3 Grenzwerte, Stetigkeit und Beispiele reeller Funktionen
3.1 Grundlegende Eigenschaften
In den nächsten Kapiteln beschäftigen wir uns mit Funktionen f : D
f→ W
f, bei denen sowohl der Definitions- als auch der Wertebereich Teilmengen der reellen Zahlen sind (D
f, W
f⊂
R).Diese Funktionen nennen wir kurz reelle Funktionen.
Bereits in Abschnitt 1.5 hatten wir uns mit dem Funktionsbegriff auseinandergesetzt. Alle dort bereits erarbeiteten Begriffe gelten natürlich auch für reelle Funktionen.
Allerdings kann man bei reellen Funktionen auch viel speziellere Eigenschaften untersuchen. Erste Beiträge liefert dieser Abschnitt.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 151
Maximaler Definitionsbereich
Eine erste Konvention treffen wir bezüglich der Notation:
Ist zu einer reellen Funktion f lediglich die Bildungsvorschrift x 7→ f (x) angegeben, so wählen wir den Definitionsbereich D
f⊂
Rso groß wie möglich.
Die so gewählte Menge D
fheißt maximaler Definitionsbereich von f.
Man identifiziere die maximalen Definitionsbereiche zu f(x) = √
4x − 1, g(x) = x
7und h(x) = 2x − 3 sin x (x
2− 1)(x − 4) .
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 152
Monotonie
Da Funktionswerte reeller Funktionen vergleichbar sind, lässt sich für reelle Funktionen Monotonie definieren:
Definition 3.1 (monotone Funktion).
Eine reelle Funktion f : D
f→
Rheißt auf einem Intervall I ⊂ D
f(streng) monoton wachsend, wenn für alle x, y ∈ I mit x < y stets f (x) ≤ f(y) (bzw. f (x) < f(y)) gilt,
(streng) monoton fallend, wenn für alle x, y ∈ I mit x < y stets f (x) ≥ f(y) (bzw. f (x) > f(y)) gilt,
(streng) monoton, wenn sie (streng) monoton wachsend oder
fallend ist.
Graphische Darstellung
Die graphische Darstellung reeller Funktionen erfolgt in der x-y-Ebene (Graph(f) ist eine Teilmenge von
R2).
Beispiele:
I = D
ff
I = D
gg
f ist auf D
fstreng monoton wachsend und g auf D
gmonoton fallend (allerdings nicht streng).
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 154
Umkehrfunktion
Ist die reelle Funktion f : D
f→ W
fbijektiv, dann existiert die Umkehrfunktion (auch inverse Funktion) von f:
f
−1: W
f→ D
f, f
−1(y) = x : ⇔ y = f(x).
Offenbar gilt
(x, y) ∈
Graph(f)⇔ (y, x) ∈
Graph(f−1),
weshalb der Graph von f
−1aus dem Graphen von f durch Spiegelung an der ersten Winkelhalbierenden y = x hervorgeht.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 155
Beispiele:
Graphen von f : [0, ∞ ) → [0, ∞ ), f(x) = x
2und h : (0, ∞ ) → (0, ∞ ), h(x) =
x1sowie der entsprechenden Umkehrfunktionen:
0 1 2 3 4
0 1 2 3 4
f(x)=x2
g(x)=x1/2
0 0.5 1 1.5 2
0 0.5 1 1.5 2
h(x)=1/x
Warum ist im Bild rechts nur ein Graph zu sehen?
Satz 3.2 (Monotonie und Umkehrfunktion).
Ist f : I →
Rstreng monoton auf dem Intervall I , so ist f : I → f(I) bijektiv. Die Umkehrfunktion f
−1ist streng monoton wachsend (fallend), wenn f streng monoton wachsend (fallend) ist.
Nach Satz 3.2 besitzt f(x) = x
3auf ganz
Reine Umkehrfunktion.
Wie lautet diese? Zeichnen Sie die Graphen beider Funktionen.
Anmerkung: Die Umkehrfunktion in der Situation von Satz 3.2 ist sogar stetig (Stetigkeitsbegriff folgt demnächst).
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 157
Operationen mit Funktionen
Mit den gewohnten Rechenoperationen in
Rsind folgende
“punktweisen“ Konstruktionen möglich:
Definition 3.3.
Es seien f, g : D →
Rreelle Funktionen und α ∈
R.Wir definieren neue Funktionen
αf : D →
R,(αf )(x) := αf (x), f ± g : D →
R,(f ± g)(x) := f(x) ± g(x), f g : D →
R,(f g)(x) := f(x)g(x), f /g : D
1→
R, (f /g)(x) := f(x)/g(x) mit D
1= {x ∈ D : g(x) 6= 0}.
Achtung: f
−1und
1fsind nicht dasselbe.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 158
Definition 3.4.
Sind f : D
f→
Rund g : D
g→
Rmit W
f⊆ D
g, dann definieren wir die Komposition oder Verkettung von f mit g durch
g ◦ f : D
f→
R, (g ◦ f)(x) := g(f(x)) („g nach f“).
Symbolische Skizze:
f g
g
◦
fx
f(x) g(f(x))
Wf g(Wf)
Df
Dg Wg
Achtung: Im allgemeinen ist g ◦ f 6 = f ◦ g.
Beispiel:
Für f(x) = x
2und g(x) = sin x ist
(f ◦ g)(x) = f(g(x)) = (sin x)
2=: sin
2x (Bild links), (g ◦ f)(x) = g(f(x)) = sin(x
2) (Bild rechts).
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 160
Weiteres Beispiel
Der Übergang von x 7→ f(x) nach x 7→ f (x) + c bewirkt eine vertikale Verschiebung des Graphen um c. Der Übergang von x 7→ f(x) nach x 7→ f(x − c) bewirkt eine horizontale Verschiebung des Graphen um c.
−1 −0.5 0 0.5 1
−1
−0.5 0 0.5 1 1.5 2
y=f(x) y=f(x)+c
−1 −0.5 0 0.5 1 1.5
−1
−0.5 0 0.5 1
y=f(x) y=f(x−c)
Formulieren Sie die beiden neu entstandenen Funktionen als Kompositionen.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 161
Beschränkte Funktionen Definition 3.5.
Eine reelle Funktion f : D
f→
Rheißt nach oben (unten) beschränkt, wenn ihr Wertebereich W
f⊂
Rnach oben (unten) beschränkt ist.
Eine Funktion heißt beschränkt, wenn sie sowohl nach oben als auch nach unten beschränkt ist.
Für beschränkte Funktionen existiert also eine Konstante c > 0, so dass
| f(x) | ≤ c für alle x ∈ D
f.
Sind die Funktionen f
1(x) = x
2, f
2(x) = (x − 2)
3, f
3(x) =
1xund
f
4(x) = sin(2x) (nach oben/unten) beschränkt?
Gerade und ungerade Funktionen Definition 3.6.
Eine reelle Funktion f : D
f→
R, für die mit jedemx ∈ D
fauch
− x ∈ D
fgilt, heißt
gerade, wenn f(x) = f( − x) für alle x ∈ D
f, ungerade, wenn f(x) = −f(−x) für alle x ∈ D
f. Graphisch äußern sich die Eigenschaften als
Spiegelsymmetrie bzgl. der y-Achse (gerade Funktionen), Punktsymmetrie am Ursprung (ungerade Funktionen).
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 163
Beispiele:
f (x) = | x | ist gerade (Bild links), g(x) = sin x ist ungerade (Bild rechts).
Sind die folgenden Funktionen gerade/ungerade?
f
1(x) = cos x, f
2(x) = x
5, f
3(x) = x
3+ 1, f
4(x) = x
2− 1.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 164
Periodische Funktionen Definition 3.7.
Eine reelle Funktion f : D
f→ W
fheißt periodisch, wenn es eine Zahl a > 0 gibt (“Periode“), so dass mit jedem x ∈ D
fauch x + a ∈ D
fgilt, und
f(x + a) = f(x) für x ∈ D
f. (1) Aus (1) folgt sofort, dass auch f(x + na) = f(x) für alle
x ∈ D
f, n ∈
N, gilt. Mita ist also gleichzeitig auch na Periode.
Im Falle der Existenz gibt man daher häufig die kleinste Periode a > 0
an, um das Verhalten der Funktion f möglichst gut zu beschreiben
(“primitive Periode“).
Graphische Darstellung:
Funktion mit primitiver Periode P
Bild: Oleg Alexandrov, Wikimedia Commons
Sind folgende Funktionen periodisch? Wenn ja, geben Sie eine Periode, wenn möglich die primitive Periode, an.
f
1(x) = cos(2x), f
2(x) = |x|, f
3(x) = sin x + cos x, f
4(x) = 42.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 166
3.2 Grenzwerte reeller Funktionen Betrachten wir folgende drei Funktionen:
f1(x) =x2, f2(x) = sin(1x) (x6= 0), f3(x) =1x(x6= 0).
Die Funktionen zeigen bei Annäherung der x-Werte an den Nullpunkt völlig verschiedenes Verhalten. Wir wollen ein mathematisches Instrument entwickeln, dies näher zu beschreiben.
Vorbereitend erarbeiten wir den Begriff des „Häufungspunkts “.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 167
Häufungspunkte Definition 3.8.
Eine Zahl ξ ∈
Rheißt Häufungspunkt der Menge M ⊂
R, wenn eseine Folge (x
n) mit Gliedern aus M gibt mit
x
n→ ξ für n → ∞ und x
n6 = ξ für alle n ∈
N. Einem Häufungspunkt kann man sich also innerhalb der Menge M beliebig weit nähern, ohne ihn selbst zu erreichen.
Ein Häufungspunkt kann selbst zur Menge gehören, muss es aber nicht.
M ξ 1
ξ 2
Beispiele
Die für uns relevanten Beispiele für M sind vor allem Intervalle.
Die Menge der Häufungspunkte des offenen Intervalls (a, b) ist zum Beispiel das abgeschlossene Intervall [a, b] (vgl. Skizze S. 168)
Man bestimme die Häufungspunkte der Mengen M
1= ( −∞ , 42), M
2= [a, b) und M
3= {
n1| n ∈
N} ⊂R.Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 169
Isolierte Punkte Definition 3.9.
Eine Zahl x ∈ M heißt isolierter Punkt der Menge M ⊂
R, wenn esein ε > 0 gibt, so dass (x − ε, x + ε) ∩ M = { x } gilt.
x 1 M x 2
Isolierte Punkte gehören also selbst zur Menge, haben aber zum Rest derselben einen positiven Abstand. Jeder Punkt y ∈ M (!) ist entweder Häufungspunkt oder isolierter Punkt von M.
Man bestimme, falls vorhanden, die isolierten Punkte der Mengen M
1= (a, b), M
2= {
1n| n ∈
N} ⊂R,N⊂
Rund
Q⊂
R.Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 170
Grenzwertbegriff
Nun können wir das Verhalten einer Funktion bei Annäherung an einen Häufungspunkt des Definitionsbereichs näher beschreiben.
Definition 3.10 (Grenzwert einer Funktion).
Sei f : D
f→
Reine reelle Funktion und ξ ∈
RHäufungspunkt des Definitionsbereichs D
f.
Die Zahl a heißt Grenzwert von f für x gegen ξ, wenn für alle Folgen (x
n) ⊂ D
fmit
x
n→ ξ für n → ∞ und x
n6 = ξ für alle n ∈
N(2) gilt:
f (x
n) → a für n → ∞ . Schreibweise: lim
x→ξ
f(x) = a oder f(x) →a für x → ξ.
Skizze zur Definition:
f
ξ a
f(ξ)
(xn) (f(xn))
a = lim x→ξ f (x)
Ergänzung:
Definition 3.10 lässt sich problemlos auf die Fälle x → ± ∞ und a = ±∞
erweitern. In letzterem Fall sprechen wir von bestimmter Divergenz.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 172
Beispiele
x
lim
→2x
2= 4, denn für jede Folge (x
n) mit x
n→ 2 gilt x
2n→4.
x
lim
→0 1x2
= + ∞, denn für alle Folgen (x
n) mit x
n→ 0 und x
n6 = 0 (n ∈
N) gilt x
2n> 0 und x
2n→ 0, d. h.
x12n
→ ∞.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 173
x→0
lim sin(
1x), existiert nicht. Beispielsweise gelten für x
n=
(n+11 2)πdie Beziehungen x
n→ 0 und sin(
x1n) = sin (n +
12)π
= ( − 1)
n.
Achtung: Das heißt nicht, dass keine konvergenten Folgen von Funktionswerten im Kontext von Definition 3.10 existieren.
Für x
n=
nπ1gelten z. B. x
n→ 0 und sin(
x1n) = sin nπ = 0 → 0.
Es reicht jedoch ein Gegenbeispiel, um die Konvergenz von f für
x → 0 auszuschließen.
Weitere Beispiele
Existieren folgende Grenzwerte? Wenn ja, bestimmen Sie sie.
x
lim
→−1(x
3+ 2x
2+ 1),
x
lim
→2 1 x2−4, lim
x→0 1 x2−4
,
x→0
lim
1 x
,
x
lim
→−1 x2−1x+1
.
Man skizziere die entsprechenden Funktionsgraphen.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 175
Einseitige Grenzwerte
Lässt man in Definition 3.10 in (2) nur Folgen mit x
n> ξ (bzw.
x
n< ξ) zu, so entsteht ein rechtsseitiger (linksseitiger) Grenzwert.
Schreibweise: Für den rechtsseitigen Grenzwert:
x→ξ+
lim f(x) = a oder f(x) → a für x → ξ + . bzw. für den linksseitigen Grenzwert:
x
lim
→ξ−f(x) = a oder f(x) → a für x → ξ − .
Dabei ist vorauszusetzen, dass ξ Häufungspunkt von D
f∩ (ξ, ∞ ) (bzw.
D
f∩ ( −∞ , ξ)) ist. Man muss sich dem Punkt ξ also von rechts (links) aus D
fheraus nähern können.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 176
Einseitige Grenzwerte sind damit gerade die Grenzwerte der auf D
f∩ (ξ, ∞ ) bzw. D
f∩ ( −∞ , ξ) eingeschränkten Funktion f.
f
ξ a
a= lim x→ξ+f(x)
b f
ξ
b= lim x→ξ−f(x)
Bei der Untersuchung auf einseitige Grenzwerte lässt man folglich jeweils
den im grau schraffierten Teil liegenden Teil der Funktion unbeachtet.
Beispiele
x
lim
→0+1
x
= + ∞, denn für jede Folge (x
n) mit x
n→ 0 mit x
n> 0 (n ∈
N) gilt
x1n→ + ∞,
x
lim
→0− 1x
= −∞, denn für jede Folge (x
n) mit x
n→ 0 mit x
n< 0 (n ∈
N) gilt
x1n→ − ∞,
x→2+
lim x
2= lim
x→2−
x
2= lim
x→2
x
2= 4.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 178
Weitere Beispiele
Existieren die folgenden einseitigen Grenzwerte? Wenn ja, wie lauten sie?
x
lim
→0+√1 x
,
x
lim
→0+| x |, lim
x→0−
| x |,
x→0+
lim
sgn(x),lim
x→0−sgn(x).
Dabei bezeichnet
sgn:
R→
Rdie Signum- oder Vorzeichenfunktion:
sgn(x) :=
−1, für x < 0;
0, für x = 0;
1, für x > 0.
Skizzieren Sie wieder die Funktionsgraphen.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 179
Zwischen dem Grenzwert und seinen einseitigen Versionen gilt folgende Beziehung:
Satz 3.11.
Sei f : D
f→
Rund ξ ein Häufungspunkt sowohl von D
f∩ (ξ, ∞) als auch von D
f∩ (−∞, ξ). Dann gilt:
Der Grenzwert lim
x→ξ
f (x) existiert genau dann, wenn die beiden Grenzwerte lim
x→ξ+
f(x) und lim
x→ξ−
f (x) existieren
undübereinstimmen.
Existiert lim
x→0
|x|, und was ergibt sich ggf. für ein Wert? Verwenden Sie
Satz 3.11 und die Ergebnisse aus dem Beispiel von S. 179.
Rechnen mit Grenzwerten
Da Grenzwerte von Funktionen auf Grenzwerte von Folgen
zurückführen, übertragen sich die Grenzwertsätze aus Abschnitt 2.2.
Satz 3.12 (Grenzwertsätze für reelle Funktionen).
Unter Voraussetzung der Existenz der betreffenden Grenzwerte gelten jeweils für x → ξ die Regeln:
lim(cf)(x) = c lim f(x) für alle c ∈
R,lim(f ± g)(x) = lim f (x) ± lim g(x), lim(f · g)(x) = (lim f(x)) · (lim g(x)) lim(
fg)(x) =
limlimg(x)f(x), falls lim g(x) 6 = 0, f ≤ g ⇒ lim f(x) ≤ lim g(x).
Hierbei ist auch ξ = ±∞ erlaubt. Für einseitige Grenzwerte gelten die Regeln analog.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 181
Mit den auf Seite 116 getroffenen Definitionen (∞ + ∞ = ∞,
∞ · ∞ = ∞ etc.) gelten die Aussagen von Satz 3.12 auch für den Fall bestimmter Divergenz.
Wie schon bei den Folgen muss aber darauf geachtet werden, dass keine unbestimmten Ausdrücke wie „
∞∞“ auftreten.
Bestimmen Sie (falls existent) folgende Grenzwerte:
x
lim
→2(x
3+ x),
x
lim
→∞(2x +
1x),
x
lim
→−1(cos(πx) +
xx+12−1),
x
lim
→0(x sin
1x),
Den Grenzwert für den Kosinusterm behandeln wir im Abschnitt Stetigkeit. Entnehmen Sie ihn vorerst der graphischen Darstellung.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 182
Sprungstellen Definition 3.13.
Existieren zu einer reellen Funktion die beiden Grenzwerte lim
x→ξ+
f(x) und lim
x→ξ−
f (x), und sind sie endlich aber verschieden, so nennt man ξ eine Sprungstelle von f.
f
ξ
Ein bemerkenswertes Ergebnis gilt nun für monotone Funktionen:
Satz 3.14.
Seien I = (a, b) ein Intervall, f : I →R monoton auf I und ξ ∈ I . Dann existieren lim
x→ξ−f(x) und lim
x→ξ+f(x) und es gelten
−∞ < lim
x→ξ−
f (x) ≤ f(ξ) ≤ lim
x→ξ+
f(x) < ∞, wenn f monoton wachsend ist, und
∞ > lim
x→ξ−
f(x) ≥ f(ξ) ≥ lim
x→ξ+
f(x) > −∞ , wenn f monoton fallend ist.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 184
Unendlichkeitsstellen
Gilt für eine reelle Funktion f mindestens eine der Beziehungen
x→ξ+
lim f(x) = ±∞ oder lim
x→ξ−
f(x) ± ∞, so nennt man ξ eine Unendlichkeitsstelle von f.
Vor allem bei rationalen Funktionen f(x) =
p(x)q(x), wobei p und q Polynome sind, spricht man auch von Polstellen.
f(x) =1x(links) g(x) =x12 (rechts)
Achtung: Der Sprachgebrauch in der Literatur ist, was Unendlichkeits- und Polstellen betrifft, nicht einheitlich.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 185
3.3 Stetigkeit
In vielen naturwissenschaftlichen Modellen führen kleine Änderungen an den Daten (z. B. durch Rundungs-/Messfehler) auch nur zu kleinen Änderungen in den Ergebnissen nach Anwendung des Modells.
Mathematisch wird dieser Zusammenhang durch das Konzept der Stetigkeit erfasst.
Dieses geht auf Augustin Louis Cauchy (1789-1857) und Bernard
Bolzano (1781-1848) zurück und wurde später von Karl Weierstraß
(1815-1897) präzisiert (v.l.n.r.).
Definition 3.15 (Stetigkeit).
Eine reelle Funktion f : D
f→
Rheißt stetig an der Stelle ξ ∈ D
f, wenn für alle Folgen (x
n) ⊂ D
fmit x
n→ ξ die Folge der zugehörigen Funktionswerte konvergiert mit f(x
n) → f(ξ).
f heißt stetig in M ⊆ D
f, wenn f an jeder Stelle ξ ∈ M stetig ist.
Als Abgrenzung zum Grenzwertbegriff (Def. 3.10) beachte man, dass hier ξ ∈ D
fgelten muss, und auch Folgenglieder mit x
n= ξ zugelassen sind.
Beispiel
Die Funktion f(x) = x
2ist stetig an der Stelle ξ = 2, denn für jede Folge (x
n) mit x
n→ 2 gilt: f(x
n) = x
2n→ 4 = f (2).
Die Funktion f(x) = x
2ist sogar stetig auf ganz
R, denn fürbeliebiges (festes) ξ ∈
Rund jede Folge (x
n) mit x
n→ ξ gilt:
f (x
n) = x
2n→ ξ
2= f(ξ).
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 187
Ein sorgfältiger Vergleich der Definitionen 3.15 und 3.10 liefert folgenden Zusammenhang zwischen Stetigkeit und Grenzwert:
Satz 3.16.
Sei f : D
f→
Reine reelle Funktion und ξ ∈ D
fein Häufungspunkt
∗von D
f. Dann gilt:
f ist stetig in ξ ⇔ lim
x→ξ
f(x) = f(ξ). (3) Der Grenzwert von f für x → ξ muss also mit dem Funktionswert an der Stelle ξ übereinstimmen.
∗Anmerkung:
In isolierten Punkten des Definitionsbereichs sind Funktionen dagegenimmerstetig.
Für die Praxis ist dies jedoch belanglos.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 188
In der Praxis verwendet man zum Testen auf Stetigkeit statt (3) auch häufig die Beziehung
x
lim
→ξ−f(x) = f(ξ) = lim
x→ξ+
f(x) die durch Kombination von (3) mit Satz 3.11 entsteht.
Man untersuche die Funktion f(x) = | x | auf Stetigkeit im Punkt ξ = 0. Was lässt sich über die Stetigkeit von f auf
Rsagen?
Für welche Wahl des Parameters α ∈
Rist die folgende Funktion stetig?
f(x) =
1 + αx, für x < 0;
x
2+ α
2, für x ≥ 0.
ε-δ-“Definition“
Häufig wird die Stetigkeit auch über eine zu Definition 3.15 äquivalente Aussage eingeführt:
Satz 3.17 (ε-δ-Version der Stetigkeit).
Eine reelle Funktion f : D
f→
Rist genau dann stetig in ξ ∈ D
f, wenn zu jedem ε > 0 ein δ > 0 existiert, so dass
x ∈ D
fund | x − ξ | < δ ⇒ | f(x) − f(ξ) | < ε.
Für konkrete Rechnungen sind Definition 3.15 oder Satz 3.16 häufig bequemer (überzeugen Sie sich am Beispiel von S. 187 selbst).
Allerdings vermittelt uns Satz 3.17 die bessere Vorstellung, was Stetigkeit bedeutet.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 190
Graphische und sprachliche Interpretation
f(ξ) f(ξ) +ε f(ξ)−ε
ξ ξ+δ ξ−δ
f
(Hinreichend) kleine Änderungen an den Argumenten führen zu (beliebig) kleinen Änderungen an den Funktionswerten.
Die Funktionswerte lassen sich durch hinreichend feines “Justieren“
der Argumente beliebig fein “einstellen“.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 191
Eine weitere anschauliche Interpretation
Der Graph einer auf einem Intervall stetigen Funktion bildet eine zusammenhängende Kurve. (Achtung: Zusammenhang mathematisch zu definieren ist gar nicht so einfach!)
Daher wird manchmal salopp geschrieben, dass man Funktionsgraphen stetiger Funktionen zeichnen kann, “ohne den Stift abzusetzen“.
Dies ist unmathematisch, unsauber (es gibt zusammenhängende Kurven, die man nicht zeichnen kann, vgl. Bild rechts), und erfasst auch nicht das gesamte Wesen der Stetigkeit.
Trotzdem liefert es uns eine relativ gute Vorstellung.
f(x) = sinx.
g(x) =
xsin(1x), x6= 0;
0, x= 0.
Stetigkeit als Alltagserfahrung
Lösen Sie sich einen kleinen Moment vom abstrakt-mathematischen Kontext. Welche Vorgänge/Abhängigkeiten von Messgrößen assoziieren Sie mit stetigen Funktionen und welche nicht?
Höhe über dem Meeresspiegel beim Gehen vom Hörsaal Winklerstraße zum Freiberger Obermarkt,
Höhe über dem Meeresspiegel beim Gehen über den Rand des Grand Canyons mit verbundenen Augen,
Lautstärke beim Einschalten einer Stereoanlage, abhängig von der Voreinstellung des Lautstärkereglers,
Geschmack von Pasta in Abhängigkeit von Kochdauer, Meeresspiegelhöhe und/oder verwendeter Menge Salz.
Gehen Sie in allen Fällen von stufenlosen Bewertungen der Messungen aus (z. B. stufenlose Notenbewertung des Geschmacks)
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 193
Eigenschaften stetiger Funktionen
Der folgende Satz ergibt sich durch Kombination der Grenzwertsätze für Funktionen (Satz 3.12) mit Definition 3.15.
Satz 3.18.
Sind f, g stetig in ξ, dann sind auch f + g, f − g, f · g stetig in ξ.
Gilt g(ξ) 6 = 0, dann ist auch f /g stetig in ξ.
Ist f stetig in ξ und ist g stetig in f(ξ), so ist g ◦ f stetig in ξ.
Beispiel:
Die Funktionen f
1(x) = x
2, f
2(x) = | x | und f
3(x) = 42 sind auf
Rstetig.
Daher sind beispielsweise auch g
1(x) = 42 · |x| · x
2, g
2(x) =
421|x| + x
2und g
3(x) = x
6stetig auf
R.Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 194
Stetigkeit der Umkehrfunktion und Zwischenwertsatz Satz 3.19.
Sei f : I →
Reine stetige Funktion auf dem Intervall I, so ist f(I) ebenfalls ein Intervall. Ist f zudem streng monoton, so existiert die Umkehrfunktion f
−1: f(I ) → I und ist ebenfalls stetig.
Da das Bild eines Intervalls unter einer stetigen Funktion nach Satz 3.19 wieder ein Intervall ist, folgt:
Satz 3.20 (Zwischenwertsatz).
Ist f : [a, b] →R stetig, dann gibt es zu jedem w, das zwischen f(a) und f(b) liegt, ein z ∈ [a, b] mit f (z) = w.
Anders ausgedrückt: Eine stetige Funktion f : [a, b] →
Rnimmt jeden
Wert zwischen f(a) und f (b) an.
Ein Spezialfall von Satz 3.20 ist:
Folgerung 3.21 (Nullstellensatz).
Ist f : [a, b] →R stetig, und gilt f(a) > 0 und f(b) < 0 (bzw.
f(a) < 0 und f(b) > 0), so hat f mindestens eine Nullstelle in (a, b).
Visualisierungen
f
a b
f(a) f(b)
w
z
f
a f(a) b f(b)
Zwischenwertsatz Nullstellensatz
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 196
Exkurs: Intervallhalbierungsverfahren
Sei f : [a, b] →
Rstetig mit f(a)f(b) < 0 (verschiedenes Vorzeichen).
Nach dem Nullstellensatz gibt es in (a, b) eine Nullstelle z von f.
Algorithmus:
Setze a
1= a und b
1= b.
Für n = 1, 2, . . . h = (a
n+ b
n)/2.
Ist f(h) = 0, so haben wir eine Nullstelle von f gefunden.
Ist f(h)f(a
n) > 0, setze a
n+1= h, b
n+1= b
n. Ist f(h)f(a
n) < 0, setze a
n+1= a
n, b
n+1= h.
Die entstehenden Folgen (a
n) und (b
n) konvergieren gegen einen gemeinsamen Grenzwert z, der eine Nullstelle von f ist.
Überlegen Sie sich, warum das so ist.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 197
Beispiel
Gesucht ist eine Lösung der Gleichung − x = e
x, d. h. eine Nullstelle von f(x) = x + e
x. Eine Lösung durch Umstellen von f(x) = 0 nach x ist für diese Funktion unmöglich.
Wir verwenden das Intervallhalbierungsverfahren. Da f(0) = 1 und f( − 1) = − 0.6321 . . . ist, können wir mit a = − 1 und b = 0 starten.
Natürlich wird man das Verfahren auf einem Rechner implementieren.
Ergebnisse:
n an bn bn−an
1 −1 0 1
2 −1 −0.5 12= 0.5
... ... ... ...
11 −0.56738281. . . −0.56640625 2110 ≈9.77·10−4
... ... ... ...
21 −0.56714344. . . −0.56714248. . . 2120 ≈9.54·10−7
Extremalwerte stetiger Funktionen Satz 3.22.
Ist f : [a, b] →R stetig, dann gibt es
ein x
max∈ [a, b] mit f(x
max) ≥ f(x) für alle x ∈ [a, b]
ein x
min∈ [a, b] mit f(x
min) ≤ f(x) für alle x ∈ [a, b].
Anders ausgedrückt: Jede auf [a, b] stetige Funktion nimmt auf [a, b]
Maximum und Minimum an.
Vorsicht: Die Aussage wird falsch, wenn der Definitionsbereich von f nicht abgeschlossen oder unbeschränkt ist.
An welchen Stellen nimmt die Funktion f : [−2, 4] →
R, f(x) = x
2Maximum und Minimum an? Wie ändert sich die Situation, wenn man f stattdessen auf ( − 2, 4), ( − 2, 4] oder [ − 2, 4) betrachtet?
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 199
Unstetigkeitsstellen
Eine Stelle ξ ∈ D
f, an der eine Funktion f : D
f→
Rnicht stetig ist, heißt Unstetigkeitsstelle von f.
Handelt es sich dagegen bei ξ um eine Definitionslücke, kann man lediglich über stetige Fortsetzbarkeit von f entscheiden.
Beispiel:
f :
R\ { 0 } →
R, f (x) =
1x, ist auf dem ganzen Definitionsbereich stetig, aber in 0 nicht stetig fortsetzbar.
f :
R→
R, f(x) =
1x
, (x 6= 0);
42, (x = 0). ist dagegen unstetig in 0 und sonst stetig.
Achtung: In der Literatur werden die Begriffe “unstetig“ und “nicht stetig fortsetzbar“ manchmal unschön vermengt.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 200
Typische Vertreter von Unstetigkeitsstellen
Sprungstellen: u. a. Vorkommen bei Ein- und Ausschaltvorgängen oder Modellierung von Materialparametern an Materialgrenzen, Unendlichkeitsstellen/Pole: u. a. Vorkommen bei der Beschreibung von Kräften und deren Potentialen, bspw. bei Gravitations- und Coulomb-Kraft (F (r) = c
1r
−2, V (r) = c
2r
−1).
(Dies sind jedoch keineswegs die einzigen Arten von Unstetigkeiten.)
Regel: Tritt in einem mathematischen Modell eine Unstetigkeit (oder
fehlende stetige Fortsetzbarkeit) auf, sollte sich auch der Anwender
immer Gedanken über eventuelle Auswirkungen machen.
3.4 Elementare Funktionen
Wir stellen mit diesem Abschnitt ein Standardrepertoire von Funktionen zur Verfügung, die in Mathematik und Naturwissenschaften häufig benötigt werden.
Bei all diesen Beispielen handelt es sich um stetige Funktionen.
3.4.1 Polynome Eine Funktion der Form
x 7→ f(x) = a
0+ a
1x + a
2x
2+ · · · + a
n−1x
n−1+ a
nx
n, a
0, a
1, . . . , a
n−1, a
n∈
R,a
n6 = 0, heißt ganzrational oder Polynom. Die Zahlen a
iheißen Koeffizienten von f , die Zahl n heißt Grad von f.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 202
Lineare Funktionen Polynome vom Grad 1,
f(x) = a
0+ a
1x,
heißen (affin) lineare Funktionen. Der Graph von f ist eine Gerade durch (0, a
0) mit Anstieg a
1.
In Vorbereitung auf die Differentialrechnung bemerken wir:
Zu gegebenem Punkt (x
0, f(x
0)) und Anstieg a
1erhält man die lineare Funktion
f (x) = f(x
0) + a
1(x − x
0).
Durch zwei verschiedene gegebene Punkte (x
0, f (x
0)) und (x
1, f (x
1)) “führt“ die lineare Funktion
f(x) = f(x
0) + f(x
1) − f(x
0)
x
1− x
0(x − x
0).
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 203
Quadratische Funktionen Polynome vom Grad 2,
f(x) = a
0+ a
1x + a
2x
2= a
2
x + a
12a
22
+
a
0− a
214a
2
, heißen quadratische Funktionen.
Sie besitzen als Graph eine Parabel mit Scheitel (x
0, y
0), x
0= − a
12a
2, y
0= a
0− a
214a
2,
die für a
2> 0 nach oben und für a
2< 0 nach unten offen ist.
Lineare und quadratische Funktionen wurden intensiv in Vorkurs und
Schule behandelt. Schließen Sie evtl. Lücken selbständig.
Nullstellen
Nach dem Fundamentalsatz der Algebra (Sätze 1.26/29) existiert zu einem Polynom vom Grad n eine Faktorisierung
f(x) = a
nYk j=1
(x − λ
j)
µj Ym j=1x
2+ p
jx + q
jνj
, (4)
wobei
Pkj=1
µ
j+ 2
Pmj=1
ν
j= n. Die quadratischen Faktoren besitzen keine reellen Nullstellen, und die Ausdrücke in den Klammern sind paarweise verschieden.
Die Zahlen λ
jsind gerade die Nullstellen von f. Die Zahl µ
jheißt Vielfachheit der Nullstelle λ
j.
Jedes Polynom von ungeradem Grad besitzt somit mindestens eine Nullstelle. Ein Polynom vom Grad n besitzt höchstens n Nullstellen.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 205
Verhalten im Unendlichen
Ist der Grad von f größer als 0, so gilt
x
lim
→∞f (x) =
∞, falls a
n> 0,
−∞, falls a
n< 0 sowie
x→−∞
lim f(x) =
∞ , falls n gerade und a
n> 0 oder falls n ungerade und a
n< 0,
−∞, falls n ungerade und a
n> 0 oder falls n gerade und a
n< 0.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 206
3.4.2 Rationale Funktionen
Eine Funktion der Form
f(x) = a
0+ a
1x + · · · + a
mx
mb
0+ b
1x + · · · + b
nx
n= p
m(x)
q
n(x) (5)
(mit a
m6 = 0, b
n6 = 0) heißt (gebrochen) rationale Funktion.
p
m(x) = a
0+ a
1x + · · · + a
mx
mheißt Zählerpolynom von f, q
n(x) = b
0+ b
1x + · · · + b
nx
nheißt Nennerpolynom von f.
Rationale Funktionen sind bis auf die Nullstellen des Nennerpolynoms q
n(Pole, Lücken) überall definiert.
Null- und Polstellen
Wir setzen im weiteren voraus, dass Zählerpolynom p und Nennerpolynom q keine gemeinsamen Nullstellen haben
∗. Die Nullstellen von f stimmen dann mit den Nullstellen des Zählerpolynoms p überein.
Ist x
0∈ D
feine Nullstelle (mit Vielfachheit k) des Nennerpolynoms q, so heißt x
0Pol (k-ter Ordnung) von f. Es gilt
x→
lim
x0| f(x) | = ∞.
Dabei hat f bei x
0einen Vorzeichenwechsel, wenn k ungerade ist, keinen Vorzeichenwechsel, wenn k gerade ist.
∗)Andernfalls kann man die betreffenden Linearfaktoren kürzen und “füllt“ ggf.
die Definitionslücke “auf“. Betrachte z. B.f(x) =xx2−−11=(x−1)(x+1)x−1 =x+ 1.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 208
Interpretieren Sie das folgende Schaubild der Funktion f(x) = 5x
2− 37x + 54
x
3− 6x
2+ 9x = 5(x − 2)(x − 27/5) x(x − 3)
2im Hinblick auf die gewonnenen Erkenntnisse über Null- und Polstellen.
−8 −4 0 4 8
−8
−4 0 4 8
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 209
Verhalten im Unendlichen
Seien m der Grad des Zählerpolynoms p und n der Grad des Nennerpolynoms q. Dann gilt mit a
m, b
naus (5):
x→−∞
lim f(x) = lim
x→∞
f(x) =
0, falls m < n, a
m/b
n, falls m = n.
Falls m ≥ n, so gibt es Polynome s und t mit grad(s) = m − n und grad(t) < n, so dass
f(x) = p(x)
q(x) = s(x) + t(x)
q(x) . (6)
Insbesondere gilt für m > n, dass
x→−∞
lim |f(x) − s(x)| = lim
x→∞
|f (x) − s(x)| = 0.
Man sagt, s ist Asymptote von f für | x | → ∞; die Graphen von f und s
kommen sich im Unendlichen beliebig nahe.
Interpretieren Sie das folgende Schaubild (blau) der Funktion f(x) = x
3− x
2+ 5
5x − 5 = 1
5 x
2+ 1 x − 1
im Hinblick auf die Asymptotik im Unendlichen und an den Polen.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 211
Exkurs: Polynomdivision/Euklidscher Algorithmus
Die Polynome s und t in (6) können mit dem Euklidschen Algorithmus berechnet werden. Diesen lernt man am besten am Beispiel:
(3x
4+ 7x
3+ x
2+ 5x + 1) : (x
2+ 1) = 3x
2+ 7x − 2 3x
4+ 3x
27x
3− 2x
2+ 5x + 1
7x
3+ 7x
− 2x
2− 2x + 1
− 2x
2− 2
− 2x + 3 Ergebnis:
3x
4+ 7x
3+ x
2+ 5x + 1
x
2+ 1 = (3x
2+ 7x − 2) + − 2x + 3 x
2+ 1 . Allerdings sind in modernen Zeiten auch Computeralgebrasysteme (CAS) für solche Zwecke zuverlässige und empfehlenswerte Helfer.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 212
3.4.3 Wurzel- und Potenzfunktionen
Für alle n ∈
Nist die Potenzfunktion f(x) = x
neine bijektive Abbildung von [0, ∞ ) auf [0, ∞ ). Ihre Umkehrfunktion
g : [0, ∞ ) → [0, ∞ ), x 7→ √
nx = x
1/n, heißt n-te Wurzel von x.
Für n ∈
Ndefinieren wir
x
−n:= 1
x
n(x 6 = 0).
Allgemeiner erhalten wir Potenzfunktionen mit rationalem Exponenten über
g : [0, ∞ ) → [0, ∞ ), x 7→ √
nx
m=: x
m/n(m ∈
Z, n ∈
N).
Wie man die Funktion x 7→ x
rfür beliebiges reelles r erklärt, werden wir
im nächsten Abschnitt erfahren.
Graphische Darstellung
0 1 2 3 4
0 1 2 3 4
x3
x2.5 x2
x1/2 x2/5 x1/3
Dargestellt sind einige Potenzfunktionen mit den zugehörigen Umkehrungen (jeweils gleiche Farbe).
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 214
3.4.4 Exponential- und Logarithmusfunktionen Die Exponentialfunktion ist durch
f :
R→
R, x 7→
X∞ n=0
x
nn!
definiert und wird mit f(x) = e
xoder f(x) = exp(x) bezeichnet.
Wichtigste Eigenschaften:
e
x+y= e
xe
y, (e
x)
y= e
xyfür alle x, y ∈
R,e
x> 0 für alle x ∈
R,f (x) = e
xist streng monoton wachsend auf
R,x
lim
→∞e
x= ∞ und lim
x→−∞
e
x= 0.
Die Exponentialfunktion spielt eine zentrale Rolle in Wachstums- modellen und bei der Lösung linearer Differentialgleichungen.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 215
Die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion ln : (0, ∞ ) →R , x 7→ ln(x),
heißt natürlicher Logarithmus oder Logarithmus zur Basis e.
Wichtigste Eigenschaften:
ln(e
x) = x (für x ∈
R)und e
ln(x)= x (für x > 0), ln(x) ≥ 0 für x ≥ 1 und ln(x) < 0 für 0 < x < 1, ln(xy) = ln(x) + ln(y), ln(x
y) = y ln(x),
x 7→ ln(x) ist streng monoton wachsend auf
R,x
lim
→∞ln(x) = ∞, lim
x→0+
ln(x) = −∞.
Logarithmen werden häufig benutzt, wenn Beobachtungsgrößen über
viele Größenordnungen variieren. (Schalldruckpegel, pH-Wert,
Richter-Skala, Leuchtstärke, Sternhelligkeiten, . . . )
Beispiel: Hertzsprung-Russell-Diagramm
Dargestellt ist der Logarithmus der Leuchtkraft über dem B-V- Farbindex.
Unten: Farb- und Größenvergleich für Hauptreihensterne.
Bilder: Richard Powell und Kieff, Wikimedia Commons
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 217
Graphische Darstellung
von Exponentialfunktion (blau) und natürlichem Logarithmus (rot)
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 218
Potenzen mit reellem Exponenten Für a > 0 und b ∈
Rdefinieren wir nun
a
r:= e
rln(a). (7)
Damit können wir die Potenzfunktion
f : (0, ∞ ) →
R, x 7→ x
r:= e
rln(x),
für beliebige reelle Exponenten r erklären. Desweiteren eröffnet sich die Möglichkeit, Funktionen vom Typ
f(x) = a
x(a > 0) zu definieren.
Machen Sie sich klar, dass Definition (7) für rationale r mit der bereits
bekannten übereinstimmt.
(Allgemeine) Exponentialfunktion Für a > 0, a 6= 1, ist
f :
R→ (0, ∞ ), x 7→ a
x:= e
xln(a),
die allgemeine Exponentialfunktion oder Exponentialfunktion zu Basis a.
Aus den Eigenschaften der Exponentialfunktion ergeben sich:
a
x+y= a
xa
y, (a
x)
y= a
xy, (ab)
x= a
xb
x, a
x> 0,
x 7→ a
xist auf
Rstreng monoton wachsend, falls a > 1, x 7→ a
xist auf
Rstreng monoton fallend, falls 0 < a < 1,
x→∞
lim a
x= ∞, lim
x→−∞
a
x= 0 (wenn a > 1),
x
lim
→∞a
x= 0, lim
x→−∞
a
x= ∞ (wenn 0 < a < 1).
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 220
Logarithmen
Die Umkehrfunktion von f(x) = a
xheißt Logarithmus zur Basis
a:log
a: (0, ∞ ) →
R, x 7→ log
a(x),
Für a = 10 schreibt man oft lg(x), für a = e (siehe oben) ln(x) und für a = 2 auch ld(x).
Es gelten
log
a(x) = ln(x)/ ln(a) (x > 0),
log
a(xy) = log
a(x) + log
a(y), log
a(x
y) = y log
a(x), x 7→ log
a(x) ist streng monoton wachsend für a > 1,
x
lim
→∞log
a(x) = ∞ für a > 1,
x
lim
→0+log
a(x) = −∞ für a > 1.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 221
Graphische Darstellung
−2 −1 0 1 2
−2
−1 0 1 2 4x ex 2x
log4(x) ln(x) log2(x)
Dargestellt sind Exponentialfunktionen zu verschiedenen Basen mit den
zugehörigen Umkehrungen (jeweils gleiche Farbe).
3.4.5 Trigonometrische Funktionen und Arkusfunktionen
Bei der sauberen analytischen Definition der Sinus- und Kosinusfunktion geht der Mathematiker wie folgt vor:
Erweitere den Definitionsbereich der Exponentialfunktion auf komplexe Zahlen:
exp :
C→C, exp(z) =
X∞ n=0z
nn!
Definiere Sinus und Kosinus gemäß
sin :
R→ [0, 1], sin(x) =
Im(e
ix),
cos :
R→ [0, 1], cos(x) =
Re(e
ix). (8) Damit ergeben sich unmittelbar auch Reihendarstellungen zu Sinus und Kosinus, doch dazu später.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 223
Zeigt man nun noch, dass e
iϕfür ϕ ∈
Rin der auf S. 71 beschriebenen Weise auf dem Einheitskreis liegt (kein leichtes Unterfangen!), so erhält man die gewohnte Darstellung am Einheitskreis.
1 1
cosϕ
sinϕ eiϕ
0
ϕ ϕ
Für die meisten Zwecke ist diese Vorstellung ausreichend. Durch Skalieren erhält man die klassischen Winkelbeziehungen im rechtwinkligen Dreieck.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 224
Eigenschaften von Sinus und Kosinus
sin(x + 2π) = sin(x), cos(x + 2π) = cos(x), d. h. Sinus und Kosinus sind 2π-periodisch, sin(−x) = − sin(x), cos(−x) = cos(x), d. h. der Sinus ist ungerade, der Kosinus gerade, sin(x) = cos(x − π/2) und cos(x) = sin(x + π/2), d. h. die Graphen sind um π/2 gegeneinander verschoben, sin
2(x) + cos
2(x) = 1 (Satz des Pythagoras),
sin(x) = 0 ⇔ x = kπ mit k ∈
Zund cos(x) = 0 ⇔ x = (k + 0.5)π mit k ∈
Z,sin(x) ist auf [ − π/2, π/2] streng monoton wachsend und cos(x) ist auf [0, π] streng monoton fallend.
Desweiteren gelten die in Abschnitt 1.6 (S. 77) kennengelernten
Additionstheoreme und Mehrfachwinkelformeln.
Markante Funktionswerte
Es ist empfehlenswert, sich wenigstens einige Funktionswerte für Sinus und Kosinus einzuprägen:
0/0
◦ π6/30
◦ π4/45
◦ π3/60
◦ π2/90
◦sin x 0
12 √22 √231
cos x 1
√23 √22 120
Aufgrund von Periodizität, Symmetrien usw. kann man daraus auf eine Reihe weiterer Werte schließen. Zum Beispiel ist
sin 2π 3 = sin π
3 =
√ 3 2 .
Achten Sie bei Verwendung des Taschenrechners auf korrekte Einstellungen des Winkelmaßes. Wir verwenden – sofern nicht anders gekennzeichnet – immer Radiant.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 226
Graphische Darstellung
−1 0 1
−1 0 1
−2π −π 0 π 2π
−2π −π 0 π 2π
Sinus
Kosinus
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 227
Tangens und Kotangens
Der Tangens von x ist definiert durch f :
R\
k +
12π : k ∈
Z→
R, x 7→ tan(x) := sin(x) cos(x) . Der Kotangens von x ist definiert durch
f :
R\ { kπ : k ∈
Z} →R, x 7→ cot(x) := cos(x) sin(x) . Im Gebrauch ist vor allem der Tangens.
Wichtige Eigenschaften:
tan und cot sind π-periodische Funktionen,
tan( − x) = − tan(x) und cot( − x) = − cot(x), d. h. beide Funktionen sind ungerade,
tan ist auf (−π/2, π/2) streng monoton wachsend und
cot ist auf (0, π) streng monoton fallend.
Graphische Darstellung
−4
−2 0 2 4
−2π −π 0 π 2π
Tangens Kotangens
−1 0 1
−1 0
1 cot(x)
cos(x) sin(x)
x tan(x)
Dargestellt sind die Graphen von Tangens und Kotangens sowie die graphische Interpretation am Einheitskreis.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 229
Arkusfunktionen
Die Umkehrfunktionen der trigonometrischen Funktionen nennt man Arkusfunktionen.
Da die trigonometrischen Funktionen auf
Rnicht bijektiv sind, muss man Einschränkungen auf bestimmte Intervalle betrachten.
Man schränkt Kosinus und Kotangens auf [0, π] sowie Sinus und Tangens auf
−
π2,
π2ein, und erhält die Umkehrfunktionen
arcsin : [−1,1]→−π2,π2
, y= arcsin(x) :⇔ x= siny, y∈[−π2,π2], arccos : [−1,1]→[0, π], y= arccos(x) :⇔ x= cosy, y∈[0, π], arctan : R→
−π2,π2
, y= arctan(x) :⇔ x= tany, y∈[−π2,π2], arccot: R→[0, π], y=arccot(x) :⇔ x= coty, y∈[0, π].
mit Namen Arkussinus, Arkuscosinus, Arkustangens und Arkuskotangens.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 230
Graphische Darstellung
−1 0 1
−π/2 0 π/2 π
arcsin arccos
−4 −2 0 2 4
π
π/2
0
−π/2 arctan arccot
Graphen sämtlicher Arkusfunktionen.
3.4.6 Hyperbel- und Areafunktionen Die Funktionen
f :
R→
R, x 7→ sinh(x) := 1
2 e
x− e
−x, f :
R→
R, x7→ cosh(x) := 1
2 e
x+ e
−x, f :
R→
R, x 7→ tanh(x) := e
x− e
−xe
x+ e
−x= sinh(x) cosh(x) heißen Sinus hyperbolicus, Kosinus hyperbolicus und Tangens hyperbolicus.
Ihre Umkehrfunktionen heißen Areasinus, Areakosinus und Areatangens.
(cosh muss dafür auf [0, ∞ ) eingeschränkt werden.)
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 232
Graphische Darstellung
Bild: Wikimedia Commons, Geek3
Beachten Sie die sich aus den Definitionen ergebende Asymptotik.
Hyperbelfunktionen werden mitunter bei der Lösung von Differentialgleichungen benötigt.
U. a. kann ein durchhängendes Seil über den Kosinus hyperbolicus beschrieben werden.
Reelle Funktionen TU Bergakademie Freiberg 233