Expertenworkshop: Anerkennung und Anrechnung informellen und non-formalen Lernens
Prof. Dr. Gabriele Molzberger
Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Berufs- und Weiterbildung
Bergische Universität Wuppertal Bonn, Bundesinstitut für Berufsbildung
30.03.2012
Input zu Block I:
Begriffliche Abgrenzung und lerntheoretische Einordnung
Der Diskurs um informelles und non-formales Lernen:
Multiperspektivität zwischen Kontingenzformel, Expansion und Grenzbestimmung
3 Merkmale zur Bestimmung informellen – non- formalen und formalen Lernens
• Grad der Organisation des Lernkontextes
• Intentionalität des Lernens
• Zertifizierung
Modellbildungen zum informellen Lernen:
Kombinationsraum als Würfelschema (La Belle 1982)
Modellbildungen zum informellen Lernen:
Strukturschema des Lernens (Reischmann 1995)
Modellbildungen zum informellen Lernen:
Kontinuumansatz (Sommerlad/Stern 1999)
Modellbildungen zum informellen Lernen:
Eisbergmodelle (z.B. Schäffter 2001)
Modellbildungen zum informellen Lernen:
Betriebliche Lern- und Wissensarten (Dehnbostel 2001)
Modellbildungen zum informellen Lernen:
Objektivierendes/subjektivierendes Arbeitshandeln
(Bauer et al 2004)Eher „Lernen“ oder eher „Arbeiten“?
Quelle: BiBB Report: Ein Blick hinter die Kulissen der betrieblichen Weiterbildung in Deutschland, 7/2009, S. 5, Abb. 1
Phänomenologische Betrachtung zum informellen Lernen (Molzberger 2008)
Informelles Lernen ist ein Prozess, bei dem das
Subjekt Wissenskonstruktionen als Ordnungsmuster von dispositonalen Strukturen und Erfahrungen
lernend in der Arbeit bildet. Es ist Handlungen
inhärent, findet in der Regel jenseits professioneller pädagogischer Einwirkung statt und vollzieht sich als reflexives Lernen, als Erfahrungslernen oder implizites Lernen. In einem performativen Fokus umfasst informelles Lernen sowohl ein kognitiv-
reflexives Potential als auch körperliche, soziale und
situative Dimensionen.
Zur Kompetenzanalyse
1. Es gibt hunderte von Ansätzen zur
Kompetenzfeststellung, -analyse, -diagnose ... für Schulen, Unternehmen, Arbeitnehmer, …, die
informelles Lernen und formelles Lernen unterschiedlich berücksichtigen.
2. Es fehlt ein rechtliches Instrument für die formale Anerkennung und Anrechnung von nicht formal erworbenen Kompetenzen
3. In kompetenzorientierten Prüfungen wird von aktuell gezeigten Performanzen auf das Handlungspotenzial geschlossen mithilfe von spezifischen,
prozessorientierten Prüfungsmodalitäten.
These 1:
Die Erfassung informellen Lernens lässt sich aufgrund des Situations- und Kontextbezuges von Kompetenzen nicht im
„luftleeren Raum“ vollziehen.
Zur Anerkennung und Anrechnung informellen Lernens werden domänenspezifische Kompetenzmodelle benötigt. Die Erfassung nur vor dem Hintergrund eines definierten Referenzmaßstabes erfolgen.
„Es soll eine Möglichkeit geschaffen werden, Kompetenzen, die außerhalb des
Qualifikationssystems (…) erworben wurden, anzuerkennen und über Anrechnungen mit formalisierten Qualifikationen zu verknüpfen. Hierzu ist es erforderlich, dass
informell erworbene Kompetenzen auf definierte Kompetenzstandards bezogen werden, die aus bestehenden Qualifikationen entnommen, aber auch neu definiert sein können.“ (Sloane 2008, S. 25)
Eine Validierung informell erworbener Kompetenzen setzt die aktive Partizipation der Betroffenen voraus. Die Steigerung der Objektivität und Validität in der Erfassung informell erworbener Kompetenzen erfordert Perspektivverschränkungen und
kombinierte Verfahren aus Fremd- und Selbsteinschätzungen sowie schriftliche und
praktische Formen der Kompetenzerfassung.
These 2:
Die Validierung informell erworbener Kompetenzen ist mit ambivalenten Auswirkungen verbunden.
Die Validierung und Zertifizierung informell erworbener Kompetenzen
steigern die Zugriffsmöglichkeiten auf das ganze Subjekt mit seiner ganzen Persönlichkeit und seiner privaten Lebenswelt, die auf Arbeitsmarktbedarfe hin durchrationalisiert werden.
Das Anknüpfen an die Praktiken und Deutungsmuster der Lebenswelt und Sozialräume bietet aber auch Chancen dafür, Menschen zu befähigen, ihre in diesen informellen Kontexten entwickelten Identitäten und Kompetenzen an berufliche Qualifizierungen/Weiterbildung anzuschließen.
Ziel einer so verstandenen Bildungsarbeit wäre nicht die affirmative
Anpassung an Arbeitsmarktbedarfe, sondern eine Steigerung von Lern- und Bildungsperspektiven, um Berufswünsche und -anforderungen
auszubalancieren und realisierbare Perspektiven zu entwickeln.
Literatur
Bauer, Hans G.; Brater, Michael; Büchele, Ute; Dahlem, Hilmar; Maurus, Anna u. Munz, Claudia (2004).
Lernen im Arbeitsalltag. Wie sich informelle Lernprozesse organisieren lassen. Bielefeld
Dehnbostel, Peter (2001). Perspektiven für das Lernen in der Arbeit. In: Arbeitsgemeinschaft
Betriebliche Weiterbildungsforschung e.V./Projekt Qualifikations-Entwicklungs-Management (Hrsg.), Kompetenzentwicklung 2001 - Tätigsein - Lernen - Innovation . Münster, S. 53-93
La Belle, Thomas J. (1982) Formal, nonformal and informal education: a holististic perspective on lifelong learning. In: International Review of Education, volume XXVIII, pp 159-175
Molzberger, Gabriele (2007). Rahmungen informellen Lernens – zur Erschließung neuer Lern- und Weiterbildungsperspektiven. Wiesbaden
Reischmann, Jost (1995). Lernen „en passent“ - die vergessene Dimension. Grundlagen der Weiterbildung Zeitschrift, Heft 4, S. 200-204.
Schäffter, Ortfried (2001). Weiterbildung in der Transformationsgesellschaft. Zur Grundlegung einer Theorie der Institutionalisierung. Baltmannsweiler
Sloane, Peter F. E. (2008): Zu den Grundlagen eines Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR). Bielefeld:
Bertelsmann
Sommerlad, Elisabeth; Stern, Elliot (1999): Workplace Learning, Culture and Performance. London