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Archiv "Kongress zum 11. September: Mit dem Unerwarteten rechnen" (11.10.2002)

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m 11. September 2001 um 8.46 Uhr raste das erste Flugzeug der American Airlines in den Nord- turm des World Trade Centers. Um 9.03 Uhr stieß das zweite Flugzeug in den Südturm. 2 800 Menschen, darunter 343 Feuerwehrleute, verloren bei den Ter- roranschlägen in New York ihr Leben.

Ein Jahr später sind sechs Feuerwehr- männer des New York Fire Departments nach Hamburg gekommen – nicht, um sich als Helden feiern zu lassen, sondern um über das Erlebte zu berichten und eine kritische Bilanz ihres Rettungsein- satzes zu ziehen. 550 Teilnehmer aus 14 Nationen hatten sich am 27. und 28. Sep- tember zum „1. Internationalen Kon- gress zum 11. September 2001 – Strate- gien für Feuerwehr, Rettungsdienst und Gesundheitswesen“ im Hamburger Congress Centrum versammelt.

Zu den ersten Feuerwehrleuten, die am 11. September am Einsatzort eintra- fen, gehörten Chief Joseph Pfeiffer und Chief Peter E. Hayden. Der Einsatz ge- riet zum Albtraum. Die Fahrstühle in den Twin Towers waren ausgefallen, die Treppenhäuser für eine Massenevaku- ierung denkbar ungeeignet. Die Sprink- ler-Anlage funktionierte nicht. Die Kommunikation per Funk und Handy brach zeitweise zusammen. Die Men- schen an den Fernsehbildschirmen wa- ren zudem besser über das Geschehen informiert als die Rettungskräfte in den Lobbies der beiden Türme. „Uns ist es gar nicht in den Sinn gekommen, dass die Gebäude einstürzen könnten. Wir dachten, wir hätten für die Evakuierung ein paar Stunden Zeit“, berichtete Pfeif- fer in Hamburg. „Wir mussten immer- hin rund 25 000 Menschen evakuieren.“

Um 9.58 stürzte der Südturm ein, um 10.29 der Nordturm. Die Trümmer be- gruben auch die Feuerwehr-Leitstelle unter sich, die man auf der gegenüberlie-

genden Straßenseite eingerichtet hatte.

Es dauerte eine Stunde, bis eine neue Kommandostruktur aufgebaut war.

Schwierigkeiten bereitete es Pfeiffer zu- folge auch, die vielen Feuerwehrleute in die Rettungsarbeiten einzubeziehen, die eigentlich außer Dienst und direkt von zu Hause zum Einsatzort gekommen wa- ren. Da sie keiner Rettungseinheit zuge- ordnet waren, hatten die leitenden Ein- satzkräfte zwischenzeitlich den Über- blick über die Männer vor Ort verloren.

Erst im Mai dieses Jahres endete der Einsatz der New Yorker Feuerwehr an Ground Zero. Täglich waren 5 000 Hel- fer vor Ort. „Das Schwierigste war, den Einsatzort zu sichern“, sagte Chief Blaich, zuständig für die Logistik. „Wir mussten versuchen, die zahllosen frei- willigen Helfer in die Organisations- strukturen einzubinden, ihnen sinnvolle Aufgaben zuzuweisen.“ Angesichts der Schwelbrände, gefährlicher Stoffe, Staub und verborgener Hohlräume „konnten wir es nicht verantworten, Leute einfach so auf dem Gelände herumlaufen zu lassen“.

Die New Yorker Feuerwehr hat ihre Lektion aus den Erfahrungen des 11.

September gelernt. Das Fire Depart- ment beauftragte die Unternehmensbe- ratung McKinsey, den Einsatz kritisch zu analysieren. Die Berater bemängel- ten unter anderem, dass es keinen Kri- senplan gab, der auf eine Katastrophe dieses Ausmaßes ausgerichtet war.

Übungsszenarien müssten Naturkata- strophen ebenso einbeziehen wie Ter- roranschläge mit nuklearen, chemi- schen oder biologischen Kampfstoffen.

Die New Yorker Feuerwehr versucht derzeit gemeinsam mit Experten, die Verbesserungsvorschläge umzusetzen.

Dazu gehören auch die Fortentwick- lung einer sicherheitsorientierten Ar- chitektur beim Bau von Hochhäusern sowie eine verbesserte psychologische Betreuung von Feuerwehrleuten und deren Angehörigen. Neue Funkgeräte werden getestet und Maßnahmen er- griffen, um die Kommunikation zwi- schen den Rettern und allen Beteiligten wie Krankenhäusern, Polizei und Kata- strophenschutz sicherzustellen.

„Sie müssen mit dem Unerwarteten rechnen.“ Diese Erkenntnis von Chief Pfeiffer hat auch in Deutschland nach dem 11. September ein Umdenken ein- geleitet. „Katastrophenschutz und Not- fallplanung dürfen nicht nur reaktiv sein“, betonte die Vorsitzende des Deut- schen Komitees für Katastrophenschutz, Irmgard Schwaetzer. Einiges liegt hier jedoch im Argen. In Deutschland hat nach Ansicht vieler Teilnehmer vor al- lem die jüngste Flutkatastrophe Mängel sichtbar gemacht: Behörden und Stäbe arbeiteten nicht reibungslos zusammen, unterschiedliche Zuständigkeiten von Bund und Ländern verursachten eben- falls Reibungsverluste. Am Beispiel der Evakuierung einiger Krankenhäuser sei deutlich geworden, so einer der Referen- ten, dass Katastrophenalarmpläne häu- fig in erbärmlichem Zustand seien. Sie P O L I T I K

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A2672 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4111. Oktober 2002

Kongress zum 11. September

Mit dem Unerwarteten rechnen

Die Terroranschläge von New York haben die Rettungskräfte vor ungeahnte Herausforderungen gestellt und weltweit ein Umdenken im Katastrophenschutz eingeleitet.

Eine kritische Bilanz ihres Einsatzes zogen Chief Pfeiffer und Chief Hayden. Foto: Zebothsen/LBK

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P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4111. Oktober 2002 AA2673

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uhaila Seddiqi hat alle Hände voll zu tun. Nach über zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg liegt das afghanische Gesundheitswesen brach. Für die 61-jährige Chirurgin ist das trotzdem kein Grund zur Resignation. Als Ge- sundheitsministerin des verarmten Landes kämpft Seddiqi um Entwick- lungshilfegelder für den Bau neuer Krankenhäuser und die Modernisie- rung der katastrophal ausgestatteten Kliniken. Die schlimmste Not soll mit- hilfe von Spenden aus dem Westen ge- lindert werden. Insbesondere Deutsch- land tut sich auf diesem Gebiet hervor.

Während westliche Industriestaaten Gelder für die medizinische Krisenin- tervention in armen Regionen bereit- stellen, fehlt es jedoch in vielen Ent- wicklungsländern, wie derzeit in Afgha- nistan, an gesundheitspolitischer Konti- nuität. Unbeantwortet bleibt oftmals die Frage: Wer entwirft eine Gesundheits- politik, die in angemessener Art und Weise den betroffenen Menschen jene Versorgung sichert, derer sie bedürfen?

Zuständigkeiten definieren

Neue Konzepte sind notwendig, damit die zum Teil ausgezeichnete medizini- sche Krisenintervention mehr ist als nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ohne das systematische Einbeziehen der Menschen vor Ort bleibt humanitäre Hilfe langfristig ineffizient. Dabei ist gerade für vom Krieg heimgesuchte Gesellschaften die Wiederherstellung und Bewahrung von Gesundheit vor- dringlich. Deshalb gilt es, klar formu- lierte Ziele und Zuständigkeiten zu de- finieren und eindeutige epidemiologi- sche Befunde zu sichern. Die heute üb- lichen Gesundheitsbefragungen sind zwar relativ preiswert, ihre Ergebnisse

aber unzureichend. Nötig ist deshalb die Anwendung von vorhandenen qua- litativen Erhebungsweisen, die aber kostspieliger und zeitaufwendiger sind.

Systematische Bedarfsklärung

Insbesondere im Zuge der Globalisie- rung ist nicht nur die Bedeutung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gestiegen, sondern auch deren Verant- wortung für die medizinische Versor- gung in Entwicklungsländern. Als be- sondere Schwierigkeit und dringende Zukunftsaufgabe erweist sich für die WHO die Klärung des effektiven Be- darfs an Gesundheitsleistungen in An- schluss an Krieg und Krisen. Dafür sind neuartige Mittel und Instrumente erfor- derlich. Mit den gängigen epidemiologi- schen Fragebögen ist es nicht mehr ge- tan. Vielmehr müssen die Betroffenen mit qualitativen Methoden systematisch nicht nur in die Bedarfsklärung, sondern auch in die sich daraus ergebenden Maßnahmen einbezogen werden. Dabei muss auch auf kulturelle Besonderhei- ten der betroffenen Länder geachtet werden. Nur so kann die Compliance der Menschen, insbesondere bei der Krankheitsprävention, erhöht werden.

Generell ist eine Neubewertung in- ternationaler Gesundheitspolitik drin- gend notwendig. Während die WHO groß angelegte Untersuchungen, mit dem Ziel einer Verlängerung der oh- nehin hohen Lebenserwartung in west- lichen Industrienationen, durchführt, verhungern Zehntausende Kinder in Entwicklungsländern und sind Millio- nen Menschen auf der Flucht vor Krie- gen in ihren Heimatregionen. Hier ist eine „Kosten-Nutzen-Analyse“ nach ethischen Gesichtspunkten unverzicht- bar. Prof. Dr. phil. Dr. h. c. Peter Atteslander

richteten sich außerdem meist auf exter- ne Alarmsituationen.

Angesichts dessen konnte es nicht überraschen, dass die Experten am En- de des Kongresses mit einem beachtli- chen Forderungskatalog aufwarteten.

An oberster Stelle stand dabei der Wunsch nach einheitlichen und grenz- überschreitenden Strukturen der Kata- strophen- und Gefahrenabwehr. Vor al- lem müssten die Verantwortungsberei- che der beteiligten Rettungskräfte bun- desweit einheitlich und transparent ge- staltet werden.Angemahnt wurden dar- über hinaus leistungsfähige und moder- ne Kommunikationsstrukturen, die ei- ne sichere Alarmierung und Informati- on garantieren. Außerdem plädierten die Kongressteilnehmer dafür, die Aus- und Fortbildung von Führungskräften neu auszurichten. Vor allem müssten Rettungskräfte sowie Ärzte und medi- zinisches Personal ihr Wissen über bio- logische und chemische Kampfstoffe erweitern. Am Beispiel des Anschlages auf die U-Bahn in Tokio mit dem Kampfgas Sarin erläuterte Tareg Bey von der Universität Kalifornien die De- fizite, die damals zutage traten. Bei dem Anschlag im Jahr 1995 starben zwölf Menschen, 5 500 wurden verletzt. Bey zufolge war man in Tokio nur ungenü- gend auf einen Angriff mit biologischen Waffen vorbereitet. Probleme bereite- ten vor allem die schnelle Identifikation der Substanz und die ungenügenden Kenntnisse des medizinischen Perso- nals im Umgang mit biologischen Kampfstoffen. So wurden Opfer nicht dekontaminiert, Ärzte und Pflegeper- sonal trugen keine Schutzkleidung. Die Lagerung von angemesser Schutzausrü- stung, Medikamenten und Impfstoffen sowie die Errichtung von Dekontami- nationseinheiten lassen nach Ansicht von Experten auch in Deutschland zu wünschen übrig. Neue Konzepte seien dringend erforderlich.

„Das Beispiel New York hat deutlich gemacht, dass wir mit ganz neuen Ge- fahren konfrontiert sind“, sagte die Ge- neralkonsulin der USA, Susan M. El- bow. „Künftige Schäden durch Terror- angriffe können wir nur dadurch mini- mieren, dass wir vorbereitet sind.“

Chief Pfeiffer und seine Kollegen wur- den für ihre kritische Bilanz mit stehen- den Ovationen bedacht. Heike Korzilius

Medizinische Krisenintervention

Menschen mit einbeziehen

Zu den wichtigsten Zielen internationaler Gesundheitspolitik

gehört die Klärung des effektiven Bedarfs an Gesundheits-

leistungen. Medizinische Krisenintervention allein reicht nicht.

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