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Archiv "Schulische und außerschulische Förderung von Legastheniekindern" (10.10.1984)

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Der Vorstand der Deutschen Ge- sellschaft für Kinder- und Ju- gendpsychiatrie sieht sich veran- laßt, zur schulischen und außer- schulischen Förderung von Kin- dern, die an einer Legasthenie lei- den, Stellung zu nehmen.

Anlaß hierfür geben die Grund- satzempfehlungen der Kultusmini- ster-Konferenz vom 20. 4. 1978 und die nachfolgend in der Mehr- zahl der Bundesländer erlassenen Richtlinien zur „Förderung von Schülern mit besonderen Schwie- rigkeiten beim Erlernen des Le- sens und Rechtschreibens".

Bei Anerkennung des sich in den Richtlinien ausdrückenden Wil- lens, den betroffenen Kindern in- nerhalb des Schulsystems Förde- rung zuteil werden zu lassen, sind doch erhebliche Mängel nicht zu übersehen. Die Erfahrungen der vergangenen vier Jahre haben

*) Aus: der kinderarzt 14. Jg. Nr. 4 (1983) 519-520

überdies gelehrt, daß diese Män- gel sich für die Betroffenen nach- teilig auswirken.

Bestandsaufnahme:

In den Erlassen werden „Schwie- rigkeiten beim Erlernen des Le- sens und Rechtschreibens" syn- onym mit dem Begriff „Legasthe- nie" (Lese-Rechtschreib-Schwä- che) gebraucht. Unter Hinweis darauf, daß trotz umfangreicher Forschung auf diesem Gebiet

„noch viele Fragen offen sind", wird die Definition der Problem- gruppe in der angegebenen Wei- se pauschal gefaßt und den vorge- schlagenen Erkennungs- und För- dermaßnahmen zugrunde gelegt, so, als sei die Problemgruppe da- mit adäquat beschrieben und als seien alle erforderlichen Maßnah- men, zumal innerhalb der ersten zwei Jahrgangsstufen, aus dieser Definition durch den Pädagogen ableit- und durchführbar. Ziel des Beschlusses der Kultusminister-

konferenz zu den Förderungs- grundsätzen war die Vereinheitli- chung der Maßnahmen für das Bundesgebiet. Im Ergebnis ist ei- ne Vereinfachung des Problems herausgekommen, die gesicher- tes Wissen über das komplexe Bedingungsgefüge und die quali- tativ sehr unterschiedliche Sym- ptomatik der Legasthenie (s. un- ten) ignoriert und vielen betroffe- nen Kindern nicht gerecht wird.

So betrachten z. B. die Richtlinien für die Fördermaßnahmen im er- sten und zweiten Schuljahrgang das Problem im wesentlichen als ein schulinternes, das durch Diffe- renzierung des Unterrichts im Klassenverband zu bewältigen sei. Zusätzlicher Unterricht kann für zwei bis drei Wochenstunden, die auf tägliche Übungszeiten ver- teilt werden können, angesetzt werden.

Die Kritik an diesem Teil der Erlas- se entzündet sich an einer grund- sätzlichen Verharmlosung der Schwierigkeiten vieler an Leg- asthenie leidender Kinder, denen weder durch „Differenzierung im Klassenverband" noch mit zwei bis drei Wochenstunden schulin- ternen Förderunterrichts in aus- reichender, d. h. problemspezifi- scher Weise geholfen wird. Sol- che, auf Kinder mit geringen Schwierigkeiten erfolgreich an- wendbare Maßnahmen haben den Eindruck entstehen lassen, als ge- be es für die Schulbehörde die Legasthenie nicht mehr.

Gravierender ist jedoch, daß Kin- der der ersten beiden Jahrgangs- stufen, wie die Praxis zeigt, wert- volle Zeit für intensivere und spe- zifischere Fördermaßnahmen ver- lieren, wenn die Entscheidung über die Art der vorliegenden Schwierigkeiten und über eine mögliche außerschulische Be- handlungsbedürftigkeit bei einem Lehrer liegt, der hierfür keine aus- reichende Vorbildung besitzt. Die Tendenz, nur in Fällen, die dem Ermessen des Lehrers anheimge- stellt sind, Spezialuntersuchun-

Schulische und außerschulische Förderung von Legastheniekindern

Auszüge aus der Stellungnahme des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugend- psychiatrie zum Erlaß der Kultusministerkonferenz zur

„Förderung von Schülern mit besonderen Schwierig- keiten beim Erlernen des Lesens und Rechtschrei- bens" vom 20. April 1978*):

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Legasthenie

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 41 vom 10. Oktober 1984 (65) 2977

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gen vornehmen zu lassen, d. h.

das Problem als ein grundsätzlich schulinternes anzusehen, ist un- verkennbar.

Das Problem aus der Sicht des Kinder- und Jugendpsychiaters Mit der Bezeichnung „Besondere Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und Rechtschrei- bens" lassen sich mühelos unter- schiedliche Störungen zusam- menfassen, die zwar das gleiche Ergebnis, aber sehr unterschied- liche Entstehungsursachen und damit unterschiedliche Voraus- setzungen für ihre Behandlung haben. „Besondere Schwierigkei- ten" können ausschließlich milieubedingt, unterrichtsbedingt wie Folge einer Hirnentwicklungs- störung, oder Folge von allen drei Bedingungen sein. Zwischen mehreren Extremen, über deren Existenz kein Zweifel besteht, lie- gen eine Reihe von Entstehungs- möglichkeiten und deren Kombi- nationen, die sich auch im Er- gebnis, der Lese-Rechts.chreib- Schwäche, bei quantitativ ver- gleichbarer Schwere qualitativ deutlich unterscheiden.

„Leseschwäche". In der angel- sächsischen Literatur wird z. B.

zwischen allgemeiner und spezifi- scher Leseschwäche unterschie- den: Letztere ist identisch mit der speziellen Lese-Rechtschreib- Schwäche (Legasthenie) unseres Sprachgebrauchs. In sorgfältigen und umfangreichen Populations- studien hat sich herausgestellt, daß Kinder mit Legasthenie über- zufällig häufig Störungen der Ent- wicklung des Sprechens und der Sprache aufweisen, während Kin- der mit allgemeiner Leseschwä- che häufiger neurologische Be- funde (z. B. Koordinationsstörun- gen) zeigen und aus sozio-ökono- misch benachteiligten Familien stammen. Mittlerweile häufen sich Befunde, die die Legasthenie als eine besondere Form der Sprachentwicklungsstörung aus-

weisen, mit qualitativ und quanti- tativ unterschiedlicher Manifesta- tion.

Wissenschaftlich belegt ist, daß der Leselernprozeß sich im Zu- sammenwirken mit Komponenten ereignet, von denen jede wieder- um gesondert betroffen sein kann, z. B. die Fähigkeit, visuell und auditiv sprachliche Wahrneh- mungen aufzunehmen, Sequen- zen zu bilden und verbale Infor- mation innerhalb eines oder zwi- schen verschiedenen Wahrneh- mungsbereichen zu transferieren.

Solche Störungen können Folge einer Anlage und natürlich auch einer erworbenen Schädigung sein. Von ihnen betroffene Kinder haben sich mit einer Umwelt aus- einanderzusetzen, die ihre kogni- tiven Probleme mehr oder weni- ger gut zu erkennen und mit ih- nen umzugehen weiß. Geschieht dies weniger gut, sind reaktive seelische Fehlentwicklungen und Erkrankungen die Folge.

Umfangreiche Forschung auf die- sem Gebiet hat zwar Fragen of- fengelassen, nicht wenige aber auch beantworten können. Offen- geblieben sind Fragen nach dem Zusammenwirken einzelner am Leselernprozeß beteiligter Kom- ponenten.

Ursachen und Entstehung der Legasthenie lassen sich nicht auf einen einzigen Nenner reduzie- ren. Sie ganz zu ignorieren (wie dies die Ausführungen der Kultus- ministerkonferenz tun) ist ein für die Betroffenen verhängnisvoller Irrtum. Denn schwerere Formen der Legasthenie sind nur in inter- professionellem Bemühen spezi- fisch, d. h. individuell zu diagno- stizieren und erfolgreich behan- delbar, wenn frühzeitig eine The- rapie einsetzt, die deutlich über das hinausgeht, was ein dafür nicht ausgebildeter Lehrer durch

„innere Differenzierung" des Un- terrichts oder durch Förderkurse erreichen kann.

Hirnentwicklungsstörungen und Neurosen sind Erkrankungen. Ein Teil der Kinder mit „Besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und Schreibens" ist krank im medizinischen Sinne. Ih- re Erkennung und Behandlung er- fordert ein rechtzeitiges, also frühzeitiges Zusammenwirken von Schule, Facharzt und Psycho- logen.

Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für

Kinder- und Jugendpsychiatrie 1. Die Kultusministerkonferenz wird aufgefordert, ihren Erlaß vom 20. 4. 1978 zu revidieren.

2. Es wird empfohlen,

—die Diagnose der spezifischen Le- se-Rechtschreib-Schwäche (Leg- asthenie) innerhalb der Gruppe von Kindern „mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und Rechtschrei- bens" wieder vorzusehen (wie dies in früheren Erlassen der Fall war),

— die zusätzliche außerschulische ärztlich-psychologische Diagnose und Behandlung bei solchen Kin- dern zu fordern, deren Lese- und Schreibleistungen am Übergang zur 2. Jahrgangsstufe durch päd- agogische Maßnahmen nicht zu bessern waren,

— die besondere Zensurenge- bung bei Kindern mit persistieren- der Legasthenie auch jenseits der 6. Jahrgangsstufe zuzulassen.

Für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Ju- gendpsychiatrie:

Professor Dr. med. Dr. phil.

H. Remschmidt, Vorsitzender

Anschrift der Verfasser:

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Philipps-Universität Marburg

Hans-Sachs-Straße 6

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Legasthenie

2978 (66) Heft 41 vom 10. Oktober 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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