• Keine Ergebnisse gefunden

Grenzbahnhöfe der SBB aus kultur- und verkehrshistorischer Perspektive

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Grenzbahnhöfe der SBB aus kultur- und verkehrshistorischer Perspektive"

Copied!
67
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Grenzbahnhöfe der SBB aus kultur- und verkehrshistorischer Perspektive

Ein Überblick über Wissen und Forschungslücken zur Geschichte der Schweizer Grenzbahnhöfe im Auftrag der Fachstelle für Denkmalpflege der Schweizerischen Bundesbahnen SBB

Zweite, ergänzte Version Januar 2016

2 Erika Flückiger Strebel, Dr. phil.

Büro für historische Angelegenheiten

Schlossmatte 38, 3185 Schmitten www.ef-geschichte.ch

(2)

Die vorliegende Studie hat zum Ziel, aus dem Vergleich der vorhandenen Literatur zu den Schweizer Grenzbahnhöfen neue Erkenntnisse und Thesen zu ihrer kultur- und verkehrshistorischen Bedeutung zu formulieren. Sie schliesst damit eine Wissenslücke, da die Geschichte der Grenzbahnhöfe bisher nur an wenigen Einzelbeispielen und meist aus einer architekturhistorischen Perspektive aufgearbeitet worden ist. In einem ersten Teil stellt die Studie deshalb die vorhandenen historischen Fakten aller Grenzbahn- höfe der Schweiz zusammen. Der verkehrshistorische Vergleich dieser Fakten macht deutlich, dass die Entstehung der Schweizer Grenzbahnhöfe in zwei verschiedene Phasen der Eisenbahngeschichte fiel und stark vom Ausland beeinflusst war. Er deckt aber auch grosse Wissenslücken zum grenzüberschreitenden Verkehr auf, der bisher kaum erforscht wurde. Über Literatur aus der Tourismus-, Migrations- und militär- historischen Forschung verweist ein dritter und abschliessender Teil der Studie auf die vielfältigen kultur- und sozialhistorischen Dimensionen der Grenzbahnhöfe.

Fazit der Studie ist die Erkenntnis, dass die Grenzbahnhöfe als Schnittstellen zwischen nationalen Ver- kehrssystemen, als Tore zur Fremde und zum Reiseland Schweiz sowie als Brennpunkte der Migration the- menreiche Zeugen der modernen Verkehrs-, Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Schweiz sind, deren gründliche Erforschung über Archivquellen und statistische Daten zwar aufwendig, aus geschichts- wissenschaftlicher Perspektive aber als lohnenswert zu erachten ist.

(3)

Inhalt

1. Einleitung ... 4

1.1. Fragestellung und Ziel der Studie ... 4

1.2. Zum Begriff «Grenzbahnhof» ... 4

1.3. Forschungsstand und Methode ... 5

2. Die Grenzbahnhöfe der Schweiz im chronologischen Überblick ... 6

2.1. Basel ... 6

2.1.1. Basel Französischer Bahnhof (1844/45) ... 6

2.1.2. Basel Centralbahnhof / SBB (1854/60) ... 7

2.1.3. Basel Badischer Bahnhof (1855/62) ... 9

2.2. Romanshorn (1855)... 11

2.3. Genève–Cornavin (1858) ... 13

2.4. Koblenz (1859) ... 17

2.5. Schaffhausen (1857/63) ... 18

2.6. Les Verrières (1860) ... 19

2.7. Vallorbe (1870) ... 20

2.8. Kreuzlingen–Konstanz (1871)... 22

2.9. St. Margrethen (1872) ... 23

2.10. Buchs SG (1872) ... 23

2.11. Delle–Porrentruy (1872) ... 25

2.12. Etzwilen (1875) ... 26

2.13. Chiasso (1876) ... 28

2.14. Luino (1882) ... 29

2.15. Col-des-Roches (1884) ... 29

2.16. Le Bouveret – St-Gingolph (1886) ... 30

2.17. Genève–Eaux-Vives (1888)... 31

2.18. Brig (1906) ... 32

2.19. Tirano (1908) ... 34

3. Schweizer Grenzbahnhöfe aus verkehrs- und wirtschaftshistorischer Perspektive ... 35

3.1. Grenzbahnhöfe im Kontext der nationalen und internationalen Eisenbahngeschichte ... 35

3.2. Grenzüberschreitender Bahnreiseverkehr – eine kaum fassbare Grösse ... 37

3.3. Verkehrstechnische Besonderheiten von Grenzbahnhöfen ... 39

3.4. Die wirtschaftshistorische Bedeutung der Schweizer Grenzbahnhöfe ... 42

4. Schweizer Grenzbahnhöfe aus kulturhistorischer Perspektive ... 44

4.1. Internationaler Reiseverkehr und Tourismus ... 44

4.1.1. Allgemeine Entwicklung ... 44

4.1.2. Grenzüberschreitende Luxuszüge ... 44

4.1.3. Schweizer Grenzbahnhöfe auf der Expressroute zum Orient ... 47

4.1.4. Anforderungen des Reiseverkehrs an Infrastrukturen des Grenzübertritts ... 48

4.2. Migration: Grenzbahnhöfe als Brennpunkte der Aus- und Einwanderung ... 51

4.2.1. Emigration über Schweizer Grenzbahnhöfe ... 51

4.2.2. Immigration ... 52

4.2.3. Grenzsanitäten als integraler Bestandteil der Infrastruktur von Grenzbahnhöfen ... 55

4.3. Schweizer Grenzbahnhöfe im Krieg ... 59

5. Zusammenfassung und Fazit ... 63

6. Bibliographie ... 65

6.1. Unveröffentlichte Literatur und Inventare ... 65

6.2. Literatur ... 65

(4)

1. Einleitung

1.1. Fragestellung und Ziel der Studie

Die vorliegende Studie hat zum Ziel, die Schweizer Grenzbahnhöfe aus einem verkehrs- und kulturhistori- schen Blickwinkel zu untersuchen und – falls es Literatur- und Quellenlage erlauben – erste Schlüsse zu ihrem Stellenwert zu ziehen. Aus diesem primären Ziel leiten sich folgende themenbezogenen Fragen ab:

 Was charakterisiert einen Grenzbahnhof im Allgemeinen und einen Schweizer Grenzbahnhof im Speziellen?

 Welches sind die Grenzbahnhöfe der Schweiz? Und in welchen verkehrshistorischen Phasen und Zusammenhängen sind sie entstanden?

 Welche Bedeutung haben die Grenzbahnhöfe in der verkehrs- und wirtschaftshistorischen Ent- wicklung der Schweiz? Welche Rolle spielen Grenzbahnhöfe in der Wirtschaftsgeschichte auf nati- onaler und internationaler Ebene, aber auch in regionaler und lokaler Hinsicht, beispielsweise als Arbeitgeber oder als Nucleus einer regionalen Wirtschaftsentwicklung?

 Welche Rolle kommt den Grenzbahnhöfen in der Kultur- und Sozialgeschichte der modernen Schweizer Geschichte zu, wie etwa im Tourismus, in Migrations-, aber auch in Militär- und Sicher- heitsfragen?

Mithilfe dieser Fragestellungen soll letztlich auch die Frage beantwortet werden, ob dem Grenzbahnhof im Vergleich zum Normalbahnhof aus historischer Sicht eine besondere Bedeutung zukommt.

Der Auftrag der Studie beschränkt sich ausdrücklich auf die Rolle der Schweizer Grenzbahnhöfe im Perso- nenverkehr. Die Aufarbeitung des Güterverkehrs an den Grenzbahnhöfen gehört nicht zum Untersu- chungsgegenstand. Er wird aber angesichts des Stellenwerts der Schweiz im internationalen Warentransit im weiteren Verlauf der Arbeit immer wieder Erwähnung finden.

1.2. Zum Begriff «Grenzbahnhof»

Als Grenzbahnhöfe werden Bahnhöfe oder Bahnstationen an der Landesgrenze verstanden, die im Ver- gleich zu anderen Bahnhöfen mit zusätzlichen, der Grenzlage und dem grenzüberschreitenden Verkehr geschuldeten Aufgaben und Infrastrukturen wie Zoll- und Passkontrolle sowie speziellen technischen Ein- richtungen zum Wechsel von einem Bahnsystem zum andern ausgestattet sind. Zumindest in ihrer Pio- nierzeit verfügten viele Grenzbahnhöfe über doppelte Anlagen zur Stationierung der Lokomotiven und Waggons oder zur Lagerung der zu verzollenden Waren, da sie von zwei Bahngesellschaften aus zwei Län- dern betrieben wurden. Heute sind die Grenzbahnhöfe der Schweiz meist Gemeinschaftsbahnhöfe der verschiedenen Bahngesellschaften.1

Basierend auf dieser Definition berücksichtigt die vorliegende Studie lediglich Bahnhöfe an der Landes- grenze, da nur dort ein grenzüberschreitender Bahnverkehr mit Zugskompositionen oder zwischen zwei Bahnsystemen stattfindet. Nicht erfasst werden Bahnhöfe im Inland, die allein aus zolltechnischen Überle- gungen als Grenzbahnhof gelten, weil sie beispielsweise direkt an internationale Flughäfen gekoppelt sind.2

1 Born 1977, 111; Stutz 1983, 49ff, Beitrag «Grenzbahnhof» in Wikipedia, URL https://de.wikipedia.org/wiki/Grenzbahnhof.

2 Vgl. dazu die auf der SBB-Website aufgeführte Liste der Schweizer Grenzbahnhöfe im Internet unter https://www.sbb.ch/infos/grenz- bahnhof.html.

(5)

1.3. Forschungsstand und Methode

Eine Studie zur Geschichte der Grenzbahnhöfe existiert weder zur Schweiz, noch zu Europa. Dies hat pri- mär damit zu tun, dass die Verkehrsgeschichte die Eisenbahn lange bloss als Teil der Nationalstaatenbil- dung behandelte und kaum als grenzüberschreitendes Verkehrsmittel wahrnahm, obwohl man sich dieser Lücke bereits Mitte der 1990er-Jahre bewusst war.3 Dazu kommt, dass sich ein Grossteil der Eisenbahnli- teratur bis in die jüngste Zeit auf die isolierte Darstellung technischer Objekte und Prozesse beschränkte, ohne die Entwicklung der Eisenbahn als modernes Verkehrsmittel in einen gesellschaftlichen und wirt- schaftlichem Kontext zu stellen.4 Mit Ausnahme von eher populärwissenschaftlichen Büchern über die Reisekultur in internationalen Luxuszügen während der Belle Epoque und der wilden Zwanzigerjahre en- deten Studien zur Eisenbahngeschichte meist an nationalen Grenzen.5 Aber auch die Tourismus- und Mig- rationsforschung hat sich erst in jüngster Zeit zur Rolle der Eisenbahn als entscheidender Faktor des mo- dernen Tourismus und der Wanderungsbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert geäussert.6

In der Schweiz hat sich bisher nur Mario König mit seiner Studie zur Verbindungsbahn in Basel der histori- schen Aufarbeitung des grenzüberschreitenden Verkehrs angenommen. Auch er hat mit Erstaunen festge- stellt, dass die Basler Verbindungsbahn letztlich eine Fussnote der Geschichte geblieben ist, obwohl ihr doch als wichtiges Glied in der Gotthard-Transitachse und verkehrspolitisches Einfallstor zur Schweiz grosse Bedeutung zukomme.7 Nicht nur dank seiner Arbeit gibt es zu den Grenzbahnhöfen in Basel mit Abstand am meisten Literatur, die der vorliegenden Studie zumindest ansatzweise erste Antworten liefern können. Andere Grenzbahnhöfe sind dagegen nur rudimentär dokumentiert, so dass sich ihre kultur- und verkehrshistorische Bedeutung kaum oder nur ansatzweise erfassen lässt.

Da sich die vorliegende Studie auf eine Sichtung der Literatur beschränkt, kann sie zu einigen Fragestellun- gen erst vage Thesen formulieren. Eine umfassende Aufarbeitung von Quellenmaterialien in den Archiven der SBB und der Bundesverwaltung könnte diese Lücke füllen und die Thesen verifizieren helfen. Sie würde den Umfang dieser Studie jedoch weit übersteigen, da nicht nur in diesen Archiven, sondern auch in den diversen Staatsarchiven umfangreiches Aktenmaterial zu sichten wäre. An dieser Stelle sei lediglich auf die wichtigsten Quellenbestände hingewiesen: Im SBB-Archiv finden sich beispielsweise Akten aus ver- schiedenen Phasen der Eisenbahngeschichte zur Regelung der Grenzaufenthalte von internationalen Rei- sezügen und zur Grenzkontrolle der Passagiere, aber auch zu speziellen Vorgaben für den Grenzverkehr während Kriegszeiten. Situations- und Baupläne wie etwa zu den Emigranten-Wartsälen in Buchs oder Ba- sel könnten neue Informationen zur Migrationsgeschichte liefern. Daneben liessen sich aus den Archivbe- ständen der Eidgenössischen Zollverwaltung und des Gesundheitswesens im Bundesarchiv neue Aussagen zur Geschichte der juristischen und sanitären Grenzkontrolle an den Grenzbahnhöfen gewinnen.

Leider kann sich die Studie auch kaum auf quantitatives Material stützen. Einzig zu den 1970er-Jahren liegt eine Erhebung der Kommission für die Gesamtverkehrskonzeption der Schweiz vor, die einen ersten stichprobenartigen Eindruck zur unterschiedlichen Grösse des grenzüberschreitenden Personenverkehrs an den Schweizer Grenzbahnhöfen vermittelt. Eine serielle Datenreihe zur Entwicklung des grenzüber- schreitenden Bahnverkehrs liegt dagegen nur dank Mario Königs Auswertung der Passagierzahlen der Bas- ler Verbindungsbahn von 1875 bis 1975 vor, die zumindest teilweise mit einer Erhebung zu den Genfer Passagier- und Güterzahlen von 1903 bis 1921 ergänzt werden kann.8

3 Balthasar 1993, 9; Cebulla 2003, 24–28.

4 Eine Abkehr von der klassisch-technischen Art der Eisenbahnliteratur haben in der Schweiz vor allem die Arbeiten von Thomas Frey, Kilian Elsasser, Anna Amacher, Laurent Tissot und Mario König gebracht.

5 Dazu vorab die Arbeiten von Mühl 1991 und Behrend 1967 und 1977.

6 Vgl. die diversen Arbeiten von Tissot sowie Bertho Lavenir 2008.

7 König 2004, 11.

8 Siehe dazu Kap. 3.2 Grenzüberschreitender Bahnreiseverkehr – eine kaum fassbare Grösse.

(6)

2. Die Grenzbahnhöfe der Schweiz im chronologischen Überblick 2.1. Basel

Die Basler Grenzbahnhofsituation ist insofern eine schweizerische Besonderheit, als sich der Bahn-Grenz- verkehr hier auf ursprünglich drei bzw. zwei Standorte verteilte, nicht zuletzt auch bedingt durch die Schwierigkeit, dass hier nicht nur zwei, sondern drei Länder und damit drei Bahngesellschaften mit unter- schiedlichem politischen und technischen Hintergrund aufeinandertreffen.

2.1.1. Basel Französischer Bahnhof (1844/45)

Basel genoss wegen seiner Lage am Südende der Transitroute entlang der oberrheinischen Tiefebene seit jeher die Aufmerksamkeit seiner Nachbarn Frankreich und Baden–Württemberg, die ihre Bahnlinien bis zur Schweizer Grenze planten, so dass Basel mit seinen damals kaum 35'000 Einwohnern bereits 1855 über drei Bahnanschlüsse verfügte, und zwar ganz ohne eigenes Verdienst.

Der erste Anschluss erfolgte am 15. Juni 1844 mit der Inbetriebnahme der Teilstrecke St-Louis–Basel der Bahnlinie Strasbourg–Basel durch die Chemin de fer de Strasbourg. Das wirtschaftlich bestens vernetzte Basel stand dem Ansinnen der Elsässer Bahn zuerst erstaunlich zögerlich gegenüber, fürchtete man doch um die öffentliche Moral des reformierten Basels durch das Näherrücken des katholischen Frankreichs und stiess sich am Gedanken, dass mit der Bahn auch die französische Zollabfertigung auf Schweizer Terri- torium erfolgen sollte. Nach heftigen Diskussionen entschied man sich, den definitiven Bahnhof am 19. Dezember 1845 innerhalb der Stadtmauern zu eröffnen, um so die Bahnlinie bei Krieg, Aufstand oder Seuchengefahr jederzeit schliessen zu können und um zu verhindern, dass sich vor den Stadtmauern ein

Abb. 2:

Die Bahn als Sehenswürdigkeit:

Trotz des anfänglichen Zögerns der politischen Gremien Basels wird der Bahnhof der französischen Bahn, die man mit der Schweizer Fahne auf dem Bahnhofsgebäude deutlich auf die Schweizer Gebietshoheit hin- weist, rasch zu einer Sehenswürdig- keit. Der Sonntagsspaziergang führt zum Stadttor, das extra für die Pas- sage der Bahn durch die Stadtmau- ern geschlagen wurde, von wo sich die Bahn vortrefflich beobachten lässt. (aus: Huber 2004, S. 7) Abb. 1:

Die bahntechnische Deluxe-Situation Basels Mitte des 19. Jahrhunderts auf einen Blick:

Die Karte von 1854 zeigt die ersten Eisenbahn- linien nach Basel, den provisorischen Bahnhof der Schweizerischen Centralbahn SCB im Os- ten, den französischen Bahnhof der Elsässer Bahn im Westen und den Bahnhof der Badi- schen Bahn im Norden Basels. (aus: Treichler et al. 1996, 18)

(7)

Bahnhofsquartier bildete, dessen Ordnung man nicht kontrollieren konnte. Der Anschluss Basels ans inter- nationale Bahnnetz löste nicht nur in Basel, sondern in der ganzen Schweiz einen Entwicklungsschub aus, nicht zuletzt bedingt durch die Ängste Zürichs, handelspolitisch ins Hintertreffen zu geraten.9 Ab 1860 er- folgte die Ankunft der französischen Bahn im neuen Centralbahnhof Basel.

2.1.2. Basel Centralbahnhof / SBB (1854/60)

Mit der Inbetriebnahme der Teilstrecke Basel–Sissach der Bahnlinie nach Olten eröffnete am 19. Dezem- ber 1854 die Schweizerische Centralbahn an der Langen Gasse in Basel einen ersten provisorischen Bahn- hof, den sie 1860 durch den gemeinsam mit der Französischen Ostbahn betriebenen Centralbahnhof im Zentrum der Stadt ersetzte. Die beiden Bahngesellschaften hatten sich auf einen gemeinsamen Doppel- Kopfbahnhof verständigt, wo die beiden Linien aufeinandertrafen und Platz für den französischen Zoll und die Abfertigung der künftigen Verbindungsbahn zum Badischen Bahnhof ausgespart war.10

Die bereits 1860 eingeplante Verbindungsbahn zum Badischen Bahnhof wurde dann allerdings erst 1873 eröffnet, weil man mit ihr eine blosses Durchfahren der Stadt und einen Einkommensverlust bei Fuhrleu- ten und Herbergenbesitzern befürchtete, die bisher die Reisenden zwischen dem Badischen und dem Schweizer Bahnhof transportiert, verpflegt oder gar beherbergt hatten. Noch sah man sich in Basel nicht als Element im Netzwerk europäischer Bahnverbindungen. Lokale Interessen hatten gegenüber gesamt- schweizerischen Überlegungen Vorrang. Wesentlicher Antrieb für den Bau der Verbindungsbahn war schliesslich die Absicht der Badischen Bahn, im Norden Basels eine Eisenbahnbrücke ins Elsass als Verbin- dung zur französischen Ostbahn zu bauen, was die Gefahr einer Umfahrung Basels drastisch erhöhte.

Zusammen mit der Jura–Bötzbergbahn und der Gotthardbahn bewirkte die Verbindungsbahn eine Ver- kehrszunahme, der die Infrastrukturen des Centralbahnhofs nicht mehr gewachsen waren. Nach der Aus- lagerung des Güterbetriebs in den neuen Rangierbahnhof Wolf 1876 kam es zur Neugestaltung des Perso- nenbahnhofs, den man auf Vorschlag der Bahnbetreiber neu als Durchgangsbahnhof anlegte. Nach einer

9 Balthasar 1993, 21; Bauer 1947, 28; König 2004, 16-17; Stutz 1983, 119.

10 Huber 2004, 10-13; König 2004, 17; Stutz 1983, 149ff.

Abb. 3 und 4: Angepasst an die Basler Grenz- lage und den Betrieb durch zwei Bahngesell- schaften: der Basler Centralbahnhof von 1860 mit einer gemeinsamen Schalterhalle in der Mitte sowie einem schweizerischen West- und einem französischen Ostflügel. (aus: Hu- ber 2004, 12-13)

(8)

längeren Bauzeit nahmen die Schweizerischen Bundesbahnen als Rechtsnachfolger der SCB den neuen Bahnhof Basel SBB am 24. Juni 1907 in Betrieb. 11

Die für einen Grenzbahnhof charakteristischen Räume, also die Zollabfertigung der Schweiz und Frank- reichs sowie die Wartsäle für den internationalen Verkehr mit Frankreich und Deutschland, liegen alle im

westlichen Trakt des Elsässerbahn- hofs. Bei der Planung dieses Gebäude- flügels ging man auch auf die Wün- sche der Zollverwaltungen ein, sollten doch «die Fremden aus Deutschland auf dem kürzesten Weg den Schwei- zerzoll passierend zur schweizerischen Abteilung des Bahnhofes gelangen»

und die An- und Abreisenden der El- sässerbahn sich bereits vor den Wartsälen und nicht erst danach kreu- zen, womit offenbar «einem ausdrück- lichen Begehren der deutschen Zoll- verwaltung entsprochen wurde».12

11 König 2004, 43; Stutz 1983, 227.

12 Schweizerische Bauzeitung 43/12 (1904), 140.

Abb. 5 (links):

Das Aufnahmegebäude des Bahnhofs Basel SBB mit seiner impossanten Fassade sowie Kut- schentaxis und Tramhaltestelle um 1907 (Sammlung H.

Schwabe, in: Pleuler 1982, 23)

Abb. 6 (unten):

Grundriss vom Erdgeschoss des Aufnahmegebäudes von Basel SBB 1907 mit den für einen Grenzbahnhof charakteristi- schen Zollabfertigungsräumen im Westteil. (Huber 2004, 28)

Abb. 7: Die Aufnahme von 1924 dokumentiert nicht nur die Eröffnung des elektrischen Betriebs in Basel SBB, sondern zeigt auch (rechts) die Kopfge- leise der Verbindungsbahn zum Badischen Bahnhof. (aus: Pleuler 1982, 41)

(9)

2.1.3. Basel Badischer Bahnhof (1855/62)

Obwohl unter Baden–Württembergischer Bauherrschaft erstellt und in deutschem Besitz, gilt der Badi- sche Bahnhof in Basel auch als Schweizer Grenzbahnhof, weil er auf Schweizer Boden steht und seit Be- ginn eine Schweizer Zollabfertigung hat.

Im März 1838 und damit im Vergleich zur schweizerischen Entwicklung sehr früh begann das Grossherzog- tum Baden mit dem Bau einer Bahnlinie Mannheim–Freiburg. Obwohl sich eine Basler Delegation bereits kurz nach Baubeginn für ihre Weiterführung bis nach Basel einsetzte, konnte man wegen planerischer Dif- ferenzen zwischen Baden und Basel erst 1855 einen provisorischen und 1862 einen definitiven Bahnhof in Kleinbasel (am heutigen Riehenring) eröffnen. Bereits das erste Aufnahmegebäude des Badischen Bahn- hofs wurde dominiert von den Bedürfnissen der Zollabfertigung, denen man den gesamten Mittelteil re- servierte, während Wartsäle, Restauration, Diensträume, Post und Polizei in den Seitenflügeln unterge- bracht waren.13

Nach Erweiterungen 1867/68 durch die Inbetriebnahme der Linie Basel–Konstanz und 1873 durch die Er- öffnung der Verbindungsbahn nach Basel Centralbahnhof machten die Zunahme des Bahnreiseverkehrs und städtebauliche Erwägungen einen Neubau und die Verlegung des Badischen Bahnhofs um 750 Meter an die damalige Peripherie Kleinbasels notwendig.14

Abb. 9: Der Badische Bahnhof von 1913 (aus: Strub 1914, 181)

13 Stutz 1983, 153ff.

14 Pleuler 1982, 34-36; Strub 1914, 182.

Abb. 8:

Der erste Badische Bahnhof vor Eröff- nung der Verbindungsbahn. Pferde- droschken sorgen für den Transport der Reisenden zum Basler Central- bahnhof. Datum und Urheber der Fo- tografie unbekannt. (aus: König 2004, 37)

(10)

Das Aufnahmegebäude des 1913 eröffneten neuen Badischen Bahnhofs Basel zeichnete sich durch eine Raumaufteilung aus, die sowohl den Bedürfnissen des grenzüberschreitenden wie des landesinternen deutschen (Freiburg–Basel–Konstanz) und Schweizer (Riehen–Basel SBB) Verkehrs geschuldet war. Sie kanalisierte den Zugang zum Schweizer Bahnhof durch den Turm im rechten Flügel und denjenigen zum deutschen Bahnhof durch den Giebelbau im linken Flügel und sah eine klare Trennung zwischen deut- schem und Schweizer Zollgebiet vor. Der Bahnhof galt zu Recht und nicht nur in Architekturkreisen als Vorzeigemodell für eine mustergültige Abwicklung komplexer Ein- und Ausreiseabläufe.

Abb. 10: Grundriss vom Erdgeschoss der Deutschen Seite (linker Flügel) des Badischen Bahnhofs mit der Besonderheit des ausschliesslich dem Grossherzog von Baden und seinem Gefolge vorbehaltenen Fürstenraumes (ganz links). Normalsterbli- che Reisenden gelangten vom strassenseitigen Eingang über die Schalterhalle zuerst in die Räume des deutschen Zolls. Erst danach schlossen Wartsäle, Restaurant, Coiffeursalon und Sanitäranlagen an. Über einen Perrontunnel (im Bild oben) er- reichte man die Gleisanlagen. (aus: Schweizerische Bauzeitung 64/20 (1914), 216)

Abb. 11: Grundriss vom Erdgeschoss der Schweizer Seite (rechter Flügel) des Badischen Bahnhofs. Hier erfolgte der Zugang zu den Schweizer Zügen direkter als im deutschen Teil, weil die Billette nicht mehr in einer Schalterhalle, sondern bei Auto- maten bezogen wurden – eine für die damalige Zeit äusserst fortschrittliche und noch kaum bekannte Lösung! Wer Richtung Deutschland weiterreist, durchläuft gemäss Plan eine «Zollabschlusskette» des Schweizer Zolls, die mit einem Abschlussgit- ter vom Durchgang für «deutschbleibenden Verkehr» abgetrennt war. (aus: Schweizerische Bauzeitung 64/20 (1914), 217)

(11)

Aus migrationshistorischer Perspektive besonders bemerkenswert ist der Wartsaal für ausländische Arbei- terinnen und Arbeiter im Untergeschoss, der über eine Treppe im deutschen Flügel (zwischen Zollhalle und Sanitäranlagen) zu erreichen war und im Volksmund den Namen «Italiener-Wartsaal» trug.15 Anders als bei der alten Anlage, richtete man nun zwei extralange, mit Zollaufbauten bestückte Bahn- steige für die Zollabfertigung durchfahrender Züge ein. Mit 520 Metern hatten sie die Länge zweier Züge, so dass «jeder Zug erst ganz auf eigenem Zollgebiet abgefertigt werden kann, um dann ins fremde über- führt zu werden». 16 Die internationalen Bahnsteige waren eine Reaktion auf die veränderten und be- schleunigten Abläufe im grenzüberschreitenden Reiseverkehr, wo Reisende in unveränderten Zugskompo- sitionen oft mehrere Länder durchreisten und im Interesse einer effizienten Zollabfertigung nicht mehr das Perron zu verlassen brauchten. Ein Reisebericht anfangs der 1960er-Jahre liefert einen Einblick in die Zollabfertigung dieser Züge, welche die Schweiz innerhalb weniger Stunden passierten: «Obwohl auf schweizerischem Boden gelegen, ist doch der Badische Bahnhof in Basel ein typisch deutscher Bahnhof, der mit Hochbahnsteigen ausgestattet ist. Nichtreisende haben zu ihm keinen Zutritt. [...] Der Amsterdamer Zugteil [des Italia-Express] erreicht Basel Badischer Bahnhof um 01.45 Uhr morgens. Die deutsche Pass- kontrolle erfolgt während der Rangierbewegungen. Die schweizerischen Zollbeamten begnügen sich mit Stichproben, da der Zug ja ohnehin um halb acht Uhr morgens die Schweiz wieder verlässt.»17 Besagter Italia-Express fuhr noch bis 1964 über die Linie der Verbindungsbahn nach Basel SBB, bis man ihn zur Ent- lastung der Verbindungslinie direkt zum Verschiebebahnhof in Muttenz und von dort in Richtung Gott- hard leitete.18

2.2. Romanshorn (1855)

Die frühe Erschliessung des Bodenseeraumes mit einem vergleichsweise dichten Bahnnetz findet seine Erklärung in der wirtschaftlichen und handelspolitischen Bedeutung, die dieser Region seit dem Mittelal- ter zukam. Sie ist auch der wesentliche Grund, weshalb sich Romanshorn dank der Bahn zu einem der grössten Güter-Grenzbahnhöfe der Schweiz entwickelte, im grenzüberschreitenden Personenverkehr da- gegen bis heute unbedeutend blieb.

15 Strub 1914, 190.

16 Strub 1914, 191; siehe auch Stutz 1983, 240.

17 Behrend 1967, 202.

18 Behrend 1967, 204.

Abb. 12-13:

Äusserst grosszügige Anlagen:

Halle der Schweizer Zollrevision (links) und der Deutschen Zollrevision (rechts).

(aus: Schweiz.

Bauzeitung 64/20 (1914), 216-217)

(12)

Abb. 14: Überblickskarte über die Verkehrssituation am Bodensee im 19./20. Jahrhundert. (aus: Betschart 2009, 33) Mit der Eröffnung der Strecke Winterthur–Romanshorn am 16. Mai 1855 und ihrer Verlängerung bis nach Zürich 1856 sicherte die Nordostbahn NOB der Schweiz die erste Bahnverbindung zum Ausland, wenn auch nur indirekt, da sie mit Dampfschiffen über den Bodensee nach Friedrichshafen führte, von wo die Baden–Württembergische Bahn den Anschluss nach Stuttgart und damit an den Rhein–Neckar–

Kanal sicherstellte. Zeitgenössische Experten sahen in der Bahnstrecke ein wichtiges Zwischenstück ei- ner dereinstigen europäischen Verbindung zwischen Marseille und der Ostsee. Dass man gerade das bis- her unbedeutende Fischerdorf dazu auserwählt hatte, lag an seiner topographisch günstigen Lage, die es eisenbahntechnisch gegenüber Rorschach begünstigte, das bislang der weit wichtigere Hafen am Boden- see gewesen war. 19

Abb. 15: Vogelschau auf die für schweizerische Verhältnisse geradezu gewaltige Hafenanlage von Romanshorn mit den mächtigen Lager- und Zollabfertigungshallen. Rechts im Bild das Aufnahmegebäude von 1855 mit Perronhalle. Ansichtskarte unbekannten Datums. (aus: Bodensee-Toggenburg-Bahn und Rickenbahn in 164 alten Ansichtskarten. Heiden 1991, 13) Romanshorn wurde damit zur Konkurrentin Rorschachs, das nur ein Jahr später von der St.Gallisch–Ap- penzellischen Eisenbahn SGAE ebenfalls ab Winterthur, aber über St. Gallen, erschlossen wurde. Auf die Pläne der SGAE, Rorschach mit Lindau zu verbinden, das seit 1865 an die bayrische Bahn angeschlossen war, reagierte die NOB 1869 mit dem Stapellauf des ersten Trajektschiffs, das ganze Eisenbahnzüge von

19 Betschart 2009, 32ff; Bärtschi et al. 2005, 4-11; Bauer 1947, 7.

(13)

Romanshorn nach Friedrichshafen transportieren konnte. Damit entwickelte sich das bisher unbedeu- tende Fischerdorf innert Kürze zum grössten Gütergrenzbahnhof der Schweiz, bis es vor dem Ersten Welt- krieg von Basel abgelöst wurde. Im grenzüberschreitenden Personenverkehr dagegen erreichte Romans- horn nie einen Spitzenplatz, weil das zwingende Umsteigen auf das Fährschiff internationale Wagendurch- läufe verhinderte. Ein regelmässiger ‚internationaler‘ Verkehr ergab sich erst mit einer ICN-Verbindung nach Konstanz im Rahmen des Konzepts von Bahn 2000.20

Aus denkmalpflegerischer Sicht wird Romanshorn heute wegen seiner Bausubstanz als Hafen- und Trajektbahnhof mit einer seit 1855 bestehenden Eisenbahn-Verladeeinrichtung schweizweit als historisch bedeutsam eingestuft.21 Als besonders wertvoll gilt dabei auch das Aufnahmegebäude von 1855, das trotz zahlreichen Um- und Anbauten auch heute noch die wesentlichen Elemente der ursprünglichen Erschei- nungsform aufweist und mit seiner markanten Form den Bahnhofsplatz dominiert.

Abb. 16: Das von Johann Jakob Breitinger entworfene und 1855 erstellte Aufnahmegebäude des Bahnhofs Romanshorn auf einer Fotografie um 1885. (aus: Köpfer 2003)

2.3. Genève–Cornavin (1858)

Die Diskussion um den Ausbau der Bahnhofsstrukturen in Genf nach dem Ersten Weltkrieg liefert bemer- kenswerte Hinweise auf die fehlende internationale Perspektive der Bahnbetreiber und das Verharren der Verkehrspolitik in nationalen Grenzen – und dies nota bene zu einer Zeit, wo sich Genf mit der Organisa- tion der ersten Völkerbund-Vollversammlung im November 1920 aufmachte, zu einem Zentrum der inter- nationalen Diplomatie aufzusteigen.

Doch zurück zu den Anfängen: Obwohl Genf als wichtige Handelsstadt und Messestandort ein grosses In- teresse an einem Anschluss an das neuartige Verkehrsmittel Eisenbahn hätte haben sollen, genehmigte der Genfer Staatsrat 1852 den Bau einer Bahnlinie von der französischen Grenze bis in die Stadt Genf durch die Lyon–Genf-Bahn nur mit Vorbehalten. Differenzen wegen Trasseeführung und Bahnhofsituation zwischen Bahngesellschaft und Kanton verzögerten den Baubeginn, sodass die Strecke von der Grenzsta- tion La Plaine bis nach Genf erst am 18. März 1858 eröffnet werden konnte. Den Bahnhof in Genf konzi- pierte man von Beginn weg als Durchgangsbahnhof, zu dem er mit der kurz darauf eröffneten Linie Genf–

Versoix (ab 25. Juni 1858) auch wurde.22

20 Bärtschi et al. 2005, 4, 144; Betschart 2009, 32ff; Bauer 1947, 75.

21 Inventar Bärtschi 1984, Nr. B84_719, 2-3.

22 Stutz 1983, 136-137.

(14)

Obwohl diese zweite, der Schweizer Seite am Genfersee entlangführende Linie noch während des Baus von der Lausanne–Fribourg-Bahngesellschaft, der späteren Jura–Simplon-Bahn, übernommen wurde, blieb der Bahnhof Cornavin im Besitz der französischen Betreiberin der Strecke Lyon–Genève, der Com- pagnie de Chemin de fer de Paris à Lyon et à la Méditérrané (PLM), bis er 1913 zusammen mit dem Stre- ckenabschnitt zur Landesgrenze, La Plaine–Genève, von den SBB übernommen wurde. Seither sind die SBB auf diesem Streckenabschnitt für den Regionalverkehr zuständig, während der Fernverkehr bis heute im Zuständigkeitsbereich der PLM und ihrer Nachfolgerin, der SNCF, blieb. Heute fahren internationale Fernverkehrszüge, insbesondere TGVs ohne Halt von Genève–Cornavin über die Grenze nach Bellegarde, wo sie nach Marseille oder nach Maçon–Paris weiterlaufen.

Bereits vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und spätestens nach seinem Ende, als die Transportzah- len erneut rasant anstiegen, zeigte sich, dass der ursprüngliche Bahnhof den Anforderungen nicht mehr genügte. Eine Trennung von Güter- und Passagierbahnhof drängte sich auf.

Bei der Diskussion um den Ausbau oder gar eine eventuelle Neupositionierung des Hauptbahnhofs in Genf standen verschiedene Varianten im Raum, welche die Anschlüsse Richtung Lausanne, Bellegarde und Eaux-Vives in die Überlegungen einbezogen. Dabei sprachen die erheblich grösseren Passagier- und Gü- terflüsse in Cornavin Richtung Bellegarde–Lyon und Lausanne gegenüber denjenigen nach Eaux-Vives für

Abb. 17: Fest zur Eröffnung der Bahnlinie Lyon-Genève und des Bahnhofs Cornavin am 16. März 1858. Beachtenswert ist besonders die Bildkomposition, die den Bahn- hof als neuen gesellschaftlichen Mittelpunkt der Stadt der Kathed- rale als bisheriges Zentrum gegen- überstellt. (Zeitgenössische Dar- stellung, Verkehrshaus Luzern;

aus: Bauer 1947, 56)

Abb. 18: Ankunft des Simplon-Express in Genève. Postkarte unbekannten Datums (Archiv Arthur Meyer, via Wikimedia Com- mons)

(15)

einen Verbleib des Bahnhofs am rechten Seeufer in Cornavin: So zählte man etwa 1913 in Cornavin mehr als 1.3 Millionen Passagiere gegenüber etwas mehr als 170‘000 Bahnreisenden in Eaux-Vives.23

Dem entgegen stand die Absicht Frankreichs, eine direkte Verbindung über Mont Blanc oder Simplon nach Italien zu suchen, ohne fremdes Territorium durchfahren zu müssen, was wiederum für einen Aus- bau des Bahnhofs in Eaux-Vives sprach. Ein weiterer Vorschlag erwog gar die Möglichkeit eines Kopfbahn- hofs anstelle eines Durchgangsbahnhofs mit dem bemerkenswert kurzsichtigen Argument, ein solcher sei nicht nötig, da bisher gar keine durchgehenden Züge zwischen der Schweiz und Frankreich verkehrten.

Anders als an anderen Schweizer Grenzbahnhöfen schien sich also erstaunlicherweise gerade im internati- onalen Genf der grenzüberschreitende Bahnverkehr mit durchgehenden Zugskompositionen noch nicht etabliert zu haben. Die Genfer Sektion des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverbands SIA setzte sich denn auch explizit mit dem Argument, den internationalen Bahnverkehr mit direkten Zügen fördern zu wollen, für einen Ausbau des bestehenden Durchgangsbahnhofs in Cornavin ein: «Il paraît en tout cas indiqué de ménager la possibilitée de créer des trains directs passant par Genève.»24

Schliesslich und endlich entschieden sich SBB und Kanton 1923 nicht zuletzt aus Kostengründen und aus stadtplanerischen Überlegungen für den bisherigen Bahnhofstandort in Cornavin und den Verbleib des Güterbahnhofs in seiner unmittelbaren Nähe. Um die steigenden Passagierzahlen besser bewältigen zu können, sah man neue Bahnsteige mit Unterführungen für den Personen- und Gepäckverkehr sowie ein neues Aufnahmegebäude mit Räumlichkeiten für die schweizerische und französische Zollabfertigung vor.

23 Schweizerische Bauzeitung 78/8 (1921), 78.

24 ebd., 79.

Abb. 19: Passagier- und Güter- transport in Genève-Cornavin 1903-1921 (aus: Schweizerische Bauzeitung 81/13 (1923), 153)

Abb. 20: Vorschlag zur künfti- gen Bahnlinienführung auf Genfer Gebiet mit einem Per- sonen-Durchgangsbahnhof in Genf-Cornavin, einem Güter- bahnhof in La Praille und einer Verbindungsbahn zur Endsta- tion der Annemasse-Genève- Bahn in Eaux-Vives, wie sie von französischer Seite erwünscht wurde. (aus: Schweizerische Bauzeitung 81/13 (1923), 155.)

(16)

1933 konnte man das neue Aufnahmegebäude eröffnen, das als Siegerprojekt aus zwei Architekturwett- bewerben hervorgegangen war.

Abb. 21: Erste Pläne der SBB-Generaldirektion von 1923 für das neue Aufnahmegebäude in Genève–Cornavin. Beachtens- wert sind insbesondere die relativ grosszügig geplanten Räumlichkeiten für Zollabfertigung und internationale (schweize- risch-französische) Gepäckaufgabe im Erdgeschoss, die auf die Bedeutung des Bahnhofs als Transitstation für den grenz- überschreitendenden Bahnverkehr verweisen. (aus: Schweizerische Bauzeitung 81/13 (1923), 154)

(17)

Abb. 22 und 23: Genève–Cornavin in den 1950er-Jahren und 2014. (aus: Ralph Bernet, Trams in der Schweiz, 2000, 109, sowie WikimediaCommons)

2.4. Koblenz (1859)

Die Eröffnung der Bahnstrecke Turgi–Koblenz–Waldshut und mit ihr des Bahnhofs in Koblenz am 18. Au- gust 1859 war eine direkte Antwort der Nordostbahn auf die 1857 eröffnete Rheinfallbahn von Win- terthur nach Schaffhausen und dem damit einhergehenden Wettstreit um den Anschluss an die Bahnen Baden–Württembergs. Prunkstück der Strecke war die Rheinbrücke zwischen Koblenz und Waldshut, die heute als eine der letzten engmaschigen Gitterfachwerk-Brücken Europas und als älteste Bahnbrücke über den Rhein einen besonderen denkmalpflegerischen Wert hat.

Für kurze Zeit galt Koblenz als das neue Tor zur Schweiz, obschon seit 1858 mit dem Hauensteintunnel und der Bahnstrecke Brugg–Aarau bereits eine direkte Verbindung von Zürich nach Basel und von dort ins Ausland bestand. 1876 verlängerte man auf Betreiben von Winterthurer Industriellen die Strecke ab Kob- lenz nach Eglisau und weiter nach Winterthur, als schweizerisches Pendant zur badischen Bahnlinie ent- lang des Rheins. Trotzdem blieb Koblenz im Vergleich zu Basel oder Schaffhausen im verkehrspolitischen Abseits.25 Einen letzten Höhepunkt, jedoch nur im Güterverkehr, erlebte Koblenz zu Beginn der 1970er- Jahre, als wegen des Umbaus der Rangierbahnhöfe in Basel und Schaffhausen vermehrt Güterwagen über Koblenz–Waldshut geleitet wurden.

Während im deutschen Waldshut bereits 1856 durch die badischen Bahnen ein repräsentatives Aufnah- megebäude erstellt worden war, baute die Nordostbahn 1859 in Koblenz nur eine bescheidene Station, die zudem entgegen den Wünschen der Gemeinde weit entfernt vom Dorf lag. Mit der Streckenverlänge- rung nach Eglisau erweiterte man 1876 auch den Bahnhof Koblenz mit Lokremisen und Personalräumen.

25 Bauer 1947, 77; Affolter 2009, 9-10.

Abb. 24: Die Eisen- bahnbrücke Kob- lenz-Waldshut. Bis zum Bau der Stras- senbrücke 1932 setzten Lastwagen und Automobile mit der Fähre über den Rhein, hier unter dem wachsamen Blick eines Zöllners.

Foto von 1925, Ur- heber unbekannt (aus: Wägli 2010, 122)

(18)

Das Aufnahmegebäude in Koblenz befindet sich noch heute grösstenteils im Originalzustand und ist damit ein wichtiger Zeuge der Eisenbahnpionierphase der Schweiz.26 Seine räumliche Ausstattung ohne die sonst in einer Grenzstation üblichen Zollräume lässt darauf schliessen, dass Koblenz nicht als Grenzbahn- hof benutzt und die Zollformalitäten in Waldshut erledigt wurden.

2.5. Schaffhausen (1857/63)

Am 16. April 1857 eröffnete die Nordostbahn NOB die sogenannte Rheinfallbahn von Winterthur nach Schaffhausen, die ursprünglich von Schaffhauser Geschäftsleuten geplant, dann aber wegen Geldmangels von der NOB übernommen worden war. Mit dem Tunnel unter dem Schloss Laufen und der anschliessen- den Brücke mit Fussgängersteg in unmittelbarer Nähe zum Rheinfall wurde sie rasch zu einer touristischen Attraktion. Sechs Jahre später, am 15. Juni 1863, erfolgte mit der Eröffnung der Linie Waldshut–Schaff- hausen–Konstanz durch die Badische Bahn der Anschluss an ihre seit 1856 bestehende Linie über Bad Säckingen nach Basel und damit die Erweiterung Schaffhausens zum Grenzbahnhof.

Das Aufnahmegebäude wurde denn auch 1867-69 als gemeinsamer Grenzbahnhof von NOB und Badi- scher Bahn im klassizistischen Stil gebaut. Seine Gestaltung entspricht der Doppelnutzung durch die Schweizer Seite (heute SBB) im Südflügel und die Badische Seite (heute DB) im Nordflügel. Während hier die Zoll- und Bahndienste beider Länder untergebracht sind, finden sich im mittleren Teil gemeinsame Wartsäle und Billetschalter. Der Südflügel brannte mit der Bombardierung durch alliierte Bomber am 1. April 1944 ab und wurde durch einen zweigeschossigen Anbau ersetzt.27

Abb. 26 und 27: Das Aufnahmegebäude des Bahnhofs Schaffhausen im Originalzustand von 1869 (links) und mit dem nach der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg neu erbauten und erweiterten Südflügel. (Abb. links aus Stutz 1983, 169; Abb.

rechts: Foto Adolf Reck vom 25.07.1970, SBB Historic, Sign. AIII_SH_1643)

Die eigentliche Zollabfertigung war in Schaffhausen nicht wie in anderen Grenzbahnhöfen im Aufnahme- gebäude oder einem direkt anschliessenden Annexbau untergebracht, sondern in einem separaten Ge- bäude auf der gegenüberliegenden Seite der Gleisanlagen.

26 Inventar Bärtschi 1984, Nr. B84_645, 2/4; Affolter 2009, 12ff.

27 Bauer 1947, 77; Treichler et al. 1996, 117-118; Schwabe 1997, 46; Inventar Bärtschi 1984, Nr. B84_732, 4.

Abb. 25: Ansichtskarte von Koblenz von 1899. Trotz seiner abgelegenen Lage scheint der Bahnhof neben dem Gasthof und der Eisenbahnbrücke die einzige Sehenswürdigkeit des Ortes zu sein. (aus: Affolter 2009, 6)

(19)

Abb. 28 und 29: Die Zollstelle am Bahnhof Schaffhausen um 1890. Sie befand sich vis-à-vis der Abfahrtshalle; gleich hinter der Lok-Remise. (aus: www.schaffhausen-nostalgie-foto.ch)

Diese eher unpraktische Lösung wurde 1988 durch ein auf dem Bahnsteig erbautes Zollabfertigungsge- bäude ersetzt, in dem eine gemeinsame Zollabfertigung beider Länder stattfindet.

Abb. 30: Grundriss des Zollabfertigungsgebäudes am Bahnhof Schaffhausen, u.a. mit einem gemeinsamen Warteraum (2), einem Vernehmungsraum (4), einer Zollabfertigung (6) und je einem Raum für die Grenzpolizei Deutschlands (5) und der Schweiz (7). (aus: Holz Bulletin 18, 1988)

2.6. Les Verrières (1860)

Am 25. Juli 1860 eröffnete die Compagnie Franco–Suisse (FS), ein 1852 gegründetes französisch-neuen- burgisches Eisenbahnkonsortium, die grenzüberschreitende Strecke durch das Val de travers von Auver- nier über Les Verrières nach Pontarlier. Kurz vorher, im November 1859, war bereits die Verbindung von Auvernier nach Neuenburg eröffnet worden. Im November 1862 folgte die Eröffnung der Strecke Pontar- lier–Franse durch die Compagnie Paris–Lyon–Méditérrané (PLM) und damit der Anschluss an die seit 1855 bestehende Verbindung Paris–Dijon–Frasne. Die PLM war zu Beginn für den Betrieb der ganzen Strecke zuständig, ab 1890 lag er auf den Schweizer Streckenabschnitten bis zur Grenze bei der Jura–Simplon- Bahn.

Der Anschluss Neuenburgs an das französische Bahnnetz war von Neuenburger Politikern gezielt vorange- trieben worden. Bereits 1852 sah man neben der Linie durch das Val de travers auch eine über Le Locle nach Besançon vor, die jedoch erst 1884 vollendet wurde.28 Nationale Bekanntheit erlangte der Bahnhof Les Verrières mit dem Übertritt und der Internierung der sogenannten Bourbaki-Armee während des deutsch-französischen Kriegs im Februar 1871.29

28 Bauer 1947, 80; Treichler et al. 1996, 118; Schwabe 1997, 70-75.

29 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 4.3 Schweizer Grenzbahnhöfe im Krieg.

(20)

Die Elektrifizierung des Schweizer Streckenabschnitts bis nach Les Verrières 1942 brachte eine Verkom- plizierung des grenzüberschreitenden Bahnverkehrs mit sich, mussten doch bis zur Elektrifizierung des französischen Abschnitts von der Grenze bis Pontarlier die Zugskompositionen mit Dampfloks verscho- ben werden. Während es zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz schnell zu einer Vereinheit- lichung der elektrischen Systeme kam, mussten die Bahnhöfe an der Grenze zu Frankreich speziell aus- gerüstet werden, damit die französischen Lokomotiven, die mit 50 Hz statt wie in der Schweiz üblich mit 16 2/3 Hz verkehrten, einfahren konnten. Ein Hindernis, das den grenzüberschreitenden Verkehr zusätz- lich verlangsamte. Das heutige Bahnhofsgebäude von Les Verrières wurde 1898 von der Jura–Simplon- Bahn erstellt, was wohl auch auf Zunahme des internationalen Bahnverkehrs zurückzuführen sein dürfte. Im Parterre befinden sich neben Wartsaal, Bahnhofsbüro mit Billetschalter und Gepäckaufbe- wahrung im Westflügel auch Räumlichkeiten für Zoll- und Postdienst.

2.7. Vallorbe (1870)

Mit der Eröffnung der Strecke Daillens–Vallorbe am 1. Juli 1870 erhielt das Dorf im Waadtländer Jura, das sich in der Eisenverarbeitung über die Region hinaus einen Namen gemacht hatte, Anschluss an die seit 1855 bestehende Bahnlinie Morges–Bussigny–Yverdon. Fünf Jahre später folgte die Eröffnung der Bahn- strecke über Jougne nach Pontarlier. Damit wurde Vallorbe zu einem Kopfbahnhof, wo die Züge von Lausanne nach Pontarlier und weiter nach Paris bis 1915 eine Spitzkehre machen mussten, was die Ab- wicklung des Bahnverkehrs erheblich verzögerte. Dieser Umstand sowie die Tatsache, dass die Strecke nach Pontarlier wegen starker Steigungen und oft heftiger Wintereinbrüche ein Unsicherheitsfaktor im internationalen Bahnverkehr war, bewog die Compagnie Paris–Lyon–Méditérrané (PLM) zum Bau einer direkten Verbindung Vallorbe–Frasne mittels Untertunnelung des Mont d’Or. Grundlage des Streckenaus- baus war ein Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich, der eine Verkürzung der internationalen Bahnlinie Paris–Simplon zum Ziel hatte. Am 16. Mai 1915, also mitten im Ersten Weltkrieg, konnte sie er- öffnet werden. Die von Beginn weg auf Doppelspur ausgebaute neue Strecke verkürzte die Verbindung nach Franse um 17 Kilometer und machte den Bahnhof Vallorbe vom Kopf-zum Durchgangsbahnhof.30 Vallorbe erlebte damit eine verkehrstechnische Aufwertung und durch die Ansiedlung vieler Gastarbeiter, die beim Bau der Strecke beschäftigt gewesen waren, auch eine markante Zunahme der Bevölkerung und einen Wandel ihrer Zusammensetzung.

30 Bauer 1947, 150; Weber 1947, 698; Nydegger 1947, 130.

Abb. 31: Der Bahnhof von Les Verrières an- lässlich der Einweihung des elektrischen Be- triebs der Strecke ab Au- vernier 1942. (aus:

Wägli 2010, 68)

(21)

Die neue Bedeutung als Grenzbahnhof an der internationalen Strecke des Simplon-Orientexpress‘ mani- festierte sich auch im neuen Aufnahmegebäude, das zwischen 1911 und 1915 als markantes Siedlungsele- ment oberhalb des Dorfes entstand und den aus Frankreich einreisenden Bahnpassagieren allein durch sein architektonisches Äusseres auf einen Blick deutlich machte, dass man sich nun auf Schweizer Boden befand.

Auf die Bedeutung Vallorbes im internationalen Verkehr verweist nicht nur die grosszügige Planung des vierstöckigen Gebäudes, das mit zwei Wartsälen und einer Restauration (bis 2009) ausgestattet wurde, sondern auch die Tatsache, dass hier anders als bei kleineren Grenzbahnhöfen die Zollabfertigung in sepa- raten Gebäuden untergebracht wurde, und zwar direkt auf den Quais, wo die internationalen Züge ver- kehrten. Reisende nach Frankreich durchliefen die Zollabfertigung auf Quai 2, Reisende in die Schweiz da- gegen im Gebäude auf Quai 3. Unterirdische Personenzugänge verbanden die Quais mit dem Aufnahme- gebäude.31 Dass der weiter entfernte Quai 3 zusätzlich zur Restauration im Aufnahmegebäude mit einem eigenen Buffet ausgestattet war, kann wohl als weiterer Hinweis auf die Grösse des Reisevolumens erach- tet werden, das sich u. a. mit der Durchfahrt des Simplon-Orientexpress‘ ab 1913 ergab. Weil die interna- tionalen Züge in Vallorbe auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch einen Aufenthalt von 40 Minuten hat- ten, sollen sowohl Buvette wie Buffet jeweils gut besucht gewesen sein. Zusätzlich hätten sich die Reisen- den direkt auf dem Perron bei fliegenden Händlern mit Verpflegung und anderem eindecken können.32

31 Schweizerische Bauzeitung 62/11 (1913), 147-148; Maurer 2010, 10-12.

32 Interview mit einem ehemaligen Angestellten des Bahnhofs Vallorbe. In: Duruz 2015.

Abb. 33: Der Bahnhof Vallorbe als Postkar- tensujet. (aus: Duruz 2015 )

Abb. 32: Während der Bauzeit des Mont d’Or-Tunnels 1911-15 vergrös- serte die Zuwanderung von Gastar- beitern, die hauptsächlich aus Italien kamen, die Bevölkerungszahl Vallor- bes um rund 2‘000 Personen auf 5‘300 Einwohner. Die Gastarbeiter liessen sich in einem eigenen Quar- tier nieder, dem die Einheimischen den Namen «village nègre (Neger- dorf)» gaben, wegen der von der Ar- beit im Tunnel geschwärzten Gesich- ter der Arbeiter. Nach Ende der Bau- zeit zogen rund 1‘000 Personen wie- der von Vallorbe weg. (aus: Duruz 2015)

(22)

Nach einem Unterbruch der Strecke während des Zweiten Weltkriegs elektrifizierte man die Strecke von Vallorbe nach Frasne in den 1950er-Jahren. Bis 1975 bot der Bahnhof Vallorbe rund 200 Personen Arbeit in Zollwesen und Grenzpolizei.

2.8. Kreuzlingen–Konstanz (1871)

Am 1. Juli 1871 schloss die Nordostbahn NOB mit der Eröffnung der Bahnlinie Romanshorn–Konstanz, die über den Kreuzlinger Hafenbahnhof führte, Kreuzlingen nicht nur ans Schweizerische Bahnnetz, sondern auch an den grenzüberschreitenden Verkehr nach Deutschland an, war doch Konstanz bereits seit 1863 durch die Badische Bahn erschlossen worden.

Abb. 35 (links): Das Aufnahmegebäude des Bahnhofs von Kreuzlingen Hafen aus dem Jahr 1871 mit originellem Toiletten- häuschen von 1918 im Hintergrund. (aus: Inventar Bärtschi 1984, Nr. B84_649, 1).

Abb. 36 (rechts): Der heutige Bahnhof von Kreuzlingen um 1875, der bis 1929 den Namen «Emmishofen» trug.

(aus: Erni/Reimann: KDM Thurgau VII 2009, 45)

Vier Jahre später, am 17. Juli 1875, folgte die Schweizerische Nationalbahn mit der Eröffnung einer Bahn- strecke von Winterthur über Etzwilen nach Kreuzlingen und Kreuzlingen-Hafen. Der Bahnhof Kreuzlingen, der bis 1929 den Namen Emmishofen trug, gilt im Inventar der Thurgauer Denkmalpflege als wertvoller Knoten-, Grenz- und Verzweigungsbahnhof sowie gut ablesbarer Angelpunkt und Keimzelle der städte- baulichen Entwicklung. Die direkte Verbindung zwischen dem Bahnhof Emmishofen und dem Hafenbahn- hof wurde erst nach 1914 als sogenanntes «Kriegsgleis» oder «strategisches Gleis» häufig benutzt.33

33 Peter Erni, Alfons Reimann: Die Stadt Kreuzlingen. KDM Thurgau VII 2009, 45, 323.

Abb. 34: Zwischenhalt des Simplon-Orient-Ex- press‘ in Vallorbe in den 1920er-Jahren. (aus: Ei- senbahn Amateur 1998/4, S. 245)

(23)

Weil man auf der Linie Romanshorn–Konstanz einen hohen Verkehr erwartete, stattete man die Bahnsta- tion in Kreuzlingen Hafen mit einem grossen Aufnahmegebäude aus, das Wartsäle für verschiedene Bahn- klassen aufwies.34 Die Literatur schweigt sich leider darüber aus, ob auch Einrichtungen für die Zollabferti- gung dazu gehörten, so dass letztlich nicht klar ist, ob die Bahnhöfe in Kreuzlingen je eine Funktion als Grenzbahnhof wahrnahmen oder ob die Zollabfertigung bereits in den Anfangszeiten der Eisenbahn im Konstanzer Bahnhof erfolgte. Die Grenzsicherung des Kreuzlinger Bahnhofs während des Zweiten Welt- kriegs ist jedoch ein Hinweis darauf, dass zumindest in Kriegszeiten auch hier eine Einreisekontrolle statt- fand.35

2.9. St. Margrethen (1872)

Bereits am 1. Juli 1858 nahmen die Vereinigten Schweizerbahnen (VSB) mit der Eröffnung der Teilstrecke Rheineck–Sargans der Rheintallinie in St. Margrethen einen Bahnhof in Betrieb. Doch erst am 23. Novem- ber 1872 wurde die Station durch den Anschluss an die Linie Lauterach–Bregenz der Vorarlbergbahn zum Grenzbahnhof Richtung Österreich. Und ab November 1873 passierten St. Margrethen mit dem durchge- henden Schnellzug Zürich–München auch Züge Richtung Bayern.

Im Zuge dieser Ankoppelung an den Grenzverkehr eröffnetenen die VSB in St. Margrethen anstelle des bisherigen provisorischen Bahnhofs ein neues, als Grenzbahnhof konzipiertes Aufnahmegebäude mit zwei Seitenflügeln, das Teil einer grossflächigen Grenzbahnhofanlage war. In den 1940er-Jahren erweiterte man den Westflügel mit dem Anbau eines Buffets.36

Abb. 37: Die identischen, als Grenzbahnhöfe konzipierten Stationsgebäude von St. Margrethen und Buchs SG von 1871.

(aus: Stutz 1983, 181)

2.10. Buchs SG (1872)

Gleichzeitig mit der Station in St. Margrethen nahmen die Vereinigten Schweizerbahnen (VSB) am 1. Juli 1858 auch den Bahnhof Buchs in Betrieb. Auch dieser Bahnhof wurde erst 1872, mit der Eröffnung der Bahnstrecke Feldkirch–Buchs durch die Vorarlbergbahn am 24. Oktober, zur Grenzstation. Ebenfalls mit St. Margrethen identisch war das 1873 erstellte Aufnahmegebäude, das allerdings 1981 durch einen fünf- geschossigen Neubau ersetzt wurde. Dieser Ausbau der Infrastrukturen war Ausdruck der steigenden Be- deutung des Grenzübergangs in Buchs in der Nachkriegszeit. Bis heute verläuft ein Grossteil des Güter-

34 Ebd., 352.

35 Vgl. dazu auch Kap. 4.3 Schweizer Grenzbahnhöfe im Krieg.

36 Inventar Bärtschi 1984, Nr. B84_761, 2.

(24)

und Personenbahnverkehrs zwischen der Schweiz und Österreich über Buchs.37 In jüngster Zeit steht der Grenzbahnhof Buchs wegen der Flüchtlingsproblematik verstärkt im Focus der Öffentlichkeit. Diese hat durchaus Tradition. Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg trafen über Buchs erste Sonderzüge mit er- holungsbedürftigen Kindern aus den kriegsgeschädigten Nachbarländern ein. 1959 eröffnete man im Nachgang zur Ungarn-Krise in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs ein Grenzsanitätsgebäude mit Gleisan- schluss, so dass man etwas später die Gastarbeiter, die in den 1970er-und 1980er-Jahren zu Tausenden aus Jugoslawien anreisten, direkt aus den Eisenbahnwagen zur sanitarischen Untersuchung leiten konnte.38 Mit Ausbruch des Jugoslawienkriegs wurde die Grenzsanität in Buchs 1991 geschlossen.

Abb. 38: Das heute nicht mehr existente Aufnahmegebäude des Bahnhofs Buchs mit gut erkennbarer Signalisation der Zoll- abfertigung im Mitteltrakt des Gebäudes. Ansichtskarte von 1919 (Sammlung Rohrer, SBB-Denkmalpflege/Dokumenta- tion/Buchs)

Abb. 39: Der Bahnhof Buchs mit Personen- und Güterzug. Ansichtskarte von 1904. (Sammlung Rohrer, SBB-Denkmal- pflege/Dokumentation/Buchs)

37 Inventar Bärtschi 1984, Nr. B84_558, 2.

38 Buchs aktuell. Mitteilungsblatt der Gemeinde Buchs SG. Buchs 1993, 24-25; Grenzsanität in Buchs SG 1959. In: Das Werk 50 (1963), 424.

(25)

Abb. 40: Halt des Fernverkehrszugs Wien–Zürich in Buchs 1935 – gut erkennbar mit einem Waggon der Compagnie Interna- tional des Wagons Lits CIWL in der rechten Bildhälfte. Auf eine internationale Kundschaft verweisen auch die Anschriften in kyrillischer und griechischer Schrift am Gebäude in der linken Bildhälfte. (Sammlung Rohrer, SBB-Denkmalpflege/Dokumen- tation/Buchs)

2.11. Delle–Porrentruy (1872)

Die am 23. September 1872 eröffnete Bahnstrecke Delémont–Belfort mit dem Grenzübergang zwischen Boncourt und Delle kam wohl nur dank dem französischen Verlust des Elsass‘ während des Deutsch-Fran- zösischen Kriegs zustande, verlor doch damit die französische Ostbahn die wichtige direkte Verbindung von Belfort über Mulhouse nach Basel. Man suchte deshalb nach einer neuen Linienführung über Belfort zur Schweizer Grenze bei Bonfol, von wo aus die Schweizerische Centralbahn SCB die Strecke bis Basel weiterführen wollte. Damit trat sie in direkte Konkurrenz zum Vorhaben der Berner Jurabahn, die ihrer- seits über Porrentruy–Delémont nach Basel gelangen wollte. Seit den 1850er-Jahren hatten visionäre Poli- tiker erfolglos ein Bahnverbindung Delémont–Bern bzw. Delémont–Olten gefordert, drangen damit aber erst jetzt durch, als Bern mit den Plänen der französischen Ostbahn eine Abnabelung vom internationalen Bahnverkehr befürchten musste. Bernische Eisenbahnpolitik und deutsch-französische Animositäten führ- ten in der Folge zu einem raschen Ausbau der Verbindungen über Delle. Seit 1868 verlief eine Stichbahn der Compagnie Paris–Lyon–Méditérrané PLM von Montbéliard über Belfort nach Delle, die nun ab 1872 nach Porrentruy und ab 1877 durch die Berner Jurabahn nach Delémont weitergeführt wurde. Parallel dazu eröffnete auch die französische Ostbahn 1877 eine direkte Verbindungsstrecke von Belfort nach Delle, während die SCB ihre Pläne einer Linienführung ab Bonfol nach Basel während der Eisenbahnkrise der 1870er-Jahre aus finanziellen Erwägungen fallen liess. Mit dieser doppelten Anbindung an das franzö- sische Bahnnetz entwickelte sich der Grenzbahnhof Delle beziehungsweise der Bahnhof Porrentruy, wo die Zollabfertigung der ohne Grenzhalt verkehrenden Züge stattfand, bis zum Ersten Weltkrieg besonders im Güterverkehr zu einem der wichtigsten Grenzübergänge der Schweiz. 1915 folgte mit der Eröffnung des Grenchenbergtunnels die Direktverbindung über das seit Dezember 1876 mit Delémont verbundene Moutier ins Schweizer Mittelland.

Nicht zuletzt wegen der Nicht-Elektrifizierung der französischen Anschlussstrecken geriet die Bahnverbin- dung zwischen Belfort und Porrentruy gegenüber besser ausgebauten Strecken nach Basel ins Hintertref- fen und verlor derart an Bedeutung, dass sie 1993 für den Güter- und 1996 für den Personenverkehr auf-

(26)

gehoben und die Gleisanlagen in Delle demontiert wurden. Mit der Planung der Hochgeschwindigkeits- strecke Rhein–Rhone erlebt Delle eine ungeahnte Renaissance, soll es doch ab 2017 wieder zur Grenzsta- tion in einer neuen Verbindung von Biel über Porrentruy zum neuen TGV-Bahnhof bei Belfort werden.39

2.12. Etzwilen (1875)

Am 15. Juli 1875 eröffnete die Schweizerische Nationalbahn SNB nach zwei Jahren Bauzeit die Bahnstre- cke Winterthur-Etzwilen-Singen, gleichzeitig mit dem Abzweiger Etzwilen-Konstanz. Die Strecke war ein typisches Kind des Schweizer Eisenbahnbaubooms der 1870er-Jahre, als die Konkurrenz unter den Bahn- gesellschaften und das Buhlen der aufstrebenden Industriestandorte um bestmögliche Verkehrserschlies- sungen manche Regionen gleich mehrfach mit Bahnlinien erschlossen.

Winterthur war bereits seit 1857 durch die Nordostbahn NOB des Zürcher Eisenbahnindustriellen Alfred Escher mit Schaffhausen verbunden. Den Antrag eines regionalen Komitees, ab Andelfingen einen Abzwei- ger nach Stein am Rhein und weiter nach Kreuzlingen zu bauen, lehnte die NOB aus Rentabilitätsüberle- gungen ab, worauf sich mit Stadtpräsident Sulzer und Stadtschreiber Ziegler von Winterthur die politi- schen Gegner Eschers ins Geschehen einschalteten, um den Bau einer Konkurrenzstrecke von Winterthur nach Singen voranzutreiben. Anders als Escher wollten sie neue Bahnstrecken nicht mit privatem Kapital, sondern von der öffentlichen Hand als sogenannte Volksbahnen finanzieren lassen, und gründeten dazu die Schweizerische Nationalbahn SNB. Tatsächlich zeichneten zur Finanzierung der Strecke Winterthur- Singen zahlreiche Gemeinden der Region Aktien in unterschiedlicher Höhe, was sich bald bitter rächen sollte. Denn nur kurze Zeit nach Eröffnung der Strecke nahm der Eisenbahnboom mit der Wirtschaftskrise und dem Konkurs diverser Bahngesellschaften ein abruptes Ende. Auch die SNB ging 1878 Konkurs und hinterliess den beteiligten Gemeinden teils beträchtliche Schulden. Die Bahnstrecke Winterthur-Etzwilen- Singen kam in die Hand ihrer Konkurrentin, der Schweizerischen Nordostbahn NOB.40

Mit Eröffnung der Verbindung Schaffhausen-Kreuzlingen 1895 entwickelte sich Etzwilen zu einem beschei- denen Verkehrsknotenpunkt von höchstens regionaler Bedeutung. Für die Schweizerischen Bundesbah- nen SBB, welche die Strecke 1902 übernahmen, war die Verbindung Winterthur-Singen primär eine Ent- lastungsstrecke im Güterverkehr für den Grenzübergang in Schaffhausen, der besonders während des Zweiten Weltkriegs nur noch eingeschränkt funktionierte. Die zweitrangige Bedeutung des Grenzbahnhofs Etzwilen kam auch in der zögerlichen Elektrifizierung der Strecke zum Ausdruck, die 1946 nur bis Etzwilen, aber nicht bis Singen, und erst Jahre nach der Elektrifizierung der Hauptverbindung von Winterthur nach Schaffhausen erfolgte. Der Personenverkehr zwischen dem nie elektrifizierten Teilstück Etzwilen-Singen

39 https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnstrecke_Belfort%E2%80%93Delle [11.11.2015]

40 Akeret, 7-8; 11.

Abb. 41: Delle zu seinen besten Zeiten….

hier mit einem Zug der PLM nach Montbéliard mit Coupé- wagen. Aufnahme um 1900 (aus: Schwabe 1997, 113)

Abb. 42: ….und nach seiner Stilllegung 1996 (aus: Schwabe 1997, 324)

(27)

wurde denn auch bereits 1969 stillgelegt. Die Stilllegung im Güterverkehr folgte 1996 für den deutschen Streckenteil (Ramsen-Singen) und 2004 für den Schweizer Abschnitt (Ramsen-Etzwilen). Heute dient die Bahnstrecke Etzwilen-Singen nur noch für Museumsbahnfahrten.41

Prunkstücke der Strecke Winterthur-Singen sind noch heute die beiden Brücken über Thur und Rhein. Die Thurbrücke bei Ossingen zählte nicht nur zu den ersten Eisenbahnbrücken Europas, die auf eisernen Pfäh- len standen, sondern war mit ihren 332 Metern Länge nach dem Grandfey-Viadukt bei Fribourg auch die zweitlängste eiserne Brücke der Schweiz. Entsprechend stolz präsentierte man sie auf Fotografien an den Weltausstellungen in Philadelphia und Mailand. Näher zum Grenzbahnhof Etzwilen liegt die mit 254 Me- tern deutlich kürzere, aber immer noch imposante Rheinbrücke bei Hemishofen, die man in älteren Publi- kationen fälschlicherweise als Konstruktion Gustave Eiffels auswies. Nach der Stilllegung der Strecke be- findet sie sich im Besitz einer Stiftung.42

Seine stets bescheidene Existenz als Grenzbahnhof beendete Etzwilen also bereits 1969, doch wird es bis heute als Station an der Strecke Schaffhausen-Konstanz durch die Thurbo AG bedient – allerdings als Hal- testelle ohne Personalbetrieb und nur noch als Halt auf Verlangen. Von seiner bedeutungsvolleren Ver- gangenheit im Güterverkehr zeugen heute nur noch die überdimensionierten Gleisanlagen. Das von der kantonalen Denkmalpflege Thurgau als wertvoll eingestufte Aufnahmegebäude, in das nachträglich eine verglaste Schalterhalle mit Wartesaal integriert wurde, entspricht in seinem äusseren Erscheinungsbild grösstenteils dem Originalgebäude von 1875.

Abb. 44 und 45: Der Bahnhof Etzwilen um 1950. Im Gegensatz zur Linie Schaffhausen-Konstanz wurde die Strecke nach Sin- gen nicht elektrifiziert und zuerst mit Dampfzügen (links), später mit Dieselloks (rechts) bedient. (aus: Akeret, 30; 32).

41 http://www.etzwilen-singen.ch/willkommen/wie-es-entstand/ [23.01.2016]

42 Weidmann 1993;

Abb. 43:

Die Eisenbrücke über den Rhein bei Hemishofen – ein Prunkstück der Strecke Winterthur-Singen.

(aus: Akeret, 33)

(28)

2.13. Chiasso (1876)

Am 6. Dezember 1874 nahm die Gotthardbahn mit der Eröffnung der Bahnstrecke Chiasso–Lugano, als eine der ersten Teilstrecken der 1882 eröffneten Gotthardlinie auch den Bahnhof Chiasso in Betrieb. Zum Grenzbahnhof wurde Chiasso zwei Jahre später, am 28. September 1876, mit dem Anschluss der Bahnlinie nach Como S. Giovanni und weiter nach Milano. Seine eigentliche Bestimmung als grosser internationaler Bahnhof fand der Bahnhof Chiasso mit der Eröffnung der Gotthardlinie am 24. Mai 1882.43

Anders als die Stationsgebäude auf den Gebirgsstrecken, die erst nach der finanziellen Krise der Gotthard- bahn erstellt und entsprechend bescheiden ausgestattet wurden, liess die Gotthardbahn in Chiasso 1874 ein grosszügiges Aufnahmegebäude erstellen. Der zunehmende Bahnverkehr erforderte zwischen 1919 und 1932 einen Ausbau der Bahnanlagen, bei dem auch das Aufnahmegebäude 1928-1932 vollständig neu gestaltet wurde. Neben einem neuen Rangierbahnhof und Zollfreilager für den Güterverkehr schuf man 1923 für den Personenverkehr der internationalen Reisezüge, die von Süd nach Nord verkehrten, ein Inselperron mit Zollbüros, Wartesälen, Buffet und WC-Anlagen, während die Zollabfertigung der Züge Richtung Süden weiterhin über das Hauptgebäude erfolgte. Mit der Einführung des Schengener Abkom- mens ging man von einer Grenzkontrolle im Bahnhof zu einer mobilen Kontrolle in den fahrenden Zügen über. Chiasso ist bis heute ein Brennpunkt der Immigration in die Schweiz geblieben. Waren es in den Nachkriegsjahren Tausende von italienischen Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern, die über Chiasso in die Schweiz einreisten, so sind es heute Asyl- und Arbeitssuchende, die mit dem Zug illegal über die Grenze zu reisen versuchen.44

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Chiasso einen massiven Anstieg des Güterverkehrs, so dass 1957-67 Rangieranlagen und Zollabfertigungen ausgebaut werden mussten.45 Damit stand Chiasso nicht allein da, mussten zur selben Zeit doch auch die Grenzbahnhöfe in Buchs, Genève-La Praille, Muttenz und Schaff- hausen zur besseren Bewältigung des internationalen Güterverkehrs stark ausgebaut werden. Sowohl im Güter- wie im Personenverkehr hat Chiasso in den letzten Jahrzehnten seinen Glanz als grosser internatio- naler Bahnhof verloren. Nachdem bereits seit 1999 die neuen Cisalpino-Fernzüge in Chiasso keinen Halt mehr einlegten, ging dem Bahnhof 2004 durch die neue Streckenführung der Schnellzüge Richtung Nor- den über Locarno der Grossteil seiner Fernverkehrsverbindungen verloren. 46

43 Bauer 1947, 112-121.

44 Lob 2012.

45 Inventar Bärtschi 1984, Nr. B84_323, 2; Fischer 2012, 3-4; Schweizerische Bauzeitung 71/8 (1918), 92-94; Schweizerische Bauzeitung 99/22 (1932), 290-291.

46 https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnhof_Chiasso [12.11.2015]; Lob 2012.

Abb. 46: Der Bahnhof Chiasso in seiner ursprünglichen An- lage (oben) und mit dem neuen Inselperron von 1923 zur direkten Zollabfertigung der Züge Richtung Norden.

(Schweizerische Bauzeitung 99/22 (1932), 291)

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Nach Konzerten in Deutschland, Italien, Belgien, Frankreich und Polen laufen nun die Planungen auf vollen Touren für unser neues Benefizkonzertprojekt im September 2021.. Wir

Salopp gesagt: „Der kranke Kopf kann nicht über den kranken Kopf nachden- ken.“ Besondere Bedeutung kommt initial, aber auch für den weiteren Verlauf der Erkrankung, den engsten

Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Ver- ringerung von Pflegebedürftigkeit, in: Empfehlungen für eine kommunale Infrastruktur für ältere und pflege- bedürftige Menschen, Berlin

Mit den Bilateralen I wurde die unilaterale Übernahme von EU-Recht in Bundesgesetze seltener (für aktuelle Beispiele siehe EFTA- Studies-Analyse Der sektorielle Zugang der

und sozialer Ungleichheit im biografischen Interview……….147 Wilfried Datler / Kathrin Trunkenpolz. Zwischen Teilhabe

Menschen unterhalten Bezie- hungen zueinander, lehnen sich aneinander an, grenzen sich voneinander ab, ahmen sich gegenseitig nach oder passen sich an.. Die Identität des

Die Wirkung der Baustellen auf die Verkehrsmenge zeigt anschaulich, dass sich der Verkehr am Ehesten andere Wege sucht, wenn eine Verkehrsachse für die Durchfahrt

• Allgemeine Palliative Care vermehrt unterstützen: Nach Jahren des Aufbaus der spezialisierten Versor- gung, müssen nun verstärkt auch Versorgungsleistungen und –strukturen im