VORLESUNG VON
DR. J. KELLENBERGER VOM 6. Mai 2013
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Arten von nicht-internationalen bewaffneten Konflikten (NIBK)
. reguläre Streitkräfte (RS) gegen nicht-staatlicher organisierte bewaffnete Gruppen (NSBG) innerhalb eines Landes;
• NSBG gegeneinander innerhalb eines Landes
• Ursprung des NIBK zwischen RS und NSBG innerhalb eines Landes, aber Ausdehnung des Konfliktes auf Nachbarland;
• Multinationaler NIBK: RS eines Drittstaates oder multinationaler Organisation unterstuetze RS des Gastlandes gegen NSBG;
• grenzüberschreitender NIBK zwischen RS und NSBG (Sonderfall des transnationalen NIBK).
Sonderfall: ausländische RS intervenieren zugunsten einer NSBG und kontrollieren diese (IBK)
Quelle: J. Pejic, The protective scope of Common Article 3, p. 4
Die nicht-internationalen bewaffneten Konflikte (NIBK) und das Recht
• Bescheidene vertragsrechtliche Basis: GA 3 und ZP II
Interessante Tendenz: Anzahl Verträge zunehmend, die auf alle bewaffneten Konflikte anwendbar. Beispiel Ausdehnung des
Anwendungsbereichs des UN-Waffenübereinkommens von 1980 auf NIBK im Jahre 2001.
2. Studie über das Völkergewohnheitsrecht kommt zum Ergebnis, dass 148 der 161 Regeln auf alle bewaffneten Konflikte anwendbar.
Schliesst wichtige Lücken zwischen dem auf IBK und NIBK anwendbaren Recht (Methoden der Kampfführung, Schutz der Zivilbevölkerung etc.)
3. Vertragsrechtliche Entwicklungsbedürfnisse, u.a. Verfahren zur besseren Rechtsverwirklichung, Fragen im Zusammenhang mit Freiheitsentzug, mit Schutz der Umwelt, mit Rechten der
Vertriebenen
Der nicht-internationale bewaffnete Konflikt (1/2) Gemeinsamer Artikel 3: Ein Miniaturabkommen
Im Falle eines bewaffneten Konflikts, der keinen internationalen Charakter hat und auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien entsteht, ist jede der am Konflikt beteiligten Parteien gehalten, mindestens die folgenden
Bestimmungen anzuwenden:
1.Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschliesslich der Mitglieder der Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der
Personen, die durch Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder irgendeine andere Ursache ausser Kampf gesetzt sind, werden unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt, ohne jede auf Rasse, Farbe, Religion oder Glauben, Geschlecht, Geburt oder Vermögen oder auf irgendeinem anderen ähnlichen Unterscheidungsmerkmal beruhende Benachteiligung.
Zu diesem Zweck sind und bleiben in Bezug auf die oben erwähnten Personen jederzeit und überall verboten:
a) Angriffe auf das Leben und die Person, namentlich Tötung jeder Art,Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung;
b) das Festnehmen von Geiseln
c) Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung;
d) Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordentlich
Der nicht-internationale bewaffnete Konflikt (2/2) Gemeinsamer Artikel 3: Ein Miniaturabkommen
2) Die Verwundeten und Kranken werden geborgen und gepflegt.
Eine unparteiische humanitäre Organisation, wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, kann den am Konflikt beteiligten Parteien ihre Dienste anbieten.
Die am Konflikt beteiligten Parteien werden sich andererseits bemühen, durch
Sondervereinbarungen auch die anderen Bestimmungen des voriegenden Abkommens ganz oder teilweise in Kraft zu setzen.
Die Anwendung der vorstehenden Bestimmungen hat auf die Rechtsstellung der am Konflikt beteiligten Parteien keinen Einfluss.
Gemeinsamer Artikel 3 (GA3)
1. Alle am Konflikt beteiligten Parteien sind gehalten, in einem NIBK mindestens die Bestimmungen dieses Artikels anzuwenden. Prinzipien: Nicht-Diskriminierung,
menschlische Behandlung, Justizgarantien, Pflicht, sich um Kranke und Verwundete zu kümmern. Gewohnheitsrechtlicher Charakter des GA 3.
2. Enthält keine Regeln über Führung der Feindseligkeiten, siehe aber spezifische Abkommen im Waffenbereich und vor allem Gewohnheitsrecht.
3. Enthält Bedingungen über Behandlung der Inhaftierten, aber nicht über Haftbedingungen
4. Keine Erwähnung der Internierung aus zwingenden Sicherheitsgründen wie in IBK
Umstrittene Fragen
5. Definition des NIBK
IKRK: Organisationsgrad der Konfliktparteien und Intensität der Gewalt als ausschlaggebende Kriterien. Dieser Ansatz ist nicht unbestritten: "horizontales humanitäres Völkerrecht" versus "vertikaler landesrechtlicher Rechtsvollzug".
6. GA 3 verbietet Angriffe nicht-staatlicher bewaffneter Konfliktparteien auf militärische Verbände und Objekte nicht, erlaubt sie aber auch nicht ausdrücklich. Mögliches (nichtt zwingendes) Konfliktpotential mit Völkerstrafrecht, das zum Kampf gegen Terrorismus geschaffen.
7. Territorialer Anwendungsbereich des GA 3.
Grundsätze
• Allgemeine Grundsätze/Prinzipien des hV:
• Unterscheidung, militärische
Notwendigkeit, Verbot der Verursachung unnötigen Leidens
• GA 3 als Kern elementarer Erwägungen der Menschlichkeit (« elementary
considerations of humanity »)
• Martens-Klausel
Martens-Klausel
• « Solange, bis ein vollständigeres Kriegsgesetzbuch festgestellt werden kann, halten es die Hohen
vertragsabschliessenden Teile für zweckmässig, festzusetzen, dass es in den Fällen, die in den
Bestimmungen der von ihnen angenommenen Ordnung nicht inbegriffen sind, die Bevölkerung und die
Kriegsführenden unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts bleiben, wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens. »
Präambel des Abkommens vom 18.Oktober 1907 ….
Das II. Zusatzprotokoll (ZP II)
• Ziel: besserer Schutz als durch GA 3
• Verfehltes Ziel: ähnliches Statut für
Gefangene wie in der III. Genfer Konv., wenn gleiche Bedingungen erfüllt
• Neben genaueren und spezifischeren Regeln auch neue
• neu: Schutz der Zivilbevölkerung, Verbot von Zwangsverlegungen, Hilfsaktionen
• Engerer Anwendungsbereich als GA 3
Artikel 18 (2) und Interpretation
• « (2) Erleidet die Zivilbevölkerung übermässige Entbehrungen infolge eines Mangels an
lebensnotwendigen Versorgungsgütern (..), so sind mit Zustimmung der betroffenen Hohen Vertragspartei
Hilfsaktionen rein humanitärer unparteiischer Art
zugunsten der Zivilbevölkerung ohne jede nachteilige Unterscheidung durchzuführen. »
• « Le fait que le consentement soit requis ne donne pas
un pouvoir discrétionnaire d’appréciation.(..)Il convient
d’ailleurs de relever que le texte précise que des actions
de secours « seront entrepris » L’emploi du futur contient
un élément d’obligation, (…) » Kommentar zum Artikel
Die Konfliktparteien in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten
Der Gemeinsame Artikel 3 spricht von "am Konflikt beteiligten Parteien", ohne zwischen staatlichen und nicht-staatlichen zu unterscheiden. Kennt Kombattanten- und Kriegsgefangenstatus nicht.
Der Artikel 1 (sachlicher Anwendungsbereich) des II.
Zusatzprotokolls unterscheidet zwischen - Streitkräften der Hohen Vertragspartei und
- abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten
Gruppen.
Angehörige nicht-staatlicher bewaffneter Konfliktparteien
Nicht-staatliche bewaffnete Konfliktparteien können einen militärischen und zivilen Flügel haben, oder sich auf den militärischen Teil, eine organisierte bewaffnete Gruppe, beschränken, wenn dieser die Bedingungen einer Konfliktpartei erfüllt.
Mitglieder des militärischer Flügels (der organisierten bewaffneten Gruppe) sind, wie die Angehörigen staatlicher Streitkräfte, ein legitimes Angriffsziel, wenn sie eine fortgesetzte Kampffunktion erfüllen ("continuous combat function"). Bleiben
legitimes Ziel auch in der Zeit, wo nicht direkt an Feindseligkeiten beteiligt.
Eine organisierte bewaffnete Gruppe kann
- als Miliz in staatliche Streitkräfte integriert sein (Artikel 4.A.1. des 3. Genfer Abkommens) - den militärischen Arm einer nicht-staatlichen Konfliktpartei bilden (GA 3, evtl. ZP II)
- allein die nicht-staatliche Konfliktpartei bilden
- ausserhalb eines bewaffneten Konfliktes agieren (Landesrecht, Int. Menschenrechte).
Zu den nicht-staatlichen bewaffneten Grup.
• Gleiche Stellung wie staatliche auf Ebene hum. VR
• Gesetzeswidrig auf Ebene Landesrecht (Rebellion)
• Gebunden durch GA 3, evtl. ZP II
• In der Lage, auch bei gutem Willen Verpflichtungen zu erfüllen?
• Wie sicherstellen, dass auf NIBK anwendbares hum. VR realistisch, erfüllbar auch für diese Gruppen, auf Ebene Vertrags- und Gewohnheitsrecht?
• Welche Anreize zur Einhaltung des hV schaffen? Art.
6(5) ZP II schwach. Vorstellungen IKRK 1977 gingen
bedeutend weiter
Freiheitsentzug und Freiheitsbeschränkung im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten 1/2
Personen können in besetzten Gebieten auch zur Verbüssung
1. Internationale bewaffnete Konflikte
Kriegsgefangene gefangene & internierte Personen
(4. GA, insbesondere Artikel 41-43, 68, 78)
Verletzung des humanitären Völkerrechts
keine Verletzung des humanitären
Völkerrechts
Internierung / Verwaltungshaft
aus Sicherheitsgründen
ohne Anklageerhebung*
Freiheitsentzug und Freiheitsbeschränkung im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten 2/2
Internierung
"Internment or administrative detention is defined as the deprivation of liberty of a person that has been ordered by the executive branch – not the judiciary – without criminal charges being brought against the internee / administrative detainee. (...) (...) this type of deprivation of liberty (...) is insufficiently regulated from the point of view of the protection of the persons involved."
2.
Nicht internationale bewaffnete Konflikte
(GA 3, Art. 5 + 6 von ZP II, Personen, denen aus Gründen im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt die Freiheit entzogen wurdeInhaftiert mit Blick auf Strafklage (pre-trial detention)
Anklageerhebung möglich wegen:
- unrechtmässiger Teilnahme an
Feindseligkeiten aus Sicht das Landesrechts - Verletzung des humanitären Völkerrechts oder anderer Rechtskörper (siehe u.a. Art. 6, ZP II)
interniert aus zwingenden Sicherheitsgründen auf Beschluss der
Exekutivbehörde ohne
strafrechtliche Anklage
Fragen im Zusammenhang mit der Internierung aus Sicherheitsgründen
1. Was ist zu verstehen unter zwingenden Sicherheitsgründen? Internierung im hum. VR erlaubt, aber klarer Rechtsrahmen mit Gründen und Verfahren notwendig (fehlt im auf NIBK anwendbaren Recht weitgehend, Art. 5 ZP II enthält Bestimmungen, aber nicht über Verfahrensgarantien)
2. Regelmässige und automatische Überprüfung der Sicherheitsgründe durch eine unabhängige und unparteiliche Instanz (gerichtlich oder administrativ), in Anlehnung Artikel 43 und 78/IV, die auf IBK anwendbar
3. Je länger Internierung, je überzeugender haben Gründe für eine Verlängerung zu sein.
4. Es fehlt eine Rechtsgrundlage mit allgemeinen Grundsätzen (z.B. keine Alternative zu Strafverfahren) und Verfahrensgarantien (z.B. regelmässige Überprüfung Rechtmässigkeit) für die Internierung. Teil der IKRK-Vorschläge über Weiterentwicklung des hum VR im Bereich des Freiheitsentzuges.
PS: Falls es im Rahmen einer Internierung aus Sicherheitsgründen zu einer
Anklage kommt, Beachtung der Justizgarantien wichtig, d.h. der Gesamtheit der Normen mit dem Ziel, eine korrekte Anwendung des Rechts zu
garantieren GA3(1)d. 6/ZPII (gewohnheitsrechtlicher Charakter). 75/ZP I. 9 und 14 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte, Regel 100 der Studie über das Völkergewohnheitsrecht.
Rolle des IKRK hinsichtlich Personen, denen Freiheit entzogen wurde
1. Besuchsrecht, vertragliches und statutarisches Initiativrecht
Notifikation und Registrierung: Art. 70 und 122/III und 106, 136/
138/IV
Völkergewohnheitsrecht Regel 123
Zugang IBK 126/III und 143/IV, NIBK humanitäre Initiative.
2. Transfers von einer Behörde zu einer anderen (grenzüberschreitend oder nicht).
Non refoulement: Art. 3 Konvention gegen die Folter. Art. 33 der Flüchtlingskonvention von 1951.
Implizite Anerkennung des Grundsatzes im GA 3 und in Artikeln 6 und 7 des Paktes über bürgerliche und zivile Rechte. Keine auf NIBK anwendbare ausdrückliche Vertragsnorm.
Restverantwortung der transferierenden Behörde.
3. Besuchsmodalitäten und ihr Sinn.
4. Verfahrensgarantien für Internierte.
5. Justizgarantien in strafrechtlichen Verfahren.
Struktur eines Besuchsberichts
- Ort, verantwortliche Behörde, Datum des Besuchs und des letzten Besuchs, Art des Besuchs (umfassend, teilweise), Anzahl inhaftierter oder internierter Personen.
- Eingangsgespräch mit Anstaltsleitung.
- Materielle Haftbedingungen.
- Organisation der Gesundheitsversorgung.
- Behandlung.
- Kontakte mit der Aussenwelt.
- Analyse der Gespräche mit Inhaftierten ohne Zeugen.
- Abschlussgespräch.
Jeder Punkt in der Regel unterteilt in Feststellungen und Empfehlungen.
Möglichkeiten und Grenzen solcher Besuche.
Int. Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht (1/2)
Wichtige Gemeinsamkeiten
-
die Schutzziele des menschlichen Lebens, der menschlichen Würde und der Gesundheit. Das Schutzziel des menschlichen Lebens gilt im hV
nicht für Kombattante u. andere direkt an den Feindseligkeiten Beteiligte - Verbot der Folter, grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung
- Schutz vor willkürlichem Freiheitsentzug
- Forderung nach ordentlichen Gerichtsverfahren
- Einheit der Familie und Bewegungsfreiheit
Int. Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht (2/2)
Wichtige Unterschiede
- Der Anwendungsbereich der Menschenrechte ist zeitlich, geographisch und thematisch weiter. Im Frieden und Krieg anwendbar.
- Die meisten universellen und regionalen Menschenrechtsverträge sehen mit Ausnahme eines harten Kerns die Möglichkeit vor, dass die Anwendung von Bestimmungen im Falle eines öffentliche Notstandes suspendiert werden kann.
Das humanitäre Völkerrecht kennt keine Suspendierungsmöglichkeiten.
- Das humanitäre Völkerrecht regelt Fragen, welche die
Menschenrechtsinstrumente nicht regeln: die Führung der Feindseligkeiten, Status und Behandlung von Kriegsgefangenen zum Beispiel
- Die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts binden Konfliktparteien, die internationalen Menschenrechte binden Staaten im Verhältnis zu BürgerInnen.
- Int. Menschenrechte besser bewehrt mit Verfahren zur Förderung ihrer Einhaltung, aber ebensowenig Durchsetzungsverfahren wie hum. VR
- Wichtigste Kollisionsgebiete: Tötung und Internierung aus Sicherheitsgründen