• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Unikausales Ausschlußdenken und zwei weitere Aspekte der Sozialmedizin: 2 Neutralität der Gutachter" (08.11.1990)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Unikausales Ausschlußdenken und zwei weitere Aspekte der Sozialmedizin: 2 Neutralität der Gutachter" (08.11.1990)"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Mediziner könnte das zum Beispiel bei einem Armamputierten mit ent- sprechender MdE überhaupt nicht nachvollziehen. Die oben genannten Krankheitsbeispiele sind als körper- liche Geschehensweisen leicht über- schaubar. Ganz schwierig und un- durchsichtig wird es, wenn die Neu- rosenlehre involviert ist.

Dr. med. Limbrock, Nervenarzt Postfach 16 40 • W-4670 Lünen

Ich kann Ihnen aufgrund eige- ner Erfahrungen (seit 1935 im öf- fentlichen Dienst, seit mehr als 30 Jahren ärztlicher Berater von Sozial- rechtsabteilungen des DGB) voll zu- stimmen. Ergänzend zu Ihrer Frage

„Neutralität der Gutachter?" möchte ich noch sagen, daß nicht nur finan- zielle Verlockungen einen Gutachter beeinflussen können. Oft kommt auch die weltanschaulich-politische Grundauffassung des Gutachters in seiner Arbeit zum Ausdruck. Der wertkonservative Arzt wird eher ge- neigt sein, Ansprüche des Einzelnen an die Solidargemeinschaft (zum Bei- spiel der Arbeitgeber in den Berufsge- nossenschaften) abzuwehren als der liberale. Ich glaube allerdings auch nicht, daß der hauptamtliche, vom fi- nanziellen Ertrag seiner Arbeit im einzelnen unabhängige Gutachter von diesen grundsätzlichen Auffas- sungen frei ist. Ich selbst habe das an der Beurteilung von Neurosen über Jahrzehnte beobachten können.

Im übrigen zeigt sich diese Grundauffassung nicht nur am Er- gebnis der Gutachten, sondern schon in der Art, wie der begutachtende Arzt dem Klienten entgegentritt.

Daß das, was über den Gutachter zu sagen ist, bezüglich der Grundauf- fassungen auch für die finanziell un- abhängigen Richter an den Sozialge- richten gilt, sei nur nebenbei er- wähnt. Daß allerdings ein solch kri- tischer Beitrag im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT erscheinen konnte, begrüße ich ganz besonders. Auf die Kritik der Kritik bin ich gespannt.

Dr. med. L. Leonhardt Obermedizinalrat a. D.

Kronprinzenstraße 18 W-7570 Baden-Baden

Schlußwort

Herr Kollege Leonhardt stimmt mir im wesentlichen zu, meint aber, daß ein mehr wertkonservativer Arzt eher geneigt sei, Ansprüche des Ein- zelnen an die Solidargemeinschaft abzuwehren. Dies ist leider richtig.

Es bleibt das Ziel, daß wir als Gut- achter nicht einseitig (also unge- recht) für eine Partei mehr Ver- ständnis haben als für die andere.

Nicht veröffentlichte Zuschrif- ten an mich teilen meine Skepsis an der Neutralität der Gutachter, ein Kollege meint, diese Neutralität müßte der Gesetzgeber sicherstel- len!

Weniger skeptisch gegenüber dieser Neutralität äußert sich Kolle- ge Limbrock. Es mag sein, daß ein- seitig voreingenommene Gutachten mehr unterhalb der Sozialgerichts- ebene vorkommen, wobei der zweite Gutachter sich dem ersten an- schließt, da er meint, doch nichts daran ändern zu können. Nur manchmal kommen solche Fälle zum Sozialgericht.

Ich übersehe nicht, daß im medi- zinisch-naturwissenschaftlichen Be- reich mehrere Ursachen für einen Körperschaden zusammenkommen können. Gerade daraus ergibt sich meine Ablehnung eines uni- oder monokausalen Ausschlußdenkens für den medizinischen wie für den sozialrechtlichen Bereich! Dieses Denken vertritt offenbar Limbrock, wenn er meint, im Sozialrecht müsse

„die" wesentliche Teilursache aufge- deckt werden, wodurch dann andere Teilursachen nicht mehr wesentlich mitverursachende Teilursachen sein könnten. — Damit schließt er offen- bar aus, daß sowohl Degeneration als auch mechanische Belastung we- sentliche Mitursachen eines Knor- pel- oder Sehnenrisses sein können, daß es Fälle gibt, wo erst das Zusam- menwirken beider Teilursachen den Riß bewirken konnte, die eine, zum Beispiel die Degeneration, nicht aus- reichte, es mußte erst das mechani- sche Trauma hinzukommen. Das sind die Fälle, wo vor dem fraglichen Unfall keinerlei Beschwerden be- standen, die später nachgewiesene (oder angenommene) Degeneration, die ja sicher schon lange bestand, da-

zu also nicht ausreichte. Trotzdem wird in solchen Fällen oft geradezu stereotyp das Trauma als wesentli- che Teilursache abgelehnt mit dem Hinweis, daß die Degeneration „die"

wesentliche Teilursache sei!

Daß Ursache und wesentliche Teilursache in der Medizin und im Sozialrecht etwas Verschiedenes sei- en, konnte auch Limbrock nicht zwingend folgerichtig begründen.

Entscheidend für die Anerkennung als Arbeitsunfall bleibt die conditio sine qua non, wie das auch Erlen- kämper in „Begutachtung der Hal- tungs- und Bewegungsorgane" aus- führt.

Eine Neurochirurgin schrieb mir, daß Bandscheibenvorfälle auch nach schwerem Verhebetrauma und ohne vorbestehende Beschwerden durch eine Degeneration trotzdem nur auf Degeneration zurückgeführt wurden, das Verheben also nicht als Arbeitsunfall anerkannt wurde. Bei dem Fall des Gärtnerhelfers, den Limbrock anspricht, war zwar die Körperdrehung die letzte auslösende Ursache des Meniskusrisses, sie trat aber in ihrer Wertigkeit als Ursache stark zurück, weil diese Drehung durch fast jede Drehung außerhalb des Arbeitsplatzes mit gleichem Er- gebnis ersetzbar wäre. Als jedoch ein Maurer bei seiner Arbeitsschicht vom Gerüst stürzte, mit einem Fuß auf einem Stein aufkam und sich ruckartig das Knie verdrehte und es zum Meniskusriß kam, war dieses Ereignis unabdingbar conditio sine qua non für den Meniskusriß. Der Arbeitsunfall mußte anerkannt wer- den. Dies ist auch der Beweis des er- sten Anscheins!

Es können hier nicht alle Aspek- te erörtert werden. Bei der Frage des Arbeitsunfalls müssen alle Gesichts- punkte, die für den Körperschaden relevant sind, in die Gesamtbeurtei- lung einbezogen werden. Dank ge- bührt dem DEUTSCHEN ARZTE- BLATT für die Übernahme des Arti- kels und die Gelegenheit zur Diskus- sion! Diese erscheint immer wieder erforderlich.

Dr. med. Hans Händel Medizinaldirektor a. D.

Martin-Luther-Platz 2 W-8800 Ansbach

I

2

Neutralität der Gutachter

Dt. Ärztebl. 87, Heft 45, 8. November 1990 (81) A-3553

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE