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Archiv "Schilddrüsenchirurgie: Neuromonitoring zur Schonung des Nervus recurrens" (07.05.2004)

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D

ie präparatorische Darstellung des Nervus recurrens während ei- ner ausgedehnten Operation an der Schilddrüse wird nach der Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Chirur- gie als beste Voraussetzung zur Scho- nung des N. recurrens empfohlen. Bei Teilentfernung der Schilddrüse dient diese Darstellung der Verlaufsbeurtei- lung, um Resektionsgrenzen und Kap- selnähte fern vom Verlauf des Nervs zu halten. Bei Operationen, die obligato- risch mit einer langstreckigen Isolation des Nervs von der Schilddrüse einher- gehen, zum Beispiel bei der Hemithy- reoidektomie, ist eine initiale Darstel- lung die Vorraussetzung für die weitere, längerstreckige Präparation des Nervs.

Die Entscheidung, ob die dargestellte Struktur der N. recurrens ist, trifft der Operateur bisher nach optischer Beur- teilung. Neuromonitoring erweitert diese Möglichkeiten des Operateurs da- durch, dass er eine intraoperative neu- rophysiologische Untersuchung durch Stimulation des N. recurrens und zeit- gleich abgeleitetes Kehlkopf-Elek- tromyogramm (EMG) durchführen kann.

Über die erste Anwendung von Neu- romonitoring beim Menschen wurde durch Flisberg 1970 publiziert. Er stach eine bipolare Nadelelektrode durch das Ligamentum cricothyreoideum in das Stimmband und konnte so nach elektri- scher Stimulation des N. recurrens EMG-Signale aus dem Kehlkopf ablei- ten. Hieraus schloss er, dass er mithilfe seiner Stimulationssonde den Nervus recurrens eindeutig identifizieren konnte und dass die Nervenleitstrecke vom Stimulationspunkt bis zum Muskel intakt war (4).

Das Grundprinzip des Neuromoni- toring des Nervus recurrens hat sich seit dieser Zeit nicht geändert. Es besteht aus der elektrischen Stimulation des Nerven und der Beobachtung der evo- zierten Muskelaktion am Kehlkopf.

Dies kann optisch, palpatorisch oder durch Druckmessung erfolgen. In den meisten Fällen wird Neuromonitoring jedoch unter Verwendung von EMG- Ableitungen aus dem Kehlkopf durch-

geführt. Neben der Applikation von Na- delelektroden von außen in die Kehl- kopfmuskulatur können solche Nadel- elektroden auch translaryngeal in die Stimmbänder gestochen werden (17, 32). Alternativ kann die EMG-Ablei- tung über Oberflächenelektroden er- folgen, die entweder auf dem Beat- mungstubus befestigt (2, 19, 26) oder mit paddelförmigen Trägern retro- pharyngeal in den Oesophagus einge- legt werden (23, 24). Die nichtinvasiven Tubuselektroden haben grundsätzlich den Vorteil, Oberflächenpotenziale von größeren Bereichen des Zielmuskels abzuleiten, die resultierende Signalstär- ke ist aber geringer als bei der Nadel- elektrode (33).

Alle bisher marktgängigen Geräte zum Neuromonitoring durch EMG- Ableitung beinhalten einen Generator für den Stimulationsstrom und zeigen das Muskelaktionspotenzial als opti- sches und akustisches Signal an. Die Möglichkeit zur optischen Darstellung des EMG-Signals als Spannungs-Zeit- Kurve auf einem Monitor ist entweder integriert oder kann ergänzt werden. In den meisten in Deutschland bisher zum

Schilddrüsenchirurgie:

Neuromonitoring zur Schonung des Nervus recurrens

Wolfgang Timmermann Wulf Heinrich Hamelmann Arnulf Thiede

Universitätsklinikum Würzburg, Chirurgische Klinik und Poliklinik (Direktor: Prof. Dr. med. Arnulf Thiede), Würz- burg

Zusammenfassung

In Deutschland wird in der Schilddrüsenchirur- gie zur Schonung des Nervus recurrens zuneh- mend das Neuromonitoring eingesetzt. Neuro- monitoring eignet sich zur Identifikation des N.

recurrens im OP-Gebiet, aber auch zu Aussagen über die postoperative Stimmlippenfunktion.

Mehrere Studien zeigen hohe Identifikations- raten des Nervus recurrens mit Verwendung von Neuromonitoring und sehr niedrige Recur- renspareseraten. Bei normalem Neuromonito- ringsignal wurde bei mindestens 97 Prozent der Patienten postoperativ ein normaler Stimmlippenbefund festgestellt. Bei veränder- tem Neuromonitoringsignal hatten zwischen 38 Prozent und 60 Prozent der Patienten zu- mindest eine temporäre Stimmlippenfunkti- onsstörung. Als Konsequenz aus einem intra- operativ veränderten Neuromonitoringsignal

empfehlen die Autoren eine Revision des Nervs, um eine mechanische Schädigung aufzuspüren und eventuell zu beseitigen. Bei anstehender Operation der zweiten Schilddrüsenseite sollte die Operationsstrategie überdacht werden, um das Risiko der Schädigung des zweiten Stimm- bandnervs so gering wie möglich zu halten.

Schlüsselwörter: Schilddrüsenchirurgie, Nervus recurrens, Monitoring, chirurgische Therapie, Elektromyographie

Summary

Neuromonitoring of the Recurrent Nerve during Thyroid Surgery

In thyroid surgery neuromonitoring of the recurrent nerve is more and more applied in Germany. Neuromonitoring serves to identify

the recurrent nerve during surgery, but also to predict postoperative vocal cord function.

Several studies with neuromonitoring show a high rate of identified recurrent nerves and very low rates of neural palsies. A normal neu- romonitoring signal resulted in a normal voice function of at least 97 per cent of patients.

An altered signal showed at least temporary disturbances of the voice function in between 38 per cent and 60 per cent of patients. When- ever the intraoperative neuromonitoring signal alters, the authors would recommend a revision of the nerve in order to find and remove any mechanic disturbance. In a planned bilateral procedure, the surgeon should try to reduce the risk of injuring the second nerve.

Key words: thyroid surgery, recurrent larynge- al nerve, monitoring, surgical therapy, elec- tromyography

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Neuromonitoring durchgeführten Stu- dien wurde das Systems Neurosign 100 der Firma Inomed eingesetzt. Die EMG-Ableitung wurde hierbei mit der von Neumann entwickelten minimal- invasiven bipolaren Nadelelektrode vorgenommen, die durch das Ligamen- tum cricothyroideum in den Musculus vocalis eingestochen wurde. Die Signal- bewertung erfolgte über die Interpreta- tion des akustischen Signals durch den Chirurgen (11, 20, 21).

Inzwischen liegen die Ergebnisse und Erfahrungen im Umgang mit dieser Technik aus zahlreichen Berichten von verschiedenen Arbeitsgruppen und aus zwei großen multizentrischen Studien vor (5–11, 14, 20, 21, 27–31).

Unter dem Begriff Neuromonitoring werden zwei Tätigkeiten des Chirurgen zusammengefasst, die jedoch bei der Bewertung des Verfahrens sorgfältig zu differenzieren sind. Es handelt sich zum einen um die Identifizierung des Ner- vus recurrens, das heißt, um das Auffin- den des Nervs im OP-Gebiet. Diese Identifizierung führt der Chirurg durch, um Schädigungen des Nervs auf der ge- rade operierten Seite zu vermeiden. Die zweite Einsatzmöglichkeit des Neuro- monitoring besteht in einer Vorhersa- gemöglichkeit über die postoperative Stimmlippenfunktion. Diese Form des Neuromonitoring dient der Nerven- funktionsüberwachung, und das gewon- nene Ergebnis kann der Chirurg in sei- ner Operationstaktik berücksichtigen.

Entsprechend den beiden Einsatz- möglichkeiten des Neuromonitoring, der Nervenidentifikation und der Ner- venfunktionsüberwachung, kann die Lei- stungsfähigkeit der verfügbaren Geräte und Techniken des Neuromonitorings bewertet werden.

Nervenidentifizierung

Bei allen Studien, die Neuromonitoring zur Nervenidentifizierung verwenden, wird über eine hohe Identifikationsrate des Nervs berichtet, die zwischen 98 Pro- zent und 100 Prozent liegt (7, 9, 12, 30).

Man geht dabei so vor, dass nach An- lage der Ableitelektroden und Funk- tionsprüfung des Neuromonitoringsy- stems im OP-Gebiet die Struktur, die man präparatorisch dargestellt hat und

optisch für den N. recurrens hält, elek- trisch stimuliert wird. Kann man dann ein EMG-Signal von der Kehlkopfmus- kulatur ableiten, spricht man von einem positiven Neuromonitoringsignal und hat den Nerv eindeutig identifiziert.

Diese Nervenidentifizierung mit Neu- romonitoring ist als Ergänzung zu der in den Leitlinien der Deutschen Gesell- schaft für Chirurgie geforderten Dar- stellung des Nervus recurrens bei aus- gedehnten Resektionen anzusehen und führt zu einer erhöhten Sicherheit in der Behandlung des Nervs. Diese Si- cherheit kommt dadurch zum Aus- druck, dass die Recurrenspareseraten unter Verwendung von Neuromonito-

ring im Vergleich zu Kollektiven ohne Neuromonitoring niedrig sind. Sie be- tragen zwischen 0,35 Prozent und 0,9 Prozent (5, 8, 9, 12, 14, 30). Im Rahmen einer multizentrischen Qualitätssiche- rungsstudie zur Schilddrüsenchirurgie erhobene Daten ermöglichen einen Vergleich von Patientenkollektiven, bei denen der Nervus recurrens optisch und unter Verwendung von Neuromo- nitoring identifiziert wurde. Es zeigte sich, dass sowohl nach subtotaler Re- sektion als auch nach Hemithyreoidek- tomien niedrigere Recurrensparesera- ten mit Neuromonitoring als ohne Mo- nitoring erzielt wurden. Bei Hemithy- reoidektomie erreichte diese Differenz sogar statistische Signifikanz (28, 31).

Aus diesen Untersuchungen geht hervor, dass Neuromonitoring von sei- nen Anwendern als sinnvolle Hilfe zur Identifizierung des Nervus recurrens betrachtet wird. Diese Identifizierungs- hilfe ist besonders hilfreich, wenn der Nerv bei anatomischen Verlaufsvaria- tionen oder bei Rezidiveingriffen iden- tifiziert werden muss.

Nervenfunktionsüberwachung mit Neuromonitoring

Bei allen Untersuchungen zur Nerven- funktionsüberwachung wird nach der Identifizierung des N. recurrens mit Neuromonitoring und abgeschlossener Resektion am Schilddrüsenlappen er- neut ein Neuromonitoringsignal aus- gelöst. Dieses so genannte zweite Sig- nal wird dann mit dem ersten, zu Beginn der Resektion gewonnenen Signal, ver- glichen. Wird dieses zweite Signal vom Operateur als gleich laut wie das erste empfunden, handelt es sich um ein so genanntes normales Neuromonitoring- signal (positives Untersuchungs- oder

Testergebnis). Man geht davon aus, dass postoperativ eine normale Stimmlip- penbeweglichkeit vorliegt. Sämtliche Abschwächungen des EMG-Signals bis zum totalen Verschwinden des Sig- nals werden als „verändertes“ Neuro- monitoringsignal definiert (negatives Untersuchungs- oder Testergebnis) und sind Ausdruck einer Nervenfunktions- störung, die eine Stimmlippenfunkti- onsstörung auslösen kann. Ursachen solcher Signalveränderungen können sowohl Nervendurchtrennungen als auch Störungen der Leitfähigkeit durch mechanische oder thermische Schäden sein. Durch postoperative HNO-ärztli- che Untersuchungen der Stimmlippen- beweglichkeit kann die Richtigkeit die- ser Annahmen statistisch überprüft und damit die Zuverlässigkeit dieser Form der intraoperativen Nervenfunktions- überwachung kontrolliert werden (Ta- belle 1).

Um eine sinnvolle Auswertung zu ermöglichen, wurden vereinfachend alle Formen der Stimmlippenbewe- gungseinschränkung unabhängig vom

´ Tabelle 1 ´

Befundkonstellation bei Studien zur Nervenfunktionsüberwachung mit Neuromonitoring

Neuromonitoringsignal HNO-Befund Testergebnis

Verändert Parese richtignegativ

Verändert keine Parese falschnegativ

Normal Parese falschpositiv

Normal keine Parese richtigpositiv

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Ausmaß als „Recurrensparese“ be- zeichnet. Die erste Befunderhebung erfolgte eine Woche postoperativ und wurde als frühpostoperativ oder als primär bezeichnet. Alle pathologi- schen Befunde, die länger als sechs Monate persistierten, wurden als per- manent bezeichnet.

Die von den Autoren beobachteten Ereigniskombinationen bei Nerven- funktionsüberwachung sind in Tabelle 2 dargestellt (30). War das Neuromonito- ringsignal nach der Schilddrüsenope- ration verändert, lag bei 60 Prozent der Patienten eine primäre Recurrenspa- rese vor. Blieb das Signal unverändert, hatten 99 Prozent der Patienten an ihren Stimmbändern einen Normalbe- fund. Da sich im Regelfall mehr als die Hälfte aller Stimmbandbewegungs- einschränkungen zurückbildeten, ver- änderten sich auch die Testergebnisse im Hinblick auf die Rate permanenter Recurrensparesen. Der negative Vor- hersagewert erhöht sich, und der positi- ve Vorhersagewert ist erniedrigt (Tabel- le 3).

Es lassen sich also mit Neuromonito- ring Rückschlüsse auf die postoperative Funktion des Nervus recurrens ablei- ten, die als Basis für operativ taktische Entscheidungen herangezogen werden können. Eine normale postoperative Stimmbandfunktion ist mit Neuromo- nitoring sehr zuverlässig zu erkennen, die Spezifität des Verfahrens ist sehr hoch. Ein verändertes Neuromonito- ringsignal geht bei mehr als der Hälfte der von den Autoren beobachteten Fälle mit einer Stimmbandfunktions- störung einher (negativer Vorhersage- wert 60 Prozent) und darf daher vom Chirurgen nicht ignoriert werden. Ver- gleichbare Ergebnisse haben Friedrich et al. beschrieben. Sie zeigten eine Spe- zifität von 97 Prozent und einen negati- ven Vorhersagewert von 50 Prozent bei 223 untersuchten Nerven (5). Auch die Auswertung der beiden multizentri- schen Studien zum Neuromonitoring durch die „Interdisziplinäre Studien- gruppe Intraoperatives Neuromonito- ring Schilddrüsenchirurgie“ unter Lei- tung von Prof. Dr. med. Henning Dralle,

Universität Halle, stützt diese Ergebnis- se. Nach Auswertung von 29 997 Neuro- monitoringuntersuchungen betrug die Spezifität 98,3 Prozent und der negative Vorhersagewert 39 Prozent (31).

Sämtliche Studien zeigen aber auch, dass es so genannte falsche Ergebnisse beim Neuromonitoring gibt. Das sind die Kombinationen „normales Neuromo- nitoringsignal“ und „Parese“ (falschpo- sitiv) sowie „verändertes Neuromonito- ringsignal“ und „keine Parese“ (falsch- negativ). In den letzten Jahren ist eine Reihe von möglichen Fehlern und Fehl- interpretationen des Neuromonitorings beschrieben worden, die zur Klärung solcher unerwarteten Ereignisse dienen können, aber auch sehr deutlich die Grenzen des Verfahrens aufzeigen (Text- kästen 1 und 2).

Fehler

und Fehlinterpretationen des Neuromonitoringsignals

Technische Fehler entstehen durch Be- dienungsfehler am Gerät, eine Verän- derung der Lautstärkeregelung oder des Stimulationsstroms sowie infolge von Geräte- oder Ableitelektrodende- fekten. Sie führen zu Änderungen in der Signallautstärke, ohne dass eine wirkliche Unterbrechung der Nerven- leitfähigkeit zugrunde liegt. Wenn die Ableitelektrode nicht gut elektrisch leitend am oder im Stimmband plat- ziert ist, sind ebenfalls keine korrek- ten Ergebnisse des Neuromonitoring zu erwarten. Auch die Verwendung von Muskelrelaxanzien kann die Stär- ke des Neuromonitoringsignals beein- flussen.

Wird Neuromonitoring zur Beurtei- lung der Nervenfunktion verwendet, ist zu beachten, dass bei Stimulation kehlkopfwärts eines Schadens am Nerv ein normales EMG-Signal resul- tiert, obwohl der Nerv in seiner Leit- fähigkeit gestört ist (falschpositiver Befund). Zur Vermeidung solcher Fehler muss zur Funktionsbeurteilung des Nervs möglichst am N. vagus sti- muliert werden.

Die korrekte Anwendung des Neu- romonitoring, das eine intraoperative EMG-Untersuchung ist, erfordert aber auch eine intensivere Beschäftigung

´ Tabelle 2 ´

Vorhersagefähigkeit des Neuromonitoringsignals in Bezug auf primäre Recurrensparesen inklusive Stimmbandfunktionsstörungen

Neuromonitoring HNO-Befund

Parese Keine Parese

Verändertes Signal 6 (1,5 %) 4 (1 %)

Normales Signal 13 (3,2 %) 382 (95 %)

234 prospektiv dokumentierte Patienten der Chirurgischen Universitätsklinik Würzburg mit Operation an Schild- drüse und Nebenschilddrüsen (operierte Schilddrüsenseiten = 405, Spezifität 99 %, Sensitivität 31 %, positiver Vorhersagewert 60 %, negativer Vorhersagewert 97 %); Aus Timmermann W, Dralle H, Hamelmann W et al.:

Reduziert das intraoperative Neuromonitoring die Recurrenspareserate bei Schilddrüsenoperationen? Zentralbl Chir 2002; 127: 395–399; mit freundlicher Genehmigung des Georg Thieme Verlags, Stuttgart

´ Tabelle 3 ´

Ergebnisse der Vorhersagefähigkeit des Neuromonitoringsignals in Bezug auf permanente Recurrensparesen

Neuromonitoring HNO-Befund

Parese Keine Parese

Verändertes Signal 1 (0,2 %) 9 (2 %)

Normales Signal 0 395 (98 %)

234 prospektiv dokumentierte Patienten der Chirurgischen Universitätsklinik Würzburg mit Operation an Schild- drüse und Nebenschilddrüsen (operierte Schilddrüsenseiten = 405, Spezifität 98 %, Sensitivität 100 %, positiver Vorhersagewert 10 %, negativer Vorhersagewert 100 %); Aus Timmermann W, Dralle H, Hamelmann W et al.:

Reduziert das intraoperative Neuromonitoring die Recurrenspareserate bei Schilddrüsenoperationen? Zentralbl Chir 2002; 127: 395–399; mit freundlicher Genehmigung des Georg Thieme Verlags, Stuttgart

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mit der Anatomie des N. recurrens und der Innervation der Kehlkopfmusku- latur, als dies bisher im Rahmen der Schilddrüsenchirurgie der Fall war.

Der N. recurrens kann sich schon vor seinem Eintritt in den Kehlkopf in ein- zelne Äste aufteilen. Diese können entweder sensible Fasern führen (An- sa galenii) oder motorische Fasern verschiedener Gruppen von Kehl- kopfmuskeln enthalten.

Sowohl Nadel- als auch Tubuselek- troden leiten EMG-Potenziale vom M. vocalis ab. Dieser Muskel trägt zur Spannung der Stimmlippe bei. Der einzige Öffner der Stimmritze, der M. posticus, liegt dorsal im Kehlkopf und wird daher von den bisher ver- wendeten Ableitelektroden nicht er- fasst.

Wenn sich der N. recurrens vor dem Kehlkopf aufteilt, versorgt der dorsale Ast nach anatomischen Studi- en im Regelfall den M. posticus. Eine Stimulation dieses Kehlkopfastes wird daher möglicherweise nicht in der EMG-Ableitung vom Kehlkopf er- fasst. Eine Durchtrennung nervenähn- licher Strukturen in Kehlkopfnähe soll deshalb vermieden werden (3, 9, 13, 15, 16, 25).

Die meisten dieser technischen Feh- ler können vom Chirurgen durch die Kenntnis und eine korrekte Durch- führung des Neuromonitoring weitge- hend vermieden werden.

Grundsätzlich anders ist die Situati- on bei den so genannten systemati- schen Fehlern bei der Durchführung des Neuromonitoring. Diese sind im Wesentlichen in den bisher verwende- ten Definitionen und Begriffen be- gründet und lassen sich nur in gerin- gem Maße durch die Durchführung der Messung beeinflussen.

Bei der Signalbeurteilung sind bis- her nur die zwei Kategorien „normal“

und „verändert“ verwendet worden.

Unter „verändert“ wird jede Form der Signalabschwächung bis hin zum Aus- bleiben des Signals verstanden. Diese Signalveränderung wird nicht durch einen Messwert objektiv erfasst, son- dern unterliegt der subjektiven Beur- teilung des Operateurs durch das In- terpretieren der gehörten Signallaut- stärke. Mit hoher Wahrscheinlichkeit liegen aber einem abgeschwächten Signal und einem nicht auslösbaren Signal unterschiedliche qualitative Schädigungen am Nerv zugrunde, die sich zum Beispiel in einem reversiblen oder irreversiblen Nervenschaden ma- nifestieren können.

Der postoperative Befund „Recur- rensparese“ fasst nach bisheriger De- finition in den Studien sämtliche For- men einer Stimmlippenfunktionsstö- rung zusammen und unterscheidet nicht zwischen Bewegungseinschrän- kungen und komplettem Stillstand.

Einer Stimmlippenfunktionsstörung kann außerdem sowohl eine mechani- sche Schädigung der Stimmlippen als auch eine Störung der neuronalen Versorgung der Stimmlippen zugrun- de liegen. Nur Letztere als Ursache ei- ner Stimmlippenfunktionsstörung ist prinzipiell mit Neuromonitoring er- kennbar und vorhersagbar.

Die mechanischen Störungen sind im Wesentlichen durch die Intuba- tion, Tubusdruck und Extubation be- dingt und können sich als direkte Ver- letzungen, Ödem, Stimmlippenfixie- rung oder Aryknorpelluxation mani- festieren.

Der Zeitraum von mehreren Tagen zwischen dem letzten intraoperativ er- hobenen Neuromonitoringbefund und der HNO-Untersuchung ist eine wei- tere Ursache systematischer Fehler.

So sind einerseits nach der letzten Stimulation intraoperativ verursachte

Schäden durch Manipulation am Nerv oder postoperative Schäden durch Schwellung und Ödeme im Wundbe- reich vom Neuromonitoring nicht er- fassbar (falschpositiver Befund). An- dererseits kann auch in der Zeit zwi- schen letzter Stimulation und postope- rativer HNO-Kontrolle ein axonaler Schaden, der prinzipiell innerhalb von Stunden oder Tagen reversibel sein kann, wieder verschwinden. Damit ist erklärbar, dass trotz eines intraope- rativ veränderten Neuromonitoring- signals bei der Tage später stattfinden- den HNO-Untersuchung eine norma- le Stimmbandfunktion gefunden wird (falschnegativer Befund) (Grafik 1).

Aus den anatomischen Verhältnis- sen des Kehlkopfes ergibt sich, dass bei isolierter Parese des M. posticus aufgrund einer Schädigung des dorsa- len Astes des N. recurrens das klini- sche Bild einer Recurrensparese resul- tiert, weil die Stimmlippe nicht zu öff- nen ist. Eine solche Nervenschädigung im Bereich des Kehlkopfes kann aber mit einem normalen Neuromonito- ringsignal einhergehen, wenn die von der Ableitelektrode erfassten Muskel- gruppen im M. vocalis nach wie vor in- nerviert werden und dadurch ein posi- tives Neuromonitoringsignal entsteht (falschpositiver Befund).

Von besonderem gutachterlichem Interesse sind daher diejenigen Pati- enten mit „falschpositiven“ Befun- den, bei denen es trotz normaler prä- operativer Stimmlippenfunktion und normalem intraoperativen Neuromo- nitoring postoperativ zu einer frühen oder permanenten Recurrensparese kommt. Hier ist eine genaue Suche Mögliche Gründe für „falschpositive“ Be-

funde des Neuromonitoring Keine Signalveränderung und Stimmbandfunktionsstörung:

>Stimulation kehlkopfwärts eines Schadens

>Veränderte Ableitbedingungen

– Lautstärke und Stimulationsstrom am Neuromonitoringgerät – Ableitort oder Stimulationsort

am Patienten

>Auftreten einer Nervenschädigung nach letzter Stimulation

– durch chirurgische Manipulation – durch postoperative Ödem-

oder Hämatombildung

>Stimmlippenfunktionsstörung = Aryknorpel- luxation oder Schwellung

>Dorsaler Recurrensast geschädigt mit Ausfall des M. posticus

Textkasten 1

Mögliche Gründe für „falschpositive“ Be- funde des Neuromonitoring

Signalveränderung und keine Stimmbandfunktionsstörung:

>Veränderte Ableitbedingungen

– Lautstärke und Stimulationsstrom am Neuromonitoringgerät – Ableitort oder Stimulationsort

am Patienten

>Muskelrelaxation während der Stimulation

>Reversible Herabsetzung der axonalen Leitfähigkeit (Nerv hat sich bis zur Nachunter- suchung erholt)

Textkasten 2

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nach den Ursachen der Stimmlippenfunktion erfor- derlich. Wenn man unter- stellt, dass die Neuromoni- toringbefunde richtig erho- ben waren und keine me- chanische Schädigung des Nervs nach Abschluss der letzten Neuromonitoringun- tersuchung aufgetreten ist, müssten in dieser Gruppe auch die Patienten verborgen sein, die im Rahmen der Schilddrüsenoperation eine Stimmlippenfunktionsstörung davon getragen haben, die nicht durch chirurgische Ma- nipulation am Nervus recur- rens verursacht wurde. Nur durch eine differenzierte

phoniatrische Untersuchung des Kehl- kopfes kann geklärt werden, ob es sich in solchen Fällen um eine echte Parese in der Art eines Nervenschadens oder um eine Stimmlippenfunktionsstörung anderer Ursache handelt. Eine detail- lierte Stellungnahme zu diesem Pro- blemkreis ist von der „Interdiszipli- nären Studiengruppe Intraoperatives Neuromonitoring Schildrüsenchirur- gie“ erarbeitet worden (1).

Aktuelle Bewertung des Neuromonitoring

Neuromonitoring hat sich als wertvol- le Technologie erwiesen, die der Chir- urg während der Schilddrüsenchirur- gie verlässlich einsetzen kann, und die die Möglichkeiten der Vermeidung von Schäden des N. recurrens erheb- lich erweitert hat.

Der Anwender von Neuromonito- ring hat dafür zu sorgen, dass die ge- nannten technischen Fehler bei der Durchführung des Verfahrens so weit wie möglich eliminiert werden. Inter- pretationen der Ergebnisse des Moni- torings müssen unter Berücksichti- gung der aufgezeigten systematischen Limitationen des Verfahrens erfolgen.

Neuromonitoring sichert nach allen bisherigen Erfahrungen eine hohe Identifikationsrate des Nervus recur- rens im Operationsgebiet bei Schild- drüsenresektionen. Der Erhalt der Nervenfunktion ist allein vom sorgfäl-

tigen Umgang des Chirurgen mit den Nerven abhängig. Hierfür allerdings ist bei hilusnahen Präparationen die sichere Identifikation des Nervs eine wesentliche Voraussetzung und die Verwendung von Neuromonitoring hierfür die sicherste und einfachste Methode.

Aussagen zur postoperativen Stimm- lippenfunktion mittels Neuromonito- ring sind für den Chirurgen vor allem dann wichtig, wenn diese Einflüsse auf das operative Vorgehen haben.

Nach Abschwächung oder einem Ver- schwinden des Neuromonitoringsig- nals ist nach den bisher vorliegen- den Daten in knapp der Hälfte der Fälle zumindest mit einer zeitwei- sen Stimmlippenfunktionsstörung zu rechnen. Da mit den bisherigen For- men des Neuromonitorings drohende Schäden nicht erkannt werden, son- dern nur eingetretene Schäden durch eine Veränderung des Neuromonito- ringsignals festgestellt werden kön- nen, sind folgende Konsequenzen bei Änderung des Neuromonitoringsig- nals sinnvoll:

>Der Nerv sollte langstreckig frei- gelegt werden, um den Ort der Schädi- gung zu identifizieren (normales Sig- nal kehlkopfwärts eines Schadens, ver- ändertes Signal kehlkopffern des Schadens). So können mechanische Schäden des Nervs, etwa durch Mitfas- sen in Ligaturen oder Kapselnähten, lokalisiert und möglicherweise besei- tigt werden (8, 9, 12, 14, 18, 22).

>Tritt die Veränderung des Signals bei einer geplanten beidseitigen Ope- ration benigner Schilddrüsenerkran- kung nach Operation der ersten Seite auf, muss das Konsequenzen für die Operationstaktik der Gegenseite ha- ben. Die Autoren empfehlen in einer solchen Situation einen Verzicht der Operation der anderen Seite. Diese sollte erst dann erfolgen, wenn eine Stimmlippenfunktionsstörung ausge- schlossen ist oder bei Eintreten einer solchen eine angemessene Zeit gewar- tet wurde, um eventuell eine Erho- lung der Stimmlippenfunktion abzu- warten.

Damit ist der beste Schutz der Pati- enten vor einer temporären oder per- manenten beidseitigen Recurrenspa- rese gegeben. Sollte eine Operation der zweiten Seite in gleicher Sitzung erforderlich sein, ist hierfür ein mög- lichst nervschondendes Vorgehen zu wählen. Eine mögliche Änderung der Operationstaktik basierend auf den Ergebnissen des intraoperativen Neu- romonitorings – zum Beispiel Opera- tionen nur einer Schilddrüsenseite bei geplanter zweiseitiger Operation – ist mit dem Patienten zu besprechen, und dies muss dokumentiert werden.

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sin- ne der Richtlinien des International Committee of Medi- cal Journal Editors vorliegt.

Manuskript eingereicht: 11. 12. 2003; angenommen:

27. 1. 2004

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2004; 101: A 1341–1345 [Heft 19]

Schädigungsphasen für N. recurrens und Stimmlippe zwi- schen prä- und postoperativer Stimmlippenbefundung

Vom Neuromonitoring wird nur eine relativ kurze Zeitspanne erfasst. Veränderungen, die nach der letzten Stimulation und der im Regelfall erst mehrere Tage postoperativ erfolgenden HNO-Untersuchung auftreten, können nicht beurteilt werden.

Grafik

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit1904 abrufbar ist.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Wolfgang Timmermann Chirurgische Klinik I

Universitätsklinikum Würzburg Oberdürrbacherstraße 6 97080 Würzburg

E-Mail: timmermann@chirurgie.uni-wuerzburg.de

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