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Analyse der Figurengestaltung in Schillers Drama Maria Stuart Die»schöne Seele«Maria Stuart Gert Sautermeister (1971)

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Analyse der Figurengestaltung in Schillers Drama „Maria Stuart“

Die »schöne Seele« Maria Stuart

Gert Sautermeister (1971)

Das Schöne ist nur in der Kunst, nicht aber im Feld des geschichtlichen Lebens präsent. Erst im Angesicht des Todes wird Maria zu einer schönen Seele; zur äußeren tritt die innere Schönheit;

eine ideale Koinzidenz von Wesen und Erscheinung stellt sich ein [...] Der Tod ist in der Tragödie der Preis, der für die idealidyllische Koinzidenz zu bezahlen ist. Schiller spiegelt sie auch szenisch:

durch Gestik, Mimik und das Gewand Marias sowie durch die Gestaltung des Raums. Ein geistig- seelischer Vorgang, Marias ideale Verwandlung, wird durch sinnliche Details konkretisiert: die neue Idealität im Bewusstsein und in der Seele Marias wird durch äußere Prachtentfaltung ver- sinnlicht. Das Theater wird zum »heitern Tempel«, worin der Betrachter selber einen idealen Mit- vollzug des Geschehens, einen geistig-erkennenden und zugleich sinnlichen Mitvollzug leistet. [...]

Mortimer wähnt das Schöne der Kunst im Leben selbst anzutreffen, in der Gestalt Maria Stuarts.

[...] und was als Schönheit der Gestalt erscheint, sieht Mortimer zugleich als ideale schöne Mensch- lichkeit [...] Aber hierin versieht sich Mortimer. Denn entgegen seiner Illusion ist Marias Schönheit nur eine Schönheit der Gestalt und nicht von vornherein auch eine der Menschlichkeit. Es ist vor- läufig eine nur partielle Schönheit, weil es die ganze, vollkommene Schönheit nur im Zeichen des Todes oder in der Kunst geben kann, nicht in der Welt selbst. [...]

Beispielhaft hat Schiller Marias Ambivalenz in die Begegnung der beiden Königinnen eingestaltet.

Verräterisch ist schon Marias psychische Verfassung kurz vor dieser Konfrontation: »Nichts lebt in mir in diesem Augenblick, / Als meiner Leiden brennendes Gefühl. / In blutgen Hass gewendet wider sie / Ist mit das Herz, es fliehen alle guten / Gedanken, und die Schlangenhaare schüttelnd / Umstehen mich die finstern Höllengeister.« (V. 2182 ff.) Diese seelische Situation ist geradezu antithetisch zum idealidyllischen Dasein der schönen Seele, die »das sittliche Gefühl aller Empfin- dungen des Menschen endlich bis zu dem Grad versichert hat, dass es dem Affekt die Leitung des Willens ohne Scheu überlassen darf« (NA, Bd. 20, S.287). [...]

An Mortimers Verhaltensweise spiegelt Schiller symbolisch Marias Doppelsichtigkeit, ihre äußere Schönheit und ihre innere Unvollkommenheit. Dem Schönen in der Erscheinung antwortet noch nicht die Schönheit der Seele. Dieser Diskrepanz entledigt sich Maria erst unter dem Aspekt des Todes. Der Tod ist in de Tragödie die Bedingung für die idyllische Idealität, die Identität von Ge- staltschönheit und menschlicher Schönheit. Dass Maria nur um den Preis des Todes zu einer

»schönen Seele« werden kann, macht ihre Tragik aus. Aber die schließlich erreichte Schönheit des Menschlichen begründet zugleich die das Tragische transzendierende Schicht: »schnell augen- blicklich muss / Der Tausch geschehen zwischen Zeitlichem / Und Ewigem, und Gott gewährte meiner Lady / In diesem Augenblick, der Erde Hoffnung / Zurück zu stoßen mit entschlossner Seele, / Und glaubenvoll den Himmel zu ergreifen. « (V. 3403ff.) Dass dieser »Tausch« Maria zu einer »schönen Seele« macht, wo »Pflicht und Neigung harmonieren« ( NA, Bd. 20, S. 288)m be- zeugt ihr Verhalten jenen Personen gegenüber, die zuletzt ihre ungeläuterten Affekte herausge- fordert hatten. Freiwillig, aus innerem Antrieb, hebt sie jetzt ihre Rachgefühle in einem Versöh- nungsgruß auf: »Der Königin von England / Bringt meinen schwesterlichen Gruß - Sagt ihr, / Dass ich ihr meinen Tod von ganzem Herzen / Vergebe, meine Heftigkeit von gestern / Ihre reuevoll abbitte« (V. 3781ff.). Hier ist das »sittliche Gefühl« in der Tat zur zweiten Natur geworden, wie Schiller dies von einer »schönen Seele« erwartet, und parallel dazu bezeugt sich auch Marias Ver- zicht auf die »sündge Liebe« zu Leicester als ideale Entsagung, die sie in Freiheit mit Selbstver- ständlichkeit übt:[...]

Wenn nach Schiller die Schönheit des Menschlichen darin besteht, dass man dem Gesetz der »Ver- nunft mit Freunden gehorcht« (NA, Bd. 20, S.283), so wird Maria angesichts des Todes dieser menschlichen Schönheit teilhaftig. [...] Außerdem stellt Schiller das Schöne auch szenisch dar. Be- diente treten auf, »welche goldne und silberne Gefäße, Spiegel, Gemälde und andere Kostbarkei- ten tragen« (NA, Bd.9, S.135), Dinge, deren Anblick Maria bisher verwehrt war [...] Der äußere

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2 Schmuck repräsentiert die innere Vollkommenheit; die religiösen Ornamente symbolisieren den göttlichen Zustand einer schönen Seele. Die Schönheit des Menschlichen soll zur Anschauung kommen durch die Symbolkraft religiöser Gegenstände und Riten. Dazu bedient sich Schiller zu- mal katholischer Riten: Melvil nimmt eine Beichte ab und zelebriert die heilige Kommunion [...].

Aber es ist daran zu zweifeln, ob das Theater sich hier in den Dienst der Religion stellt. Eher das Umgekehrte ist der Fall, eher wird das Religiöse in den Dienst des Ästhetischen gestellt. [...] Die von Melvil zelebrierte christliche Lossprechung meint symbolisch die Herstellung des Idealschö- nen. Und dieses Idealschöne, das szenisch in Marias äußerer Erscheinung, in Kostbarkeiten und religiösen Gegenständen präsent wird, verleiht der Kunst einen erhöhten und festlichen Glanz. [...]

Indem wir das Thema der Schönheit und ihrer Wirkung verfolgten, trat die geheime dialektische Bewegung des Dramas hervor. Mortimer, vom Schönen der Kunst beseligt, erfuhr die verhängnis- volle Wirkung der ambivalenten Schönheit des Lebens (Maria), Nur um den Preis des Todes wird dem Leben für Augenblicke die ideale Schönheit zuteil. Das wurde an der Existenz Marias beispiel- haft klar. Schiller lässt es aber bei dieser Einsicht nicht bewenden, Entspricht es seiner politischen, durch die Französische Revolution fundierten Erfahrung, dass dem geschichtlichen Leben der Übertritt ins Paradies aus eigener Anstrengung nicht möglich sei, so ist er von Resignation doch weit entfernt. Die Kunst soll vollbringen, was die Politik aus sich selbst heraus nicht vermag: die Verwandlung des Zuschauers durch das Schöne. Dieser Intention ordnet Schiller Marias Todes- stunde unter. Durch die Vollkommenheit der Heldin wie durch die Symbolik kostbarer und religi- öser Gegenstände erzeugt die Kunst das Bild einer schönen, versöhnten Welt, die jenseits des ge- schichtlichen Lebens Marias angesiedelt, doch insgeheim auf das geschichtliche Leben eines Zu- schauers zurückwirken soll. [...]

Der Kunst ist aufgetragen, diejenige Wirkung auf den Betrachter auszuüben, die sie auf Mortimer ausübte: in ihrer »heitren Wunderwelt« den »Geist der Wahrheit« vor den »entzückten Sinnen«

zu bewegen. [...] [Der Zuschauer, der Verf.] soll durch die Kunst in einen idyllischen Zustand des Freiseins und des Glücks geführt werden, wo seine »sinnlich-vernünftige Natur« harmonisch tätig ist und er durch Anschauung und durch Empfindung den »Geist der Wahrheit« zu ergreifen lernt.

(aus: Gert Sautermeister, Idyllik und Dramatik im Werk Friedrich Schillers. Zum geschichtlichen Ort seiner klassischen Dramen, Stuttgart: Kohlhammer 1971 (Studien zur Poetik und Geschichte der Literatur, Bd.17), S. 209-215, gekürzt)

Arbeitsanregungen:

1. Arbeiten Sie aus dem Text heraus, was nach Ansicht Sautermeisters die Vorstellung Schillers von einer "schönen Seele" ausmacht.

2. Zeigen Sie, welche Gesichtspunkte im Charakter und in der Entwicklung Maria Stuarts die schottische Königin nach Ansicht des Autors zu einer "schönen Seele" machen.

3. Erläutern Sie, warum die "schöne Seele" nur ein ideales, nicht aber ein an der Realität des Lebens orientiertes Gedankenmodell ist.

4. Untersuchen Sie, wie Sautermeister Maria Stuart und sein Konzept der "schönen Seele" in die klassische Funktionsbestimmung der Literatur einordnet.

5. Ziehen Sie zu den Positionen Sautermeisters, die Kritik von Harm-Torsten Reinke heran und nehmen Sie dazu kritisch Stellung.

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Analyse der Figurengestaltung in Schillers Drama „Maria Stuart“

Kritik an der Hypothese der »schönen Seele« Maria Stuart

Harm Thorsten Reinke vs. Gert Sautermeister (1971)

Harm-Torsten Reinke hat sich in seinem Aufsatz "Der Einfluss Schillers dramentheoretischer Schriften - insbesondere der Abhandlung Über das Erhabene- auf aktuelle Maria Stuart-Interpre- tationen der Germanistik" (http://www.literaturdigital.de/index.html?schiller.html, 2.5.02) mit den Auffassungen Gert Sautermeisters unter Bezugnahme auf Aussagen Schillers auseinanderge- setzt.Dabei setzt er sich mit insbesondere mit folgenden Interpretationsaussagen Gert Sauter- meisters auseinander (Sautermeister, Gert (1992). “Maria Stuart – Ästhetik, Seelenkunde, histo- risch-gesellschaftlicher Ort”. In: Walter Hinderer (Hg.): Schillers Dramen. Stuttgart, S. 280-335)

Die Figur der Maria Stuart verwirkliche am Ende "das vollständige Ganze der ästhetischen Erziehung" (Sautermeister 1992, S.320 f.)

"Maria hebt die Differenz zwischen äußerer Vollkommenheit und menschlicher Unvollkom- menheit in ihrer Todesstunde auf. Sie wird zur schönen Seele: jetzt wetteifern die königliche Schönheit ihrer Gestalt und der Adel ihrer Menschlichkeit harmonisch miteinander" (Sauter- meister 1992, S.320)

Unmittelbar vor der Vollstreckung des Todesurteils gelange Maria in eine Seinssphäre, wel- che das Auseinanderstreben von Sinnlichkeit und Vernunft überwinde und den Menschen zur schönen Seele mache (vgl. Sautermeister 1992, S.).

Schiller gehe es nicht darum, die in der Fachliteratur sonst zitierte Theorie des Dualismus von Trieb und Vernunft aufzuzeigen, sondern vielmehr darum, eine versöhnende Synthesis- Konzeption vorzustellen.

Sautermeister Synthesis-Konstruktion: "Eine ihrer zentralen Kategorien [der Synthese] ist die schöne Seele – Symbol der harmonischen Verfassung des Individuums, das seine sinnlich- natürlichen und sittlich-geistigen Kräfte zwanglos versöhnt (Sautermeister 1992, S.321).

Die ursprünglich gegeneinander streitenden Kräfte von Trieb und Vernunft sehe Sautermeis- ter bei Maria im Einklang miteinander, ".... nachdem sie sich vom Stau verdrängter Aggressi- onen entlastet hat (Sautermeister 1992, S.321).

So, meine Sautermeister, sei der Weg für Maria frei, das von Schiller formulierte Ideal zu ver- anschaulichen, das sich in ihrem Übertritt zur schönen Seele vollziehe: "Die schöne Seele ist weder Resultat einer kontinuierlichen Verinnerlichung des Sittengesetzes noch eine heroi- sche Abweisung der Naturkräfte [...] Sie fällt vielmehr einem Menschen zu, der sich zu seinem unterdrückten, ‚unedlen‘ Selbst bekennt und es dadurch überwunden hat" (ders. 1992:

321f.). Dieser Zustand ermögliche es Maria, ohne Rachegelüste und aus freiem Willen mit Eli- sabeth Frieden zu schließen

“Sittlichkeit ist zum Naturtrieb geworden” (Sautermeister 1992, S.322). Daher finde der Wi- derstreit zweier entgegengesetzter Kräfte seine versöhnende Vereinigung im idealen Zu- stand der schönen Seele, was im Stück – gleichsam als anschauliche Entsprechung- durch eine Vielzahl sinnbildlicher Darstellungen zum Ausdruck kommt (vgl. Sautermeister 1992, S.324) Der Begriff der "schönen Seele" bei Schiller und die Kritik an Sautermeister

Unter Bezugnahme auf die nachfolgenden Aussagen Schillers entwickelt Reinke seine Kritik an der Synthesis-Konzeption Sautermeisters:

1. "Eine schöne Seele nennt man es, wenn sich das sittliche Gefühl aller Empfindungen des Menschen endlich bis zu dem Grad versichert hat, dass es dem Affekt die Leitung des Wil- lens ohne Scheu überlassen darf, und nie Gefahr läuft, mit den Entscheidungen desselben in Widerspruch zu stehen” (1)

2. "Die schöne Seele hat kein andres Verdienst, als das sie ist. Mit einer Leichtigkeit, als wenn bloß der Instinkt aus ihr handelte, übt sie der Menschheit peinlichsten Pflichten aus, und

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4 das heldenmütigste Opfer, das sie dem Naturtriebe abgewinnt, fällt wie eine freiwillige Wirkung eben dieses Triebes in die Augen” (Schiller 1994: 111). Schiller schreibt weiter:

“Daher weiß sie [die schöne Seele] selbst auch niemals um die Schönheit ihres Handelns, und es fällt ihr nicht mehr ein, dass man anders handeln und empfinden könnte..." (2) 3. "In einer schönen Seele ist es also, wo die Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung

harmonieren, und Grazie ist ihr Ausdruck in der Erscheinung.” (3) Deutung und Kritik an Sauermeister:

o Die schöne Seele erfüllt im spontanen Handeln die Gesetze der Vernunft.

o "Das Bewusstsein um einen unreglementierten Affekt, der Triebfeder einer alter- nativen Handlungsweise wäre, geht der schönen Seele verloren, was unzweifelhaft Folge einer Internalisierung der Sittengesetze ist. Und zwangsläufig ist es dieser Verlust, der die Grazie der äußeren Erscheinung ermöglicht."

4. "So wie die Anmut der Ausdruck einer schönen Seele ist, so ist Würde Ausdruck einer er- habenen Gesinnung" (4).

5. “Der Mensch ist zwar in ihrer Hand [der Natur], aber des Menschen Wille ist in der seini- gen” (5).

Deutung und Kritik an Sauermeister:

o Diese Würde zeigt sich nur in Extremsituationen, in denen die Gesetze der menschlichen Eigenart im krassen Widerspruch zu denen der Natur stehen. In ei- ner solchen Situation delegiert der Mensch, sofern er das kann, seinen Willen an die Vernunft. Damit gewinnt er Freiheit von der Natur und ihren immerwähren- den Gesetzen.

6. "Ein Mensch, der mir das Todesurteil schreiben kann, hat darum noch keine Majestät für mich, sobald ich selbst nur bin, was ich sein soll. Sein Vorteil über mich ist aus, sobald ich will" (6).

Deutung und Kritik an Sauermeister:

o Die erhabene Reaktion "hilft" dem Menschen in zwei Extremsituationen: Zum ei- nen wenn er mit dem (sinnlich-) Unendlichen, den Schranken seiner Vorstellungs- kraft konfrontiert wird, zum anderen wenn ihn etwas Furchtbares übermächtig bedroht. In beiden Fällen bedrängt ihn ein Gefühl des Wehseins. Dieses Gefühl überträgt er jedoch in eine von der Vernunft geleitete Vorstellung, was ihm wie- derum ein Gefühl des Frohseins vermittelt. So empfindet er nämlich Freude dar- über, unabhängig von der unfassbaren Natur zu sein, indem er sich mit abstrakten Begriffen über sie hinwegsetzt, Ebenso froh ist er aber auch, nun unabhängig von der verderbenden Natur zu sein, indem er das Unabänderliche selbst aus freien Stücken will.

7. "Bei dem Schönen stimmen Vernunft und Sinnlichkeit zusammen, und nur um dieser Zu- sammenstellung willen hat es Reiz für uns [...] Beim Erhabenen hingegen stimmen Ver- nunft und Sinnlichkeit nicht zusammen, und eben in diesem Widerspruch liegt der Zauber, womit es unser Gemüt ergreift" . (7)

Deutung und Kritik an Sauermeister:

o In der Empfindung des Erhabenen ist der Dualismus von Trieb und Vernunft nicht aufgehoben, im Schönen befinden sie sich allerdings im Einklang.

8. "Die schöne Seele muss sich also im Affekt in eine erhabene verwandeln, und das ist der natürliche Probierstein, wodurch man sie von dem guten Herzen oder Temperamentstu- gend unterscheiden kann” (8).

Erst wenn die schöne Seele über den Willen herrscht, geht die schöne Seele “[...] ins Hero- ische über und erhebt sich zur reinen Intelligenz” (9).

Deutung und Kritik an Sauermeister:

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o Sautermeisters zentraler Begriff der schönen Seele lässt den eigentümlichen Schluss nicht zu, Schiller visiere eine Synthese von Trieb und Vernunft an.

o Der Gegensatz von Trieb und Vernunft wird zwar überwunden, aber keineswegs zugunsten einer Synthese. Vielmehr beherrscht die Vernunft letzten Endes den Trieb.

o Die auf der Bühne zur Darstellung von Marias Vollkommenheit ausgestellten Sym- bole können seine Synthesis-Konzeption nicht wirklich beweisen. So bleibt die Frage offen, wo beispielsweise der Selbsterhaltungstrieb der Maria bleibt , wenn

“[...] die Versöhnung von übersinnlichem Gesetz und natürlichem Affekt in Marias Sterbestunde [...]” erfolgt (10)

o Schiller war die Macht dieses Triebes durchaus bewusst: “Denn der Erhaltungs- trieb ringt ohne Unterlass nach der gesetzgebenden Gewalt im Gebiete des Wil- lens, und sein Bestreben ist, ebenso ungebunden über den Menschen wie über das Tier zu schalten” (11)

9. “Das Erhabene verschafft uns also einen Ausgang aus der sinnlichen Welt, worin uns das Schöne gern immer gefangen halten möchte. Nicht allmählich (denn es gibt von der Ab- hängigkeit keinen Übergang zur Freiheit), sondern plötzlich und durch eine Erschütterung reißt es den selbständigen Geist aus dem Netze los, womit die verfeinerte Sinnlichkeit ihn umstrickte, und das umso fester bindet, je durchsichtiger es gesponnen ist” (12).

Deutung und Kritik an Sauermeister:

o Folgt man der Auffassung, dass Maria angesichts ihres nahenden Todes selbstlose Versöhnungsbotschaften sendet, und die Personen in ihrer Umgebung an ihr kein

“Merkmal bleicher Furcht, kein Wort der Klage” (Schiller o. J.: 1.Aufz., 1. Auftr., Z.

3410) erkennen, liegt dies an der Erhabenheit, zu der sie gelangt ist. Denn durch das Erhabene findet Maria Stuart Ausgang aus einer von sinnlichen Kräften ge- steuerten Welt gefunden hat. Diese Wandlung zur Erhabenheit könnte möglicher- weise eingetreten sein, als sie von ihrem Todesurteil erfährt, auch wenn gerade dieses Ereignis merkwürdigerweise von Schiller nicht auf die Bühne gebracht worden ist.

(1) Schiller, Friedrich (1994). “Über Anmut und Würde”. In: Klaus L. Berghahn (Hg.): Kallias oder die Schönheit.

Stuttgart, S. 111 (2) ebd.

(3) ebd.

(4) ebd.

(5) Schiller, Friedrich (1995 b). “Über das Erhabene”. In: Klaus L. Berghahn (hg.): Vom Pathetischen zum Erhabe- nen. Schriften zur Dramentheorie. Stuttgart, S. 88

(6) Schiller, Friedrich (1994), S. 133 (7) Schiller, Friedrich (1995 b), S.88f.

(8) Schiller, Friedrich (1994), S. 119 (9) ebd.

(10) Sautermeister, Gert (1992). “Maria Stuart – Ästhetik, Seelenkunde, historisch-gesellschaftlicher Ort”. In:

Walter Hinderer (Hg.): Schillers Dramen. Stuttgart, S. 280-335, h: S.323.

(11) Schiller, Friedrich (1994), S.120 (12) Schiller, Friedrich (1995 b), S.90f.

Arbeitsanregungen:

1. Arbeiten Sie die Kritikpunkte Reinkes an Gert Sautermeisters Konzeption der schönen Seele heraus..

2. Nehmen Sie kritisch Stellung zu der Frage:

3. Maria Stuarts Ende - Erhabenheit oder schöne Seele?

4. Ziehen Sie dazu auch Schillers eigene Aussagen "Über das Erhabene" (um 1794) heran.

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