• Keine Ergebnisse gefunden

KURZBERICHT Thema Prognostizieren und Erkennen mittel- und langfristiger Entwicklungsgefähr- dungen nach jugendlichen Alkoholvergiftungen

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "KURZBERICHT Thema Prognostizieren und Erkennen mittel- und langfristiger Entwicklungsgefähr- dungen nach jugendlichen Alkoholvergiftungen"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

KURZBERICHT

Thema Prognostizieren und Erkennen mittel- und langfristiger Entwicklungsgefähr- dungen nach jugendlichen Alkoholvergiftungen

Schlüsselbegriffe Alkoholvergiftung, Jugendliche, Prognose, Risiko- und Schutzfaktoren Ressort, Institut Bundesministerium für Gesundheit

Auftragneh-

mer(in) Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden,

Projektleitung Prof. Dr. med. Ulrich Zimmermann, stellvertr. Projektleitung Heidi Kuttler Autor(en) Ulrich Zimmermann, Heidi Kuttler, Cornelius Groß, Hanna Schwendemann,

Eva Bitzer, Olaf Reis, Daniela Piontek, Ludwig Kraus Beginn 01.09.2011

Ende 30.06.2014

Vorhabensbeschreibung, Arbeitsziele

In vielen Ländern der EU ist seit Beginn der 2000er Jahre eine besorgniserregende Zunahme von Krankenhausbehandlungen von Kindern und Jugendlichen aufgrund von Alkoholvergiftungen zu beobachten. Auch in Deutschland ist die Zahl der 10-20-Jährigen, die mit der Diagnose F10.0 Psy- chische und Verhaltensstörungen durch Alkohol (akute Intoxikation, akuter Rausch) in ein Kran- kenhaus eingeliefert wurden, stark angestiegen (Statistisches Bundesamt, 2014). Über die Gefähr- dung dieser Jugendlichen hinsichtlich späterer Suchterkrankungen liegen bislang keine empiri- schen Daten vor, ebensowenig zu anderen Entwicklungsgefährdungen, die sich aus Belastungen im persönlichen, familiären oder sozialen Bereich ergeben (z.B. Mißbrauchserfahrungen, Schul- schwänzen, delinquentes Verhalten, Obdachlosigkeit oder akut gesundheitsgefährdende Verhal- tensweisen). Zudem gibt es keine Kriterien für die Unterscheidung, ob im Einzelfall eine alkohol- spezifische Kurzintervention, wie z.B. das HaLT-Projekt genügt, oder ob weitergehende Maßnah- men, z.B. zur Abwehr von Kindeswohlgefährdung oder eine familientherapeutische Intervention notwendig sind, um die Chancen für eine gesunde Entwicklung zu erhöhen.

Hauptziel des Projekts war es, die Lebensentwicklung von Jugendlichen nach stationärer Behand- lung wegen Alkoholvergiftungen zu erfassen und eine einfache Methode zu entwickeln, mit der dieser Verlauf auf Einzelfallebene frühzeitig vorhergesagt werden kann. Dazu wurde ein Instru- ment zur Erhebung von Risiko- und Schutzfaktoren bei Alkoholvergiftungen im Kindes- und Ju- gendalter (RiScA) entwickelt und hinsichtlich seines prognostischen Wertes für mittelfristige Ent- wicklungsgefährdungen validiert. Ziel war es, Praktikern eine sichere Einschätzung des Unterstüt- zungsbedarfs Betroffener zu ermöglichen.

(2)

- 2 -

Durchführung, Methodik

Das Projekt gliederte sich in einen prospektiven und einen retrospektiven Teil.

Im retrospektiven Teil wurde der Langzeitverlauf nach jugendlichen Alkoholvergiftungen in einer multizentrischen Kontrollgruppenstudie untersucht. Dazu wurden anhand der Krankenhausunter- lagen 1603 ehemalige Patienten und Patientinnen aus fünf Kinderkliniken identifiziert, die zwi- schen 2000 und 2007 alkoholbedingt (Aufnahmediagnose „Alkoholintoxikation“ ICD-10: F10.0 bzw.

T51) im Krankenhaus behandelt wurden und die zur Zeit der Katamnese mindestens 20 Jahre alt waren (Intoxikationsgruppe). Für die Kontrollgruppe wurden 641 Jugendlichen ausgewählt, die ebenfalls für einen Tag zwischen 2000 und 2007 in einer Kinderklinik behandelt wurden, aber aus anderen Gründen, die nichts mit Alkohol zu tun hatten. Bei 277 Personen der Intoxikationsgruppe und 116 Personen der Kontrollgruppe konnte ein standardisiertes Telefoninterview durchgeführt werden. Die Teilnehmer/innen waren zum Zeitpunkt der Telefoninterviews im Durchschnitt 24 Jahre alt, zu 46% weiblich und die Krankenhausbehandlung lag 5-13 Jahre (im Mittel 8,3 Jahre) zu- rück.

Im prospektiven Teil wurde der RiScA-Fragebogen entwickelt und validiert. Dazu wurden Jugend- liche, die wegen einer Alkoholvergiftung in stationärer Behandlung waren, interviewt. In Zusam- menarbeit mit 10 Standorten des Projektes „Hart am LimiT (HaLT) wurden 342 Jugendliche im mittleren Alter von 15,5 Jahren (51,9% davon männlich) vor dem HaLT-Brückengespräch mittels einer Testversion des RiScA-Fragebogens am Krankenbett schriftlich befragt. Davon wurden 228 nach 6-8 Monaten telefonisch zu ihrem mittelfristigen Entwicklungsverlauf nachuntersucht. Der Fragebogen erfasste Art und Zahl von im Laufe des Lebens aufgetretenen oder aktuell bestehenden Entwicklungsgefährdungen sowie umfassende Risiko- und Schutzfaktoren. Die telefonische Nach- befragung erfasste lediglich aktuell bestehende Entwicklungsgefährdungen.

Gender Mainstreaming

In beiden Projektteilen wurden Jungen und Mädchen gleichermaßen eingeschlossen. Pretests wur- den gleichermaßen mit männlichen und weiblichen Probanden durchgeführt.

Im retrospektiven Studienteil wurde die Kontrollgruppe nach Geschlecht (und Alter) gematcht. Bei der statistischen Auswertung wurde bei allen Prädiktionsmodellen das Geschlecht als Kontrollvari- able aufgenommen.

Bei der Auswahl der erhobenen Entwicklungsgefährdungen im prospektiven Studienteil wurde darauf geachtet, solche Gefährdungen zu erfassen, welche bekanntermaßen bei Jugendlichen ge- schlechtsspezifisch unterschiedlich häufig auftreten (externalisierende Verhaltensweisen wie Ge- walt oder Delinquenz bei Jungen sowie internalisierende Verhaltensweisen wie Depressivität und Suizidalität bei Mädchen). Weiterhin wurden Entwicklungsgefährdungen und Schutzfaktoren nach Geschlecht ausgewertet.

Ergebnisse, Schlussfolgerungen, Fortführung

Die Ergebnisse des retrospektiven Studienteils zeigten, dass die Teilnehmer/innen der Intoxikati- onsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant mehr Alkohol tranken, mehr Anzeichen von Alkoholgebrauchsstörungen aufwiesen und häufiger bereits als alkoholabhängig einzuschätzen waren. Zudem berichteten diese jungen Erwachsenen häufiger über den Gebrauch illegaler Drogen und delinquentes Verhalten. Die große Mehrheit von 80% war jedoch nicht alkoholabhängig und betrieb keinen Alkoholmissbrauch. Die Intoxikationsgruppe nahm auch nicht häufiger als die Kon- trollgruppe psychiatrische/psychotherapeutische Behandlungen in Anspruch und war in einer Rei- he von Aspekten nicht unzufriedener mit ihrer Lebensgestaltung. Insgesamt legen die Ergebnisse den Schluss nahe, dass Alkoholvergiftungen im Jugendalter in der überwiegenden Mehrheit der Fälle nicht mit einer besorgniserregenden oder ungünstigen Langzeitentwicklung verbunden sind.

Bei einer Minderheit entwickelt sich jedoch bereits im jungen Erwachsenenalter eine voll ausge- prägte Alkoholabhängigkeit mit mehreren assoziierten Verhaltensproblemen.

Trotz intensiver Bemühungen konnten nur gut 20% der angeschriebenen Personen erreicht wer- den. Dies ist im Hinblick darauf, dass die Krankenhausbehandlung 5 – 13 Jahre zurück lag und die Kontaktdaten dementsprechend nicht mehr aktuell waren, nachvollziehbar und daher eine gute

(3)

- 3 -

Rücklaufqoute. Aufgrund der Fallzahlen wird die Häufigkeit problematischer Entwicklungsverläufe eher unterschätzt, da neben der Unzustellbarkeit der Briefe und unspezifisch fehlendem Interesse auch Gründe angenommen werden, die auf eine eher ungünstige Entwicklung schließen lassen (z.B.

anhaltender Alkohol- und Substanzkonsum, über den die Betroffenen nicht gern berichten wollen, oder unvollständige Bearbeitung von Alltagsaufgaben).

Außerdem wurde im retrospektiven Teil untersucht, ob und wie die besonders gefährdete Sub- gruppe bereits während der Intoxikationsbehandlung identifiziert werden kann, damit ihnen ent- sprechende Präventionsmaßnahmen angeboten werden können. Zu diesem Zweck wurde versucht, anhand der vorhandenen routinemäßigen pädiatrischen Behandlungsdokumentation in den Kin- derkliniken potentielle Prädiktorvariablen zu identifizieren. Leider stellte sich heraus, dass nur we- nige potentiell geeignete Variablen so dokumentiert waren, dass eine nachträgliche systematische Auswertung möglich war. Eine statistisch signifikante Vorhersage späterer ungünstiger Verläufe ließ sich zum Zeitpunkt der stationären Behandlung nur anhand der Faktoren männliches Ge- schlecht, Konsum illegaler Drogen sowie Schulschwänzen/Weglaufen von Zuhause vornehmen.

Diese Merkmale wurden bereits anderweitig als Risikofaktor für Suchtentwicklung beschrieben (Mounteney et al., 2010; Tucker et al. 2011) und differenzieren nicht scharf genug, um darauf Ein- zelfall-Entscheidungen basieren zu können.

Im prospektiven Projektteil ergaben sich im Vergleich dazu aufschlussreichere Ergebnisse zur Ab- schätzung des individuellen Entwicklungsrisikos. So berichteten z.B. etwa 45% der Jugendlichen bei der Erstbefragung von mindestens zwei Entwicklungsgefährdungen (Lebenszeit und aktuell). 6-8 Monate danach bestätigte noch immer ein Viertel mindestens zwei aktuell vorliegende Entwick- lungsgefährdungen. Weiterhin konnte die Annahme, dass problematische Entwicklungen beson- ders bei einer Kumulation von Risikofaktoren auftreten, auch in unserer Untersuchung bestätigt werden (vgl. Arthur et al., 2002; Glaser et al., 2005). Zudem konnte die Pufferwirkung der erhobenen Schutzfaktoren (familiärer Schutz) nachgewiesen werden, die sich signifikant mildernd auf die in der Nachuntersuchung angegebenen Entwicklungsgefährdungen auswirkt. Es zeigte sich, dass be- stimmte Alkoholkonsummotive und riskante Trinkmuster eng mit dem Ausmaß von Entwick- lungsgefährdungen korrelieren. Belastete Jugendliche berichteten fast fünf Mal häufiger als wenig belastete, dass sie getrunken haben, um Probleme zu vergessen. Zudem beteiligten sie sich signifi- kant häufiger an Trinkspielen oder trinken Spirituosen direkt aus der Flasche. D.h. bestimmte Al- koholkonsummuster- und Motive korrelieren mit einer erhöhten Gefährdung. Überraschend ist dagegen, dass sich hinsichtlich Konsummenge und -häufigkeit keine Unterschiede zwischen wenig und stark gefährdeten Jugendlichen zeigten. Bei der Einordnung der Ergebnisse ist zu berücksichti- gen, dass die befragten Jugendlichen zwar signifikant belasteter waren als der Durchschnitt dieser Alterskohorte. In Bezug auf die Gesamtheit aller im Krankenhaus wegen Alkoholintoxikation be- handelten Jugendlichen ist unsere Stichproben aber eine Positivauswahl. So konnten wir z.B. ein Teil der Jugendlichen, welche in HaLT eingebunden wurden, nicht für die RiScA-Befragung gewin- nen, da akuter Interventionsbedarf bestand.

Ausgehend von den Ergebnissen beider Studienteile können wir daher bilanzieren, dass es sich bei Jugendlichen, die alkoholbedingt im Krankenhaus behandelt werden, um eine überproportional gefährdete Gruppe handelt und dass unsere Ergebnisse das Ausmaß der Gefährdung unterschätzen.

Dieses Ergebnis verstärkt die Relevanz unseres entwickelten Fragebogens, um Jugendliche direkt im Krankenhaus zu erreichen und im Anschluss zielgerichtet handeln zu können.

Bisher gingen aus dem Projekt folgende Veröffentlichungen hervor:

(4)

- 4 -

GROß, C. et al. (2014). A retrospective analysis of psychosocial risk factors modulating aldolescent alcohol binge drinking. Eur Addict Res 20:285-292.

KUTTLER, H. et al. (2013a). RiScA - Risiko- und Schutzfaktoren für eine Entwicklungsgefährdung erfassen und prognostizieren - Studiendesign und erste Ergebnisse. Suchttherapie, 14, S.45.

KUTTLER, H, et al. (2013b). Entwicklung eines Kurzfragebogens zum Erkennen und Prognostizieren von Risiko- und Schutzfaktoren bei Alkoholintoxikationen im Jugendalter (RiScA). Forum für Kin- der- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, (4), 15–34.

PRADEL, H. et al. (2013). RiScA - Risiko- und Schutzfaktoren für eine Entwicklungsgefährdung er- fassen und prognostizieren - Studiendesign und erste Ergebnisse zur Rekrutierung. Das Gesund- heitswesen, 6(8/9), 525–618.

PRADEL, H. (2013). Erfassung von Entwicklungsgefährdung bei Jugendlichen, die eine Alkoholinto- xikation überstanden haben. Was sind valide Instrumente? Masterarbeit, Pädagogische Hochschule, Freiburg im Breisgau.

Umsetzung der Ergebnisse durch das BMG

Die Ergebnisse werden den Halt-Standorten unter Beteiligung des BMG vorgestellt. Es ist davon auszugehen, dass das Prognoseinstrument breit in der Praxis genutzt wird. Die Forschungsergeb- nisse des retrospektiven Teils untermauern, dass Jugendliche, die mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus kommen, eine Zielgruppe sind, bei der Maßnahmen der selektiven Prävention von besonderer Bedeutung sind. Damit konnten die Erfolge des HALT-Projektes belegt werden.

verwendete Literatur

ARTHUR, M. W. et al. (2002). Measuring Risk And Protective Factors For Substance Use, Delin- quency, And Other Adolescent Problem Behaviors: The Com-munities That Care Youth Survey.

Evaluation Review, 26(6), 575–601

GLASER, R. R. et al. (2005). Measurement Properties of the Communities That Care Youth Survey Across Demographic Groups. Journal of Quantitative Cri-minology, 21(1), 73–102.

MOUNTENEY, J. et al. (2010). Truancy, alcohol use and alcohol-related problems in secondary school pupils in Norway. Health Educ. Res. 25, 945–954.

STATISTISCHES BUNDESAMT (2014). Aus dem Krankenhaus entlassene vollstationäre Patienten (einschließlich Sterbe- und Stundenfälle) 2002 bis 2012 - F10.0 - Psychische und Verhaltensstörun- gen durch Alkohol Akute Intoxikation (akuter Rausch). Retrieved from

https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/Krankenhaeuser/Tabelle n/DiagnoseAlkoholJahre.html

TUCKER, J.S. et al. (2011). Running away from home: a longitudinal study of adolescent risk factors and young adult outcomes. J. Youth Adolesc. 40, 507–518.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Dadurch ist sichergestellt, dass die TN sich die Rollen vorstellen können und sie nah an ihrer Lebenswelt sind..  Spielfeld: Die Rollenkarten werden auf einem Spielfeld

(Jutta Morr, Leiterin Koordinierungsstelle RÜMSA im Altmarkkreis Salzwedel) 11:15 Uhr Input: „Erfahrungen aus der Befragung von jungen Menschen“.. (Birgit Röse/Katharina

Da eine weitere Bewerbung der Manuale geplant ist, ist davon auszugehen, dass MATRIX auch zukünftig noch mehr Verbreitung im deutschsprachigen Raum finden wird. Immer

Es brachten sich insgesamt mehr Trainer/innen in die Schulungen mit ein; es beteiligten sich fünf neue Trainer/innen sowie zwei neue Co-Trainer.. Das Konzept hat die Kreativität

Es umfasst 26 good prac- tice-Beispiele aus 16 MS in drei Bereichen (Aufklärungskampagnen, Schulprogramme, Frühinterventionen). Die Maßnahmen sind entsprechend dem

Vor allem Mädchen und junge Frauen sind von Bulimie, Anorexie oder unspezifischen Störungen des Eßverhaltens betroffen, deren Ursachen in in­.. dividuellen

Diese Unterrichtsmethode ist hier zu verstehen als ein unterrichtliches Verfahren, bei dem der unter- richtliche Gegenstand so aufgefächert wird, dass die einzelnen

z Auch heute noch gibt es viele Tiere die den Menschen z Auch heute noch gibt es viele Tiere, die den