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Bauaufgaben sakraler Architektur zwischen 1470 und 1620 : Typen und Formen

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Academic year: 2022

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W O L F C A N G L I P P M A N N

BAUAUFGABEN SAKRALER ARCHITEKTUR ZWISCHEN 1470 UND 1620

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1 Zeitgenössische Darstellung eines Kirchenraumes einer katholischen (»vera imago Ecclesiae papisticae«) und einer protestantischen Kirche (»vera imago veteris Ecclesiae Apostolicae«), Stiche von ca. 1600, Druckgraphik, Hamburg, Kunsthalle

Die Kirchenbaukunst in der Zeitspanne von 1470 bis 1620 zeichnet sich durch eine Vielzahl von Einzelentwicklungen aus. Dies ist nicht nur auf die territoriale Zergliederung des Alten Reiches zurückzuführen, sondern auch auf einschnei­

dende historische Ereignisse, allen voran die Reformation und die Aufteilung in unterschiedliche Landeskirchen, aber ebenso auf einige auf regionaler Ebene beschlossene Ent­

scheidungen. Dazu zählt u. a. die Ausstellung eines Schutz­

briefes 1464 durch den wettinischen Kurfürsten Friedrich II.

den S a n f t m ü t i g e n (reg. 1428­1464), mit d e m der Kirchen­

bau Sachsens zu einer landesherrlichen Aufgabe deklariert wurde.1

Durch die Konfessionalisierung griffen die Fürsten im Laufe des 16. Jhs. verstärkt in die Kirchenpolitik ein. Auf­

grund der Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 oblag den Fürsten die Entscheidungsgewalt, wel­

cher Konfession ihre Untertanen anzugehören hatten. Auch sonst ist seitens der Fürsten die Haltung zu erkennen, zu­

n e h m e n d in allen glaubensrelevanten Angelegenheiten m i t b e s t i m m e n zu wollen.

Durch die Reformation k a m ab den 1520er Jahren eine Diskussion über eine n e u e zweckmäßigere Kirchenform und deren Ausstattung auf. Sie schlug sich aber stärker als in realisierten Bauten in zahlreichen theoretischen Schrif­

t e n nieder. Die Protestanten zielten auf eine Erneuerung hin, wobei sie auf die alte apostolische Kirche zurückgrei­

fen wollten. Daher war es aus ihrer Sicht konsequent, an ältere Bauformen und Kirchentypen anzuknüpfen. Eine ein­

deutig katholische bzw. eine entsprechend einheitliche protestantische Sakralarchitektur können jedoch nur sehr bedingt konstatiert werden. Vielerorts wurden vorhandene Kirchenbauten nur den n e u e n liturgischen Bedürfnissen angepasst. Zum einen f ü h r t e dies zur Zerstörung von wert­

vollem Inventar, z u m a n d e r e n w a r e n gerade einige pro­

testantische Kirchen a m Erhalt des historischen Kirchen­

guts interessiert.2

Zwei durchaus polemisch gemeinte Stiche von ca. 1600 zeigen exemplarisch, wie sehr die Unterschiede der pro­

testantischen und katholischen Kirche sich nur auf deren Ausstattung u n d die unterschiedliche Liturgie beschränk­

Originalveröffentlichung in: Krause, Katharina (Hrsg.): Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland, Band 4: Spätgotik und Renaissance, Darmstadt 2007, S. 226-235

(2)

Formen (Maßwerkfenster, Rippengewölbe) das Kirchenge­

bäude als erkennbar sakralen Ort zu gestalten: Als Beispiele seien u.a. die 1608 von Paul Francke b e g o n n e n e Haupt­

kirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel, die ehem.

Kölner Jesuitenkirche St. Mariä Himmelfahrt und die Wall­

fahrtskirche in Dettelbach g e n a n n t (ABB. 2).4

Innovative Raumtypen entstanden fast ausschließlich im höfischen Rahmen, speziell im protestantischen Sachsen,

1585/86).

Besondere Raumtypen sind vorrangig bei der reformier­

t e n Kirche zu verzeichnen, so die in den zeitgenössischen Quellen als »Rundkirche« bezeichnete Predigtkirche.5 Dieser Typus e r f u h r allerdings erst nach 1620 eine größere Ver­

breitung. Ein frühes Beispiel ist die 1600­1608 erbaute Nie­

derländisch­Wallonisch reformierte Kirche in der Hanauer Neustadt (ABB. 3), die einer Verdoppelung des Prototyps

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ARCHITEKTUR

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3 Hanau, Reformierte Kirche, Grundriss und Aufriss, 1600-1608

französischer Hugenottenkirchen (Temple von Lyon, 1564, ABB. 4; Grand Temple von La Rochelle, 1577­1603) nahe­

kommt. Die m a n g e l n d e Integration der beiden eingewan­

derten Nationen u n d ihre unterschiedlichen Sprachen lie­

ß e n eine solche Lösung angebracht erscheinen.6

D E R K I R C H E N B A U V O R D E R R E F O R M A T I O N

Einen prägenden Bau wie die Albrechtsburg (vgl. KAT. 2) in der Schlossbaukunst kann m a n in der gleichzeitigen Sakral­

baukunst nicht ausmachen. Dennoch sind einige wegwei­

sende Bauten zu nennen, wie die Münchner Frauenkirche, die 1468 b e g o n n e n wurde, u n d der Chor von St. Lorenz in

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4 Lyon,Temple, Ölgemälde, 1564, Genf, Bibliotheque publique et

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ses Bautyps (Freiberg, ABB. 5; Annaberg, vgl. KAT. 7; Schnee­

berg, Kuttenberg, Laun).

Im ausgehenden 15. Jh. w u r d e n mehrere Wallfahrts­ u n d sog. »Heiltumskirchen« errichtet, die unmittelbar zu einer fürstlichen Residenz gehörten. Bedeutende Beispiele sind die 1496 bis 1508 e r b a u t e Schlosskirche zu W i t t e n b e r g (ABB. 6), in der über 19 0 0 0 Reliquien a u f b e w a h r t wurden, u n d die 1509 vollendete Maria­Magdalenen­Kapelle der Moritzburg zu Halle.7 In beiden Fällen handelt es sich u m durch innere Wandpfeiler b e s t i m m t e Saalbauten mit Em­

poren. In der Passauer Salvatorkirche, die 1479 von den dor­

tigen Erzbischöfen anstelle einer abgerissenen Synagoge begonnen wurde, scheinen mehrere Christusreliquien auf­

bewahrt worden zu sein (ABB. 7): Hier ist a u f g r u n d der Doppelgeschossigkeit die Vorbildwirkung der u m 1243­1248 erbauten Sainte­Chapelle in Paris nicht auszuschließen.

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5 Freiberg, Dom, Innenansicht nach Westen, ab 1488

Im weiteren Z u s a m m e n h a n g ist auch die Wallfahrtskir­

che Zur Schönen Maria in Regensburg zu nennen, die m a n ebenfalls in Folge von Judenvertreibung anstelle einer Syna­

goge errichtete (beg. 1519; vgl. KAT. 12).

In vielen Regionen f ü h r t e die Reformation zum Stillstand des Wallfahrtswesens. Eine A u s n a h m e bildete das u m 1480 b e g o n n e n e Ensemble des Heiligen Grabes in Görlitz, das auch noch in nachreformatorischer Zeit Ziel vieler Wall­

f a h r t e n und Prozessionen war. Zur Anlage, die a u ß e r h a l b der S t a d t m a u e r n liegt, g e h ö r e n drei Gebäude: eine sog.

Kreuz­ u n d Kalvarienkapelle, die eigentliche Grabkapelle (ABB. 8) u n d ein Kreuzweg.8

6 Wittenberg, Schlosskirche, 1496-1508, Stich von ca. 1500

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2 3 0 ARCHITEKTUR

7 Passau, St. Salvator, beg.1479-ca.1500 (Gewölbe um 1580'

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D I E S C H L O S S K A P E L L E A L S B A U A U F G A B E D E S F RÜ H E N 1 6 . J H S . - E N T W I C K L U N G E N U N D B A U K O N Z E P T E

Im Oktober 1544 w e i h t e M a r t i n Luther die Kapelle von Schloss Hartenfels in Torgau; sie wird aus diesem Grund gerne als erste p r o t e s t a n t i s c h e Kirche bezeichnet (vgl.

KAT. 17). Eine spezielle Eigenart der Torgauer Schlosskapelle liegt in der klaren Trennung von fürstlicher Sphäre und Hof.

Diese Tatsache wird durch die Emporen akzentuiert, die es dem Fürsten erlauben, direkt von seinen auf gleicher Ebene liegenden Privatgemächern in die Kirche zu gelangen, ohne sich u n t e r das Hofgesinde begeben zu müssen.9 Andern­

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orts ­ z. B. im Wladislaw­Oratorium des Prager Veitsdoms oder im Dom von Güstrow ­ wird dieser U m s t a n d durch e i n e n e i g e n e n A r k a d e n g a n g herausgestrichen, der von den W o h n r ä u m e n direkt zu d e m Fürstenstand in der Kir­

che f ü h r t .

Der in Torgau ausgebildete Kapellentypus fand sofort Ein­

gang in die protestantische Traktatliteratur1 0 u n d w u r d e d a r a u f h i n m e h r f a c h rezipiert, selbst bei Pfarrkirchen im f e r n e n Kärnten (ehem. protestantische Dreifaltigkeitskir­

che in Klagenfurt, beg. 1581). Vor allem jedoch erlebte er im sächsisch­thüringischen Raum sowie in den angrenzenden Gebieten, d.h. in den evang.­lutherischen Herzogtümern Mecklenburg, P o m m e r n u n d Brandenburg, eine g r o ß e Nachfolge." Gleichen Typus' sind auch die Schlosskapellen in Augustusburg (1568­1572; vgl. KAT. 32, Tafel S. 65) u n d Schmalkalden (1585­1590), obwohl anstelle der in Torgau an­

gewendeten gotischen Formen nun eine klassische Renais­

sance­Ordnung »all'antica« bzw. im Fall von Schmalkalden zusätzlich noch eine farbige Stuckdekoration trat.

Eine Variation des Torgauer Prototyps stellte die 1945 zer­

störte Schlosskapelle in Dresden dar, die 1549 u n t e r Kur­

fürst Moritz von Sachsen nach einem Projekt von Melchior Trost begonnen und 1555 vollendet w u r d e (ABB. 9). Aus den architektonisch gelegentlich eher schlichten Kapellen war dort ein prachtvoller Raum mit toskanischen Rundstützen im Emporengeschoss g e w o r d e n sowie e i n e m a u f w e n d i ­ gen Netzgewölbe, dessen Gewölbezwickel mit Fresken aus­

gefüllt w a r e n . Eine Weiterentwicklung sehen wir an der Schlosskapelle von Schwerin, die 1560­1563 von Johann Baptista Parr (eigtl.: Giacomo Battista Parri) errichtet wur­

de (ABB. 10). Den Mittelpunkt bildete die seitlich a n e i n e m Emporenpfeiler angebrachte Kanzel. Der Fürstenstand be­

f a n d sich, wie in a n d e r e n Schlosskapellen auch, im ersten Emporengeschoss gegenüber der Kanzel, die Orgel oberhalb

8 Görlitz, Heiliges Grab, u m 1510

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9 Dresden, ehem. Schlosskapelle, Innenansicht nach Osten, 1549-1555

oder gegenüber dem Altar, meistens im zweiten Emporen­

geschoss.

Eine w e i t g e h e n d eigene Entwicklung n a h m die Refor­

mation im Herzogtum Württemberg, wo m a n versuchte, eine zwischen den Lehrmeinungen von Luther und Zwingli

vermittelnde Position e i n z u n e h m e n . Konsequenterweise stellt die quergelagerte Kapelle des Stuttgarter Schlosses (ABB. 11) eine eindrucksvolle Sonderentwicklung des bis da­

hin üblichen Typs der Schlosskapellen dar. Alberlin Tretsch errichtete sie 1559­1566 in Z u s a m m e n a r b e i t mit Blasius

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ARCHITEKTUR

11 Albertin Tretsch, Stuttgart, Schlosskapelle, Grundriss, 1559-1566

Berwart d.Ä. (gest. 1589) als erste Ouerkirche, die wohl die eigenwillige Lösung der Stadtkirche in Freudenstadt (vgl.

KAT. 44) und somit die Entwicklung zur Winkelhakenkirche mitbestimmte. Vor allem w u r d e der Bautyp der Stuttgarter Schlosskapelle im eigenen Lande mehrmals wiederholt, u.a.

in Schloss Hellenstein in Heidenheim (1601­1605).12

Der Typus der p r o t e s t a n t i s c h e n sächsischen Schloss­

kapellen w u r d e schließlich sogar in einer Residenz eines katholischen Herrschers ü b e r n o m m e n , nämlich in der un­

ter Herzog Maximilian L1600­1603 errichteten Hofkapelle der M ü n c h n e r Residenz, wo m a n in einem ersten Stadium

­ wie bei d e m protestantischen Prototyp ­ nicht einmal an eine Apsis gedacht hatte, die erst u m 1630 angefügt wurde.13

Es scheint, als h ä t t e m a n von katholischer Seite keinerlei H e m m u n g e n gehabt, Raumtypen zu übernehmen, die prin­

zipiell von den Protestanten geprägt waren, w ä h r e n d an­

dererseits sich die Protestanten stärker Gedanken über das Aussehen ihrer Gotteshäuser machten und sich wiederholt an der von Luther geweihten und möglicherweise auch von ihm mitbestimmten Torgauer Schlosskapelle orientierten.

P R O T E S T A N T I S C H E P F A R R K I R C H E N

Die Tendenz, sich auf Luther und seine Äußerungen zu be­

ziehen, lässt sich auch bei den Pfarrkirchen verfolgen. Hier konnte m a n noch m e h r als bei den Schlosskapellen auf ein reichhaltiges protestantisches Schrifttum zurückgreifen, das allerdings weniger auf eine spezifische architektoni­

sche Form als vielmehr auf die Ausstattung sowie die all­

g e m e i n e Erscheinungsform der Kirchen eingeht. Schon Johannes Calvin h a t t e sich in seiner Abhandlung Institu- tiones Christianae religionis von 1536, also noch vor der Fer­

tigstellung der Torgauer Schlosskapelle, mit d e m idealen Aussehen reformierter Kirchenbauten auseinandergesetzt.

Sein Hauptthema war die Kritik an prachtvollen Gotteshäu­

sern, den »Dei habitacula«.14 Auch Rudolf Wirth (latinisiert:

Hospinianus) sprach sich in seinem m e h r m a l s aufgeleg­

t e n Werk über den Kirchenbau (De templis, Genf 1572) ge­

gen jede Form von Prunk und a u f w e n d i g e m Schmuck bei Gotteshäusern aus, da ja auch Christus a r m gewesen sei.15

Vor allem war f ü r ihn jegliche Anlehnung an heidnische Tempel verwerflich. Reduziert m a n darüber hinaus seine

in den f ü n f Büchern vorgebrachten Theorien auf einen Kernsatz, müsste dieser f o l g e n d e r m a ß e n lauten: Kirchen sollen stabile u n d funktionale Steingebäude sein, die zu­

d e m erhöht über der Stadt liegen sollen ­ alles Äußerun­

gen, wie sie in der zeitgenössischen vitruvianischen Ar­

chitekturtheorie auch zu f i n d e n sind. Johannes Aeschardt wandte sich in seinem Werk über den Kirchenbau {Examen disputationis R. Bellarmini de Templis, Halle 1617) gegen jede Form unnötiger Verschwendung beim Kirchenbau und for­

derte, dass m a n das Geld eher für christliche Wohltätigkeits­

zwecke verwenden solle. Philipp Arnoldi fasste schließlich in seinem 1616 in Königsberg erschienenen Werk Ceremo- niae Lutheranae die von anderen Autoren zuvor geäußer­

t e n Thesen zum Kirchenbau schlagwortartig z u s a m m e n : Entscheidend sei die Ostung und die Dreiteilung der Kirche in Vorhalle, meist mit e i n e m Turm, Schiff u n d Chor.16

Eine klare Vorgabe für die Kirchenform oder den anwend­

baren Architekturstil sucht m a n sowohl bei Luther als auch in den nachfolgenden Werken vergebens. Zwar wird gele­

gentlich ­ neben Luther auch von Wirth (Hospinianus) und Arnoldi ­ auf die Vorbildhaftigkeit der Stiftshütte u n d des Salomonischen Tempels verwiesen, doch abgesehen von den M a ß a n g a b e n , die der Bibel zu e n t n e h m e n waren, w a r m a n bei den Details u n d beim Aussehen gänzlich frei in seiner Entscheidung. Johann Fichard hatte in seinen Reise­

erinnerungen Italia von 1536 mitgeteilt, dass der basilikale Dom von Florenz, S. Maria del Fiore, mit seinem Trikonchos und der m o n u m e n t a l e n Kuppel d e m Templum Salomonis nachempfunden sei. Auch noch Joseph Furttenbach stellte in seinem 1628 in Ulm erschienenen Traktat Architectura civilis hauptsächlich den Florentiner Dom vor und entschied sich somit f ü r einen dreischiffigen Longitudinalbau mit frei­

stehenden Stützen und einer mit Zentralbauten vergleich­

baren Dreikonchenanlage. Um eine phantastische Rekon­

struktion des Salomonischen Tempels handelt es sich wohl bei einer Zeichnung u n d den u m 1590/1595 datierten Sti­

chen von Hans Vredeman de Vries (ABB. 12), die einen über­

wölbten lang gestreckten, dreischiffigen Kirchenraum zei­

gen.17 Andere wiederum präsentierten den Tempel als einen

p h a n t a s t i s c h e n Zentralbau, der Ähnlichkeit mit romani­

schen Kirchen wie St. Gereon in Köln aufweist. Man hat sich den Salomonischen Tempel selbst als eine Hallenkir­

che vorgestellt.18 Aber gerade diese Widersprüchlichkeit der Darstellungen zeigt, dass es eigentlich weder eine klar um­

rissene u n d verbindliche Vorstellung des Salomonischen Tempels noch eine konkrete architektonische Form einer protestantischen Kirche gab.

Und doch k a n n m a n bei vielen protestantischen Pfarr­

und Stadtkirchen eine Tendenz zu einer einheitlichen Typo­

logie beobachten. Fast durchweg sind es Hallenkirchen mit einem Westturm, fast alle h a b e n sie ­ im Gegensatz zu den Schlosskapellen ­ einen eigenen Chor: ein Detail, das ein wenig verwundert, da ein ausladender Chor als Aufent­

haltsort für den Klerus und Ort des Hochaltars f ü r die pro­

testantische Liturgie nicht unbedingt erforderlich ist. Der

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12 Hans Vredeman de Vries, Vertreibung aus dem Tempel, um 1590/1595, Amsterdam, Privatbesitz

»Abendmahlstisch«, das Hochaltarbild und auch das Tauf­

becken benötigen wenig Platz und sollen sich möglichst in unmittelbarer Nähe zu den Gläubigen befinden. Aber Luther hatte den Chor ausdrücklich befürwortet.1 9 Fast alle protestantischen Pfarrkirchen besitzen Emporen, die teils in Form der sog. Hufeisenempore nur an den A u ß e n w ä n ­ den der Seitenschiffe entlanggeführt werden, wie in Helsa (1593/94), Wolfenbüttel (1607­1626) und Bückeburg (vgl.

KAT. 46), teils auch, wie im Falle der Schlosskapelle in Schwerin, gänzlich die Seitenschiffe e i n n e h m e n bzw. sie überdecken: Dies ist in der später zu einer katholischen Jesuiten­ bzw. Hofkirche konvertierten Kirche in Neuburg an der Donau (beg. 1607) und in Landeshut / Schlesien (um 1600) der Fall. Wiederholt w u r d e n Emporen ­ wie in der Thomaskirche in Leipzig oder in der Stadtkirche in Pirna ­ im Laufe des 16. Jhs. nachträglich eingebaut, wobei m a n sich damals anscheinend wenig daran störte, dass dadurch der Raumcharakter, speziell der der prachtvollen Hallen­

kirchen, beeinträchtigt wurde.2 0 Im Vordergrund standen eben, wie von den protestantischen Theoretikern gefor­

dert, die Funktionalität, die sinnvolle Raumausnutzung, d.h.

die Schaffung vieler Sitzplätze, und die Akustik, die durch die hölzernen Einbauten sicherlich begünstigt wurde. So

hat m a n aus Gründen der Funktionalität beispielsweise in der schwäbischen Stadtkirche Göppingen 1618/19e in hohes Satteldach errichtet, u m es als Fruchtschütte zu nutzen, und in Neuburg an der Donau sollte das Dach der evang. Kirche als Getreidelager dienen.

Als eine typisch protestantische Kirchenbauweise müs­

sen auch die akustisch günstigen flachen Holzdecken, ge­

legentlich auch die mit hölzernen Tonnengewölben bedeck­

ten rechteckigen Kirchenbauten bezeichnet werden, wie sie 1601­1607 von Heinrich Schickhardt im h e u t i g e n Mont­

beliard (Mömpelgard), einer einst zu Württemberg gehö­

rigen Grafschaft, realisiert u n d d a n n nochmals 1618/19 in Göppingen variiert wurden.2 1 Viele protestantische Pfarr­

kirchen zeichnen sich dadurch aus, dass es Hallenkirchen sind: zumeist sog. Sechspfeilerhallen. Der im nördlichen Thüringen u n d in den sächsischen Gebieten sehr verbrei­

tete Kirchentypus k o m m t gelegentlich auch in einer redu­

zierten Form als sog. Vierstützenbau vor.

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ARCHITEKTUR

D E R K I R C H E N B A U D E R K A T H O L I S C H E N R E F O R M

Bedingt durch die Reformation k a m der katholische Kir­

chenbau zunächst fast gänzlich zum Erliegen. Allein in den katholischen Gebieten Böhmens und Schlesiens errichtete m a n noch Kirchen. Die wenigen Friedhofskapellen in Ober­

bayern u n d Mainfranken sowie einzelne Pfarrkirchen a m Niederrhein, die in der ersten Hälfte des 16. Jhs. entstanden, sind dagegen eher als A u s n a h m e n zu bezeichnen.2 2

Die B e r u f u n g der Jesuiten, die 1548 in Ingolstadt ein­

treffen, f ü h r t e nicht zu einer u n m i t t e l b a r e n Bautätigkeit.

In diesen Jahren w u r d e n aber die theologischen u n d kon­

zeptionellen Grundlagen f ü r den Neubeginn, d.h. f ü r die katholische Reform (von einigen Autoren auch Gegenre­

formation oder Restauration genannt), gelegt.23

Angesichts der Bedeutung, die das Haus Wittelsbach der Religionspolitik b e i m a ß , v e r w u n d e r t es nicht, dass nach der »Zwangspause« in Bayern zu Beginn wieder ein epochales Werk steht, das bereits zu seiner Zeit unmissver­

ständlich als ein Novum angesehen wurde: die katholische Jesuitenkirche St. Michael in M ü n c h e n (erbaut 1581­1597;

vgl. KAT. 38, Tafel S. 6 8 / 6 9 ) .M l t St. Michael w a n d t e m a n sich klar sowohl von der lokalen Bautradition als auch von den durch Rom vorgegebenen Modellen ab ­ weder k a n n m a n zuvor in Bayern ein derartig m o n u m e n t a l e s (Tonnen­)Gewölbe finden, noch entspricht das durch hohe O u e r t o n n e n b e s t i m m t e Emporengeschoss den »coretti«, d.h. den flachen E m p o r e n r ä u m e n italienischer Jesuiten­

kirchen. M a n wollte offenbar mit St. Michael das bereits vom Ordensgründer Ignatius von Loyola formulierte Bau­

prinzip »sana et fortia« im Sinne einer neuen, lichterfüll­

t e n u n d m o n u m e n t a l e n Architektur verwirklichen. Wie die Fassade klar jedem Eintretenden mitteilt, ist die Münch­

ner Jesuitenkirche jedoch vorrangig als eine Stiftung der Wittelsbacher und daher als eine dynastische Kirche zu verstehen. Sie diente als Grabeskirche der Landesherzöge.

Die architektonische M o n u m e n t a l i t ä t des Innenraumes, ebenso der technische Aufwand, dessen es bedurfte, u m das Langhausgewölbe zu errichten, nicht zuletzt die gewal­

tigen finanziellen Mittel, die benötigt wurden, u m einen solchen Bau zu realisieren, w a r e n wohl der Grund, dass St. Michael nur einen u n m i t t e l b a r e n Nachfolgebau hatte:

die Jesuitenkirche St. Ignatius in Landshut (1631­1641), der zweiten Residenzstadt Bayerns.

Allerdings war die konzeptionelle Wirkung der Münchner Jesuitenkirche in Bayern und den angrenzenden Gebieten so gewaltig, dass m a n dort fortan fast ausschließlich ton­

nengewölbte (oder mit Stichkappengewölben versehene) Saalbauten im italienischen Stil mit w e i ß e n Stuckaturen

»all'antica«, mit Statuennischen u n d Stuckengeln, errich­

tete. Die Grundriss­ und Aufrissformen konnten dabei sehr variieren: von einer Kapellensaalkonstruktion bis zu einer Wandpfeüerkirche, mit eckigem oder rundem Chorabschluss, je n a c h d e m ob es sich u m eine Kloster­ oder Jesuitenkirche handelte.

Zwischen 1580 u n d 1630 h a b e n sich neben den Jesuiten, die allein in Bayern ca. 20 Niederlassungen gründeten, auch andere Orden, insbesondere die Augustiner­Chorherren und die Benediktiner, durch Kirchenum­ und ­neubauten hervor­

getan. In ihren Rheinprovinzen errichteten die Jesuiten in den Jahrzehnten 1590­1620 eine Vielzahl neuer Kirchen, die aufgrund ihres Bautypus ­ fast durchweg Emporenkirchen auf basilikalem Grundriss ­ sowie der Verwendung goti­

scher Bauformen in Kombination mit »welschen« Stilele­

m e n t e n als eine eigene Gruppe zu bezeichnen sind (Mün­

ster, 1590­1597; Molsheim, 1614­1619; Koblenz, 1613­1617;

Köln, beg. 1618).24

Auch das Wallfahrtswesen e r f u h r im Rahmen der ka­

tholischen Reform einen A u f s c h w u n g : Zu n e n n e n sind im 16. Jh. vor allem Einzelinitiativen: die 1603 b e g o n n e n e Rochuskapelle in Prag oder die 1613 vom kaiserlichen Bau­

meister Giovanni Maria Filippi e n t w o r f e n e Marienwall­

fahrtskirche von Altbunzlau (Starä Boleslav).25 Der Würz­

burger Erzbischof Julius Echter von M e s p e l b r u n n (reg.

1573­1617) ließ im fränkischen Dettelbach 1611­1613e i n e

seit 1504 dokumentierte Wallfahrtskirche erneuern (ABB. 2).

Die eigentliche Blütezeit der Wallfahrtskirchen b e g a n n je­

doch erst nach 1620.

Zusammenfassend sei festgestellt, dass ­ abgesehen von Bayern, w o bereits u m 1520 mit der Planung der »Schönen Maria« in Regensburg u n d d a n n dezidiert mit d e m Neu­

bau von St. Michael in München eine ganz eigene Bauweise propagiert w u r d e ­ im Sakralbau des deutschsprachigen Raumes weitgehend bis ca. 1600 gotisierende Formen vor­

herrschten, die wohl m e h r den damaligen Vorstellungen von kirchlicher Architektur entsprachen. Im höfischen Be­

reich dagegen w u r d e n bereits vereinzelt seit 1538 ­ auch w e n n die Kapelle der Landshuter Stadtresidenz noch eine Sonder­ u n d somit Vorreiterrolle e i n n i m m t ­ u n d ganz entschieden mit d e m Bau der Schlosskapelle in Augustus­

burg (beg. 1568; vgl. KAT. 32) klassische Formen, d.h. eine an den antiken S ä u l e n o r d n u n g e n orientierte Baukunst, eingeführt. Zum höfischen Bereich zählen auch fürstliche Stiftungen wie Universitätskirchen: Bedeutendstes Beispiel ist die Würzburger Universitätskirche (beg. 1583; vgl. KAT. 39), deren eindrucksvolle Supraposition der Ordnungen jedoch ursprünglich ihren Abschluss in einem Rippen­ bzw. Netz­

gewölbe fand.

Eine Eigenheit deutscher Sakralbaukunst des 16. und be­

ginnenden 17. Jhs. ist die Dominanz von Hallenkirchen und Saalbauten, die häufig u m l a u f e n d e Emporen a u f w e i s e n : Mögen die Emporen zunächst, wie im Fall der Nürnberger St. Lorenz­Kirche, auch nur praktische Gründe gehabt ha­

ben, weshalb sie noch die Form schmaler Laufgänge aufwei­

sen, so w u r d e n sie bei anderen Kirchen jedoch nachweis­

lich d a f ü r benutzt, u m ranghohen Persönlichkeiten privi­

legierte Plätze anbieten zu können.2'1 Die Emporen w u r d e n nicht nur bei den Schlosskirchen zu einem zentralen Cha­

rakteristikum, sie waren auch bei fast allen Jesuitenkirchen a n z u t r e f f e n ; die in der Architekturgeschichte b e t o n t e n

(10)

n o g r a p h i e . F e r n e r z e i c h n e n s i c h r e f o r m i e r t e K i r c h e n d a ­ d u r c h a u s , d a s s s i e m ö g l i c h s t j e d e F o r m d e s f i g ü r l i c h e n S t u c k d e k o r s s o w i e F r e s k e n v e r m e i d e n , w ä h r e n d p r o t e ­ s t a n t i s c h e G o t t e s h ä u s e r , w i e d i e S c h l o s s k a p e l l e i n N e u ­ b u r g (vgl. KAT. 18) o d e r d i e z e r s t ö r t e D r e s d n e r S c h l o s s k a ­ p e l l e (ABB. 9), d u r c h a u s e i n e r e i c h e A u s s t a t t u n g u n d e i n F r e s k e n p r o g r a m m a u f w e i s e n k o n n t e n .

1 Vgl. Nussbaum/Lepsky 1999,254. Vgl. auch Ullmann 1984,61.

2 Fritz 1997. Vgl. auch Warnke 1999,3o8ff.

3 Publiziert in: Ausst. Kat. Luther, 1983,52 (Abb. 16,17) ­ vgl. auch Gött­

ler 1996,176­178.

4 Wegweisend hierzu die Forschungen von Hipp 1979.

5 Germann 1963,25ff.

6 Für die historischen Zusammenhänge vgl. hauptsächlich: Bott 1970/71, Bd. 1 (1970), 225ff.

7 Gruhl 2006. Zur Kapelle in der Moritzburg, die bereits 1520 mit der Überführung der Reliquien in das Neue Stift (»Dom«) an Bedeutung ver­

lor, zuletzt Stahl 2002,8,44­46. Speziell zu der Bedeutung von Reliquien vgl. Legner 1995, losff., iggff.

8 Meinert 2004. Allgemein zu den Heiliggrabkopien vgl. Rüdiger 2003.

wähnt (»die Kirchen haben drey teyl, den kor, kirchen, und kirchhoff«).

17 Vgl. Ausst. Kat. Le Temple, 1982,129­130 [Nr. 123,124]. Auch M. Merian d. Ä. stellt sich den Salomonischen Tempel als einen basilikalen Bau mit Emporen vor.

18 Peter Spitzer stellte die Darbringung Jesu im Tempel 1569 in einer Hallenkirche, nur mit einigen antikisierenden bzw. »ungewöhnlichen«

Motiven versehen, dar (Bild in der Kirche von Wittenberg) ­ eine ähn­

liche Darbringung Jesu im Tempel von Georg Stierlein (ca. 1530) findet sich in der Aschaffenburger Hofbibliothek, Hs. 9, fol. 30.

19 Luther, Martin, Formula missae et communionispro Ecclesia Witten- bergensis: »Ferner schickt es sich da, wo die Messe gefeiert wird, dass die Kommunikanten sich abgesondert an einem Ort und in einem Haufen aufstellen. Dazu befindet sich [in der Kirche] der Altar, dazu befindet sich auch der Chorraum. Nicht als ob es bei Gott etwas bedeutete, hier oder da zu stehen [...], sondern weil es sich gehört, dass sie öffentlich gesehen und w a h r g e n o m m e n werden ...« (zit. nach Hipp 1979, Bd. 2, 1005 [Fußn. 809J).

20 Hierzu speziell Großmann 1994.

21 Zu Göppingen als eine der ersten Ouerkirchen vgl. Seeger 1999,159 (bes. die Abb.).

22 Grundlage dieser Untersuchung ist eine statistische Erhebung an­

hand der von H. Hipp erstellten Kirchenlisten im Anhang seiner Dis­

sertation ­ vgl. Hipp 1979, Bd. 2,1321­1676.

23 Ausst. Kat. Rom in Bayern, 1997,49 f f , 55 f f . 33°ff 24 Hierzu zuletzt Smith 2002,124«. ­ Braun 1908­1910.

25 Vgl. Skalecki 1989,49­52.

26 Vgl. Danicke 2001.

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