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Archiv "Nachruf: In eigener Sache" (09.08.2010)

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A 1520 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 31–32

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9. August 2010

Das Leser-Forum

Beiträge im Deutschen Ärzteblatt sollen zur Diskussion anregen. Deshalb freut sich die Redaktion über jeden Leserbrief. Wir müssen aus der Vielzahl der Zuschriften aber auswählen und uns Kürzungen vorbehalten. Leserbriefe geben die Meinung des Autors, nicht die der Redaktion wieder. E-Mails richten Sie bitte an leserbriefe@aerzteblatt.de, Briefe an das Deutsche Ärzteblatt, Ottostraße 12, 50859 Köln.

NAC HRUF

Zum Tod von Prof.

Hans Joachim Se- wering (DÄ 28–

29/2010: „Gestalter im Dienst der Ärzte- schaft“ von Jörg- Dietrich Hoppe und Karsten Vilmar)

Kein Hinweis auf die Rolle im Nationalsozialismus

Sehr geehrter Herr Prof. Hoppe, sehr geehrter Herr Prof. Vilmar, der Nachruf auf Hans Joachim Se- wering im Deutschen Ärzteblatt enthält keinen Hinweis auf die Rol- le, die er als Arzt in der Zeit des Na- tionalsozialismus gespielt hat. An- gesichts der Bemühungen der Bun- desärztekammer, zu einer Aufarbei- tung der Medizin im Nationalsozia- lismus beizutragen und den Opfern der nationalsozialistischen Medizin- verbrechen gegenüber historische Verantwortung zu übernehmen, ist das Verschweigen der NS-Vergan- genheit Sewerings schwer nachvoll- ziehbar. Den Unterzeichnenden ist daher die folgende Ergänzung histo- rischer Fakten wichtig.

Hans Joachim Sewering war, wie durch medizinhistorische Arbeiten seit langem belegt ist, Mitglied der SS seit 1933 und der NSDAP seit 1934. 1942 wurde er Assistenzarzt des Tuberkulosekrankenhauses in Schönbrunn bei Dachau und betreu- te zugleich die verbliebenen Pfleg- linge der Associationsanstalt der Franziskanerinnen, in deren Gebäu- den das Tuberkulosekrankenhaus eingerichtet worden war. Zwischen Juni 1943 und Februar 1945 tragen mindestens neun Einweisungen in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing- Haar, deren zentrale Rolle für die

„Euthanasie“-Morde in Oberbayern damals in weiten Kreisen bekannt war, seine Unterschrift. Fünf der verlegten Patienten und Patientin- nen starben in Eglfing-Haar entwe- der in der Kinderfachabteilung oder aber im Rahmen der Hungereutha- nasie, unter ihnen die 14-jährige Babette Fröwis, die nach Sewerings ärztlichem Zeugnis aufgrund ihrer Unruhe nicht mehr für Schönbrunn geeignet erschien. Anfang der 1990er Jahre versuchte Professor Sewering, die Verantwortung für diese Verlegung den Nonnen von Schönbrunn aufzubürden.

Unabhängig davon, wie man Sewe- rings Handlungsweise in Schön- brunn rechtlich oder moralisch be- wertet, so ist es der Umgang mit den Opfern und ihren Angehörigen, der zu Beginn der 1990er Jahre, als Sewerings Verwicklung in die NS-

„Euthanasie“ einer breiteren Öffent- lichkeit bekanntwurde, unangemes- sen erscheinen musste. Für Sewe- ring stand damals viel auf dem Spiel, nämlich seine Position als de- signierter Präsident des Weltärzte- bundes, auf die er aufgrund interna- tionaler Proteste dann doch verzich- ten musste. Ein Wort des Bedauerns über das Geschehene wäre zu die- sem Zeitpunkt nicht zuviel gewe- sen.

Aus diesem Grunde können die ab- schließenden Worte des Nachrufs, nämlich dass Hans Joachim Sewe- ring sich um die Wahrung ethischer Normen ärztlichen Handelns ver- dient gemacht habe, doch nur eine beschränkte Geltung beanspruchen.

Hierzu gehört unserer Auffassung nach auch die Übernahme histori- scher Verantwortung gegenüber den Opfern der nationalsozialistischen

„Euthanasie“-Verbrechen und ihren Angehörigen durch die deutsche

Ärzteschaft. In diesem Sinne kann die Unvollständigkeit des Nachrufs auf Professor Sewering als Rück- schritt angesehen werden.

Die unterzeichnenden Ärztinnen und Ärzte, Medizinhistoriker/innen, Wissenschaftshistoriker/innen und Psychotherapeut/innen möchten Sie, sehr geehrter Herr Prof. Hoppe und sehr geehrter Herr Prof. Vilmar, be- stärken, die historische Aufarbei- tung der Medizinverbrechen und der Rolle der Medizin im National- sozialismus und ihrer Nachwirkun- gen nach 1945 weiter zu fördern und voranzubringen. In diesem Sin- ne stehen wir Ihnen, ohne persön- lich anklagen oder verurteilen zu wollen, aber doch um Offenlegung der historischen Fakten bemüht, vonseiten der professionellen Medi- zingeschichte gerne zur Verfügung.

Priv.-Doz. Dr. med. Gerrit Hohendorf, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Technische Universität München, Klinikum rechts der Isar, 81675 München

Prof. Dr. Heiner Fangerau, Vorsitzender des Fachverbandes Medizingeschichte, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Universität Ulm, 89075 Ulm

Prof. Dr. Bettina Wahrig, Präsidentin der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte, Abteilung für Geschichte der Naturwissenschaften mit Schwerpunkt Pharmaziegeschichte, Technische Universität Braunschweig, 38106 Braunschweig und 78 weitere Unterzeichner/innen. Die vollständige Liste der Unterzeichner und Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/101520

In eigener Sache

Die Kritik, die der Nachruf auf Prof. Dr. med. Hans-Joachim Sewe- ring bei Medizinhistorikern, Lesern und in den Medien gefunden hat, macht einige Anmerkungen erfor- derlich: Das Deutsche Ärzteblatt hat über den Tod Sewerings in Heft 26/2010 am 2. Juli 2010 berichtet.

In dieser Nachricht wurden, zwei Wochen vor Erscheinen des Nach-

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IMPFUNGEN

Im realen Leben existieren zahlreiche Determinanten, die den Nutzen von Impfstoffen auf Be- völkerungsebene beeinflussen (DÄ 23/2010: „Nutzen- bewertung aus ver- schiedenen Blickwinkeln“ von Ariane Höer et al.).

Ergänzungen

Ariane Höer ist für ihre Einführung zum Thema „Nutzenbewertung bei HPV-Impfung“ zu danken. Jedoch sind einige wesentliche Aspekte nicht berücksichtigt, die bei der Kosten-Nutzen-Analyse von Impf- programmen von hoher Bedeutung sind.

1. Die üblichen Kalkulationen le- gen zugrunde, dass alle Mädchen aller sozialen Schichten gleicher- maßen an dem Impfprogramm teil- nehmen. Daten aus den USA (Bach, The Lancet, 2010) zeigen jedoch, dass insbesondere Mädchen aus hö- heren sozialen Schichten dieses An-

gebot nutzen, somit sich hier wie- derum ein schönes Beispiel zeigt von Jul ian Tudor Harts „Inverse Care Law“ (Medizin kommt vor al- lem denen zugute, die ein relativ hohes Gesundheitsniveau haben).

2. Bislang ist weiterhin nicht ge- klärt, wie künftiger Nutzen abzu- zinsen ist. Während die Abzinsung monetärer Effekte prinzipiell breite Zustimmung erhält, ist die Abzin- sung von Nutzen erheblich komple- xer. (Ortendahl und Fries, Journal of Clinical Epidemiology, 2002;

West, Review Medical Virology, 1999) . . .

3. Eine kürzlich erschienene Über- sichtsarbeit (Rozenbaum et al., The Open Pharmacoeconomics and Health Economics Journal, 2010) zeigt zudem, wie schwierig es ist, Kosteneffektivitätsdaten von Land zu Land zu übertragen, wiederum ein Hinweis auf das hohe Maß an Unsicherheit bei derartigen Kalku- lationen, was sehr deutlich gemacht werden sollte.

Prof. Dr. med. Dr. rer. pol. Konrad Obermann, Mannheimer Institut für Public Health, Universitäts- klinikum Mannheim, 68167 Mannheim

NEUE INFLUENZ A

Diskussionsrunde beim Deutschen Ärzteblatt: Die Struktur des deut- schen Gesundheits- systems hat beim Umgang mit einer drohenden Pandemie zahlreiche Schwachstellen (DÄ 18/2010: „Kriti- scher Rückblick mit wegweisender Vorausschau“ von Vera Zylka-Menhorn).

Gesundheitsämter fehlten

Ein vierseitiger Artikel im DÄ 18/2010 berichtet über die Ergeb- nisse des „Impfgipfels“, zu dem das DÄ eingeladen hat. Was lief gut, was wurde kritisiert, was sollte wie verbessert werden. In der lan- gen Liste der eingeladenen Teilnehmer (inn)en fehlt leider der öffentliche Gesundheitsdienst! Die zitierten „positiven Rückmeldun- gen in Niedersachsen“ zur Organi-

sation der Impflogistik beruhen auf einer Einbindung der Gesundheits- ämter durch die Landesbehörden bereits in die Planungsphasen. Die pandemische Ausbreitung eines Vi- rus mit wenig schweren Krank- heitsverläufen erforderte eine Ver- teilung der 500er-Packungseinhei- ten in einzelne Mehrdosisbehälter für je zehn Impfungen nach Arz- neimittelgesetz außerhalb des Ka- tastrophenfalls. Hierfür war die be- währte Zusammenarbeit zwischen Landesbehörden und Gesundheits- ämtern wichtige Voraussetzung.

Die Strategie des Impfangebots für die Berufsfeuerwehr einer Groß- stadt ist eine andere als für die über 100 freiwilligen Feuerwehren eines Flächenlandkreises. In die Planun- gen eingebundene Gesundheitsäm- ter können die Aufgabe der aktuel- len Information von Ärzten und Bürgern besser wahrnehmen. Lei- der versäumten die Bundesbehör- den in ihren Planungen und jetzt

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D b Ä S s s U drohenden Pandemi Im realen Leben exis

D d I v b 2 b schiedenen Blickwin rufs, auch die Vorwürfe erwähnt,

Sewering sei durch Einweisungen in die Heilanstalt Eglfing-Haar in

„Euthanasie“-Morde in der Zeit des Nationalsozialismus verstrickt.

Über die Recherchen von Histori- kern und Journalisten zu dem The- ma hat das DÄ in den vergangenen Jahren mehrfach berichtet.

Als Ergänzung dieser Meldung ha- be ich Herrn Prof. Dr. med. Karsten Vilmar und Herrn Prof. Dr. med.

Jörg-Dietrich Hoppe, die Nachfol- ger Sewerings im Amt des Präsi- denten der Bundesärztekammer, um eine Würdigung der Verdienste Se- werings in der ärztlichen Berufs- und Standespolitik gebeten. Beide Autoren stehen außerhalb jeglichen Verdachts, die Aufarbeitung der Verbrechen von Ärzten in der NS- Zeit blockieren zu wollen. In Vil- mars Amtszeit begann die lange überfällige aktive Beschäftigung mit der Rolle der ärztlichen Körper- schaften in der NS-Diktatur. Hoppe hat 2008 bei einer Tagung des Insti- tuts für Geschichte der Medizin der Universität Gießen gesagt, die Er- kenntnis „dass Ärztinnen und Ärzte nicht nur weggesehen und ge- schwiegen haben, sondern aktiv an der systematischen Ermordung von Kranken und sogenannten gesell- schaftlichen Randgruppen mitge- wirkt haben, ist nicht erträglich“.

Eine vollständige Aufarbeitung der Gräuel stehe noch aus. Die Bundes- ärztekammer (BÄK) hat gemein- sam mit dem Bundesgesundheits- ministerium in diesem Jahr zum dritten Mal einen Forschungspreis für Arbeiten zur Geschichte der Ärzte während der NS-Diktatur ausgeschrieben. Im Auftrag der BÄK arbeitet zudem eine Experten- kommission unter Leitung von Prof. Dr. Robert Jütte, Institut für Geschichte der Medizin der Robert- Bosch-Stiftung in Stuttgart, an ei- nem Forschungsbericht „Medizin und Nationalsozialismus“. Zu den Themenfeldern gehören „Euthana- sie und Krankenmord“, „Men- schenversuche“ und „Zwangssteri- lisation“. Diese und andere For- schungsarbeiten werden auch ihren Niederschlag im Deutschen Ärzte- blatt finden.

Heinz Stüwe, Chefredakteur Deutsches Ärzteblatt

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