• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Finanz- und Sozialpolitik: Kaum Chancen für eine Senkung der Abgabenlast" (16.02.1996)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Finanz- und Sozialpolitik: Kaum Chancen für eine Senkung der Abgabenlast" (16.02.1996)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

P O L I T I K AKTUELL

D

ie Koalitionsparteien haben sich darauf geeinigt, Mitte 1997 den Solidarzuschlag von derzeit 7,5 Prozent der Ein- kommen- und Körperschaftsteuer- schuld auf 5,5 Prozent zu senken.

Aber die Bundesländer weigern sich, diese Steuersenkung durch eine Ver- ringerung ihres Anteils an den Mehr- wertsteuereinnahmen mitzufinanzie- ren. Die Bundesregierung hat mit ihrem Aktionsprogramm, das zusam- men mit dem Jahreswirtschaftsbe- richt beschlossen wurde, angekün- digt, den Gesamtbeitrag zur Sozial- versicherung, der im laufenden Jahr von 39,2 Prozent auf über 41 Prozent steigen wird, bis 2000 wieder unter die 40-Prozent-Grenze zu drücken.

Wenig spricht dafür, daß dies gelin- gen könnte. So steht schon jetzt fest, daß der Beitragssatz zur Rentenversi- cherung, der gerade erst von 18,6 auf 19,2 Prozent angehoben worden ist, schon 1997 noch einmal um minde- stens 0,6 Prozentpunkte auf dann 19,8 Prozent, möglicherweise aber auf bis zu 20 Prozent heraufgesetzt werden muß. Die guten Absichten der Regie- rung stimmen also nicht mit der tri- sten Wirklichkeit der wirtschaftli- chen, finanziellen und sozialen Lage überein.

Die Forderung der FDP, den So- lidarzuschlag schon 1997 zu senken, haben sich trotz der Widerstände in den eigenen Reihen inzwischen Bun- deskanzler Kohl und Finanzminister Waigel zu eigen gemacht. Von diesem Beschluß wird sich die Koalition 1997, im Jahr vor der nächsten Bundestags- wahl, wohl kaum noch distanzieren können. Wenn die Länder nicht mit- machen, muß Waigel den Steueraus- fall über seinen Haushalt finanzieren.

Das vergrößert die Finanzprobleme

des Bundes, der im laufenden Jahr schon jetzt mit einem zusätzlichen Defizit von rund zehn Milliarden DM und 1997 von mehr als 20 Milliarden DM rechnen muß. Die Neuverschul- dung kann Waigel nicht weiter er-

höhen; Deutschland schiede sonst aus dem Kreis der Länder aus, die die Maastricht-Kriterien für die Ein- führung der Europäischen Währungs- union erfüllen könnten.

Es bleibt also nur der Weg, dem Bund zufließende Verbrauchsteuern weiter zu erhöhen oder/und drastisch die Ausgaben zu beschneiden und Steuervergünstigungen abzubauen.

Die Koalition hat sich eindeutig ge- gen eine Erhöhung der Mehrwert- steuer ausgesprochen. Das muß man wohl ernst nehmen. Daher spricht

mehr dafür, daß früher oder später noch einmal die Mineralölsteuer als Geldquelle angezapft wird. Das ließe sich dann als Einstieg in die ökologi- sche Steuerreform verkaufen. Ein Teil der Mehreinnahmen könnte zur Stabilisierung des Beitragsatzes der Arbeitslosenversicherung eingesetzt werden. Solche Überlegungen sind spekulativ. Sie drängen sich jedoch auf, wenn man Zweifel hat, daß sich das in der Kanzlerrunde mit Arbeitgebern und Gewerkschaf- ten vereinbarte Ziel der Halbie- rung der Arbeitslosenzahlen bis 2000 auch tatsächlich erreichen läßt.

Wenn sich die Lage der Staats- und Sozialfinanzen wei- ter verschlechtert hat, so liegt dies an der wirtschaftlichen Sta- gnation seit Mitte letzten Jahres.

Bei der letzten Finanzschätzung im Oktober war für 1996 noch ein reales Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent unterstellt wor- den. Jetzt wird mit 1,5 Prozent gerechnet. Im Oktober war noch eine Zunahme der Beschäfti- gungszahlen unterstellt worden, jetzt wird mit einem Minus von rund 180 000 Arbeitsplätzen ge- rechnet. Die Zahl der Arbeitslo- sen dürfte im Jahresdurchschnitt bei vier Millionen liegen, was ei- nem Anstieg der Arbeitslosen- quote von 9,4 auf etwa zehn Prozent entspräche. Das belastet nicht nur die Nürnberger Anstalt, sondern auch die Krankenkassen und die Rentenversi- cherung. In der gesetzlichen Min- destreserve der Rentenversicherung von einer Monatsausgabe dürften am Jahresende etwa zehn Milliarden DM fehlen.

Mit ihrem Aktionsprogramm will die Regierung Wachstum und Be- schäftigung fördern. Ihre Pläne sind von der Einsicht diktiert, daß die Staats- und Sozialfinanzen nur dann A-361 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 7, 16. Februar 1996 (17)

Finanz- und Sozialpolitik

Kaum Chancen für eine Senkung der Abgabenlast

Der Solidarzuschlag soll gesenkt und der Sozialbeitrag unter 40 Prozent gedrückt werden, doch die Länder leisten Widerstand. Gibt es Alternativen?

Gegenstand des politischen Tauziehens: der Solidaritätszuschlag.

Wer trägt die Einnahmenausfälle, wenn er gesenkt wird?

(2)

zu verbessern sind, wenn sich das Wachstum verstärkt und die Arbeits- losenzahlen sinken. Insgesamt wird ein Katalog von 50 Maßnahmen vor- gelegt. Weniger wäre in diesem Fall wohl mehr gewesen. Auf zwei Schwerpunkte des Programms soll näher eingegangen werden.

Steuerpolitik

Vorrang wird zunächst der Unter- nehmenssteuerreform gegeben. Von 1997 an sollen die Gewerbekapital- steuer entfallen und die Gewerbeer- tragsteuer „mittelstandsfreundlich“

gesenkt werden. Zum Ausgleich ihrer Steuerausfälle sollen die Kommunen einen Anteil an den Mehrwertsteuer- einnahmen erhalten. Ausdrücklich wird aber an dem Ziel festgehalten, die Steuerentlastungen der Unterneh- men durch andere Steuerkorrekturen zu kompensieren. Die Reform soll aufkommensneutral gestaltet werden.

Das wird nicht erläutert. Wie zu hören ist, soll es dabei bleiben, daß die Ab- schreibungssätze gekürzt werden. Das wäre nicht nur konjunkturpolitisch falsch, weil ausgerechnet die Investi- tionen belastet würden. Zu bedenken wäre auch, daß Gruppen von Steuer- zahlern zusätzlich belastet würden, die von der Entlastung nichts hätten. Das gilt zum Beispiel für die Freiberufler.

Die Minister Waigel und Rexrodt lassen zwar keinen Zweifel daran, daß sie in der Konsequenz der Rechtspre- chung des Verfassungsgerichts die Ver- mögensteuer abschaffen wollen. Der Text des Aktionsprogramms kann aber so ausgelegt werden, als wenn nur die Steuer auf das Betriebsvermögen beseitigt werden soll, zumal auch bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer nur von Erleichterungen beim Über- gang von Betriebsvermögen gespro- chen wird. Im Lager der Länder über- wiegt noch immer die Ansicht, daß an der Besteuerung der privaten Vermö- gen festgehalten werden sollte. Höhe- re Einheitswerte könnten durch nied- rigere Steuersätze und höhere Freibe- träge ausgeglichen werden.

In einem zweiten Schritt soll dann Mitte 1997 der Solidarzuschlag ge- senkt werden. Waigel begründet die- sen Vorschlag damit, daß der Bund den Ländern zur Absicherung des Finanz-

ausgleichs mit den neuen Ländern 1995 sieben Punkte des Mehrwertsteu- eraufkommens übertragen habe. Das entspreche 16,5 Milliarden DM. 1997 würden aber nur noch 13,5 Milliarden DM benötigt. Die Länder hätten damit dem Bund drei Milliarden DM zurück- zugeben, die zur Senkung des Solidar- zuschlags um zwei Prozentpunkte ge- nutzt werden sollten. Einen Betrag von einer Milliarde DM will der Bund aus dem Haushalt einsetzen. Die Län- der erwecken den Eindruck, als wenn ihnen der erhöhte Mehrwertsteueran- teil dauerhaft zustünde. Das läßt sich nicht rechtfertigen. Am Ende ent- scheiden über die Steuerverteilung die Machtverhältnisse. Das hat den Bund in den letzten Jahren in die finanzielle Schieflage gebracht. Die Länder saßen immer am politisch längeren Hebel.

Das könnte diesmal anders sein, weil die Länder darauf angewiesen sind, daß der Bund ihnen bei der Neuord- nung der Vermögensteuer hilft, die ih- nen rund acht Milliarden DM jährlich bringt. Die Vermögensteuer in der heutigen Form kann von 1997 an nicht mehr erhoben werden.

Nach 1998 will die Regierung im Rahmen einer „Tarifreform 2000“ die Entscheidungen über eine Verringe- rung der Steuersätze und die Rück- kehr zum linearprogressiven Tarif, der seit dem Jahreswechsel nicht mehr gilt, entscheiden. In diesem Zu- sammenhang sollen die Steuer verein- facht und die Steuerbemessungs- grundlage durch Abbau von Steuer- vergünstigungen vorbereitet werden.

Die steuerpolitischen Passagen des Aktionsprogramms lassen nur den Schluß zu, daß es frühestens in vier Jahren zu steuerlichen Entlastungen kommen wird. Bis dahin ist allenfalls mit einer Senkung des Solidarzu- schlags um zwei Punkte zu rechnen.

Sozialpolitik

Im Dialog mit den Sozialpart- nern sollen alle Möglichkeiten zur Be- grenzung der Lohnzusatzkosten aus- geschöpft werden, um die Summe der Beitragssätze bis 2000 wieder unter 40 Prozent zu senken. Zur Einschrän- kung der Frühverrentung sollen bei vorzeitigem Bezug der Rente vom 60.

Lebensjahr an die Leistungen jährlich

um jeweils 3,6 Prozent gekürzt wer- den. Die längere Rentenlaufzeit wür- de also durch Rentenabschläge ausge- glichen. Vom 58. Lebensjahr an sollen Teilrenten bezogen werden können.

Diese Pläne sind noch umstritten.

Auch soll die Rechtsprechung zu Be- rufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten so geändert werden, daß Arbeitneh- mer mit geringeren gesundheitlichen Benachteiligungen nicht mehr die höhere Erwerbsunfähigkeitsrente er- halten, wenn sie am Arbeitsmarkt nicht mehr vermittlungsfähig sind.

Die Regeldauer für Kuren soll auf drei Wochen verkürzt werden; Wie- derholungskuren sollen nur noch alle vier Jahre möglich sein.

Beitragssatzstabilität Auch wird daran gedacht, bei längeren Fehlzeiten in den Betrieben Sonderzahlungen wie Weihnachts- geld oder Urlaubsgeld zu kürzen. Ein über ein Jahr hinausgehender An- spruch auf Arbeitslosengeld soll erst vom 45. Lebensjahr (bisher vom 42.

Lebensjahr) an erreicht werden. Die Dauer befristeter Arbeitsverträge soll auf 24 Monate ausgedehnt werden.

Der geltende Kündigungsschutz soll künftig in Betrieben bis zu zehn Be- schäftigten (bisher fünf Beschäftigte) nicht gelten. Der Anreiz, sozialversi- cherungspflichtige Beschäftigungs- verhältnisse in privaten Haushalten zu schaffen, soll verstärkt werden. So wird daran gedacht, den abzugsfähi- gen Aufwand von 12 000 auf 18 000 DM zu erhöhen und den Abzugsbe- trag auch zu gewähren, wenn nur ein Kind betreut werden muß.

Der Gesundheitsreform wird die Aufgabe zugewiesen, den durch- schnittlichen Beitragssatz der Kassen auf den Stand von Ende 1995 zurück- zuführen und auf diesem Niveau zu stabilisieren. Mit den Reformgeset- zen der Koalition wird dies nicht zu erreichen sein. Weitere Schritte zur Beitragssatzstabilisierung würden eingeleitet, heißt es in dem Pro- gramm. Was damit gemeint ist, wird nicht gesagt. Sollte es im Arsenal der Koalition Instrumente geben, die bis- lang nicht bekannt sind? Das Regie- rungspapier läßt solche Spekulatio- nen zu. Walter Kannengießer A-362

P O L I T I K AKTUELL

(18) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 7, 16. Februar 1996

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Das Persönliche Budget hilft dabei, dass Menschen mit Behinderung genauso gut leben können, wie Menschen oh- ne Behinderung.. Durch das Persönliche Budget können Menschen mit

Juli ein „Stufenmodell für eine gerechte und nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)“ beschlossen, das am letzten Freitag in einer Pressekonferenz

Ein Kleidungsstück, hauptsächlich für Mädchen und Frauen8. Nicht der Bauch, sondern

[r]

Das Internationale Militärtribunal in Nürn- berg bestimmte, daß die Ausführung eines ver- brecherischen Befehls (z. die Tötung von Kriegsgefangenen) strafbar ist. Nach dem da-

Und dann sagte er zu mir: „Sag essen und Geschäft." Da konnte ich es. Das ist alles zusammengewachsen zu De- likatessengeschäft. Bei Kallweit kann man alles zum Essen kaufen.

all die Unterrichtsmaterialien, Wörterbücher und Lexika denkt, die im kommenden Jahrzehnt und danach geändert werden müssen, Hunderte v o n Millionen kosten. Dabei hat

Für die immer mehr werdenden Psy- chiater, welche sich rein psychothe- rapeutisch spezialisieren, ist es ironi- scherweise ein Segen, dass es die psychologische