ZUM TITEL DES SOGENANNTEN „UDÄNAVARGA"^
Von Franz Bernhard, Hamburg
über den Titel des Dhammapada ist schon viel geschrieben und für seinen
Titel sind schon manche Übersetzungen vorgeschlagen worden. Wir wissen
jetzt dank der besseren Kenntnis zentralasiatischer buddhistischer Missions¬
literaturen - in diesem Falle insbesondere des Tocharischen - welche Über¬
setzung sicher die richtige ist, oder wenigstens, wie dieser Titel in Zentral¬
asien einst verstanden worden war.
Die Übersetzung des Titels des sogenannten „Udänavarga" ist m.W. aber
noch nie diskutiert worden, und das hat seinen Grund. Es liegt ein Problem
in der Übersetzung des zweiten Kompositionsgliedes, in der Übersetzung
von -varga. Alle 33 Kapitel dieses Textes heißen ja varga, so wie auch die
Kapitel des Päli Dhammapada vagga genannt sind. Das ist ganz normal,
varga in der Bedeutung: Kapitel, Abschnitt über ein bestimmtes Thema,
wie es im Vorderglied gegeben ist. Also z. B. : aivavarga ,, Kapitel (mit dem Stichwort) 'Pferd'", hrähtnariavarga ,, Kapitel 'Brahmane'" usf.
Wie soll nun aber -varga in der Überschrift des ganzen Werkes verstanden
werden, zumal hier das Vorderglied udäna- kein Thema bezeichnet, sondern
eine literarische Gattung 1
Die Interpretation dieses Titels ist hier in ganz besonderer Weise abhängig
von der Geschichte des Bekanntwerdens dieses Textes. Wie ist nun dieser
Titel entstanden, wie ist dieser Titel zu verstehen, und welchem Text
kommt dieser Titel überhaupt zu ?
Es war Anton Schiefner*, dem wir die erste wirkliche Kenntnis vom
Inhalt eines Werkes verdanken, das tibetisch Ched-du brjod-pahi dhoms
heißt und im Titel wie im Kolophon immer als die Übersetzung eines
Sanskritoriginals namens Udänavarga ausgegeben wird. Schiefner starb,
bevor er die Übersetzung dieses Werkes vollenden konnte.
Im Jahre 1892 erschien dann eine Übersetzung dieses Textes von
' Nanjio = Bunyiu Nanjio : A Catalogue of the Chinese Translation of the
Buddhist Tripitaka. Oxford 1883.
S = Shukuzatsu-zokyo. Tokyo 1880-1885.
T = Taisho-issaikyo. Tokyo 1924-1934.
2 Melanges Asiatiques. Tome VIII p. 559 sqq. - Der erste Hinweis auf den
Text stammt von Csoma Köbösi in seiner Analysis des Kanjur. Asiatic Rese¬
arches. Calcutta (1836) Vol. 20 Part I p. 41-93, 393-552.
W. Woodville Rockhill mit dem Titel: „Udänavarga: A Colleetion of
Verses from the Buddhist Canon. Compiled by Dharmaträta. Being the
Northern Buddhist Version of Dhammapada". Rockhill konnte von den
etwa 1000 Versen an die 300 mit Parallelen aus dem Päli Dhammapada
identifizieren und für 150 weitere Verse eine Ähnlichkeit nachweisen: 20
Verse fand er im Suttanipäta wieder, wonach er sich für berechtigt hielt,
diesen Text einfach als eine nördliche Version des Dhammapada anzuspre¬
chen, obwohl er ausdrücklich in seinem Vorwort bemerkt, daß manche
Verse sicherlich auch Parallelen in anderen Texten gefunden hätten, wenn
or - wie er schreibt* - das Udäna, die Thera- und Therigäthä usw. unter¬
sucht hätte. Diese Unterlassung aber hatte die Folge, daß bis heute dieser
Text dem Dhammapada zugeordnet wird.
Richard Pischel veröffentlichte im Jahre 1908 eine berühmte Akademie¬
abhandlung mit dem Titel: ,,Die Turfan-Recensionen des Dhammapada"*.
Unter den zentralasiatischen Brähmi-Handschriften hatte Pischel eine
größere Anzahl Fragmente entdeekt, die einen Text belegten, dessen Verse
viele Parallelen im Päli Dhammapada fanden, und einige der erhaltenen
Kapitelunterschriften schienen Pischel zu bestätigen, daß mit diesem Text
Sanskrit-Rezensionen des Päli Dhammapada vorliegen.
Pischel hatte auch erkannt, daß dieser Text fast vollständig der tibeti¬
schen Übersetzung des sogenannten Udänavarga entsprach, tmd es stand
für ihn außer Zweifel, daß ein solcher Sanskrittext Vorlage der tibetischen
Übersetzung gewesen sein muß.
Bemerkenswert bleibt dabei, daß Pischel trotz Identifikation des Sans¬
krittextes mit der tibetischen Übersetzung den Namen Udänavarga aus
dem Tibetischen nicht übernimmt, weil nämlich die einzelnen Kapitel der
Sanskritfassung jeweils den Namen -varga - wie im Päli Dhammapada
-vagga - führen, so daß es, wie er meint, von vornherein nicht wahrschein¬
lich sei, daß das ganze Werk ebenfalls als Varga bezeichnet wurde.
Pischel, der den tibetischen Text olfensichtlich nur in der Übersetzung
von Rockhill benutzen konnte, wußte deshalb wohl nicht, daß im tibeti¬
schen Text dhoms, also varga, sowohl in den Kapitelunterschriften wie im
Gesamttitel ersoheint.
Im Jahre 1912 erschemt dann im Journal Asiatique ein längerer Aufsatz
von Sylvain Liivi unter dem Titel: ,,L'Apramäda-Varga: fitude sur les
recensions des dharmapadas". Äuch LÄvi entscheidet sich - wie schon der
Titel seiner Abhandlung zeigt - für eine Zuordnung des Sanskrittextes zum
3 p. Viii: ,,. . .it appears highly probable that if the Udäna, the Theragathä, Therigätha, <i>c. had been examined, many more of the verses of the Tibetan work would have been found in them".
* Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften.
Phü.-hist. Classe XXXIX (1908) p. 968-985.
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Päli Dhammapada. Aber LÄvi läßt sich in seinem Urteil nicht einfach davon
bestimmen, daß er bloße Parallelen aufspürt, LÄvi führt seinen Beweis aus
der Literatur vor allem durch Zeugnisse aus chinesischen Quellen.
Lävi konnte zeigen, daß von 4 typologisch ähnlichen chinesischen Texten :
das y± ^ ^g. Fa-chü-ching^
imd das ^ ^ffi Fa-chü-p'i-yü-ching^
dem Päh Dhammapada zuzuordnen sind, während
das [i| Ii Ch'u-yao-ching''
und das Fa-chi-yao-sung-ching^
zum sogenannten Udänavarga gehören.
Bemerkenswert aber ist dabei, daß der Text des Ch'u-yao-ching nicht nur
die Verse gibt, sondern zugleich die Erzählung, die einen Vers veranlaßte,
also typologisch dem Päli Udäna eher entspricht als etwa dem Dhammapada.
Zum anderen wird dieser Text einem bestimmten Autor zugeschrieben, dem
Bodhisatva Dharmaträta'.
In der Einleitung zum Ch'u-yao-ching heißt es*": ,,Das Ch'u-yao-ching
ist ein Werk des Bodhisatva Dharmaträta (Fa-chiu), der mütterliche
Onkel von Vasumitra (P'o-hsü-mi). Er hat diese 1000 Strophen gesammelt
und in 33 Kapiteln angeordnet unter dem Titel Dharmapada (Fa-chü). Er
hat auch (jeweils) den Anlaß (pen-ch'i) (zum Ausspruch der Verse) aufge¬
zeichnet und (an die Verse) angefügt, um einen Kommentar zu erstellen
mit dem Namen [JJ, (]|| Ch'u-yao."
Diese Textstelle ist für Levi Beweis, daß der Titel Ch'u-yao dem beglei¬
tenden Kommentar zukommt, während die Verse allein ^ Fa-chü,
Dharmapada, heißen, genauso wie die chinesische Übersetzung eines Textes
mit Kommentar, der dem Päli Dhammapada wirklich nahesteht, der
yi'^(|,i) Fa-chü-(ching) oder phonetiseh auch ħ;|;('|^) T'an-p6^^
(-chieh), Dharmapada, genannt wird.
Alle diese Argumente wirken schon jedes für sich so überzeugend - vor
allem der im Tibetischen scheinbar so eindeutig überheferte Sanskrittitel -,
daß Etienne Lamotte, als er sich in einer jüngst erschienenen Arbeit** zur
Annahme eines Sanskrittextes mit dem Titel Udäna gezwungen sah,
einen solchen noch unbekannten Text neben dem sogenannten Sanskrit
* S XXIV.6 - T 210. - Nanjio 1365.
' S XXIV.6 - T 211 - Nanjio 1353.
' S XXIV. 5-6 - T 212 - Nanjio 1321.
« S XXIV.6 - T 213 - Nanjio 1439.
» Cf. U(v). II = F. Bernhard : Udänavarga Vol. II. Göttingen 1968 p. 279 sq.
10 T 212 Vol. IV p. 609 b 24-26. Die Einleitung stammt von Seng-jui 399 A.D.
** Alte Aussprache : d'äm-puät.
*2 Les yaksa Ajakaläpaka et Bakkula dans les Ecritures canoniques du boud¬
dhisme. Melanges dTndianisme ä la memoire de Louis Renou. Paris (1968)
p. 445-466.
Udänavarga postulierte, bloß weil er den sogenannten Udänavarga ausschlie߬
lich der Dharmapada-hitersitm: zuordnete.
So überzeugend die angeführten Argumente sind, so sind sie doch falsch,
denn der Titel des Sanskritwerkes ist belegt.
Schon Pischel war es aufgefallen, daß in keinem der Fragmente des
Sanskrittextes ein Titel erhalten war**. Ganz abweichend von sonstiger
zentralasiatischer Gewohnheit schien diesem Text allein der Titel auch im
Kolophon zu fehlen, obwohl es wohl kaum einen anderen zentralasiatischen Sanskrittext gibt, der ähnlich reich belegt ist.
Es ist eino Eigenart zentralasiatischer Literatur, daß manche Texte vor¬
züghch mit bestimmten anderen zusammen aus einer gemeinsamen Sammel¬
handsohrift stammen. Offensichtlich gab es in Zentralasien gewisse Tradi¬
tionen, die die Texte einander zuordnete, nicht immer so, daß ein syste¬
matisches Prinzip erkenntlich ist.
So folgt in Kuöä der Sanskrittext des sogenannten Udänavarga häufig den
Buddhahymnen des Mät^iceta, während sich an den Text des Sanskrit-
„Udänavarga" vielfach das westtocharische Udänastotra anschließt. Daß
also häufig verschiedensprachige Texte in einer Sammelhandsohrift kon¬
ventionell zusammengeordnet wurden, ist weniger verwunderlich, wenn
man bedenkt, daß die Masse der zentralasiatischen Sanskritfragmente von
anderssprachigen Mönchen geschrieben worden ist**.
Das Udänastotra ist dabei eine Reihe von Segenswünschen in direktem
Anschluß an den „Udänavarga"-Text, in denen die verschiedenen Vargas
der Reihe nach angesprochen werden, also gleichsam ein elaboriertes west-
tocharisches Kolophon zu einem Sanskrittext.
Viele literaturgeschichtliche Information ist verlorengegangen, als man
in der ersten Entdeckerfreude fast alle der in Zentralasien so beliebten Sam-
melhandschrifton auflöste, etwa in Sanskrit und tocharische Blätter teilte,
die dann ganz unabhängig bearbeitet wurden. Nur in dem Glücksfall, daß
Schluß des einen und Anfang des anderen Textes auf demselben Fragmente
belegt und vorhanden sind, ist es möghch, das ursprüngliche Arrangement
wiederherzustellen .
Aus der sicheren Textfolge** des sogenannten S&nakTit-„Udänavarga"
und des westtocharischen Udänastotra wissen wir nun, wie der Sanskrittext
wirklich benannt war, nämlich einfach : Udäna, westtocharisch : Udärn.
1. So heißt es etwa im Udänastotra gegen Schluß des Textes :
US 8 a 4-5**: llll{u)därn ipälmern paikämai wrocc>akälksa. \\
aknätsanne orkamne pii^ ^ cmelassernts^ näJitar^ ceyämorsa \ \
** Pischel op. cit.* p. 968 sq.
** Cf. z. B.: U(v). I (1965) p. 20 sqq. - Dieter ScHLiNOLOrr: Buddhistische Stotras. Berlui (1955) p. 18 sq.
*5 Cf. : U(v). I: Beschreibimg der Handschriften p. 28 sqq.
876 Fbanz Bbbnhabd
„...das herrliche Udäna^'' habe ich geschrieben in dem
großen Wmische: die Finsternis der Unwissensheit der
(Wesen der) 5 Gebmtsklassen möge dmch diese Tat ver¬
schwinden."
2. An einer weiteren Stelle, die auch den Titel des Sanskrittextes belegt,
bleibt der Kontext unklar :
US 1 a 4**: I / 1jlaktsetse udäm dästra || memnäkte . . . .jjjj
Bemerkenswert ist dabei, daß der tocharische Ausdruck : vdärn dästra nicht
etwa einem Lehnkompositum skt. *udäna&ästra entspricht - das müßte
nach tocharischen Lautgesetzen als *udänasastra erscheinen -, sondern
eine einzelsprachliche Verbindung zweier Lehnwörter darstellt. Der Ge¬
brauch des Lehnwortes dästra im Sinne von ,,Bucli, Text" ist nicht besonders.
3. Das Udänastotra ist ein Text, der nm westtocharisch belegt ist". Selbst
der Sanskrittitel ist nur aus dem tocharischen Lehnwort erschlossen, das
in einem Fragment des Kolophons aus der Sammlung Berbzovskij erhalten
ist:
Lävi: Fragments . . . p. 66*": llll(u)tänastottra^^ ära paikatsi ////
„...Udänastotra, zu Ende ist das Schrei¬
ben."**
Aus dem eindeutigen Titel skt. *Udänastotra, ,,8totra des Udäna", erhellt,
daß der Bezugstext eben nicht etwa Udänavarga, sondern einfach Udäna
genannt wmde.
4. Im Tocharischen, sowohl im Osten wie im westlichen Dialekt, sind
zahlreiche Fragmente erhalten, die zu einem sonst unbekannten Kommen¬
tar gehören, der westtocharisch udänalankär^^ genannt wird, was einem
Sanskrittitel *Udänälanikära entspricht**.
Dieser Titel ist westtocharisch mehrfach im Ausdruck :
dharrnasornanne vdänalankärne^^
,,in Dharmasomas Udänälarnkära"
1' Sylvain Levi: Fragments de textes koutcheens. Paris (1933) p. 6.5. - Cf.
Wbbneb Thomas: Tocharische Udänastotras der Bibliothöque Nationale in
Paris. KZ 80 (1966) p. 179 = US 8 a 2.
1' Im buddhistischen Sanskrit ist - wie im Pali - udäna maskulin oder neutral.
Cf. Edgebton: Buddhist Hybrid Sanskrit Dictionary p. 128.
" Levi: Fragments ... p. 57 (Manuscrit de Petrograd).
" Cf.: U(v). n p. 271.
2° Zeile 2 ehies kleinen Fragmentes.
" Sic!
22 Zur Übersetzung cf .: Webneb Thomas : Der Gebrauch der Vergangen¬
heitstempora im Tocharischen. Wiesbaden (1957) p. 212. - Wolfgang Kbause:
Westtocharische Grammatik I. Heidelberg (1952) p. 33.
23 Sic! - Cf. : Toch. B 28 a 4, 33 a 2, 64 b 7, 68 a 3.
" Cf.: U(v). II p. 272, 274.
belegt, woraus ebenfalls ein Sanskrittitel Udäna erschlossen werden muß, den der Udänälarnkära kommentiert.
5. Nach diesen eindeutigen Zeugnissen ist der Blick geschärft, und wir
finden im Sanskrittext selbst den Titel wieder.
So heißt es gleich in der ersten Strophe des Textes
stinamiddham vinodyeha sampraharsya ca mänasam \
ärnutemam pravaksyämi udänarn^^ jinahhäsitam \ \ 1
Daß diese Eingangsstrophe und die darauf folgende nämhch nicht zum
eigentlichen Text gehören, ist schon aus ihrem besonderen Inhalt deutlich
und wird auch im tibetisch erhaltenen Kommentar Ched-du brjod-pahi
6homs-kyi rnam-par hgrel-ba^'' so erklärt.
6. Noch deutlicher aber ist es in Yasomiteas Abhidharmakoiavyäkhyä^^
gesagt, wo es heißt :
I p. 12: yathä sthavira-dhartnaträtena udäna 'anityä bata sarnskärä' ity-
evam-ädikä vineyavasät tatra tatra sütra uktä vargikrtäh . . .
wo also - und das ist cin weiteres Argument - der Text, der mit 'anityä
bata sarnskärä' also mit der sonst als 3 gezählten Strophe des Sanskrittextes
beginnt, nicht nur eindeutig als Udäna bezeichnet wird, sondern wodurch
auch die beiden Eingangsstrophen gegen die zentralasiatische handschrift¬
liche Überlieferung als Einleitung und nicht zum eigentlichen Text gehörig
bestimmt werden*'.
Eine Vermutung von Bbcheet*", ob aus einem Vergleich einer zentral¬
asiatischen Sammelhandschrift, in der auch der Sanskrittext des Udäna-
(varga) enthalten war, mit einer zum Teil ähnlichen Textliste im Divyäva¬
däna^^ auf den Titel des Sanskrit Udäna(varga) zu schließen ist, läßt sich
leider nicht beweisen, weil die betreffende Sammelhandschrift ganz allein
steht und alle sonstigen zentralasiatischen Sammelhandschriften auf eine
andere traditionelle Ordnung der Texte hindeuten.
7. Aber Levis Argumente** lassen sich auoh für meine Beweisführung ver-
"5 Udänavarga I ed. Feanz Beenhaed Göttingen (1965) p. 95.
2* Var. lect.: NOa: { = u)dänärn ////
" Peking Edition ed. D. T. Suzuki. Tökyö-Kyoto (1957) Vol. 119 p. 77a6- 261e2. - Cf.: U(v). II p. 277 sqq.
2' Sphütärthä Ahhidharmakoiavyäkhyä, ed. U. Wogihaea, Tokyo 1932-1936.
*' Cf. : mJod-tik thar-lam gsal-byed des eGyal-öhab Bin-po-che fol. 8 b3. -
V. p. 878.
3" Heinz Bechebt : Bruchstücke buddhistischer Verssammlungen aus zentral- asiatischen Sanskrithandschriften. I Die Anavataptagäthä und die Sthaviragä¬
thä. Berlin (1961) p. 10 sqq., bes. p. 15 Anm. 1.
" Ed. E. B. Cowell and A. Neil (1886) p. (20), 34-35.
" JA 1912 p. 219 sq.
878 Feanz Beenhaed
wenden. Liivi behauptete zwar, daß die Verse allein yi ^ Fa-chü,
Dharma'pada, genannt wurden, und daß Dhaemateäta dem Text zusam¬
men mit seinem Kommentar den Titel [JJ flg Ch'u-yao gegeben habe. Wie
aber ist ein solcher Titel zu verstehen ?
Im Vorwort zum Ch'u-yaß-ching^^ heißt es ziun Titel wie folgt: ,,Der
Ausdruck [Jj ch'u-yao wurde früher (in den alten Übersetzungen) durch
■tf 1^ ,, Gleichnis, Beispiel" wiedergegeben, unter den 12 Gattungen
heiliger Texte** ist es die 6.".
P'i-yü als Entsprechung für skt. avadäna ist bekannt**. In der klassi¬
schen Reihe der 12 literarischen Gattungen ist avadäna aber die 7., die 6.
heißt nidäna. Offensichtlich hat also der Schreiber des Vorwortes zwei ähn¬
liche Begriffe verwechselt, die beide auf -däna enden. Hg yao ,,glänzen(d),
strahlen" gibt ja ganz gut den Sinn der Wurzel dä {dai, iodhanc) wieder,
aber [Jj ch'u ,, hinausgehen, -kommen" als Präfix paßt weder zu ava- noch
zu ni-, sondern entspricht vielmehr einem Präfix nis-, oder allenfalls einem
ut-. Wenn aber in der Reihe der 12 literarischen Gattungen ein nirdäna
nicht vorkommt, an 5. Stelle aber udäna steht, ist es mehr als wahrschein¬
lich, daß hier ein uddäna für udäna übersetzt wurde - eine Verwechselung,
die auch sonst häufig genug belegt ist** - daß also auch nach diesem Zeug¬
nis der Titel von Dhaemateätas Werk Udäna gelautet hat.
8. Daß nur Dhaemateätas Kompilation in Verbindung mit seinem Kom¬
mentar der Titel Udäna zukomme, wird von anderen Texten bestritten. Im
Ta-chih-tu-lun, der chinesischen Übersetzung des Mahäprajnäpäramitä-
iästra des Nägäejuna, heißt es :*' ,,Nach dem Nirväna des Buddha notierten
und sammelten seine Jünger die wichtigsten Gäthäs. Aus den Gäthäs über
die ünbeständigkeit machten sie das Kapitel über die Unbeständigkeit und
so weiter bis zu den Gäthäs über den Brahmanen, aus dem sie das Kapitel
über den Brahmanen zusammenstellten. (Diese Sammlung) heißt auch
(deshalb) ^|X£j5|5 Yu-t'o-na^\ Udäna."
9. In der chinesischen Übersetzung des Abhidharma-Mahävibhäsä-iästra,
im A-p'i-ta-mo-ta-p'i-p'o-sha-lun^^, einem Kommentar zum Jnänaprasthäna
der Sarvästivädins, wird zwar die Kompilation des Werkes Dhaemateäta
33 T 212 Vol. IV p. 609 b 26 - c 1.
3* Cf. : Mahävyutpatti ed. Sakaki. Kyöto (1916): § LXII: DvädaSaka-dharma- pravacanam. Nr. 1267-1278.
3*Cf.: O. O. Rozenbeeg: Vvedenie v Izuöenie Buddizma I. Tokyo (1916)
p. 434.
3*Cf. : Mahävyutpatti ed. Sakaki Nr. 1271 - Satasähasrikä-prajnäpäramitä ed. P. Gho§a. Bibl. Indica. Calcutta (1902 sqq.) p. 1460 1.5 u. ö.
3' S XX. 2 p. 74 a.
3* Alte Aussprache: -jgu-d'ä-nä.
*«a T 1545 - Nanjio 1263.
zugeschrieben, aber ebenso ausdrücklich wird betont, daß es sich nur tun
die Kompilation der Gäthäs handelte, wenn es da heißt*':
„Ebenso sind alle Strophen des [tg ]^ Wu-t'o-nan'^^, Udänarn, vom
Buddha gesprochen worden."
Bemerkenswert ist hierbei, daß der Titel eindeutig als neutrale Form ge¬
geben wird, während im Text der zentralasiatischen Sanskritfragmente eine
Variante zu Strophe I. 1 eine maskuline Bildung nahelegen könnte**.
10. Auch im A-p'i-ta-mo-chü-sM, der chinesischen Übersetzung des
Abhidharma-kosa-4ästra*^, wird Dhabmateätas Kompilation [Jß ]^
Wu-Vo-nav^^ sung, die Gäthäs, des Udänarn, genannt, tmd daß es sich hierbei
um die wirkliche Entsprechung zum bekannten Sanskrittext handelt, er¬
hellt daraus, daß Anitya- und Brähmanavarga als Anfang und Ende des
Werkes erwähnt werden.
11. Was aber ist zu dem so eindeutigen Zeugnis eines Udänavarga in
Titel und Kolophon seiner tibetischen ?7bersetzung zu sagen ? Wir wissen
nachgerade zu gut, wie in tibetischen Texten solche Sanskrittitel rekonstru¬
iert wurden, und schon ein Blick in Peajnävabmans nur tibetisch erhalte¬
nen Kommentar Ched-du brjod-pahi choms-kyi rnam-par hgrel-ba** zeigt,
daß dort der Müla-Text nur als Ched-du brjod-pa^^, abgekürzt als Ched-du
brjod^^ oder Ched-brjod" , also als Udäna angesprochen und zitiert wird,
obwohl auch dieses Werk in Titel wie Kolophon als eine Übersetzung eines
Udänavarga-vivarana ausgegeben wird**.
Ein scheinbarer Titel wie Ched-du brjod-pahi dhoms oder Sanskrit Udäna¬
varga heißt also nichts anderes als :
,,die Vargas eines Textes mit dem Namen Udäna(m)" .
Wenn ich den Sanskrittext, wie er in den zentralasiatischen Handsohrif¬
tenresten belegt ist, aber weiter als Udänavarga anspreche, so ist das in
diesem Sinne zu verstehen und nur deshalb geschehen, um terminologische
Verwirrung und Verwechslung mit dem gleichnamigen Päli-Text zu ver¬
meiden.
S XXII. 1 p. 7 a.
*" Alte Aussprache: -uo-d'a-ndm.
** Im buddhistischen Sanskrit wie im Pali ist udäna sowohl maskulin wie
neutral. Cf. Anm. 17 und 26.
" T 1558 Vol. XXIX p. 1 b - Nanjio 1267.
*3 Alte Aussprache : -uo-d'ä-nam.
" Peking Edition ed. D. T. Suzuki. Tökyö-Kyoto (1957) Vol. 119 p. 77 a 6- 261 e 2.
" op. cit. z. B.: p. 77 c 6, 77 o 7, 77 e 4 u. ö.
" op. oit. z. B.: p. 78 b 5/6, 78 b 6 u. ö.
" op. cit. z. B. : p. 77 a 8, 77 b 3 u. ö.
*8 Cf.: U(v). II p. 277 sqq.
880 Fbanz Bbbnhabd
Daß dhoms (skt. varga) in Ched-du brjod-pahi dhoms nicht zum eigenthchen
Titel des Werkes gehört, erhellt auch daraus, daß in manchen tibetischen
Texten an entsprechender Stelle nicht dhoms, sondern das fast synonyme sde
gebraucht wird.
Z. B.: Grub-mthah che-mo des Kun-mkhyen hJam-dbyans bäad-pa:
fol. 13 a 6-7: des bcom-ldan-hdas-kyis sil-bur gsuns-pa ka-tahi bu
sogs-hjis phyogs-gcig-tu bsdus-pa yin-te \ bdun-pa
chos-skyobs-kyis ched-du brjod-pahi dhoms bzin \
ji-skad-du \ ran-hgrel-las | bye-brag-tu smra-ba-rnams- na re \ de ni bcom-ldan-hdas-kyis sil-bur bdad-la bdun- pa ka-tahi bu-la sogs-pas bsdus-nas bzag-ste \ bdun-pa chos-skyobs-kyis ched-du brjod-pahi sde sde-dhan-du byas-pa bzin-no .. .
mJod-tik thar-lam gsal-byed des bGyal-chab Rin-po-che:
fol. 8 b 3-4: dper-na bdun-pa chos-skyob-kyis^^ \ „kye-ma hdus-byas-rnams mi-rtag"^" \ ces-pa-la sogs-pa ched-du brjod^^-pahi sde ston-pas
gdul-byahi dbari-gis mdo de dan der sil-bur gsuns-pa-rnams
sde-dhan-du byas kyan ston-pahi gsun yin-pa bzin.
Chos-mnon-pahi mjod-kyi bdad-pa^^ (Abhidharmakodabhäsya) des dbYig-
GNEN (Vasubandhu) :
bsTan-hgyur : ml^on-pahi bstan-bcos vol. gu fol. 29 a 5-6 (Peking Edi¬
tion) = Vol. 115 p. 127 e 5-6 (Tökyö Edition):
bdun-pa ka-tyahi bu-la sogs-pas bsdus-nas bzag-ste \ bdun-pa
chos-skyob-kyis*' ched-du brjod-pahi sde sde-dhan-du byas-
pa bzin-no zes bzer-ro.
12. Als letztes bleibt noch das Argument, daß der Sanskrittext durch die
Menge seiner Parallelen, durch die Ähnhchkeit im Aufbau und durch seine
Vargatitel dem Päli Dhammapada, dem sogenannten Gändhäri Dharma¬
pada, überhaupt der ganzen Dharmapadaliteratur viel eher zuzugehören
seheint als etwa dem Päli Udäna, von dessen Vargatiteln kein einziger mit
denen des Sanskrittextes übereinstimmt. Doch auch dieser Schein trügt,
denn die Übereinstimmung bezieht sich eben eigentlich nur auf die Varga¬
titel, und die sind deutlich erst sekundär aus der Dharmapadaliteratur ent¬
lehnt.
" Sic!
U(v). I. 3 a.
51 Verbessert aus handschriftlichem : rjod.
5* ran-hgrel.
Von den 423 Strophen des Päli Dhammapada finden 34, also etwa 8%,
keine Entsprechung im Sanskrit ! Die 80 Strophen des Päli Udäna alle.
Noch signifikanter sind die Ergebnisse, wenn wir statt der Vulgata dio
älteren Rezensionen des Sanskrittextes zum Vergleich heranziehen. Von
allen Strophen - soweit sie nicht bloße textinterne Variationen sind - von
allen Strophen, die in einer Rezension fehlen, haben mehr als 72% (!) eine
Parallele im Dhammapada, Parallelen zum Päli Udäna nie.
Daraus erhellt, daß der Sanskrittext in seinem Kern aus den Strophen
eines Udäna besteht, der mit Strophen verschiedenster Provenienz, vorzüg¬
lich rait Entlehnungen aus der Dharmapadaliteratur, allmähhch angerei¬
chert wurde.
Je älter die Rezension, um so wemger häufig sind die Parallelen zum
Dhammapada. Je älter die Rezension, um so ähnlieher ist der Text dem
Päli Udätia.
Auch formgeschichtlich muß raan eine Entwicklung vom Typ des Udäna
zu dem des Dhammapada annehmen. In einigen älteren Versionen der
Sanskritüberlieferung sind nämlich durchaus noch Reste von Prosapartien
belegt, die alle im Päli Udäna eine Parallele finden** und erst in jüngeren
Handsehriften versifiziert sind. Der Dharmapadaliteratur sind Prosa¬
abschnitte natürlich fremd.
Auch eine Annahme, daß der Sanskrittext in seinera Kanon in gleicher
Weise sowohl dera Päli Udäna wie dem Dhammapada des Päli entspreche,
ist ausgeschlossen, denn ein Vergleich mit den erhaltenen Partien des so¬
genannten Gändhäri Dharmapada^^ zeigt, daß die fehlenden Dhammapada-
Entsprechungen auch für den Gändhäri-Text die gleichen sind, also dem
Sanskrittext Strophen fehlen, die offenbar zum Kern eines - vielleicht darf
man sagen - ,,Ur-Dharmapada" gehören. Daß vom Gändhäri-Text sogar
mehr als 15% der Strophen in den Sanskritversionen keine Parallele hat,
zeigt nur zu gut die allgemeine Entwicklungstendenz aller dieser Verssamm¬
lungen auf.
Der eigentliche Titel des Sanskrittextes, wie er in den zentralasiatischen
Handschriftemesten belegt ist, heißt also Udäna und nur Udäna und ist
trotz aller ,, Dharmapadisierung" ira Grunde die Sanskritrezension eines
Textes, wie er im Päli den gleichen Namen trägt.
" Cf.: U(v). XXVI.18 sqq., XXVII. 11 sqq., XXXII. 33 sqq.
51 Cf. John Bkouoh: The Gändhäri Dharmapada. London (1962) p. 26 sqq.
IRANISCHE SONNENPRIESTER IN INDIEN
Von Helmut Humbach, Mainz
Schon seit langem interessiert man sich in Europa für mögliche Einflüsse
der iranischen auf die indische Religion und auch die Parsis nehmen an der
Diskussion hierüber lebhaften Anteil. Dabei wurde die Frage nach der
Stammbaumverwandtschaft zwischen dem iranischen MidrajMihr und dem
vedischen Mitra abgelöst durch die Frage, was es mit dem Auftreten des
MiOrajMihr in Indien in der Lehnform Mihira auf sich habe. Diese er¬
scheint sowohl als ein Name der Sonne als auch als Kompositionsglied von
Eigennamen wie Vagamihira, Mihirakula, Tossanamihira, Varähamihira, Mi-
hirärnSu, wozu natürlich auch Varianten wieMira in Yolamira zu rechnen sind.
Eine wichtige Rolle spielen in dieser ganzen Angelegenheit die Partien
des Bhavisya-Puräna und des später bekanntgewordenen Sämba-Puräna
über die Berufung von ilfä^a-Brahmanen durch Sämba aus Säkadvipa
nach Indien zur Gründung des Sonnenheiligtums Mitravana bei Multän
und anderer Sonnenheiligtümer.
In neuerer Zeit waren es vor allem drei Arbeiten, die sich dieses Gegen¬
standes angenommen haben :
1. J. Scheftelowitz: Die Mithra-Religion der Indo-Skythen und ihre
Beziehung zum Saura- und Mithraskult (Act.Or. 11, 1933, pp. 293-333).
2. R. C. Hazea: Studies in the Upapuränas I (Calcutta 1958, pp. 29-109).
3. Die unter der Leitung des Münchener Indologen H. Hoffmann ent¬
standene Dissertation von H. v. Stietencron: Indische Sonnenpriester
(Wiesbaden 1966).
Scheftelowitz führt die Einwanderung der Maga-Priester in sakische
bzw. kusänische Zeit zmück. Das SP war ihm noch nicht bekannt. Hazra
weist nach, daß das SP in seinen Nachrichten über die Maga älter ist als
das BhP. Letzteres hat nicht nur aus dem SP geschöpft, sondern dessen
Nachrichten auch wesentlich erweitert, und zwar um Partien, in welchen
die Maga auch Bhojaka genannt werden und welche sich dmch eindeutige
zoroastrische Reminiszenzen auszeichnen. Schließlich druckt v. Stieten¬
cron einen Teil der relevanten Partien des SP und des BhP parallel zuein¬
ander in der Gestalt einer kritischen Ausgabe ab, (wobei er für das BhP
leider keine der leicht verfügbaren Handschriften verwendet). Er vertritt
die Ansicht, daß es sich bei den Maga des SP und bei den Bhojaka-Maga
des BhP um zwei ursprünglich voneinander verschiedene Gruppen handele.