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Rezension: Jäger, Lorenz (2014): Beschädigte Schönheit. Eine Ästhetik des Handicaps

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Academic year: 2022

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VHN 1 | 2016

88

REZENSIONEN

Jäger, Lorenz (2014):

Beschädigte Schönheit.

Eine Ästhetik des Handicaps Springe: Zu Klampen.

127 S., € 16,–

Anders als in der Antike wurden im Barock die Gegensätze zwischen dem geraden Gehen und dem Hinken, dem schönen Aussehen und der Hässlichkeit nicht mehr moralisch diskreditiert, sondern literarisch ausgestaltet. Vor allem kunst- volle Gedichte widmeten sich der „schönen Hin- kenden“ („belle boiteuse“, „bella zoppa“). Giovan- ni Leone Sempronio (1603 –1646) gab das Leitbild vor: „Bewege, hübsche Hinkende, deine Füße, sie sind nicht gleich, und an Schönheit ist ihnen kein anderer Fuß gleich …“. In dieser marinistischen und frühbarocken Lyrik war, schreibt Lorenz Jäger, Germanist und Redakteur im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die „ers- te Anerkennung der Behinderung entstanden“.

Jägers kluger und komprimierter Essay zur „Äs- thetik des Handicaps“ verdeutlicht namentlich die Rolle der Frauen. Zunächst erfuhr Louise de La Vallière (1644 –1710), die Mätresse Ludwigs XIV., mit ihrem leichten Hinken am Hof eher Bewun- derung als Spott. Nach Jäger gibt es für hinkende Männer, auch wenn man Lord Byron oder Talley- rand berücksichtigt, kein Vorbild von solch domi- nantem Einfluss wie Louise de La Vallière. Ihr folgend bekommen die in den Gedichten noch weitgehend anonymen hinkenden Heldinnen in den Romanen und Erzählungen des 19. Jahrhun- derts, bei Balzac, Zola oder Benito Pérez Galdós, einen Namen: Josephine von Temninck, Gervaise Macquart und Tristana. Damit erlangen sie in der Fiktion eine Biografie und kommen selbst zu Wort. „Es ist einfach unmöglich“, scherzt Trista- na, die ein Bein aufgrund einer Krankheit verlor,

„dem Gehen mit Krücken einen Hauch von Ele- ganz zu verleihen. […] Mir ist es gleich. Was bleibt mir übrig, als mich damit abzufinden.“ Tris- tana findet sich nicht nur damit ab, sondern sie

„durchläuft eine Verwandlung“, wie Jäger kom- mentiert. Tristana spielt Klavier und bäckt wun-

derbare Kuchen. Galdos’ Roman wurde von Louis Buñuel mit surrealistischen und erotischen Ak- zenten verfilmt.

Jäger präsentiert diverse Ausschnitte und Cha- rakterisierungen von literarischen hinkenden Figuren anhand der Originaltexte (meistens mit Übersetzung), von Heimito von Doderer über James Joyce bis zu Arno Schmidt u. a. Es findet sich zudem ein „Exkurs über das Schielen“ und ein Kapitel zu den „ästhetischen Theorien“ von Friedrich Schlegel und Victor Hugo. Im Schlusska- pitel nimmt Jäger Bezug auf den öffentlichen Umgang mit Behinderung im Zusammenhang mit den Londoner Paralympics von 2012. Er er- kennt einen „Blickwechsel“: Antike und Barock hatten einen Blick von außen auf die Behinde- rung, die Antike in Form einer „Negativ-Morali- sierung“, der Barock in Form einer „dekadenten Positivierung“. In der Gegenwart dominiere nun die Binnenperspektive, die sich, notiert Jäger in seinem prägnanten Fazit, „mit der Geste des ‚Ich bin es selbst‘ beschreiben ließe“. Er verweist auf die Selbstinszenierung des behinderten Models Aimee Mullins, die in der Ästhetisierung ihrer Prothesen zugleich mehr Autonomie zum Aus- druck bringt. Doch Frauen bevorzugen „kosme- tisch diskretere Lösungen“ als Männer, vor allem behinderte Sportler, die ihre Prothesen „offensiv sichtbar“ machen.

Dr. Christian Mürner D-22529 Hamburg

DOI 10.2378/vhn2016.art09d

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