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INTERNATIONAL REVIEW FOR THE HISTORY OF RELIGIONS

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Academic year: 2022

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INTERNATIONAL REVIEW FOR THE HISTORY OF RELIGIONS

EDITED ON BEHALF OF THE

INTERNATIONAL ASSOCIATION FOR THE HISTORY OF RELIGIONS

by M. HEERMA VAN VOSS, E. J. SHARPE, R. J. Z. WERBLOWSKY

VOLUME XXV

T,FJDEN E. J. BRILL

1978

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Articles

Editor's Page ... I

C. Jouco BTFF.KER, Die Bedeutung der religionsgeschichtlichen und religionsphanomenologischen Forschung Friedrich Heilers 2 KURT RUDOLPH, Die 'Ideologiekritische' Funktion der Religions-

wissenschaft .. 17

ANTOINE GUILLAUMONT, Esquisse d'une phenomenologie du mo-

nachisme.. 40

HAVA LAZARUS-YAFEH, Muslim Festivals .. 52

JOHN F. FISHER, An analysis of the K6ans in the Mu Mon Kwan 65 WALTER BURKERT, Killing in sacrifice: a reply ... 77 YOCHANAN MUFFS, A history of Mesopotamian religion . . . 80 MICHAEL LOEWE, Man and Beast; The Hybrid in Early Chinese

Art and Literature ... .. 97

R. BJERRE FINNESTAD, The meaning and purpose of Opening the Mouth in mortuary contexts . . . . . . . . . 8 DAVID SHULMAN, The Cliche as ritual and instrument; Iconic

puns in Kampau's Iramdvatdram . 35

CHARLES F. KEYES, Structure and history in the study of the relationship between Theravada Buddhism and political order 156 NINIAN SMART, Beyond Eliade: The future of theory in religion 171 DORIS SRINIVASAN, The Religious Significance of Divine Mul-

tiple Body Parts in the Atharva Veda . . .. I93

J.

G. MACQUEEN, Secondary burial at (atal Hiiyiik . ... 226 JUAN ADOLFO VAZQUEZ, The Present State of Research in South

American Mythology . 240

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Book reviews

Tworuschka, Udo und Dietrich Zillelen, Thema Weltreligionen.

Ein Diskussions- und Arbeitsbuch fiir Religionspddagogen und Religionswissenschaftler (HANS-JuRGEN GRESCHAT) . . . 85 Smith, Bardwell L. (Editor), Hinduism, New Essays in the

History of Religions (JOHN D. SMITH) . 87

Blacker, Carmen, The Catalpha Bow, A Study of Shamanistic Practices in Japan (HARTMUT 0. ROTERMUND) . . . .84 Scarpi, P., Letture sulla religione classica-L'inno omerico a

Demeter (N. J. RICHARDSON) . . . .. 187

The Vedic Experience. Mantramanjari (J. GoNDA) . .89 Pijper, G. F., Studien over de geschiedenis van de Islam in Indo-

nesia I900-I950 (D. C. MULDER) . ... I9I

Bouman, Johan, Gott und Mensch im Koran (D. C. MULDER) I9I Mathews, Donald G., Religion in the Old South (EDWIN S. GAU-

STAD) ...277

Hoenes, Sigrid-Eike, Untersuchungen zu 14Wesen und Kult der Giittin Sachmet (M. HEERMA VAN Voss) .. 279

Chronicle . .. 90, 280

Calendar of Events . .. 93, 287

Publications Received . . . . .95

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(5)

All rights reserved. No part of this book may be reproduced or translated in any form, by print, photoprint, microfilm, microfiche or any other means without written permisson from the publisher

PRINTED IN THE NETHERLANDS

(6)

EDITORS' PAGE

The present number of NUMEN, although appearing formally under the name of the new Editorial Board (see NUMEN, vol. xxiv,

1977, p. I62) is, at least to some extent, still the work of the previous Editor-in-Chief, Prof. C. J. Bleeker. Several articles had been ac- cepted for publication and had, in fact, already reached the proof stage, when it appeared that for reasons of space they would have to be held over for I978. To the three articles "inherited" from the out- going Editor-in-Chief, the Editorial Board has seen fit to add the text of a talk delivered by Prof. Bleeker in Marburg in April I977. Though a causerie combining reminiscences and reflections rather than a research-paper, Prof. Bleeker's talk, whilst ostensibly dealing with Heiler, also says a lot about Prof. Bleeker himself. The Editorial Board is pleased to be able to honour the outgoing Editor-in-Chief by publishing a contribution in which his own role of a kind of trait- d'union between the fathers of modem Religionswissenschaft (Rudolf Otto) and the present state of our subject finds eloquent expression.

The present issue also introduces some of the new features on which the Editorial Board of NUMEN have decided: bookreviews, calendars and chronicles of events (congresses, conferences, colloquia, symposia) of interest to students of religion, announcing the dates and venues of such as are planned and reporting on such as have taken place. In order to render our "Calendar" and "Chronicle" sec- tions more complete and useful, the Editors request the secretaries of national groups of the IAHR and the conveners of conferences and colloquia to send their announcements viz. reports to NUMEN for publication.

THE EDITORS

I

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DIE BEDEUTUNG DER RELIGIONSGESCHICHTLICHEN

UND RELIGIONSPHANOMENOLOGISCHEN FORSCHUNG

FRIEDRICH HEILERS *

Vor ungefahr 55 Jahren besuchte ich als Student der Universitat Leiden zum ersten Mal Marburg an der Lahn. Im Verlauf von wenigen Wochen hatte ich mein Herz an diese malerische Stadt und die lieb- liche hessische Landschaft verloren. Ein guter Studienkamerad von mir und ich bekamen jeder ein bescheidenes Stipendium genehmigt, um an einer Auslandsuniversitat etwas neue akademische Luft einzuatmen, wie man in Leiden zu sagen pflegte. Die Wahl war durchaus nicht schwierig. Es bestand namlich eine Verbindung zwischen der Marbur- ger theologischen Fakultat und der von Leiden. Die Schriften be- ruhmter Marburger Gelehrten waren in Leiden keine unbekannten.

Wir studierten die Ethik van Herrmann und lasen zu unserer Erbauung sein Der Verkehr des Christen mit Gott. Rudolf Otto's beriihmtes Buch Das Heilige hinterlieB tiefen Eindruck. Mit Erstaunen und Bewunderung hatten wir Kenntnis genommen von Heilers umfang- reichem Werk iiber Das Gebet. Es war vor allem Otto, der auslandische Studenten rings um sich versammelte: Englander, Amerikaner, Hollander und sogar einen Studenten aus Britisch-Indien. Sie saBen bei seinen Vorlesungen auf der vordersten Reihe und bildeten zeit- weise einen interationalen Club, der frohliche Wanderungen in Marburgs Umgebung unternahm. Natiirlich besuchte man auch Heilers Kollegs. Uberdies erinnere ich mich an einen "offenen Abend" im Hause dieses jungen, brillianten Gelehrten und seiner jungen Frau, wo diskutiert, musiziert und gesungen wurde. Es war sehr sch6n.

Spater bin ich noch mehrere Male wieder nach Marburg zuriick- gekommen. Nachdem ich in Amsterdam zum Hochschullehrer berufen worden war und als "Secretary General" eine leitende Position in der "International Association for the History of Religions" erhalten hatte, lerte ich Heiler pers6nlich naher kennen und habe mit ihm, vor allem wahrend der Zeit der Vorbereitung fur den religions-

* Vortrag, gehalten auf der Akademischen Gedenkfeier des Fachbereiches Evangelische Theologie der Philipps-Universitit, Marburg am 28/4/I977, dem

Io. Todestag Friedrich Heilers.

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historischen KongreB in dieser Stadt im Jahr I960, eng zusammen- gewirkt. Aber der erste Besuch bleibt mir unvergellich.

Als junger Student hatte ich mir in meinen kiihnsten Triumen nicht vorstellen k6nnen, da13 mir noch einmal die Ehre zufallen wiirde, auf Einladung des "Fachbereichs der Evangelischen Theologie der Philipps-Universitat" zum Io. Todestag von Professor Dr. Friedrich Heiler eine Gedenkrede iiber diesen einmalig begabten Gelehrten zu halten. Ohne zu z6gern habe ich die Einladung angenommen. Doch war ich mir sogleich bewuBt, daB ich damit eine schwere Aufgabe iibernahm. Denn es ist menschlich und wissenschaftlich unm6glich, in einer kurzen Rede den vielen Verdiensten eines Gelehrten von Heilers wissenschaftlichen Fihigkeiten und seiner internationalen Beriihmtheit vollig gerecht zu werden.

Ideologische, praktische und sogar asthetische Uberlegungen haben mich nun zu dem EntschluB3 gebracht, meinem Vortrag die Form eines Torsos zu geben. Denn erstens einmal war Heiler ein produktiver Autor. Dr. J. Waardenburg bietet in dem zweiten Teil seiner Classical Approaches to the Study of Religion eine Liste von 36 Studien, zum Teil sehr umfangreicher, zum Teil in der Form von Broschiiren, die auf den Namen Heiler lauten. Es bedarf keiner Erklarung, daB niemand den Gedankenreichtum so vieler Schriften in der Redezeit von 45 Minuten in den Griff kriegen kann. Man mu13 sich notge- drungen darauf beschriinken einige Hauptlinien festzulegen. Zweitens weist Heilers wissenschaftliche Produktion die Eigenart auf, daB seine religionswissenschaftlichen Untersuchungen aufs Engste verwoben sind mit seinen religi6sen, kirchlichen und theologischen Anliegen.

Diese Arbeitsweise ist charakteristisch fur seinen Blick auf die Verbindung von Religionswissenschaft und kirchlich-religiosem Leben.

Dieser Punkt kommt gleich noch einmal zur Sprache. Vorlaufig stelle ich fest, da13 ein Torso iibrig bleibt, wenn man Heilers rein religionswissenschaftliche Untersuchungen aus seinem Gesamtwerk herausschalt, ein Tun, das iibrigens mit Vorsicht und viel Takt geschehen muB. Drittens verlangt mein Auftrag, daB Heilers Werk in den Rahmen der heutigen Religionswissenschaft gestellt wird, damit die "Bedeutung" seines "Einsatzes" deutlich wird. Auch in dieser Hinsicht ist Beschrankung geboten. Der Aufbau dieser Rede la13t nur Raum fur einige fliichtige Hinweise. Nun ist ein Torso sowohl asthe- tisch als auch ideologisch ein reizvolles Gebilde. Niemand wiirde es

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wagen, den Torso einer griechischen Plastik vollenden zu wollen.

In sich selbst besitzt er eine h6chste Sch6nheit. AuB3erdem pragt der Torso dem Menschen die Wahrheit ein, da13 man weder im Leben, noch in der Wissenschaft die Vollendung erreicht. All unser Sich- Abmiihen, all unser Studieren und Publizieren ist Stiickwerk. Und so ist auch das Bild von Heilers wissenschaftlicher Arbeit, das ich zu bieten habe. Ger gebe ich meinen H6rem die Freiheit, ihre Phantasie um diesen Torso spielen zu lassen. Zweifellos werden meine Worte bei denen, die Heiler gekannt haben, wie mit einem Zauberschlag Erinnerungen erstehen lassen, die ihnen teuer sind.

Die Einteilung dieses Referates liegt auf der Hand. Zuerst will ich ein paar Worte Heilers Person widmen. Dann folgt eine Global- iibersicht iiber sein Werk. Zum SchlulB will ich mich an eine Beurtei- lung der Bedeutung seines Schaffens wagen.

Es wird 6fters gesagt, daB es besser sei, wenn man den Verfasser beriihmter Biicher nicht pers6nlich kenne, denn das erspare die Enttauschung dariiber, daBl der Charakter oder die Lebensweise des betroffenen Autors keineswegs im Einklang stehe mit den erhabenen Gedanken, die er in seinem Buch oder in seinen Gedichten niedergelegt hat. Bei Heiler ist diese Gefahr nicht vorhanden. Der Gelehrte, der die Entriickungen der Mystik auf mitreil3ende Art zu beschreiben wuB3te, schien, wenn man ihn kennenlerte, eine etwas introvertierte Pers6nlichkeit zu sein, von der Friede und Heiterkeit ausstrahlten.

Bei Heiler sind Person und Werk untrennbar. Will man die Bedeutung seiner Studien nach ihrem Wert bemessen, dann muB man ein Bild seiner Pers6nlichkeit besitzen. Nun werde ich mich bestimmt davor hiiten, eine Strukturanalyse seines Wesens zu entwerfen. Man kann keinen Menschen v6llig ergriinden. Das gilt in ganz besonderem MaB3 von einer genialen Personlichkeit wie Heiler. Doch ist es in diesem Zusammenhang wichtig, die Aufmerksamkeit auf einige Eigenarten seiner geistigen Fihigkeiten zu lenken. Aus seinen Werken kann man ablesen, daTB er in ausnehmender Weise begabt war, eine phan- tastische Arbeitskraft besaB und iiber ein fehlerfreies Gedachtnis verfiigte. Das Tempo in dem er, vor allem in seinen jiingeren Jahren, gearbeitet hat, ist unglaublich. Die Tatsachen, d.h. die Jahreszahlen, berichten das. I9I1 begann er in Miinchen als Student. Nach dem Studium von Theologie und Philosophie widmete er sich dem Erlernen von einer Reihe von Sprachen, nimlich: Sumerisch, Akkadisch, Ara-

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bisch, Syrisch, Armenisch, Hettitisch, Agyptisch, Koptisch, Chine- sesch, Sanskrit, Pali und Avestisch. Natiirlich erwartet niemand, daB er die Finessen dieser Sprachen ergriinden konnte, an sich ist diese Liste aber schon so eindrucksvoll, daB man mit dem Franzosen sagt:

"excusez du peu". In der Eroffnungssitzung des Kongresses von I960 in Marburg glanzte er mit seiner Sprachenkenntnis, als er die auslandischen Gaste in Englisch, Franzosisch, Italienisch, Schwedisch, Neugriechisch und mit Hilfe von Professor Hoffmann sogar in Japanisch begrii3te. Nun noch eine Jahreszahl. I9I7 promovierte er mit Das Gebet. Wer dieses Standartwerk in der dritten Auflage 575 Seiten stark, zur Hand nimmt und sorgfaltig durchliest, fragt sich mit stummer Verwunderung, wie ein junger Gelehrter von 25/26 Jahren damit fertig wurde, sein gewaltig umfangreiches Material zu sammeln, zu sichten und in eine wohlausgewogene Form zu gieB3en. Das ist fast religionshistorische Teufelskunst. Und dazu kommt noch, daB er I918 eine "religionsgeschichtliche Untersuchung" iiber Die buddhistische Versenkung schrieb, ein Werkchen von bescheidenem Umfang von 46 Seiten, das aber gekennzeichnet ist durch ein ganz besonderes Eindringen in den Gegenstand. Die zweite Auflage von 1922 ist Ioo Seiten stark. Dank seiner schnellen Auffassung und seines ein- wandfreien Gedachtnisses konnte Heiler in kurzer Zeit eine kolossale Faktenkenntnis erwerben. Ich m6chte hier nur ein paar willkiirlich ausgesuchte Beispiele geben. In Urkirche und Ostkirche (1937) fiigte er dem Titel des Paragraphen iiber "Das M6nchtum" eine Anmerkung hinzu iiber die Geschichte der Askese des Monchtums, die 55 Satze lang ist und eine ausgebreitete Literatur iiber dieses Thema bietet.

In demselben Werk kommt auf Seite 477 das bei der Firmung gebrauchte Salbol, das Myron, zur Sprache. Ein vollkommen neben- sachlicher Punkt. Eine Anmerkung von 31 Satzen verschafft jede gewiinschte Auskunft iiber dieses Myron. Ein AuBenstehender meint nach diesen Mitteilungen vielleicht, daB Heilers Werke wegen des Aufwands an Gelehrsamkeit nicht zu lesen seien. Das Gegenteil ist wahr. Heiler war ein groB3artiger Stilist. Seine Sprache flieB3t in einem schnellen Tempo, hat oft ein musikalisches und lyrisches timbre und bekommt manchmal sogar so etwas wie einen extatischen Klang, wenn es sich um die Mystik handelt. Alles, was er schrieb, ist wohlkompo- niert. Man liest manche Teile wie einen Roman. Er besaB3 die Gabe, verwickelte Probleme in einfachen Satzen durchsichtig zu machen.

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Wie und wann leistete er dies alles? Das fragte man sich wenn man ihn traf. Alle Hast schien ihm dann fremd zu sein. In Gesellschaft saB er meistens schweigend und freundlich lachelnd da. Dieses Lacheln lieB mich immer denken an das Lacheln der wundersch6nen Buddha- bilder im ethnologischen Museum zu Leiden, die ich einmal so be- schrieb: "Ein Buddha-Bild weckt bei andachtiger Betrachtung die Vermutung, daB sich dahinter eine groBartige und zugleich ratselhafte Gedankenwelt verbirgt. Die unbewegliche Gestalt ... mit ihrem hehren, undurchdringlichen Antlitz ... driickt eine Aristokratie des Geistes aus, die nicht nachlassen kann, Eindruck zu erwecken." Wo waren Heilers Gedanken, wenn er - ein wenig lachelnd - lauschte? Wer vermag das zu sagen ? Vermutlich tauchten blitzschnell neue Wahrheits- einsichten in ihm auf, oder er entwarf neue Abhandlungen.

Punkt zwei: Heilers Beitrag zum Studium der Religionsgeschichte und der Religionsphanomenologie. Diese Facher sind schwer zu unterscheiden und zu trennen. Im Prinzip macht der Religionshistoriker vertikale Einschnitte in das ausgedehnte Material der religi6sen Er- scheinungen dadurch, daB er einzelne Religionen oder Unterteile von ihnen untersucht. Der Religionsphanomenologe nimmt horizontale Durchschnitte vor, denn er nimmt bestimmte Grundvorstellungen der Religion unter die Lupe. Aber das Verhaltnis ist kompliziert, weil Religionsphanomenologie nicht nur ein Fach ist mit einem Inhalt, sondern auch eine Methode, namlich der Grundsatz einer vorurteils- losen Betrachtung der Gegebenheiten, ein Grundsatz, der zugleich auch fur die Religionsgeschichte gilt. Auch bei Heiler sind die beiden Genres nicht haarscharf zu trennen. Zugleich entsteht die Frage, ob er sich immer getreu an das phanomenologische Prinzip gehalten hat.

Nun folgt in loser Folge eine Besprechung von Werken mit einer aus- gesprochen religionsgeschichtlichen Allure, dann von solchen mit einem mehr religionsphanomenologischen Charakter.

Es ist iiblich, daB der Religionshistoriker sich in erster Linie mit dem Studium der nicht-christlichen Religionen befaBt. Infolge von seiner kirchlichen Herkunft und gedriingt durch seine personliche Glaubensproblematik hat Heiler es sich ganz besonders zur Aufgabe gestellt, das Christentum religionsgeschichtlich zu durchleuchten. Ein imposantes Resultat dieses Strebens ist Der Katholizismus. Wenn gleich dieses Werk, wie er selbst bekennt, herausgewachsen ist aus "einem stark affektiven pers6nlichen Erlebnis", so tragt es doch alle Kenn-

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zeichen einer echten religionsgeschichtlichen Studie, nicht nur wegen der exakten Darbietung des in Uberfiille vorhandenen Materials, sondern auch durch das Pathos der Wahrheitsliebe, das dieses Buch durchgliiht.

Die Entstehung dieses Buches darf ich als bekannt voraussetzen.

1919 hielt Heiler in Uppsala uiber dieses Thema einige Vortrage in der Form eines pers6nlichen Zeugnisses. Die deutsche Utbersetzung weckte heftige Aufregung. Und dann geschah etwas, das meines Erachtens typisch ist fur Heiler. Dieser sanfte Mann war namlich ein geharnischter Streiter, wenn es um die Wahrheit ging. Er warf nun sein kolossales Wissen in die Wagschale, um sachlich zu beweisen, daB er den Katholizismus vollstandig durchforscht hatte. So entstand ein Buch, das religionshistorische Bedeutung besitzt. Wenn man nam- lich den ersten "Hauptteil" iiber "Das Werden des Katholizismus im Spiegelbild seiner Genien" iiberschligt und das SchluBkapitel, das Elemente von einem pers6nlichen Urteil enthalt, weglagt, so hat man in dem zweiten "Hauptteil" ein Juwel religionsgeschichtlicher und religionsphanomenologischer Strukturanalyse der "Grundelemente des Katholizismus". Nach Heiler sind es sieben: I) Die primitive Religion (behandelt unter den Titeln "Die Volksfrimmigkeit" und "Die primi- tiven Elemente im katholischen Kult und in der katholischen Kult- dogmatik"), 2) Die Religion des Gesetzesdienstes und der verdienst- lichen Werke, 3) Die juridisch-politische Kircheninstitution, 4) Die rationale Theologie, 5) Die Mysterienliturgie, 6) Das asketisch- mystische Vollkommenheitsideal, 7) Evangelisches Christentum im Katholizismus. Man kann sich fragen, ob dieses Bild noch eine voll- standige Ubereinstimmung mit dem heutigen Katholizismus aufweist und ob es nicht bestimmte Anderungen n6tig habe. Doch die Haupt- linien k6nnen sicher vor jeder Kritik bestehen.

Es ist interessant, gleich auf dieses michtige Werk die Broschiire folgen zu lassen, die "Luthers religionsgeschichtlicher Bedeutung"

gewidmet ist. Diese Schrift stammt aus dem Jahr 1918. Heiler weiss griindlich Bescheid iiber die Luther-Literatur. Gewappnet mit dieser Kenntnis gelingt es ihm, ein deutliches Bild zu entwerfen von Luthers origineller Glaubensauffassung. Gegeniiber der mittelalterlichen Glau- bensmystik stellte Luther den Glauben dar als eine "lebendige Zuver- sicht auf Gottes Gnade". Durch den Grundsatz von der sola fides erneuerte er die "biblische Religiositat". In Ubereinstimmung damit erkannte er Gottes Offenbarung in der Geschichte, und das Wort

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Gottes war fur ihn die h6chste Autoritat. Entscheidend ist, "was Christum treibt". Diese Richtschnur bestimmt das Verhaltnis zu Siinde und Heil, zur Ethik, zur Welt und den Mitgesch6pfen.

Das Problem des Vergleiches zwischen dem romischen Katholizis- mus und dem Protestantismus hat Heiler standig beschaftigt, wie u.a.

aus seiner Studie Katholischer und Evangelischer Gottesdienst von

I92I ersichtlich wird. Er entwirft darin ein sympathisches Bild von

der katholischen Messe, die den Frommen zu der H6he mystischer Anbetung fiihren kann. Danach charakterisiert er den evangelischen Gottesdienst als "Gemeindegottesdienst", als "pers6nlichen Gottes- dienst", als "Wortgottesdienst" und als "Gebetsgottesdienst". Der tiefste Unterschied zwischen diesen beiden Typen des Gottesdienstes ist die Gottesauffassung, mit seinen eigenen Worten formuliert: "Im katholischen Gottesdienst ist Gottes lebendige Gegenwart gebunden an ein sinnenfalliges Kultobjekt, an die Hostie; der evangelische Gottes- dienst ist geistig-pers6nlicher Gottesdienst: darum tritt in ihm das Sakrament hinter dem Wort stark zuriick".

Das zweite groBe Werk, das in diesem Zusammenhang zur Sprache gebracht werden mug, ist Urkirche und Ostkirche. Ich denke nicht daran, den Inhalt dieses beeindruckenden Buches wiederzugeben. Statt dessen wollen wir die Scheinwerfer unseres Interesses auf drei Charac- teristica dieser Studie lenken. Der erste Punkt betrifft die Methode:

in seinem Vorwort unterstreicht Heiler nochmals, daB er stets streng historisch-kritisch zu Werke geht, so da3 er ein offenes Auge hat fur kirchliche MiBstinde, nicht nur fiir die der r6misch-katho- lischen Kirche. Zum anderen kann man nur staunen iiber die grenzen- lose Gelehrsamkeit, mit der er die vielen Kirchen des 6stlichen Christen- tums bis in ihre kleinsten Besonderheiten zu beschreiben weiB. So verliuft z.B. die Darlegung der "getrennten Nationalkirchen" haupt- sachlich nach dem Schema: Geschichte, Verfassung, Glaubenslehre, Sakramentslehre und -spendung, Liturgie, M6nchtum, Schlu8charak- teristik. Drittens macht er kein Geheimnis daraus, da3 der Glaube an seinen Lieblingsgedanken von der "evangelischen Katholizitat" un- erschiitterlich ist.

Um den Radius von Heilers religionswissenschaftlichem Interesse zu bestimmen, nenne ich als tubergang zu der Behandlung von mehr religionsphanomenologischen Studien zwei Biicher, die Personen ge- widmet sind. Das erste ist die Schrift iiber Alfred Loisy der Vater des

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katholischen Modernismus. Mit Loisy fiihlte sich Heiler sichtlich verwandt und doch: wie grog waren die Unterschiede in Temperament und Lebenslauf ! Gerade deshalb konnte er diesen einsamen Gelehrten objektiv-sachlich und zugleich mit liebevollem Verstehen schildern.

Das zweite Buch: iiber das Aufsehen erregende Auftreten von Sadhu Sundar Singh, seinerzeit von vielen verehrt, von anderen geschmaht, war schon viel geschrieben, als Heiler zur Feder griff, um Leben und Predigt dieses "Apostel des Ostens und Westens", wie er ihn nannte, in das Licht historischer Wahrheit zu setzen. Er tat dies mit einer verbliiffenden Sachkenntnis und unter Heranziehung neuer Gegeben- heiten. Der Sadhu bleibt eine mysteriose Gestalt. Das beste Buch aber iiber ihn ist zweifellos Heilers Monographie.

Die Religionsphinomenologie kann zwei Arten von Studien um- fassen: I) die Monographie iiber eine konstitutive Idee der Religion,

2) das Handbuch iiber die Religion in ihren Erscheinungsformen. Heiler hat uns Spezialarbeiten von beiden Typen geschenkt.

Das Gebet ist ein klassisches Beispiel von Werken aus der ersten Kategorie. Heiler entpuppte sich bereits diesem ersten groBen Werk als ein geschickter Typologe. Das ist dann auch der Grund, weshalb man dieses Buch gem bei Gelegenheit zu Rat zieht. Nachdem man die Einleitung, in der die Prinzipien niedergelegt sind, gelesen hat, ent- deckt man sofort, daB Heiler groBe Sympathie hegte fur "das naive Beten des primitiven Menschen." Er laM3t ein Bild von den schriftlosen V6lkem entstehen, dat stark abweicht von den Betrachtungen, die in- spiriert sind durch Levy-Bruhls Theorie iiber "la mentalite primitive".

Die primitiven Menschen, die Heiler vorstellt, wahrend sie beten, benennen ihre G6tter mit dem Vaternamen. Heiler konstatiert: "Das Verhiltnis des betenden Menschen zu Gott als Kindesverhiltnis zum Vater ist ein religi6ses Urphanomen" (S. I4I). In den Hymnen der antiken V6lker vermag er die Klange des Gebetes herauszuh6ren, sei es auch in einer stilisierten Form. Besondere Aufmerksamkeit schenkt er dem "Gebet in der hellenischen Vollkultur". Zurecht, denn daraus spricht ein echtes religi6ses Pathos. Interessant finde ich das Kapitel iiber "Gebetskritik und Gebetsideale des philosophischen Denkens", weil das so aktuell ist. Danach nahert man sich beim Lesen dem Herzen dieses Buches, namlich dem "Gebet in der individuellen Fr6m- migkeit der grofen religi6sen Pers6nlichkeiten". Der cardo questionis ist die Polaritat von mystischem und prophetischen Gebet. Uber das

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alien bekannte Thema brauche ich mich nicht weiter auszulassen. Wir wollen nur feststellen, dalB, was auch seine Kritiker immer einwenden mogen, Heiler seine These mit einer Respekt heischenden Menge Materials zu stiitzen vermag. Fesselnd ist auch das folgende Kapitel, in dem der Autor zeigt, das sich diese beiden Gebetstypen wieder- finden in dem Leben groB3er Manner, namlich in der Form eines

"kontemplativ-asthetischen" und eines "affektiv-ethischen Typus."

Aktuellen Wert kann man seiner sorgfaltigen Auseinandersetzung iiber den Sinn des Gemeindegebetes zuerkennen. Als ein echter Religions- phanomenologe gibt Heiler sich zu erkennen, wenn er die religi6se Bedeutung entratselt von dem "individuellen Gebet als religi6ser Pflicht und gutes Werk in den Gesetzesreligionen". Das Buch wird abgerundet mit einem Kapitel iiber "Das Wesen des Gebetes".

Eine Reihe von Ausspruchen bezeugen, daB Heiler die Eigenart des Glaubens im reformatorischen Sinn aus eigener Erfahrung kannte und bekannte. Aber auf Grund seiner kirchlich-theologischen Herkunft und seiner geistigen Veranlagung war ihm die Mystik doch mehr ans Herz gewachsen. Ofter und weiter als irgend ein anderer hat er im Geist Streifziige unternommen durch diese faszinierende Fr6mmig- keitswelt. Die Themen, die ihn sichtlich beschaftigten, waren: das Wesen der Mystik, die Punkte von Ubereinstimmung und Unterschied zwischen den verschiedenen Typen, der Weg der mystischen Ver- senkung, die Kennzeichen des mystischen Gottesbegriffes. In einer sch6nen Studie iiber Die Mystik in den Upanishaden aus dem Jahr

1925 legt er den Nachdruck darauf, daB3 die mystische Extase als Gnade erfahren wird (S. 29). In einem Artikel in der Zeitschrift Numen (Vol. I, Fasc. 3) legt er ein deutliches Bild des mystischen Got- tesbegriffs dar: um iiber Gott reden zu konnen, gebrauchen die Mystiker die Negation oder die doppelte Verneinung, die Kontradik- tion, die via eminentiae und die Form der coincidentia oppositorum.

In Das Gebet findet man eine "Tafel der Gebets- und Versenkungs- stufen", die sehr aufklarend ist, weil sie die Parallelen zeigt in den Graden der Erlebnisse unter verschiedenen beriihmten Mystikem und auch im Buddhismus (S. 312/3). Hier schlieBt sich die inhaltsreiche Studie iiber Die Buddhistische Versenkung von 1918 an. Heiler behandelt in ihr die verschiedenen Formen dieser Art von Medita- tion, und zwar: "Die vier Stufen des jhana", "Die vier Unendlichkeits- gefiihle", und "Die Stufen der abstrakten Versenkung". Am SchluB

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vergleicht er die Versenkung mit dem mystischen Gebet und kommt zu dem beruhmten Ausspruch: "Buddha, der Meister der Versenkung - Jesus, der Meister des Gebetes". Heiler belieB3 es nicht bei einer Untersuchung in seinem Studierzimmer. Es ist, so scheint es mir, bekannt, daB er nach dem Kongreg in Tokyo im Jahr I958 in einem Zen-Kloster diesen Typus der Meditation iibte.

Am Ende seines Lebens hat Heiler ein umfangreiches Handbuch zur Religionsphanomenologie geschrieben mit dem Titel Erscheinungs- formen und Wesen der Religion. Es ist eine Fundgrube fur jeden, der Information sucht iiber bestimmte Gegebenheiten aus der endlo- sen Welt religi6ser Erscheinungen. Auf zwei Characteristica dieses Werkes will ich hier hinweisen. Erstens: Der Stoff der alteren, ahn- lichen Handbiicher wurde hauptsachlich den primitiven, eventuell noch den antiken Religionen entnommen. Heiler hat sehr viel Material aus den h6heren Religionen und besonders aus dem Christentum gesammelt, und das erh6ht die Brauchbarkeit des Buches. Zweitens: In der Struktur des Buches offenbart sich sein Blick fur diese Wissenschaft und sein Einblick in das Wesen der Religion. Das erste Kapitel behandelt "Die Erscheinungswelt der Religion", unter den Abteilungen heiliger Gegenstand, heiliger Ort, heilige Zeit, heilige Handlung, heiliges Wort, heilige Schrift, und der heilige Mensch. Das zweite groBe Kapitel gilt der "Vorstellungswelt der Religion", d.h. Gott, Sch6pfung, Erl6sung und Vollendung im ewigen Leben. Darauf folgt ein Kapitel von I6 Seiten uiber "Die Erlebniswelt der Religion", nam- lich die Grundformen des religi6sen Erlebnisses und die auBerordent- lichen religi6sen Erlebnisformen. In zwei Seiten spricht Heiler mit der BeschrSnkung die hier angebracht ist iiber "Die Gegenstandswelt der Religion", d.h. von der Transzendenz des Heiligen, dem deus abscon- ditus. In den letzten Seiten des Buches umschreibt er "Das Wesen der Religion". Fur diese phanomenologische Betrachtung hat er in der

"Einleitung" wissenschaftlich Rechenschaft abgelegt. In einem Schema auf Seite 520 verdeutlicht er seine Absicht: wie drei Ringe liegen

"Die Erscheinungswelt", "Die Vorstellungswelt" und "Die Erlebnis- welt" ringsum "Die Gegenstandswelt, das Objekt der Religion, die g6ttliche Realitit".

Drittens lege ich, getreu meinem Auftrag, ein, was die Englander

"assessment" nennen, von Heilers Werk vor, das hei3t: ich werde kein Urteil iiber Heiler als Theologen, als Liturgen und als Verfechter

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6komenischer Ideale abgeben, sondern nur ein "assessment" iiber seine religionswissenschaftliche Arbeit zu formulieren versuchen. Ich gebrauche mit Absicht diesen Ausdruck deshalb, weil "assessment"

nicht die iibliche Kritik beinhaltet, sondern eine Einschatzung gibt von einer Sache, in diesem Fall von Heilers Arbeit, speziell mit dem Blick auf heute und die Zukunft. Und dann entsteht die Frage: k6nnen seine Gedanken noch Geltung besitzen in dem gegenwirtigen religions- wissenschaftlichen Gedankenklima. Um diese Frage beantworten zu konnen, muB man iiber den Zustand in dem genannten Fachgebiet auf der H6he sein. Ich werde versuchen, den Stand der Dinge auf den Studiengebieten der Religionsgeschichte und der Religionsphano- menologie mit einigen fliichtigen Linien zu skizzieren. Man k6nnte iiber diesen Gegenstand bequem eine Reihe von Kollegs halten. Not- gedrungen muB ich, um mich popular auszudriicken, im Telegramm- stil reden. Wenn ich dabei apodiktische Behauptungen einflielen las- se, so m6ge der H6rer darauf vertrauen, daB3 dies keine unbegriindeten Meinungen sind, sondern da3 sie sich auf hier nicht weiter aus- gefiihrte Argumente stiitzen.

Die Generation, zu der Heiler geh6rte, d.h. Manner wie E. O.

James, W. B. Kristensen, R. Pettazoni, R. Otto, M. Eliade und G.

Widengren, die ihr ganzes Leben dem Studium der Religion widmen konnten und dadurch eine breite tUbersicht iiber das ganze Gebiet der religi6sen Erscheinungen erworben hatten, stirbt aus. Ihre Nach- folger sind Spezialisten. Das gilt auch fur die Religionswissenschaftler von Beruf. Soweit Philologen, Soziologen und andere Interessenten der humaniora sich fur Religionsgeschichte interessieren, verrichten sie Detailstudien, ohne sich viel um die Prinzipien zu kiimmern oder gr6o3ere Synthesen anzupeilen. Eine lebendige Diskussion aber kann nur auf dem Erbe der Religionsphanomenologie weitergehen.

Der Brennpunkt ist das Fach selbst und seine Methode. Manche finden den Namen dieser Disziplin unbrauchbar und bezweifeln sogar ihr Daseinsrecht. Andere drangen auf eine verbesserte Methodik. Diese Probleme kamen auf einem Symposion iiber Methodologie in Turku (Finnland) vor einigen Jahren zur Sprache. Das Resultat war mehr oder weniger eine babylonische Sprachverwirrung. Die erwahnte Zu- sammenkunft aber wies einen Zug auf, der als Signal gelten mu3.

Das war die Teilnahme einer groBen Zahl von Kultur-Anthropologen.

Darin zeichnete sich die Autoritat ab, die die Sozialwissenschaften,

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und speziell die Kulturanthropologie, mehr und mehr erlangen. Es erscheint mir iiberfliissig, mich iiber die heutige Sucht auszulassen, iiberall den soziologischen Hintergrund geistiger Gr6oen aufzudecken.

Wichtig aber ist die Einsicht, daB sich dieses Streben auch bei dem Studium der Religionsgeschichte abzeichnet. Mein Landsmann, Pro- fessor dr. Th. B. van Baaren in Groningen hat als Zauberwort den Satz ausgedacht: "religion is a function of culture". Pers6nlich erwarte ich wenig Gewinn von dieser Studienanweisung. Auf jeden Fall miissen wir die Augen offen halten fur die Tatsache, daB diese Richtung des Studieninteresses gepaart geht mit einer tberempfindlichkeit fur die Einmischung der Theologie in die genannten Facher. Man duldet keine AuBerungen, die fast einem metaphysischen Urteil iiber die Religion gleich kommen. Und an diesem Punkt ist Heiler, wie wir gleich sehen werden, besonders verwundbar.

Lassen Sie mich Ihnen zur Verdeutlichung meiner Worte erzahlen, was mir auf dem KongreB3 in Marburg I960 geschah. In der so- genannten "General Assembly" am Ende aller Sitzungen wurde ein Memorandum aus meiner Hand iiber "The Future Task of the History of Religion" zur Diskussion gestellt. Dieser Beitrag 16ste die Zungen geh6rig. Es wurde sogar durch 17 befreundete Kollegen aus verschiedenen Lindern eine Erklarung iiber das Minimum an Forde- rungen fur das Studium der Religionsgeschichte eingebracht. Darin zog man besonders zu Feld gegen meine AuBerung: "The value of religious phenomena can be understood only if we keep in mind, that religion is ultimately a realisation of a transcendent truth". Man stellte die Gegenthese auf: "Religionswissenschaft is an anthropological discipline, studying the religious phenomena as a creation, feature and aspect of human culture". Man spurte die Furcht vor theologischen Urteilsspriichen, von denen ich mich, wie ich glaube, freihalten kann, wie ich es gleich noch zu beweisen hoffe. Es ist aber evident, da13 Heiler nach den Einsichten der heutigen Religionswissenschaft nicht ganz konsequent war.

Nun ist Heilers Treue gegeniiber der Methode kritischer Forschung iiber allen Verdacht erhaben. Dafiir sind die Beweise nicht schwer zu liefern. In der Einleitung zu seinen Erscheinungsformen und Wesen der Religion redet er selbst von der "philologia sacra". Welter muB ich bekennen, daB ich mit ihm auf derselben Wellenlange liege, wenn er sich leidenschaftlich einsetzt fur eine Erforschung der lebenden

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Religion. In einer Welt von egoistischen und aggressiven Menschen ist die Religion eine imponierende und Staunen erweckende Erschei- nung. Nach meiner festen Uberzeugung kann diese Erscheinung nur dann begriffen werden, wenn man sie auffalt als Folge der Begeg- nung des Menschen mit dem Heiligen. Zur Verdeutlichung meines Standpunktes als Religionswissenschaftler wage ich die paradoxe These auszusprechen, dag sogar der atheistische Forscher diese Fest- stellung bejahen muB, wenn er die Religion wirklich verstehen will.

Andererseits muB man deutlich erkennen, daB die Beantwortung der Frage nach der Wahrheit der Religion als solche oder die nach der Wahrheit in den einzelnen Religionen auB3erhalb der Kompetenz des Religionshistorikers liegt. Sie gehort in den Bereich der Religions- philosophie oder der Theologie. In der Bewertung der Religion stim- men Heiler und ich vollig iiberein. Aber ich kann ihm nicht mehr folgen, und ich fiirchte, daB er heutzutage wenig Anhang mehr finden wiirde, wenn er aus seinen religionsgeschichtlichen Einsichten bestimmte religionsphilosophische und theologische Schliisse ziehen will, oder wenn er diese Wissenschaft dazu gebrauchen will, um das Verstehen zwischen Glaubigen verschiedener Religionen zu f6rdern.

Es hat sich eine communis opinio auskristallisiert, die auBer Zweifel setzt, daB die Religionsgeschichte ein rein akademisches Fach ist und nicht in der Lage ist, weder die Religion der Zukunft zu entwerfen, noch die Kampfe zwischen streitenden Glaubigen beizulegen.

Lassen Sie mich meine Meinung naher erklaren. In der skizzierten Gedankenzone wird Heilers AuB3erung: "Alle Religionswissenschaft ist letztlich Theologie" (Erscheinungsformen usw. S. I7) keinen Widerhall finden, sondern im Gegenteil auf heftigen Widerstand stoBen. Wenn er weiter in Die Religionen der Menschheit in Ver- gangenheit und Gegenwart mit Zustimmung die These von Max Muller zitiert: "Es gibt nur eine ewige und universale Religion, die iiber, unter und hinter allen Religionen steht, der alle angeh6ren oder angeh6ren k6nnen", dann werden die heutigen kritischen Religions- historiker diese Meinung wohl als Glaubensbekenntnis respektieren, doch dafiir keinerlei Beweis aus ihrer Wissenschaft sch6pfen kbnnen.

In einer Rede vor dem KongreB in Tokyo iiber "The History of Religions as a Way to the Unity of Religion" hat Heiler dargelegt, dass die Religionsgeschichte viele Vorurteile vom Tisch raumen kann.

Doch das ist wie ich meine eine Nebenwirkung dieser Wissenschaft

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und keineswegs ihr Hauptanliegen. Der Religionshistoriker kann sicher- lich Versohnungsarbeit leisten, aber nicht qualitate qua, sondern aus- schlieB3lich in einem anderen Zusammenhang, auBerhalb seiner Wis- senschaft. Wenn Heiler in der zitierten Rede weiter geht und sieben gemeinsame Ziige der h6heren Religionen formuliert, so h6rt man wieder den glaubigen Menschen, aber weiB zugleich, daB die Wissenschaft fur diese Anschauung keine Beweise liefert.

Heiler war und ist in vielerlei Hinsicht unnachahmlich. Ich will nicht behaupten, daB er in den besprochenen Fragen Unrecht hat.

Doch der Entwicklungsgang der Religionswissenschaft verlangt meines Erachtens heute, daB wir streng methodisch zu Werk gehen, die religionshistorischen Untersuchungen v6llig trennen von praktischen Aktivitaten, kurzum die in Frage kommenden Facher bearbeiten "in- nerhalb der Grenzen der religionswissenschaftlichen Vernunft", wie ich an anderer Stelle ausgefiihrt habe.

Wenn wir aber wirklich klug und weise sind, werden wir an Heilers geistigem Erbe weiterwirken. Es waren eine Anzahl von Studien- objekten zu nennen. In erster Linie kann man an seine Studien iiber den Katholizismus und iiber Urkirche und Ostkirche denken. Mir scheint, daB diese Bucher erneute Aktualitit bekommen haben durch die Verschiebungen in der romischen Kirche und durch die Ereignisse in der 6kumenischen Bewegung. Ich deutete schon an, daB Heiler hier dazu anregen kann, einen neuen wissenschaftlichen Standpunkt zu beziehen. Um der Zeit willen beschranke ich mich weiter auf eine Bemerkung iiber seine weitberiihmte Charakteristik der Mystik und der prophetischen Fr6mmigkeit. Heilers Vorliebe fur die Mystik ist begreiflich, wenn man liest, daB nach seiner Meinung es "die hohe Aufgabe der Religionswissenschaft ist, das religi6se Innenleben aufzu- decken" (Katholischer und evangelischer Gottesdienst, S. 3). Bei den Mystikern kann man in der Tat bis zu dieser innerlichen Fr6mmig- keit vordringen. Doch gibt es auch Formen der Religion, in denen die pers6nlichen Erfahrungen vollkommen verschleiert sind. In den alt- agyptischen Dokumenten zum Beispiel kommen Zeugnisse von indivi- duellem Glauben aufBerst selten vor. Wir kennen hauptsichlich die Staatsreligion. Hinter den Mythen und Riten, die wir in den Texten finden, liegt aber eine groB3artige Vision verborgen, eine tiefe Einsicht in das ratselhafte Verhiltnis von Leben und Tod. Das ist echte Reli- gion, wenn sie auch nicht von emotionaler Art ist.

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Wir miissen, wie mir scheint, bedenken, daB der religi6se Mensch in drei Dimensionen lebt. Er ist in erster Linie Mensch, mit alien anderen Menschen, sodaB3 er sagen kann: homo sum, ac nil humani a me alienum puto. Nichts Menschliches ist mir fremd. Aus diesem Grund hat er, zweitens, Anteil an einer allgemein menschlichen Reli- giositat, von Heiler genannt "Die Grundformen des religi6sen Lebens", z.B. Liebe, Vertrauen, Freude. Doch der Glaubige lebt erst richtig in der dritten Dimension, in der typischen Glaubenserkenntnis seiner Religion, die eine charakteristische Struktur hat. Fur dieses Erkennen Gottes, diese Gnosis, diese "godgeleerdheid", wie sie auf Hollandisch heif3t, hat Heiler zu wenig offenen Blick gehabt. Denn z.B. in der Mystik geht es nicht nur um die Ekstase, sondem eben so sehr um das Schauen, um das Kennenlernen der Herrlichkeit Gottes. Und in dem Buddhismus ist die "Versenkung" das Mittel, um das Nirvana zu erreichen. Doch niemand kann auf diesem Pfad wandeln, der nicht erst die erl6sende Erkenntnis erworben hat. So besteht alle Veranlassung Heilers Gedankengange sowohl die iiber die Mystik als auch die iiber den Prophetismus aufs Neue zu priifen im Licht dieser leider allzu kurzen Bemerkungen.

Es ist in der abgelaufenen Dreiviertelstunde viel iiber Heiler ge- sprochen worden, und doch viel zu wenig, denn man wird nicht so rasch fertig mit diesem vielseitigen Gelehrten. Es ist nicht mehr als recht und billig, da13 er selbst das letzte Wort bekommt. Ich zitiere aus dem SchluBabsatz von seiner Predigt iiber "Das Geheimnis des Gebetes" folgende Satze: "Das Gebet ist nicht Menschenwerk, sondern Gottes Werk, nicht Menschenerfindung, sondem Gottes Offenbarung, nicht Menschenleistung, sondern Gottes Gnade. Wir miissen, so un- gereimt das auch den klugen Vemunftmenschen klingen mag, beten um das Gebet".

Amsterdam, C. Jouco BLEEKER

Churchill-laan 29go

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DIE 'IDEOLOGIEKRITISCHE' FUNKTION DER RELIGIONSWISSENSCHAFT

In den meisten der sog. gesellschafts- oder geisteswissenschaftlichen Disziplinen ist 'Ideologiekritik' ein haufig diskutiertes Schlagwort, das sich groBer Beliebtheit erfreut. Von Philosophie und Soziologie an- gefiihrt, die diesen Begriff iiberhaupt erst aus der Taufe hoben, haben Geschichts-, Literatur-, Sprach- und Kunstwissenschaft sich zu- nehmend 'ideologiekritisch' in den lezten Jahren beschaftigt (um nicht zu sagen "gebardet") und ohne Zweifel gewichtige Erkenntnis- fortschritte auf ihren Gebieten gemacht. Eine gewisse Ausnahme stellt die Religionswissenschaft (= Rw) dar, da sie in diesem Strom nicht mitschwamm. Die Griinde dafiir werden wir noch zur Sprache bringen; sie sind unterschiedlich, wissenschaftsgeschichtlicher und methodischer Herkunft. Es wird aber an der Zeit, dab sich auch die Rw ernsthaft mit dieser Problematik beschaftigt, nicht nur weil sie vom wissenschaftlichen Standpunkt opportun ist, sondern weil sich hinter ihr die unmittelbar politisch-gesellschaftliche Wirklichkeit un- serer Zeit zu Wort meldet.

Meine Ausfiihrungen konnen nur erste tUberlegungen zu diesem aktuellen Thema sein. 1 Bereits anlai3ich des lezten (I3.) "Interatio- nalen Kongresses fur Religionsgeschichte" in Lancaster I975 (I5.-

22. August) habe ich wenigstens schriftlich ein kurzes Resumee ein- gereicht, das meine Gedanken dazu enthielt, inzwischen aber gewisse Anderungen erfahren hat. An das Problem la3t sich gut in dreierlei Weise herangehen: zunachst durch eine kurze Verstandigung iiber die Begriffe 'Ideologie' und 'Ideologiekritik' und ihre Beziehung zu 'Religion' und 'Religionswissenschaft' (I), dann ein Ausflug in die Geschichte, der den Wandel im Verhaltnis von Rw und 'Ideologie- bzw. 'Religionskritik' umreif3en und verstandlich machen soll, warum sich die Rw in der ideologiekritischen Debatte bisher zuriickhielt (II),

1 Sie sind Grundlage eines am I5.II.I976 im "Institut fur Judaistik" der Universitat Wien gehaltenen Vortrages. Herrn Koll. Prof. K. Schubert bin ich fur diese M6glichkeit zu groBem Dank verpflichtet, ebenso dankbar gedenke ich der lebhaften und anregenden Diskussion, die sich meinen Ausfiihrungen an- schloB und deren Ergebnisse im vorliegenden Druck teilweise eingegangen sind.

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schlieBlich sind die Schwerpunkte und Aufgaben der religionswissen- schaftlichen Ideologiekritik mit ihren praktischen Konsequenzen darzu- legen (III). Alles das natiirlich nur in der notwendigen Kiirze.

I.

I. i. 'Ideologie' ist eines der gegenwartig gangigsten Schlagworte, iiber dessen Herkunft und Bedeutung man sich vielfach ausschweigt, um so mehr man es verwendet. Seinen Ursprung hat das Wort im franz6sischen (materialistischen) Sensualismus des spaten I8.Jh.s. 2 Abbe Bonnot de Condillac (I735-80) hatte mit der Analyse des menschlichen BewuBtseins als einer Umsetzung von sinnlichen Wahr- nehmungen begonnen und fand in dem Physiologen Cabanis (I757-

I808) und dem Grafen Destutt de Tracy (1754-1836) einfluBreiche Nachfolger, die man als 'Ideologen' bezeichnete, da sie die psychologi- sche Zergliederung der menschlichen Vorstellungen (Ideen) als Haupt- aufgabe der Philosophie betrachteten. In seinen 5 bindigen Iflements d'ideologie (I80I-I805), die nur einen Teil des geplanten Werkes aus- machen, hat de Tracy u.a. die Entstehung der Ideen (Ideologie) im sensualistischen Sinne ausgefiihrt, und dies machte ihn zum Vater des Ideologismus, der fast das ganze 19. Jh. in Frankreich Mode war.

Da diese 'Ideologen' aus ihren Ergebnissen auch praktische Regeln fur Erziehung, Staat und Recht ableiteten, kamen sie mit den Herrschen- den in Konflikt, und kein geringerer als Napoleon I. hat sich iiber sie sehr geringschitzig geauf3ert, indem er sie fiir weltfremde Theoreti- ker erklarte, deren Ideen nur Hirngespinste und nutzlose Lehren seien, die praktisch keine Bedeutung hatten. 3 Damit war der Begriff schon gleich anfangs auch im negativen Sinne stigmatisiert worden, was seine Wirkung bis in die Gegenwart hinein gehabt hat. Ein 'Ideo-

2 Dariiber orientiert kurz H. Gouhier, L'ideologie et les ideologies, in:

Demythisation et Ideologie. Actes du Colloque organise par Centre Interna- tionale d'Etudes humanistes et par l'Institut d'Pltudes philosophiques de Rome, Rome 4-9 Jan. 1973, aux soins de Enrico Castelli, Paris (Aubier) 1973, S. 83-92 (m. Lit.). Uber de Condillac und de Tracy s. auch H. Barth, Wahrheit und Ideologie, Frankfurt/M. 1974 (Suhrkamp tw 68), I3ff. Condillacs "Essai iiber den Ursprung der menschlichen Erkenntnisse" liegt jetzt in einer neuen dt.

Ubersetzung u. mit ausfiihrlicher Einleitung von U. Ricken bei Reclam (Leipzig 1977) vor.

3 Vgl. Gouhier, a.a.O. S. 85f; Barth, a.a.O. S. 22ff. Das Bonmot Napoleons wird von seinem Sekretar Bourienne iiberliefert (Memoires, zit. bei F. Brunot, Histoire de la langue francaise des origines a nos jours, t. X, IIe partie 650 n. 2).

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loge' ist ein 'Philosoph', der sich mit wirklichkeitsfremden Dingen beschaftigt (in Frankreich war lange Zeit Ideologe und Philosoph identisch). So haftete dem Wort 'Ideologie' von vorherein ein Gegen- satz zu Praxis und Politik an.

Eine Weiterverfolgung der Wort- und Bedeutungsgeschichte dieses Begriffs kann hier nicht erfolgen. Bekannt ist, dag K. Marx und F. Engels den Begriff im zeitgenossischen Sinne aufgegriffen haben. 4 In ihrer zu Lebzeiten unveroffentlichten "Deutschen Ideologie" (ver- faBt I845/46; postum verbffentlicht I932) ist Ideologie zwar weithin negativ verwendet zur Umschreibung der (damals) "neuesten deutschen Philosophie in ihren Reprasentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten"

(Untertitel). Aber es gibt auch eine allgemeine Bedeutung des Wortes i.S. eines Teiles (w6rtlich: "eine der Seiten") der menschlichen Ge- schichte, der allerdings eine "verdrehte Auffassung dieser Geschichte"

oder "eine ganzliche Abstraktion von ihr" enthalt. 5 Es ist die mensch- liche bewu3te Vorstellungswelt, die damit gemeint ist, von der Marx und Engels nachwiesen, da3 sie ihren Ursprung in konkreten gesell- schaftlichen, politisch-okonomischen Bedingungen haben, auch wenn sie nicht mit ihnen konform geht. Sehr kraB sagen Marx und Engels an einer Stelle des zitierten Buches gegeniiber Max Stimer: "Die samtlichen 'Gespenster', die wir Revue passieren lie3en waren Vor- stellungen. Diese Vorstellungen, abgesehen von ihrer realen Grundlage (von der Stirner absieht), als Vorstellungen innerhalb des BewuBtseins, als Gedanken im Kopfe der Menschen gefaBt, aus ihrer Gegenstind- lichkeit in das Subjekt zuriickgenommen, aus der Substanz ins Selbst- bewuBtsein erhoben, sind - der Sparren oder die fixe Idee". 6 Die 'Ideologie' der Linkshegelianer besteht also darin, daB sie die Ideen, wie schon ihr Vater Hegel, als die treibenden Krafte der Geschichte an- sehen, diese damit zu einer "Geister- und Gespenstergeschichte" machen, statt beim "wirklichen Leben", 7 der "empirischen Geschichte" 8 als

4 Vgl. Gouhier, a.a.O. S. 86ff; H. Barth, a.a.O. S. 74f. Marx bezieht sich ausdrucklich auf die Einschatzung Napoleons: MEGA III 299 (zit. bei Barth S. 303 A. 39).

5 So in einer im Manuskript gestrichenen Stelle: Marx/Engels, Werke Bd. 3, S. I8.

6 Ebd. S. I43.

7 Ebd. S. 27.

8 Ebd. S. 113.

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der wahren Grundlage der Ideengeschichte einzusetzen: damit hat "die wirkliche, positive Wissenschaft" zu beginnen. 9 So zeigt sich hier, daB Marx und Engels einerseits den zeitgemaiien Gebrauch von Ideologie aufnehmen, ihm andererseits aber durch ihre konkret- historische Sicht einen neuen Klang geben, der sich in der Folgezeit als sehr wirkungsvoll bemerkbar macht und von dem noch die moderne Soziologie - iiber die Wissenssoziologie der 2oer Jahre hinweg vielfach bestimmt ist. In einem Brief an F. Mehring vom I4.6.93 schreibt Engels kurz und biindig: "Die Ideologie ist ein ProzeB, der zwar mit BewuBtsein vom sogenannten Denker vollzogen wird, aber mit einem falschen Bewul3tsein. Die eigentlichen Triebkrafte, die ihn bewegen, bleiben ihm unbekannt; sonst ware es eben kein ideologischer ProzeW". 10 Ideologie ist demnach vom Standpunkt des Marxismus vornehmlich verkehrtes BewuB3tsein, das sich kein richtiges Bild von der Geschichte macht und, da die gesellschaftlichen Verhaltnisse es auch nicht erm6glichen, nicht machen kann. Erst die richtige, marxistische Einsicht fiihrt auch zu einem korrekten Bewu3tsein und damit zu einer den tatsachlichen Triebkraften der Geschichte entsprechenden Ideolo- gie. Man spricht deshalb heute auch durchaus von einer "sozialisti- schen Ideologie", 11 die mit dem Marxismus-Leninismus identisch ist.

Ideologie ist nach heutiger marxistischer Auffassung eine bestimmte Summe gesellschaftlicher Anschauungen (wozu Philosophie, Religion, Musik und Wissenschaft geh6ren k6nnen, also der sog. "uberbau"), die einzelnen Klasseninteressen dienen oder das "gesellschaftliche BewuBltsein" 12 der Klassenkrafte. uber ihre Richtigkeit oder Falsch- heit bestimmt die Stellung zu den Auseinandersetzungen der Klassen, der auch ihren Inhalt bestimmt. Ideologie ist danach eine funktio- nale Angelegenheit, keine absolute.

Die nicht-marxistische Auffassung hat demgegenuiber einen unein- heitlichen Charakter und tendiert, soweit ich das iiberhaupt iiber- blicken und beurteilen kann, von einer dem Marxismus verpflichteten Ansicht bis zu den positivistischen Konzeptionen, wie sie sehr ein- fluBreich Theodor Geiger vertrat, fur den Ideologie die Nicht- Ubereinstimmung mit der Wirklichkeit bedeutete, wozu dann alle

9 Ebd. S. 27.

10 Marx/Engels, Ausgewahlte Werke, Bd. 6, S. 596.

11 G. Klaus/M. Buhr, Philosophisches W6rterbuch, Leipzig7 1970, Bd. I, 505.

12 Ebd. S. 506.

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metaphysischen und theologischen Aussagen geh6rten, da sie ihre subjektiven Werturteile als objektive Erkenntnisaussagen von "Ist- Charakter" ausgeben. 13 Der von Kurt Lenk herausgegebene Band

"Ideologie" macht die Disparatheit mehr als deutlich. 14 Nicht einmal der Herausgeber wagt sich an eine Definition des Wortes, sonder umschreibt die verschiedenen Standpunkte in einer phanomenologisch- typologischen Ubersicht. FaB3t man Ideologie einmal neutral i.S. eines wissenschaftlichen terminus technicus, so miigte man streng genommen bei seinem Ursprung und seiner sprachlichen Grundbedeutung an- setzen und ihn als "Lehre von den Ideen" bestimmen. Da dies aber zu unhistorisch ist und der bald 200-jahrigen Verwendung und Debatte nicht entsprechen wiirde, ist es m.E. besser, unter diesem Begriff die historisch entstandenen und weltanschaulich gepragten Vorstellungen der Menschen zu verstehen, die ihr Denken, Empfinden und Verhalten in ausschlaggebender Weise bestimmen. 15 Die Vielfalt, die dabei in einen unanschaulichen abstrakten Begriff zusammengezogen wird, la3t sich bei der Anwendung nur wieder zur Geltung bringen, indem man ihn der konkret historischen oder philosophischen Arbeit dienstbar macht. Dabei wird sich auch durch selbstkritische Reflexion zu be- wahren haben, ob der so verwendete Ideologiebegriff selbst ideologisch

13 Th. Geiger, Ideologie und Wahrheit. Eine soziologische Kritik des Denkens, I. Aufl. Wien 1953, 2. Aufl. Neuwied/Rh. (Luchterhand), I968. An Geiger kniipft u.a. K. Acham, Vernunft und Engagement, Wien 1972, S. 22ff ausdriick- lich an (s.u. A. I5).

14 "Soziologische Studientexte" bei Luchterhand/Neuwied a. Rhein, 4. Aufl.

I970.

15 Damit umgehe ich die rein pejorativ und am exakten Wissenschafts- ideal orientierte Definition von K. Acham, a.a.O. S. 20 u. 216, der sich dabei auf W. Hofmann, Wissenschaft, in: Arch. f. Rechts- u. Sozialphilosophie 53, 1967, 197-213, bes. 2oIf beruft: "Ideologien sind unzutreffende Auffassungen und Aussagen, an deren Entstehung, Verbreitung und Bewahrung sich gesell- schaftliche Interessen kniipfen". Letzteres ist unbestritten, ersteres ein erst nachtraglich mit der Wahrheitsfrage verbundenes, nicht rein objektives Urteil.

Acham, der sich an Geiger orientiert (s.o. A. I3), sieht in der Ideologie eine

"Festhaltung iiberholter Auffassungen", eine "Scheintheorie" (2I), die "stets hinter der bereits m6glich gewordenen oder bereits einmal erreichten Einsicht"

zuriickbleibt und damit den Charakter des "denkgeschichtlichen Regresses" tragt (216), muB davon aber noch zusatzlich (wie W. Hofmann a.a.O.) den "Irrtum"

unterscheiden (21). Der Bezug ist hier die Wissenschaftstheorie und philoso- phische (gnoseologische) Weltdeutung als die von uns anvisierte allgemeine Vor- stellungswelt als Ideologie, in die jene zwar eingehen und wirksam sind, aber nur einen Teil (z.B. betr. der Religion) bilden.

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anfallig geworden ist; er darf sich gegen eine Selbstanwendung nicht abschirmen. 16

Diese langere Einleitung zum Ideologieverstindnis war unumgang- lich, da sie fur unser Thema grundlegend ist. Es ergibt sich nam- lich jetzt die Frage, inwieweit das, was man herkommlich unter "Re- ligion" versteht, unter dem Begriff "Ideologie" subsumieren kann.

Gemacht worden ist es schon haufig, auch soweit gehend, daB3 man kaum noch differenzierte und z.B. Religionsgeschichte in Ideologie- geschichte aufl6ste. Ohne hier an eine langere Diskussion anzukniipfen, m6chte ich meine Meinung dazu folgendermaBen zusammenfassen:

Religion, um diesen unhistorischen Begriff in der Einzahl einmal bequemerweise zu verwenden, ist nur teilweise unter Ideologie im oben genannten Sinne einzuordnen, denn sie umfaBt in ihren histori- schen und gegenwartigen Gestalten mehr als nur "Ideen", bzw. Vor- stellungen. Der ganze Kult und die Organisation (Priesterschaft!), abgesehen von den durch sie gepragten Lebensformen, lassen einen betrachtlichen Teil dessen, was man bei den einzelnen Religionen und Religionsformen vorfindet und zu ihnen auch wesenhaft gehort, aus dem Ideologiebegriff herausfallen. Erscheinungen, wie die christlichen Kirchen - ganz deutlich bei der r6misch-katholischen Kirche - oder des traditionellen Lamaismus, sind zwar von einer

"religi6sen Ideologie" bestimmt, die ihr Wesen iiberhaupt ausmacht, aber sie ist nur die eine Seite, die andere wird von der Praxis und dem Leben in Kult, Ethik, gesellschaftlicher Organisation eingenom- men. Religion besteht, um es einmal so zu formulieren, aus einer

"Ideologie", d.h. einer "religi6sen Ideologie" oder "Ideologie einer Religion" und einer sozialen, politischen und ethisch-moralischen Praxis. Da13 hierbei die verschiedenen historischen und gesellschaft- lichen Verhaltnisse von EinfluB3 und Bedeutung fur die jeweiligen Formen sind, versteht sich von selbst und braucht in diesem Zusammen- hang nicht ausgefiihrt zu werden.

I. 2. Im Schatten der Anwendung von 'Ideologie' findet sich fast stindig die Ideologiekritik, mit der wir uns nunmehr beschaftigen miissen. Schon der tUberblick iiber einige Seiten der Geschichte des

16 Vgl. R. Bubner, in: Hermeneutik und Ideologiekritik. Theorie-Diskussion.

Suhrkamp-Verlag, Frankfurt/M. I975, S. 237. Zur Kritik am soziologischen Ideologismus s. auch H. Barth, Wahrheit und Ideologie, S. 284ff,

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