DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
KURZBERICHTE
Thieme — auf Medizin spezialisiert
Der Georg Thieme Verlag wurde im Januar 100 Jahre alt. 1886 ist er in der alten Buchhandelsmetropo- le Leipzig von Georg Thieme ge- gründet worden. Nach dem 2.
Weltkrieg wurde der Verlag nach Stuttgart verlegt. Zu dem in der DDR immer noch — als VEB — exi- stierenden Pendant haben die Stuttgarter noch lose Verbindun- gen. Thieme war von Anfang an ein rein medizinischer Verlag. Be- reits ein Jahr nach der Gründung konnte Georg Thieme die Deut- sche Medizinische Wochenzeit-
Die Thieme-Gruppe ist in Stuttgart-Feu- erbach in einem architektonisch an- spruchsvollen Gebäude untergebracht schrift erwerben: sie ist immer noch der Stolz des Verlages. Pu- blizistische Höhepunkte erlebte die DMW schon früh, als nämlich Robert Koch, Paul Ehrlich und Emil von Behring in ihr veröffent- lichten. Ein weiterer bedeutender verlegerischer Schritt wurde 1919 bei Thieme getan, als Günther Hauff als Teilhaber eintrat; Hauff entwickelte vor allem das Verlags- gebiet Radiologie. Der Verlag hat somit zwei bedeutenden medizi- nischen Wissensgebieten, der Bakteriologie und der Radiologie, schon sehr früh begleitend zur Seite gestanden.
Parallel zur Spezialisierung in der Medizin entfaltete sich bei Thie- me die Reihe hochspezialisierter Zeitschriften. Die Entwicklung hält bis heute an. Zur Zeit werden 38 Fachzeitschriften, darunter 12
englischprachige, verlegt. Der Zeitschriftensektor nimmt rund 30 Prozent des Verlagsumsatzes ein.
Im übrigen und vor allem ist Thie- me eine bedeutender Buchverlag.
Der Verlag schätzt den Marktan- teil der Thieme-Gruppe an der medizinischen Buchproduktion der Bundesrepublik Deutschland auf etwa 40 Prozent. Jährlich kom- men bei Georg Thieme rund 250 Bücher heraus; hinzu kommen rund 150 Neuerscheinungen bei den Tochtergesellschaften. Zu den Bereichen Zeitschriften und Buch tritt jetzt der Komplex
„Neue Medien". Thieme experi- mentiert, einstweilen wohl noch ohne große geschäftliche Erfolge, mit Bildschirmtext, Video und Bildplatte.
Expansion in neue verlegerische Gebiete brachte die Übernahme des Ferdinand Enke Verlages 1970 und des Hippokrates-Verla- -. ges 1980. Mit Enke wurde das Spektrum bis in die Sozialwissen- . schaften ausgeweitet; mit Hippo- g krates, aus der Erbmasse der Bosch-Gruppe erworben, hat die
•(s, Verlagsgruppe Thieme heute auch ein Standbein im Grünen — Thieme, der als klassischer schul- medizinischer Verlag gilt, kann mit Hilfe der Tochtergesellschaft auch das heute wieder interessan- te Feld der Naturheilweisen bear- beiten.
Die Verlagsgruppe beschäftigt zur Zeit rund 320 Mitarbeiter. Der Um- satz liegt bei 92 Millionen DM.
Darin sind eingeschlossen rund drei Millionen US-Dollar einer Tochtergesellschaft in den USA.
1975 hatte der Umsatz von Thieme erst 39,5 Millionen DM betragen.
Die Ertragslage wird für Thieme als „gut", für die Töchter als „be- friedigend" bezeichnet.
Bis heute ist der Thieme Verlag trotz seiner Expansion ein typi- scher Verleger-Verlag, bei dem die persönlich haftenden Gesell- schafter (Dr. med. h. c. Günther Hauff, Dr. jur. Albrecht Greuner) wie die Familie Hauff überhaupt das Geschehen bestimmen. NJ
Streit über
„Experimentierklausel"
Gegensätzliche Auffassungen zwischen dem Verband der Ange- stellten-Krankenkassen (VdAK) und dem Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) gibt es zum Vorschlag von Bundesar- beitsminister Dr. Norbert Blüm, künftig verstärkt „Experimentier- klauseln" für die Krankenkassen gesetzlich abzusichern und zu nutzen, um selbst nach neuen Wegen zur Kostendämpfung zu suchen. Die Ersatzkassen wand- ten dazu ein, solche Klauseln dürften nicht so angelegt sein, daß der Gesetzgeber selbst be- reits Details vorsehe. Die Kran- kenkassen seien daran interes- siert, Experimente etwa mit der Beitragsrückgewähr, Beitrags- nachlässen, verschiedenen Tarif- klassen und „Spartarifen" ver- suchsweise durchzuführen. Wie der VdAK-Vorstandsvorsitzende Karl Kaula betonte, dürften Expe- rimentierklauseln keinesfalls dazu mißbraucht werden, um übertrie- bene Leistungsausgrenzungen zu vollziehen. Auch das Sterbegeld oder die Mutterschaftshilfe seien
„sozialpolitisch wohl begründete Leistungen"; sie würden bei einer totalen Ausgrenzung allenfalls 0,5 Prozentpunkte Ersparnis bringen.
Unterdessen hat der PKV-Ver- band die Forderungen der Ersatz- kassen nach Experimentiermög- lichkeiten als wettbewerbsverzer- rend zurückgewiesen. Den Kas- sen ginge es nur darum, mit Son- derangeboten des sozialen Schut- zes in den Wettbewerb mit der PKV einzutreten. Um Chancen- gleichheit zu wahren, müßte die PKV dann die den Ersatzkassen gewährten gesetzlichen Vergün- stigungen — bis hin zur Steuerfrei- heit — fordern. Nach Meinung des PKV könnten Experimentierklau- seln für die Krankenkassen kein Er- satz für die geforderten strukturel- len Reformen des Gesetzgebers sein. Dieser müsse auch eine faire Marktteilung und gleiche Wettbe- werbschancen herbeiführen. HC 242 (32) Heft 5 vom 29. Januar 1986 83. Jahrgang Ausgabe A