: Nach Abschaffung der Vermögenssteuer bildete sich die Initiative „Vermögende für Vermögensteuer“. Um wie viel mehr könnten

vermögende Christenmenschen selbst in diesem Sinn mit gutem Beispiel vorangehen.

Anregungen zu einer solchen Amos-Tora-Steuer bereitet derzeit in Heidelberg die Initiative

„Solidarischer Lohn“ vor, die sich im Frühjahr mit einem entsprechenden Flyer an die Öffentlichkeit wenden will.

III. Reformatorische Entdeckungen

Nach dem Blick auf Grundzüge der biblischen Botschaft und dem Versuch, diese konkret für unsere Situation umzusetzen, blicke ich nochmals zurück in die Geschichte, um nun den spezifisch evangelischen Blick auf das dialektische Begriffspaar „Freiheit und

Verantwortung“ zu schärfen. Bekanntlich schöpfte die Reformation ganz wesentlich aus dem Rekurs auf die biblische Botschaft. Aus diesem Rekurs hat sie ihre Kraft entwickelt, Kultur prägend wirksam zu werden. Mit heutigem – auch wirtschaftsgängigem Vokabular könnte man sagen: Aus dem Rückgriff auf die Tradition hat sie Kraft zur Innovation gewonnen. Im Jahr 1529 war es, als die evangelischen Stände vor dem Reichstag zu Speyer öffentlich und mutig gegen Einschränkungen ihrer Freiheit protestierten. Dieser öffentliche Protest brachte den Evangelischen den Ehrennamen „Protestanten“ ein. Was gab damals den Männern den Mut, in Wort und Tat ein Zeugnis der inneren Unabhängigkeit von Mächten und Institutionen abzulegen? Die Speyerer Protestation war Ausdruck der neu gewonnen protestantischen Freiheit eines Christenmenschen. Damit ist die aus dem Studium der Bibel gewonnene reformatorische Urerkenntnis benannt, dass nämlich aus der absoluten Bindung an Gott völlige Freiheit gegenüber allen weltlichen Mächten resultiert. Am Anfang des

Protestantismus stand diese neue Freiheitserfahrung.

Zugrunde liegt dieser protestantischen Freiheitserfahrung die Gewissheit der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden. Wir Menschen verdanken uns nicht uns selbst, sondern der in

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Jesus Christus Gestalt gewordenen Gnade Gottes. Unser Leben ist mehr als das, was wir aus ihm machen, es ist zu aller erst und zuletzt ein Geschenk des gnädigen Gottes. Dieses zu wissen, macht das Herz fest. Wo Menschen ein festes Herz gewinnen, strahlt dies aus ins Politische und Gesellschaftliche. Menschen, die sich bedingungslos im Leben und im Sterben der Gnade Gottes verdanken, solche Menschen gewinnen ein festes Herz und bekommen starke Hände, um das Leben in aller Freiheit zu gestalten. Um ihr Begnadigtsein wissende Menschen sind innerlich und äußerlich frei. Ihre äußere Freiheit kommt aus der inneren Freiheit des festen Herzens. Leben konstituiert sich aus der Gnade Gottes und gestaltet sich im dankbaren Antworten auf diese Gnade. Diese reformatorische Urerkenntnis stiftet innere und äußere Freiheit, ohne die ein Gemeinwesen nicht gedeihen kann.

Damit stieß die Reformation das Tor auf zu einer Freiheit des Glaubens, die allein Gott rechenschaftspflichtig ist und die zugleich Christenmenschen in die Verantwortung nimmt, die Welt zu gestalten. Das Handeln aus Glauben wurde nicht mehr als Mittel zum Erwerb des Heils, des ewigen Lebens, verstanden; es wurde vielmehr als eine Frucht des Glaubens gesehen. Von Anfang an hat dies zu einer engagierten Betätigung evangelischer

Christenmenschen in der Wirtschaft, aber auch in der Politik geführt. Christenmenschen sind zur Mitverantwortung für das Ganze berufen – gerade weil sie nicht nur für sich allein, sondern für den Nächsten und darin für Gott leben, der der Herr der ganzen Welt ist.

Kennzeichnend für diese aus Freiheit gewonnene Weltverantwortung ist die protestantische Rede vom „Beruf“ eines Menschen. Für Martin Luther war der Beruf eines Menschen nicht nur ein Job, sondern er beruht auf einer Berufung durch Gott. Jeder und jede Einzelne erfährt eine solche Berufung, für die er und sie mit ganz besonderen Fähigkeiten ausgestattet ist.

Diese Berufung kommt auch in der alltäglichen weltlichen Arbeit zum Ausdruck. Auch in einem solchen äußeren Beruf liegt eine innere Berufung: die Berufung nämlich zum Dienst am Nächsten und darin für Gott. Kein Beruf ist davon ausgenommen. Eine religiöse Berufung hat keinen Vorrang vor weltlichen Tätigkeiten. Aber auch weltliche Tätigkeiten jeglicher Art haben aus dieser Perspektive keinen höheren Rang als andere Aufgaben. Der Einsatz der Eltern für ihre Kinder ist aus einer solchen Warte ebenso ein „Beruf“ wie das ehrenamtliche Wirken für den Nächsten. Jegliche Berufserfüllung im engeren wie in diesem weiteren Sinn wird von Luther als Gottesdienst im Alltag der Welt verstanden, sogar das Windelwickeln!.

Die Folgen eines solchen Berufsverständnisses reichen weit. Wer sich durch Gott berufen und befähigt weiß, seine eigene Berufsrolle einzunehmen, wird die eigene Tätigkeit eher als erfüllend erleben und sich gefordert fühlen, Eigenverantwortung zu übernehmen. Diese Verantwortungsbereitschaft wirkte sich in der Ausbildung des neuzeitlichen

Wirtschaftssystems auf handgreifliche Weise aus. Als entscheidender Motor der Entwicklung wirtschaftlichen Denken und Handelns erwies sich die durch die Reformation beförderte Idee, wirtschaftlichen Gewinn nicht einfach selber zu verbrauchen, sondern ihn wiederum

einzusetzen, also Kapital zu reinvestieren. In diesem Sinn galt: Gewinn entsteht durch die Kunst des Verzichts. Die wirtschaftliche Dynamik der Neuzeit ist ohne diese

reformatorischen Impulse nicht zu verstehen. Entscheidend ist dabei, dass von dieser Idee her nicht Profitinteresse als solches im Kern des Wirtschaftens steht, sondern dass es vielmehr auf Sparsamkeit, Ehrbarkeit und Leistungsbereitschaft ankommt.

Inmitten der menschenverachtenden Herrschaft des Nationalsozialismus erinnerte die

Bekenntnissynode von Barmen im Jahr 1934 an die Grunderkenntnis der Reformation, an die Befreiung zu verantwortlichem Handeln. In ihrer 2. These sagt die Barmer Theologische Erklärung: „Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.“ In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft fanden dann einige Protestanten im „Freiburger Kreis“ die Freiheit, Verantwortung für die

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Gestaltung einer künftigen Gesellschaft zu übernehmen. Sie entwickelten neue Ideen und Konzepte für eine verantwortliche Wirtschafts- und Sozialordnung, die das Interesse der Menschen, in Freiheit Wohlstand zu erwerben, mit sozialer Verantwortung verband. Wirksam geworden sind diese Gedanken im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft, für das Alfred Müller-Armack das Begriffspaar „Freiheit und soziale Gerechtigkeit“ geprägt hat: Freiheit ist hier weit mehr als nur eine unternehmerische Freiheit, sie ist als die Freiheit des Individuums gemeint. Und um sie zu sichern, braucht es nicht nur die freiheitliche politische Ordnung, sondern auch eine Ordnung der Wirtschaft, die den Wettbewerb sichert und stärkt und damit Macht kontrolliert. Die Freiheit der Unternehmen wird sozial in die Verantwortung

genommen. Die zu Grunde liegende Einsicht gilt auch heute. Ohne die Selbststeuerung der Wirtschaft durch Markt und Wettbewerb geht es nicht. Es braucht freie Märkte. Aber Märkte sind Institutionen, die einer verantwortungsvollen Regelung bedürfen. Die Funktion des Staates als Verkörperung des Allgemeinwohls in diesen Prozessen darf nicht aufgegeben werden, auch dies lehrt uns die Bankenkrise.

In den letzten Jahrhunderten gab es eine Entwicklung, in der die westlichen Gesellschaften die Freiheit als Unabhängigkeit von Fremdbestimmung erkämpft haben. Heute geht es umgekehrt darum, Menschen, die sich ihrer Freiheit bewusst sind, wieder dafür zu gewinnen, dass sie Bindungen eingehen und erkennen: In der Wahrnehmung von Verantwortung liegt der Sinn der Freiheit. Freiheit nach evangelischem Verständnis ist Freiheit in Verantwortung.

Das reformatorische Freiheitsverständnis richtet sich auf die im Glauben begründete und in der Liebe verantwortete Tat. Die so verstandene Freiheit bringt die Menschen miteinander in Beziehung. „Verantwortete Freiheit“ – das ist der Impuls, den die evangelische Gestalt des christlichen Glaubens in die ethische Begründung wirtschaftlichen Handelns eingebracht hat.

Menschen, die sich gegenüber ihren Nächsten verantwortlich wissen, sind, ethisch gesehen, keine puren „Ich-AGs“, die nicht nach rechts und links schauen. Ihnen ist bewusst, dass sie für ihr Leben im Letzten Gott Rechenschaft schulden.

IV. Neue Herausforderungen für wertorientierte Verantwortungswahrnehmung in Unternehmen

Frei ist derjenige Mensch, der sich in der Bindung an Gott zum Dienst an den anderen befreit erleben kann. Ein solches Verständnis von Freiheit steht im Widerspruch zu einer bloßen Orientierung an der Nutzenmaximierung. Alle in einem Unternehmen Tätigen sind nicht Mittel zum Zweck, sondern Zweck an sich (I.Kant). Sind Geschöpfe Gottes, die mit unverlierbarer Würde ausgestattet sind. Ein an dieser christlichen Grundorientierung

ausgerichtetes unternehmerisches Handeln wird keinen Bereich allein einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise unterwerfen, sondern stets auch ethische Aspekte mit berücksichtigen.

Die Berufung zur Freiheit lässt in unternehmerischer Verantwortung Stehende gelassener und getroster mit eigenen Fehlern und Fehlentscheidungen umgehen. Denn der christliche Glaube enthält das Angebot, Schuld und Scheitern in Gottes Hand zu legen und so Befreiung zu erfahren. Die Berufung zur Freiheit bedeutet auch den Verzicht auf ethische

Einzelvorschriften, an die sich Unternehmer halten müssten. Grundlagentexte des Glaubens wie die Zehn Gebote, das Doppelgebot der Liebe und die Goldene Regel und Grundmaximen wie die biblische Orientierung an einer Ökonomie des Genug und an gerechter Teilhabe anderer sind ein verlässlicher Kompass für unternehmerisches Handeln.

Freiheit nach evangelischem Verständnis verbindet die Entscheidungsfreiheit des

Individuums, die allgemein als Markenzeichen unternehmerischen Handelns gilt, mit der Verantwortung für die Mitmenschen und der Orientierung an der gerechten Teilhabe aller.

Hinsichtlich der Zuordnung von Freiheit und Verantwortung stellen sich angesichts

zunehmender Globalisierung heute neue Fragen: Neu ist die Erfahrung, den Mechanismen der

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weltweiten Finanzmärkte ausgeliefert zu sein. Früher wurden die im Inland erwirtschafteten Überschüsse auch wieder reinvestiert und sorgten so für den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Heute kann man unter dem Einfluss des globalen Marktes überall auf der Welt investieren. Es wird den Finanzmärkten überlassen, wo verdient, aber auch wo wieder

verloren wird, das zeigt die Finanz- und Bankenkrise auf drastische Weise. Die Möglichkeiten des globalen Marktes treiben die Gewinnerwartungen hoch und lassen auch deutsche

Unternehmen in einer früher nicht gekannten Weise Renditemaximierung betreiben. Die Produzenten selbst gehören allzu oft eher zu den Verlierern dieser Entwicklung. So geht die Schere zwischen arm und reich immer weiter auf – in einem Tempo, das den sozialen Frieden bedroht.

Aus dem evangelischen Leitgedanken der „verantworteten Freiheit“ ergibt sich in diesem Zusammenhang die Forderung nach Transparenz in allen Bereichen unternehmerischen Handelns – gerade auch auf den Finanzmärkten. Stärker als bisher sollte unser Land auf eine effiziente Regulierung auch der internationalen Finanzmärkte hinwirken, die Bundeskanzlerin hat dazu aufgrund der Bankenkrise einen ersten Anlauf unternommen. Ein hohes Maß an Transparenz zur Steuerung eines fairen Wettbewerbs muss mit der verstärkten Abschöpfung von spekulativen Gewinnen einhergehen. Der Bankencrash der letzten Monate hat uns auch gezeigt, wie dringend notwendig es ist, ethische Maßstäbe für das Verhalten an der Börse zu entwickeln und ihre Einhaltung zu kontrollieren.

Transparenz ist notwendig auch bei der Gestaltung und Führung von Unternehmen selbst. Die Veröffentlichung von Eigentumsverhältnissen, die damit verbundenen Interessen oder auch die Führungsstruktur lassen deutlich werden, in welchen Verantwortungshorizont ein Unternehmen die eigene wirtschaftliche Freiheit einzeichnet. Dazu gehören auch die

Durchsichtigkeit der Bezüge von Managern und die Deckelung ihres Wachstums. Es ist nicht zu rechtfertigen, dass deren Einkünfte sprunghaft nach oben steigen, während die

Arbeitnehmereinkünfte unter Verweis auf Kostengründe sehr oft nicht einmal mit dem Kaufkraftverlust Schritt halten.

Wenn wir der Frage nachgehen, inwiefern ein Unternehmen seiner Verantwortung gerecht werden kann, dann muss auch die Verantwortung für die nachfolgenden Generationen in den Blick genommen werden. Erkennen wir den nach uns Kommenden die gleiche Freiheit zu, die wir für uns selbst in Anspruch nehmen? Halten wir den Generationen nach uns die gleichen Handlungsmöglichkeiten offen, von denen wir so selbstverständlich Gebrauch machen?

Schon das Wissen darum, dass die Ressourcen begrenzt sind, nötigt dazu, mit ihnen schonend, umzugehen. Rationalität und Effizienz im Umgang mit den Ressourcen sind geboten – aus Verantwortung für die nächste Generation und aus ökonomischer Einsicht. Nachhaltigkeit wird deshalb zu einem Imperativ wirtschaftlichen Handelns. Der Klimawandel ist dafür die große Herausforderung. Wirtschaftliche Antworten auf diesen Wandel müssen vorrangig auf die Mäßigung schädlicher Emissionen – das heißt insbesondere des CO²-Ausstoßes –

ausgerichtet sein.

Schon dieser Gedanke macht deutlich, dass Unternehmen eine Verantwortung auch für das Gemeinwohl haben. Dieser Bereich hat in jüngster Zeit deutlich an Gewicht und Bedeutung gewonnen. Wenn ich es recht sehe, wird diese gesellschaftliche Verantwortung von

mittelständischen Unternehmen immer nachhaltiger wahrgenommen. Vielerorts ist der Mittelstand das Rückrat einer Region nicht nur in wirtschaftlicher Perspektive, sondern genauso im Bereich der Kultur, des Sports, in Bildung und Wissenschaft, im schonenden Umgang mit Ressourcen. Zunehmend entdecken nun auch Großunternehmen – unter

wirtschaftlichen Aspekten - die Chancen einer Imagepflege, indem sie sich dem Gemeinwohl öffnen. Aber hier ist einzuwenden: Es reicht nicht die gesellschaftliche Verantwortung allein unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher Effizienz zu betrachten. Die Wahrnehmung

gesellschaftlicher Verantwortung muss, soll sie überzeugend wirken, klaren Werthaltungen

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entspringen, die über eine bloß ökonomische Betrachtungsweise unternehmerischen Handelns hinausgehen. Solche Werthaltungen werden auch in der Öffentlichkeit sehr sensibel

wahrgenommen und ihr Fehlen prägt leider oft auch das öffentliche Bild des Unternehmertums.

Deshalb liegt mir sehr daran, unternehmerisches Handeln unter dem Gesichtspunkt zu sehen, wie sich unternehmerischer Geist zum Wohle aller zur Geltung bringt. Transparency

International hat erst jüngst wieder festgestellt, dass protestantisch geprägte Länder die niedrigste Korruptionsrate in unserer Welt aufweisen. Die Bedeutung des christlichen Glaubens für wirtschaftliches Handeln hat offenbar damit zu tun, dass der Glaube dem Menschen hilft, noch einmal innezuhalten, bevor auf Biegen und Brechen ein Vorgehen gewählt wird, das vermeintlich im persönlichen Interesse oder im Interesse des eigenen Unternehmens ist. Langfristig ist es eben auch im wirtschaftlichen Interesse eines Unternehmens, dass es als verlässlich und vertrauenswürdig gilt.

Eine Gesellschaft, die das Eigeninteresse bis zum Exzess kultiviert, zehrt die Ressourcen auf, auf die das gemeinsame Leben der Heutigen und der Nachkommenden angewiesen

bleibt. Aber auch wirtschaftliches Handeln selbst kommt ohne Rücksichtnahme und Kooperationsbereitschaft nicht aus. Kein Unternehmen in der Welt hat eine gute Zukunft, wenn es alle schlechten Charaktereigenschaften der Menschen in sich selbst freisetzt.

Vielmehr zerfällt es, weil sich das Vertrauen zersetzt, das für alle dauerhafte Arbeit unabdingbar ist. Wir müssen dahin kommen, dass wirtschaftliches Handeln wieder als kulturelles Handeln begriffen wird. Nur wenn weiterhin nach dem Sinn wirtschaftlichen Handelns gefragt wird, können wir auch unter den Bedingungen einer globalisierten

Wirtschaft das uns Mögliche tun, um dem Leitbild einer sozial verantworteten Wirtschaft, die im Kern auf persönlicher Zurechenbarkeit von Verantwortung beruht, eine Zukunft zu geben.

Dazu ist es nötig, dass sich die Effizienz des Wirtschaftens mit einer klaren Wertorientierung verbindet. Wir brauchen eine neue Synthese von Effizienz und Sinn. Das wird nicht nur langfristig klug, sondern auch für alle heilsam sein.

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