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kunststadt stadtkunst 58

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INFORMATIONSDIENST des kulturwerks des bbk berlin 2011

kunststadt 58

stadtkunst

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kunststadt stadtkunst 58

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as Öffentliche und die Demokratie haben an Interesse gewonnen. Vor dem Hintergrund von Privatisierungen öffentlichen Eigentums, in Anbetracht der katastrophalen Lage der öffentlichen Haushalte und der desaströsen Folgen der Kommerzialisierung des öffentlichen Verkehrswesens mischt sich die Öf- fentlichkeit verstärkt in ihre Belange ein und fordert Transparenz und Mitspra- che. Denn wer „Alternativlosigkeiten“ sät, wird Widerstand ernten! Die Teilhabe an Entwicklungs- und Entscheidungsprozessen konkretisiert sich in Bürgerbe- gehren und Abstimmungen, das Prinzip der „direkten Demokratie“ gewinnt vor allem auf kommunaler Ebene an Gewicht. Ist das gegenwärtige Interesse an dem Öffentlichen also ein später Triumph für Joseph Beuys, der bereits 1971 eine

„Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“ gründete und dessen Anhänger auch heute noch mit dem „Omnibus für direkte Demokratie in Deutschland“ unterwegs sind?

Für die Kunst kann eine Volksabstimmung verhängnisvoll sein:

35,5 Prozent der Stadtzüricher Stimmberechtigten sprachen sich am 26. Sep- tember 2010 mehrheitlich gegen eine Finanzierung des Projektes von Thomas De- mand (Berlin) und Caruso St John Architects (London) auf dem Züricher Escher- Wyss-Platz aus. Die Künstler wollten den unwirtlichen, von einer Stadtautobahn zerschnittenen Platz mit einer Rekonstruktion jenes berühmten „Nagelhauses“

aus der chinesischen Metropole Chongqinq beleben, das zum Symbol für den Wi- derstand gegen Korruption und brutale Baupolitik geworden ist. Darin wollten sie einen Kiosk, eine öffentliche Toilette und einen Imbiss unterbringen. Gegen dieses Projekt, das aus einem Kunstwettbewerb hervorgegangen war, mobilisier- te die Schweizerische Volkspartei (SVP) und skandalisierte die Verausgabung der öffentlichen Gelder, die die Stadt Zürich bereits bewilligt hatte. Dumpfe Vorur- teile gegenüber zeitgenössischer Kunst und Unwissen hatten Erfolg! Nach der Abstimmung konnte das Projekt zu den Akten gelegt werden.

Auch in der ostwestfälischen Kleinstadt Herford gingen die Bürger gegen ein Kunstprojekt für den öffentlichen Raum vor. Am 13. Juni 2010 stimmten sie über die großformatigen „Safety Cones“ des amerikanischen Künstlers Dennis Op- penheim (1938-2011) ab, die an einer Verkehrskreuzung an ein früheres Stadttor erinnern sollten. Doch diese von der FDP losgetretene Anti-Kunst-Kampagne fand mit nur 16,9 Prozent der Stimmberechtigten zu wenig Interesse, so dass das Begehren mangels Beteiligung scheiterte. Immerhin hatten sich 68 Prozent der Abstimmenden gegen das Kunst-Projekt ausgesprochen.

Während in Zürich ein Wettbewerbsergebnis mittels „direkter Demokratie“

gekippt wurde, konnte in Herford das von Jan Hoet erdachte, beauftragte und mittels privater Sponsoren finanzierte Projekt dank öffentlichen Desinteresses schließlich doch realisiert werden.

So zweifelhaft Volkes Stimme in der Entscheidung über Kunst sein kann, so verweisen die zwei Beispiele aus dem Jahr 2010 auf ein Bedürfnis von öffent- licher Information. In öffentlichen Wettbewerbsverfahren wirken qualifizierte Preisgerichte und mit Stimmenmehrheit der Fachpreisrichter (Künstler, Kunst- sachverständige) stellvertretend für den öffentlichen Auftraggeber. Vor allem wenn es um den öffentlichen Raum geht, dann können Vermittlungsangebote, Formen der Mitsprache und Partizipation in der Meinungsbildung im Vorfeld einer Juryentscheidung, entsprechende Methoden sein. Eine solche beratende Bürgerbeteiligung wird bereits vielfach praktiziert. Das „gesunde Volksemp- finden“ sollte aber für die Kunst im öffentlichen Raum kein Richtmaß sein und kann deshalb ein nach den geltenden Richtlinien des Wettbewerbswesens zu- sammen gesetztes Preisgericht nicht ersetzen. Es sollte vor allem auch nicht eine Preisgerichtsempfehlung revidieren.

In der aktuellen gesellschaftlichen Situation, in der die Mehrheit der Bevöl- kerung von politischen Entscheidungen ausgeschlossen bleibt und sich immer mehr Bürger von den Wahlen abwenden, können auch Volksabstimmungen ein grundlegendes Demokratie- und Mitbestimmungsdefizit nicht ersetzen. Bei Volksabstimmungen kommt es darauf an, ob sie Ausdruck einer vorangegange- nen Debatte sind und einer Wiederaneignung von gesellschaftlichen Belangen entsprechen, wie z.B. bei der Berliner Abstimmung über die Wasserversorgung.

Bei der Kunst stoßen Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie an die Gren- zen der gestalterischen Freiheit, die es als ein zentrales Gut unserer modernen Gesellschaft zu bewahren gilt. Die Beteiligung der Öffentlichkeit an der künst- lerischen Gestaltung ihres Raumes wird durch Nutzerbeteiligung an Kunstwett- bewerben gewährleistet. Bei Kunstfragen direkte Demokratie walten zu lassen, setzt nicht nur eine größere Vermittlung und breitere strukturelle Förderung von Kunst voraus, sondern auch eine grundlegende Demokratisierung der ge- samten Gesellschaft.

BüRO FüR KUNST IM ÖFFENTLICHEN RAUM

Impressum: Informationsdienst des Kulturwerks des berufsverbandes bildender künstler berlin GmbH | Herausgeber: Kulturwerk des berufsverbandes bildender künstler berlin GmbH | Redaktion: Elfriede Müller, Martin Schönfeld, Britta Schubert | Redaktionsanschrift: Büro für Kunst im öffentlichen Raum | Köthener Straße 44 | 10963 Berlin | Email: kioer@bbk-kulturwerk.

de | www.bbk-kulturwerk.de | Tel: 030-23 08 99 30 | Fax: 030-23 08 99-19 | Layout: Max Grambihler | Druck: hinkelsteindruck | Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos über- nimmt die Redaktion keine Haftung. | Für namentlich gekennzeichnete Beiträge haftet der Autor.

EdItorIal Inhalt

Vorderseite oben: Ulrike Mohr, timeball, May-Ayim-Ufer Berlin-Kreuzberg, 2010, Foto Jochen Hähnel Vorderseite unten: María Linares, Hirsch Rot, Julius-Hirsch-Sportanlage Berlin, Foto Bernhard Schurian ckseite oben: Park der Erinnerung: Claudia Fontes, inspiriert durch die Geschichte des 14jährigen Pablo Miguez, der in den Fluss geworfen wurde, schuf eine im Wasser installierte figurative Skulptur in Lebensgße aus reflektierendem Edelstahl. Foto Patricia Pisani ckseite unten: Ronald Paris, Lob des Kommunismus, Detail, 1969, Foto Martin Schönfeld

Editorial | 2

KULTURPOLITIK

der geplatzte Gruß an die Welt | Elfriede Müller 3 dokumentation Kunst am Baufür den BBI 4–5 So lange ausloben, bis es passt | Andreas Siekmann 5 Gewinne und Verluste | Martin Schönfeld 6

Kunst und urbane aufwertungsprozesse | Britta Schubert 8 Was braucht die Bildende Kunst in Berlin? | bbk berlin 9

KUNST UND GEDENKEN

„Ja, ich wollte die Führung treffen ...“ | Lou Favorite 10 Ein denkzeichen für die rote Kapelle | Hans Coppi 14 „Wege der Erinnerung“ | Stefanie Endlich 15

Ein Mahnmal gegen anti semitismus und rassismus | Martin Krenn 17

KUNST Im STaDTRaUm

Citoyen oder Konsument? | Elfriede Müller 18

die instabilen Effekte der Kunst in der postindustriellen landschaft an der ruhr 2010 | Söke Dinkla 20

die territorialisierung der Sprache | Thomas Locher 21

Betrachtungen über Stadt und dorf, temporäre Kunstprojekte und temporäre Kunsthallen | Rolf Wicker 22

INTERNaTIONaLES

nicht Verschwinden lassen | Patricia Pisani 23

Zeit genössische Kunst im öffentlichen raum in Kolumbien | Oscar Mauricio Ardila Luna 26

„raum für raum“ | Irina Posrednikowa 27

neue tendenzen in der Zusammenarbeit zwischen Kunst und Stadtentwicklung in der Schweiz | Gabriela Christen 28

WETTBEWERBE

das Beste am Konjunkturpaket 2 | Antje Schiffers 30 das fliegende Klassenzimmer | Helga Franz 31 dEnKsport | Patricia Pisani 32

das tor nach Pankow | Thorsten Goldberg 33

Kunst für den Schulerweiterungsbau der Ludwig-Hoffmann-Grundschule | Stéphane Bauer 35

Inselzeiten – time Islands | Susanne Bayer 37 Kurz vor Kassenschluss | Martin Schönfeld 38 Erkenne dich selbst | Stefan Krüskemper 39

Große Pause in hohenschönhausen | Britta Schubert 41 augen zu und durch ! | Martin Schönfeld 42

INFOS

Kunst für Selbstabholer | Martin Schönfeld 44 der Konjunktur geopfert | Martin Schönfeld 45

denkzeichen für die opfer der nS-Krankenmorde in Berlin-Buch geplant | Annette Tietz 46

Eine Werkstatt, die verändert hat ! | Martin Schönfeld 46 adressen und Service 47

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| Bundesrepublik noch bei der öffentlichen Hand liegen. Auch wenn diese dabei bestimmte Aufgaben an Private delegiert, so behält sie doch die Oberhoheit. Wie beim neuen Medika- mentengesetz wird nicht unabhängigen Gutachtern, sondern dem Hersteller vertraut, wenn bei der Berliner Regierung nachgefragt wird, warum die bestehenden Regelwerke nicht zur Anwendung kamen. Bei einem Antwortschreiben des Re- gierenden Bürgermeisters von Berlin an das Büro für Kunst im öffentlichen Raum, verlässt sich der Regierende ganz und gar auf die Stellungnahme der Flughafengesellschaft, so als gäbe es in Berlin keine Fachleute und Gremien, die seit Jahren auf dem Gebiet der Kunst im öffentlichen Raum tä- tig sind. Während demokratische Gremien und Künstler- verbände von dem Verfahren ausgeschaltet wurden, werden die Aussagen der FBS für bare Münze genommen und nicht anhand der gängigen Praxis und Leitfäden überprüft: „Nach Auffassung der FBS befinden sich die Wettbewerbsverfahren derzeit auf gutem Wege“ (Schreiben aus der Senatskanzlei an das Büro für KiöR vom 7. Juli 2010). Selbst Künstlerinnen und Künstler, die auf unterschiedliche Art und Weise gegen die dilettantischen Verfahren beim Berliner Senat protestiert haben, wurden mit den Stellungnahmen des Privatunterneh- mens abgefertigt, so als hätten die beiden Länder und der Bund keine Verantwortung dafür, obgleich Mitarbeiterinnen der jeweiligen Verwaltungen an den Verfahren teilnehmen mussten, ohne ihre gängige Praxis in Anschlag bringen zu können. Ähnlich erging es der Berliner Abgeordneten Alice Ströver und den Bundestagsabgeordneten der Linken.

Der bbk berlin hat zwei Pressemitteilungen zu den Kunst am Bau-Verfahren am BBI verfasst, die wir beide in dieser Ausgabe dokumentieren. Die erste Presseerklärung wand- te sich direkt nach der Auslobung der Wettbewerbe vom 19.

April 2010 gegen den Ausschluss der Künstlerverbände und forderte die Anwendung der gängigen Richtlinien zu Kunst am Bau. Der Gedanke drängte sich auf, dass der Ausschluss der Verbände und der in Berlin damit befassten Gremien ge- nau das zur Folge haben wird, was dann auch passierte: die Umgehung der gängigen Richtlinien! Die zweite Presseerklä- rung vom 8. Oktober 2010 forderte nach dem Abbruch von zwei offenen Wettbewerben einen kompletten Neustart für die Kunst am Bau am BBI. Für diesen Neustart ist es immer noch nicht zu spät, denn der Flughafen wird später eröffnet werden als geplant.

Worin genau lagen die Regelverstöße und warum war es für die künstlerische Fachöffentlichkeit keine überraschung, dass ein Großteil der Auslobungen scheitern musste? Im All- gemeinen lag es auch daran, dass sich die Flughafengesell- schaft nach Dezember 2007 weigerte, im Vorfeld die kom- petente und bei Bund, Land und Bezirken übliche Beratung durch Künstlerverbände und Fachleute anzunehmen. Im Konkreten lässt sich das Scheitern an den mangelhaften Aus- lobungen festmachen:

• Ein komplizierter Zugang zu den Unterlagen für die offe- nen Wettbewerbe. Die Passwortversendung dauerte bis zu 5 Tagen, wenn sie überhaupt erfolgte.

• Grobe Ungenauigkeiten und Unterlassungen in den Aus- lobungen standen Forderungen nach exakter Darstellung der Wettbewerbsbeiträge inkl. Finanzen an die Künstle- rinnen und Künstler und juristischen Verpflichtungen ge- genüber.

• Eine zu kurze Bearbeitungszeit für die Künstlerinnen und Künstler. Elektronische Nachfragen wurden wochenlang nicht beantwortet. Standorte für die Kunst wurden wider- sprüchlich bzw. falsch ausgewiesen.

• Rückfragenkolloquien fanden nicht statt.

• Eine einzige Jury für sieben Wettbewerbe.

• Intransparente Auswahlverfahren für die eingeladenen Wettbewerbe.

• Missverhältnisse in der Etatisierung zwischen eingelade- nen und offenen Wettbewerben.

• Die eingereichten Entwürfe wurden bisher nicht ausge- stellt, die Preisgerichtsprotokolle nicht veröffentlicht.

Auch die Berechnung der Mittel für Kunst am Bau entspricht keinesfalls den in der RBBau/Leitfaden Kunst am Bau vor- geschriebenen Sätzen. Bei insgesamt 2,7 Milliarden Euros Baukosten wurden nur 1,5 Millionen Euros für Kunst am Bau und 500.000 Euros Verfahrenskosten verausgabt, statt der festgelegten 0,5 Prozent.

Am Beispiel des neuen Flughafens wird deutlich, dass bei einem mangelnden politischen Willen bestehende Regelwer- ke umzusetzen Demokratie und Kunst gleichermaßen zu Schaden kommen. Bei einer Neuberechnung des Kostensat- zes für Kunst am Bau und neuen Auslobungen könnte durch qualifizierte und transparente Verfahren noch Kunst entste- hen, die einem internationalen Flughafen würdig ist. Dies zu tun würde politischen Mut und Vertrauen in demokratische Prozesse voraussetzen. Zu spät dafür ist es nicht.

ELFRIEDE MüLLER

KULTURPOLITIK

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er neue Flughafen Berlin Brandenburg International beschäftigt seit einigen Jahren nicht nur die allgemei- ne, sondern auch die künstlerische Fachöffentlichkeit. So geht es doch um ein öffentliches Bauvorhaben, den künf- tigen Hauptstadtflughafen, der ein Tor zur Welt zu werden beansprucht. Denn Verkehrswege und Verkehrsorte vermit- teln prägende Eindrücke von einem Ort, einer Region und einem Land. Zentrale Verkehrsknotenpunkte wie Flughäfen oder Hauptbahnhof sind die Visitenkarten einer Region. Da- bei spielen die Verkehrsbauten, ihre Raumstrukturen und ihre Gestaltung eine entscheidende Rolle, bei der nicht nur die Architektur zum Tragen kommt. Auch die Kunst und vor allem die Kunst am Bau übernimmt die Funktion einer visu- ellen und kulturellen Begrüßung der Welt.

Eigentlich wäre es selbstverständlich, dass beim neuen Hauptstadtflughafen auch Kunst am Bau im großen Stil ein- zuplanen ist. Doch, dass dies überhaupt geschah, ist der Ini- tiative eines Aufsichtsratsmitgliedes des BBI und dem Bran- denburger und Berliner berufsverband bildender künstler zu verdanken. Werner Ruhnke, der nicht mehr im Aufsichtsrat des BBI vertreten ist, nahm als Landesbeauftragter für ver.di daran teil und stellte den Kontakt zu den Berufsverbänden her. Das Büro für Kunst im öffentlichen Raum informierte den Beratungsausschuss Kunst (BAK), den Ausschuss, der den Regierenden Bürgermeister Berlins in allen Fragen der Kunst im öffentlichen Raum berät. Der Regierende Bürger- meister wiederum ist Vorsitzender des Aufsichtsrates für den BBI und hätte eigentlich den BAK schon um eine Emp- fehlung für ein künstlerisches Konzept für den BBI bitten können. Dies tat dann sein damaliger Stellvertreter im Auf- sichtsrat des BBI, Werner Ruhnke.

Auf Initiative des Büros für Kunst im öffentlichen Raum bildete sich eine Unterkommission des BAK und erarbeitete Vorschläge für ein künstlerisches Konzept. Die Bildung von Unterkommissionen zur Ausarbeitung von Empfehlungen bei künstlerischen Verfahren ist eine gängige Praxis des BAK und der bezirklichen Beiräte. Am 11. Dezember 2007 fand im Rahmen des BAK ein Gespräch zwischen Vertretern der Flughafengesellschaft und dem BAK statt, das mit der Emp- fehlung endete, dem Projektausschuss des Aufsichtsrates der Flughafen Berlin Schönefeld GmbH (FBS) im April 2008 eine Handlungsempfehlung zu unterbreiten. Die „Anregung zur Einbeziehung von Kunst für den Flughafen Berlin Bran- denburg International (BBI)“ skizziert ein Programm zur künstlerischen Gestaltung des Flughafens und beschreibt Schritte für eine künstlerische Akzentuierung des BBI mit einem Masterplan, Leitideen und Dokumentation. Leider konnte der BAK dieses Papier mit der FBS nicht mehr dis- kutieren, oder dem Aufsichtsrat vorstellen wie am 11. 12.

2007 geplant. Nach der Einreichung des Papieres bestanden nur noch informelle Kontakte des BAK mit der FBS. Die FBS brach den Kontakt ab, sobald Werner Ruhnke nicht mehr im Aufsichtsrat vertreten war. Gleichwohl waren Vertreterin- nen Berlins und Brandenburgs, die in beiden Ländern mit Kunst am Bau befasst sind, mit der Flughafengesellschaft in Verhandlung. Aufgrund der unentschlossenen Haltung ihrer Regierungen in dieser Frage mussten sie sich der de- fensiven Haltung des Bundes anschließen und fügten sich im Folgenden einem Verfahren, das ansonsten den Berliner Maßstäben in keinem Punkt standhalten kann. Der Bund übernahm die weitere Verhandlungsführung unter Aus- schluss der Künstlerverbände, des BAK und des üblichen Re- gelwerks für Kunst am Bau. Die Begründung für dieses Vor- gehen erfolgte erst nach zwei parlamentarischen Anfragen, eine im Bundestag von Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) und eine im Berliner Abgeordnetenhaus von Alice Ströver (Bündnis 90/Die Grünen) und auf mehrere Anschreiben des Büros für Kunst im öffentlichen Raum an den Regierenden Bürgermeister, die Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag Monika Grütters und die Flughafengesellschaft.

Die Antwort des Aufsichtsratsvorsitzenden und Regie- renden Bürgermeisters Klaus Wowereit lautete, dass der Bund die Federführung übernommen habe, sich im Groben an die Richtlinien für Kunstwettbewerbe gehalten hätte, und wenn es Abweichungen gegeben habe, so seien die be- gründet gewesen. Wir werden im Folgenden nachweisen, dass diese Abweichungen so bedeutend waren, dass man nicht mehr davon sprechen kann, die Verfahren hätten sich nach der RPW2008 (Richtlinien für Planungswettbewerbe) gerichtet. Doch hier ist es vor allem notwendig den man- gelnden politischen Willen zu kritisieren, öffentliche Belan- ge auch durch eine Öffentlichkeit und nicht durch private Interessen (in diesem Fall der FBS) bestimmen zu lassen.

Wozu Regelwerke entwerfen, wenn sie von denjenigen nicht ernstgenommen werden, die sie entwickeln? Bildung, Ge- sundheit und Verkehr sind und bleiben öffentliche Belange, deren Organisation und Handhabung sind demokratischen Kriterien und der Öffentlichkeit verpflichtet. Auch wenn die Kunst am Bau dabei nur ein kleiner Baustein ist, so kann

man mit deren Handhabung deutlich machen, wie wichtig es ist, diese gesellschaftlichen Grundlagen nicht zu privatisie- ren und damit politisch im Stich zu lassen.

Der BBI hätte der in den öffentlichen Raum integrierten Kunst große Chancen eröffnen können. Doch dies war poli- tisch nicht gewollt, bzw. inopportun. Auch wenn der Bund und die Länder Berlin und Brandenburg nur weniger als 20 Prozent des neuen Flughafens finanzieren und der Rest durch Bankkredite und erwirtschaftete Erträge bezahlt wer- den muss, bleibt der Flughafen eine öffentliche Baumaßnah- me, da der Flughafenbau wie die Verkehrssicherung in der

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Ein Paradigma für das Scheitern der Privatisierung öffentlicher Aufgaben am Beispiel des Hauptstadtflughafens Berlin-Brandenburg International (BBI)

Renata Stih & Frieder Schnock: „Fünf Kontinente“, 2010

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kunststadt stadtkunst 58

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Kunst am Bau-Wettbewerb für den Hauptstadt-Airport

Pressemitteilung des bbk berlin vom 27.4.2010

Der bbk berlin: Der Bund bricht seine eigenen Regeln. Nur Al- mosen für die Kunst. Künstlerverbände von Wettbewerbsver- fahren ausgeschlossen.

Die Flughafengesellschaft hat am 19. April 2010 die Aus- lobung von Wettbewerben für Kunst am Bau am Hauptstadt- Airport BBI gestartet. Bei Baukosten von insgesamt 2,7 Mrd.

Euro werden allerdings nur 2 Mio. Euro für die Kunst auf- gewendet, was im krassen Missverhältnis zu den üblichen Prozentsätzen für Kunst am Bau steht. Die Summe müsste mindestens verdreifacht werden. Auch sonst hält sich die Flughafengesellschaft BBI nicht an die Wettbewerbsstan- dards, die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in den „Richtlinien für Planungswettbe- werbe (RPW 2008)" und im „Leitfaden Kunst am Bau" (2005) klar definiert wurden. Dabei handelt es sich hier um ein öf-

fentliches Bauvorhaben des Bundes und zweier Bundeslän- der! Darüber hinaus sind die Künstlerverbände, die 2007 die Initiative für Kunst am Bau am BBI starteten, von den Wettbewerbsverfahren ausgeschlossen worden. Der bbk ber- lin fordert die Verantwortlichen auf, die eigenen Richtlinien

„Kunst am Bau" bei allen sieben Kunstwettbewerben zum BBI anzuwenden. Der Hauptstadt Airport BBI ist das Tor zu zwei Bundesländern und der Hauptstadtregion mit rund 5 Millio- nen Einwohnern und nimmt damit eine wichtige öffentliche Aufgabe wahr. Deshalb ist auch die künstlerische Gestaltung des BBI eine öffentliche Angelegenheit!

Herbert Mondry, Vorsitzender des berufsverbandes bildender künstler berlin e. V.

Drucksache 16 / 14 638

Kleine Anfrage 16. Wahlperiode

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Alice Ströver (Bündnis 90/Die Grünen)

vom 06. August 2010 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. August 2010) und Antwort Kunst am Bau-Projekte am Flughafen BBI

Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen.

Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28.

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt:

Vorbemerkung: Die Beantwortung beruht zum Teil auf Angaben der Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH (FBS).

Frage 1: Welche Kunst am Bau-Projekte werden im Kontext des Bauprojektes des Flughafen Berlin-Bran- denburg International realisiert?

Antwort zu Frage 1: Es sind 4 Einladungswettbewerbe sowie 3 offene Wettbewerbe für Kunst am Bau an folgen- den Kunststandorten international ausgelobt worden:

• Check-In-Halle / C-Riegel,

• Ausgang Security,

• Fluggastbrücke „Artgate“

• Wartebereiche,

• Austritt/Ankunft,

• Plaza

• Virtueller Ort.

Grundlage für die Auslobungen ist der von der K. R.

GmbH erstellte konzeptionelle Leitfaden.

Die Ergebnisse dieser Wettbewerbe sollen bis zur Baufertigstellung des Flughafens Berlin Brandenburg rea- lisiert werden.

Frage 2: Wie hoch ist der dafür zur Verfügung ge- stellte Etat?

Antwort zu Frage 2: Der Etat für die Wettbewerbe Kunst am Bau beträgt nach Beschluss des Aufsichtsrates der Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH (FBS) insgesamt 2 Mio. € brutto einschließlich aller Neben- und Verfah- renskosten, Preisgelder, Künstlerhonorare und Herstel- lungskosten.

Frage 3: Wurden für die Kunstprojekte beim Flugha- fenbau die „Anweisung Bau des Landes Berlin“ , der

„Leitfaden Kunst am Bau“ des Bundes oder die entspre- chenden Regelungen des Landes Brandenburg ange- wendet? Wenn nein, warum nicht, wenn ja, in welcher Weise wurden diese Regelungen umgesetzt?

Antwort zu Frage 3: Die Zuwendungsgeber Bund, Land Brandenburg und Land Berlin verfahren nach unter- schiedlichen Regelungen. Die Anweisung Bau des Landes Berlin hat keine Anwendung gefunden, da entsprechend den Richtlinien die Regelung des Sitzlandes der Baumaß- nahme Anwendung findet. Im Land Brandenburg kom- men die entsprechenden Richtlinien des Bundes zur An- wendung.

Der Aufsichtsrat hat der FBS die Auslobung der Wett- bewerbe übertragen. Die Empfehlungen des „Leitfadens Kunst am Bau“ des Bundes wurden dabei - soweit an- wendbar- berücksichtigt.

Auf dieser Basis wurden projektspezifische Wettbe- werbsverfahren entwickelt; dabei wurde zwischen den vorgenannten Nichtoffenen Einladungswettbewerben und den Offenen Wettbewerben unterschieden, um gezielt für die jeweilige Aufgabenstellung und den Standort inter- national renommierte Künstlerinnen und Künstler zu ge- winnen, aber auch eine geeignete Aufgabenstellung für einen breiten Teilnehmerkreis zu öffnen und in diesem Rahmen jungen Künstlerinnen und Künstlern eine gleich- berechtigte Chance zu geben.

Die Künstlerauswahl für die Einladungswettbewerbe wurde vom künstlerischen Beirat der Sachverständigen in einem vorgeschalteten Verfahren zusammen mit der Ko- ordination getroffen.

Frage 4: Wurden bei den durchgeführten künstleri- schen Wettbewerben die eigentlich verbindlichen Richt- linien für Planungswettbewerbe (RPW 2008) ange- wendet? Wenn nein, warum nicht?

Antwort zu Frage 4: Die Wettbewerbe erfolgten in Anlehnung an die RPW 2008. Nach § 1 Abs. 1 der RPW 2008 ist es den Auslobern ausdrücklich freigestellt, ob

Abgeordnetenhaus Berlin – 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 14 638

und inwieweit die dortigen Richtlinien bei Wettbewerben im Bereich Kunst und Design Anwendung finden. Dem- gemäß wurde für das Projekt Flughafen Berlin Branden- burg vom Auslober FBS eine juristisch abgesicherte Wettbewerbsstruktur entwickelt, die gezielt auf die bau- lich-technischen Besonderheiten der Baumaßnahme sowie auf den vorgegebenen Zeit- und Organisationsrahmen ein- geht.

Frage 5: Sieht sich das Land Berlin als gemeinsamer Träger mit dem Bund und dem Land Brandenburg in einer rechtlichen und moralischen Verantwortung für die Einhaltung seiner selbst formulierten Richtlinien für Kunst am Bau-Projekte? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, warum weicht er einvernehmlich mit den beiden an- deren an der Baumaßnahme BBI Beteiligten in erhebli- chem Umfang davon ab?

Antwort zu Frage 5: Eine signifikante Abweichung von „selbst formulierten Richtlinien für Kunst am Bau- Projekte“ des Bundes existiert nicht. Sämtliche Wettbe- werbe werden in einem fairen und transparenten Verfah- ren unter Gleichbehandlung aller Künstlerinnen und Künstler durchgeführt, die Auslobungsbedingungen sind schriftlich niedergelegt und den Teilnehmern bekannt.

Frage 6: Was ist dem Senat seine eigene Kunst am Bau-Politik zur Förderung zeitgenössischer Kunst und Kunstschaffender wert, wenn er sich nur mit weniger als der Hälfte der geforderten Summe an Kunst am Bau Projekten der öffentlichen Hand im Fall BBI beteiligt?

Antwort zu Frage 6: Bei Anwendung der Anweisung Bau des Landes Berlin würde der Kunst am Bau-Etat maximal 1 Mio. € betragen. Die Richtlinie des Bundes bietet in dieser Hinsicht einen weiteren Ermessenspiel- raum, den der Aufsichtsrat der FBS genutzt hat. Daher hat das Land Berlin begrüßt, dass die Regelungen des Bundes zur Anwendung kommen, die es ermöglicht haben, den Etat für Kunst am Bau auf insgesamt 2 Mio. € zu verdop- peln.

Frage 7: Teilt der Senat die Einschätzung der Frage- stellerin, dass einmal mehr den Worten des kulturpolitisch Verantwortlichen und Vorsitzenden der Flughafengesell- schaft selten Taten zugunsten von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern folgen? Wenn nein, was spricht gegen diese Einschätzung?

Antwort zu Frage 7: Nein, dem kulturpolitisch Verant- wortlichen und Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Flug- hafengesellschaft ist die Förderung von Künstlerinnen und Künstlern ein großes Anliegen.

So wurde die Koordination zur Vorbereitung der kon- zeptionellen Grundlagen eines „Leitfadens“ für den spezi- fischen Ort der Kunst am Flughafen Berlin Brandenburg bundesweit offen ausgeschrieben. Die sieben auf dieser Grundlage international ausgelobten Wettbewerbe wurden kompetent und sorgfältig vorbereitet und ermöglichen ei-

ner Vielzahl zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler die Einreichung von Entwürfen; das Preisgericht ist mit hochrangigen Fachjuroren besetzt, um eine qualifizierte Auswahl der Realisierungsempfehlungen und Vergabe von Preisgeldern sicherzustellen. Die Realisierungssum- men für die jeweiligen ausgewählten Kunstwerke sind mit 150.000 bis 200.000 € angemessen.

Berlin, den 06. September 2010

Klaus Wowereit Regierender Bürgermeister

(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 9. September 2010)

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Abgeordnetenhaus Berlin – 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 14 638

und inwieweit die dortigen Richtlinien bei Wettbewerben im Bereich Kunst und Design Anwendung finden. Dem- gemäß wurde für das Projekt Flughafen Berlin Branden- burg vom Auslober FBS eine juristisch abgesicherte Wettbewerbsstruktur entwickelt, die gezielt auf die bau- lich-technischen Besonderheiten der Baumaßnahme sowie auf den vorgegebenen Zeit- und Organisationsrahmen ein- geht.

Frage 5: Sieht sich das Land Berlin als gemeinsamer Träger mit dem Bund und dem Land Brandenburg in einer rechtlichen und moralischen Verantwortung für die Einhaltung seiner selbst formulierten Richtlinien für Kunst am Bau-Projekte? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, warum weicht er einvernehmlich mit den beiden an- deren an der Baumaßnahme BBI Beteiligten in erhebli- chem Umfang davon ab?

Antwort zu Frage 5: Eine signifikante Abweichung von „selbst formulierten Richtlinien für Kunst am Bau- Projekte“ des Bundes existiert nicht. Sämtliche Wettbe- werbe werden in einem fairen und transparenten Verfah- ren unter Gleichbehandlung aller Künstlerinnen und Künstler durchgeführt, die Auslobungsbedingungen sind schriftlich niedergelegt und den Teilnehmern bekannt.

Frage 6: Was ist dem Senat seine eigene Kunst am Bau-Politik zur Förderung zeitgenössischer Kunst und Kunstschaffender wert, wenn er sich nur mit weniger als der Hälfte der geforderten Summe an Kunst am Bau Projekten der öffentlichen Hand im Fall BBI beteiligt?

Antwort zu Frage 6: Bei Anwendung der Anweisung Bau des Landes Berlin würde der Kunst am Bau-Etat maximal 1 Mio. € betragen. Die Richtlinie des Bundes bietet in dieser Hinsicht einen weiteren Ermessenspiel- raum, den der Aufsichtsrat der FBS genutzt hat. Daher hat das Land Berlin begrüßt, dass die Regelungen des Bundes zur Anwendung kommen, die es ermöglicht haben, den Etat für Kunst am Bau auf insgesamt 2 Mio. € zu verdop- peln.

Frage 7: Teilt der Senat die Einschätzung der Frage- stellerin, dass einmal mehr den Worten des kulturpolitisch Verantwortlichen und Vorsitzenden der Flughafengesell- schaft selten Taten zugunsten von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern folgen? Wenn nein, was spricht gegen diese Einschätzung?

Antwort zu Frage 7: Nein, dem kulturpolitisch Verant- wortlichen und Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Flug- hafengesellschaft ist die Förderung von Künstlerinnen und Künstlern ein großes Anliegen.

So wurde die Koordination zur Vorbereitung der kon- zeptionellen Grundlagen eines „Leitfadens“ für den spezi- fischen Ort der Kunst am Flughafen Berlin Brandenburg bundesweit offen ausgeschrieben. Die sieben auf dieser Grundlage international ausgelobten Wettbewerbe wurden kompetent und sorgfältig vorbereitet und ermöglichen ei-

ner Vielzahl zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler die Einreichung von Entwürfen; das Preisgericht ist mit hochrangigen Fachjuroren besetzt, um eine qualifizierte Auswahl der Realisierungsempfehlungen und Vergabe von Preisgeldern sicherzustellen. Die Realisierungssum- men für die jeweiligen ausgewählten Kunstwerke sind mit 150.000 bis 200.000 € angemessen.

Berlin, den 06. September 2010

Klaus Wowereit Regierender Bürgermeister

(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 9. September 2010)

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Abgeordnetenhaus Berlin – 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 14 638

und inwieweit die dortigen Richtlinien bei Wettbewerben im Bereich Kunst und Design Anwendung finden. Dem- gemäß wurde für das Projekt Flughafen Berlin Branden- burg vom Auslober FBS eine juristisch abgesicherte Wettbewerbsstruktur entwickelt, die gezielt auf die bau- lich-technischen Besonderheiten der Baumaßnahme sowie auf den vorgegebenen Zeit- und Organisationsrahmen ein- geht.

Frage 5: Sieht sich das Land Berlin als gemeinsamer Träger mit dem Bund und dem Land Brandenburg in einer rechtlichen und moralischen Verantwortung für die Einhaltung seiner selbst formulierten Richtlinien für Kunst am Bau-Projekte? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, warum weicht er einvernehmlich mit den beiden an- deren an der Baumaßnahme BBI Beteiligten in erhebli- chem Umfang davon ab?

Antwort zu Frage 5: Eine signifikante Abweichung von „selbst formulierten Richtlinien für Kunst am Bau- Projekte“ des Bundes existiert nicht. Sämtliche Wettbe- werbe werden in einem fairen und transparenten Verfah- ren unter Gleichbehandlung aller Künstlerinnen und Künstler durchgeführt, die Auslobungsbedingungen sind schriftlich niedergelegt und den Teilnehmern bekannt.

Frage 6: Was ist dem Senat seine eigene Kunst am Bau-Politik zur Förderung zeitgenössischer Kunst und Kunstschaffender wert, wenn er sich nur mit weniger als der Hälfte der geforderten Summe an Kunst am Bau Projekten der öffentlichen Hand im Fall BBI beteiligt?

Antwort zu Frage 6: Bei Anwendung der Anweisung Bau des Landes Berlin würde der Kunst am Bau-Etat maximal 1 Mio. € betragen. Die Richtlinie des Bundes bietet in dieser Hinsicht einen weiteren Ermessenspiel- raum, den der Aufsichtsrat der FBS genutzt hat. Daher hat das Land Berlin begrüßt, dass die Regelungen des Bundes zur Anwendung kommen, die es ermöglicht haben, den Etat für Kunst am Bau auf insgesamt 2 Mio. € zu verdop- peln.

Frage 7: Teilt der Senat die Einschätzung der Frage- stellerin, dass einmal mehr den Worten des kulturpolitisch Verantwortlichen und Vorsitzenden der Flughafengesell- schaft selten Taten zugunsten von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern folgen? Wenn nein, was spricht gegen diese Einschätzung?

Antwort zu Frage 7: Nein, dem kulturpolitisch Verant- wortlichen und Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Flug- hafengesellschaft ist die Förderung von Künstlerinnen und Künstlern ein großes Anliegen.

So wurde die Koordination zur Vorbereitung der kon- zeptionellen Grundlagen eines „Leitfadens“ für den spezi- fischen Ort der Kunst am Flughafen Berlin Brandenburg bundesweit offen ausgeschrieben. Die sieben auf dieser Grundlage international ausgelobten Wettbewerbe wurden kompetent und sorgfältig vorbereitet und ermöglichen ei-

ner Vielzahl zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler die Einreichung von Entwürfen; das Preisgericht ist mit hochrangigen Fachjuroren besetzt, um eine qualifizierte Auswahl der Realisierungsempfehlungen und Vergabe von Preisgeldern sicherzustellen. Die Realisierungssum- men für die jeweiligen ausgewählten Kunstwerke sind mit 150.000 bis 200.000 € angemessen.

Berlin, den 06. September 2010

Klaus Wowereit Regierender Bürgermeister

(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 9. September 2010)

Offener Brief

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister und Kulturse- nator Wowereit, sehr geehrte Auslober der Wettbewerbe Kunst am Bau für den Flughafen Berlin Brandenburg International Der Flughafen BBI ist ein überaus interessanter Ort für Kunst im öffentlichen Raum. Als professioneller bildender Künstler hätte ich mich gerne an den von Ihnen öffentlich ausgeschriebenen Wettbewerben beteiligt und hatte auch damit begonnen, Ideen für einzelne Wettbewerbsteile zu entwickeln und zu visualisieren. Wie jedoch alle professi- onellen Künstlerinnen und Künstler aus meinem Umfeld, die sich beruflich mit Kunst im öffentlichen Raum und mit Kunst am Bau auseinandersetzen, habe ich meine Entwürfe nicht eingereicht. Die von Ihnen per Ausschreibung geschaffe- nen Bedingungen widersprechen in sehr vielen Punkten einer üblichen Wettbewerbskultur, enthalten Ungenauigkeiten und sind an Bedingungen geknüpft, die für professionelle Künstler nicht annehmbar sind. Nicht nachvollziehbar ist, wieso Sie nicht, wie sonst bei derartigen Wettbewerben eines solchen Umfangs üblich – und obwohl Sie ohnehin ein Verfahren mit zwei zeitlich getrennten Jurysitzungen organisieren – ein of- fenes, zweiphasiges Wettbewerbsverfahren ausloben? Damit wäre gewährleistet, dass die KünsterInnen, die sich mit einer in die engere Wahl ausgewählten, guten Idee, für den zusätz- lichen planerischen Aufwand der zweiten Wettbewerbsphase wenigstens geringfügig entschädigt werden. Für die gefor- derten, genauen Angaben bezüglich der Konstruktion, der Installation am noch nicht gebauten Flughafen BBI, inklusi- ve vermaßter technischer Zeichnungen und genauer Kosten- ermittlung sind normalerweise Ingenieure von Nöten, die entsprechend finanziert werden müssen. Dass dies bei den ausgeschriebenen Wettbewerben nun von mehreren Hundert KünstlerInnen auch gleich hundertfach finanziert werden muss, mag die Produktivität in der Region fördern, Kunst und KünstlerInnen allerdings nicht. Die lächerlich niedrigen Preisgelder stehen dabei in keinem Verhältnis zu den einge- forderten Leistungen auf Seite der KünstlerInnen. Ein sonst übliches Rückfragencolloquium zur detaillierten Auseinan- dersetzung mit den Kunststandorten war überhaupt nicht vorgesehen. Auf Rückfragen wurde zum Teil unzureichend, kurz vor Einreichung, via Internetseite reagiert. Darüber hinaus gibt es in den von Ihnen ausgegebenen Unterlagen viele grobe Ungenauigkeiten und Unterlassungen auf deren mangelhafter Grundlage jedoch von der Künstlerseite eine überaus exakte Darstellung des Wettbewerbsbeitrages ein- gefordert wird, verbunden mit juristischen Erklärungen und Verpflichtungen von Künstlerseite. Nur ein Beispiel dazu : Im

"Leitfaden Kunst am Bau beim BBI" (Anlage 5.3, Seiten 52, 53) ist auf einem verzerrt dargestellten Plan der Wettbewerbs- standort Austritt / Ankunft durch eine rote Umrisslinie, als Bereich von einem Teil des Zolls bis tief in den Wartebereich markiert. Erst auf spätere Nachfrage von KünsterInnen, kurz vor Abgabe, wird der Bereich direkt hinter den Glastüren als Wettbewerbsstandort definiert, was wiederum der Freihal- tung von Fluchtwegen in der Ausschreibung widerspricht.

über die ebenso markierte Wartezone fehlen völlig die Anga- ben. (Es werden dann als Anlage 5_2_5 wiederum Pläne des Zollbereichs zur Verfügung gestellt, der aber ja ausdrücklich nicht Standort für Kunst werden soll!) Darüber hinaus wer- den für den Wettbewerb, auch auf Nachfrage etlicher Künst- lerInnen, keinerlei Perspektiven, oder gar animierte Darstel- lungen des Wettbewerbsbereiches zur Verfügung gestellt.

Eine solche Auslobung lässt leider den unmittelbaren Schluss zu, dass ein kreativer, fairer und offener Wettbewerb um Kunstwerke im Bereich des Flughafens BBI politisch und organisatorisch nicht gewünscht wird. Dagegen protestiere ich hiermit, und ich fordere Sie auf, dafür Sorge zu tragen, dass eine faire und den Standards des Wettbewerbswesens für Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum entsprechende Neuausschreibung erfolgt.

Mit freundlichen Grüßen, Oliver Oefelein

28.6.2010

Airport Seattle: Werner Klotz: Flying Sails, 2010, Foto Werner Klotz Airport Stockholm Arlanda: Licht- und Sound-Installation, Foto Martin Schönfeld

Airport München: Stephan Huber: Die Alpen, hängender Brunnen, 1992, Foto Martin Schönfeld

KULTURPOLITIK

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Bruchlandung bei Kunst- wettbewerben für den BBI !

Der bbk berlin fordert einen kompletten Neustart für Kunst am Bau am BBI

Pressemitteilung des bbk berlin vom 8.10.2010

Zwei von drei offenen Wettbewerben mussten ergebnislos abgebrochen werden. Sie sollen nun als eingeladene Wettbe- werbe neu ausgeschrieben werden.

Gescheitert sind nicht die vielen Künstlerinnen und Künstler, die sich an den Wettbewerben beteiligten und mit ihrer Kreativität in Vorleistung gegangen sind. Die desaströ- se Bruchlandung hat vielmehr die Flughafen Berlin Schöne- feld GmbH (FBS) hingelegt, die sich im Vorfeld jeder kompe- tenten Beratung durch die Künstlerverbände und Fachleute verweigerte.

Die Folgen: Zu kurze Bearbeitungszeiten für die Künstler, intransparente Auswahlverfahren für die vier eingeladenen Wettbewerbe, Missverhältnisse in der Etatisierung zwischen eingeladenen und offenen Wettbewerben, Koordinatoren, die kunsthändlerisch tätig sind, Ignoranz gegenüber allen Richtlinien für Kunst am Bau des Bundes und der beteilig- ten Länder sowie Missachtung der Wettbewerbsrichtlinien des Bundes, eine doktrinäre Themenstellung, unzureichende Auslobungsunterlagen, verspätete Beantwortung der Rück- fragen, ein Wirrwarr von Vorprüfung, Vorjury und Preisge- richt sowie schließlich der komplette Ausschluss der Berufs- verbände.

Dies alles sind Gründe, die zu dem bisher vorhandenen Er- gebnis geführt haben und führen mussten.

Deshalb fordert der bbk berlin einen grundlegenden Neu- anfang für die Kunst am Bau. Dabei muss gelten:

• Durchführung der Wettbewerbe nach den in den Wettbe- werbsrichtlinien des Bundes und der Anweisung Bau des Landes Berlin vorgegebenen und bewährten Regeln, da- mit endlich demokratische und transparente Verfahren durchgeführt werden und Kunst entstehen kann, die ei- nem internationalen Flughafen angemessen ist.

• Neuberechnung der Mittel für die Kunst am Bau nach den in der RBBau/Leitfaden Kunst am Bau des Bundes und in der Anweisung Bau des Landes Berlin vorgeschriebe- nen Sätzen. Denn es darf nicht sein, dass von insgesamt 2,7 Milliarden Euro Baukosten nur 1,5 Millionen Euro für Kunst am Bau (zuzüglich 500.000 Euro Verfahrenskosten) verausgabt werden. Das widerspricht den gültigen Richtli- nien.

• Veröffentlichung der Preisgerichtsprotokolle und öffentli- che Ausstellung aller Entwürfe der bisher durchgeführten eingeladenen und offenen Wettbewerb für Kunst am Bau am BBI.

Herbert Mondry (Vorsitzender des bbk berlin): „Ein Neustart ist dringend erforderlich.“

Martin Schönfeld: Ist Dir als reisendem Künstler schon einmal Kunst – Kunst am Bau – auf einem Flughafen begegnet ?

Andreas Siekmann: Ja oft, Airport-Art ist ja auch ein feststehender Begriff, es gibt auch ambitioniertere Projek- te, meist ist das aber eine Mischung aus lokal- bis nationali- dentischen Sujets (Nationbranding bis Standortmarketing), kompatibel mit dem Airportambiente (shopping-duty free etc.), ein en-passent scheint ein Kriterium der Kompatibili- tät zu sein.

Der Flughafen Berlin Brandenburg International (BBI) ist die bundesweit größte Baumaßnahme mit einem Finanzvolumen von 2,7 Milliarden Euro. Für die beteiligten Bundesländer und die Bun- desregierung ist der BBI ein Repräsentationsprojekt. Was hast Du gedacht, als Du die Einladung zur Wettbewerbsteilnahme für den BBI erhalten hast?

Das war ein wenig wie eine Provokation, weil ein ideologi- scherer Ort als ein Flughafen ist kaum vorstellbar.

Weshalb hast Du Dich an dem Wettbewerb beteiligt?

Gerne nehme ich solche Herausforderungen an, auch um ein Vokabular zu schärfen, das bedeutet hier spezifisch am Sicherheitscheck die Mechanismen an der Boderline, Motto

„Festung Europa“ so zu formulieren, dass eine Klarheit in der Position ablesbar bleibt und nicht in den üblichen Ambiva- lenzen des einerseits-andererseits zu versinken – die Mess- latte wird angelegt, dass der Entwurf eigentlich abgelehnt werden müsste ... und gleichzeitig sich das Recht der freien Meinung herauszunehmen.

Die Aufgabenstellung, für den „Ausgang Security“ Kunst zu schaffen, ist pikant: Nach 9/11 wurden vor allem Flughäfen zu ge- fängnisähnlichen Sicherheitskomplexen ausgebaut. Was hat Dich zur Wettbewerbsteilnahme motiviert und wie bist Du konzeptio- nell an die Aufgabenstellung herangegangen?

Neben dem prekären Platz, der Sicherheit, Werbepostern und den Kontrollen kommt noch die Zeitschleife dazu: ca.

3000 Personen pro Stunde, d.h. ca. 1-2 Sekunden der Wahr- nehmung sollten in der "Arbeit" berücksichtigt bleiben. Mich hat interessiert, die Genealogie von Schengen I+II, Folgebe- schlüsse Dublin I+II, Drittstaatenregelung etc., aber auch Frontex, das SIVE System, die ganze Prozedur der Abschot- tung, die beteiligten Firmen, die politischen Impressarios zu benennen, auch wenn die Sekunden der Rezeption dafür nicht ausreichen, war mir das Formulieren am Ort, das Be- nennen Motiv genug.

Auf Flughäfen manifestiert sich heutzutage eine totale Kon-

trolle und der Einstieg in den Überwachungsstaat. Gleichzeitig sind sie Orte und Instrumente des Ausschlusses. Wurden von den Auslobern solche Fragen angesprochen?

Ja, es gab das schöne Wort „Schengen – Nichtschengen“

oder gecheckt wurde als „clean“ oder eben „unclean“ bezeich- net, und architektonisch wird im Flughafen dafür gesorgt, dass nach dem Check diese sich dann nicht mehr mischen und über Metropolis-Gänge voneinander getrennt bleiben.

Die sicherheitstechnische Aufrüstung der Flughäfen ist da- bei nur eine der neueren Entwicklungen. Sie ist auch damit kon- frontiert, dass Flughäfen zunehmend konsumtiv besetzt und zu Monumental-Kaufhallen mit Fluganschluss geworden sind.

Diese „Shopping-Mall-isierung“ gilt natürlich zunehmend auch für Bahnhöfe. Welche Möglichkeiten wurden demgegenüber den künstlerischen Projekten eingeräumt?

Keine, es geht um den Eyecatch, die provokante Aufmerk- samkeit oder das Ambiente der "gearteten Andersheit", um eben nicht nur Konsum, trademarks, dutyfree, sondern den Rest Staat-Auftrag-Kunst-Image zu behaupten.

Welche Rolle sollte Deiner Meinung nach Kunst an einem so durchkommerzialisierten Ort wie dem BBI spielen?

Spiel ist das nicht, es sei denn eben Airport-Art.

Der Wettbewerb, an dem Du teilgenommen hast, blieb ergeb- nislos und wurde von den Auslobern neu ausgeschrieben. Hat Dich das überrascht und wie deutest Du dieses Scheitern der Auslober?

Versteckte Zensur oder so lange ausloben bis es passt ver- sus das Recht zu sagen, dass es nicht gefällt, aber das wird nicht mitgeteilt, das Verfahren bleibt fragwürdig.

Welche Möglichkeiten haben Künstlerinnen und Künstler offi- ziellen Repräsentationsansprüchen entgegen zu arbeiten; kann es so etwas wie „Widerstand“ in einem Projekt geben?

Leider bleibt so ein Unterfangen/Scheitern, wie ich es versucht habe, privat, auch wenn ich es als politisch begrei- fe, diesen Ort im Flughafen in seiner Bedingtheit zu unter- suchen und diese öffentlich visuell darzustellen. Ich behalte mir natürlich vor, das Projekt an anderen Orten und Gelegen- heiten zu veröffentlichen. Ein Ablehnen oder wie hier beim BBI ein Vertagen auf Kompatibilität tangiert mich nicht, auch wenn ich deutlich eine Meinungsfreiheitsbeschneidung sehe. Aber was kann ich im hegemonialen Feld, in der Kunst fester Bestandteil ist, anderes erwarten als die Doktrin der

„Herrschaftsverhältnisse“, die sich reproduzieren müssen.

Deswegen betrachte ich meinen Beitrag als eine Intervention in diese Verhältnisse, die die Jury mit einschließen.

So lanGE auSloBEn, BIS ES PaSSt

Andreas Siekmann: Entwurf Security Ausgang (Detail), 2010

Andreas Siekmann über seine Wettbewerbsteilnahme für den Flughafen Berlin Brandenburg International (BBI)

KULTURPOLITIK

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E

s boomt wieder in Deutschland. Dank Abwrackprämien und Konjunkturpro- grammen füllen sich die Auftragsbücher, Fachkräfte werden händeringend gesucht und selbst Lohnerhöhungen stehen in Aus- sicht. Auch der Kunstmarkt erzielte 2010 ein Rekordjahr, Christie’s und Sotheby’s meldeten höchste Umsätze. Dazu trugen auch Einlieferungen aus Deutschland bei.

Ist also alles wieder zum Besten?

Von einer allmählichen Erholung ist in der Kunstszene nur wenig zu spüren. Ganz im Gegenteil: Vor allem in der staatlich und kommunal finanzierten Kunstförderung ist die Luft auch in den zurückliegenden Mona- ten dünner geworden, so dass immer mehr Institutionen in ihren Handlungsmöglich- keiten an jene finanzielle Grenze stoßen, wo konstruktive Arbeit kaum noch möglich ist.

In der Situation der Spardiktate schleicht sich das Selbstausbeutungsprinzip der pre- karisierten kreativen Klasse auch in etablier- te Institutionen ein. Bislang ungewöhnliche

„Methoden“ werden vor dem Hintergrund der Krise vorstellbar.

methode Verkauf

Wie man sich doch irren kann: Was im öf- fentlichen Raum steht, muss noch längst nicht öffentlich sein und schon gar nicht von Dauer. Temporäre künstlerische Projekte im öffentlichen Raum währen in der Regel Wo- chen, höchstens ein paar Monate. Die Daim- ler-Kunstsammlung hält aber offensichtlich auch einen Zeitraum von zehn Jahren für temporär. Zur 50. Berlinale im Februar 2000 aufgestellt, wurde Jeff Koons „Balloon Flo- wer“ im Umfeld der 60. Berlinale am Jah- resanfang 2010 vom Marlene-Dietrich-Platz wieder abgeräumt.

Diese blaue Skulptur war eine der ersten großformatigen Plastiken, die Jeff Koons im Rahmen seiner Werkreihe „Celebrations“

schuf. Die aufwendige Herstellung aus hoch verchromtem rostfreien Stahl, ihre unver- zerrt spiegelnde Politur und farbige Lackie- rung brachte den Künstler an den Rand des finanziellen Ruins. Und nach zwei Jahren war das Werk auch schon ein Reklamations- fall: Koons Absicht folgend, eine Kunst zum Anfassen und zur Freude zu schaffen, fand es eine rege Aneignung der Passanten, so dass das Werk bald abgegriffen war und die Farbe abblätterte. Nach erfrischendem Lif- ting platzierte man es in einem Bassin vor dem Eingang des Spielcasinos und schützte somit das Werk vor allzu eifrigen Zudring- lichkeiten – wer wollte sich auch schon nasse Füße holen! So blieb die Skulptur unberührt, aber nicht unbeachtet: In populäre und auch in kunstwissenschaftliche Literatur fand sie schnell Eingang. Der gemeine Berliner zählte diese blaue Blume schon längst zum Stadtinventar.

Doch weit gefehlt, denn das Werk gehörte dem Daimler Benz Konzern und zu Daim- lers Kunstsammlung. Der Eigentümer war schließlich so frei, das edle Stück in New York im Auktionshaus Christie’s im Novem- ber 2010 für 16.882.500 Dollar versteigern zu lassen. Das war zwar deutlich weniger als jene knapp 23 Millionen Dollar, die im Juni 2008 eine magentafarbene „Balloon Flower“

in London erreichte, aber immer noch ein satter Gewinn gegenüber jenen 1,8 Millio- nen Mark, die Daimler 1999 für das blaue Erststück zahlte.

Die Gründe für den Verkauf lassen sich nur schwer durchblicken. Um keine Zwei- fel an seiner Kunstförderung aufkommen zu lassen, betonte der Konzern im Vorfeld

der Versteigerung, dass Verkäufe aus dem Sammlungsbestand an der Tagesordnung seien. Und man verlieh der ganzen Sache ei- nen guten Zweck, indem der Verkauf neuen Ankäufen für die Daimler-Kunstsammlung zugute kommen soll. Wie viel Geld aus Koons blauer Blume tatsächlich in die Daim- ler-Kunstsammlung zurückfließen wird, da- rüber hüllt man sich bei Daimler in Schwei- gen. Vor dem Hintergrund, dass Daimler seine prominente Lage am Potsdamer Platz voraussichtlich aufgeben und in billigere Stadtgefilde verlegen wird, kann über die eigentlichen Motive des Verkaufs reichlich spekuliert werden.

Durchlauferhitzer öffentlicher Raum

Christie’s pries Koons blaue Skulptur mit ih- rer Herkunft aus der Daimler-Kunstsamm- lung und mit ihrer bislang öffentlichen Auf- stellung am Berliner Marlene-Dietrich-Platz an. Das war natürlich nicht alles, wovon das gute Stück seinen Wert bezog. Auch der Rummel um Koons Celebrations-Ausstel- lung in Versailles und die Berliner Show 2008 in der Neuen Nationalgalerie haben ihren Beitrag zum Mehrwert des Werkes ge- leistet. Aber auch der öffentliche Stadtraum wurde in diesem Beispiel zum vielfältig pro- fitablen Durchlauferhitzer: Der Eigentümer spart sich Depotraum, schmückt sich mit seiner vermeintlich großzügigen Tat für die

Öffentlichkeit, wird dafür geehrt. Und den- noch ist er mit seiner Entscheidung über die Entfernung des Werkes ganz frei. Den ide- ellen und auch stadtraumbildenden Verlust trägt die Allgemeinheit – wie heißt es doch:

Profite werden privatisiert, Verluste soziali- siert.

Natürlich kann es dem gemeinen Berliner und auch dem kunstinteressierten Haupt- städter egal sein, wie ein Mobilitätskonzern mit seinem Eigentum verfährt. Der öffent- liche Raum verlor aber auf alle Fälle ein markantes Werk. Schade eigentlich, dass in diesem Zusammenhang niemand die Frage aufgeworfen hat, ob ein Kunstwerk aus dem öffentlichen Raum noch Privateigentum sein kann? Ob nicht mit der öffentlichen Wirkung und allgemeinen Sichtbarkeit des Werkes auch die Öffentlichkeit sich ein An- recht an diesem blauen Stück erworben hat?

Weshalb hat Daimler das Koons-Werk nicht einfach der Stadt Berlin geschenkt? Wes- halb zeigt sich der Konzern dem Stifter des öffentlichen Raums gegenüber, von dem die Firma profitiert, eigentlich so knauserig?

Den prominenten Standort besetzte Daimler sogleich aus dem eigenen Depot neu: Wo zuvor der Koons stand, wurde im Sommer 2010 ohne viel Tamtam die Skulp- tur „Prince Frederick Arthur of Homburg“

(1999) des amerikanischen Künstlers Frank Stella aufgestellt. Sie soll zumindest bis 2013

am Marlene-Dietrich-Platz verbleiben. Ob sie danach in den Kunstmarkt zurückflie- ßen wird, bleibt bei Daimler offen. Einen ähnlichen Gewinn wie der effektvolle Koons wird die sensible, ja fast schon fragile Alu- minium-Installation des sich seit Jahrzehn- ten an dem formalen Thema des Bildraums in der Farbfläche abarbeitenden Frank Stel- la kaum erzielen. Aber wer weiß, wofür der Berliner öffentliche Raum sich nicht alles als „Durchlauferhitzer“ eignen kann?

Die Aufstellung der Skulpturen trägt zur kulturellen und künstlerischen Szene Berlins nur wenig bei und fällt gegenüber dem sonstigen Bestand der Daimler-Kunst- sammlung in den Bereich des demons- trativen Konsums und auf Repräsentation angelegter Kunstankäufe ab. Statt auf arri- vierte Namen zu setzen, was keinerlei Risi- ko in sich trägt und nur eine andere Form der Kapitalanlage darstellt, könnte der Marlene-Dietrich-Platz auf der Grundlage von Wettbewerbsverfahren ein Ort wirklich temporärer künstlerischer Projekte sein, ein Schaufenster zeitgenössischer Ansätze von Kunst im öffentlichen Raum. Das würde aber mehr verlangen als das bloße Herum- geschiebe von repräsentativen Skulpturak- tien.

Kapitalaufstockung

Im Vermögen der schwankenden Dresdner Bank fand die Commerzbank bei ihrer über- nahme auch die Kunstsammlung vor, an der man der Situation geschuldet kein Interes- se hegte und deshalb die wesentlichen Be- stände an die Museen in Frankfurt/Main, Berlin und Dresden als Dauerleihgaben weiterreichte. Für eine erfolgreiche Fiskali- sierung war in dem Sammlungsbestand zur Nachkriegskunst allein eine Skulptur von Alberto Giacometti aussichtsreich. Das 1961 entstandene Werk „Schreitender Mann“

wurde im Februar 2010 bei Sotheby’s in Lon- don zum Rekordpreis von 74 Millionen Euro versteigert und wurde damit zur teuersten Skulptur überhaupt. Auch die Commerz- bank machte über die Verwendung der sat- ten Einnahmen nur unklare Angaben, die demnach wohltätig zur Kapitalaufstockung der hauseigenen Stiftungen beitragen soll- ten. Aber beziffert und konkretisiert wurde diese freundliche Mildtätigkeit des Bank- hauses leider nicht.

Ein Privatsammler ist selbstverständlich frei, einzelne Sammlungsstücke und ganze Sammlungsteile abzustoßen und den Ertrag in die Neubeschaffung einzubringen. Bei ei- ner Betriebs- oder Konzernssammlung ist die Veräußerung einzelner Stücke oder gan- zer Sammlungsteile eher untypisch, weil sie nicht an die individuelle Entscheidung und Auswahl des Eigentümers gebunden ist, sondern in der Regel von firmeninternen Gremien ausgewählt wird. Deshalb gehen häufig Firmensammlungen als Stiftungen in öffentlichen Besitz über. Und wenn die Fir- ma nicht stiftet, dann neigen Firmen eher dazu, den Gesamtbestand abzustoßen, wie das zuletzt in 2009/2010 die Commerzbank praktizierte. Auch wenn Daimler den Ver- kauf aus dem Sammlungsbestand als eine Gewöhnlichkeit abtat, was für Sammlungen und Museen in den USA zutrifft, so ist dies für europäische und vor allem für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich. Und dahinge- hend hat das Jahr 2010 eine neue Tür ge- öffnet. Denn in diesem Sog wurde auch für öffentliche Institutionen der Abstoß von Einzelwerken vorstellbar.

GEWInnE und VErluStE

Die Krise kreiert radikale Methoden

Nur ein Platzhalter? Frank Stella`s „Prince Frederick Arthur of Homburg“, 1999, seit Sommer 2010 auf dem Marlene- Dietrich-Platz, Foto Martin Schönfeld.

Verkauft – für neue Kunst? Jeff Koons „Balloon Flower“, 2000, Aufstellung am Marlene-Dietrich-Platz 2000 bis 2010, Foto Martin Schönfeld

KULTURPOLITIK

Referenzen

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