• Keine Ergebnisse gefunden

Die klinische Behandlung eines depressiven Jugendlichen

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2021

Aktie "Die klinische Behandlung eines depressiven Jugendlichen"

Copied!
8
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Fischel, Bettina und Bilke, Oliver

Die klinische Behandlung eines depressiven Jugendlichen

Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 56 (2007) 3, S. 245-251

urn:nbn:de:bsz-psydok-47295

Erstveröffentlichung bei:

http://www.v-r.de/de/

Nutzungsbedingungen

PsyDok gewährt ein nicht exklusives, nicht übertragbares, persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses Dokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich für den persönlichen,

nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. Die Nutzung stellt keine Übertragung des Eigentumsrechts an diesem Dokument dar und gilt vorbehaltlich der folgenden Einschränkungen: Auf sämtlichen Kopien dieses Dokuments müssen alle Urheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise auf gesetzlichen Schutz beibehalten werden. Sie dürfen dieses Dokument nicht in irgendeiner Weise abändern, noch dürfen Sie dieses Dokument für öffentliche oder kommerzielle Zwecke vervielfältigen, öffentlich ausstellen, aufführen, vertreiben oder anderweitig nutzen.

Mit dem Gebrauch von PsyDok und der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an.

Kontakt:

PsyDok

Saarländische Universitäts- und Landesbibliothek Universität des Saarlandes,

Campus, Gebäude B 1 1, D-66123 Saarbrücken E-Mail: psydok@sulb.uni-saarland.de

(2)

Die klinische Behandlung eines depressiven Jugendlichen

Bettina Fischel und Oliver Bilke

Summary

Clinical treatment of a depressive adolescent

This contribution presents the clinical treatment of a male adolescent suffering from depression. Structural aspects of the treatment were given. Treatment process is viewed as a multimodal, multiprofessional approach based on a systemic perspective. The uniqueness of the therapeutic process is outlined which makes highly professional and creative interventions necessary.

Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 56/2007, 245-251 Keywords

Case study – depression – multimodal – multiprofessional approach

Zusammenfassung

Exemplarisch wird die klinische Behandlung eines Jugendlichen mit einer depressiven Episo-de dargestellt. Es werEpiso-den inhaltliche und strukturelle Momente dieser Behandlung dargelegt. Der Behandlungsprozess wird über die leitlinienorientierten Standards hinaus als multimo-dales, multiprofessionelles Geschehen unter systemischen Blickwinkel betrachtet. Kasuistisch wird die Individualität eines Therapieprozesses vermittelt, die vom Behandlerteam hohe Pro-fessionalität und Kreativität erfordert.

Schlagwörter

Fallbericht – Depression – multimodaler Therapieansatz

1 Vorstellungssituation und Anamnese

Der 13,3-jährige Peter wurde auf Empfehlung einer niedergelassenen Nervenärztin in der Ambulanz einer bezirklichen Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und

(3)

246 B. Fischel; O. Bilke

© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2007

Psychotherapie vorgestellt. Im Wartezimmer bot sich das skulpturhaft anmutende Bild eines mit gesenktem Kopf zwischen seinen sich ihm besorgt zuwendenden Eltern sit-zenden Jungen. Verhalten und leise sprachen sie auf ihn ein, bemüht ihn zur Koopera-tion zu motivieren. Dabei schienen sie nicht nur gegen die Hilflosigkeit und Befürch-tungen des Jungen sondern auch gegen eigene Vorbehalte ankämpfen zu müssen.

Im Erstkontakt sah die Therapeutin einen stuporös wirkenden, in seinem Antrieb und seiner Kontaktfähigkeit schwer eingeschränkten, apathischen Jugendlichen. Er mied den Blickkontakt, war in sich zusammengesunken, hatte einen schlaffen Mus-keltonus, hängende Schultern und einen langsamen, schweren Gang. Die Stimmung war durchgehend gedrückt.

Aktualanamnestisch stellte sich folgendes dar: In der 7. Klasse nach der Umschulung von der Grundschule in das Gymnasium habe Peter gegen Ende des Schuljahres ein zunehmendes Gefühl der Beklommenheit und Unzulänglichkeit verspürt. Erstmals in seiner Schullaufbahn hatte er Versagensbefürchtungen und Leistungsängste geäußert.

Nach den Sommerferien zu Anfang der 8. Klasse habe sich dies weiter verstärkt. Bis zum Herbst seien eine allgemeine Lust- und Freudlosigkeit, Insuffizienzerleben, Grübeln sowie Appetitlosigkeit und Schlafstörungen so stark geworden, dass er nicht mehr die Schule besuchen konnte. Er war durch Gespräche mit Eltern, Lehrern und Ärzten nicht aufzumuntern. Ausschlaggebend für die klinische Vorstellung waren Äußerungen von Lebensüberdruß, die Angst der Eltern, er könne sich etwas antun, sowie die Schulvermeidung.

Familienanamnese. Der Vater (Kv), als Rechtsanwalt in eigener Praxis tätig, habe

sich nach der Wende niedergelassen. Von ihm sagt die Mutter (Km), er habe sich nie genug um die Kinder gekümmert. Die Mutter, eine Sozialwissenschaftlerin, habe mit der Wende Ihre Arbeit verloren und sei seitdem arbeitssuchend. Als leistungso-rientierte Frau hatte sie damit ihre berufliche Lebensperspektive und Anerkennung verloren und suchte sich als Elternsprecherin und in sozialen Projekten zu betätigen. Von ihr sagt der Kv, sie hätte Peter zu sehr an sich gebunden, sie sei überbehütend. Beide Eltern bezeichnen sich selbst als sehr ehrgeizig und zwanghaft.

Die zwei Jahre jüngere Schwester hatte sich bislang unproblematisch entwickelt und besaß ein munteres, selbstbewusstes Wesen. Ihr Verhältnis zum älteren Bruder sei immer konkurrierend gewesen. Fachspezifische Erkrankungen waren in der Fa-milie nicht bekannt.

Eigenanamnese. Die Eltern berichteten, dass Peter als Wunschkind ein halbes Jahr

nach der Wende geboren wurde. Nach unkomplizierter Schwangerschaft und Ge-burt habe die Mutter ihn 8 Monate stillen können. Die frühkindliche Entwicklung (Motorik und Sauberkeit) sei, bis auf eine etwas verzögerte Sprachentwicklung, un-auffällig verlaufen. Nachdem sich die Betreuung des Jungen in einer Kita als schwie-rig und unzureichend erwiesen hätte, wurde Peter im Alter von 1,6 Jahren von einer

(4)

Tagesmutter betreut. Vom 3. Lebensjahr bis zur Einschulung habe er dann in die Kita gehen können.

Peter wurde vorzeitig eingeschult. In der 2. Klasse zog die Familie um, so dass er die Schule wechseln musste. Mit diesem Wechsel hätte der Junge sich schwer getan und danach keine „echten“ Freunde mehr gehabt.

In seiner Freizeit beschäftige er sich mit Judo und Gitarre spielen. Die Beziehung zu den Eltern wurde als unkompliziert beschrieben.

Die Diagnostik ergab keine Hinweise auf einen pathologischen neurologischen Be-fund. Das Vorliegen psychotischer Störungen, von Zwängen, von Teilleistungs- oder Leistungsstörungen und abnormen psychosozialen Umständen im Sinne der ICD-10 konnte ausgeschlossen werden. Testdiagnostisch ergaben sich überdurchschnitt-liche Werte im Depressionstest (DIKJ: T=80).

Nach Wertung psychopathologischer, körperlicher und psychosozialer Befunde und Zusammenhänge (multiaxiale Diagnostik) stellten wir die Diagnose einer Dep-ressiven Episode (F. 32.2) auf der ersten Achse des MAS.

2 Klinische Grundhaltung und therapieleitende Hypothesen

Neben der Pharmakotherapie und einem systemischen Verständnis sowie verhal-tenstherapeutischen Techniken spielt der psychodynamische Verstehens- und The-rapieprozess bei chronifizierten depressiven Störungen eine zentrale Rolle. Kindern und Jugendlichen fällt es eher schwer, sich über ihre Befindlichkeit zu äußern. Stattdessen erlebt der Therapeut Phänomene wie Spielunlust, schnelle Entmuti-gung (häufig mit Ärger oder Wut verbunden), dysphorische Abwehr und Ableh-nung, gestörtes Essverhalten, einen verschobenen Tagesrhythmus oder unlustvolles Leistungsverhalten. Der Widerstand des Patienten stellt ein wichtiges regulierendes Moment der Therapie dar, weil es auf die Positionen und Konflikte der Beteiligten hinweist. Der entwicklungsfördernde Umgang mit Widerständen, Abwehrmecha-nismen und dysfunktionalen Interaktionsmustern gehört zu den Standards jedes (teil-) stationären Behandlungskonzeptes.

Häufig resultieren aus den Symptomen auch Aggressionen, die sekundär sowohl beim Kind als auch bei den Eltern Scham erzeugen. Ein zu direktives, konfrontatives Arbeiten ist im Kindes- und Jugendalter nicht angezeigt.

Behandlung kann nur in einer vertrauensvollen Beziehung, in nondirektiven, manch-mal auch bei Jugendlichen spielerischen Millieu geschehen. Sie sollte sowohl die Scham- und Schuldgefühle als auch die individuellen Möglichkeiten im Umgang da-mit berücksichtigen. Ziel ist es, die unter der depressiven Starre verborgenen, vermie-denen Konflikte vorsichtig zu „heben“, Konflikte oder Bedürfnisse langsam zu „lüften“. Dieser Prozess muss so dosiert sein, dass er selbst nicht durch die zu starke

(5)

Aktivie-248 B. Fischel; O. Bilke

© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2007

rung von Verlustängsten und Abwehr zur Bedrohung wird. Grundsätzlich geht es um die Balance zwischen Konfrontation, Spiegelung und Aktivierung einerseits und der Akzeptanz aktueller, individueller Grenzen der Betroffenen andererseits.

Ein weiterer Grundsatz unserer therapeutischen Arbeit bei depressiv strukturier-ten Patienstrukturier-ten besteht in der engen Einbeziehung der Eltern, um ihren Ängsstrukturier-ten zu begegnen und den Kindern ihre Nähe und Unterstützung erfahrbar zu machen. El-tern sollten sozusagen in Hörweite und Sichtweite sein.

Das langfristige Behandlungsziel richtet sich auf die Struktur des Patienten, auf seine kommunikativen Fähigkeiten, seine Fähigkeiten zur Selbststeuerung und auf sein soziales Gefüge, die Familie. Es richtet sich auf sein Bild von sich und der Welt und die Entwicklung altergerechter Fertigkeiten. Da diese Strukturen bidirektionale Erfahrungen als Resultate der Auseinandersetzung mit der Umwelt präsentieren, scheint es folgerichtig, dass die Behandlung in der Interaktion erfolgt. Der interak-tionelle Ansatz scheint insbesondere für die klinische Behandlung geeignet, um die zur Herstellung eines ausreichenden psychosozialen Funktionsniveaus wesentlichen Strukturebenen zu erreichen.

Entsprechend realisiert sich die klinische Behandlung auf Grundlage multiaxialer Diagnostik, die in einem multikausalen Erklärungsansatz und in einem entspre-chenden multimodalen, multiprofessionellen Behandlungssetting mündet. Dieser integrierte störungsspezifische Ansatz scheint bei depressiv strukturierten und ma-nifest erkrankten Kindern und Jugendlichen vor allem vor dem Hintergrund des Entwicklungsaspektes geeignet.

3 Behandlungsverlauf

Peter musste aufgrund des zu stark eingeschränkten psychosozialen und körperli-chen Funktionsniveaus zunächst vollstationär behandelt werden.

Die vorübergehende räumliche Trennung von der Familie stellte für ihn und seine Eltern ein emotional belastendes Moment dar. Deshalb war nach der vollstationären Aufnahme die schnellstmögliche Verlegung in die Tagesklinik subjektiv das Wich-tigste. Während der erste Anlauf aufgrund sich wieder verstärkender Depressivität nicht gelang, konnte Peter nach einem zweiten Versuch nach sechs Wochen in die teilstationäre Behandlung übernommen werden, bei der psycho-therapeutische As-pekte stärker in den Mittelpunkt rücken.

Für die tagesklinische Behandlung ergab sich folgende Ausgangssituation: Wir sa-hen einen jugendlicsa-hen Patienten, der in einer Phase erhöhter Leistungsanforderun-gen sowie pubertätsspezifischer Entwicklungsaufgaben in seiner Persönlichkeitsent-wicklung verharrte und depressiv dekompensiert war. Peter wurde medikamentös weiter mit Amitriptylin behandelt und war nicht mehr suicidal. Das psychosoziale Funktionsniveau und die Belastbarkeit waren bei genügender Compliance zur

(6)

Wei-terbehandlung ausreichend hoch. Das tägliche Kommen in die Tagesklinik, zunächst durch die Eltern begleitet, später auch allein, sowie die Bewältigung des tagesklini-schen Alltags mit dem multimodalen Behandlungssetting wurden möglich. Durch die nach Abklingen der akuten depressiven Symptomatik erfolgte Leistungsdiagnos-tik konnte bei einem IQ von 122 eine kognitive oder schulische Überforderung als pathogener Faktor ausgeschlossen werden.

Nach wie vor waren jedoch seine Fähigkeiten, sich adäquat mitzuteilen und Kon-takt aufzunehmen, reduziert. Die Wahrnehmung autonomer emotionaler Aspekte des Selbst und deren sprachliche Artikulation waren erheblich eingeschränkt. Neben der für depressive Störungen im Jugendalter durchaus typischen Verleugnungsten-denzen und Schamgefühle wurden eine ausgeprägte passive Versorgungserwartung und das Meiden von Verantwortung für die Tages- und Lebensgestaltung sichtbar.

Seine sehr auf sich gerichtete, eingeengte Wahrnehmung erlaubte ihm nur einge-schränkt, sich an den sozialen Kontext zu adaptieren, was in der Gruppe schwierig wurde, wenn seine Interessen mit denen der Mitpatienten kollidierten. Auf Kon-flikte oder Frustrationen reagierte er mit depressiven Mechanismen. Seine Selbst-darstellung glich der einer von fremder Hand gezogen Marionette, hilflos aber auch und schuld- und verantwortungsfrei.

Nach etwa sechs Wochen Behandlung gelang ihm aber langsam die Kontaktaufnahme zu Mitpatienten. Gegenüber Erwachsenen suchte Peter jedoch nachhaltig eine hohe Distanz. Wenn er aus dieser Distanz zwar leise, jedoch nicht überhörbar ärgerlich oder abwertend das Verhalten anderer kommentierte und die Befriedigung seiner Bedürf-nisse erwartete ohne diese jedoch formuliert zu haben, wurde eine passiv-meidende, gehemmt-agressive Abwehrlage deutlich. Peters Interaktionsstil war sehr indirekt; ei-gene Bedürfnisse stellte er als die anderer dar. Indem er scheinbar um die Erfüllung von Wünschen Außenstehender bemüht war, sucht er eigene durchzusetzen und de-monstrierte so auch seinen Autarkie-Versorgungskonflikt. Peter suchte eigene Inter-essen zwar verdeckt, jedoch recht unnachgiebig durchzusetzen.

Beide Eltern sorgten sich rührend um Peter. Es war eine intensive Zuwendung zu spüren, in der der Junge jedoch regressiv zu erstarren schien. Die Eltern wirkten sehr unsicher, angespannt und nahmen ängstlich gebannt ihren Sohn wahr.

Dementsprechend sahen wir einen Schwerpunkt der Behandlung darin, Peter und seiner Familie die Sprache für sich und füreinander schrittweise wiederzuge-ben, die Unterschiedlichkeit der dann hörbar werdenden Bedürfnisse wahrzuneh-men und mit ihnen umgehen zu lernen. Es ging sowohl um die Autonomie des Jungen als auch um die der Eltern. Deutlich wurde ein Paarkonflikt aufgrund der sehr unterschiedlichen Selbstverwirklichungsmöglichkeiten nach der Wende und der Geburt der Kinder. Der Vater wollte mit seinem beruflichen Erfolg die gehemmt erscheinende Frau nicht kränken, aber auch gern sein Leben lustvoll genießen, was er jedoch nicht offen aussprechen konnte. Die Mutter hatte nach der Wende einen wesentlichen Teil ihrer beruflichen und persönlichen Identität aufgeben müssen. Sie

(7)

250 B. Fischel; O. Bilke

© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2007

versuchte, sich diszipliniert in der Fürsorge der Kinder und im ehrenamtlichen Be-reich etwas aufzubauen, was jedoch nicht über den beruflichen Verlust und die Wut darüber hinwegtäuschen konnte. Sehr leistungsorientiert konnte sie eigene Trauer und Ängste aber auch Ärger schwer zulassen.

Peter, der unbewusst die Mutter nicht enttäuschen und nicht für ihre Depression ver-antwortlich sein wollte, wenn er in der Pubertät seinen eigenen, lustvoll gelebten Weg gehen würde, vermied intuitiv altersentsprechende Vitalität und war erstarrt, auch, um die zwischen den Eltern schwelende Anspannung nicht an die Oberfläche zu schwem-men. Zu groß war die Sprachlosigkeit für Schwierigkeiten und Scham, zu groß die Ängs-te vor noch mehr Verlust und Trauer, zu stark der Ehrgeiz, alles schaffen zu müssen.

Beide Eltern neigten als Abwehr zu Rationalisieren und detaillierten Analysie-ren alltäglicher Entscheidungen. Von der Mutter erhielten die Therapeuten in Form von langen Briefen Berichte über alltägliche Entscheidungen, in denen sie sich zu rechtfertigen schien. Gewertet wurde dies als Versuch, Emotionen und Unsicherheit zu kontrollieren und bei zu hohem Anspruch keine Fehler zu machen, um damit Zuspruch und Anerkennung zu erhalten.

In Familiengesprächen und in der Einzeltherapie wurden diese Aspekte nach etwa drei Monaten klar zur Sprache gebracht und damit der Bann des Schweigens und der Starre langsam gelöst. Peter konnte aussprechen, dass er sich mehr Distanz zur Mutter wünsche und mehr mit dem Vater unternehmen möchte. Die Eltern konnten zunehmend über ihre Situation reflektieren.

Voraussetzung war, dass beide sich dafür öffnen konnten, ihre eigene Beziehung zu hinterfragen. Symptome aufrechterhaltende Muster konnten so identifiziert, Konflikte angesprochen, Raum für autonome Wünsche geschaffen und alternative Copingstrategien überlegt und probiert werden.

In den therapeutischen Räumen der Sozial- und Gruppenpsychotherapie sowie der Krankenhausschule lag der Schwerpunkt auf der Entwicklung der Persönlich-keit des Jungen unabhängig von den Eltern. Hier ging es um die Förderung von Selbstsicherheit, den Aktivitätenaufbau, die Differenzierung der Selbst- und Fremd-wahrnehmung, die Entwicklung von Fertigkeiten zur Gestaltung der sozialen Kon-takte, sowie um den Abbau dysfunktionaler Schemata.

In der Gruppe der Peers und im Kontakt mit den Therapeuten konnte Peter Lust und Unlust artikulieren und Möglichkeiten des Umgangs damit erwerben. Dies ver-lief nicht ohne Widerstände. Es bedeutete auch den Abschied von den angenehmen Seiten der Passivität im Sinne eines Krankheitsgewinns.

Mit dem Gewinn an Ausdrucksfähigkeit in der Familie gewann auch der Pati-ent allmählich seine Lebensfreude, Selbständigkeit, und seine verschütteten Fähig-keiten zur Kontaktgestaltung und zum schulischen Lernen zurück. In Anbetracht der selbsterfahrenen Kompetenzen, Belastbarkeit und Belebung seiner Ressourcen (Musik machen), vermochte Peter sich von der Depression zu lösen, sich weiter zu entwickeln und seine gesunden Anteile wiederzugewinnen. Parallel dazu gewann die Familie an Sprachfähigkeit und Lebendigkeit.

(8)

Dass Peter sich zum Ende der Behandlung verliebte, mag Ausdruck der wieder gewonnenen Lebendigkeit sein. Der Jugendliche ging mit aller Aufregung, die ein Neubeginn mit sich bringt, wieder in seine Heimatschule zurück. Diesen Schritt begleiteten wir in der letzten Phase der Behandlung. Die zunächst stundenweise Beschulung erfolgte parallel zur Behandlung bis zur vollen schulischen Integration. Nach erfolgreicher Wiedereingliederung konnte Peter aus der tagesklinischen Be-handlung entlassen werden. Er wollte dann auch keine Pharmakotherapie mehr. Es wurde ihm eine ambulante Psychotherapie zur Aufarbeitung bisher unzureichend bewältigter Konflikte und zur Ich-Stabilisierung angeraten. Peter wollte jedoch erst einmal eine Therapiepause. Er ging in die Schule und integrierte sich in eine Schü-ler-Band. Seine Eltern hatten sich zu einer Paartherapie entschlossen.

Anderthalb Jahre nach der Entlassung sahen wir den jungen Mann nochmals in unserer Ambulanz mit einem reaktiven subdepressiven Stimmungsbild. Er ließ sich ambulant in wenigen Kontakten mit fokaltherapeutischem Ansatz stabilisieren. Wir wiederholten nochmals unsere Empfehlung zur ambulanten Psychotherapie, zu der er sich nun – und mittlerweile nachhaltig – entschließen konnte.

Korrespondenzadresse: Dr. Oliver Bilke, Vivantes, Klinik für Kinder- und

Jugend-psychiatrie und Psychotherapie, Postfach 260127, 13411 Berlin; E-Mail: oliver.bilke@vivantes.de

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Das netzwerk GeleBTe DemoKrATIe hat sich entschlossen, TolerAnZ zum Thema zu machen – 2015 zunächst im rahmen der WoCHen GeleBTer De- moKrATIe – und damit eine offene

Köhler, Kaeppele und Schumann engagieren sich in der Stiftung Künstlernachlässe Mannheim des Kunstvereins Mannheim, die sich seit 2005 um die Nachlässe Mannheimer Künstlerinnen

In der Mehrzahl der Fälle der Arbeitstätigen (92,5%) traten vegetative als auch affektive Störungen auf, wohingegen diese mit weniger leidbringendem Effekt bei den nicht

Wenn man an all die Jugendlichen denkt, die sagen ›Das wird dir noch leidtun, wenn ich mich umgebracht habe‹, sollte man doch annehmen, dass ein Selbst- mord viel öfter

Deutsches Ärzteblatt 100, Ausgabe 8 vom 21.02.2003, Seite A-504 Als Therapie der zweiten Wahl ist die EKT angezeigt bei:. therapieresistenter (pharmakoresistenter) Major

“engagement efforts must start with the fundamental recognition that people are different and have different psychological, cultural, and political reasons for acting – or

Bei den Qualitäten, die notwendig sind, damit sich alle Personen in einer Familie wohlfühlen können, geht es vor allem um den Aufbau von diesen drei Fundamenten und die Gestaltung

{ Links vom Seil stehen und mit dem rechten Fuß über das Seil springen, dann den linken Fuß neben den rechten stellen, anschl. mit dem linken Fuß übers Seil springen und