rbeitgeber in Japan müssen sich seit einiger Zeit gesetz- lich verpflichten, ihre Mitar- beiter in Urlaub zu schicken. Der Grund: Immer mehr Arbeitnehmer starben an „Karoshi“, zu Deutsch
„plötzlicher Tod durch Überarbei- ten“. Dieses Phänomen erklärt Di- plom-Psychologe Eberhard Fehlau damit, dass Japaner ihre eigenen Bela- stungsgrenzen oft nicht wahrnehmen.
Lange Arbeitszeiten, kaum Pausen und ein ausgeprägter Gruppendruck seien verantwort-
lich dafür, dass die nach Stressphasen so wichtigen Erho- lungsphasen aus- fallen und man- cher Organismus mit „karoshi“ rea- giert.
Stressbewälti- gung war ein The- ma der Tagung
„Betriebliches Gesundheitsmanage- ment“, veranstaltet von der Projekt- gruppe „Gesundheit in der Arbeits- welt“ des Kölner Gesundheitsforums.
Europäer würden ihre Belastungs- grenzen zwar besser wahrnehmen als Japaner, berichtet Fehlau, doch hier stelle die Vorstufe, das Ausgebrannt- sein („Burn-out-Symptomatik“), ein zunehmendes Problem dar. Bevor der Körper mit psychosomatischen Be- schwerden reagiere, nehme die Fähig- keit des Einzelnen ab, angemessen auf Stress reagieren zu können und nach Belastungen zu regenerieren. Diese Fähigkeit sei individuell unterschied- lich und abhängig von der privaten Si- tuation: Nicht nur kritische Lebenser- eignisse wie zum Beispiel Scheidung oder Tod des Kindes schwächten das
„psychische Immunsystem“. Deutlich
gefährdet seien Singles, weil sie bei Problemen im Beruf niemanden ha- ben, der sie „auffängt“. Auch Allein- erziehende, die nach der Arbeit direkt
„in den zweiten Job, nämlich Haus- halt und Kinder, stürzen“, übergehen die nach Belastung nötige Erholungs- phase.
Als Stressfaktoren am Arbeits- platz bezeichnet Prof. Dr. Holger Pfaff, Institut für Arbeits- und Sozial- medizin der Universität zu Köln, Überstunden, Nacht- und Schichtar- beit, Angst um den Arbeitsplatz, ge- störte soziale Be- ziehungen – bei- spielsweise Mob- bing – und hohen Verantwortungs- druck, wie ihn Ärz- te haben. Monoto- ne Aufgaben und wenig Handlungs- kompetenz seien weitere Stressfaktoren: „Je mehr Handlungsfreiheit man hat, desto hö- her sind die Widerstandsressourcen.“
So sei Herzinfarkt auch keine Ma- nagerkrankheit, sondern eher in der Arbeiterschicht signifikant. Im Auf- tauen von autoritären Strukturen sieht Pfaff daher einen Ansatz zur Gesund- heitsförderung im Betrieb.
Ressource Gesundheit
Pfaff appelliert an die Unterneh- men, die Gesundheit ihrer Mitarbei- ter als „Ressource“ wertzuschätzen.
In jedem Unternehmen „sollte eine Sparte Gesundheitsmanagement er- öffnet werden“, für die Führungskräf- te, Betriebsrat und Gesundheitsex- perten zuständig sind. Erkenne man
Gesundheit als indirekten Wettbe- werbsfaktor, könnten die zusätzlichen Kosten für ihre Pflege als Investition betrachtet werden. Der Arbeitsmedi- ziner ist überzeugt, dass in Zukunft das „Gesundheits-Controlling“ ver- stärkt wird. Neben Parametern zu Ge- sundheitszustand und Gesundheitsge- fahrstoffen werde es Biopsychosozia- le Kennzahlen geben, wie „innere Kündigung“, Vertrauenskultur, Bela- stungssituation, Handlungsspielraum und Mobbing. Zur Ermittlung seien dabei Mitarbeiterbefragungen uner- lässlich.
Gisbert Jutz, DAG-Bundesvor- stand, Hamburg, befasste sich mit der Arbeitszeitgestaltung im Hinblick auf die Gesundheit. Bei der Flexibili- sierung der Arbeitszeiten seien in Deutschland bisher keine Erfolge er- zielt worden. 1998 seien im Westen 62,6 Überstunden je Jahr und Berufs- tätiger erfasst worden, im Osten 42,9.
Teilzeit gearbeitet hätten nur 18 Pro- zent der Arbeitnehmer. Bedenklich sei, dass befristete Arbeitsverträge um 12 Prozent zugenommen hätten.
Mobilzeit-Modelle
Jutz plädiert für flexible Arbeits- zeitmodelle, die die Zufriedenheit der Mitarbeiter und damit die Gesundheit stärken – 22 bis 38 Prozent der Voll- zeitkräfte wünschten sich eine Teilzeit- beschäftigung. Möglich seien hier le- bensphasenorientierte Modelle, die Entlastung schaffen in Kindererzie- hungszeiten, wenn Angehörige ge- pflegt werden müssen, oder um ins Alter hinüberzugleiten. „Mobilzeit“- Modelle* seien zudem für den Arbeit- geber Erfolg versprechend: Erwiesen sei, dass kurze Tages-Arbeitszeiten die Qualität sichern, das heißt deut- lich weniger Ausschuss produziert wird. Die Möglichkeit eines zweimo- natigen Langzeiturlaubs oder „Sabba- ticals“ – Aussteigen für ein Jahr – wür- de dazu beitragen, die Motivation und Zufriedenheit der Mitarbeiter zu
steigern. Petra Bühring
A-602 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 10, 10. März 2000
T H E M E N D E R Z E I T TAGUNGSBERICHT
Arbeits- und Sozialmedizin
Kompetenz stärkt
psychisches Immunsystem
Arbeitsorganisation und Stressbewältigung waren Themen der Veranstaltung „Betriebliches Gesundheitsmanagement“.
A
Gesundheitsförderung
. . . „zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung . . .
zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.“
Aus der Charta der WHO
* Informationen zu flexiblen Arbeitszeitmo- dellen enthält die Broschüre „Teilzeit“ vom Bundesministerium für Arbeit und Sozial- ordnung. Kostenlos erhältlich unter Telefon:
01 80/5 15 15 10 oder im Internet: www.bma.
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