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Von Schmerzmitteln zu Drogentoten in den USA – droht auch der Schweiz eine Opiatkrise?

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Academic year: 2022

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Die Opioidkrise mit der alarmierenden Zunahme tödlicher Überdosierungen in Nordamerika hat zwei Ebenen. In der Betrachtung aus Schweizer Sicht mit der Frage, ob dies auch bei uns passieren könnte, ist diese Differenzierung wichtig.

Die erste Ebene ist die Zunahme von Opioidabhängigen. In den Neunzigerjahren wurde das Opioid Oxycodon von der pharmazeutischen Industrie in den USA als primäres Schmerz - mittel der ersten Stufe massiv vermarktet. Wenige Studien mit sehr eingeschränktem Evidenzgrad sollten dabei belegen, dass die Abhängigkeitsgefahr bisher überschätzt wurde. Die Verkaufszahlen stiegen an, das Mittel erreichte Milliarden- umsätze. Patienten, die zuvor mit NSAR oder Paracetamol behandelt wurden, erhielten nun nicht retardiertes Oxyco- don, sei es postoperativ, nach Verletzungen oder nach Zahn- eingriffen.

Die Galenik von Oxycodon erlaubte es, die Tabletten zu zer- kauen und so ein sehr rasches Anfluten des Opioids im Zen- tralnervensystem zu ermöglichen – mit entsprechender Erhö- hung des Suchtpotenzials der Substanz. Personen, die einen solchen Kick suchten, beschafften sich bei den Ärzten unter Vorgabe von Schmerzen ohne grossen Widerstand die Sub- stanz. Dies wurde begünstigt durch ein Justizsystem, in dem Patienten wegen ungenügender Schmerztherapie ihren Arzt auf Schadenersatz verklagen können. Die Folge dieser Ef- fekte war ein stetiger Anstieg von Personen, die eine Abhän- gigkeit von Oxycodon entwickelten.

Von der Opioidkrise am meisten betroffen sind in den USA jüngere Weisse aus ländlicher Gegend. Der sogenannte «rust belt» mit seiner darbenden Eisenindustrie weist die höchsten Zahlen auf. Es trifft eine Gesellschaft, die durch Arbeitslosig- keit, fehlende Perspektiven und fehlende präventive Ange- bote für eine Suchtentwicklung sehr anfällig ist.

Als Reaktion verschärften die Behörden vor zirka 10 Jahren die Regeln zur Verschreibung solcher Medikamente, und die her- stellende Firma musste die Galenik ändern. Tausende von Oxy- codon-abhängigen Personen hatten plötzlich keinen Zugang mehr zur Substanz und mussten auf Heroin ausweichen.

Von Opioden zu Heroin

Aus der Opioidkrise wurde eine Heroinkrise, und somit beginnt die zweite Ebene, die Ebene der dramatischen Zu- nahme von tödlichen, aber auch nicht tödlichen Überdosie- rungen sowie die Zunahme von Hepatitis C und HIV.

Die USA sind bezüglich schadensmindernder Angebote wie Opioidsubstitutionstherapie und Nadel- und Spritzentausch- programme ein Entwicklungsland. Die US-Drogen politik, noch immer im Zeichen des von Nixon 1970 proklamierten

«War on Drugs», baut in erster Linie auf Repression. Die Gefängnisse sind überfüllt mit Personen, die wegen Drogen- delikten einsitzen.

Die viel zu wenigen Substitutionskliniken arbeiten mit hohen Auflagen, was vielen Betroffenen den Zugang verwehrt. Für saubere Spritzen müssen – gerade in den ländlichen Gegenden – Abhängige zig Kilometer weit reisen. Dabei ist die wis sen - schaftliche Evidenz eindeutig, dass mit diesen Massnahmen hocheffizient Überdosierungen und Infektionskrankheiten verhindert werden können. Mit einer Substitutions therapie kann eine opioidabhängige Person sozial, psychisch und kör- perlich stabilisiert werden, danach können weitere individuell festgelegte therapeutische Ziele anvisiert werden.

Ausstieg schwierig

So trifft die derzeitige Heroinkrise das Land in voller Härte.

Therapeutische Angebote bestehen vielerorts einzig aus ab - stinenzorientierten Programmen. Wer es nicht schafft, geht zurück auf die Strasse. Konsumierende, Feuerwehr und Poli- zei werden mit Naloxonspritzen ausgestattet, um bei Über- dosierungen letale Folgen zu verhindern.

Eine Therapie mit Abstinenzziel muss sehr genau geprüft und geplant werden. Der Beginn der Abstinenz ist aufgrund der rasch schwindenden Opioidtoleranz und der hohen Rück- fallgefahr die gefährlichste Phase für eine Überdosierung. Bei den meisten Abhängigen ist daher initial eine Stabilisierung mit einer Substitutionstherapie angezeigt.

Erschwerend kommt hinzu, dass in Nordamerika Heroin in einigen Gegenden mit Fentanyl oder gar Carfentanil (ein vete rinärmedizinisches Betäubungsmittel für Grosstiere wie Elefanten) gestreckt wird, was die Zahl der letalen Über - dosierungen weiter in die Höhe treibt.

Auch in der Schweiz steigt die Zahl der Verschreibungen von opioidhaltigen Schmerzmitteln. Eine sorgfältige Indikations- stellung und Auswahl der Opioide ist entscheidend, wenn sich die erste Ebene der Vorkommnisse in den USA bei uns nicht wiederholen soll. Der Artikel «Sucht vermeiden – gewusst, wie» (siehe Seite 348 f.) gibt dazu wertvolle Infor- mationen.

Von Schmerzmitteln zu Drogentoten in den USA – droht auch der Schweiz eine Opiatkrise?

In den USA sind 2016 über 40 000 Personen an einer opioidinduzierten Überdosierung gestorben. Mitt- lerweile wurde der nationale Notstand in dieser Sache ausgerufen. Was sind die Ursachen? Bekommen die USA die verheerenden Folgen in den Griff? Droht der Schweiz Ähnliches?

FORUM

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Eine Zunahme von letalen Überdosierungen durch Opioide und ein Anstieg von HIV und Hepatitis C durch Drogenkon- sum sind in unserem Land jedoch unwahrscheinlich. Das flä- chendeckende, häufig sehr niederschwellig zugängliche An- gebot von schadenmindernden Möglichkeiten zusammen mit der Drogenpolitik, die neben Repression auch auf Thera- pie, Schadenminderung und Prävention setzt, verhindert dies.

Doch auch die Schweiz musste vor knapp 30 Jahren zuerst eine verheerende Heroinepidemie mit vielen Todesopfern und explodierenden Hepatitis-C- und HIV-Zahlen durchste- hen, bevor ein solches Angebot und eine solch – international

viel beachtete – liberale Drogenpolitik möglich wurden.

Bleibt zu hoffen, dass die Opioidkrise den USA wenigstens hilft, ihren längst verlorenen Krieg gegen Drogen zu beenden und auf eine evidenzbasierte, medizinisch sinnvolle Drogen- politik einzuschwenken. s PD Dr. med. Philip Bruggmann

Chefarzt Innere Medizin Arud Zentrum für Suchtmedizin Schützengasse 31

8001 Zürich

E-Mail: p.bruggmann@arud.ch

FORUM

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● natürliche und halbsynthetische Opioide (z.B. Oxycodon, Hydrocodon)

■ synthetische Opioide ausser Methadon (z.B. Fentanyl, Tramadol)

▼ Methadon ◆ Heroin

Abbildung: Tote durch Opiatüberdosis in den USA Quelle: The Kaiser Family Foundation State Health Facts (www.kff.org)

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