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Waldökologie Naturwaldreservate

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Waldökologie Naturwaldreservate

Die Fauna von Natur- und Wirtschaftswald

Insbesondere Buchenwälder galten lange als artenarm und faunistisch relativ uninteressant.

Im Folgenden werden die wichtigsten Aspekte der bisherigen zoologischen Forschungen am Senckenberg Institut unter den Leitfragen vorgestellt: Wie viele Arten leben in einheimischen Wäldern? Welche Qualitäten haben die

Lebensgemeinschaften? Welche Schlussfolgerungen für die künftige Forschung in Naturwaldreservaten und Wäldern mit natürlicher Entwicklung können abgeleitet werden? Wie sieht die Zukunft zoologischer

Langzeitforschung in Wäldern unter den heutigen neoliberalen Forschungsbedingungen aus?

Wolfgang H. O. Dorow

A

us der enormen Vielfalt von fast 50.000 in Deutschland lebenden Tierarten wurden sieben Gruppen ausge- wählt, die in allen hessischen Totalreser- vaten und Vergleichsfl ächen kontinuier- lich über zwei Jahre mit einem breiten Erfassungsprogramm auf Artniveau un- tersucht werden: Regenwürmer, Spinnen, Wanzen, Käfer, Stechimmen, Großschmet- terlinge, Vögel [1]. Damit wird ein Viertel der Fauna Deutschlands abgedeckt. Dank ehrenamtlicher MitarbeiterInnen kann der Anteil auf durchschnittlich ein Drittel erhöht werden.

Wie viele Arten leben in einheimischen Wäldern?

Auf Basis der hessischen Untersuchungen hochgerechnet (15,1 % von 48.240 Arten) ist durchschnittlich mit 7.284 Tierarten pro Naturwaldreservat zu rechnen. Auch einheimische Wirtschaftswälder sind dem- nach artenreich. Dies gilt auch für Buchen- wälder in Mittelgebirgslagen, aber insbe- sondere für Wälder in Auen des Tiefl andes.

Tab.  1 zeigt deutliche Unterschiede zwischen den Arten inventaren der Na- turwaldreservate in Bezug auf die einzel- nen Tiergruppen. Dies belegt, dass zur repräsentativen Bewertung eines Gebietes die Bearbeitung eines breiten Tiergrup- penspektrums auf Artniveau notwendig ist, um Fehlinterpretationen zu vermeiden.

Welche Qualitäten haben die Lebensgemeinschaften?

Reine Artenzahlen sagen noch nicht viel über die Qualität eines Gebietes aus. Erst eine Analyse des Artenspektrums in Bezug

auf Waldbindung, Strukturabhängigkeit und Gefährdung bringt hier verlässliche Erkenntnisse.

Waldbindung

Die hohe Anzahl gefundener Arten bezieht sich überwiegend auf Waldarten. Verdriftete Zufallsfänge aus anderen Lebensräumen spielen mit unter 5 % so gut wie keine Rolle.

Es kommen viele Arten vor, die auf den Le- bensraum Wald spezialisiert sind. Die Höhe ihres Anteils ist stark von der Tiergruppe abhängig. Der Wald ist auch ein Refugium für viele Arten, die sowohl im Offenland als auch im Wald vorkommen. Weil urbane Be- reiche und Agrarlandschaften immer stär- ker ausgeräumt werden, kommt dem Wald somit auch eine bedeutende Funktion für den Schutz solcher Arten zu, die in beiden Lebensräumen beheimatet sind.

• Die Fauna einheimischer Buchenwälder ist arten- und individuenreich

• Hierfür ist insbesondere die Vielfalt und Kontinuität an Strukturen verantwortlich

• So konnten auch zahlreiche Rote-Lis- te-Arten dokumentiert werden

• Defi zite sind bei ausbreitungsschwa- chen Arten erkennbar, die Alt- und Tot- holz besiedeln

• Aus den Ergebnissen der zoologischen Forschung in hessischen Naturwaldre- servaten lassen sich wertvolle Erkennt- nisse für das künftige Biodiversitäts- Monitoring von Wäldern mit natürlicher Entwicklung ableiten

Schneller Überblick

Abb. 1: Alt- und Totholz sind bedeutsame Lebensräume für viele Tierarten, die im Wirtschaftswald nur vereinzelt vorkommen.

Foto: W. Dorow

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Strukturbindung

Analysiert man, wie Lebensräume struk- turiert sind, so ergibt sich eine Fülle von Kategorien auf sehr unterschiedlichen Größenebenen („Skalen“) von Land- schaftselementen und Biotoptypen bis zu Mikrostrukturen. Strukturen, oft sogar ihr gleichzeitiges Vorkommen in räumlicher Nähe, sind essenziell für das Vorkommen von Tierarten. Sie bestim- men entscheidend die Wertigkeit von Gebieten.

Über einen Erfassungsbogen sowie die detaillierte Aufnahme von Strukturen an den Fallenstandorten wird die Aus- stattung jedes hessischen Naturwaldre- servats dokumentiert.

Strukturen sind für die Tierwelt von vielfältiger Bedeutung: Sie dienen als Nahrung, Balz-, Nistplatz, Nestbauma- terial, Versteck, Eiablage-, Übernach-

tungs- oder Überwinterungsort. Wäh- rend der Ausstattung der Wälder mit Alt- und Totholz mittlerweile Beachtung geschenkt wird, spielten Blütensäume, lichte Bereiche und dynamische Gewäs- ser-Auen mit feuchten bis extrem trocke- nen Bereichen bisher kaum eine Rolle.

Diese Strukturen sollten unbedingt in den Waldnaturschutz eingebunden wer- den, da sie wichtige Habitate für viele bedrohte Arten darstellen.

Unterschiede in den Arteninventaren von Totalreservaten und Vergleichs- flächen zeugen von unterschiedlichen Ausstattungen mit zoologisch relevan- ten Strukturen. Höhere Artenzahlen in einer der Teilflächen können daher nicht einfach auf die Bewirtschaftungsweise zurückgeführt, sondern müssen vor dem Hintergrund der vorhandenen Struktu- ren analysiert werden.

Gefährdung

Nur zu 35  % der heimischen Tierarten existieren Rote Listen. Bei vielen einhei- mischen Tiergruppen sind Bestimmbar- keit und ökologische Kenntnisse unzurei- chend.

Tab.  2 zeigt, dass die Teilflächen der Buchen-Naturwaldreservate in Mittelge- birgslagen eine ähnlich hohe Anzahl an Rote-Liste-Arten beherbergen (19 bis 29), während der Sternmieren-Eichen-Hain- buchen-Wald der Kinzigaue im Rhein- Main-Gebiet mit 130 Rote-Liste-Arten herausragt. Unterschiedliche Höhenlagen und Waldgesellschaften spielen demnach eine große Rolle. Insbesondere Arten der Alters- und Zerfallsphase sind in den Naturwaldreservaten im Vergleich zu Wäldern mit langer Totholztradition stark unterrepräsentiert: Während der Nationalpark Kellerwald 14 Käfer-Ur- waldreliktarten (Definition: [2]) aufweist, beherbergen nur die Totalreservate von Kinzigaue (7 Arten), Hohestein und Nid- dahängen (je 1 Art) solche Tiere.

Bei deutschen Stechimmen und Wan- zen – andere Gruppen wurden noch nicht ausgewertet – sind deutlich mehr reine Offenlandarten und Arten, die im Offen- land und im Wald leben, bedroht als reine Waldarten. Die meisten der am stärksten gefährdeten Arten (Kategorien 0 bis 2) leben ausschließlich im Offenland. Ge- nerell liegt der Anteil der Rote-Liste-Ar- ten in den Naturwaldreservaten deutlich unter dem Bundes- oder Landesdurch- schnitt, der der ungefährdeten Arten deut- lich darüber.

Wie lassen sich Waldnutzung und Naturschutz harmonisieren?

Hierfür sind sowohl Integration als auch Segregation notwendig.

Segregation:

Um langfristig ein hohes Maß an natür- licher Biodiversität zu erhalten, müssen Flächen solcher Größen gesichert wer- den, dass in ihnen natürliche Prozesse ungestört ablaufen können. Alle von den Arten benötigten Biotoptypen und Struk- turen müssen kontinuierlich in erreichba- rer Entfernung vorhanden sein. Um die Artausbreitung aus noch vorhandenen Refugien zu unterstützen, ist es sinnvoll, vorrangig Lebensräume mit hohen An- zahlen typischer Arten (sog. „Hot-Spots“)

Tiergruppe Artenzahl Anteil an deutschen Arten (%)

GZ HO KI NI SB D GZ HO KI NI SB

Regenwürmer 11 12 13 9 47 19,1 23,4 25,5 27,7 19,1

Spinnen 167 160 183 179 202 992 16,8 16,1 18,4 18,0 20,4

Wanzen 58 69 124 124 110 899 6,5 7,7 13,8 13,8 12,2

Käfer 703 733 972 939 747 6.770 10,4 10,8 14,4 13,9 11,0

Stechimmen 106 81 91 135 179 1.368 7,7 5,9 6,7 9,9 13,1

Großschmetterlinge 263 270 247 266 259 1.401 18,8 19,3 17,6 19,0 18,5

Vögel 43 43 32 47 44 280 15,4 15,4 11,4 16,8 15,7

Summe 1.349 1.367 1.661 1.703 1.550 11.757 Anteil Fauna D

(48.240) 24,4 % 15,1 %

D = Deutschland; Naturwaldreserevate: GZ = Goldbachs- und Ziebachsrück, HO = Hohestein, Kl = Kinzigaue; NI = Niddahänge, SB = Schönbuche

Tab. 1: Artenzahlen der Standardtiergruppen der hessischen Naturwaldforschung und ihr Anteil an der deutschen Fauna

Rote-Liste-Kategorie GZ T GZ V HO T HO V KI T NI T NI V SB T SB V

1 1

2 2 3 1 24 3 1 3 4

3 14 15 15 15 95 25 17 16 15

G 3 2 2 2 8 1 3 2 1

Summe (1 bis G) 19 20 17 18 128 29 21 21 20

R 1 1 2 1 2

V 13 11 15 10 67 14 14 9 15

D 4 4 2 2 21 5 4 5 2

ungefährdet 1.015 1.007 1.020 1.030 1.435 1.415 1.314 1.081 1.204

nicht bewertet 1 1

keine Rote Liste 5 4 5 5 7 6 3 7 9

Urwaldreliktart Kat. 1 1

Urwaldreliktart Kat. 2 1 6 1

Rote-Liste-Kategorien: 1 = vom Aussterben bedroht, 2 = stark gefährdet, 3 = gefährdet, G = Gefährdung unbekannten Ausmaßes, R = extrem selten, V = Vorwarnliste, D = Daten unzureichend; Kat. = Kategorie; Naturwaldreservate: GZ = Goldbachs- und Ziebachsrück, HO = Hohestein, KI = Kinzigaue; NI = Niddahänge, SB = Schönbuche; T = Totalreservat, V = Vergleichsfläche

Tab. 2: Anzahl von Arten der Standardtiergruppen in den unterschiedlichen Gefährdungska- tegorien pro Teilfläche der Naturwaldreservate

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zu sichern. Natürliche Störungen und die aus ihnen resultierenden Dynamiken und Sukzessionen sollten zugelassen werden, auch die Entwicklung neuer Wälder, ins- besondere im Bereich von Flussauen.

Auch natürlicherweise mit Wäldern ver- zahnte baumfreie Lebensräume (Felsen, Gewässer), die evtl. außerhalb des Zu- ständigkeitsbereichs des Forstes liegen, sollten eingebunden werden. Diese Maß- nahmen sollten auch im Kommunal- und Privatwald gefördert werden. Eine recht- liche Sicherung des dauerhaften Schutzes erscheint sinnvoll.

Integration

Im Wirtschaftswald sind folgende Maß- nahmen zu fördern:

• FSC-Zertifi zierung,

• Ausweisung von Habitatbäumen,

• Erhaltung von Blühfl ächen z.  B. an Wegrändern und auf Windwürfen,

• Erhaltung der natürlichen Dynamik an Waldgewässerufern und auf Offenfl ä- chen.

Für alle hessischen Waldgesellschaften sollte ein gründlicher Überblick darü- ber gewonnen werden, welche Arten in ihnen typischerweise leben. Hierzu sollte die zoologische Forschung in den Na- turwaldreservaten wie bisher fortgeführt werden. Intensivierungen der Untersu- chungen bieten sich an für den Boden, den Kronenraum sowie die Nebenbaum- arten. Die bestehende Probenbank bei Senckenberg sollte genutzt werden, um weitere Tiergruppen zu untersuchen („all-species-inventory“). Auch die Ein- richtung echter Zeitreihen bei den Unter- suchungen erscheint viel versprechend.

Für die Untersuchung der Wälder mit natürlicher Entwicklung werden Moni- toring-Verfahren auf großer Fläche benö- tigt, um Aussagen über die Repräsentanz und Qualität der vorhandenen Biotop- typen machen zu können. Im Bereich der Biodiversität (Artenvielfalt und Artenqua- lität) werden insbesondere Indikatoren (Alt-, Totholzspezialisten, Urwaldrelikt- arten, Arten mit spezifi schen Ansprüchen an Nist- und Nahrungshabitate) benötigt, um festzustellen, ob seltene Arten wieder häufi ger wurden oder neu auftraten und ob eine erhöhte Strukturvielfalt zur Stabi- lisierung der Populationen ausreicht.

Aufgrund der neoliberalen Forschungs- landschaft fehlt es zunehmend an Ta- xonomen und Faunisten, denn sie ist ausschließlich auf kurzfristige Gewinn- maximierung (höchstmögliche Anzahl höchstrangiger Publikationen, höchst-

mögliche Einwerbung von Drittmitteln) ausgerichtet. Dadurch wird es immer schwieriger, Personal für Aussortier- und Bestimmungsarbeiten zu fi nden. Moderne molekulare Artidentifi kationsmetho- den können hier bestenfalls mittelfristig Abhilfe schaffen. Aber der Aufbau von DNA-Datenbanken erfordert auch die Mitarbeit versierter Taxonomen. Ein Um- steuern in der Forschungspolitik ist daher dringend erforderlich!

Nachtrag

Die hier beschriebenen Forschungsarbei- ten wurden in Kooperation mit dem Lan- desbetrieb HessenForst durchgeführt und durch diesen fi nanziell gefördert. Die Auf- nahmen erfolgten durch MitarbeiterInnen der Nordwestdeutschen Forstlichen Ver- suchsanstalt (NW-FVA) in Göttingen und des Senckenberg-Instituts in Frankfurt am Main.

Literaturhinweise:

[1] DOROW, W. H. O.; FLECHTNER, G.; KOPELKE, J.-P. (1992):

Naturwaldreservate in Hessen No. 3. Zoologische Untersuchungen – Konzept. Mitteilungen der Hessischen Landesforstverwaltung 26, S.  1-159. [2] ECKELT, A.; MÜLLER, J.; BENSE, U.; BRUSTEL, H.;

BUßLER, H.; CHITTARO, Y.; CIZEK, L.; FREI, A.; HOLZER, E.; KADEJ, M.; KAHLEN, M.; KÖHLER, F.; MÖLLER, G.; MÜHLE, H.; SANCHEZ, A.;

SCHAFFRATH, U.; SCHMIDL, J.; SMOLIS, A.; SZALLIES, A.; NÉMETH, T.; WURST, C.; THORN, S.; BOJESEN CHRISTENSEN, R. H.; SEIBOLD, S. (2018): Primeval forest relict beetles of Central Europe: a set of 168 umbrella species for the protection of primeval forest remnants. Journal of Insect Conservation 22(1), 15-28.

Dr. Wolfgang H. O. Dorow, wdorow@senckenberg.de, ist Koordinator des Projektes Hes- sische Naturwaldreservate am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt am Main. Er ist Spezialist für Stechim- men und Wanzen.

Abb. 3: Blütenreiche Säume sind für viele Tierarten als Nahrungsquelle essenziell.

Ohne sie können auch viele Totholzbesiedler nicht überleben. Im Naturwald entstehen größere Lücken durch Windwürfe, Feuer oder Hochwässer, im Wirtschaftswald durch Wegebau, Durchforstung oder angrenzendes Agrarland.

Abb. 2: Eklektor an einem liegenden Baum- stamm. Dieser Fallentyp fängt sowohl Tiere, die aus einem einen Meter langen Stamm- abschnitt schlüpfen, als auch Arten, die am Stamm entlang laufen oder fl iegen.

Foto: W. Dorow Foto: W. Dorow

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