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Die Grasburg. Eine spätstaufische Reichsburg in der Nordwestschweiz

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A r c hä o l o g i e B e r n / A r c h e o l o g i e b e r n o i s e - 2011 171

Die Grasburg

Eine spätstaufische Reichsburg in der Nordwestschweiz

Thomas Biller, mit einem Beitrag von Andreas Heege

1. Forschungsstand und Fragestellung

1

Die Grasburg in der Gemeinde Wahlern, 15 km südwestlich von Bern und ebenso weit östlich von Freiburg im Üechtland gelegen, gehört zu den bekannten Burgen der Schweiz (Abb. 1 und 2). Dennoch hat sich die Wissen­

schaft seit einem Dreivierteljahrhundert nicht mehr näher mit der Ruine befasst, wobei der G r u n d für das lange Ruhen der Forschung leicht zu erkennen ist. Er liegt im Wirken von Friedrich Burri, einem Berner Lehrer, der an­

lässlich der ersten Restaurierung der Grasburg (1903­1907) über sie promovierte und seine Arbeit 1906 und 1911 im «Archiv des Histo­

rischen Vereins des Kantons Bern» veröffent­

lichte. Schon diese zweibändige Publikation umfasste 550 Druckseiten, aber nachdem die Ruine von 1928 bis 1931 wiederum restauriert worden war, veröffentlichte er ein drittes, ak­

tualisiertes Buch über die Grasburg mit weite­

ren 350 Seiten.2 1936 wurde nach seinen An­

gaben auch ein Modell der Burg gebaut, das noch heute im «Bernischen Historischen Mu­

seum» steht.

Über Burris Bücher hinaus ist an Literatur über die Grasburg nur ein kleiner Führer zu nennen, der bis 1936 in drei Auflagen erschien und sich weitgehend an Burris Forschungen orientierte. ' Dasselbe gilt auch für die zahllo­

sen knappen Erwähnungen, die man in der rei­

chen Burgenliteratur der Schweiz findet.4 Wei­

tere Restaurierungen führten zwar 1983/84 zum ersten Aufmass der Ruine, das im vor­

liegenden Aufsatz publiziert wird (Abb. 3 und 4), aber eigentliche Forschung unterblieb auch damals.

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Entscheidender Ausgangspunkt von Bur­ Abb. 1: Die Grasburg bei

ris Forschungen war eine dichte Reihe sa­ Wahlern. Aquarellierte Feder-

. . ° . T L Zeichnung von Albrecht

voyischer Vogteirechnungen aus den Jahren «auw.um 1669/1671.

1314­1423, die im «Archivio camerale» in Turin aufbewahrt sind, und weiterhin Rech­

nungen aus der bemisch­freiburgischen Zeit

1 Ich danke Armand Baeriswyl, Judith Bangerter­Paetz (beide Bern) und Stefan Ulrich ( H o m ­ burg/Saar) für ihre Unterstützung. O h n e die ersteren wäre mir das archivalische Material weit schlechter zugänglich gewesen und die neuen Pläne der Burg wären nichr zustande g e k o m m e n , der letztere trug die Aufmasse und Interpretationen der Schiessscharten bei. D i e vorliegenden D o ­ kumentationen werden im Archiv des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern unter der FP­

Nr. 3 9 3 . 0 0 9 . 1 9 8 4 . 0 1 , 3 9 3 . 0 0 9 . 1 9 9 8 . 0 1 bzw. 3 9 3 . 0 0 9 . 2 0 0 5 . 0 1 gefuhrt. Ein Teil der D o k u m e n ­ tation der Sanierung 1 9 8 3 / 8 4 befmder sich auch im Archiv der Kantonalen Denkmalpflege Bern.

Eigentümerin der Ruine ist die Stadt Bern.

2 Burri 1906. Burri 1911. Burri 1935.

3 Bürki 1936.

4 S c h m i d / M o s e r 1942. Schwabe 1 9 8 3 u. a.

Originalveröffentlichung in: Archäologie Bern / Archéologie bernoise : Jahrbuch des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern 2011, S. 171-190

(2)

1 7 2 | Die Grasburg bei Wahlern

Abb. 2: Die Grasburg bei Wahlern. Die Kernburg von Süden, aus dem Sensetal.

5 Die Angaben zu Bautei­

len werden in der Regel nach Burri 1935 zitiert, nur nöti­

genfalls aus seinen beiden frü­

heren Veröffentlichungen.

6 Burri zitiert die Rechnun­

gen mit Signaturen und meist dem lateinischen Wortlaut nach. Seine Deutungen sind daher in der Regel gut zu prü­

fen, allerdings muss man sich die Aussagen aufwendig aus den 900 Seiten heraussuchen, weil er auf separate Regesten verzichtet hat.

der Burg (1423­1573).5 Diese in ihrer Art und frühen Zeitstellung seltenen Dokumente sind ausgesprochen detailreich: Es geht um Mate­

rial, Transportwege, Löhne usw. und natürlich werden auch die reparierten Bauteile benannt.

D u r c h dieses Material angeregt, sah Burri seine Aufgabe nicht allein darin, die zahllosen Angaben zu erfassen und thematisch zu ord­

nen,6 sondern er strebte ein noch weiter ge­

hendes Ziel an: Er wollte in Wort und Zeich­

nung eine lückenlose Rekonstruktion der Burg schaffen, in der jedes Detail der Rechnungen seinen Platz finden sollte.

Für einen Historiker des frühen 20. Jahrhun­

derts war ein so vielseitiges, die Bausubstanz mit einbeziehendes Forschungsziel durchaus ungewöhnlich und anerkennenswert. Aber Burris Ergebnisse sind trotzdem recht pro­

blematisch, und zwar aus zwei Gründen. Ei­

nerseits wollte er nicht wahrhaben, dass viele Aussagen u n d Benennungen der Rechnun­

gen keineswegs eindeutig sind ­ es bleibt oft trotz aller Mühen unklar, welchen Bauteil oder R a u m eine bestimmte Bezeichnung meinte.

Burri aber ordnete jede Nennung mit absoluter Entschiedenheit einem Bauteil zu, auch wenn die Argumente dafür ausgesprochen schwach waren. Seinen Tiefpunkt erreichte dieses Ver­

fahren bei einer Reihe von Bauten, die ver­

schwunden und nicht mehr lokalisierbar sind.

Dies wollte Burri am allerwenigsten wahrha­

ben und bezog daher die Nennungen solcher Bauten stets auf einen noch erhaltenen Bauteil, was nur in Verwirrung enden konnte.

Die zweite Verzerrung in Burris Darstellung ergibt sich daraus, dass er eine gleichsam

«zeitlose» Burg zu rekonstruieren versuchte, dass er also alle Angaben zwischen 1314 und 1573 auf einen die ganze Zeit vermeintlich unveränderten Zustand bezog. Z u m Beispiel enthalten seine Zeichnungen u n d das nach ihnen 1936 gebaute Modell sowohl Holzbau­

teile, die in den Rechnungen des frühen und mittleren 14. Jahrhunderts erwähnt sind, als auch die 1484/85 erbaute grosse Stützmauer zwischen Bergfried und Haupttor, obwohl die ersteren möglicherweise längst verfallen wa­

ren, als die letztere entstand. Bei einer der­

artigen, die Bauentwicklung ausblendenden Darstellung spielte natürlich die Frage nach Bauphasen u n d Datierungen nur eine mar­

ginale Rolle. Burri war zwar klar, dass die Grasburg schon lange vor 1314 existiert ha­

ben musste — schliesslich zeigte sie sich in sa­

voyischer Zeit schon recht reparaturbedürf­

tig ­ aber da für diese Frühzeit nun einmal keine detaillierten Schriftquellen vorlagen, ging er der Frage ihrer Entstehungszeit letzt­

lich ebenso wenig systematisch nach wie jener späterer Umbauten. Er erkannte folglich auch nicht, wie einheitlich der umfangreiche Bau­

bestand der Grasburg ist, und liess daher auch die zentrale Frage unbeantwortet, wer ein so monumentales Bauwerk w a n n u n d zu wel­

chem Zweck errichtet haben könnte. Für die Zeit vor 1314 beschränkte er sich vielmehr, über das Zitat der wenigen frühen Erwähnun­

gen kaum hinausgehend, auf eher sporadische Versuche, diesen oder jenen Teil der Burg zeit­

lich einzuschätzen.

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Archäologie Bern/Archeologie bernoise ­ 2011

173

Die Fragen, um die es im Folgenden gehen soll, können daher nur eben jene sein, die bei Burri ungelöst blieben: W a n n entstand die Grasburg? Wer erbaute sie, und warum ge­

schah dies eben zu jener Zeit und an diesem O r t sowie in der eindrucksvollen Gestalt, die trotz des Verfalls heute noch gut zu erkennen ist?

Abb. 3: Die Grasburg bei Wahlern. Grundriss in Höhe des Unter­ und des Erdge­

schosses. Die Jahreszahlen bezeichnen Restaurierungen bzw. Grabungen.

Untergeschoss

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Abb. 4: Die Grasburg bei Wählern. Grundriss in Höhe des 1. und des 2. Oberge­

schosses.

Ein Jahrhundert nach der Publikation von Friedrich Burri stehen zur Beantwortung die­

ser Fragen nicht nur verfeinerte Methoden der Quelleninterpretation zur Verfügung, sondern auch ein viel breiter fundiertes architektur­

und kunstgeschichtliches Wissen über den

Burgenbau des 13. Jahrhunderts.Es wird zu zeigen sein, dass die Grasburg auch unter die­

sen verbesserten Voraussetzungen ein schwie­

riger Fall bleibt, dass man sich aber einer Ant­

wort auf die Hauptfragen doch wesentlich stärker nähern kann als bisher.

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Archäologie Bern/Archeologie bernoise - 2011

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2. Geschichte nach den Quellen

Burri vermutete als Erbauer der Grasburg die Zähringer,7 die fünf Jahre vor der Ersterwäh­

nung der Burg im Jahr 1218 ausstarben. Zu ihrer Herrschaft hatte auch das Rektorat Bur­

gund gehört, in dem der Bauplatz der Burg lag. Was jedoch bei Betrachtung der Ruine unmittelbar gegen die Zähringer als Erbauer spricht, sind ihre teils eindeutig gotischen For­

men, was zur Zurückhaltung gegenüber einer Datierung vor 1218 führen muss. Die Existenz einer Burg schon in (spät­)zähringischer Zeit ist demnach zwar nicht schlichtweg zurückzu­

weisen, aber es ist zu fragen, welche Bauteile des weitgehend einheitlich wirkenden Baube­

standes so weit zurückgehen könnten.8

1223 bis 1245 erscheinen in Zeugenlisten Otto und Cono von Grasburg, die offenbar Reichs­

ministerialen mit engen Beziehungen zum 1191 gegründeten, 1218 ans Reich bzw. an die Staufer gefallenen Bern waren.9 ihre erkenn­

bare Beziehung zur Burg besteht dabei allein in ihrem Namen. Zeitparallel tritt 1239 Jacob, Schultheiss von Grasburg, auf, dessen Fami­

lie offenbar nicht adelig war. N u r zwei Jahr­

zehnte später, ab 1259, erscheint er als «ehe­

maliger» Schultheiss. Die Familie, aus der er stammte, spielte jedoch bis ins späte 14. Jahr­

hundert eine wichtige Rolle in der Berner Füh­

rungsschicht. Der Grund, warum Jacob sein Amt auf der Grasburg verloren haben dürfte, wird 1255 erkennbar, als König Wilhelm von Holland der Stadt Murten brieflich versichert, sie sowie Laupen und die Grasburg dürften dem Reich nicht vorenthalten bleiben. Der in diesem Brief nicht explizit erwähnte Hinter­

grund lag darin, dass die Grafen von Kyburg in den Wirren des Interregnums mehrere Reichs­

burgen bzw. staufische Stützpunkte besetzt hatten. M a n muss vermuten, dass eben dies auch für die Grasburg gegolten hat und dass Jacob deswegen sein Schultheissenamt einge­

büsst hatte.

Nach dem Aussterben der Kyburger 1263/64 wurde Savoyen mit der Grasburg belehnt, konnte sie aber zunächst nur ein Jahr lang be­

halten. Dann brachte sie der aufstrebende Graf Rudolf von Habsburg in seinen Besitz, und sie

blieb ­ Rudolf wurde acht Jahre später deut­

scher König ­ 45 Jahre lang habsburgisch bzw.

wurde wieder Reichsburg. D e n n 1310 ver­

pfändete König Heinrich VII., ein Luxembur­

ger, die Grasburg schliesslich doch an Savo­

yen, was er nur konnte, sofern sie weiterhin als Reichsburg galt. Jedenfalls belegt die Verpfän­

dung ein geschwundenes Interesse des König­

tums an der Burg; sie wurde damals nur noch als Geldquelle betrachtet. Savoyen nutzte die Grasburg weiterhin als Amtssitz; dessen Rech­

nungen aus den Jahren 1314 bis 1423 sind die wichtigsten Quellen, die Burri auswertete.

1423 verkaufte Savoyen die Grasburg, die sich in extremer Randlage seines Territoriums be­

fand und nicht mehr in gutem Zustand war, an die Städte Bern und Freiburg, die den Amts­

sitz gemeinsam weiter nutzten. Bis 1573 wurde sie noch instand gehalten, dann ersetzte man sie durch ein Amtshaus im Dorf Schwarzen­

burg; dafür und später trug man die Burg teil­

weise ab. Die Ruine wurde im 20. Jahrhundert mehrfach restauriert (1903­1907, 1928­1931,

1983/84, 1998).

3. Die älteste Burg (Phase I)

Die Grasburg liegt auf einem spektakulären Felsvorsprung über der Schlucht der Sense, ei­

nes kleinen Flusses, der zum Flusssystem des Rheins gehört. Die Sense hat sich, nachdem sie die Alpen verlassen hat, tief in die tertiäre Mo­

lasse eingearbeitet, ein sandsteinähnliches, re­

lativ «weiches» Material, das senkrechte, glatte Felswände ausbildet. Die Burg liegt in einer Flussschleife, wo der Fels insbesondere gegen Süden über 60 m hoch abstürzt, und auch an den anderen Seiten liegen felsige Steilhänge;

nur im Südosten verbindet ein Sattel den Bau­

platz mit dem Massiv. Der Burgfels bietet auf seiner nicht ganz ebenen Oberfläche Platz für eine grosse Anlage von etwa 150 m Länge und bis zu 50 m Breite; die Grasburg war damit die grösste Burg des Kantons Bern. Auf der westlichen, schmalen und höher aufragenden Felsspitze war durch einen 16 m breiten Hals­

graben eine kompakte Kernburg abgetrennt.

Am anderen, östlichen Ende wurde die Anlage von einer zweiten Baugruppe abgeschlossen, die aus einem Bergfried über dem Zugang zur Burg und einem kleinen Wohnbau bestand.

7 Burri 1935, 3 7 f f . 8 Schwabe 1983 vermutet so­

gar eine burgundische Ro­

dungsburg des 10./11. Jahr­

hunderts. Demgegenüber ist festzustellen, dass bisher keine Schriftquelle und kein archä­

ologischer Befund die Exis­

tenz der Grasburg vor 1223 belegt.

9 Die Angaben zu den Quellen vor 1314 sind grundsätzlich bei Burri 1906 angeführt, so dass sie hier nicht wiederholt werden müssen.

(6)

176

Die Grasburg bei Wahlern

Abb. 5: Die Grasburg bei Wahlern. Rekonstruktions­

versuch der ältesten Burg.

Diegarita in den Vogteirechnungen des 14.Jhs

der alte Turm in den

Vogteirechnungen des 14.Jhs.

Zisterne

ältere Mauerreste bis 1928/1931 erhalten

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10 So schon Burri 1935,244.

11 Inzwischen ist dieser Burg­

reil wegen der Verwitterung des Felsens unzugänglich.

12 Auch die Zisterne ist der Zerstörung überlassen, weil die Sanierung des Felsens nicht mehr finanzierbar war:

Strasser 1986.

13 Das Latein der savoyischen Rechnungen wirkt oft wie ein ungeschickt übersetztes (Alt­)Französisch. So spie­

gelt garita etwa frz. «gue­

rite» (Wachttürmchen), logia frz. «logement» (Wohnung, Wohnhaus),platea frz. «pla­

teau» usw.

14 Burri 1935, 238. Die da­

mals reparierte Stube in der garita muss zumindest teil­

weise Fach­ oder Block­

werkwände besessen haben, denn sie wurde weitgehend von Zimmerleuten erneuert und 1363/1365 aussen ver­

schindelt.

15 Burri 1935, 199­200.

Die technischen Merkmale der erhaltenen Bauteile sind so einheitlich, dass m a n von einem Bau aus einem Guss auszugehen hat.

Lediglich die massive Stützmauer gegen den verschwundenen Torzwinger und wenige er­

grabene Mauern sind als jüngere Bauteile da­

von auszunehmen. Es gibt jedoch Indizien dafür, dass die erste Grasburg deutlich klei­

ner war als die Anlage, die wir heute vorfin­

den, u n d eine derartige Erstanlage, die auf der westlichen Felsspitze anzunehmen ist,10

könnte m a n zwanglos mit den beiden in den 1220er­ bis 1240er­Jahren genannten Minis­

terialen in Verbindung bringen.

Auf dieser Felsspitze nämlich stand ein qua­

dratischer Turm ­ erhalten ist nur das in den Fels gearbeitete Erdgeschoss11 ­ , der in den Rechnungen der 1360er­/70er­Jahre als «al­

ter Turm» oder «Ritterturm» bezeichnet wird (Abb. 5). Und hinter diesem Turm, auf der äussersten Felsspitze, liegt eine Zisterne,12 die man in einer grösseren Burg sicher an leich­

ter zugänglicher Stelle untergebracht hätte.

Auch ein östlich an den Turm anschliessen­

der, bis zu 40 m langer Bau auf dem Felsgrat, der in den Rechnungen garita^ heisst, musste schon 1320/21 wegen des schlechten Zustan­

des seines Holzwerkes (propter vetustatem) teil­

weise erneuert werden.14 Von der Schmalseite dieses älteren Baues, am Halsgraben, zeugte bis zur Restaurierung 1928­1931 noch eine technisch abweichende Partie im Sockel der Schildmauer, die Burri auffiel.15

4. Der erhaltene Bau (Phase II)

Die grosse Burg, deren technisch weitgehend einheitliche Reste wir heute vorfinden, ist also als Ergebnis eines Ausbaues anzusprechen (Phase II), dessen Datierung ebenfalls noch ins 13. Jahrhundert zu begründen bleibt. Sie besteht in fast allen erhaltenen Teilen aus glat­

ten Quadern, die aus der Molasse des Burg­

felsens gehauen wurden. Ausnahmen machen nur der Bergfried, der dasselbe Material, aber

(7)

Archäologie Bern/Archeologie bernoise ­ 2011

177

9,

Abb. 6: Die Grasburg bei Wahlern. Die Ostseite der Kernburg über dem Hals­

graben.

Buckelquader zeigt, sowie wenige Partien aus Tuffquadern. Der Bergfried gehört dabei frag­

los noch in die Phase II, wie schon die Fugen gegen das nachträglich angesetzte, nach sei­

nen Formen gut datierbare Haus zeigen.16 Die wenigen Bauteile aus Q u e l l t u f f ­ das Material ist weit haltbarer als Molasse, musste aber aus 15 km Entfernung herangeschafft werden17 ­ sind jedoch nicht so einheitlich zu datieren.

Zwar ist die 30 m lange, 14 m hohe und bis zu 3,50 m dicke Stützmauer gegen den Burg­

weg nach den Rechnungen 1484/85 entstan­

den, aber ein kleinerer Stützmauerrest in der Kernburg18 gehört nach dem baulichen Zu­

sammenhang noch ins 13. Jahrhundert, ebenso wie auch sonst vereinzelte Tuffwerkstücke in der Innenschale des Bergfrieds und an Schar­

ten der Nordringmauer.

Die Kernburg bestand aus einem einzigen gros­

sen Bau, der sich an die Südseite jenes Felsriffs lehnt, auf dem Turm und Wohnbau der älte­

ren Burg standen.19 Die Ostwand dieses Baues

erscheint über dem Halsgraben als mächtige Schildmauer (Abb. 6), die das einzige, hoch liegende Spitzbogentor und sonst nur einige schartenartige Schlitze enthält; die heutige Mauerkrone spiegelt ein flaches Satteldach wi­

der, das freilich nicht ursprünglich gewesen sein dürfte. Der Eindruck einer Schildmauer relativiert sich allerdings bei weiterer Betrach­

tung, denn die anderen Wände des Baues sind mit 2,60 m genauso dick wie die Wand zum Halsgraben und auch nahezu gleich hoch.20

16 Auch in der Aussenmauer der Kernburg soll es nach Burri 1935, 205 einzelne Buckelquader ge­

ben, die ich jedoch nichr fand. Entweder hat er verwaschene Glattquader fehlinterpretiert, oder die Buckelquader verschwanden bei einer Restaurierung.

17 Quelltuff steht 15 km nordöstlich der Grasburg bei Kehrsatz, Englisberg und Toffen(sid) an.

18 Burri 1935, 249 datiert diese Ecke in die Jahte 1484­1486, weil der darauf ehemals srehende

«Hintere Turm» damals in Tuff erneuerr wurde. Sie muss aber, wie der Turm selbst, älter sein, denn die Westwand des im 13. Jh. entstandenen Saalbaues setzt gegen die Ecke.

19 Burri 1935, 204­205 vermutet, der Saalbau habe gegen den Felsgrat bzw. diegarita eine eigene Abschlussmauer gehabt; aufgrund des Giebels auf der Schildmauer ist aber eher eine Innenmauer unter gemeinsamem Dach zu vermuten, die mit der älteren Südmauer der garita identisch gewe­

sen sein mag.

20 Burri 1935, 205­206 erwähnt Reste von hölzernen Ringankern in den Aussenmauern, die wie die Mauerdicke Sorge um die Standfestigkeit des abschüssig gegründeten Baues verraten.

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Abb. 7: Die Grasburg bei Die Kernburg enthielt zunächst zwei Kellerge­

Wahlern. Der 1984 im Kel- s c h o s d i e d u r c h d n e n Steinbruch im schräg

ler der Kernburg freigelegte . . . . . . . . °

Steinbruch. ansteigenden reis ( A b b . 7) erweitert und süd­

lich durch hohe, regelmässig angeordnete Schlitze belichtet wurden.21 Darüber lag das einzige herrschaftlich nutzbare Geschoss, das für den hohen Anspruch der Grasburg beson­

ders aussagekräftig war. Es bestand nämlich aus einem einzigen Raum, einem Saal von etwa 23 x 10 m Grösse,22 dessen südliche Längswand über dem Felsabsturz als regelmässige Fassade

21 Der Steinbruch wurde 1984 im Ostteil des Kellers freigelegt, danach aber wieder zugedeckt.

22 Weil die Nordwand durch Felsen gebildet wird, schwanken die Masse: 22,5­25 m x 7­12 m.

23 Burri 1935, 210 meinte, beide Pforten hätten auf einen Balkon geführt, der in gesamter Wand­

breite unter den Fenstern vorkragte; dies beruhte jedoch allein auf der fälschlichen Identifizie­

rung des «Wippingenhauses» (das nach den Rechnungen hinter einer «grossen Laube» lag) mit dem Wohnbau westlich hinter dem Saalbau. Das Haus und damit auch die «Laube» sind jedoch nicht lokalisierbar. Balkenlöcher für Holzerker waren noch auf den Fotos bei Burri 1935, Nr. 36, 42a ausschliesslich unter den beiden Pforten vorhanden.

24 Burri 1935, 212­213 vermutete über dem Saal noch einen weiteren, jedoch reichen seine Quel­

lenbelege dafür nicht aus, zumal das Dach ja noch heute durch den Giebel auf der Schildmauer belegt ist. Die Erwähnung«... superioris auk...» (1369/1375) meinte sicherlich einfach den Saal der Kernburg, etwa im Gegensatz zu dem kleineren im «Vorderen Haus».

25 Meyer 2001, 115.

26 Burri 1935,211­214 27 Burri 1935, 221­223.

28 Die Küche (Burri 1935, 214­220) lag zwar im Bereich der älteren Bauteile, dürfte aber erst im Zusammenhang mit dem Saal entstanden sein.

29 Der letzte, parallel zur Stützmauer von 1484/85 steil zum Haupttor ansteigende Abschnitt des Burgweges lag in einem Torzwinger, von dessen Mauer nur ganz unten, links am Weg spärliche Reste zeugen.

gestaltet ist (Abb. 8 und 9). Drei Doppelfens­

ter u n d zwei grosse Kamine auf den Wand­

stücken dazwischen bildeten eine symmetri­

sche, eng zusammengeschlossene u n d daher besonders wirksame Gruppierung, die beidsei­

tig in den Ecken durch Pforten zu Aborterkern abgeschlossen wurde.2 3 Leider kennen wir die Form der Fenster nicht mehr, denn vor der Re­

staurierung 1928­1931 waren keine Gewände mehr erhalten, nur die Nischen mit Ansätzen der Rundbogentonnen (vgl. Abb. 8). Aus den Quellen wissen wir, dass der Saal ein Holzge­

wölbe besass, ein Celum.24

Wir haben hier also einen mühsam dem un­

günstigen Bauplatz abgerungenen Saalbau vor uns, einen Bautypus, der nur auf Burgen be­

sonders mächtiger Geschlechter vorkam und auch auf den relativ gut erforschten Burgen der Schweiz bisher nur selten festgestellt wurde.25

Dass sich die spätmittelalterlichen Bewohner der Grasburg der Besonderheit eines solchen Baues bewusst waren, zeigt sich darin, dass die Kernburg in den Quellen verschiedentlich als aula bezeichnet wird.26 Ergänzt wurde der Saalbau durch einen Wohnbau, der westlich davon k ü h n auf dem Steilhang der äussersten Felsspitze stand und im 20. Jahrhundert bis auf geringe Reste abstürzte. Er erscheint in den Quellen als «Wohnung beim Saal» (logia ...

iuxta aulam)17 und muss mit dem Saalbau zu­

sammen entstanden sein, weil er von dort aus durch eine erhaltene, originale Pforte zugäng­

lich war. Weitere, den Saal ergänzende Räume lagen in den älteren Bauten auf dem Felsgrat, also nördlich hinter und über dem Saalbau, darunter mehrere Stuben und eine Küche mit in Resten erhaltenem Backofen.28

A m Ostende der Burg, durch ein heute leeres, etwas erhöhtes Gelände von der Kernburg ge­

trennt, steht der quadratische Bergfried, an den sich nördlich die Ruine eines kleinen Wohnge­

bäudes lehnt (Abb. 10). Der Bergfried vertei­

digte insbesondere den Zugang zur Burg; seine Wehrplatte dürfte die Brücke um rund 40 m überragt haben.29 Er misst 10 x 10 m bei ehe­

mals wohl etwa 20 m Höhe, ist aussen mit Bu­

ckelquadern verkleidet und zeigt laut Burri im oberen Teil Steinmetzzeichen in Formen, die ins 13. Jahrhundert passen. Das Geschoss un­

ter dem heutigen Niveau im Burginneren be­

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Archäologie Bern/Archeologie bernoise - 2011 ' 1 7 9

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Abb. 8: Die Grasburg bei Wahlern. Die Südwand des Saales, Innenseite, Zustand vor der ersten Restaurierung, vor 1907.

Abb. 9: Die Grasburg bei Wahlern. Die Südwand des Saales, Innenseite, 2009.

sitzt südlich eine innen stark erweiterte, vor der Restaurierung30 rundbogige Scharte (?), die auf die Brücke bzw. den Burgweg zielte. Uber ei­

ner Decke aus dicht gelegten Balken folgte ein Geschoss mit zwei Schlitzscharten in Rund­

bogennischen, von denen die westliche heute

in H o f h ö h e ins Burginnere zielt; ursprünglich war sie wohl auf das Burgtor gerichtet, denn die hohe Stützmauer des 15. Jahrhunderts zwi­

schen Bergfried und Tor wurde offenbar weit vor die ursprüngliche Ringmauer vorgerückt.31

Uber einer auf vorgestreckten Bändern ruhen­

30 Der Rundbogen ist durch einen Betonsturz ersetzt.

31 Die Scharte sitzt nicht mittig in der Turmwand, sondern ist gegen Süden versetzt, was zu einer ursprünglichen Flankierungsfunktion passt.

Bei der Restaurierung 1984 wurden in der Stützmauer des 15. Jhs. keine Reste ei­

ner älteren Mauer gefunden:

frdl. Mitteilung A. Baeriswyl.

(10)

180 Die Grasburg bei Wahlern

Abb. 10: Die Grasburg bei Wahlern. Bergfried und «Vor­

deres Haus» von Westen, aus dem Burginneren, 2009.

32 Burri 1935, 121 (F. Die 1343/44 erwähnte dritte Brücke (in tercio ponte) ist in der Rechnung nicht lo­

kalisiert. Nimmt man an, dass es am äussersten (Zwin­

ger­)Tor zwei Brücken gab ­ eine Haupt­ und eine Fuss­

gängerbrücke ­ so wird die dritte Brücke vor dem älte­

ren Haupttor gelegen ha­

ben. Auch 1318/19 könnte die «Brücke, über die man ins äussere Haus trat» (ad domum exteriorem) eben die Brücke am Haupttor ge­

wesen sein, Falls «äusseres Haus» hier nicht die Kern­

burg meint.

33 Burri 1935, 145.

34 Burri 1935,148­150.

35 Burri 1935,148: Die magn(a) camer(a) vocat(a) torsal(a) (corsala?)... ante magnam turrim (1394/1396) dürFte eher in der Kernburg bzw. bei deren Turm zu su­

chen sein.

den Balkendecke folgte ein drittes Geschoss mit kleinen Lichtschlitzen im Norden u n d Süden, schliesslich ein viertes über gleichar­

tiger Decke, dessen W ä n d e nur halbhoch er­

halten sind, aber nördlich noch den spitzbogi­

gen Einstieg enthalten. Uber diesem Geschoss folgten wohl nur noch die bei Albrecht Kauw (vgl. Abb. 1) dargestellten Zinnen.

Einstieg und Lichtschlitz an der Nordseite des Bergfrieds zeigen, dass das dort angebaute, gleichfalls in die Phase II gehörende Haus anfänglich nicht geplant war; ein 1984 unter dessen N o r d w a n d erfasster Mauerzug abwei­

chender Richtung dürfte zu der ursprünglich geplanten Ringmauer gehören. Das Haus ist aufgrund seiner weitgehend erhaltenen Aus­

senmauern gut zu rekonstruieren, aber seine D e u t u n g durch Burri ist in mehreren Punk­

ten problematisch. Vor allem bezog er fälsch­

lich auch Erwähnungen anderer, heute nicht mehr lokalisierbarer Bauten auf dieses Haus.

Sicherheit, dass in den savoyischen Rechnun­

gen wirklich dieser Bau gemeint ist, hat m a n in Wahrheit ausschliesslich dann, wenn die Bezeichnung «Vorderes» oder «Kleines Haus»/

«Schloss» auftaucht (parvum Castrum, domus anterior). Der zweite Punkt, wo Burri zu wi­

dersprechen ist, besteht darin, dass er T u r m u n d "Wohnhaus zu einer Art zweiter Kern­

burg mit eigener Verteidigungsfähigkeit er­

klärte, obwohl auch i h m klar war, dass die maximal 1,00 m dicke Westwand des Hauses dazu nicht passt. Sein Argument war eine in den Rechnungen erwähnte Brücke, die er hier lokalisierte, deren Lage in Wahrheit aber un­

geklärt ist.32 Das dritte Problem liegt in Burris Rekonstruktionsversuch der Raumaufteilung.

N a c h dem Baubefund besass das «Vordere Haus» ein Erdgeschoss mit drei Scharten ge­

gen Norden u n d Osten; im 1. Obergeschoss lag ein Saal mit drei Doppelfenstern in Sitz­

nischen, einer Kreuzscharte gegen Norden, ei­

nem Kamin sowie einem Abort in der Nord­

westecke. Burri wollte aus dem K a m i n u n d einem Wasserspeier unter der Scharte eine se­

parate Küche erschliessen,33 aber d a f ü r fehlt nicht nur der Platz ­ bei einer Raumtiefe von nur 6,5 m war der K a m i n beachtliche 5 m breit —, sondern auch jedes weitere Argument.

Das Haus besass nach Mauerresten auf der Nordwestecke wohl noch ein zweites Ober­

geschoss, jedoch kann m a n Burris D e u t u n ­ gen der Rechnungen auch hier nicht folgen, denn er bezieht unbegründet Erwähnungen des «Endiisberghauses» auf dieses Geschoss34

u n d auch Rechnungen, die eher die Kernburg meinen.3 5 Der Bergfriedeinstieg war inner­

halb des Hauses über eine durch Holzwände abgetrennte Treppe zu erreichen ­ eine in der nachträglichen Planung des Hauses begrün­

dete Notlösung.

(11)

Archäologie Bern/Archeologie bernoise - 2011 181

Die ursprüngliche Funktion des «Vorderen Hauses» ist folglich mangels aller Quellenaus­

sagen ausschliesslich aus seiner Bauform abzu­

leiten. Es war ein gut ausgestatteter Wohnbau, unter dem direkten Schutz des Bergfrieds, und mit seiner Steinbauweise offenbar solider ge­

staltet als alle anderen Bauten der Grasburg mit Ausnahme der Kernburg. Angesichts sol­

cher Merkmale wird m a n hier das Haus eines Burgmannes annehmen, am ehesten das des 1239 erwähnten Schultheissen.

Zwischen Bergfried und «Vorderem Haus» ei­

nerseits, dem Halsgraben der Kernburg ande­

rerseits liegt ein rund 80 m langer u n d bis zu 50 m breiter, heute unbebauter Bereich, des­

sen Mittelteil von N a t u r aus erhöht ist. Er wird in den savoyischen Rechnungen meist als platea bezeichnet; von der umgebenden Ring­

mauer gibt es im Norden u n d Südosten noch Reste.36 Das Burgtor ­ das nur noch durch ei­

nen restaurierten Mauerrest angedeutet wird

­ lag im Südosten dieses Bereichs, an der ein­

zigen Stelle, wo ein Aufstieg vom Sattel unter der Burg möglich war. Nach einer Rechnung von 1363/1365 lag das Tor «unter der Ka­

pelle» (subtus capellam),i7 was Burri im Sinne einer baulich selbständigen Kapelle interpre­

tierte, die am H a n g der platea etwas oberhalb des Tores stand. 1343/44 erfahren wir ausser­

dem, dass die Kapelle über eine Brücke von der platea aus zu erreichen war (ponte, quo itur a platea in capellam).iS

Diese Angaben lassen durchaus auch eine an­

dere Rekonstruktion der Kapelle zu, nämlich dass sie nicht als eigenständiger Bau hinter u n d über dem Tor stand, sondern dass sie ei­

nen R a u m direkt über dem Tor einnahm. In diesem Falle hätte es sich u m eine turmar­

tige Torkapelle gehandelt, wie sie von wich­

tigen deutschen Burgen bekannt ist (Wilden­

berg im Odenwald, Kronberg, aufwendiger Donaustauf, Rheda). W e n n d a n n 1394/1396 ausserdem ein «Kapellenturm» erwähnt wird

­ m a n reparierte damals zwei seiner Ecken (duos angulos muri turis Capelle)^ ­ dann kann es sich u m eben den T u r m gehandelt haben, der Tor und Kapelle a u f n a h m . In jedem Falle war die Kapelle dem Hl. Georg geweiht u n d besass eine Kanzel (1493/94) u n d wohl auch mindestens zwei Altäre.40

5. Die Burgmannenhäuser

Eine der interessantesten Überlegungen Burris bezog sich auf die Frage, ob innerhalb der Grasburg auch eine kleine Siedlung oder gar Stadt gelegen haben könnte. Er leitete diese Idee von dem 1239 erwähnten Schultheissen ab ­ Schultheissen waren oft, aber keineswegs zwingend Amtsleute in einer Stadt. Ein weite­

res Argument war f ü r ihn, dass u m 1400 ge­

legentlich die Rede von Castrum et villa (Gras- purgi) oder auch von locum et Castrum war,41

also zumindest von einem «Dorf» oder «Ort».

Dazu passt eine Reihe von Hinweisen, dass es zwischen den beiden in Resten erhaltenen Baugruppen, also auf der geräumigen platea im Z e n t r u m der Burg, eine durchaus umfang­

reiche, aber restlos verschwundene Bebauung gegeben hat. Burri nennt einerseits nach den Rechnungen des 15. Jahrhunderts einige Wirt­

schaftsgebäude: mindestens drei Getreidespei­

cher, eine Schmiede, einen Krautgarten und ein Gefängnis.4 2 1369 gab es ausserdem einen Pferdestall, u n d im noch früheren 14. Jahr­

hundert einen Backofen4 3 u n d eine Bade­

stube. Ausserdem ist schon 1317/18 eine höl­

zerne Wasserleitung belegt, die mindestens zwei Brunnen speiste. Könnte m a n viele die­

ser Hinweise auf eine normale, lediglich wirt­

schaftlich genutzte Vorburg beziehen, so ge­

ben die opulente Wasserversorgung u n d die Badestube, auch die Mehrheit der Getreide­

speicher zu denken. Sie weisen auf eine grös­

sere Bewohnerschaft, als m a n sie allein in der Kernburg und im «Vorderen Haus» annehmen kann, bzw. auf mehrere unabhängige Haus­

halte in der Burg.

Und in der Tat enthalten die Quellen des 14. Jahrhunderts auch Hinweise auf mindes­

tens drei weitere, verschwundene Wohnhäuser, die mangels Alternative nur auf der platea ge­

standen haben können. Dass diese Tatsache bis­

her unerkannt blieb, liegt ­ wie schon erwähnt

­ daran, dass Burri die Häuser stets mit jenen Bauten identifizierte, von denen noch Reste vorhanden sind, wobei er sich durch schwache oder fehlende Indizien nicht beirren liess.

Von dem 1315/1317 zitierten «ebenen Haus»

(domus plana)AA wissen wir nichts ausser der Bezeichnung. Diese mag andeuten, dass es

36 Gegen Südwesten, über der 60 m hohen Felswand, dürfte es keine Mauer gege­

ben haben.

37 Burri 1935, 154 und 156.

38 Burri 1935, 157, Anm. 7.

39 Burri 1935, 157, Anm. 8.

40 Burri 1935, 161.

41 Burri 1935, 170.

42 Die 1407/1409 erwähnte gaietz prope aulam parvi castri (Burri 1935, 149­

159) lag entgegen Burri eben nicht im «Vorderen Haus», sondern bei ihm.

43 Dieser wurde bei den Freile­

gungen 1984 westlich vom

«Vorderen Haus» gefunden.

Er lag an einer damals eben­

falls freigelegten Quermauer, die einen Hof vor dem «Vor­

deren Haus» abgrenzte.

44 Burri 1935, 146­147 und 151­152.

(12)

182 Die Grasburg bei Wahlern

45 So 1417/18: Burri 1935, 168.

46 Burri 1906,64-68.

47 Burri 1935, 150.

48 Burri 1935, 220fF.

49 Wippingen ist der heute ungebräuchliche deutsche Name von Vuippens, zwi­

schen Freiburg/Üe. und Bulle.

50 Etymologisch ist «Laube»

von «Laub» abgelei­

tet, meinte also ursprüng­

lich eine «Laubhütte», aber im Hoch­ und Spätmit­

telalter war der Begriffbe­

reits vieldeutig, im Sinne eines zur Umgebung weit­

gehend geöffneten Raumes.

Sollte er hier eine «Gerichts­

laube» meinen? Am Sitz ei­

nes Schultheissen kommt dies durchaus infrage; an­

gesichts der Verwandtschaft von «Laube» und «loger/lo­

gement» könnte die lobia aber auch einfach ein Wohn­

bau sein.

51 Biller 2004. Vgl. auch: Bil­

ler/Metz, 2007, 6 0 ­ 6 2 . 52 Es ist keineswegs gesagt, dass wir alle Wohn­/Burg­

mannenhäuser der Grasburg kennen, denn die Erwäh­

nungen in den Rechnungen sind ja ganz zufällig.

53 Die Konsolen wurden bei der letzten Restaurierung am 15.10. 84 vom Gerüst aus fotografiert (Archiv der Kantonalen Denkmalpflege Bern, EXT/03/62).

auf der platea stand, die nämlich gelegentlich auch als planum Castrum® bezeichnet wurde.

Das «Endlisberghaus» (de domo ... dicta de Endilispers), das in den Rechnungen zwischen 1355 und 1375 erwähnt wird, hatte seinen Na­

men zweifellos von Wilhelm von Endlisberg, der u m 1300 Burgvogt und Pfandinhaber der Grasburg war.46 Burri identifizierte es mit dem

«Vorderen Haus», dessen Bauweise aber nicht zu den Angaben der Rechnungen passt. Insbe­

sondere ist 1365/66 belegt, dass das «Endlis­

berghaus» ein bereits verfallener Bau war, bei dem zumindest das Wohngeschoss völlig aus Holz bestand. Er lehnte sich offenbar an die Nordringmauer, denn der Abbruch hätte laut Rechnung deren Ausbesserung erfordert und das Dach war den Nordwinden ausgesetzt.47

Schliesslich meinte Burri, er habe das «Wippin­

genhaus» der Rechnungen in jenem heute ver­

schwundenen Wohnbau gefunden, der west­

lich des Saales auf der äussersten Spitze der Kernburg stand.48 Aber dies beruht nur dar­

auf, dass dieser Bau (... domum castri, in qua morabatur Johannes de Wulpenx...)49 1314/15

«diesseits der grossen Laube» (an magna lo­

bia citra) lokalisiert wird. Burri rekonstruierte diese «Laube» nämlich als langen Balkon vor dem Saal der Kernburg ­ dort sind aber nur zwei Aborterker belegbar. In Wahrheit wissen wir nicht, was sie war und wo sie stand.50

Von den drei verschwundenen Häusern in der Grasburg, die alle mindestens ins frühe 14. Jahrhundert zurückgehen, waren also zwei nach Adligen der Region benannt, die auf der Burg wohnten. M a n darf in ihnen frag­

los Burgmannen sehen, deren vier Häuser ­

«Vorderes Haus», «Ebenes Haus», «Endlisberg­

haus», «Wippingenhaus» ­ tatsächlich eine Art kleine Siedlung im grossen Ostteil der Burg bildeten. Solche Burgmannensiedlungen wa­

ren häufiger als der Burgenforschung lange be­

wusst war,51 und im vorliegenden Falle dürften sie sowohl die Bezeichnungen «villa» und «lo­

cus» erklären, als auch die aufwendige Wasser­

versorgung, die durch insgesamt mindestens f ü n f Haushalte in der Burg nötig wurde.52

6. Zur Datierung der Bau­

formen

Für die Fragestellung dieser Arbeit ­ w a n n nämlich die grosse und weit überdurchschnitt­

lich ausgestattete Burg der Phase II entstand ­ bieten die savoyischen Rechnungen, Bur­

ris wichtigstes Material, den Terminus ante quem. Beim Einsetzen der Rechnungen 1314 existierte die Grasburg zweifellos bereits im Zustand der Phase II, der in ihnen mit vielen Details erkennbar ist. Dabei erscheint sie aber keineswegs als neue Burg, sondern im Gegen­

teil als ein Bau von einigem Alter, denn sie war von A n f a n g an reparaturbedürftig. Ein gewisses Alter bestätigen zwei frühere Nen­

nungen. Schon dass König Wilhelm von Hol­

land die Grasburg 1255, in den Wirren des Interregnums, als entfremdetes, aber unbe­

dingt zurückzugewinnendes Reichsgut be­

zeichnete und sie dabei in eine Reihe mit an­

deren wichtigen Reichsburgen und ­Städten der Westschweiz stellte, kann nur auf eine be­

deutende Burg bezogen werden, deren Besitz für das Reich von besonderem Wert war. Die folgenden Jahrzehnte, in denen sich das Reich u n d die mächtigsten Dynastien ihres Raumes weiter u m sie stritten, bestätigen diese Erwä­

gung. Scheint demnach auch eine Erbauung bereits vor 1255 gesichert, so liegt letztendlich die These nahe, dass auch der seit 1239 er­

wähnte Schultheiss ein Hinweis auf die Exis­

tenz oder zumindest Planung der voll ausge­

bauten Reichsburg ist.

Welche Aussagen kann nun die Bausubstanz diesen aus den Quellen abgeleiteten Annah­

men hinzufügen?

Es gibt an der heute eher formenarmen Ruine doch einige Details, die schon auf den ersten Blick als gotisch einzustufen sind. Das gilt für den Spitzbogen am Tor der Kernburg und am Bergfriedeinstieg, aber auch die Konsolstürze mehrerer Öffnungen deuten in diese Richtung wie auch die schlicht zugespitzten Konsolen der Kamine im Saal.53 Noch näher einschätz­

bare Stilformen erwartet m a n erfahrungsge­

mäss bei den grösseren Fenstern der Burg, aber diese erweisen sich als problematisch. Sowohl im Saal der Kernburg als auch im kleineren Hauptraum des «Vorderen Hauses« findet man

(13)

Archäologie Bern/Archeologie bernoise ­ 2011 1 8 3

Die drei oberen Schichten beider Sitzbänke 1928­1935

cB

CZD

"A

Abb. 11: Die Grasburg bei Wahlern. «Vorderes Haus», Fenster im Obergeschoss;

Grundriss (links) und Innen­

ansicht (rechts).

Restaurierung 1928­1935 Mörtel, Beton

heute rundbogige Fensternischen mit Seitensit­

zen (Abb. 11), in denen höchst einfach gestal­

tete, selbst auf eine Fase verzichtende, zweilich­

tige Rechteckfenster sitzen. In der Kernburg stammen Mittelstützen u n d Abschluss die­

ser Fenster aber erst von 1931,54 so dass sie ur­

sprünglich durchaus anders ausgesehen haben können. Weitgehend original erhalten ist ein derartiges Fenster nur im «Vorderen Haus»; es diente offenbar der Restaurierung der Kern­

burg als Vorbild (vgl. Abb. 9).55

Die kompromisslose Schlichtheit dieser Fens­

terform und den Rundbogen kann man durch­

aus als romanisch ansprechen, wobei dies aber keineswegs im Sinne einer engen Datierung zu verstehen ist. D e n n dass es Ähnliches noch deutlich später auch im gotischen Profanbau gab, verdeutlicht ein Blick auf die nahen savoy­

ischen Burgen. D o r t findet m a n nämlich im mittleren u n d späten 13. Jahrhundert unter anderem auch zweilichtige Rechteckfenster in Rundbogennischen mit Seitensitzen56 als Va­

rianten einer in Frankreich weit verbreiteten Form. Auch dort sind sie in der Regel wenig geschmückt, etwa nur mit einer schmalen Fase oder Blendbögen auf dem Sturz. Dabei finde ich allerdings für einen so vollständigen Or­

namentverzicht wie auf der Grasburg keinen Vergleich.57

Ein weiteres nicht nur für die Datierung in­

teressantes Merkmal der Grasburg sind ihre Schiessscharten (Abb. 12), die als hohe Schlitz­

scharten und, als deren Weiterentwicklung, als Kreuzscharten auftreten.5 8 M a n findet sie an

Abb. 12: Die Grasburg bei Wahlern. Drei Scharten.

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: U

Ii r*H r-

Vorderes Haus, Nordwand, EG tonnengewölbter ehemals Gang

Boden des Ganges geschätzt

Nördl. Ringmauer

Bergfried, Hofwand

54 Burri 1935, 209 erklärt, die Reste vor der Restaurierung hätten «Stichbögen» angedeutet, jedoch kannte er offenbar den Begriff «Rundbogen» nicht, denn die erhaltenen Rundbögen des «Vorde­

ren Hauses» bezeichnete er gleichfalls als Stichbögen! Die Fotos vor der Restaurierung zeigen je­

denfalls Reste von Rundbögen (siehe hier Abb. 8).

55 In einem handschriftlichen «Bericht über die Untersuchung der Ruine Grasburg» von K. Inder­

mühle vom 3.5.1902 (Archiv Kantonale Denkmalpflege Bern, Wahlern, Ruine Grasburg, Akten 1902­1907) heisst es auf S. 3 über das «Vordere Haus»: «Von den Fenstern im Wohnbau ist ei­

nes noch vollständig nach Fig. I». Die zugehörige Skizze zeigt ein rundbogiges Doppelfenster mit Seitensitz links in spitzbogiger Nische; dies ist Phantasie, wie die erhaltenen Fenster belegen.

56 De Raemy 2004. Im etwa 80 km entfernten Elsass treten vergleichbare Formen spätestens um 1260 auf, aber ein Einzelbeispiel auf Bernstein kann schon vor 1227 datiert werden. Rundbogige Fensternischen waren im Elsass in der 2. Hälfte des 13. Jhs. durchaus üblich: vgl. Biller 1995, 61­63.

57 Dabei ist nicht zu vergessen, dass das einzige vollständig erhaltene Fenster der Grasburg nicht zur Kernburg gehört, sondern zu einem Wohnhaus untergeordneten Ranges. Die Fenster im Saalbau können durchaus aufwendiger gestaltet gewesen sein.

58 Ich danke Stefan Ulrich, der sich in seiner Dissertation über Neuleiningen (Ulrich 2005) inten­

siv mit den frühen Scharten im deutschen Raum befasst hat, dass er die Grasburg mit mir be­

sucht und die Scharten vermessen hat.

(14)

184 Die Grasburg bei Wahlern

59 Es ist jedoch nicht jeder Schlitz auf der Grasburg eine Schiessscharte. Das gilt be­

sonders für die Öffnungen in den Kellern der Kernburg, vor denen ein 60 m hoher Felsabsturz liegt.

60 List 1969. List 1970.

61 DeRaemy2004, 172, Abb. 253.

62 Biller 1995, 108­110.

Ulrich 2005, 109­147.

63 Biller 1995, 207 (mit Ver­

weis auf Wangenburg und Ramstein).

64 DeRaemy2004, Bd. I, Abb. 323 und 330.

65 Biller 1995, 108­110; be­

sonders typisch war im El­

sass die Anordnung im Erd­

geschoss der Wohnbauten.

66 Vielleicht stand über dem Gang eines der Burgman­

nenhäuser, jedoch würde die Kellerfunktion allein we­

der die Gangform noch die Scharten erklären. Es ist eine naheliegende Annahme, dass auch der 1484/85 erneu­

erte Ringmauerteil zwischen Bergfried und Tor einen der­

artigen Schartengang besass, denn diese Partie war für die Verteidigung noch deut­

lich wichtiger als die Nord­

ringmauer (vgl. Abb. 13).

Als Beispiele für überwölbte Schartengänge aus dem spä­

ten 15. Jh. seien die Zwin­

ger der Feste Marienberg in Würzburg und der Burg Prozelten genannt, beide in Franken. Schweizerische Beispiele kenne ich nicht.

67 Biller 1995,84­87.

68 Biller 1998, 185­194. Biller 1995,78­84.

69 Eine Liste der Buckelquader in der Schweiz bei Reicke 1995. Dort bleibt allerdings gerade die Grasburg uner­

wähnt.

allen erhaltenen Bauteilen: im Bergfried, im Erdgeschoss des «Vorderen Hauses», in der nördlichen Ringmauer u n d in der Angriffs­

seite der Kernburg.59 H o h e Schlitzscharten gab es in benachbarten Burgenlandschaften ab den 1230er­/40er­Jahren, als früheste Schar­

tenform überhaupt. A m Oberrhein treten sie zuerst 1218 in Lahr auf,60 im westschweizeri­

schen Raum wohl in den Flankierungstürmen von Chillon, die 1233 angefügt wurden,61 wo­

bei in beiden Fällen und aus gutem G r u n d die H e r k u n f t aus dem benachbarten Frankreich angenommen wird. Häufiger werden Schar­

ten aber in beiden Regionen erst etwas spä­

ter, ab etwa 1240.62 Besonders interessant ist die Kreuzform, die auf der Grasburg in einer Scharte des «Vorderen Hauses» vollständig, in einer der Ringmauer in Resten erhalten ist;

unter den zerstörten oder restaurierten Schar­

ten könnten aber noch mehr diese Form beses­

sen haben. Auch kreuzförmige Scharten kom­

men sowohl am Oberrhein als auch in Savoyen in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts vor, aber nur selten. Das bekannteste Beispiel im Elsass findet sich in der Vorburg von Orten­

berg bei Schlettstadt (um 1262­1265),6 3 in Sa­

voyen wäre etwa Bulle zu nennen (um 1290).64

Im Vergleich mit den Beispielen am Oberrhein und in Savoyen fällt bei der Grasburg auf, dass ihre Scharten ­ vielleicht mit Ausnahme des Bergfrieds ­ nirgends in einem Bauteil ange­

ordnet sind, der flankierend vorspringt, son­

dern stets so, dass sie ausschliesslich frontal wirken konnten. Derartiges gibt es anderswo zwar auch, etwa im Elsass spätestens ab der Zeit u m 1260,65 aber im westschweizerischen R a u m ist es offenbar ein Einzelfall. Und end­

gültig ein Unikat stellte die nördliche Ring­

mauer der Grasburg dar. Hinter ihr war näm­

lich ein «unterirdischer», gewölbter Gang mit regelmässiger Schartenreihe angeordnet, eine Form, die sonst vor dem Aufkommen der Feu­

erwaffen unbekannt ist.66

Als letzte Datierungsmöglichkeit der Gras­

burg k a n n m a n ­ obwohl auch davon nur recht grobe Hinweise zu erhoffen sind ­ das Mauerwerk ansprechen. Das auf Buckelqua­

der vollständig verzichtende Quadermauer­

werk ist etwa am Oberrhein ein Merkmal, das sich erst gegen Mitte des 13. Jahrhunderts ver­

breitete.67 Und durchaus ähnlich sind auch die

Buckelquader des Bergfrieds zu datieren, denn wir wissen heute, dass wir mit Buckelquadern mindestens im gesamten 13. Jahrhundert rech­

nen müssen68 und ­ dank der Dissertation von Daniel Reicke ­ dass die Entwicklung auch in der Schweiz ähnlich verlief.69 Die Grasbur­

ger Buckelform, flach u n d mit sehr breitem Randschlag, kam dabei in spätstaufischer Zeit in der ersten Hälfte bis Mitte des 13. Jahr­

hunderts auf. Dabei bleibt freilich zu beach­

ten, dass die leicht verwitternde Molasse sol­

che Formen sicherlich gefördert hat.

7. Ein staufischer Stützpunkt gegen die Kyburger

Die stark und repräsentativ ausgebaute Gras­

burg der Phase II (Abb. 13) war also, wenn m a n alle Indizien zusammenfasst, einerseits 1255 funktionsfähig, als sie — dabei als bishe­

rige Reichsburg gekennzeichnet ­ für längere Zeit zum Streitobjekt zwischen den wichtigs­

ten Mächten des heute westschweizerischen Raumes wurde. Andererseits zeigt sie stilisti­

sche und technische Merkmale, die man kaum vor das zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts zurückdatieren kann. Damit liegt eine Erbau­

ung in eben jener Zeit nahe, als 1239 ein nach der Burg benannter Schultheiss des Reiches auftritt, ein klarer Hinweis auf eine herausge­

hobene rechtliche Bedeutung der Burg. Mein Vorschlag lautet daher, dass die Grasburg in ih­

rer heute greifbaren, anspruchsvollen Gestalt u m 1240 in der Entstehung begriffen war.

Die politische Situation, in der dies gesche­

hen wäre, ist jene nach dem Aussterben der Zähringer 1218. Damals fiel das Rektorat Bur­

gund, in dessen ehemaligem Gebiet die Gras­

burg liegt, an Kaiser Friedrich II. und seinen Sohn Heinrich (VII.) zurück. Wichtige Teile des Gebiets blieben in der H a n d der Staufer;

Heinrich (VII.) überschrieb etwa 1226 das Augustinerstift Köniz, 16 k m nördlich der Grasburg, dem Deutschen Orden. Andere Teile aber fielen an regionale Mächte, insbe­

sondere an die Grafen von Kyburg (Freiburg/

Ue., T h u n , Burgdorf u.a.).

Bis 1245 blieb die Lage in diesem Raum fried­

lich, dann jedoch entstand in der Unklarheit des Interregnums eine lange Auseinandersetzung

(15)

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Abb. 13: Die Grasburg bei Wahlern. Rekonstruktions­

versuch der Ansicht von Süd­

osten um 1250.

Abb. 14: Plan der mittelalter­

lichen Strassen im Bereich der Grasburg.

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___/ 535

Freiburger Alpen

Thun

# 7 1 fl

(16)

186 Die Grasburg bei Wahlern

Abb. 15: Die Grasburg bei Wahlern. Der Burgweg, 2009.

rr*

70 Burri 1935,86.

mit den nun antistaufisch eingestellten Grafen von Kyburg - insbesondere 1250 bis 1263 mit H a r t m a n n V. von Kyburg - und jenen von Sa- voyen, etwas später auch mit den Habsburgern.

In diesen Konflikten hielt sich die Grasburg als Reichsburg offenbar bis 1253/54, was ange­

sichts der damaligen Schwäche der Staufer viel mit der Staufertreue des nahen Bern zu tun ge­

habt haben muss. D a n n fiel die Burg zunächst in die H a n d der Kyburger und wurde schliess­

lich für rund sechzig Jahre zum Zankapfel.

Dass die Staufer bzw. ihre regionalen Vertreter gerade die Grasburg ausbauten, war vermut­

lich darin begründet, dass sie zwischen zwei seit 1218 kyburgischen Hauptstützpunkten lag, nämlich den Städten Freiburg/Ue. und T h u n . Die Burg konnte aufgrund dieser Lage nicht nur den Rückhalt und Verwaltungssitz des Gebietes zwischen Bern und dem Alpen­

fuss bilden, sondern auch die wichtige Ver­

bindung zwischen den beiden kyburgischen

Stützpunkten überwachen. D e n n die Strasse Freiburg ­ T h u n , die nach heutiger Einschät­

zung spätestens im 10./11. Jahrhundert Be­

deutung gewann, überquerte die Sense nur 600 m südlich der Grasburg und lag mit ih­

rem gut erhaltenen Ostabstieg bei der «Toren­

öli» im Blickfeld der Burg (Abb. 14). Zudem wurde auch der ähnlich aufwendig in den Fels gearbeitete Weg über den Steilhang zur Burg und hinunter zum «Harrissteg» über die Sense noch im 16. Jahrhundert als «Strasse» bezeich­

net.70 Es liegt daher nahe, dass auch dies eine Fernstrasse war, die wohl nach dem 18 km ent­

fernten Laupen führte (Abb. 15).

Die Grasburg ist also wahrscheinlich ein bis­

her wenig beachtetes Zeugnis spätstaufischer Reichspolitik und folglich auch des im engeren Sinne staufischen Burgenbaues. Damit wird eine auch historische Bedeutung erkennbar, die ihre beeindruckende Erscheinung durch­

aus zu erklären vermag.

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