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Gemeinsam Kompetenzen entdecken und fördern

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Academic year: 2022

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Gemeinsam Kompetenzen entdecken und fördern

Josephin Burka, 19 Jahre alt, ist Lektoratspraktikantin bei der Zeitschrift Lebensqualität. Sie beschreibt, was sie erlebt und was sie beeindruckt hat.

Bericht über eine TrainerInnen-Fortbildung

Weg vom Zweck …

Die fünftägige Fort- bildung Handicapped hat mich unter anderem eines gelehrt: Oftmals ist es wichtig, dass eigent- liche Ziel in den Hintergrund zu stellen, um ge- meinsam in der Interaktion mit den betroffenen Menschen einen anderen, vielleicht etwas lang- wierigeren und somit mehr Geduld erfordernden Weg zu finden. So gelangt man schlussendlich an ein Ziel, das man in dieser Art und Weise nicht erwartet hätte. Diese Offenheit für die Entwick- lung von Prozessen und Möglichkeiten beein- druckte mich sehr.

… hin zu neuen Wegen.

Eine Teilneh- merin, Frau M., ging mit dem Rollator stark nach vorn gebeugt. Diese Art des Gehens erforderte vor allem für die Arme viel Kraft und erschwerte die Kontrolle der Fortbewegungsgeschwindigkeit. Die beiden Trainerinnen, die ihr für die Dauer von drei Tagen zugeordnet waren, arbeiteten folglich an ih- rem Gangbild.

Zunächst unterstützten sie sie beim Aufstehen aus dem Rollstuhl, in dem Frau M. den Großteil des Tages verbringt. An den Händen geführt oder mit ihren Händen an den Hüften einer der Kinaes- thetics-Trainerinnen war ihr Gang zwar kontrol- lierter und sie lief aufrechter, doch sobald sie sich wieder mit ihrem Gehwagen fortbewegte, verfiel sie in alte Muster.

Potenzial entdecken.

So entschlossen sich die beiden Trainerinnen, das Gehen mit Frau M.

erst einmal in niedrigeren Positionen zu üben und boten Frau M. an, sich unter Zuhilfenahme eines Kastens und mehrerer blocs auf eine am Boden liegende Matte zu begeben. Zunächst benötigte sie

viel Hilfestellung und Zeit, um ihre Wege auf den Boden zu finden.

Hier angelangt, zeigte sich schnell Frau M.s be- trächtliche Eigenständigkeit; bereits nach wenigen Versuchen war sie in der Lage, sich nahezu selb- ständig auf den Boden und wieder in weiter oben gelegene Positionen zu bewegen.

Erfolg auf Umwegen.

Mit viel Freude an der Bewegung brauchte sie beispielsweise nur wenige Impulse, um von der Position des Liegens in die des Sitzens zu gelangen. Innerhalb dieser drei Tage machte Frau M. viele Erfahrungen über ihre eigene Bewegungskompetenz. Auch ihre Kinaesthetics- Trainerinnen waren von den raschen Fortschritten begeistert und konnten oftmals nicht fassen, wie viel verloren geglaubtes Potenzial in der Bewohne- rin steckte. Am letzten Tag lag Frau M. beispiels- weise am Boden und kam über Drehbewegungen in ihrem ganz eigenen Tempo in die Position des Sitzens, von dort aus über den Vierfüßlerstand in die nächst höher gelegene Ebene auf einen Kasten und erhob sich letztlich eigenständig in den Stand.

Auch im Gehen wurde sie selbständiger und brauchte am dritten Tag nur noch die Hilfe einer Hand, während sie sich zu Beginn noch mit viel Gewicht an zwei Händen einer Kinaesthetics-Trai- nerin abstützte.

Somit brachten der Umweg und das Ausprobie- ren den eigentlichen Erfolg und man erreichte mit Frau M. viel mehr als das ursprünglich gesetzte Ziel.

Voneinander lernen.

Viele der Menschen mit besonderen Fähigkeiten kamen zu der Fortbil-

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Das Erstaunen ist groß, weil sich Frau M. sehr wohl am Boden fühlt und sich dort nach anfänglichen Hilfe- stellungen auch selbständig fortbewegt. Am dritten Tag des gemeinsamen Entdeckens begibt sie sich fast selbständig auf den Boden und steht ebenso wieder auf. Natürlich ist die helfende Hand in der Nähe, aber sie begleitet nur.

Gemeinsam lernen und entdecken. Die Trainerinnen bieten unterschiedliche Lernangebote und entdecken dabei neue Möglichkeiten.

Ein Video zu diesem Lern- prozess finden Sie auf www.zeitschriftlq.com

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dung, um etwas beigebracht zu bekommen und ihre Kompetenzen zu erweitern, doch es stellte sich als ein Wechselspiel zwischen Lernen und Lehren heraus.

Die Menschen mit besonderen Fähigkeiten sind ExpertInnen für ihre Art der Einschränkung, und gerade zu Beginn des Kurses mussten die Kinaesthetics-TrainerInnen von ihnen erfahren, welche Arten von Bewegung möglich sind. Erst aus diesen Erkenntnissen konnten sie schließen, auf welche Weise sie ihr Wissen anwenden kön- nen. Die TrainerInnen mussten viele Wege und Handlungsalternativen ausprobieren. Durch diese Erfahrungen haben sie ihr Verständnis für die spe- zifische Situation vertieft und konnten so Lernbe- gleiterInnen sein, während die Menschen mit be- sonderen Fähigkeiten mehr und mehr in die Lage kamen, ihre eigenen Ressourcen zu nutzen.

Eigener Körper als „Forschungs- objekt“.

Um die Behinderungen besser verste- hen und im Folgenden damit arbeiten zu können, war es für die TrainerInnen erforderlich, mit ih- rem eigenen Körper Erfahrungen zu sammeln, wie sich zum Beispiel Spastik anfühlt.

Wir stellten schnell fest, dass es fast ein Ding der Unmöglichkeit ist, den Körper fortwährend mit solch einer hohen Spannung zu belasten. Wir ver- suchten es nur ein paar Minuten, während es eini- ge Menschen ein Leben lang können – meiner Er- fahrung nach sind sie sozusagen Meister auf einem ganz besonderen Gebiet.

Wichtig war es nun zu lernen, solchen Men- schen einen Impuls zukommen zu lassen, der ihre Reizschwelle nicht überschreitet.

In einigen Selbstversuchen fanden wir heraus, dass hoher Druck auf beiden Seiten zu Widerstand führt und es somit wichtig ist, die eigene Sensibili- tät zu fördern und die Impulsstärke immer wieder neu festzulegen und mit der Stärke des eigenen Drucks eine ständige Anpassung zu leisten.

Führen und Folgen.

Wichtig für eine gute Unterstützung von Menschen mit besonderen Fähigkeiten ist das Wechselspiel zwischen Füh- ren und Folgen. Um die Selbständigkeit einer Per- son zu fördern, ist es unabdingbar, so wenig wie möglich zu helfen und sie doch zu unterstützen.

Hierbei nimmt das Wechselspiel von Führen und Folgen eine große Rolle ein.

Um einem Menschen zu seiner eigenen Bewe- gungskompetenz zu verhelfen, setzt man mehr oder weniger starke Impulse und wartet dann auf seine Reaktion. Auch das Warten ist von erheb- licher Bedeutung. Kommt keine Reaktion oder sollte man merken, dass es in diese Richtung nicht weitergeht, versucht man einen neuen Weg und bietet so als Unterstützender an, die Bewegungs- muster auszubauen.

Geduldsspiel.

Bei Herrn G. brauchten die beiden ihm zugeteilten Trainerinnen sehr viel Geduld, da sie besonders lange auf eine Reaktion warten mussten. Wenn man dies berücksichtigte,

„ Die Menschen mit besonderen

Fähigkeiten sind ExpertInnen für ihre Art der Einschränkung.“

in bewegung

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lebensqualität

die Zeitschrift für Kinaesthetics Ein Kooperationsprodukt von:

Kinaesthetics Deutschland, Kinaesthetics Italien, Kinaesthetics Österreich, Kinaesthetics Schweiz, European Kinaesthetics Association, Stiftung Lebensqualität.

Herausgeber: Stiftung Lebensqualität, Nordring 20, CH-8854 Siebnen.

www.zeitschriftlq.com www.kinaesthetics.net

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reichten oftmals schon geringe Impulse, damit Herr G. sich bewegte.

Wegen seiner kaum vorhandenen Mimik war es nur schwer erkennbar, ob er zwischen der Be- wegung gerade eine lange Pause brauchte, um diese fortzuführen, oder ob er nicht mehr in der Lage war, seinen eigenen Weg zu finden und einen erneuten Impuls benötigte. Seine Bewe- gungen waren mal schnell, mal langsam – und endeten oft abrupt.

Bei Herrn G. war es bedeutend, sensibel mit dem Wechselspiel zwischen Führen und Folgen zu interagieren. Sobald eine Reaktion von Herrn G.

kam, mussten die TrainerInnen in der Lage sein, zu folgen, während sie die Rolle des Führens durch kleine Impulse immer wieder gezielt einnehmen mussten. Dabei war es besonders wichtig, nicht zu viele Impulse auf einmal zu bieten, sondern bei dem Angebot zu bleiben und länger abzuwarten, um Herrn G. nicht durch zu viele Außeneinwir- kungen zu irritieren.

Bedeutsam war es für die TrainerInnen, auf die jeweilige spezifische Situation einzugehen. Hierfür wurden den Menschen mit besonderen Fähigkei- ten unterschiedliche Angebote gemacht und durch die Erfahrungen, die hierbei gesammelt wurden, konnte erst herausgefunden werden, wie die Un- terstützung im Weiteren aussehen kann.

Lernen im Einklang mit Freude.

„Wir möchten Neues entdecken und unsere jeweiligen Bewegungskompetenzen fördern. Es geht um das Einlassen auf den Prozess, mit dem Hintergrund, es gut miteinander zu haben“, erläuterte die Ki- naesthetics-Ausbilderin und Leiterin der Fortbil- dung, Maren Asmussen, bereits zu Beginn; diese Aussage war der Leitsatz der Woche.

Die TrainerInnen untereinander verbrachten nicht nur die Kursphasen miteinander, sondern unter anderem auch die Pausen, in denen neben

dem Essen auch die Slackline eine große Rolle spielte. Mit Hilfe von ein bis zwei Personen balan- cierte man über ein Seil und nahm spielerisch sei- ne eigene Bewegungskompetenz wahr.

Auch in den Lerngruppen wurde die Freude großgeschrieben: Gegen Ende der Fortbildung fragte man eine Person mit besonderen Fähigkei- ten, ob es sehr anstrengend gewesen war. „Nein“, lautete die Antwort, „ denn ich hatte viel Spaß!“ So wurden das Vermitteln von Wissen und die Förde- rung der eigenen Bewegungskompetenz in Verbin- dung mit Freude gebracht, sodass niemand wäh- rend der Woche auf seinen Spaß verzichten musste und sich doch mit einem ordentlichen Gepäck an Erfahrungen wieder auf die Heimreise begeben konnte.

Eigenreflexion.

Ich habe neben vielem ande- ren von der Fortbildung in Schwäbisch Hall mit- genommen, dass jemanden zu unterstützen kein Alleingang sein kann.

Es geht um einen gemeinsamen Prozess, der nur in Interaktion mit dem zu Unterstützenden entstehen kann. Hierfür ist es unabdingbar, die Be- dürfnisse und Möglichkeiten des jeweiligen Men- schen zu erarbeiten und sie zu nutzen, während er sich auf die Wege, die man ihm vorschlägt, einlas- sen muss. Allerdings darf man sich hierbei nicht auf den einen „richtigen“ versteifen, sondern man sollte sich als Helfende viele Handlungsmöglich- keiten offenhalten.

Zur Autorin:

Josephin Burka ist Praktikantin im Lektorat der Zeitschrift Lebensqualität. Sie möchte anschließend für ein Jahr in Irland als Freiwillige in einer Behinderteneinrichtung arbeiten.

Sensibel und abwartend muss die Interaktion mit Herrn G. gestaltet werden, damit er Schritt für Schritt und mit viel Pausen zum Stehen gelangen kann.

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In der Zeitschrift LQ können die LeserInnen am Knowhow teilhaben, das Kinaesthetics-AnwenderInnen und Kinaesthetics-TrainerInnen in zahllosen Projekten und im Praxisalltag gesammelt haben. Ergebnisse aus der Forschung und Entwicklung werden hier in verständlicher Art und Weise zugänglich gemacht. Es wird zusammengeführt. Es wird auseinander dividiert. Unterschiede werden deutlich gemacht. Neu entdeckte Sachverhalte werden dargestellt und beleuchtet. Fragen werden gestellt. Geschichten werden erzählt.

Die LQ leistet einen Beitrag zum gemeinsamen analogen und digitalen Lernen.

Print-Ausgaben plus Zugang zur Online-Plattform

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