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Archiv "Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen" (27.04.1984)

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1. Vorkommen und Klassifikation Schlafstörungen sind sehr ver- breitet. Bei Vorschulkindern tre- ten sie in 20 bis 30 Prozent auf, bei Schulkindern in 10 bis 15 Prozent;

sie betreffen Jungen insgesamt häufiger als Mädchen. Zum Arzt führen sie selten (obwohl aus der Sicht der Eltern sogar mehr als 40 Prozent Ein- oder Durchschlafstö- rungen haben), weil solche Stö- rungen als passager angesehen werden und es oft auch sind. Häu- fig kommen sie nur nebenbei zur Sprache. In der kinderpsychiatri- schen Sprechstunde sind sie in weniger als 2 Prozent Anlaß zur Konsultation, in der Regel dann, wenn die Familie resigniert und das schlecht schlafende Kind von den Sekundärfolgen der Schlaf- störung bedroht ist. Eine differen- tialdiagnostische Abklärung, die meistens mit einfachen Mitteln möglich ist, wird dann nötig.

Schlafstörungen lediglich in die häufigeren Einschlaf- und die selteneren Durchschlafstörungen (erstere bei Mädchen relativ häufi- ger) zu unterteilen, ist unzurei- chend, schon weil häufig beide Phänomene nebeneinander vor- kommen, vor allem bei älteren Kindern (in ca. 80 Prozent). Da es keine klare Altersbindung gibt, reicht eine Einteilung nach dem Alter der Patienten ebenfalls nicht aus. Unzureichend ist auch die Unterscheidung genuiner von symptomatischen Schlafstörun- gen; denn eine Klassifikation nach der Ätiologie müßte entwick- lungsbedingte, reaktive, psychoti-

sche, somatische und idiopathi- sche Schlafstörungen gegenein- ander abgrenzen und den bei- den phänomenologischen Haupt- gruppen eindeutig zuordnen kön- nen. Günstiger ist deswegen die phänomenologische Einteilung nach vermehrtem Schlaf (Hyper- somnie), gestörtem Schlaf (Dys- somnie) und vermindertem Schlaf (Hyposomnie). In Tabelle 1 wer- den (wie nachstehend) nur die im Kindes- und Jugendalter wichti- gen Schlafstörungen, nämlich die Hyposomnien und die Dyssom- nien behandelt, wobei ätiologi- sche Überlegungen nicht völlig vermeidbar sind.

Hypersomnien gewinnen erst im Jugendalter Bedeutung, vor allem im Rahmen neurologischer Sym- ptome (Narkolepsie, Kleine-Levin- Syndrom, Schlafapnoe, Pickwick- Syndrom). Die Hypersomnien sind leichter zu differenzieren als die Formen verminderten und gestör- ten Schlafs.

Tabelle 1 beschreibt Varianten des normalen Schlafverhaltens, das grundsätzlich die Möglichkeit in sich birgt, am Ende eines Schlafzyklus zu erwachen. Die Dunkelheit kann das Kind dabei ängstigen, muß aber nicht; es gibt Kinder, die sich nach solchem Er- wachen Licht machen und nachts spielen (Insomnia laeta). Weiter wird die (auch bei nicht erhöhter allgemeiner Ängstlichkeit) vor al- lem im Kleinkindesalter anzutref- fende Angst vor dem Einschlafen, das ja grundsätzlich vom Tren- nungserlebnis geprägt ist, ge-

„Unser Kind schläft kaum eine Nacht durch und bringt uns alle um den Schlaf", mit solchen und ähnlichen Klagen besorgter Eltern ist der Arzt in der Sprechstunde häufig konfrontiert. Der Artikel gibt einen Überblick über die wich- tigsten Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen.

nannt. Während auch dieses Ver- halten noch als physiologisch zu betrachten ist, sind die Schlafstö- rungen bei emotional gestörten — vor allem ängstlichen Kindern — als psychopathologisches Sym- ptom zu betrachten. Sie werden auch häufig im Vorschulalter an- getroffen. Wenn sie sich darüber hinaus erhalten, schwindet die af- fektive Tönung nicht selten, so daß nur das erlernte Verhalten un- terbrochenen Schlafes bleibt;

dann liegen sogenannte mono- symptomatische Schlafstörungen vor.

Schlafstörungen im Schulalter oh- ne ernste andere psychopatholo- gische Auffälligkeiten können Ausdruck belastender Situationen sein, die in der Regel relativ be- wußtseinsnah sind. Anders verhält es sich bei neurotischen Schlaf- störungen mit dem Charakter von Konversionssymptomen, bei de- nen den betroffenen Kindern der Zusammenhang mit dem zugrun- deliegenden Konflikt bewußt- seinsmäßig kaum zugänglich ist.

Den neurotischen Schlafstörun- gen wird häufig auch der Pavor nocturnus zugerechnet, ebenso der Somnambulismus, das Schlaf- wandeln. Die Ätiologie beider For- men der im Kindesalter häufig- sten Dyssomnien ist aber sicher multifaktoriell (s. u.). Bei älteren Kindern treten Schlafstörungen im Rahmen von Depressionen, vor allem von solchen mit endoge- nem Anteil auf. Selten sind die so- genannten idiopathischen Schlaf- störungen ohne erkennbare Be-

Schlafstörungen

bei Kindern und Jugendlichen

Martin H. Schmidt

Aus der Kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik

(Ärztlicher Direktor: Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Martin H. Schmidt) am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim

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1 Varianten des

normalen Schlafverhaltens 2 Alterstypische

Einschlafängste und Durchschlafstörungen von Kleinkindern

3 Pavor nocturnus 4 Somnambulismus 5 Passagere

Schlafstörungen

als Ausdruck bewußtseins- naher Konflikte

8 Schlafstörungen im Rahmen von Depressionen mit neurotischem

oder endogenem Anteil 9 Idiopathische

Schlafstörungen

6 Ein- und Durchschlafstö- rungen

im Rahmen emotionaler Störungen

7 Fixierte Schlafstörungen

10 Symptomische Schlafstörungen bei schizophrenen Psychosen, Manien,

nach Hirnschädigungen und bei hyperkinetischen Syndromen

dingungen. Als symptomatisch werden Schlafstörungen bei schi- zophrenen und manischen Psy- chosen Jugendlicher betrachtet, weiter bei gestörtem Schlafrhyth- mus aufgrund zerebraler Beein- trächtigungen, seltener beim hy- perkinetischen Syndrom. Gele- gentlich werden das Erwachen nach Schlafanfällen sowie die Jaktationen den Dyssomnien zu- geordnet, von manchen Autoren auch das nächtliche Einnässen und das Auftreten von Alpträu- men. Das gleiche gilt für das ein- fache Sprechen im Schlaf, das z. T. als Abortivform des Somnam- bulismus angesehen wird.

2. Zur Entwicklung und Physiologie des Schlafs im Kindes- und Jugendalter Das Schlafverhalten wird be- stimmt von Schlafrhythmus, Schlafdauer und Schlaftiefe. Kin- der bilden einen individuellen Schlafrhythmus aus. Diese Ent- wicklung folgt bestimmten Re- geln: beim Kleinkind sind die Schlafzeiten über den ganzen Tag verteilt, am Ende des zweiten Le- bensjahres konzentrieren sie sich auf die Nacht- und Mittagszeit. Die weitere Verminderung der Schlaf- dauer mit dem Alter geht vorwie- gend zu Lasten des Abendschla- fes, verschiebt also den Schlaf- rhythmus im Sinne späteren Ein- schlafens. Zwischen 0 und 5 Uhr schlafen 70 Prozent der 3monati- gen Säuglinge, 83 Prozent der 6monatigen und 90 Prozent der 9monatigen. Noch 50 Prozent der Säuglinge wachen im ersten Le- bensjahr nachts regelmäßig auf;

bei ihnen wird eine niedrige Auf- wachschwelle angenommen. Will- kürliche Änderungen des Schlaf- rhythmus sind nur begrenzt mög- lich. Physiologischerweise wird die Einschlafzeit durch die ge- wohnte Weckzeit, z. B. bei Schul- kindern, mitbestimmt. Eine Rhyth- musänderung im Sinne späteren Einschlafens kann sich allerdings beim Überschlafen dieser Zeit in den Morgenstunden etwa wäh- rend der Ferien fixieren.

Die ebenfalls individuelle Schlaf- dauer beträgt bei Säuglingen 16 bis 18 Stunden, reduziert sich im Verlauf des ersten Lebenshalbjah- res auf 14 bis 18. Bei 1- bis 2jähri- gen Kindern beträgt das Schlafbe- dürfnis im Mittel 13,5 Stunden, bei 4- und 5jährigen 11,5 und bei 6jäh-

Tabelle 1

rigen 10,5 Stunden, spätestens mit 6 Jahren wird mittags nicht mehr geschlafen. Bei 9jährigen geht der Schlafbedarf auf 9 bis 10 Stunden zurück, bei 13- bis 15jäh- rigen beträgt er noch 8,5 bis 9 Stunden. Dieser Entwicklung müssen Eltern Rechnung tragen.

Die Schlafdauer kann in der Regel zumindest daraufhin beurteilt werden, ob sie ausreichend war;

bei vermindertem Schlaf wird sie vom Betroffenen meist unter- schätzt, vor allem von männlichen Patienten. Ebenso wichtig wie ei- ne ausreichende Schlafdauer ist

aber ein geregelter Schlafrhyth- mus. Auch die Schlaftiefe wech- selt intraindividuell mit den Schlafzyklen in einem bestimm- ten Muster vier- bis fünfmal pro

Nacht. Erheblicher Streß bei Tag und exzessive Müdigkeit erhöhen die Schlaftiefe. Im Hirnstrombild ist sie und damit die Weckbarkeit erkennbar.

Während des sogenannten REM- Schlafes ist die Weckbarkeit im Gegensatz zu den neurophysio- logischen Begleiterscheinungen (phasische Muskelkontraktionen, geminderte EMG-Aktivität, syn- chronisierte rasche Augenbewe- gungen, spezifische Gesichtsbe- wegungen, relativ hoher Vigilanz- grad im EEG, beschleunigte Herz- und Atmungstätigkeit, verminder- te Motorik) paradoxerweise ge- ring. Der REM-Schlaf wird deswe- gen auch neben Schlafen und Wa- chen als dritter Bewußtseinszu- stand bezeichnet und nicht nur dem sogenannten Non-REM- Schlaf gegenübergestellt. Bei letzterem bestehen nur die für die zerebrale Aktivität basalen Reak- tionen, beim REM-Schlaf dagegen die zentralnervöse Erregung, die von anderen Zentren als der Non- REM-Schlaf gesteuert und mit Informationsverschiebungen und der Einspeicherung von Erinne- rungen in Zusammenhang ge- bracht wird.

Säuglinge haben längere Phasen von REM-Schlaf, in die sie unmit- telbar aus dem Wachzustand überwechseln können. Diese sind sämtlichst gleich kurz, während sie bei Erwachsenen in den Schlaf eingebettet sind, etwa alle 90 Mi- nuten auftreten und in den mor- gendlichen Schlafzyklen länger werden.

Das Einschlafen setzt nicht nur Ruhe voraus, sondern muß im Zentralnervensystem als Zustand nicht nur verminderter Wachheit eingeleitet werden. Äußere Ge- wohnheiten (feste Schlafzeit, be- stimmte Rituale vor dem Schla- fengehen, Daumenlutschen, das

Mitnehmen bestimmter Spielzeu-

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Übergang zu

neuem Schlafzyklus Non-REM-Schlaf

A/I Schläfrigkeit Bill Einschlafstadium C/III Leichter Schlaf

D/IV Mitteltiefer Schlaf E/V Tiefer Schlaf

REM-Schlaf

ge usw.) können dazu beitragen.

Lärm- und äußere Ereignisse, so- wie die spürbare Erwartung der Eltern, daß das Kind nicht schla- fen könne, sind dabei ebenso hin- derlich wie eine ungewohnte Um- gebung. Im frühen Kindesalter tritt dazu aufgrund der noch nicht ausreichenden Unterscheidungs- fähigkeit zwischen Phantasie und Wirklichkeit, des im Schlaf ver- minderten Zeitgefühls und der beim Einschlafen in der Dunkel- heit nachlassenden Ich-Kontrolle eine gewisse Ängstlichkeit, die sich zu Verlustängsten steigern kann (wobei die häufig zitierten Ängste, während des Schlafens sterben zu können, selten ange- troffen werden). Diese Ängstlich- keit läßt sich ebenfalls durch Ein- schlafrituale und äußere Maßnah- men (kleines Licht, offene Tür, usw.) vermindern. Sie wird ver- stärkt durch Disharmonie und Streit in der Familie, außerdem durch für das Kind unverständ-

liche Vorgänge. Kurzfristige Tren- nungen, partielle Abwesenheit der Eltern und steigend eingeübte Selbständigkeit des Kindes be- günstigen ein störungsfreies Ein- schlafen.

3. Pathogenese und

Symptomatologie der Hyper- somnien und Dyssomnien im Kindes- und Jugendalter 50 Prozent der Säuglinge erwa- chen während des Nachtschlafs im ersten Lebensjahr—ein physio- logisches Verhalten! Auch konsti- tutionell geringere Schlaftiefe kann Grund für das Erwachen am Ende von Schlafzyklen sein.

Durchschlafstörungen kleiner Kinder können auch durch die ängstliche Beobachtung des Schlafes seitens der Eltern aus der Sorge, dem Kind könne etwas zustoßen oder Familienangehöri- ge oder Nachbarn könnten sich

über ein Schreien beim Erwachen beklagen, bedingt sein (verglei- che hierzu und zum Folgenden Tabelle 2).

Einschlafstörungen von Kleinkin- dern entstehen häufig durch man- gelnde Gewohnheitsbildung und mangelndes Verständnis der El- tern für den Vorgang des Ein- schlafens. Sie machen eine Bera- tung der Eltern über die im Klein- kindesalter typische, möglicher- weise verstärkte Angst notwen- dig; nach angstverstärkenden Faktoren muß gefahndet werden.

Günstig sind Einschlafrituale, die die abendliche Trennung beglei- ten. Das Daumenlutschen beim Einschlafen wirkt wie die Stimula- tion durch Licht, Geräusche oder das Wickeln beruhigend und för- dert die Kontinuität des Schlafes.

Ähnlich sind Jaktationen zu ver- stehen, die auf mangelnde äußere Stimulation hinweisen können, aber auch eine genetische Kom-

Bevorzugt vorkommende

Schlafstadium Schlafstörung

Abnehmend

ReaktiVe Einschlafstörung Fixierte Schlafstörung Schlaf bei hyperkinetischen Syndromen

und Depressionen

idiopathische Schlafstörung (z. T. auch C)

Pavor nocturnus, Somnambulismus, Sprechen als

Somnambulismus-Äquivalent, nächtliches Einnässen

Agrypnia laeta, Durchschlaf- störungen

von Kleinkindern, fixierte und

idiopathische Schlafstörungen keine

typischen Schlafstörungen

Tabelle 2: Zuordnung wichtiger Hypersomnien und Dyssomnien zu den Schlafstadien; die EEG-Äquivalente wurden wegen ihrer Altersabhängigkeit nicht angegeben

(4)

ponente haben: ihre Prognose ist meist günstig. Regelrecht antiau- toritäre Schlaferziehung wird sel- ten angetroffen, denn sie bringt die Eltern um die eigene Ruhe.

Häufig — in bestimmten Altersstu- fen bei mehr als einem Viertel — ist, daß Kleinkinder nach einer Schlafunterbrechung ins Bett der Eltern kommen, eine Gewohnheit, die häufig toleriert werden kann, im 5. bis 6. Lebensjahr aber durch geduldiges Zurückbringen des Kindes abgebaut werden sollte, da sie sich sonst bis ins Schulalter fixiert und schwer zu beheben ist.

Dyssomnien treten 70 bis 120 Mi- nuten nach dem Einschlafen in den Schlafstadien III—IV (vorzugs- weise IV) am häufigsten auf, of- fensichtlich vor dem Übergang in den REM-Schlaf, also bei eher schlechter Weckbarkeit. Prädilek- tionsalter für den Pavor nocturnus ist das 4. Lebensjahr. Die Kinder erwachen — nur einmal pro Nacht

— bewußtseinsgetrübt, am näch- sten Morgen besteht dafür Amne- sie. Jungen sind etwa viermal so häufig betroffen wie Mädchen. Ei- ne familiäre Häufung wird beob- achtet. Die ängstliche Desorien- tiertheit nach dem Erwachen kann mit einem anhaltenden Gähnen in völlige Wachheit übergehen; bei Alpträumen hingegen sind die Kinder sofort wach, können über den Trauminhalt berichten, aber das Wiedereinschlafen ist schwie- rig, während es nach dem Pavor unmittelbar gelingt. Die häufig an- zutreffenden innerfamiliären Kon- flikte und Spannungen haben zur Annahme einer alleinigen Psycho- genese geführt. Vor allem die Desynchronisation im EEG macht aber einen zusätzlichen konstitu- tionellen Faktor wahrscheinlich.

Vom Pavor bestehen fließende Übergänge zum Somnambulis- mus oder Noctambulismus, dem Schlafwandeln, das sich auch le- diglich als Sprechen im Schlaf äu- ßern kann. Es betrifft wenigstens 15 Prozent der 5- bis 12jährigen zumindest einmal im Leben, ist bei Jungen häufiger (und wird ge- legentlich mit nächtlichem Ein-

nässen in Zusammenhang ge- bracht). Das EEG (langsame hoch- amplitudige Rhythmen oder par- oxysmale Ausbrüche) läßt teils an einen geordneten Dämmerzu- stand, teils an eine generelle Hirn- unreife denken. Genetische Fak- toren sind beteiligt. Die Prognose ist ebenso günstig wie die des Pa- vor; in der Regel provoziert Streß Rückfälle. Große Psychotherapie ist meist nicht indiziert, außer bei Persistenz bis ins spätere Kindes- alter. Beim Somnambulismus ist wegen der Verletzungsgefahr ein therapeutisches Eingreifen eher nötig, meist indem man versucht, eventuelle Belastungen abzubau- en. Ebenfalls im Schlafstadium III/

IV kommt es häufig zum Einnäs- sen mit erhöhter Weckbarkeit und vegetativen Begleiterscheinun- gen, jedoch ohne Träume. Die Weckbarkeit sinkt nach dem Ent- leeren der Blase. Maximal 10 Pro- zent der Durchschlafstörungen korrelieren mit REM-Schlaf.

Bewußtseinsnahe Konflikte und akute Belastungen erzeugen eher passagere Schlafstörungen, emo- tionale Probleme eher längerfri- stige Schlafstörungen, nach de- ren Ursachen wegen der Gefahr der Fixierung bald gefahndet wer- den muß. Die fixierten Ein- und Durchschlafstörungen von Schul- kindern haben in der Regel keine spezifische Ursache, wohl aber ei- ne Vielzahl von Bedingungen, die sie aufrechterhalten. Sie rea- gieren auf verhaltenstherapeuti- sche Maßnahmen im Sinne eines schrittweisen Abbaus der Angst bzw. des Schlafens im Bett oder Zimmer der Eltern günstig, da die- se Störungen durch Autonomisie- rung vom Entstehungshinter- grund oft abgelöst sind. Demge- genüber zeigen die funktionellen Schlafstörungen sowie die neuro- tischen Ein- und Durchschlafstö- rungen im Umfeld oft auch andere Symptome, vorwiegend im Sinne von Ängstlichkeit oder Überforde- rungsreaktionen, auch zwanghaf- te Persönlichkeitszüge sind häu- fig. Bei schweren Formen kommt es zu einer Verkürzung der Schlafdauer, ohne daß das entste-

hende Schlafdefizit die Schlafstö- rung günstig beeinflußt. Von der Primärsymptomatik ist die Erwar- tungsangst vor dem Nichtein- schlafenkönnen, die auch bei den fixierten Ein- oder Durchschlaf- störungen besteht, abzugrenzen.

Bei älteren Kindern häufen sich Verschiebungen des Schlafrhyth- mus durch späteres Zubettgehen, weil das Fernsehen den Tagesab- lauf bestimmt. Der Organismus gewöhnt sich an das spätere Ein- schlafen, zeigt aber morgens ein Schlafdefizit. Kurzfristige Ver- schiebungen solcher korrekturbe- dürftigen Rhythmusveränderun- gen sind nicht möglich. Es bedarf der Einübung neuer Gewohn- heiten.

Schlafstörungen bei Depressio- nen mit endogener Komponente in der Adoleszenz zeigen — wenn auch weniger deutlich als bei Er- wachsenen — ein besseres Befin- den am Abend und ein relatives Morgentief. Die seltenen idiopa- thischen Schlafstörungen lassen sich demgegenüber durch spätes Einschlafen, nächtliches Erwa- chen und erschwertes Wieder- einschlafen abgrenzen. Heute werden Verbindungen zwischen den sogenannten idiopathischen Schlafstörungen und leichten De- pressionen diskutiert.

Von den symptomatischen Schlaf- störungen sind die bei schizo- phrenen Psychosen in der Regel angstbegründet, die bei den Ma- nien durch das erhöhte Aktivitäts- niveau. Bei Schlafstörungen nach Enzephalopathien fehlt die Angst häufig; Säuglinge und Kleinkinder mit Hirnschädigungen signalisie- ren Schlafstörungen durch ver- mehrtes nächtliches Schreien.

Die Schlafstörungen hyperaktiver Kinder bestehen in verspätetem Einschlafen und physiologisch verkürzter Schlafdauer. Verände- rungen des Schlafs ergeben sich lediglich bezüglich des späteren Eintretens, aber häufigeren Auf- tretens rascher Augenbewegun- gen im REM-Schlaf. Die betroffe- nen Kinder sind trotz des verkürz-

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ten Schlafs morgens wach und lei- stungsfähig. Durchschlafstörun- gen werden nicht beobachtet. Zur sorgfältigen Anamnese gehören die Fragen nach der Entwicklung der Schlafgewohnheiten, nach der Entwicklung des Symptoms und danach, was die Schlafstö- rung erzeugt, und vor allem, was sie unterhält, wer etwa davon pro- fitiert, daß beispielsweise ein Kind ständig im Bett der Eltern schläft oder einen Ehepartner aus dem elterlichen Schlafzimmer ver- drängt. Das Ausmaß der Schlaf- störungen ist durch globale Häu- figkeitsbeschreibungen nicht aus- reichend bestimmbar, sondern bedarf der Objektivierung durch Kalenderführung über Häufigkeit und Dauer der Schlafstörungen.

Therapeutisch genügt bei konsti- tutionellen Schlafstörungen, bei falscher Einschätzung des Schlaf- verhaltens der Kinder und bei vielen entwicklungsbedingten Schlafstörungen eine entspre- chende Beratung der Eltern, auch über die notwendige Ermüdung eines Kindes. Bei entwicklungs- bedingten Schlafstörungen von Kleinkindern sind Einschlafge- wohnheiten und Rituale aufzu- bauen. Auch bei vielen durch emotionale Spannungen beding- ten Schlafstörungen ist die Bera- tung der Eltern vor einer Behand- lung der Grundstörung indiziert und oft ausreichend.

Bei Einschlafstörungen mit ho- hem Anteil erlernten Verhaltens (die häufigste Form der Schlafstö- rung im Kindesalter) sind mei- stens verhaltenstherapeutisch- übende Maßnahmen verbunden mit autosuggestiver Vorsatzbil- dung das Mittel der Wahl. Autoge- nes Training wirkt bei Schlafstö- rungen älterer Kinder unterstüt- zend. Gelegentlich sind paradoxe Intentionen nützlich. Gelingt es nicht, die Schlafstörung im häus- lichen Milieu zu durchbrechen, kann die stationäre Aufnahme notwendig sein, vor allem um das Bewußtsein des Patienten über die tatsächliche Schlafdauer zu verändern und um die Angst vor

dem Nicht-Einschlafen-Können besser zu bewältigen, als das in der Regel angesichts der um die Schlafdauer ihres Kindes besorg- ten Eltern möglich ist. Funktionel- le Schlafstörungen reagieren meist auf Konfliktbereinigung, bei neurotischen Schlafstörungen ist neben der Beratung der Eltern ei- ne psychotherapeutische Inter- vention bei Kind oder Familie un- umgänglich, bei Pavor nocturnus und Somnambulismus jedoch erst indiziert, wenn auf Konfliktberei- nigung nicht reagiert wird. Beim Pavor wirkt gelegentlich die Ade- notomie günstig, ohne daß der Wirkungsmechanismus bekannt ist; auf Adenoide ist deshalb zu achten.

Die Gabe von Schlafmitteln ist al- lenfalls bei durch vorübergehen- de Belastungen bedingten Schlaf- störungen und aus differentialdia- gnostischen Gründen angezeigt.

Ihr passagerer Charakter sollte aber eindeutig abgesichert sein.

Bei erlernten Schlafstörungen ist medikamentöses Eingreifen we- der sinnvoll noch hilfreich, ledig- lich bei symptomatischen Schlaf- störungen ist es indiziert. Barbitu- rathaltige Schlafmittel sind gene- rell abzulehnen, auch Benzodia- zepine sind mit kritischer Vorsicht zu betrachten; am günstigsten sind Substanzen mit Baldrian oder Hovaletten.

Schlafstörungen hirngeschädig- ter Kinder reagieren auf Pheotia- zine (Atosil® oder Atosil®-Aolept®, bei stärkerer Ausprägung auf Tru- xal® und Melleril® ), bei jüngeren Kindern kann Chloralhydrat (Chlo- raldurat® ) gegeben werden.

Schlafstörungen bei Psychosen verlangen stärkere Neuroleptika und Hypnotika wie Clopenthixol (Ciatyl® ) und Flunitrazepam (Ro- hypnol® ).

Schlafstörungen depressiver Ju- gendlicher erfordern in erster Li- nie Antidepressiva. Die Wirkung von Schlafmitteln, die in den Se- rotonin-Stoffwechsel eingreifen, ist bei Kindern gering, bei den idiopathischen Schlafstörungen

ab Beginn der Adoleszenz sind Versuche gerechtfertigt, die je- doch lange durchgehalten wer- den müssen. Antidepressiva kön- nen auch Jugendlichen gegeben werden, die längerfristig Benzo- diazepine als Schlafmittel — ggf.

im Wechsel mit stimulierenden Drogen — benutzt haben. Die Ga- be von Schlafmitteln sollte im Sin- ne eines ABAB-Designs wechsel- weise jeden zweiten Tag erfolgen, um die Wirkung sicher zuordnen zu können. Sie ist generell durch ein Protokoll über Auswirkung auf die Schlafzeiten zu begleiten, schon um Eltern und Patienten ei- nen Einblick in den Therapiever- lauf zu geben. Bei Wirkungsein- tritt muß versucht werden, ob das Schlafverhalten ohne Medikation normalisiert werden kann.

Die Prognose von Schlafstörun- gen ist bei Kindern- und Jugendli- chen in der Regel gut, bei Kindern besser als in der Adoleszenz. Die Indikation zur Behandlung ergibt sich am häufigsten aus der Not- wendigkeit, einer Fixierung vorzu- beugen.

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Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Dr. rer. nat.

Martin H. Schmidt Kinder- und

jugendpsychiatrische Klinik am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit,

15, 6800 Mannheim 1

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