• Keine Ergebnisse gefunden

Diese Geringschätzung des Gegners beruhte ebenso auf dem »Herrenstandpunkt« vieler deutscher Offiziere wie auf der Unerfahrenheit der deutschen Truppe in Kolonialkriegen.

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Diese Geringschätzung des Gegners beruhte ebenso auf dem »Herrenstandpunkt« vieler deutscher Offiziere wie auf der Unerfahrenheit der deutschen Truppe in Kolonialkriegen. "

Copied!
106
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

R e z e n s i o n e n Geschichtswissenschaft in der DDR. Berlin: Duncker & Humblot.

Bd I: Historische Entwicklung, Theoriediskussion und Geschichtsdidaktik. Hrsg.

von Alexander Fischer, Günther Heydemann. 1988. X X , 564 S. ( = Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung. Bd 25/1.)

Paradoxes kommt einem bei diesem Band in den Sinn. Die Geschichtswissenschaft in beiden deutschen Staaten steht in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Aber die DDR, für die Geschichte ein zentrales politisches Legitimationsinstrument ist1, schielt doch in weit stärkerem Maße — so die Autoren — nach Westen als umgekehrt die bundesdeutschen Hi- storiker. Dafür war es aber lange Zeit üblich, daß die Historiker der D D R dies in der wis- senschaftlichen Literatur in ihren Fußnoten eher verschwiegen. Das ist das eine Paradox.

Ein anderes liegt darin, daß die Herausgeber davon ausgehen, es gebe bei uns ein beträchtli- ches Defizit an Kenntnissen über die DDR-Geschichtswissenschaft, »bis in die 70er Jahre wurde hierzulande der Anschein erweckt, als existiere nur eine legitime deutsche Ge- schichtswissenschaft« (S. XVI). Und dann lassen sich doch in einem Band 20 Aufsätze vor- legen, von denen nach meiner Zählung 16 schon vorher publiziert wurden — zum Teil bis in die sechziger Jahre zurück —, von denen wiederum (leider nur) einige mit aktualisierendem Vor- oder Nachwort versehen wurden.

Der Eindruck des Rezensenten aus beschränktem Blickwinkel über die bundesdeutsche Auseinandersetzung mit der DDR-Historie ist ein anderer: Seit seinem Eintritt in das »wis- senschaftliche Leben« vor zwanzig Jahren nahm man überall mit großem Interesse die hi- storische Produktion des »anderen Deutschlands« wahr. Aber dabei kam es oft darauf an, mühselig die Goldkörner wissenschaftlicher Erkenntnis aus dem Geröll marxistisch-lenini- stischer Scholastik herauszufiltern. Und dann fand man durchaus ansehnliche Brocken.

Aber das galt für die sachbezogene Forschung zu einzelnen Themenbereichen, nicht für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Rolle, Funktion, Ansatz und Auftrag der DDR-Histo- rie. Insofern ist dieser Sammelband dennoch sehr zu begrüßen, sollen ihm doch weitere mit Studien eben zur DDR-Forschung für historische Gegenstandsbereiche folgen.

Natürlich ist gerade der theoretisch-methodische Ansatz trotz seiner scholastischen Ten- denzen konstitutiv für das Selbstverständnis der DDR-Historie. Aber der nüchtern-kriti- sche »westliche« Nachvollzug in diesem Band ruft doch seinerseits in manchem wieder je- nen Eindruck der Scholastik hervor, zumal die Überschneidungen bzw. Wiederholungen (natürlich immer ergänzend!) zahlreich sind. Ζ. B. wird bei den häufigen Periodisierungs- versuchen immer wieder von Alexander Abuschs Werk von 1946 ausgegangen, werden die grundlegenden Äußerungen bis hin zu Emst Engelberg, Horst Bartel und dem derzeit ein- flußreichsten, Walther Schmidt, wie dem derzeit klügsten Theoretiker, Wolfgang Küttler, ausgebreitet. Insbesondere der heutige, von Schmidt u. a. konstatierte Stand der Diskussion um das ganze »Erbe« der deutschen Geschichte, das es anzueignen gelte, schafft die Basis für einen fruchtbaren Dialog der beiden deutschen Geschichtswissenschaften, der in der Praxis in den letzten Jahren beträchtlich zugenommen hat. Was dann allerdings aus dem

»Erbe« tradierungswürdig erscheint, zeigt sich exemplarisch an einer vom Institut für Mar- xismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED projektierten vierbändigen »Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands«. Der erste Band — mit manchen neuen Einsichten — reicht von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis 1917!

Der Sammelband von Fischer und Heydemann, zwei ausgezeichneten Kennern der Gesamt- materie, die auch mit eigenen substanzvollen Beiträgen vertreten sind, umfaßt vielfältige Aspekte. Wenig erfahren wir (naturgemäß) vom konkreten Spannungsverhältnis zwischen parteilich-politischem Auftrag und konkreter Geschichtsschreibung, viel aber über die Ent- wicklung der publizierten Direktiven seit 1945. Die grundlegenden Unterschiede westli- cher und östlicher Historie sind Thema. Die Theorie- und Methodendiskussion in der DDR, die Ansätze zu einer eigenen »Historik« (Engelberg), die Weberrezeption (Küttler u. a.) werden herausgearbeitet. Andere Beiträge sind der Stellung der Geschichte im Rah- men der Gesellschaftswissenschaften, der Kooperation mit der Pädagogik, dem Geschichts- unterricht und den Geschichtsmuseen gewidmet. Inhaltlichen Fragen wenden sich beson- ders G. Iggers, J. Kocka (Sozialgeschichte — 1972!), Holtfrerich (Wirtschaftsgeschichte) und 121 M G M 2 / 8 9 Jeismann (Einheit der Nation) zu. Der Band enthält begrüßenswerterweise ein Sach- und

(2)

Ortsregister. Warum aber je ein Autoren- und Namenregister gesondert beigefügt wurden, vermag ich nicht einzusehen. Man darf auf die weiteren Bände gespannt sein. Jost Dülffer

1 Die Rezension w u r d e im August 1989 abgeschlossen.

Europas Mitte. Beiträge von Otmar Franz u.a. Hrsg. von Otmar Franz. Göttingen, Zürich: Muster-Schmidt 1987. VIII, 213 S.

Dieses Florilegium von Beiträgen zum allgemeinen Thema Deutschland als »Schnittpunkt und Achse des europäischen Mächtesystems« ist Günther Franz zum 85. Geburtstag gewid- met. Es ist bereits der vierte Band von Vorträgen, die renommierte Historiker vor einem Kreis leitender Männer und Frauen der Wirtschaft in Mühlheim gehalten haben. Neben ei- ner Einleitung von Otmar Franz gibt es elf Beiträge, die aus der Zeit seit 1981 stammen und in denen führende Historiker der Bundesrepublik ihre »neuesten Forschungserkenntnisse«

zur Diskussion stellen.

Michael Stürmer sieht den Anfangspunkt der modernen deutschen Geschichte im Dreißig- jährigen Krieg, jener »Urkatastrophe der mitteleuropäischen Geschichte«, seit der die

»Nicht-Existenz eines konzentrierten Machtstaats in der Mitte Europas« Bedingung für je- ne »variable Machtgeometrie« war, welche die nicht-deutschen Staaten seit dem Frieden von Utrecht 1713 als balance of power etablierten. »Deutschland war Masse und Dreh- punkt dieses Systems, nicht Machtfaktor aus eigenem Recht.« (S. 13) Durch die französi- sche Revolution wurde das Gleichgewicht Europas durch »französische Hegemonie und russische Gegenhegemonie« ersetzt; Europas Mitte blieb trotz allem nur »Schachbrett« bis zur Zeit Bismarcks. Die 1871 erreichte Halbhegemonie Deutschlands sowie Bismarcks dar- auffolgendes Bündnissystem waren nicht mehr als ein »geniales Fragment« — vor allem aber ein Faktor der Unruhe, denn das Reich war »für Hegemonie zu schwach und für das Gleichgewicht zu stark«. Innenpolitisch war das Reich auf einem Widerspruch gegründet:

»Massendemokratie und Parlamentarismus auf der einen Seite, der preussische Beamten- und Militärstaat auf der anderen«. (S. 22)

Lothar Gall argumentiert, daß die deutsche Machtbildung in Mitteleuropa für Bismarck

— im Gegensatz zu Max Webers vielzitierter Freiburger Antrittsvorlesung 1895 — ein Ab- schluß und nicht der Ausgangspunkt einer deutschen Weltmachtpolitik war, denn Bis- marcks Welt »blieb das Europa der fünf Großmächte« des Wiener Kongresses 1815 (S. 33).

Innenpolitisch hat der Reichsgründer an einem »politisch-sozialen Ordnungsgefüge festzu- halten versucht, dessen historische Zeit abgelaufen war«. Dementsprechend wurde das adlig-agrarische Preußen durch die entscheidende Verschiebung der Gewichte in der bür- gerlich-industriellen Gesellschaft mehr und mehr ein Relikt der Vergangenheit und »Boll- werk von Kräften, die an dieser Vergangenheit unbedingt festzuhalten suchten« (S. 36).

Eberhard Kolh weist am Beispiel des »vergessenen Krieges« von 1870 auf die Schwierigkeit hin, Kriege durch Friedensschlüsse zu beenden, da das dreistufige »Normalmodell« von Waffenstillstand, Präliminarfrieden und Definitivfrieden 1871 erstmalig beseitigt wurde.

War der Krieg von 1870 noch ein »probates Mittel des Konfliktaustrags zwischen europäi- schen Großmächten«, so fand die Lektion des deutsch-französischen Krieges ihren Nieder- schlag in Bismarcks seit den 70er und 80er Jahren konsequent betriebener Friedens- und Al- lianzpolitik.

In einem Beitrag zur »Rolle der Wirtschaft in der Politik der Weimarer Zeit« stellt Carl- Ludwig Holtferich das Primat der Wirtschaft gegen das Primat der Politik und bekennt sich am Ende zu demjenigen der Politik. Die mit der Auflösung der Donaumonarchie beginnen- de Zeit der Gründung neuer Staaten mit hohen Zollmauern in Mittel- und Osteuropa, die Aufgabe des Freihandelsprinzips durch Großbritannien mit den Verträgen von Ottawa und das Errichten extrem hoher Zollschranken seitens der Vereinigten Staaten (1921/22) be- stimmten die Zukunft Deutschlands als Hauptschuldnernation und klemmten Europas Mit- te zangenartig ein.

(3)

Hagen Schulze untersucht die »deutsche Katastrophe« unter der allgemeinen Rubrik der

»Kontinuität der deutschen Geschichte«. Nach dem Muster Fernand Braudels sucht er eine geographische Kontinuität: Deutschlands europäische Mittellage. Laut Schulze kann Euro- pas Mächtegleichgewicht nur gewahrt bleiben, wenn die europäische Mitte unter allseitiger Kontrolle bleibt; f ü r ihn befinden sich die beiden deutschen Teilstaaten »nicht mehr in der Mitte, sondern jeweils an der Peripherie der großen Machtsysteme«. Fast in Vorausnahme des gegenwärtigen Historikerstreits mahnt Schulze: »Bei allem Reiz des historischen Konti- nuitätsgedankens sollten wir an der letztlichen Verantwortung der H a n d e l n d e n festhalten, um der Gefahr des geschichts-philosophisch grundierten Fatalismus zu entgehen und um die Schuldfähigkeit der Politiker [. . .] als ethisch-moralische Grundvoraussetzung f ü r unser H a n d e l n beizubehalten und zu begründen«. (S. 84)

An die pseudodarwinistischen Entwicklungsgesetze und geopolitischen Großraumtheorien des Nationalsozialismus erinnert Michael Salewski. Europa blieb bei Hitler nur noch ein

»vager Begriff«, ein »Deckmantel« zum rassischen Siedlungsprogramm und dessen planmä- ßiger Rassenpolitik im Osten. W a r Europa seit dem 17. Jahrhundert ein geographischer, kultureller, religiöser, politischer und geistesgeschichtlicher Begriff, so blieb es f ü r die N a - tionalsozialisten nur eine geographische Bezeichnung. Alles andere w u r d e reiner Verlust.

Nach Auffassung von Klaus- Jürgen Müller w a r es für die meisten Widerstandskämpfer ent- scheidend, die Sowjets aus Mitteleuropa fernzuhalten. Dennoch gab es auch M ä n n e r wie Carl Friedrich Goerdeler, die innereuropäische Kriege durch Schaffung einer europäischen Bundesregierung unmöglich machen wollten — und im Basisdokument des Kreisauer Krei- ses findet man sogar das Konzept eines freien Europas als Bundesstaat mit einheitlicher Souveränität. Diese »moral-ethische Motivation« kam aber erst — im Gegensatz zu den bis- herigen »realpolitischen Motivationen« der Widerstandskämpfer — nach der Katastrophe an der O s t f r o n t im Juni 1944 und der Landung der Westalliierten in Frankreich im selben M o n a t zum Zuge.

Laut Andreas Hillgruber wurde Amerika 1940/41 zum Angelpunkt von Hitlers Weltkriegs- strategie und damit Präsident Roosevelt der eigentliche »Todfeind« Hitlers. Hillgruber ak- zeptiert in diesem Vortrag — im Gegensatz zu eigenen, früheren Auffassungen — E. Jäckels Interpretation der deutschen Kriegserklärung an die USA vom 11. Dezember 1941 als Er- gebnis kurzer Verhandlungen zwischen Deutschland und Japan. D u r c h das Scheitern eines raschen Sieges im Osten sah sich Hitler erneut in einen »Abnutzungskrieg«, wie es der Weltkrieg 1914—1918 gewesen war, verwickelt, in dem allein Japan — im Gegensatz zu 1917 —Amerika an einem vollen Eingreifen in Europa hindern konnte (S. 137 f.). In ähnli- cher Weise sieht Detlef Junker Roosevelt als »letzte H o f f n u n g der Demokraten und die ei- gentliche Alternative zu Hitler«. Für jemanden, der die USA näher kennt, ist es kaum ver- wunderlich, daß es keine einheitliche, kohärente Deutschlandplanung in Washington gab;

vage Vorstellungen von der unteilbaren Sicherheit, der unteilbaren Freiheit und dem unteil- baren Weltmarkt vereinigten sich mit der Rooseveltschen Idee der vier Weltpolizisten, u n d letzten Endes konnte man sich nicht entscheiden, ob man Deutschland einen karthagischen Frieden »der Rache und Bestrafung« auferlegen oder dem Land eine Chance geben sollte,

»als entnazifizierter, friedfertiger und wirtschaftlich stabiler Staat in die Gemeinschaft der Völker zurückzukehren«. Die Ablösung Hitlers und des Nationalsozialismus durch Stalin und den Kommunismus als »Weltfeind Nr. 1« ersparten Amerika sowie Deutschland die Entscheidung!

Klaus Schwabe steuert dem Band einen dritten Aufsatz zum T h e m a Deutschland—Amerika mit einer Untersuchung der Stellung der USA zur Einigung Europas 1945—1952 bei. Davon ausgehend, daß die besten Europäer nach 1945 nicht an der Seine oder am Rhein, sondern am Potomac saßen, untersucht Schwabe zwei Phasen der amerikanischen Europapolitik:

den großen Anlauf des Marshallplanes und die folgende Periode des Planes einer europäi- schen Teileinigung, »selbst unter Ausschluß Großbritanniens«. Die Einigung Europas sollte nicht nur, wie John F. Dulles es 1947 formulierte, »ein Gegengewicht gegen die M a c h t der U d S S R schaffen; sie sollte zugleich die Lösung der Deutschlandfrage ermöglichen«. Als die USA sich aber angesichts des Koreakrieges f ü r ein integriertes Kleinsteuropa entschieden, ging es ihnen »um ein Containment nicht so sehr der UdSSR als vielmehr Deutschlands«, das heißt des deutschen wirtschaftlichen und politischen Machtpotentials (S. 182).

(4)

Die zentrale Bedeutung der deutsch-französischen Anstrengungen für die Schaffung eines neuen Europas 1963—1969 untersucht Klaus Hildebrand. Der Widerspruch zwischen de Gaulies Vorstellung von einer französischen Hegemonie in Westeuropa und der Anlehnung Ludwig Erhards und Kurt Georg Kiesingers bei den Amerikanern — mit anderen Worten, die Bonn aufgezwungene Option zwischen Paris und Washington — teilte die Deutschen in die Lager der »Gaullisten« (Adenauer, von und zu Guttenberg, Strauß, Dufheus) und »At- lantiker« (Erhard, Schröder, von Hassel). Konnte man sich von der »Obhut eines machtvol- len Patrons« lösen, um sich einem »unzweideutig schwächeren Hegemon« anzuvertrauen?

Konnte man wirklich de Gaulles Konzeption des »ewigen Rußlands«, das in einem von der

»detente« über die »entente« zur »cooperation« sich findenden »Europe de l'Atlantique jus- qu'ä l'Ural« ganz friedlich auftreten würde, glauben? Oder würde man sich bei engerer An- lehnung an Paris einem »sowjetisch-französischen Kondominium über Europa« ausliefern?

Schließlich war der Whisky doch stärker als der Cognac. Denn für Bonn postulierte de Gaulle eine Teilbarkeit des Friedens, einen — wenn auch großartigen — Anachronismus, ei- ne »Sprengung des deutschen Gleichgewichtsinteresses« (Helmut Schmidt). Statt einen deutsch-französischen Sonderweg in der Weltgeschichte zu beschreiten, entschloß man sich am Rhein, Extreme zu vermeiden und die politische Mitte zu wählen.

In bezug auf die »Deutsche Frage« sind die sich diametral gegenüberstehenden Kommenta- re von Otmar Franz und Michael Stürmer von Interesse. Franz spricht in seinem Beitrag

»Europas Mitte« von dem »ungeteilten [. . .] Willen des deutschen Volkes zur Einheit und Freiheit«, von den Deutschen als »ein Volk und eine Nation«. Die gewaltsame Spaltung ei- nes selbstbewußten Volkes, so Franz, ist »kein solides Fundament für einen gesicherten Frieden«. »Deutschland ist geteilt, weil ein Teil Deutschlands unfrei ist.« In Anlehnung an Präsident Reagans Rede am 8. Mai 1985 vor dem Europaparlament argumentiert Franz, daß die UdSSR nicht ewig Mitteleuropa unterdrücken könne. »Der Tag wird kommen [. . .], in dem Europas Mitte in Friede und Freiheit, in einem vereinten Europa wiedervereint wird.« (S. 10) Stürmer dagegen sieht die Deutsche Frage rein als »geostrategische Entschei- dungsfrage«; »wer Deutschland kontrolliert, der hat die Anwartschaft auf europäische Vor- macht«. Zu den Zeiten und Illusionen der deutschen Politik vor Hitler, so Stürmer, führe kein Weg zurück. »Souveränität als freie Entscheidung zwischen den Mächten war Traum des Fürstenstaates im 18. Jahrhundert und Teil der tödlichen Selbstzerstörung der Natio- nalstaaten des 19. Jahrhunderts.« Souverän in dieser bipolaren Welt ist »allein, wer über Nuklearwaffen verfügt«. Eine deutsche Frage gibt es im üblichen Sinne kaum mehr, denn die Staatsräson des Bonner Regimes lautet: »Die Bundesrepublik wird Teil des atlantischen Seebunds und der westeuropäischen Gemeinschaft sein — oder sie gibt sich selbst auf.«

(S. 25)

Zum Schluß nur einige Anmerkungen zu derartigen Sammelbänden. Ohne Angabe des Da- tums der jeweiligen Vortrage und ohne Abdruck wissenschaftlicher Belege sind die Aufsät- ze kaum zu bewerten. Ferner ist zu bemerken, daß manche Beiträge aus bereits veröffent- lichten und bekannten Büchern und Aufsätzen stammen; E. Kolbs Angabe in bezug auf die Herkunft seines Beitrages aus der Historischen Zeitschrift 1985 wäre auch seitens manch an- derer Autoren erfreulich gewesen. Und, last but not least, ist zu überlegen, ob dem Ver- ständnis der Frage nach »Europas Mitte« mit Begriffen wie »strategische Kraftlinie des Kontinents«, »Machtgeometrie«, »Masse und Drehpunkt des Systems« und »balance of power« heute noch gedient ist oder ob sie im Gegenteil überholte Vorstellungen festigen?

Holger H. Herwig

Azar Gat: The origins of military thought from the enlightenment to Clausewitz. Ox- ford: Clarendon Press 1989. XII, 281 S. ( = Oxford historical monographs.)

Der Autor dieses Buches, heute Lektor für Politikwissenschaft an der Universität in Tel Aviv, räumt nur die erste Hälfte seiner Arbeit einer Untersuchung der Kriegstheorien des 18. Jahrhunderts ein, womit er sich freilich eine sehr fundierte Ausgangsbasis für deren zweiten Teil schafft, der — wie der Klappentext bereits verheißt — in »a provocative critique of Clausewitz's classic work On War« mündet.

(5)

Das ist an sich nicht überraschend, entstammt doch die Arbeit jenem angelsächsischen Be- reich, in dem man unter dem Einfluß von Liddell H a r t dem »Dogma der Vernichtungs- schlacht« schon immer etwas skeptisch gegenübergestanden ist. Kein Geringerer als Mi- chael Howard von der Universität Oxford war der Supervisor von Gats Doktorarbeit, die hier in einer etwas erweiterten Form vorgelegt wird, und man erinnert sich, daß an eben dieser re- nommierten Universität vor rund 20 Jahren auch J. L. Wallach zum D o k t o r promovierte.

Soviel nur als Hinweis auf das distanziert-nüchterne »Klima«, in dem dieses Buch entstand und woraus sich schon deshalb eine gewisse Gewähr sowohl für einen interessanten Ansatz als auch für eine emotionslose, streng wissenschaftliche Behandlung des Themas ergibt.

Wie angedeutet, nähert sich der Autor dem Gegenstand seiner Kritik von weit her. N a c h kurzen Kapiteln über Machiavelli und Montecuccoli als den Ausgangspunkten einer neu- zeitlichen Betrachtungsweise über das Wesen der Kriegführung, läßt der Autor die wichtig- sten Vertreter kriegstheoretischer Überlegungen während des 18. Jahrhunderts, getrennt nach solchen der französischen und der deutschen Aufklärung, Revue passieren. Natürlich kennt Gat seine Protagonisten (Moritz von Sachsen, Puysegur, Turpin de Crisse, Maizeroy und vor allem Guibert auf französischer, Lloyd und Bülow auf deutscher Seite) sehr genau.

Aber es geht ihm um sehr viel mehr als nur um einen neuerlichen Versuch, die »makers of modern strategy« (P. Paret) oder die »Klassiker der Kriegskunst« (W. Hahlweg) mit ihren wichtigsten Aussagen aneinanderzureihen. Den Autor interessiert in erster Linie das geisti- ge Umfeld, der intellektuelle Wurzelboden dieser Denker, um aus den philosophischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ihrer Zeit das militärische Fachdenken des 18. Jahr- hunderts zu erklären. Hierbei erweisen sich »Kriegserfahrungen«, Änderungen in der Be- w a f f n u n g und Ausrüstung nur am Rande als einflußreiche Faktoren, während unabhängig davon sich die grundsätzliche Frage ergibt, ob die Kriegführung eine Wissenschaft oder ei- ne freie, intuitiv auszuübende Kunst sei.

Für die Theoretiker des 18. Jahrhunderts, f ü r deren Weltsicht N e w t o n als Symbol steht, w a r es ausgemacht, daß der menschliche Geist ganz allgemein die Realität und damit natür- lich auch die des Krieges zu fassen und zu meistern vermöge, die Kriegführung also als eine Wissenschaft zu betreiben sei. O b allerdings Praktiker wie Prinz Eugen am Anfang und Friedrich d. Gr. am Ende des Zeitalters der Aufklärung ähnlich dachten, scheint in der U n - tersuchung nicht näher auf, ist aber f ü r den Gesamttrend wohl auch nicht entscheidend.

In Frage gestellt erscheint das rational-wissenschaftliche Gedankengebäude der Kriegs- theorien erst unter dem Eindruck der Französischen Revolution und der Kriegführung N a - poleons. Dennoch versuchten militärische »Spät-Aufklärer«, diese neuen P h ä n o m e n e ihrer bisherigen Vorstellungswelt anzupassen: Bülow etwa, der auch die neue Art der Kriegfüh- rung für berechenbar, die Schlacht demnach f ü r überholt und demgegenüber die Politik ge- radezu für ein mathematisches Problem hält, Erzherzog Carl, der wiederum dem revolutio- nären Impetus mit der Logik des Schachspielers beizukommen versucht, und schließlich Jo- mini, der Napoleons Kriegführung, insbesondere seine Strategie, auf immer gleichbleiben- de Prinzipien zurückführen und sie damit der der A u f k ä r u n g geläufigen Gesetzmäßigkeit unterwerfen zu können vermeint.

Auch Scharnhorst wurzelt noch in der Aufklärung, aber die Einflüsse, denen er und dann vor allem sein Schüler Clausewitz sich öffnen, sind bereits die der antirationalen Gegen- Aufklärung oder — positiv ausgedrückt — die des »German Movement«, worunter Gat so unterschiedliche, ja gegensätzliche Strömungen wie Idealismus, Nationalismus, Konserva- tismus, Pietismus und Historismus zusammenfaßt. Sie alle ergeben in ihrer Gesamtheit eine völlig neue Sicht hinsichtlich der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Erfassung der Reali- tät, ein neues Bild vom Menschen und seines intuitiven Freiraumes und schließlich eine neue Erfahrung hinsichtlich der Aussagekraft der Geschichte.

Im zweiten Teil seines Buches geht Gat nun auf die Auswirkungen dieser neuen Faktoren auf das Weltbild von Clausewitz und damit auf Entstehung und W a n d l u n g seines Gesamt- werkes sehr detailliert ein. Das geht nicht ohne einer massiven Kritik an der bisherigen Clau- sewitz-Forschung ab, der G a t ein starres Festhalten an traditionellen Auffassungen, die Vernachlässigung wichtiger Details wie überhaupt mangelnde Quellenkritik vorwirft. Ins- besondere geraten die Arbeiten von R. Aron und P. Paret — bei aller Anerkennung ihrer Leistungen — ins Schußfeld. N a c h Gat ist Clausewitz zunächst nur der radikale Befürwor-

(6)

ter des »clash of forces«, dem wesentlichsten Teil seiner Theorie vom absoluten Krieg. Erst allmählich gibt er demgegenüber auch die Möglichkeit eines »anderen Krieges«, nämlich des begrenzten Krieges zu, wobei er — gewissermaßen als Kunstgriff, um den Bruch seiner Theorie zu verleimen — die Politik als ein wesentliches Element in seine Auffassung vom Wesen des Krieges einführt.

Das sind ohne Zweifel sehr beachtenswerte Gesichtspunkte, die hier vorgetragen werden, vor allem soweit sie die geistigen Hintergründe betreffen, von denen die Betrachtungen Clausewitz' ausgegangen sind, wie auch, was die Entstehung und allmähliche Wandlung seines bekanntlich unvollendet gebliebenen Werkes »Vom Kriege« betrifft, das ja nur zu gerne als eine aus einem Guß geformte »Bibel« des Krieges aufgefaßt wird.

Begreiflich, daß bei der Verteidigung dieser These mitunter auch Uberziehungen unterlau- fen, etwa wenn dem Kriegstheoretiker etwas ironisch angekreidet wird, daß er selbst gegen das von ihm aufgestellte Prinzip vom Primat der Politik gehandelt habe, als er und seine mi- litärischen Gesinnungsgenossen ihre Kompetenz dadurch übertraten, daß sie sich auch in die politische und soziale Auseinandersetzung in Preußen einmengten und er, Clausewitz, schließlich sogar gegen die offizielle preußische Politik und gegen den Befehl des Königs in russische Dienste getreten sei. Bei dieser Argumentation denkt man etwas beklommen, was Clausewitz wohl, sowohl von der Theorie wie von der Praxis her, zu den Männern des 20. Juli 1944 zu sagen gehabt hätte. Der Gedanke, daß er fernab von jeder theoretischen Erwägung der ethischen Motivation dieser Männer zugestimmt haben könnte, wird dem Leser nicht gestattet, denn Gat bescheinigt Clausewitz unter anderem einen »total disregard [. . .] for humanitarian concerns«.

Darüber könnte man gewiß streiten. Aber gerade daraus ergibt sich der Wert dieser Arbeit.

Es lohnt sich, sie zu lesen, zu überdenken und zu diskutieren. Und mehr kann man über ein wichtiges Buch eigentlich nicht sagen. Joh. Christoph Allmayer-Beck

John J. Mearsheimer: Liddell Hart and the Weight of History. London etc.: Brassey's Defence Publishers 1988. XI, 243 S.

In this book Mearsheimer sets out to correct almost everything written about the British military author Basil Henry Liddell Hart, including not least the things he wrote about him- self. H e questions Liddell Hart's place in history, and specifically the widespread idea that everybody who ever practised armored warfare from 1939 on owed his success to the tall, studious correspondent of the Times.

Tracing his hero's (if that is indeed the term) career over half a century, Mearsheimer ar- gues somewhat as follows. After World War I Liddell Hart, an infantry officer, devoted himself to discovering better ways for employing infantry in the future. From 1921 to 1925 he wrote about offensive and defensive methods of infantry warfare, displaying keen under- standing but hardly going far beyond the tactics already perfected by the Germans during the last years of World War I. Later, influenced by J. F. C. Fuller, Liddell Hart added tanks to his method of attack. In Mearsheimer's view this did not amount to the invention of the Blitzkrieg, however, since a crucial element — the need for independent armored forma- tions capable of penetrating deep into the enemy's rear — was missing. Towards the late twenties Liddell Hart expanded into strategy and started writing about the indirect ap- proach. Again Mearsheimer debunks him, this time by arguing that the concept was so wide as to be almost meaningless and scarcely deserving of serious discussion.

During the thirties Liddell Hart's interest in both Blitzkrieg and the indiret approach waned. From trying to discover shortcuts for winning the next war without incurring ex- cessive casualties, he switched to writing about grand strategy. Here he developed two cen- tral ideas. First, the superiority of the defense over the attack in modern war was taken for granted — it had been proved by World War I and, the growing role of tanks notwithstand- ing, remained unchallenged thereafter. Second, the superiority of the defense made it un- necessary to send strong forces to aid France on the continent. Thanks to this fortuitious combination of circumstances there would be no need for Britain to repeat the disasters of

(7)

the Somme and Paschendaele. Instead she was to return to her traditional strategy, which consisted of relying on the Navy and assisting continental allies. This position Liddell H a r t summarized in The Defence of Britain, which was published in July 1939 and brought him to the peak of his career.

T h r o u g h o u t all this, Mearsheimer argues, Liddell H a r t was a respected author and journal- ist w h o enjoyed a wide audience. Contrary to his own subsequent claims of having been a bete noire, he was sufficiently well liked to cultivate extensive connections in military and government circles, even to the point where he could help promote the careers of officers from the Chief of the Imperial General Staff down. H e is thus held co-responsible f o r the fact that, when w a r came, Britain had no army worthy of the name ready to be sent to the continent. W h a t is more, the course of the war did not follow Liddell H a r t ' s predictions.

T h e offensive successes of the German Panzers against Poland, France and the Soviet Union came as a tremendous blow. T h e y shattered the reputation of the man w h o f o r most of the previous decade had insisted on the primacy of the defense, exposing much of what he had written about modern w a r as nonsense. As the chapter on him in Earle's Makers of Modern

Strategy (1943) shows, Liddell H a r t went into eclipse; and indeed such was the shock that to the end of his life he remained reluctant to discuss this period.

After World W a r II was over, Liddell H a r t started rebuilding his reputation. H e did this by drawing attention away f r o m his writings during the thirties towards those which had preceded them during the twenties. Thrusting aside the claims of others such as Fuller and de Gaulle, he insisted that the Blitzkrieg was really his own invention; to reinforce this thesis he argued that the German generals — Rommel and Guderian in particular — had taken the idea from him. Mearsheimer analyzes this claim in detail and finds little to support it. Parts of the evidence in its favor were, if not fabricated, at any rate cajoled out of the German generals in ways that seem less than entirely decent. Relying on an article by Tuvia Ben Moshe, Mearsheimer next argues — somewhat predictably — that Liddell Hart's presumed influence on the Israeli Army is also a myth. T h e book ends with a chapter on the uses of history for decisions makers. It concludes that an insular power (i. e. the USA) which wants to influence the rest of the world should disregard Liddell Hart's advice and put its armed forces where its interests are.

Mearsheimer's book is thorough and well researched, and much of w h a t it has to say is new.

Unfortunately, it is also strongly biased. For example, one might argue that the indirect ap- proach is not as meaningless a concept as Mearsheimer claims; when combined with offen- sive armored tactics (which Liddell H a r t did write about), it comes very close to Blitzkrieg, and indeed Mearsheimer himself admits as much at the top of p. 125. T h e n again the fact that the Israeli military leaders failed to learn much from Liddell H a r t may reflect less on him than on them, given that to this day they have remained almost impervious to books of any kind. Finally, Mearsheimer appears less than fair when, by way of further debunking Liddell H a r t , he attributes his success to a. skill in debate, b. ability to turn a phrase, c. »en- cyclopaedic military knowledge«, d. a store of different policy positions (created over a fifty year period) from which he was able to select at will, and e. exceptional kindness and gener- osity towards young historians whom he put in his debt, personally as well as professionally.

Surely a man w h o has such qualities at his beck and call deserves to be successful!

T o sum up, Mearsheimer's attempt to cut Liddell H a r t down to size is made less credible than it could have been by the author's evident bias; perhaps one needs to have a modicum of sympathy for a man in order to discuss him really well. In addition, the b o o k is incom- plete. T h o u g h the bulk of his w o r k was done during the period between the world wars, Liddell H a r t did have important things to say about both nucelar warfare and Low Intensity Conflict. Yet Mearsheimer ignores his w o r k after 1945 (except for his attempts to rehabili- tate himself), thus doing him an additional injustice. For this reason among others I fear that Liddell Hart and the Weight of History cannot take the place of Brian Bond's fine Liddell Hart: a Study of his Military Thought (1977). Furthermore, a complete w o r k about Liddell H a r t — one that will take into account not only his military theories but his historical writ- ings and, above all, his by no means uninteresting personality — remains to be written.

M. van Creveld 127

(8)

Bernd Wollner: Die Kompetenzen der karthagischen Feldherrn. Frankfurt am Main usw.: Lang 1987. 212 S. ( = Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Bd 340.)

W.s leicht überarbeitete Dissertation will die von W. H u ß entdeckte Forschungslücke schließen, die darin bestehe, daß bisher noch niemand die zur Verfügung stehenden antiken Quellen bis ins einzelne interpretiert und sich ausschließlich mit den Befugnissen der kar- thagischen Feldherren befaßt habe (S. 11). Die meisten Interpreten hielten sich an die Be- hauptung des Livius, daß der karthagische Stratege »nullis neque temporis nec iuris [. . .]

angustiis« gehemmt gewesen sei, »quominus ita omnia gerat administretque ut tempora po- stulabunt belli« (s. 24, 8, 7).

Diese Behauptung wurde schon von W. Bötticher 1827 insofern ergänzt, als er auf die Ab- hängigkeit der Feldherren vom Senat hinwies1. Seine Ansicht sei von den meisten Histori- kern übernommen worden2 (S. 12). Erst in jüngster Zeit habe man gewisse Unterschiede in den Kompetenzen der Strategen im Verlauf der Jahrhunderte festgestellt3. Keine dieser Ar- beiten habe sich aber mit der Frage befaßt, ob nicht eine »Entwicklung der Befugnisse wäh- rend der jahrhundertelangen militärischen Machtstellung Karthagos im Mittelmeerraum«

stattgefunden haben könnte (S. 14).

W.s Arbeit besteht neben der Einleitung aus zwei Hauptabschnitten, die chronologisch die Quellenbelege, in denen karthagische Feldherren (Strategoi) aus Anlaß von Feldzügen und Kriegen genannt werden, durchgehen. Im ersten Hauptabschnitt werden aus ihnen »Rück- schlüsse auf Kompetenzen der karthagischen Strategoi gezogen« (S. 14). Im zweiten Hauptabschnitt werden die gewonnenen »Ergebnisse chronologisch geordnet kurz zusam- mengefaßt«. W. hofft, daß schon dadurch »ein allgemeiner Überblick über die Entwicklung der Kompetenzen der karthagischen Strategoi im Verlauf der wechselvollen Geschichte dieser Stadt« entstehe (S. 145).

W. gliedert den Stoff entsprechend der Quellenlage und den Kriegen, die Karthago um sei- ne Ausdehnung und Behauptung geführt hat, in fünf Punkte, die vom 6. Jahrhundert bis 480 v. Chr., von 410 bis 374, von 345 bis 275, von 264 bis 201 und von 201 bis 146 v. Chr.

reichen. Ein Blick auf die Quellenverteilung läßt schon erahnen, mit welchen Uberliefe- rungsschwierigkeiten der Bearbeiter eines solchen Themas zu kämpfen hat. Für die Punkte 1 und 2 stehen nur lustin und Diodor zur Verfügung. Für Punkt 3,1—4 kommen noch Plutarch, Timoleon, dazu, und erst ab Punkt 4,1 ist Polybios Hauptquelle, zu dem sich noch Appian, und ab 4,3.6 (Ebrovertrag) auch Livius gesellen. Auch andere Autoren der späteren Zeit wie Cassius Dio, Orosius und Zoiiaras werden einige Male herangezogen.

Die vielfältigen Quellenprobleme werden in den meisten Fällen durch Hinweise auf ein- schlägige Literatur in den Anmerkungen umgangen, was zwar der Kürze der Arbeit zugute kommt, den Leser aber doch oft unbefriedigt läßt. Vor allem in den nicht so seltenen Fällen, in denen sich zwei oder mehrere Quellen widersprechen oder zumindest uneinheitlich be- richten, wäre es geboten gewesen, wenigstens zu begründen, warum die Vorlage oder W.

selbst der bevorzugten Version folgt. Vielfach begnügt sich W. damit festzustellen, daß kei- ne Klarheit gewonnen werden könne, und zwar auch dann, wenn die Quellen eigentlich keinen begründeten Zweifel aufkommen lassen4. Eigene Untersuchungen fehlen meist, An- sätze dazu gibt es allenfalls anläßlich der Besprechung mehrerer Verträge wie des Ebrover- trages (S. 102 ff.) und des Vertrages mit Philipp V. von Makedonien (S. 121 f.).

Der zweite Hauptabschnitt leidet darunter, daß die »Ergebnisse« wieder nur chronologisch dargeboten werden, anstatt thematisch nach den verschiedenen Kompetenzen der Feldher- ren aufgearbeitet worden zu sein. So muß sich der Leser den Verlauf der einzelnen Kompe- tenzen selbst zusammensuchen. Hat er das geschafft, entsteht etwa folgendes Bild:

Bis zum Feldzug des Mago 383/82 v. Chr. scheint der von der karthagischen Regierung oh- ne Zeitbeschränkung berufene Stratege nahezu uneingeschränkte Vollmachten für alle Si- tuationen und Handlungen, die während eines Krieges eintreten oder notwendig werden konnten, besessen zu haben. Auch die Mittel, die er zum Kriegführen brauchte, scheinen ihm von der Regierung uneingeschränkt zur Verfügung gestellt worden zu sein (s. aber un- ten). Bündnis- und Vertragsverhandlungen gehörten wahrscheinlich zu seinen Kompeten- zen.

(9)

Im Verlauf des vierten Jahrhunderts verloren die Feldherren Teile dieser Befugnisse. Sie mußten sich jetzt vor dem irgendwann nach 396 v. Chr. geschaffenen Gericht der Einhun- dertvier verantworten, und mit der Errichtung der sogenannten Territorialstrategie (nach W.s Ansicht zwischen etwa 367 und 345 v. Chr.) wurden ihre Befugnisse weiter einge- schränkt (S. 60 ff., 151). So durften sie ζ. B. Bündnisse und Verträge zwar noch vorverhan- deln, bei ihrem Abschluß mußten aber — mit wenigen Ausnahmen in minder wichtigen Fäl- len — Vertreter der Regierung bzw. Senatsmitglieder anwesend sein und mitunterschreiben, um die Gültigkeit der Vereinbarungen herzustellen. Mittel zur Kriegführung wurden nur noch begrenzt zur Verfügung gestellt, obgleich die Zahl der Söldner größer geworden war.

Das zwang die Feldherren in verstärktem Maße, sich die fehlenden Gelder durch Plünde- rungen, Beuteverkauf und Tribute zu beschaffen. Zur leichteren Soldauszahlung ließen sie seit dem Ende des 5. Jh. auf Sizilien Soldmünzen prägen, ein Verfahren, das die Barkiden später in Spanien vervollkommneten5. Der Stratege unterlag zwar nie der Annuität wie der römische Konsul, konnte aber jederzeit abberufen werden und verlor dann sofort alle (schützenden) Kompetenzen. Beutegüter durfte der Feldherr wohl immer dreiteilen, und zwar an die Soldaten, die Kriegskasse und den Staat. Zur Sicherung der sizilischen Epikra- tie und später der iberischen Eroberungen wurden zwei gewöhnlich gleichberechtigte Stra- tegen ernannt, die in Friedenszeiten ihre Strategien verwalteten.

In dieses Schema — im Felde volles Imperium, in Fragen von Krieg und Frieden von der Re- gierung abhängig6 — fügt sich eine Reihe weiterer von W. festgestellter Befugnisse, die ei- gentlich jedem Feldherren, auch den römischen Konsuln, zustanden. Hauptunterschied zu diesen ist die Zeitdauer ihrer Amtsgewalt.

Ob die Unterschiede, die W. zwischen den Strategen vor und nach etwa der Mitte des 4. Jh.

ausgemacht hat (S. 60 ff., 151), wirklich materielle Unterschiede waren oder vielleicht nur dem unterschiedlichen Quellenwert der Notizen, die für die ältere und die jüngere Zeit tra- diert worden sind, zugeschrieben werden müssen, wird weder gefragt noch untersucht7. Dabei hätten die vielen Fälle, in denen nicht bestimmte Personen, sondern »die Karthager«

handeln, zu denken geben müssen.

Obgleich zuzugeben ist, daß der Autor mit einem schwierigen und wenig dankbaren Thema konfrontiert worden ist, bleibt doch zu bemängeln, daß bei etlichen Interpretationen nicht gerade methodisch spekuliert wird und daß die aus den historischen Zusammenhängen her- ausgerissenen Fundstellen wenig Interesse weckend dargestellt sind. In dieser Form wäre die Arbeit besser nicht in den »Europäischen Hochschulschriften« erschienen.

Gottfried Prachner

1 W. Bötticher: Geschichten der Karthager. Berlin. 1827. Senatoren begleiteten die Feldherren ins Feld, wirkten beim Abschluß von Bündnissen und Verträgen mit und konnten die Rückberufung der Feldherren veranlassen.

2 Was W . in Anmerkung 5 an Literatur nennt, stammt aus dem 19. Jahrhundert.

3 W. nennt L.-M. Hans: Karthago und Sizilien. Diss. Hamburg 1981, und vor allem W. Huß, der ne- ben mehreren Teilaspekten die »Geschichte der Karthager« im »Handbuch der Altertumswissen- schaften« III 8, 1985, geschrieben hat und hier, S. 478, Anm. 29, auf B. Wollner hinweist.

4 Ζ. B. S. 53: Mago ordnete nach übereinstimmender Ansicht von Diodor 16, 69, 5 und Plutarch, Ti- moleon 20, 10, aus Furcht den Rückzug von Syrakus an, nur ist Plutarch ausführlicher; Diodor hat also »verkürzt« berichtet; s. unten Anm. 7.

5 Die Barkiden sollen im 3. Jahrhundert dem Melkart-Münzbild ihre eigenen Gesichtszüge verliehen haben. Während W . (S. 107) noch »es scheint so« schreibt, ist das S. 158 schon Gewißheit. Nach W . Huß: Geschichte der Kathager (wie Anm. 3), S. 495, spreche die gelegentliche Verwendung eines Diadems für die Annahme, »daß sich auf diesen Münzen zumindest ein Teil der Barkiden an Mlqrt angeglichen hat«.

6 W . glaubt, daß die Friedensverträge von 405 und 392 v. Chr. von den Strategoi selbständig abge- schlossen worden seien. Das ist wenig mehr als eine Vermutung, die auch dadurch nicht aufgewer- tet wird, daß er die Vermutung zum Friedensvertrag von 405 durch die Vermutung zum Friedens- vertrag von 392 v. Chr. zu stützen sucht (S. 38 und S. 47). Auch der angebliche Staatsvertrag zwi- schen Athen und Karthago von 406 v. Chr. ist strittig, weshalb kaum Grund zur Annahme besteht, daß es »keine Konsultation der karthagischen Regierung gegeben zu haben« scheint (S. 34).

7 W . weist selbst mehrmals auf die Möglichkeit hin, daß Diodor »verkürzt« berichtet habe, wie ζ. B.

S. 38, 42, Anm. 131 und 59, Anm. 215. Daher ist damit zu rechnen, daß Informationen weggefallen sind, die für uns wichtig sind.

(10)

Heinz Schilling: Aufbruch und Krise. Deutschland 1517—1648. Berlin: Siedler 1988.

507 S. ( = Das Reich und die Deutschen; Siedler Deutsche Geschichte.)

Deutsche Geschichte von der Reformation bis zum Westfälischen Frieden im Uberblick darzustellen ist nicht einfach. Auf wichtigen Teilgebieten sind neue Probleme u n d Einsich- ten zu berücksichtigen; überkommene, nationalstaatlich orientierte Deutungsmuster sind fragwürdig geworden, ohne daß eine griffige Alternative in Sicht wäre, mit der sich die Be- deutung dieser aus heutiger Sicht so fernen, fremden Zeit f ü r unsere Gegenwart fassen lie- ße. D e r Lösungsversuch, den Schilling unternimmt, ist beachtenswert. Er bedarf der Dis- kussion, führt aber auch weiter.

Das Buch ist auf der H ö h e der Forschung. Bei der Einschätzung des Bauernkriegs, beim Verhältnis von Luthertum und Politik, zum T h e m a Fürstenstaat und Stände und in vielen anderen Punkten nutzt der Verfasser die Gelegenheit, überkommene Klischees behutsam, aber eindeutig und — bei aller gebotenen Knappheit — doch präzis zu korrigieren. Die In- formationsgrundlage wird in einem schmalen Anmerkungsteil und in Auswahlbibliogra- phien zu den einzelnen Kapiteln verdeutlicht. Sie besteht erklärlicherweise weithin aus Überblicksdarstellungen, aber in beachtlichem U m f a n g aus speziellen Monographien, und wohltuend häufig — gemessen an der erforderlichen Dichte der Darstellung — greift der Autor direkt auf Quellen zurück. Dazu gehört auch die Funktion der zahlreichen Abbil- dungen im T e x t oder am Rand, die durchweg ausführlich erläutert sind: Viele von ihnen sind mehr als »Illustration«, haben vielmehr einen eigenen Aussagewert f ü r den Kontext, zu dem sie gehören.

D a ß die Verarbeitung solcher Informationsmassen nicht überall gleich intensiv erfolgen kann, daß beispielsweise die Ausführungen zu Schwedens Politik im Dreißigjährigen Krieg nicht ganz auf der H ö h e anderer Partien sind, muß als unvermeidlich gelten. H e r v o r z u h e - ben ist Schillings Fähigkeit, bei Konflikten, deren Behandlung bis auf den heutigen T a g na- tionaler oder konfessioneller Parteilichkeit unterliegt, beiden Seiten gerecht zu werden.

Insgesamt glücklich gelöst ist die Aufgabe, die strukturellen Voraussetzungen und Rah- menbedingungen der Ereignisabläufe angemessen zu berücksichtigen. Ein Eingangskapitel behandelt Politik, religiöses und kulturelles Leben, Wirtschaft, Bevölkerung und Alltag;

weitere Ausführungen über politisch-administrative und gesellschaftliche Gegebenheiten und Veränderungen sind im sechsten Kapitel dem späten 16. Jahrhundert zugeordnet.

Schillings Fähigkeit, komplexe Sachverhalte präzis und vergleichsweise leicht verständlich darzubieten, bewährt sich hier besonders. Eine Reihe von T h e m e n behandelt er nicht ab- strakt und umfassend, sondern anhand geschickt ausgewählter Beispiele. So verdeutlicht er am Beispiel Bayerns unter H e r z o g / K u r f ü r s t Maximilian I. Entwicklungen und Probleme des frühneuzeitlichen Fürstenstaates und seiner Verwaltung. Andererseits berücksichtigt er andere europäische Länder überall dort angemessen, w o die deutschen Verhältnisse erst in einem solchen weiteren Rahmen verständlich werden.

Die Erwägungen zur Konzeption des Werkes lassen sich an den Titel anschließen: »Auf- bruch« deutet die Gesamtentwicklung als Beginn der Neuzeit, als den deutschen Beitrag zu jenen Neuansätzen auf allen Lebensgebieten, deren Fernwirkungen bis auf den heutigen T a g unser Leben mitbestimmen. D a ß die politische Seite dieses Modernisierungsvorgangs, die Ausprägung des einheitlichen Anstaltsstaates, in Deutschland nur auf der Ebene der Territorien zustandekam, sieht Schilling deutlich, bindet diese Tatsache aber ein in ein durchgängig positives Bild des Alten Reiches und seiner Verfassung, deren Entwicklung bis zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 f ü r ihn ein wichtiges Stück politische und reli- giöse Modernisierung bedeutet. Um diese Linie durchhalten zu können, muß er die Anzei- chen f ü r konfessionelle Verständigung nach 1555 sehr wichtig nehmen, die Kontinuität der Probleme von 1555 nach 1618 hin recht gering ansetzen und die Konfessionalisierung aller Lebensbereiche bis hin zur Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges zur fast schon episo- denhaften »Krise« herunterstilisieren, jenseits derer dann das Alte Reich seine Rolle als Ga- rant der deutschen wie europäischen Friedensordnung wieder übernehmen kann.

Flankierend hierzu versucht Schilling, die an sich ja recht diffuse Diskussion um die »Krise des 17. Jahrhunderts« f ü r sein Buch zu nutzen und f ü r die Jahrzehnte um 1600 ein umfas- sendes Bewußtsein von Unsicherheit und Bedrohtheit deutlich zu machen. Am besten ge-

(11)

lingt dies für Verfassung und Konfessionspolitik des Alten Reiches. Auch die Anzeichen des Konjunkturumschwungs passen in dieses Bild. Anderes überzeugt weniger: Kometenfurcht, Hexenverfolgungen, Judenpogrome hat es auch zu anderen Zeiten des 16. und 17. Jahr- hunderts allzu häufig gegeben.

Bedenken erregt schließlich ein anderer Aspekt von Schillings Krisenbegriff: das Bemühen, die Jahrzehnte um 1600 zur »Vorsattelzeit« der Moderne, zur Epoche besonders intensiven politisch-administrativen und gesellschaftlichen Wandels zu stilisieren. Die Analogie zu Kosellecks Begriff »Sattelzeit« f ü r die letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts wird begriff- lich nicht ausformuliert; auch die inhaltliche Ausfüllung befriedigt nicht. Allzuviele der an- gesprochenen Erscheinungen, vor allem aus dem Bereich der Ausprägung frühneuzeitlicher Staatlichkeit, erstrecken sich über einen sehr viel weiteren zeitlichen Rahmen. Schon Schil- lings eigene Beispiele lassen das erkennen; erst recht gilt es bei umfassender Betrachtung im europäischen Rahmen.

Die Einwände aus den letzten Abschnitten können und sollen keine definitive Geltung be- anspruchen, sondern nur als Beiträge zu einer offenen Diskussion gelesen werden. Eine Uberblicksdarstellung wie Schillings W e r k ist ohne wertende und ordnende Vorgaben nicht möglich, die dann zwangsläufig zu Schwierigkeiten im Detail führen. D e r Autor hat eine kaum noch übersehbare Vielfalt von Stoff insgesamt einleuchtend organisiert und in einer ebenso behutsamen wie erfreulich klaren und gut verständlichen Sprache so dargeboten, daß der Leser von Zusammenhängen und Problemen ein Bild gewinnt. Die zweckmäßig ge- wählten Kolumnentitel der einzelnen Seiten helfen dabei. Die weite Verbreitung, die in der Zielrichtung des Gesamtwerkes liegt, ist diesem Band unbedingt zu wünschen.

V o n fragwürdigem N u t z e n ist dabei allerdings der »Waschzettel«, mit dem der Verlag die Rückseite des Schutzumschlags ausgestattet hat. D a ß ein solcher T e x t stark vereinfachen oder sogar vergröbern muß, läßt sich nicht vermeiden, aber hier wird mit Klischeeformulie- rungen wie »verstellt das Erbe des mittelalterlichen Reichs den W e g zum Nationalstaat« die Aussageabsicht des Verfassers geradezu dementiert. Ernst Opgenoorth

Colin Martin, Geoffrey Parker: T h e Spanish Armada. London: Hamish Hamilton 1988.296 S.

PeterPadfield: Armada. Braunschweig: Westermann 1988. 207 S.

Wie nicht anders zu erwarten zum Armada-Jubiläum: eine Fülle von Publikationen, Volks- feste und eine — übrigens sehenswerte — Ausstellung im National Maritime Museum Greenwich; da erfährt Garrett Mattinglys inzwischen klassisches, erstmals 1959 erschiene- nes Armada-Buch eine deutsche Neuauflage; da werden alte Legenden zertrümmert — und neue aufgerichtet; da wird kräftig entmythologisiert —, und doch ist man allseits aufs höch- ste fasziniert. Die Armada schlägt Historiker immer noch in ihren Bann. Was dabei heraus- kommt, soll im Folgenden am Beispiel zweier pünktlich zum Jubiläumsjahr dem Publikum präsentierter Monographien dargelegt werden.

Es handelt sich um zwei sehr unterschiedliche Arbeiten, sowohl ihrem wissenschaftlichen Gewicht als auch ihrem Anspruch nach. Peter Padfields »Armada« ist, was man gemeinhin ein historisches Sachbuch zu nennen pflegt. Padfield, als Historiker Autodidakt, als See- mann Profi, zeichnet erzählend und stark personengeschichtlich orientiert auf der G r u n d - lage der neuesten ihm zugänglichen Forschungsliteratur den W e g der Armada nach. Sein flüssig geschriebenes und auch in der deutschen Ubersetzung noch gut lesbares Buch beruht also nicht, wie der Klappentext irreführend ankündigt, auf bisher unveröffentlichtem Ar- chivmaterial. Zwar werden einige Archivalien abgebildet, aber die sind längst bekannt und bereits mehrfach ausgewertet worden. G a n z anders die Monographie von Colin Martin und Geoffrey Parker. Sie ist weitgehend das Resultat langjähriger Recherchen in belgi- schen, italienischen und spanischen Archiven. Beide, Martin wie Parker, sind ausgewiesene Historiker; vor allem Parkers Arbeiten zur frühneuzeitlichen Sozial-, Wirtschafts- und Mi-

(12)

litärgeschichte sind längst zu Standardwerken geworden, so seine Studien über den nieder- ländischen Aufstand, über die »Army of Flanders« oder den Dreißigjährigen Krieg; nicht zuletzt ist er der Verfasser einer Biographie über Philipp II. Doch es sind nicht nur die bis- her unveröffentlichten, äußerst aufschlußreichen schriftlichen Quellen, die Reiz und wis- senschaftlichen Rang von Martins und Parkers Gemeinschaftsarbeit ausmachen. Diese be- ruht vielmehr auch — und in viel stärkerem M a ß e als Padfields Untersuchung — auf den Er- gebnissen der Unterwasserarchäologie (Colin Martin ist selbst zu manchem W r a c k ge- taucht). Nicht nur Fragen nach Beschaffenheit, nach Bau und Konstruktion der spanischen Schiffe lassen sich mit Hilfe der Archäologie erstaunlich präzise beantworten, nicht nur Herstellungsweise und Qualität der so schlachtentscheidenden Geschütze sind auf diese Weise zu ermitteln, auch der Alltag, das Leben und Sterben der Soldaten und Matrosen an Bord können minutiös rekonstruiert werden.

D o c h nun zum Ausgangspunkt des Unternehmens. W a r die Armada das unzureichend ge- plante, schlecht organisierte und katastrophal durchgeführte, das zwangsläufig zum Schei- tern verurteilte Invasionsprojekt eines von frömmelnden Günstlingen beratenen, kranken und altersschwachen Königs, wie es so mancher Historiker mit der unendlichen Weisheit des Zurückblickenden dargestellt hat? Martin und Parker antworten mit einem klaren Nein, erteilen solchen Ansichten eine deutliche Absage. Zu Recht. Das Autorenteam weist nach, daß Philipp II. schon seit 1559 einen spanischen Angriff auf das England Elisabeths I.

f ü r wünschenswert, ja f ü r weitgehend unvermeidlich hielt. Seit den 60er und 70er Jahren waren es vor allem die Niederlande, denen bei solchen Überlegungen eine besondere Rolle zukam. Früh schon wurde, wie Martin und Parker aufzeigen, eine mehr oder weniger offe- ne englische Unterstützung der Aufständischen vom spanischen Hof als Gefahr erkannt, in diplomatischen Kreisen sogar als möglicher casus belli gehandelt. U n d tatsächlich sollte im Denken des Königs und seiner Ratgeber die enge Verbindung zwischen einem siegreichen Kampf gegen England und einem erfolgreichen Ende des Krieges in den Niederlanden auch während der unmittelbaren Vorbereitungen des Feldzuges eine entscheidende Rolle spielen. Die gründliche Archivarbeit der beiden englischen Historiker hat sich gelohnt, denn erstmals wird deutlich, wie sorgfältig die Kriegsfahrt der Armada diplomatisch vorbe- reitet war. England mußte isoliert werden — das gelang; Frankreich w a r in einen Zustand politischer und militärischer Lähmung zu versetzen — auch das ein Erfolg spanischer Diplo- matie; der Papst w a r zu gewinnen — dies zumindest ein Teilerfolg. Sixtus V. versprach eine Million Dukaten für den Fall, daß die Armada in England lande. M e h r noch: Philipps Be- dingung, jeder Kardinal habe zu schwören, er werde die gegebenen Versprechungen hal- ten, sollte Sixtus vor Auszahlung der zugesagten Summe sterben und sollte er dessen N a c h - folger sein, wurde erfüllt.

Doch nicht nur in diplomatischer Hinsicht war die Armada mehr als ein unüberlegtes Pre- stigeunternehmen, mehr als die Inkarnation der Arroganz einer Großmacht. Als sich die Konflikte zwischen England und Spanien zuspitzten, schließlich in Drakes Angriff auf Vigo kulminierten, als Elisabeth längst offiziell die Niederländer bei ihrem Aufstand unterstütz- te, mit Geld, mit Truppen, mit Leicester, ihrem Favoriten, als Feldherrn, und als einflußrei- che spanische Finanz- und Handelskreise, deren Interessen durch das Kriegsunternehmer- tum eines Drake oder Frobisher schon seit langem erheblich gestört wurden, die Krone im- mer vehementer unter Druck setzten, da war es keine Frage mehr ob, sondern nur noch wann und wie Philipp zurückschlagen würde. Sehr bald schon wurde geplant, organisiert und gebaut, keine Kosten und Mühen wurden gescheut. In Spanien entstand die Armada, in Flandern hatte der H e r z o g von Parma, Alexander Farnese, einer der besten Feldherren und Diplomaten seiner Zeit, eine Invasionsarmee zusammengezogen. Drakes vernichtender An- griff auf Cadiz traf die Spanier inmitten ihrer Vorbereitungen. England gewann ein volles Jahr zur Reorganisation seiner Flotte. Längst schon waren die spanischen Kxiegsvorberei- tungen kein Geheimnis mehr. Müssen die Gründe f ü r das Scheitern der Armada im Stadium ihrer Planung, ihrer Entstehung aufgespürt werden? Padfield hat sich diese Frage gestellt, und auch Martin und Parker gehen ihr nach. Doch kommen sie zu unterschiedlichen Ant- worten. Einigkeit besteht darin, daß der Schwachpunkt des Unternehmens, ja der Schlüssel zu seinem Fehlschlag nur in der auch heute noch schwer zu begreifenden Tatsache gesucht werden kann, daß bis zum Auftauchen der Armada vor der flandrischen Küste eigentlich

(13)

weder ihrem Oberbefehlshaber, dem H e r z o g von Medina Sidonia, noch Alexander Farnese klar war, wann ihr Zusammentreffen erfolgen sollte und wie die Vereinigung ihrer Armeen zu bewerkstelligen sei, um sicher an der Küste Kents landen zu können. Parma hatte früh schon gewarnt, sich aber dennoch im großen und ganzen zuversichtlich geäußert; der Kö- nig hatte Gottvertrauen anbefohlen. Angesichts solcher Planungsmängel, angesichts auch weiterer heute bekannter Schwächen der Armada, ihrer geringen Feuerkraft beispielsweise, ihrer veralteten, ganz der mittelmeerischen Seekriegführung verpflichteten Kampftaktik et- wa oder ihrer geringen Beweglichkeit tappt Padfield in die Falle, beginnt er, die Geschichte von ihrem Ende her aufzuzäumen, sich in eine keineswegs neue Spekulation zu flüchten:

Die Armada sei nicht als ernsthafter Invasionsversuch zu deuten, Elisabeth sollte lediglich das Fürchten gelehrt, die Welt in Staunen versetzt werden, Philipp habe seine Oberbefehls- haber bewußt an der Nase herumgeführt (bes. S. 141). D e r einzige Beleg, den Padfield f ü r diese Vermutung anführt, ist im Grunde das Scheitern der Armada selbst. N ü c h t e r n e r urtei- len Martin und Parker. Auch sie zeigen die Mängel des Unternehmens auf. An seiner Ernst- haftigkeit aber sei nicht zu zweifeln. Kriegführung sei immer mit erheblichen Risiken ver- bunden gewesen, vor allem unter den Bedingungen des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Au- ßerdem: Kein Zeitgenosse habe die Armada für einen Bluff gehalten, die Engländer selbst hätten sie als die schlimmste nur denkbare Bedrohung angesehen — ihre Schwächen waren ihnen weitgehend unbekannt. Schließlich: Die Armada sei doch völlig intakt vor der Küste Flanderns aufgetaucht, nur wenige, allerdings entscheidende T a g e zu früh. U n d tatsächlich sollte erst hier das Fiasko beginnen.

Ende Mai 1588 war die spanische Flotte in See gestochen, auf ihren Segeln, Fahnen und Wimpeln die roten Diagonalen des Heiligen Krieges; von Lissabon hatte sie ihren Ausgang genommen, ein Kreuzzug gegen die häretische Elisabeth — endlich Vergeltung f ü r den M o r d an Maria Stuart, so hieß es. D e r Kanal war erreicht worden mit viel M ü h e , erste Scharmützel mit den schnellen, wendigen und feuerstarken englischen Schiffen waren überstanden. Die Armada näherte sich der flandrischen Küste, mußte ankern in seichten Gewässern, geeignete H ä f e n f ü r die plump-massiven Schiffe gab es nicht. Koordinations- schwierigkeiten mit P a r m a : Er schien noch nicht bereit (und war es auch nicht); am 7./

8. August der englische Angriff, mit Brandern vorgetragen, eine verzweifelt kämpfende Ar- mada in ungünstiger Position, das Kappen der Ankertaue, die Flucht in Richtung N o r d - osten. Ein Zurück gab es nicht mehr, zu ungünstig waren die Windverhältnisse. N u r lang- sam wurden sich die Engländer ihres Sieges bewußt, lange noch waren sie mißtrauisch.

Auch Parma zog erst am 31. August seine Invasionsarmee ab. W ä h r e n d Elisabeth schleu- nigst ihre so treuen wie teuren Seeleute und Soldaten verabschiedete, diese zuhauf verhun- gerten, an Seuchen starben oder ihren Verletzungen erlagen, umrundete die Armada Schottland. Manche Schiffe sanken im Sturm, andere strandeten. Die Schiffbrüchigen wur- den, hatten sie Glück, ausgeraubt oder gegen Lösegeld auf freien Fuß gesetzt. Die meisten aber wurden getötet. Philipp verlor fast die Hälfte seiner Flotte. Sicherlich, es w a r eine ver- heerende Niederlage, aber doch keineswegs eine irreversible. Auch das sehen Martin und Parker deutlicher als Padfield. Das Scheitern der Armada hatte kaum längerfristige politi- sche Auswirkungen. Die spanisch-englischen Auseinandersetzungen gingen weiter, in den Niederlanden, auf See, in der N e u e n Welt. Bald schon lagen wieder Invasionspläne auf dem Tisch, wurde aufgerüstet, liefen spanische Schiffe vom Stapel, waren schwerbewaffnete Söldnerheere aufgestellt.

Schiller erblickte im Untergang der »unüberwindlichen Flotte« die Rettung der letzten

»Tyrannenwehre«, die Rettung von Freiheit und Menschenwürde. M a n kann nur darüber spekulieren, was im Falle einer erfolgreichen Landung geschehen wäre, aber Martin und Parker ist wohl zuzustimmen, wenn sie am Schluß ihres Buches konstatieren: »If, during the second week of August 1588, the Army of Flanders had been marching towards London, everyone today would regard the Invincible Armada, despite all its deficiencies, as Philipp IPs masterpiece.«

Beide hier besprochenen Monographien sind aufwendig gestaltet und reich illustriert. Die zum Teil bisher unbekannten Bildquellen werden zumeist sorgfältig kommentiert, stehen nicht unvermittelt neben dem Text. Karten, Tabellen und Schaubilder dienen dem Ver- ständnis, sind hilfreich und weiterführend. Padfields Monographie mag hierzulande — da-

(14)

f ü r wird der nicht zu unterschätzende Vorteil einer deutschen Übersetzung sorgen — die Kenntnis von der Geschichte der Armada verbreiten. Vertiefen aber kann sie nur das Ge- meinschaftswerk von Martin und Parker. E§ ist das augenblicklich beste Armada-Buch.

Peter Burschel

Caroline Finkel: T h e Administration of W a r f a r e : the O t t o m a n Military Campaigns in Hungary, 1 5 9 3 - 1 6 0 6 . W i e n : V W G Ö 1988. XI, 362 S. ( = Beihefte zur Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes. Bd 14.)

Angesichts der Tatsache, daß die osmanische Armee jahrhundertelang die größte und zeit- weise auch die meistgefürchtete Militärmaschine in Europa, zu dessen Geschichte das Os- manische Reich untrennbar gehört, darstellte, ist das Wissen vor allem über Innenleben und Funktionsweise dieses einstmals hocheffizienten Apparates bis heute vergleichsweise gering.

Überdies wurde der Aspekt der Logistik ganz allgemein in der Militärgeschichtsschreibung bisher stark vernachlässigt. In der Tatsache, sich dieses unzureichend erforschten Gegen- standes angenommen und dabei das erste W e r k zur Logistik des osmanischen Heerwesens geschrieben zu haben, liegt das zweifache Verdienst der Autorin.

Zunächst wird in gebotener Kürze ein Überblick über den Verlauf des »Langen T ü r k e n - krieges«, der den Hintergrund der Studie bildet und auch den Untersuchungszeitraum ein- grenzt, gegeben und dabei auf die Umwälzungen im europäischen Militärwesen, mit denen auch die Osmanen sich konfrontiert sahen, hingewiesen.

D e r Frage nach dem Menschenpotential ist der erste Hauptabschnitt gewidmet, wobei sich die Autorin mit H e r k u n f t , Qualität und Finanzbasis der Soldaten auseinandersetzt. Intensiv befaßt sie sich mit der Frage, wie groß das Potential an Lehnsreitern (Sipahi) und Gefolgs- leuten (Cebeli) war, und kommt zu einigen überraschenden Erkenntnissen über die H e r - kunft dieser Gefolgsleute. Des weiteren weist sie darauf hin, daß die Armee neben den be- kannten Komponenten der Lehnskavallerie und dem stehenden Teil (Janitscharen) wegen des steigenden Bedarfes an Infanterie — den Osmanen fehlte es vor allem an ausgebildeten Musketieren — auch ein beträchtliches Element von Söldnern, teilweise aus der christlichen Grenzbevölkerung rekrutiert, enthielt, und schildert die langfristigen Auswirkungen, die diese Truppenteile in Zeiten der Beschäftigungslosigkeit auf das Machtgefüge des Reiches hatten. Auch die Probleme, vor die die Mobilisierung der Truppen in dem riesigen Reich, die Zurücklassung von lokalen Sicherheitskräften und die Koordination des Aufmarsches in den europäischen Provinzen das O b e r k o m m a n d o stellten, werden gebührend berücksich- tigt.

Die Besoldung der Soldaten war, in Verbindung mit zahlreichen weiteren Transferleistun- gen, durchweg gut und meist auch gesichert, wenn es auch zu Verzögerungen beim An- transport und der Verteilung der hohen Bargeldmengen, vornehmlich im Falle der Lehns- reiterei, kommen konnte, die meist jedoch durch ein internes Kreditsystem überbrückt wur- den. Anhand der späteren Angaben über einige Lebensmittelpreise kann man sich auch ein ungefähres Bild von der K a u f k r a f t der sehr detailliert aufgeschlüsselten Soldsummen ma- chen. Einige zusätzliche Informationen wären hier indes hilfreich gewesen. U n t e r den nicht von Istanbul besoldeten Truppenteilen sind besonders die Tataren zu erwähnen, deren V o r - züge ihre schlechte Disziplin oft genug aufwogen.

Neuland betritt die Autorin mit der Beschreibung der Rolle und Organisation der diversen handwerklichen Zunftgruppen, die die von den Kommissaren angelieferten W a r e n f ü r die Soldaten aufbereiteten. Diese Orducular waren keineswegs freiberufliche Marketender, sondern nach einem bestimmten Schlüssel rekrutierte Bestandteile der Heeresorganisation mit einem festgeschriebenen Status und spielten im Organismus der Armee eine wichtige Rolle.

H a t t e diese Armee sich schließlich gesammelt und den Kriegsschauplatz erreicht, mußte sie dort versorgt werden, was angesichts der zunehmenden Stärken aller europäischen Armeen

(15)

durch Fouragieren allein keinesfalls mehr zu gewährleisten war. Der Leser bekommt im fol- genden ein präzises Bild der Institutionen, die mit der Versorgung der Armee befaßt waren, und deren Vorgehensweise bei der Beschaffung und Verteilung der Nahrungsmittel, deren Verfügbarkeit, Qualität usw. noch einmal im einzelnen beschrieben wird. Dabei wird auch auf die Unterschiede in der Versorgung der stehenden und belehnten Truppenkörper ein- gegangen.

Gegenüber ihren europäischen Gegnern hatten die Osmanen zu dieser Zeit gleich mehrere Vorteile. Das osmanische Ungarn selbst war fruchtbar, und dasselbe galt für das Hinterland in den Balkanprovinzen, zu deren wirtschaftlicher Situation zu jener Zeit man nebenbei ei- ne Menge Informationen erhält, so daß die Armee aus diesem »frontnahen« Raum hinläng- lich ernährt werden konnte. Hinzu kam, daß der osmanische Staat zu jener Zeit einen hö- heren Zentralisierungsgrad aufwies als seine Antagonisten und von daher seine Ressourcen effizienter nutzbar machen konnte. Dabei wurden in Grenzfestungen zentrale Depots, die freilich nicht mit den Depotketten des 18. Jahrhunderts zu verwechseln sind, angelegt, von denen aus das Heer versorgt werden konnte. Diese Stützpunkte waren zum einen deshalb hart umkämpft, zum anderen aber auch, weil sie die zentrale Versorgungsachse Belgrad — Buda entlang der Donau deckten. Das wohlorganisierte Nachschubsystem sicherte den os- manischen Heeren in Ungarn ein hohes Maß an Bewegungsfreiheit und Initiative gegen- über ihren Gegnern.

Um diese Anstrengungen zu finanzieren, bedurfte es schließlich eines hochentwickelten Fiskalsystems, das die Erträge einer hinlänglich leistungsfähigen Wirtschaft abschöpfen und dem Kriegswesen zuführen konnte. Die Beschreibung dieses Aspektes steht im Mittelpunkt des letzten Hauptabschnittes. Dieser Teil wendet sich vorrangig an den osmanistisch vorge- bildeten Fachmann, da die Autorin sich auf die Erörterung der militärisch relevanten Zwei- ge der Fiskalverwaltung beschränken mußte, ohne eine umfassende Darstellung des äußerst differenzierten Steuersystems vornehmen zu können. Aus diesem Grunde hat sie ihm eine knappe Zusammenfassung vorangestellt. Zunächst diskutiert sie sehr gründlich die Aussa- gekraft der verschiedenen Register und Aufstellungen; diese Fragestellung steht im Vorder- grund der derzeit vielerorts sehr intensiv betriebenen wirtschaftsgeschichtlichen Erfor- schung des Osmanischen Reiches. Da die zugrundeliegenden Dokumente bisher in ihrer Art noch nie veröffentlicht wurden und auch für andere Teilgebiete der osmanischen Histo- riographie von Interesse sein dürften, wurden sie in einem gesonderten Anhang der Arbeit beigefügt. Davon ausgehend werden die verschiedenen Einnahmequellen und deren Allo- kation zu militärischen Zwecken analysiert. Im Ergebnis beurteilt Finkel die osmanische Staatsfinanzierung als wesentlich differenzierter und effizienter als die zeitgleichen euro- päischen Modelle, was einen kaum zu überschätzenden Faktor bei der Frage nach der mili- tärischen Leistungsfähigkeit der verschiedenen Kontrahenten darstellt.

Die Stärke des Buches liegt zweifellos in der stets sehr engen Anlehnung an die Primär- und Sekundärquellen, mit denen die Autorin jederzeit äußerst sorgfältig und kritisch umgeht.

Sie problematisiert viele Angaben, holt ein Maximum an Information aus den Quellen her- aus und zeigt gleichzeitig die Beschränkungen derartiger Materialien auf, die für den da- maligen Kanzleigebrauch angefertigt wurden. Auch die Sekundärliteratur wurde mit nur geringen Lücken berücksichtigt; dem Nichtosmanisten wäre eine breitere Bibliographie in- dessen dienlicher. Andererseits wird den NichtOrientalisten der Gebrauch des Werkes, dem auch über die Fachdisziplin hinaus viele Leser zu wünschen sind, durch Glossare und eine zweckdienliche Karte wesentlich erleichtert.

Die Verfasserin zeichnet vor dem Hintergrund der militärischen Entwicklungen des 16./

17. Jahrhunderts ein dynamisches Porträt der osmanischen Armee und des Systems, das diese Militärmaschine am Laufen hielt. Nach Methode und Inhalt setzt die Untersuchung Maßstäbe für künftige Arbeiten in diesem Bereich der Militärgeschichte. Thomas Scheben

135

(16)

Bibliographie Friedrich der Große 1786—1986. Das Schrifttum des deutschen Sprach- raums und der Ubersetzungen aus Fremdsprachen. Bearbeitet von Herzeleide und Eckart Henning. Berlin, N e w York: de Gruyter 1988. X I X , 511 S.

Mit diesem gewichtigen Buch, das zwei Jahre nach der 200. Wiederkehr des Todes Fried- richs des Großen erschienen ist, gilt es ein W e r k vorzustellen, auf das die Forschung lange gewartet hat und das zweifellos in seiner Bedeutung viele jener Veröffentlichungen über- trifft, die 1986 — manche aus kommerziellen Gründen schon 1985 — publiziert wurden. Ei- ne verläßliche Bibliographie der sich mit diesem preußischen Herrscher, seinem Staat und seiner Zeit beschäftigenden Literatur hat es bisher nämlich nicht gegeben, und ebenso fehlt ein wissenschaftlichen Ansprüchen genügendes Verzeichnis des Oeuvres des Monarchen.

Deshalb verdient diese umfassende Zusammenstellung des einschlägigen Schrifttums, das die beiden Bearbeiter — gestützt in erster Linie auf die Berliner Bibliotheken — in jahrelan- gen Recherchen zusammengetragen haben, Lob und Anerkennung. Denn dieser Nachweis, der allerdings bloß das deutschsprachige und übersetzte Schriftgut enthält, wird gewiß »die weitere Forschung über diesen vielseitigen preußischen König auf eine neue Grundlage [. . .] stellen« (S. X V I ) , wie den Bearbeitern zu bestätigen ist. Das gilt um so mehr, als eine Preußen-Bibliographie fehlt und dieses Schrifttumsverzeichnis mehr als eine Personalbi- bliographie ist, da zu Recht zahlreiche Titel aufgenommen wurden, die sich mit der frideri- zianischen Ära befassen. Konnten derartige Monographien und Aufsätze aber nur in Aus- wahl berücksichtigt werden, so trifft das bedingt auch f ü r das Schriftgut über den König zu, wobei qualitative Maßstäbe entscheidend waren, wenn wissenschaftlich belanglose Veröf- fentlichungen ausgeschieden wurden, während bei den Titeln zur Geschichte der Zeit Friedrichs des Großen in erster Linie quantitative Aspekte zum Verzicht nötigten. Zur Be- schränkung der Bibliographie auf den Zeitraum von 1786 bis 1986 — im Nachtrag (S. 433—

435) finden sich freilich auch Neuerscheinungen der Jahre 1987 und 1988 — sei erläuternd angefügt, daß f ü r die Zeit bis zum T o d des Königs ein Werkverzeichnis von G. A. Koll und ein Schrifttumsverzeichnis von J. Ziechmann in Vorbereitung sind, was das Fehlen dieser Titel verschmerzen läßt, zumal der W e r t der Bibliographie dadurch nicht wesentlich ge- schmälert wird.

Die Gliederung dieses W e r k - und Schrifttumsverzeichnisses lehnt sich im wesentlichen an das für Personalbibliographien übliche Schema an. D e r knappen Einleitung (S. IX—XIX), die u. a. über die Prinzipien der Titelaufnahme und -auswahl unterrichtet, schließt sich im ersten Teil der Nachweis der bibliographischen Literatur an (S. 3—19), der die Behandlung des Monarchen in der Literaturwissenschaft einbezieht. Es folgt im zweiten Teil das Oeuvre Friedrichs (S. 23—61), dem auch das apokryphe Schriftgut zugeordnet ist. Im dritten Teil ist die Sekundärliteratur zusammengestellt; dieser Teil nimmt erwartungsgemäß den weitaus größten U m f a n g ein (S. 65—435) und hat bei der Strukturierung des Materials offenkundig erhebliche Schwierigkeiten bereitet, weil die Bearbeiter die Personalbibliographie mit dem Nachweis des wichtigeren Schriftguts u. a. zu Staat, Gesellschaft und Militär Preußens aus- geweitet haben und eine solche Kombination mit sachlich-systematischen Aspekten zu Ak- zentverlagerungen und Kompromissen zwingt. So wurde diesem Teil z w a r der Lebensweg des Königs zur Strukturierung zugrunde gelegt, jedoch sind der Literatur zur »Kronprin- zenzeit« (S. 96—109) in den Kapiteln »Die friderizianische Zeit« (S. 65—69) allgemeine Ti- tel zur Epoche sowie in den »Lebensbeschreibungen und Charakteristiken« (S. 70—95) re- sümierende Abrisse und Essays vorangestellt; danach folgt Schriftgut zu »Staat« (S. 110—

213) und »Krieg« (S. 214—280), sodann die Literatur über das »Lebensende« (S. 281—296), und schließlich sind nochmals übergreifende Gesichtspunkte in den Kapiteln »Persönlich- keit« (S. 2 9 7 - 3 7 6 ) und »Wirkungen« (S. 3 7 7 - 4 3 2 ) angefügt.

Diese mitunter problematische Kombination zur Gliederung des Materials unter persona- len Gesichtspunkten bzw. nach Herrscherpersönlichkeit und unter systematischen Aspek- ten findet sich in anderen Kapiteln ebenfalls wieder, so etwa im Unterkapitel »Auswärtige Angelegenheiten« (S. 120—145), in dem die zum Teil fragwürdigen Untergliederungen

»Das Heilige Römische Reich und Osterreich«, »Fürstenbund«, »Maria Theresia«, »Jo- seph II.« und »Sonstige Staaten« auftauchen, worunter in bunter Reihenfolge die Beziehun- gen zu den verschiedenen Reichsständen, Großmächten und kleineren europäischen Staa-

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Auch in der aktuellen politischen Debatte verweisen wir als Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche auf die Notwendigkeit, Geflüchteten zur

§ 127 Abs. Nach dieser Vorschrift sollten Strafmilderungen und -schärfungen an der Bemessung der Verjäh- rungsfristen nichts ändern. 3 StGB im Rahmen der Strafrechtsreform

„…Die Relativierung der eigenen Gruppennormen, … erweckt so viel Angst und Schuldge- fühl, dass der Einzelne dem gewöhnlich nicht gewachsen ist“ (Mitscherlich, 1986, 36). Jeder

Wenn sie sich selbst als Muslim*innen identifizieren und sich nicht oder wenig zur deutschen Gesellschaft zugehörig fühlen, kann dies jedoch auch andere Recht- fertigungen

Dabei sollten die Teamenden darauf achten, dass die TN die kritisierte Schlussstrichforderung auch als eine Abwehr- und Verweigerungshaltung identifi- zieren und

Eine Diskussion über die Frage, ob Verschwörungstheorien ausschließlich aus Fake News bestehen oder ob es auch Fakten gibt, die im Rahmen der Verschwörungstheorien umgedeutet

Die Teilnehmenden werden ge- beten, ihre Tüte so zu gestalten, dass sie damit etwas Wichtiges über sich selbst und/oder ihre Lebenserfahrungen aus- sagen oder etwas zeigen können,

In Bezug auf unser Thema ließen sich diese Schwierigkeiten ebenfalls über die Lehrpläne relativ kurzfristig ein Stück weit abbauen, indem man Schwerpunkte, beispielsweise auf