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Archiv "Chronische Schmerzen: Wenn das Nervensystem ein Schmerzgedächtnis entwickelt" (19.11.1999)

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en Teufelskreis der Schmerz- chronifizierung haben For- scher in den letzten Jahren weiter entschlüsselt. Danach können starke Schmerzen über längere Zeit ei- nen fatalen Lernprozeß in Gang setzen und das Nervensystem für Schmerzrei- ze geradezu sensibilisieren, wenn nicht rechtzeitig oder nicht ausrei- chend analgetisch eingegriffen wird. Allerdings hat der Gedan- ke der Schmerzprävention hier- zulande noch zu wenig Nieder- schlag gefunden, so der Tenor beim Symposium „Nervous System Plasticity and Chronic Pain: Concepts and Clinical Applications“ in Heidelberg.

So wisse man inzwischen, daß Schmerzreize zur massiven Freisetzung von Neurotransmit- tern wie Glutamat und der Sub- stanz P (P steht für Pain) im Rük- kenmark führen. Prof. Jürgen Sandkühler vom II. Physiologi- schen Institut der Universität Heidelberg berichtete, daß ein anhaltender, starker Schmerzreiz zu einem folgenreichen Lernpro- zeß im Rückenmark führt. Durch wiederholte Reizübertragung der schmerzleitenden Nervenbahnen und Freisetzung von Glutamat und Substanz P an den Synapsen der Neuronen kommt es zu einer

„Potenzierung der synaptischen Übertragungsstärke“ mit der Fol- ge, daß die Nervenzellen nun überemp- findlich auf Reize reagieren. Das Ner- vensystem hat den Schmerz gleichsam

„gelernt“. Ein Schmerzgedächtnis hat sich eingeprägt, so daß schon geringste Reize Schmerzen auslösen und sogar dann empfunden werden, wenn deren Ursachen bereits ausgeschaltet sind.

Um diesen Teufelskreis der Chro- nifizierung zu unterbrechen, besitze der Mensch (wie andere Wirbeltiere auch) eine sehr wirkungsvolle kör- pereigene Schmerzabwehr, die unter anderem Opioide im Rückenmark freisetzt. Sei die Schmerzabwehr je- doch überfordert, dann müsse das

Nervensystem rechtzeitig, zum Bei- spiel durch Analgetika, geschützt wer- den, um die Schmerzkaskade zu blok- kieren, erläuterte Sandkühler.

Im Extremfall erzeugten die Neurotransmitter eine übermäßige De- polarisation der Nervenzellen; die Zellen schwellen dann an und sterben

den apoptotischen Zelltod, wie Prof.

Walter Zieglgänsberger vom Max- Planck-Institut für Psychiatrie in Mün- chen ausführte. Die Folgen dieser fa- talen Veränderungen im Nervensy- stem machte die Berliner Psychologin Prof. Herta Flor bei Schmerzpatienten sichtbar.

Mit bildgebenden Verfahren, wie der funktionellen Magnetresonanz- Tomographie (fMRT), konnte sie fest- stellen, daß chronische Schmerzen of- fensichtlich die Repräsentation des betroffenen Körperteils im Hirnman- tel verändern: „Die aktivierten Area- le werden größer oder verschieben sich.“ Diese Veränderungen im „Ho- munculus“ seien jedoch reversibel und hingen unter anderem von der Schmerzaufmerksamkeit ab.

Patienten hatten weniger Phantomschmerzen

Zusammen mit Wissenschaftlern der Universität Tübingen hat die For- scherin entsprechende „Umbauten“

mittels fMRT auch im motorischen Cortex amputierter Patienten nach- weisen können. Trugen diese Patien- ten eine myeloelektrische Prothese, wurden also die Nerven stimuliert, waren die kortikalen Veränderungen weniger ausgeprägt. Diese Patienten hatten nach ihren Angaben auch we- niger Phantomschmerzen als jene, de- ren Stumpfmuskeln nicht elektrisch stimuliert worden sind. Somit könnte ein Stimulationstraining möglicher- weise zu einer Minderung von Phan- tomschmerzen führen, mutmaßt die Wissenschaftlerin.

Die Hypothese über den Nutzen einer präventiven Analgesie zur Ver- A-2961 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 46, 19. November 1999 (29)

P O L I T I K MEDIZINREPORT

Chronische Schmerzen

Wenn das Nervensystem ein Schmerzgedächtnis entwickelt

Der Nutzen einer präventiven Analgesie zur Vermeidung von chronischen Schmerzzuständen ist sowohl experimentell als auch klinisch belegt.

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Chronische Schmerzen erzeugen eine übermäßige Depola- risation von Nervenzellen. Foto: Todd Davidson, Image Bank

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e eher der Schlaganfall ange- messen behandelt wird, desto besser ist die Aussicht, Folge- schäden gering zu halten. Hierzu be- nötigt man jedoch Diagnoseverfah- ren, die schnell und genau das Aus- maß der entstandenen Hirnschäden zu erfassen vermögen. Jetzt ist es ei- ner Magdeburger Forschergruppe der Sektion Neuropsychologie der Neu- rologischen Klinik mit Hilfe von bio- chemischen Markern gelungen, nicht nur das Ausmaß der geschädigten Gehirnregion zu bestimmen, sondern auch Aussagen über die Entwicklung neuropsychologischer Schäden nach einem Schlaganfall treffen zu können.

Zum Beurteilen eines solchen Ereignisses werden in der Regel die Computertomographie und Magnet- resonanztomographie herangezogen.

Doch beide Verfahren sind in ihrer Aussagekraft beschränkt. Zwar lassen sich mit den bildgebenden Verfahren Ausmaß und Ort des betroffenen Hirnareals erkennen; die Schwere der zu erwartenden neurologischen oder neuropsychologischen Auswirkungen wie Lähmungserscheinungen oder Gedächtnisstörungen sind jedoch nur unzureichend vorhersagbar.

In ihrer Studie (Stroke Vol. 30/6) konzentrierten sich Prof. Manfred Herrmann und Kollegen auf die neu- ronspezifische Enolase (NSE) und das Protein S-100B. Von beiden Ei- weißverbindungen ist seit längerem bekannt, daß sie bei Hirnverletzungen freigesetzt werden und sich immuno- logisch im Liquor und Blut nachwei- sen lassen. So gelangt das hauptsäch- lich in Neuronen vorkommende NSE nur in den Liquor und die Blutbahn, wenn die Nervenzelle zerstört wird.

Tritt auch das für Gehirnstützgewebe weitgehend spezifische Protein S-

100B im Blut oder Liquor auf, ist dies ein Hinweis auf eine gestörte Ner- venzellfunktion. Die Wissenschaftler konnten nachweisen, daß die Konzen- tration beider Substanzen im Blut eng mit der Schwere des Schlaganfalls korreliert. Dabei spielt offenbar der zeitliche Verlauf der Freisetzung über mehrere Stunden und Tage hinweg ei- ne entscheidende Rolle. So war zwei Wochen nach dem Schlaganfall der klinische Status bei jenen Patienten schlechter, die in den ersten vier Ta- gen hohe Konzentrationen an NSE und besonders an S-100B aufwiesen.

Pilotstudie: Maligner Infarkt

Dies sagt jedoch nicht nur etwas über eine zu erwartende Behinderung aus – beispielsweise ob eine Lähmung oder Sehstörung vorliegt. Erstmals konnte auch ein Zusammenhang mit neuropsychologischen Beeinträchti- gungen nachgewiesen werden. Denn Aufmerksamkeitsstörungen oder die verminderte Fähigkeit zum Planen und Handeln fallen dem Therapeuten und Patienten nicht sofort auf, son- dern bedürfen in der Regel dif- ferenzierter Untersuchungsmetho- den. Häufig treten die Defizite sogar erst im Alltag des Betroffenen hervor.

Biochemische Marker werden in Zukunft bei der Schlaganfalldiagnose eine wichtige Rolle spielen, prognosti- ziert auch der Neurologe Thomas Büttner von der Ruhr-Universität Bo- chum. In einer Pilotstudie an einem kleinen Patientenkollektiv konnte er zeigen, daß sich mit Hilfe des Protein S-100B im Blut auch der gefürchtete maligne Infarkt bereits innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Ereignis vorhersagen ließ. Thomas Ziegler A-2964

P O L I T I K

(32) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 46, 19. November 1999 MEDIZINREPORT

ringerung postoperativer Schmerzen konnte durch neuere Untersuchun- gen des Schweizer Schmerzforschers Prof. Oliver H. G. Wilder-Smith er- härtet werden. Während bei schmerz- freien Patienten, die sich einer Opera- tion unterziehen müßten, periopera- tiv eine Aktivierung der körpereige- nen Schmerzhemmung eintrete, finde sich bei jenen, die schon im Vor- feld starke Schmerzen hatten, ei- ne weitere Aktivierung des ohnehin schon schmerzsensibilisierten Nerven- systems. Damit werde durch noch- malige Applikation von Schmerzrei- zen im Verlauf der Operation die Schmerzabwehr überfordert und das Risiko einer Chronifizierung gestei- gert, so Wilder-Smith.

Konsequente Analgesie für Neugeborene

Wird jedoch das Operations- gebiet mehrere Tage vor dem Ein- griff ausreichend präventiv analge- siert, könne man dieses Risiko min- dern, wie Wilder-Smith bei Patien- ten mit Bandscheibenoperationen und Beinamputationen beobachtet hat.

Jetzt sei es Aufgabe klinischer Stu- dien, die Risikopatienten für eine postoperative Schmerzchronifizierung zu erkennen und vorbeugend zu be- handeln.

Eine konsequente Analgesie für Früh- und Neugeborene, die intensiv- medizinisch behandelt beziehungs- weise operiert werden müssen, for- derte auch Prof. Bernhard Roth von der Universitäts-Kinderklinik zu Köln. Oft werde Analgesie mit bloßer Ruhigstellung verwechselt, kritisierte er. Daß Früh- und Neugeborene be- reits ab der 24. Gestationswoche eine Schmerzwahrnehmung hätten, sei in- zwischen bekannt. Überdies zeigten Untersuchungen, daß das schützende, schmerzhemmende System bei diesen kleinsten Patienten noch gar nicht ausgebildet sei. In einer eigenen Un- tersuchung über spätere Schmerzre- aktionen bei Kindern zwischen drei und neun Jahren, die als Neugebo- rene intensivmedizinisch behandelt worden waren, hat man eine stärkere Sensibilität gegenüber Schmerzreizen wie zum Beispiel Impfungen festge- stellt. Ingeborg Bördlein

Schlaganfall

Biochemische Marker ermöglichen Prognose

Zwei Eiweißverbindungen korrelieren eng mit der Schwere des zerebralen Ereignisses.

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