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Dagmar Wetzler

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Academic year: 2022

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Dagmar Wetzler. 2006. Mit Hyperspeed ins Internet. Zur Funktion und zum Verständnis von Anglizismen in der Sprache der Werbung der Deut- schen Telekom (Europäische Hochschulschriften XIV, 429). Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang. 369 S.

Jannis Androutsopoulos Universität Hamburg

Institut für Germanistik I

& Institut für Medien und Kommunikation Von-Melle-Park 6 D-20146 Hamburg jannis.androutsopoulos@uni-hamburg.de

Im Mittelpunkt dieser aus einer Heidelberger Dissertation hervor- gegangenen Monographie stehen die Ergebnisse einer 2002 an 100 In- formanten durchgeführten Fragebogenerhebung zum Verständnis von bzw. zu Einstellungen gegenüber Anglizismen in Werbetexten. Flan- kierend dazu hat die Autorin Experteninterviews mit Werbetextern durchgeführt. Beide Erhebungen sind vorbildlich dokumentiert, die Instrumente sowie ausgewählte Werbeanzeigenmotive liegen in einem 25-seitigen Anhang bei. Paradigmatisch betrachtet reiht sich die Arbeit in die Tradition der germanistischen Anglizismenforschung ein; ins- besondere die sich über drei Jahrzehnte erstreckenden und hier immer wieder zur Diskussion und Interpretation herangezogenen Arbeiten von Hermann Fink stellen ein Vorbild für den Ansatz der Autorin dar.

Der paradigmatische Rahmen wird durch die Forschungsübersicht in Kapitel 2 („Zum englischen Einfluss auf das Deutsche“), Kapitel 3 („Zu Werbung und Werbesprache“) und Kapitel 11.1 („Zur Verwen- dungsmotivation von Anglizismen im Deutschen“) abgesteckt. Kapi- tel 2 umfasst relativ kurze Sektionen zur Geschichte der Anglizismen- forschung, der Terminologie der Sprachkontaktforschung, der öffentlichen Anglizismenkritik (mit einem Exkurs zum Purismus in der deutschen Sprachgeschichte und -gegenwart), den Phasen des eng- lischen Einflusses auf das Deutsche und den in der Anglizismenfor- schung üblichen Entlehnungstermini. Auf die größtenteils gleiche Li- teratur greift die Diskussion der stilistischen Funktionen von Anglizismen in Kapitel 11 zurück. Kapitel 3 behandelt u. a. Wirkungs- und Kontaktmodelle in der Werbewirkungsforschung und die Unter- scheidung zwischen Werbe- und Fachsprache. Charakteristisch ist hier im Großen und Ganzen eine Beschränkung der Perspektive auf deutschsprachige, germanistische, zum Teil etwas ältere Literatur. Eng- lischsprachige Arbeiten zu Anglizismen im Deutschen bzw. zum lexi- kalischen Sprachkontakt zwischen Englisch und anderen Nationalspra- chen werden nicht berücksichtigt. Da die Literatursichtung laut ZRS, Band 2, Heft 1

© Walter de Gruyter 2010 DOI 10.15/zrs.2010.029

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Verzeichnis 2003 aufhört, wurde die neuere Wende der Anglizismen- diskussion, die sich an diskursanalytischen und sprachideologischen Ansätzen orientiert, nicht mehr rezipiert. Das ist schade, da die Auto- rin die neuere öffentliche Anglizismendebatte durchaus anspricht und ein Teil ihrer Ergebnisse für diese Debatte relevant ist. Der Einfluss der Literaturdiskussion auf die eigene Empirie ist beschränkt, viele Punkte werden an keiner späteren Stelle wieder aufgenommen. Stellen- weise entsteht dadurch der Eindruck einer Pflichtübung, die mit der eigentlichen Untersuchung wenig organisch verflochten ist.

Die beiden nachfolgenden Kapitel 4 und 5 sind der Methodik der Untersuchung gewidmet. Den Ausgangspunkt der Datenselektion bil- den 22 Werbeanzeigen der Deutschen Telekom mit insgesamt 137 ver- schiedenen Anglizismen, deren Verteilung auf die Textbausteine einer Werbeanzeige gezeigt wird (S. 62). Die ausgewählten 20 Lexeme wer- den nach verschiedenen Kriterien (Frequenz, Sachbezug, Reichweite, lexikografische Aufnahme) gefiltert. Das Auswahlvorgehen wird durchaus transparent beschrieben, dennoch bleibt für mich die Frage offen, was realistischerweise als ein Anglizismus gelten soll und wie sinnvoll es eigentlich ist, Einheiten wietop- undsuper- in den gleichen Topf mit neuen technologiespezifischen Anglizismen wie Freecall und Hyperspeedzu werfen. Als Anglizismen werden auch ganze Sätze klas- sifiziert (There’s nothing you can’t scall), aber auch Kürzel wie T-D1, das wohl deutsch ausgesprochen wird und keine transparente Etymo- logie aus dem Englischen aufweist. Da die Fragebogenerhebung nur Einzellexeme abfragt, werden Einheiten, die in den Anzeigen nur in Kollokationen auftreten (Beispiel: Breitbandsurfen unlimited) in der Befragung separat behandelt. Kapitel 5 präsentiert das Erhebungs- design, darunter die Konstitution der Stichprobe, die Organisation des Fragebogens und statistische Grundbegriffe. Zentral im Unter- suchungsdesign sind drei Dimensionen der Anglizismenrezeption:

„Verständnis“(ob die vorgelegten Einheiten semantisch korrekt gedeu- tet und ‚richtig‘, d.h. in der Regel ausgangssprachlich ausgesprochen werden);„Haltung“(diese wird erfasst durch semantische Differenzia- le wie natürlich/künstlich, modern/altmodisch, einfach/kompliziert, notwendig/überflüssig); und „Wirkung“ (offene Antwort nach der Wirkung des jeweils vorgelegten Wortes „speziell in dieser Anzeige“).

Erhobene unabhängige Variablen sind soziodemografische Daten (Al- ter, Geschlecht, Beruf, Schulbildung), Medienkonsum und Fremdspra- chenkenntnisse (Unterricht für Englisch, Französisch und Latein). Die Verzahnung der abgefragten Dimensionen mit den unabhängigen Va- riablen erfolgt über 22 „forschungsleitende Annahmen“, die in den nachfolgenden Ergebniskapiteln sukzessive beantwortet werden (voll- ständige Auflistung im Anhang, S. 348-50). In der Erhebungssituation wird die Werbeanzeige vorgelegt, die Einzelfragen betreffen jedoch fast

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ausschließlich die einzelnen Wörter und nur am Rande die Anzeige als Gesamttext.

Die Ergebnisse der Fragebogenerhebung werden in den vier nach- folgenden Kapiteln beschrieben. Kapitel 6 (mit knapp 100 Seiten das längste der Arbeit) beginnt mit einem Verständnisranking der 20 ab- gefragten Anglizismen, das von Handy (100%) bis zu by call (nur 3%) reicht. Daran schließen weitere Rangfolgen nach Aspekten der Haltung (Modernität, Einfachheit usw.) und der Wirkung (S. 111-119) an. Es folgen Einzeldarstellungen aller 20 Anglizismen, wobei für je- des einzelne Wort sein Verständnis in der gesamten Stichprobe bzw.

nach einzelnen soziodemografischen Variablen, die Anteile seiner ‚kor- rekten‘ und spontanen Aussprache, sein Gebrauch durch die Infor- manten, deren Haltung (mit Abbildung der semantischen Differen- zialwerte) usw. dargestellt werden. Mit einem durchschnittlichen Umfang von knapp fünf Seiten pro Anglizismus fallen diese Ab- schnitte sehr deskriptiv, teilweise repetitiv und langatmig aus, und die Informationsdichte ist über längere Strecken recht gering. Kapitel 7 bis 9 behandeln ausführlich das Gesamtverständnis der Anglizismen, die Gesamthaltung der Informanten und die Gesamtwirkung der Ang- lizismen. Jede Dimension wird in Relation zu den soziodemogra- fischen Variablen und zum Medienkonsum der Informanten gesetzt.

So stellt sich in Bezug auf das Gesamtverständnis der Englischunter- richt als ausschlaggebendes Merkmal heraus, daneben auch das Ge- schlecht (höherer Bezug männlicher Informanten zu fachspezifischen Anglizismen), überraschenderweise jedoch kaum das Alter oder der Medienkonsum. Bezüglich der Gesamthaltung erweisen sich das Alter (jüngere Informanten empfinden viele vorgelegte Anglizismen als alt- modisch, einfach, natürlich und neutral) sowie die Länge des Eng- lischunterrichts (längerer Unterricht geht mit einer positiveren Hal- tung einher) als signifikant. Signifikant in Bezug auf die Gesamtwirkung der Anglizismen sind das Alter (jüngere Informanten schätzen mehr Anglizismen als positiv ein) und der Medienkonsum, und zwar speziell die Beachtung von Fernsehwerbung. Besonders in- teressant ist das nachgewiesene umgekehrt proportionale Verhältnis zwischen Verständnis und Haltung: als ‚modern‘ wahrgenommene Anglizismen sind jene, die weniger gut verstanden werden. Daran schließt Kapitel 10 (Reaktion auf die Anzeigen) mit Ergebnissen ab Frage 18 des Fragebogens an. Bei der Frage nach der von den Infor- manten vermuteten Zielgruppe der vorgelegten Anzeigenmotive wird gezeigt, dass die Annahme der Auftraggeber, die Motive richten sich an die Allgemeinheit, von den Informanten vielfach nicht geteilt wird.

Auch die Meinung der Informanten zur Nutzung der verschiedenen Produkte und zum „Potenzial der Anzeigen, Interesse zu wecken“

(S. 263) wird hier dokumentiert. Kapitel 11 bietet schließlich auch eine

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Untersuchung zur „Verwendungsmotivation“ von Anglizismen aus Produzentenperspektive an. Diese ist wie eine separate Studie mit ei- gener Literaturübersicht und Methodik aufgebaut. Die Experten wer- den sowohl mit Ergebnissen der Fragebogenerhebung konfrontiert als auch mit ausgewählten Anzeigenmotiven, die nach der Verwendungs- motivation der einzelnen Anglizismen diskutiert werden. Die Exper- tenmeinungen werden dann vor der Folie der aus der Literatur ent- nommenen Funktionskategorien gedeutet. Hier zeigt sich, dass die Experten genauso wie die Informanten eine insgesamt„gemäßigte Ein- stellung“(S. 300) zu Anglizismen in der deutschen Gegenwartssprache an den Tag legen; die Haltung der beiden Gruppen „stimmt zu weiten Teilen [...] überein“(S. 302). Es lassen sich aber auch einige Spannungen zwischen angenommener und tatsächlicher Wirkung von Anglizismen belegen. Die Ergebnisse machen deutlich, dass neben dem Zielgruppen- bezug auch die so genannte„interne Zielgruppe“, d. h. Entscheidungsträ- ger innerhalb der auftraggebenden Organisationen, die Wortwahl in den Anzeigen beeinflussen.

Insgesamt ist die Arbeit durch ihre beeindruckende methodische Sorgfalt und Gründlichkeit gekennzeichnet: Im Rahmen der gewähl- ten konzeptionellen und methodischen Orientierung liefert die Auto- rin eine solide Studie, die ihre zahlreichen Einzelfragen kontrolliert überprüft. Gleichzeitig ist es allerdings so, dass man dem Buch seine Herkunft als Dissertation deutlich ansieht. Das Manuskript wurde für die Buchpublikation wohl kaum redigiert und weist folglich alle lese- unfreundlichen Eigenschaften einer Dissertation auf. So zum Beispiel ist die ausführliche Darstellung statistischer Grundbegriffe als Teil ei- ner Dissertation wohl nachvollziehbar, im Rahmen einer Monographie unterbricht sie aber den Lesefluss und die Argumentation. Auch bei der Einzeldarstellung der 20 abgefragten Anglizismen täte eine ver- dichtende Überarbeitung Not.

Inhaltlich besticht die Arbeit durch eine Fülle an interessanten Einzelergebnissen, die als empirische Belege, zum Teil auch als Korrek- tive zu manchen Annahmen der germanistischen Anglizismenfor- schung und der populär-populistischen Anglizismenkritik überaus nützlich sind. Beispielsweise machen die Ergebnisse deutlich, dass die Informanten die Notwendigkeit von Anglizismen nicht nach ihrem se- mantischen Verhältnis zum heimischen Wortgut einschätzen, sondern in Abhängigkeit von deren Verständlichkeit. Überflüssig sind also nicht zwingend jene Anglizismen die ein heimisches Pendant haben, sondern jene, die nicht gut verstanden werden (s. Tabelle S. 118). So werden top- und super- als überdurchschnittlich notwendig, Plug &

Play oder Flatrate, obwohl sie kein existierendes heimisches Äquiva- lent haben, als überflüssig eingeschätzt. Dieselben Anglizismen werden auch als überdurchschnittlich künstlich, übertrieben, kompliziert und

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modern eingeschätzt. Zugleich ist die hier dokumentierte Kombination von Unverständnis und ablehnender Haltung nicht ausschließlich von der Sprachwahl abhängig, wie das instruktive Beispiel Breitbandsurfen zeigt– hier wird eben der englische Bestandteil verstanden und akzep- tiert. Auch der von der populistischen Anglizismenkritik herauf- beschworene „Ärger“ über die „Anglizismenflut“ wird durch die Be- fragung nicht bestätigt, stattdessen ein überwiegender Pragmatismus belegt: Einer Bedrohung des Deutschen stimmen die Informanten nicht zu. Auch die Unterstellung, Massenmedien seien das Einfallstor für Anglizismen, wird ebenfalls nicht unterstützt: Ausschlaggebend für das Verständnis von und die Haltung zu Anglizismen ist in erster Linie der Englischunterricht, nicht der Medienkonsum. Hier gibt es also eine reichhaltige Palette an Befunden, die an populäre Pauschal- urteile anschließen und diese vielfach zurückweisen. Ein kritischer Dialog mit der öffentlichen Anglizismenkritik wird im empirischen Teil der Arbeit jedoch viel zu wenig bzw. unsystematisch geführt. Auf der anderen Seite umfasst die Arbeit auch eine Reihe von Einzelergeb- nissen von zweifelhaftem Nutzen, insbesondere Aussagen die direkt aus der Fragebogenauswertung hervorgehen. Beispielsweise lesen wir:

„Für die Berufsgruppe der Beamten ist online signifikant häufiger als erwartet ein eher ungebräuchliches Wort“ (S. 163); an anderer Stelle, dass „Hyperspeed auf die 26- bis 45-Jährigen sowie die Erwerbslosen signifikant häufiger als erwartet auffallend wirkt“ (S. 176). Darin sehe ich noch einen Nebeneffekt der unzureichenden Überarbeitung der Dissertation für die Veröffentlichung: Es ist leider nicht leicht, in der Menge an Einzelergebnissen die Übersicht zu behalten, und die He- rausstellung der theoretisch relevanten Ergebnisse bleibt hier dem Le- ser überlassen.

Letztlich stellt sich bei jeder Arbeit zu einem derart brisanten The- ma nicht nur die Frage nach ihrer Leistung im Rahmen des gewählten Ansatzes, sondern auch nach der Wahl des Ansatzes selbst. Indem sich die Arbeit der Tradition der germanistischen Anglizismenforschung anschließt und deren theoretische und analytische Annahmen adop- tiert, positioniert sie sich in einer Diskurswelt, in der noch klare Gren- zen zwischen Einzelsprachen vorherrschen und eine Trennung zwi- schen „Muttersprache“ und „Fremdsprache“ noch möglich ist (in diesem Sinne das Abschlusszitat auf S. 325, auch wenn der Fremd- wortbegriff zuvor [S. 47] kritisch diskutiert wird), in der Anglizismen hauptsächlich noch als Angelegenheit des Sprachsystems behandelt und nach ihrer Notwendigkeit bzw. Überflüssigkeit eingeschätzt wer- den und in der die ‚Richtigkeit‘ von Anglizismen an ihrer ausgangs- sprachlichen Aussprache gemessen werden kann (auch wenn im Ein- zelfall anders vorgegangen wird, vgl. S. 153), wobei offensichtlich von einem ‚richtigen‘ Englisch ausgegangen wird. Die Arbeit zeigt keine

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Alternative zu dieser Tradition auf. Nichtsdestoweniger ist sie ein wertvoller und kompetenter Beitrag im Rahmen der germanistischen Anglizismenforschung und sollte von Forschenden in diesem Gebiet die gebührende Beachtung finden.

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