Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen BRIEFE AN DIE REDAKTION
auszuborgen. Eine der trivialsten BILDUNG Formeln darin besagt, daß die kineti-
sche Energie E = m - AGGRESSIVITÄT
„Warum in der Bundesrepublik Deutsch- land die Zahl der im Straßenverkehr ge- töteten Kinder su, viel höher liegt als in vergleichbaren Ländern, und was man dagegen tun kann", war bei einer Fortbil- dungstagung gefragt worden. Eine Lese- rin macht Vorschläge.
Hausbesuche mit 172 km/h?
Die Frage ist müßig, jeder weiß die Antwort darauf: Weil jeder mit sei- nem Untersatz, ob klein oder groß, so schnell rast, wie es der Motor und die Reifen hergeben. Auch das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT trägt hier- zu bei, denn in den Berichten über neue Autos (die vermutlich von ei- nem Autojournalisten und nicht von Ärzten verfaßt werden und nur kritik- los abgedruckt werden) werden stets auch die „Spitzengeschwin- digkeit" und die Beschleunigungen angegeben. Welcher Arzt macht denn seine Hausbesuche mit 172 km/h? In einem glorreichen Akt von Gesetzgebung wurde allen deut- schen Autofahrern vorgeschrieben, einen Verbandskasten mitzuführen.
Seitdem werden einige Millionen Verbandskästen herumkutschiert, bis der Inhalt vergammelt ist. Falls wirklich auf der Straße etwas pas- siert, hält aber niemand, um den Verbandskasten zu öffnen und zu verwenden, sondern jeder rast wei- ter ... Man kann durch ein Gesetz eben nur die mechanische Mitnah- me eines „Samariterkastens", aber nicht den Besitz eines „Samariter- geistes" verordnen. Mein Vorschlag zur Verringerung der Aggressivität im Straßenverkehr kostet keinen Pfennig, keinen Handschlag und macht niemand arbeitslos: Es sollte ungesetzlich sein, Höchstgeschwin- digkeiten und Beschleunigungswer- te von Autos in den öffentlichen Me- dien oder in Prospekten und Be- schreibungen anzugeben. Den Ex- perten, die vor Geschwindigkeitsbe- grenzungen zittern, empfehle ich, sich das Physikbuch ihrer Tochter oder ihres Sohnes aus der Real- schule oder dem Gymnasium kurz
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(m = Masse eines Körpers, v = Ge- schwindigkeit des Körpers) beträgt.
Bei Erhöhung der Geschwindigkeit von 40 km/h auf 80 km/h steigt da- her die beim Aufprall zu vernichten- de Energie nicht auf das Doppelte, sondern auf das Vierfache. Bei einer Geschwindigkeit von 160 km/h ist die jedem Körper, ob Motor des Au- tos oder Kopf des Fahrers, innewoh- nende kinetische Energie 16mal so groß wie bei 40 km/h! Diese Energie muß beim Aufprall auf das Heck ei- nes Lastzuges im Nebel oder auf ei- nen Brückenpfeiler oder auf einen Baum vernichtet werden. Wo sind aber die Knautschzonen am Kopf der Fahrer und der Mitfahrer?
Ein weiterer Vorschlag wäre die Ab- schaffung der sogenannten „Licht- hupe", die nichts zur Sicherheit oder Warnung beiträgt, sondern nur ein Instrument der Drängelei und des Wichtigtuns ist.
Roswitha G. Steinebrunner, Ärztin
Dreibergstraße 16 A 8520 Erlangen
—SPRÜCHE
Linke Optik
„Wenn wir als Arzteschaft wieder ernstgenommen wer- den wollen, müssen wir uns nicht nur von manchem un- serer Funktionäre trennen, sondern auch von manchen Pauschalurteilen gegenüber Polikliniken, Ambulanzen oder über die Gewerkschaf- ten, die uns seit Jahren in unerträglicherweise vor al- lem vom DEUTSCHEN ÄRZ- TEBLATT aufgedrängt wer- den."
Aus „Bilanz" der „Liste De- mokratischer Ärzte" in Hes- sen.
Zu dem Beitrag: „Die Ausbildung des Arztes — ein Plädoyer für die Allgemein- bildung" von Dr. med. Wolfgang Kruse, Heft 36/1979:
Sinnfrage
Die Systeme westlicher und östli- cher Prägung haben zu einer zuneh- menden Bürokratisierung geführt, zur Herrschaft der Verwaltungen.
Der Kapitalismus hatte einst den Marxismus induziert, zu seiner Zeit die logische Konsequenz mangels besseren Wissens. Der Konflikt dau- ert fort, scheint im Eurokommunis- mus zu münden. Dies ist eine Her- ausforderung für Menschen, die frei fühlen, denken, handeln wollen.
Parteien im herkömmlichen Sinne sind nicht gefragt, ihre Mitglieder sind unfrei, haben sich selbst be- schränkt. In West-Europa haben wir allerdings (noch) die Möglichkeit zum Umdenken, zur Indoktrination.
„Allgemeinbildung" ersetzt nicht die Sinnfrage, auf die es ankommt. Um- fassende Bildung zum Verständnis der Sinnfrage erscheint mir besser.
Wir wissen heute, daß die Weiterga- be und Kombination der geneti- schen Information im Zentrum des Lebens dieser Erde steht, Anpas- sungs- und Entwicklungsmöglich- keiten beinhaltet. Wir wissen, daß in unserem menschlichen Bereich au- ßer dem Instinkt und außer den Vor- stellungen des Herrn Lorenz „Ich",
„Zensor" und „Über-Ich" existieren.
Die Betonung nur des „Ich" ist rein autoritär-individualistisch, bietet keine Lösung der Probleme. Die Freiheit liegt wohl im Akzeptieren des Undurchschaubaren bei blei- bendem Willen, Erkenntnis zu ge- winnen. Lernziel sollte sein, Ver- ständnis aufzubringen für den Men- schen und seine biologische Um- welt. Als Vermittler bieten sich alle an, die in diesem Sinne vorgebildet sind. Die Mediziner haben bisher da- zu geschwiegen, in der Angst, poli- tisch engagiert zu erscheinen. Diese Angst ist völlig unbegründet.
Dr. med. H.-J. Assmann Straßburger Str. 7 7730 Villingen 24