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ES GEHT NICHT NUR UM RASSISMUS 1

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ES GEHT NICHT NUR UM RASSISMUS

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Von: Eleonora Roldán Mendívil*

Übersetzung: u.A. Eva von der Haye2

*geboren 1988 in einem Land der sogenannten „Dritten Welt“. 1993 mit ihren Eltern aufgrund von politischer Verfolgung nach /Deutschland/ geflohen. Sie hat Workshops zu den Themen PoC-Empowerment, white awareness und Umweltschutz in /Europa/

und Abya Yala (nicht-kolonialer Bezeichnungsvorschlag für den unter dem kolonialen Namen „Lateinamerika“ bekannten Kontinent) gegeben. Als anarchistische

Wissenschaftlerin und Aktivistin ist sie auf der stetigen Suche der Möglichkeit einer anderen Welt, frei von Unterdrückung und auferlegten Hierachien, näherzukommen.

Seit 2010 ist sie im Besitz der /deutschen/ Staatsbürger_innenschaft. Sie lebt und studiert in Berlin.

„Entweder ihr respektiert die Fähigkeiten der Menschen, eigenständig zu denken, sich selbst zu regieren, auf kreative Art die für sie besten Möglichkeiten zu finden, Entscheidungen zu treffen, verantwortlich zu sein, sich in Beziehung zu setzen, Probleme zu lösen, Isolation zu durchbrechen und auf tausend verschiedene Arten Gemeinschaften zu bilden...ODER: Ihr respektiert die Menschen nicht. Ihr respektiert KEINEN von uns.“

Ashanti Alston

Einleitung

Durch die sogenannte /deutsche/3 'antirassistische Szene'4 geht wieder einmal ein Aufschrei. Nach der „Katastrophe von Köln“, bezogen auf das No-Border-Camp in Köln im Juli 2012, sprechen nun einige von einem „zweiten Köln“, das Anfang März dieses Jahres in München passiert sei5. Mensch hört Gerüchte über eine

1  Veröffentlicht  am  01.05.2013  auf:  http://cosasquenoserompen.noblogs.org/post/2013/05/01/es-­geht-­nicht-­nur-­

um-­rassismus/;;  zuletzt  gesehen:  01.05.2013

2  Hier  möchte  ich  mich  für  die  engagierte  Arbeit  der  Übersetzer_innen  herzlichst  bedanken.  Ohne  eure   kritischen  und  detailleirten  Übersetzungen  wäre  dieses  Essay  nicht  so  schnell  und  nicht  in  dieser  Qualität  auf   /Deutsch/  veröffentlicht  worden.

3    Konzepte  die  den  Begriff  der  'Nation'  und  ähnliche  historische  und  politische  geographische  Räume  (wie   'Europa')  re_produzieren,  werden  durchgehend  in  Schrägstrichen  stehen,  um  ihren  konstruierten  Charakter  zu   kennzeichnen.  

4    „sogenannte“,  da  nur  die  Subjekte  der  Unterdrückungs  in  von  weißer  Vorherrschaft  beherrschten  Kontexten  die   Subjekte  von  Antirassismus  sein  können:  People  of  Color.  Weiß  Positionierte  können  nie  antirassistisch  sein.  

„The  White  Anti-­Racist  Is  an  Oxymoron“  (http://racetraitor.org/nopper.html;;  zuletzt  gesehen:  16.03.2013.

5    'Refugee  Strike  Congress'  https://refugeecongress.wordpress.com;;  zuletzt  gesehen  16.03.2013.

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„Aufspaltung der Szene“ und Stimmen enttäuschter Aktivist_innen, die ihren 'antirassistischen' Aktivismus von jenen radikal in Frage gestellt sehen, denen sie immer hatten 'helfen' wollen, werden laut.

Wie kommt es, dass immer wieder Vergleiche zwischen dem Kölner No-Border- Camp und den Diskursen von Aktivist_innen aus der sogenannten „Refugee-Szene“

gezogen werden? Und warum ist die 'Linke' generell so resistent gegenüber Selbstkritik? Ausgehend von meinen eigenen vielfältigen praktischen Erfahrungen und dem theorethischen Austausch der letzten Monate und Jahre, stellt dieses Essay einen Versuch dar, einige fundamentale Probleme der sogenannten /deutschen/

'antirassistischen' Szene im Kontext der aktuellen Ereigisse, Vorwürfe und Gerüchte zu analysieren. Das Essay konzentriert sich auf Probleme von Definition und

Ideologie innerhalb der Analyse von Rassismus und Kapitalismus und positioniert sich zum aktuell angestoßenen 'Citizen/Non-Citizen'-Diskurs6. Dies geschieht aus der Position einer Woman* of Color7, die vor allem im Westen8 aufwuchs, einer Person mit Bürger_innenrechten (Citizen), mit Verfolgungs- und Asylerfahrung (in der

Kindheit), einer (innerhalb des Westens) ökonomisch deprivilegierten und - bezogen auf Habitus - privilegierten9 Aktivistin und Intellektuellen.10

6    Zum  theoretischen  Hintergrund  des  'Citizen'/'Non-­Citizen'-­  Diskurses  vgl.  „Zur  Position  “Asylsuchender”  und   ihre  Kämpfe  in  modernen  Gesellschaften“  :.  http://www.refugeetentaction.net/index.php?

option=com_content&view=article&id=213:zur-­position-­asylsuchender-­und-­ihre-­kaempfe-­in-­modernen-­

gesellschaften&catid=2&Itemid=132&lang=de  ;;  zuletzt  gesehen:  17.03.2013

7    Die  Bezeichnung  'People  of  Color'  (PoC)  ist  eine  selbstgewählte  Definition,  die  sich  auf  die  Idee  stützt,  dass,   wenn  auch  auf  unterschiedliche  Art,  eine  gemeinsame  Ebene  von  erlebtem  Rassismus  innerhalb  von  weiß   dominierten  Gesellschaften  existiert.  Die  Bezeichnung  wurde  erstmals  im  /US-­amerikanischen/  Kontext   gebraucht,  um  die  gemeinsam  von  rassistischer  Unterdrückung  Betroffenen,  wie  zum  Beispiel  „Black  

Americans“,  „Latina_o  Americans“,  „Asian  Americans“,  und  „Native  Americans“  zu  benennen.  Dies  zeigte  eine   neue  Form  des  gemeinsamen  Organisierens  gegen  weiße  Vorherrschaft.  PoC  markiert  kein  'äußeres  

Erscheinungsbild'  (ist  also  nicht  zwangsläufig  „sichtbar“),  der  Begriff  soll  von  jenen  politisch  ausgefüllt  werden,   die  ihn  für  sich  als  selbstbestärkend  empfinden.  Wer  für  sich  in  Anspruch  nehmen  kann,  eine  PoC  zu  sein,  in   welchem  sozio-­politischen,  historischen  oder  geographischen  Kontext,  kann  nur  individuell  analysiert  werden.  

Ich  selbst  plädiere  für  die  inklusivste  Perspektive  und  schließe  damit  beispielsweise  Erfahrungen  von  als  

„Slawisch“  konstruierten  Identitäten  innerhalb  des  /deutschen/  Kontextes  ein.  Neben  der  Positionierung  als  PoC   gibt  es  noch  weitere  sehr  diverse  und  parallele  Selbst-­Positionierungen,  wie  Roma,  Schwarz,  Zweite  und  Dritte   Generation,  etc.  Ich  werde  den  Begriff  PoC  innerhalb  dieses  Essays  für  alle  Personen  mit  Erfahrungen  mit   rassistischer  Unterdrückung  innerhalb  des  von  weißer  Vorherrschaft  dominierten  /deutschen/  Kontextes   anwenden.

8 Mit dem 'Westen' meine ich keinen geographischen Raum, sondern die Zentren des weißen imperialistischen Denkens und der 'Wissensgenerierung', die sogenannte 'Erste Welt', also /Europa/, Teile /Australiens/ und /Neuseelands/, /Kanada/ und die /USA/.

9 Privilegiert durch Kulturelles Kapital

10 Ich möchte zunächst den Genossen des Aktionskreises unäbhängiger Non-Citizen Kämpfe für ihre ständigen kritische Ansätze und anspruchsvollen Interventionen danken: Arash Dosst Hossein, Houmer Hedayatzadeh, Omid Moradian, Mohammad Kalali und Ashkan Khorasani. Mein besonderer Dank gilt Ashkan Khorasani für den ständigen Dialog und Brainstorming, die am Ende in diesem Essay gemündet sind. Besonderer Dank gilt dem ersten Reviewer für die kritische Überprüfung der ersten beiden Entwürfe dieses Essays und dem Vorschlagen weitere Ansätze. Und schließlich sehr besonderer Dank dem letzten Reviewer für das geduldige Arbeiten an der Entwicklung von weiteren Entwürfen dieses Essay, sowie der Korrektur meines Englisch und dem Vorschlagen klarerer Begriffe.

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'Linke' Hegemonien aufbrechen

Warum ist es so schwer zu akzeptieren, dass wir, auf einer individuellen sowie kollektiven Ebene, als Produkte gewaltvoll unterdrückender Gesellschaften

Herrschaftsverhältnisse sehr stark verinnerlicht haben und permanent Hegemonien, traditionelle Hierachien und 'symbolische Macht' sogar untereinander

re_produzieren11? Hegemonien innerhalb der Linken zu hinterfragen ist

ausgesprochen schwer und gefährlich. Es führte bereits dazu, dass die Kritisierenden marginalisiert und isoliert wurden – jedoch sehe ich, ohne eine hierarchie-kritische dekonstruktive Herangehensweise, keinen Grund sich selbst als 'Linke_r' oder 'Anarchist_in' zu bezeichnen. Auch wenn diese Positionierung bereits zu politischen Spaltungen und Boykotten geführt hat, glaube ich, dass diese anti-hegemonialen Diskurse elementar sind, wenn es darum geht, radikale Perspektiven und praktische Alternativen zu den aktuellen Diskursen und Handlungen innerhalb der

/europäischen/ 'Linken'12 zu finden.

Um nicht die selben Fehler zu wiederholen, lasst uns mit der Definition von Begriffen anfangen. Was ist 'symbolische Macht' und warum müssen wir dieses Konzept

verstehen, um Hierarchien innerhalb der Linken zu analysieren? 'Symbolische Macht' kommt meistens in der unterbewussten Sphäre der 'Kultur' zum Ausdruck.

Hierarchische und hegemoniale Diskurse können dort so einfach aufrecht erhalten werden und es ist fast unmöglich, sie in Frage zu stellen, da sie als Weltbild

funktionieren, das in stiller Übereinkunft zwischen Individuen und Kollektiven besteht.

Aufgrund des Gefühls einer bereits existierenden Verwundbarkeit gegenüber dem großen monströsen System, füchtet sich die 'radikale Linke' vor Kritik von innen. Da wir 'Linken' unsere eigene Lebensweise und 'Szene' als 'rebellisch' und 'gegen- hegemonial' definieren, passiert es selten, dass die Existenz von unterdrückenden und ausschließenden Mechanismen akzeptiert oder sogar hinterfragt wird. Passiert dies doch, so wird es dann oft als 'separatistisch' oder 'destruktiv' stigmatisiert. Dies liegt vor allem darin begründet, dass die 'Linke' generell für sich in Anspruch nimmt, sehr selbstkritisch und reflektiert zu sein und dadurch eine Kritik der eigenen

Hierarchien und Ausgrenzungen zwangsläufig das grundlegende Selbstbild der /europäischen/ 'radikalen Linken' angreift. Allein durch die Benennung der eigenen

„Reflektiertheit“ versucht die Mehrheit der linken 'Szene' eine Subjekt- und

Machtposition für sich zu beanspruchen, um in der Position zu sein, Entscheidungen treffen zu können und wieder zu „den Guten“ zu gehören.

Vor allem in der sogenannten 'antirassistischen' Szene und allgemein in der 'Linken' besteht ein massiver Mangel an Bewusstsein für hegemoniale und/oder strukturelle und symbolische Macht, als auch ein Mangel an Definition und ideologischer Bildung.

Warum gehen wir auf Demonstrationen? Warum gehen wir auf 'Soli-Parties'? Was ist unser täglicher Beitrag, um Ausbeutung, Folter und Krieg zu beenden? Welches Leben leben wir? Was haben wir heute dafür getan, um Unterdrückungssysteme zu sabotieren, zu boykottieren oder zu zerstören? Was tun wir – nicht nur denken sondern tun - dafür, uns 'Linke', 'Sozialist_innen', 'Kommunist_innen',

11 Die Bezeichnung 'Re_Produktion' beschreibt die Abhängigkeit ständiger 'Produktion' und

'Reproduktion' von Strukturen, Mechanismen und Realitäten (beispielsweise von Wissen). 'Produktion' findet immer innerhalb von 'Reproduktion' statt und umgekehrt.

12 Mit 'Linke' beziehe ich mich auf physische und intellektuelle Räume sogenannter 'autonomer Organisation', die 'außerparlamentarische Opposition' oder die 'radikale Linke'.

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'Anarchist_innen' nennen zu können? Diese Fragen und die Antworten darauf zeigen Subjektpositionen als auch Übernahme politischer Verantwortlichkeit auf. Doch das, was meistens innerhalb der 'antirassistischen' Szene passiert, ist reine

'Wohltätigkeit', zum Beispiel von 'antirassistischen Aktivist_innen' gegenüber den Subjekten von Rassismus, im leider wahrsten Sinne des Wortes. Und genau diese Wohltätigkeit verläuft im Rahmen von Unterdrückungsstrukturen und wird diese daher auch nie beenden. Ohne ideologische Positionierung oder Handlung entlang konkreter Definitionen, wird eine Kritik der Verhältnisse zwangsläufig untergehen und schließlich zwischen Selbst-Glorifizierung und „Wohlfühl-Aktivismus“13 verschwinden.

„Fight Racism!“

Seit vielen Jahren gibt es Protestaktionen „gegen Rassismus“ und Aufrufe zu solidarischen Aktionen mit „Geflüchteten“. Doch bisher ist es noch nicht gelungen, einen Konsens darüber zu finden, wie 'Rassismus' definiert werden sollte, wer die Subjekte des Kampfes gegen Rassismus sind, wer „Geflüchtete_r“ ist, oder, was häufiger vorkommt wer „Flüchtlings-Aktivist_innen“ sind, als auch welche Ziele der Kampf für die Rechte von Asylsuchenden genau hat und warum.

Zur Definition: Ich verstehe 'Rassismus' als eine institutionalisierte und internalisierte Struktur von Vormacht aufgrund von Rasse14-Vorherrschaft – d.h. für /Deutschland/:

weiße Vorherrschaft. Niemensch wird behaupten, dass menschliche 'Rassen' tatsächlich existieren (sie tun es nicht!) – aber der Glaube, dass sie es täten (durch den weißen /europäischen/ Kolonialismus und der Wissenschaft weit verbreitet) hat dazu geführt, dass Millionen von Menschen abgeschlachtet wurden und er prägt bis heute den westlichen Imperialismus. Die Unterdrückung innerhalb weißer

Vorherrschaft richtet sich gegen People of Color. Die Subjekte antirassistischer Befreiung müssen daher notwendigerweise People of Color sein. People of Color aller sozialer Klassen, geographischen und ideologischen Hintergründe, aller Altersgruppen und möglichen Gender- und Sexualitätspositionen. Ein_e

'Geflüchtete_r' zu sein ist eine biographische und politische Positionierung. Diese durch Verfolgung und/oder Migration gebrochenen Biographien beeinflussen die Lebensrealitäten von Geflüchteten. Viele Geflüchtete, die als Babys, Kinder, Teenager oder Erwachsene migiriert sind, waren zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Reise 'Asylsuchende'. Der Status des_der Asylsuchenden in /Deutschland/ ist durch eine große Anzahl ausschließender Gesetze und Beschränkungen

gekennzeichnet: neben weiteren Realitäten der Unterdrückung, werden Geflüchtete unter Anderem gezwungen isoliert von der /deutschen/ Gesellschaft in Lagern zu leben, dürfen ihren Wohnort nicht verlassen15, müssen eine vorgegebene Ernährung

13 Ich habe ein Banner mit genau diesem Slogan in einem Raum eines aussschließlich weißen 'linken' Kollektivs in Berlin gesehen. Kein Scherz!

14  Anmerkung  der  Autorin  für  die  deutschsprachige  Version: 'Rasse' als sozial wirkungsmächtiges Kostrukt nach dessen geschichtlich postkoloniale Gesellschaften unter Anderem – neben z.B.

kapitalistsichen und heteronormativ-patriarchalen Ausbeutungs- und Normierungsmuster - strukturiert sind.

15 'Residenzpflicht'

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und Kleidung akzeptieren16, ihnen wird das Recht auf Ausbildung und Arbeit vorenthalten. Geflüchtete und damit „Flüchtlings-Aktivist_innen“17 sind nicht

zwangsläufig Asylsuchende . Einige von ihnen sind ehemalige Asylsuchende oder

„anerkannte Flüchtlinge“ (rechtlicher Begriff), wieder andere befinden sich noch im Prozess der Asylbeantragung und gelten daher als Asylsuchende.

Die antirassistische Subjektposition zu definieren bedeutet nicht, dass weiß positionierte Aktivist_innen nicht dafür eintreten sollten, weiße Vorherrschaft zu bekämpfen. Tatsächlich ist es ihre Pflicht, als diejenigen, die durch Rassismus privilegiert sind, eigene Wege zu finden, um weiße Vorherrschaft und die damit zusammenhängenden Symptome und Strukturen entschlossen zu kritisieren und anzugreifen. Werdet die Subjekte des Kampfes gegen weiße Vorherrschaft und überlasst die antirassistische Befreiung uns!

„No Border. No Nation. We are all on Vacation.“

Problematisch wird es, sobald von gleichen Positionen ausgegangen wird und keine politische Auseinandersetzung mit dem eigenen Engagement passiert. Ein Beispiel ist die Problematik der No-Border-Camps. No-Border-Camps werden unter

ebendieser Bezeichnung seit den späten 1990er Jahren von 'linken' und 'anarchistischen' Aktivist_innen im Westen organisiert; meist von weißen Aktivist_innen mit Citizen-Status18. Die grundlegende Idee bestand darin, anti- nationalistische Räume des Austauschs zwischen Pro-Migrations-Aktivist_innen zu schaffen. Es ging darum, die immer größer werdende Grenzüberwachung /Europas/

und die immer professionalisierter agierenden militätischen Grenzpatroullien mit kreativen und verstärkt auch mit militanten Aktionen anzugreifen. Der Slogan „No Border. No Nation“ wurde identitätsstiftend. Linksradikale und anarchistische

Positionen dominierten in der Aktivist_innen-Szene. Die 'No-Border-Bewegung' war grundlegend für die 'Anti-Globalisierungs'-Bewegung. Auch wenn 'Asylsuchende' nur einen gesetzlich definierten Teil der Migrant_innen ausmachen, eignete sich die 'No- Border-Bewegung' den 'Antirassismus'-Diskurs mit Bezug auf sie an. Dies war möglich, weil (strukturelle) gesellschaftliche Positionen nicht markiert waren und somit keine Definition der Subjekte dieses Diskurses existierte. Die „Solidarität mit Migrant_innen“ der Aktivist_innen reichte vom eher vagen Tragen eines 'Kein Mensch ist illegal'-T-Shirts bis zu konkreterem Handeln wie dem Eingehen von Schutzehen, um ein Bleiberecht zu ermöglichen. Doch Rassismus bezieht sich nicht auf 'Migration'. Weiße Citizens aus /Australien/, /England/ oder auch /Schweden/

16 In Form von 'Essenspaketen', 'Sachspenden' und 'Kleidungsgutscheinen'

17  Anmerkung  der  Autorin  für  die  deutschsprachige  Version:  Der  Begriff  “Flüchtling”  ist  hoch  

problematisch.  “-­ling”  auf  /Deutsch/  wird  im  Kontext  von  Verniedlichungen  benutzt  und  unterstellt  eine   notwendige  Opfer-­Position  als  Hilfsbedürftigte.  Als  Mensch  mit  Fluchterfahrung  benutze  ich  die   empowernde  von  uns  entwickelte  Selbst-­(nicht  Fremd-­)Bezeichnung:  ‘Geflüchtete’.  Dies  muss   offensichtlich  unter  Menschen  mit  Fluchterfahrung  ausgehandelt  werden,  soll  aber  nicht  unmarkiert   stehen  gelassen  werden.

18 'Citizen'-Status haben Menschen, die nicht permanent von Abschiebung bedroht sind und die verschiedene 'Staatsbürger_innen'-Privilegien wie Arbeitserlaubnis, Recht auf Ausbildung, Bewegungsfreiheit und die Freiheit, den Wohnort zu wählen (zumindest theoretisch) besitzen.

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werden nicht durch die 'Festung Europa' oder durch Rassismus in ihrem Leben eingeschränkt. Sie erleben schlicht keinen Rassismus. Ganz im Gegenteil; sie profitieren in ihren Herkunftsländern ebenso wie in ihren /europäischen/ Zielländern sogar von rassistischer Unterdrückung. Diejenigen, die durch den

weißen /europäischen/ Imperialismus marginalisiert werden, sind die „ungewollten“

Citizens der 'Dritten Welt' oder den Randgebieten /Europas/ (z.B. R(r)oma). Anstatt also über sich selbst, über die eigenen Privilegien und daher auch die Verantwortung als Citizens größtenteils imperialistischer Staaten zu sprechen, entschlossen sich die meisten No-Border-Aktivist_innen, für die Befreiung „Der Anderen“ zu kämpfen, der imaginierten und auf mysteriöse Art unterdrückten „Migrant_innen“ (und diejenigen, die dafür gehalten wurden), ohne eine Differenzierung der gesellschaftlichen

Positionen vorzunehmen.

Nach diesem Schema verlief auch das No-Border-Camp im Juli 2012 in Köln:

Größtenteils organisiert von Aktivist_innen mit 'Citizen'-Status (PoC und Weiße, wobei die weißen Aktivist_innen in der Mehrheit waren). Obwohl es in den Monaten der Vorbereitung scharfe anti-patriarchale und anti-rassistische Kritik gab, herrschten im Camp genau diese kritisierten hierarchischen und weißen (und hauptsächlich männlichen*) Machtstrukturen vor, die sogar einige Aktivist_innen dazu veranlassten, das Camp ganz zu verlassen. Andere starteten den Versuch, eine alternative Struktur innerhalb des Camp-Geländes zu schaffen, da sie an Veränderung von innen

glaubten. Alternative Versammlungen und Workshops wurden ausgerufen und durchgeführt, an denen täglich zwischen 20 und 50 verschieden positionierte Aktivist_innen teilnahmen.

No-Border-Camps sind nicht automatisch 'antirassistisch' noch müssen sie

'Antirassismus' als ihr grundsätzliches Thema betrachten. Ebensowenig waren No- Border-Camps ein von sich aus empowerndes Mittel für Asylsuchende und

'illegalisierte Menschen', tatsächlich hat nie ein No-Border-Camp stattgefunden, das von Kollektiven Asylsuchender oder Illegalisierter ins Leben gerufen und

organisiert worden wäre. Mit der Parole des 'Antirassismus' – Köln stellte hier keine Ausnahme dar– wurden Camps dieser Art zu Räumen für größtenteils /europäische/

'Radikale' um sich auf Grund ihres 'Aktivismus' gut und bestärkt (denn die von ihnen organisierten Aktivitäten während der Camps hatten viele Teilnehmer_innen) zu fühlen. Ein Slogan, der diesen selbstverherrlichenden 'Party'-Aktivismus (so waren zum Beispiel sowohl legalisierte als auch illegalisierte Drogen während des

gesamten Camps erhaltbar) perfekt beschreibt, stammt von einem befreundeten Aktivisten: „No Border. No Nation. We are all on Vacation“.

Die radikale und eindringliche Konfrontation der Mehrheit der /deutschen/

'antirassistischen' Aktivist_innen-Szene mit Fragen der Definition führte zu einem großen Aufschrei. Was ist 'Rassismus'? Wer kann ihn bekämpfen? Wer sind die Subjekte dieser Kämpfe? Wer ist ein_e Geflüchtete_r? Wie verändert der Kampf gegen Rassismus die gesellschaftliche Position Asylsuchender? Aufgrund fehlender ideologischer Bildung fühlten sich viele Aktivist_innen angegriffen und machten diejenigen, die diese Fragen angesprochen hatten, zum Problem. Damit lenkten sie den Fokus von den tatsächlichen internen Problemen von Ideologie und Hegemonie ab. Ich, als Teil derjenigen Individuen und Gruppen, die die vorherrschende

Atmosphäre auf dem Kölner No-Border-Camp (und in anderen Räumen der /europäischen/ 'radikalen Linken') kritisiert hatten, sah nicht das Hauptproblem meiner eigenen Subjekt-Position als Nicht-Asylsuchende innerhalb der Kämpfe von Asylsuchenden. Als Person mit einer Geflüchteten-Biografie, die als Kind das Leben in Lagern erlebt hat, ging ich immer davon aus, dass ich Subjekt, nicht nur von antirassistischen Kämpfen sondern auch von den allgemeinen Kämpfen von

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Geflüchteten sei. Hier tritt wieder das Definitionsproblem auf: Geflüchtete_r ≠ Asylsuchende_r. Nach intensiven Diskussionen und Kritik von Non-Citizen19 Genoss_innen, erkannte ich meine privilegierte Position und re-definierte mein Verständnis von Subjekt-Positionen.

Wogegen kämpfen wir?

Wir müssen uns die Frage stellen: Greifen wir Rassismus in /Deutschland/ an (Subjekte der Befreiung: PoC) oder engagieren wir uns für ein Ende der

gesellschaftlichen Exklusion von Asylsuchenden und Illegalisierten (Subjekte: Non- Citizens) in /Deutschland/? Als People of Color haben wir einen gemeinsamen Erfahrungshorizont was das Erleben von Rassismus angeht. Doch es gibt nicht nur den Gegensatz PoC vs. Weiße. Ich kann nicht abgeschoben werden, habe eine Krankenversicherung, hatte die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen und studiere derzeit. Ich bekomme ALG II wenn ich arbeitslos bin, konnte mir meine Wohnung selbst aussuchen und habe das Privileg an Regional- und Bundeswahlen

teilzunehmen, auch wenn ich letzteres aus politischen Gründen ablehne. Was hat mein Alltag, die Atmosphäre, die mich täglich umgibt, mit den Brüdern* und

Schwestern* gemein, die für Jahre in Lagern leben müssen, die Angst vor willkürrlicher Abschiebung eine_s/r /deutschen/ Bürokrat_in (auch nicht-weiße) haben, jedesmal, wenn ein gelber Brief im Briefkasten liegt? Mein persönlicher Kampf gegen Rassismus und generell gegen weiße Vorherrschaft bietet

Asylsuchenden in der Praxis wenig, um ihre Lebenssituation zu verändern. Als potentielle PoC können sich asylsuchende Brüder* und Schwestern* natürlich auch in diesem Bereich engagieren, da auch sie Subjekte dieser Kämpfe sind. Doch auch wenn wir möglicherweise die selbe Sprache sprechen, dieselben vertrauten Düfte und Gerichte kennen, unsere gesellschaftliche Position als Citizens oder Non-

Citizens führen dazu, dass wir uns in völlig unterschiedlichen Realitäten befinden und völlig unterschiedliche Positionen innerhalb der Gesellschaft haben.

Wie ein mitstreitender Non-Citizen in einem Interview20 erklärte: Entweder bin ich als /deutsche_r/ Bürger_in dazu bereit, dafür zu sorgen, dass jede_r Teil meiner privilegierten Klasse wird (indem ich „meine“ Regierung dafür in die Verantwortung nehme) oder ich lehne meinen Citizen-Status und meinen /deutschen/ Pass ab (und damit jegliche Form von staatlicher Fürsorge, die mir aufgrund meiner

Staatsbürger_innenschaft zusteht) und werde damit quasi ein Non-Citizen21. Das heißt, entweder folge ich konsequent meiner eigenen ideologischen Perspektive oder ich habe zu schweigen! Was gibt es sonst für Alternativen?

19 Menschen, die täglich in Gefahr sind, abgeschoben zu werden (auch wenn sie nicht gegen das /deutsche/ Gesetz verstoßen) und denen „Bürger_innen“-Privilegien (/deutsche/ oder nicht-/deutsche/) wie z.B. eine Arbeitserlaubnis, das Recht auf Bildung, Bewegungsfreiheit und die Freiheit, den

Wohnort innerhalb /Deutschlands/ selbst zu wählen (zumindest laut Gesetz)

20    http://radio-­z.net/radioprogramm/gesellschaft-­beitraege/topic/138345-­refugee-­struggle-­congress.html?

lang=de  ,  zuletzt  gesehen:  16.03.2013

21    „quasi“  deshalb,  weil  ich  in  der  aktuellen  politischen  Weltordnung  meine  Citizen-­Privilegien  jederzeit   zurückbekommen  kann  (indem  ich  mich  z.B.  über  meinen  Fingerabdruck  identifiziere)

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Während und nach dem No-Border-Camp in Köln als auch nach dem 'Refugee Strike Congress' in München, fürchteten besorgte Aktivist_innen ein „Aufspalten“ und ein

„Nachlassen der Solidarität“ zwischen Aktivist_innen verschiedener gesellschaftlicher Positionen sowie Status. Nach meinem Verständnis jedoch gibt es diese Aufspaltung in der Realität bereits. Nur wenn das System der Unterdrückung (z.B. Kapitalismus) benannt wird, ist es möglich die Subjekte der Befreiung (z.B. klassendeprivilegierte innerhalb des Kapitalismus) zu bestimmen. Dem muss eine Benennung der

Positionen folgen, welche zwangsweise antagonistisch sind und deswegen zerstört werden müssen (z.B. klassenprivilegierte innerhalb des Kapitalismus) –

vorausgesetzt mensch ist der Überzeugung, dass jegliche strukturelle und institutionelle Ungleichheit zerstört werden muss. Ohne die Definition der

Subjektpositionen kann niemals Self-Empowerment stattfinden. Daraus folgt nicht, dass die Zielscheibe des neu-entstandenen Citizen/Non-Citizen-Diskurs, Citizens an sich sind. Es geht vielmehr um die Systeme, die diese Untercheidung zwischen Citizen und Non-Citizen hervorbringen: Moderne Nationalstaaten.

Jedoch ist klar, dass, da Non-Citizens die Subjekte dieser Befreiungskämpfe sind, Citizens nicht das Recht haben, wederdiese Subjekt-Position zu besetzen noch beanspruchen können Teil von Entscheidungsprozessen zu sein. Die beiden Kategorien funktionieren nie allein und sind natürlich nicht hermetisch von anderen Subjektpositionen abgetrennt: 'Rasse', 'Geschlecht', 'sexuelle Orientierung' etc. sind zwangsläufig miteinander verflochten und beeinflussen sich gegenseitig in ihren Auswirkungen.

Zur Wiederholung: Es geht um gelebte Realitäten. Wie sieht mein Alltag aus? Weiß ich, wo ich morgen schlafen werde? Kann ich mein Leben individuell planen? Wo unterscheidet sich das Alltagsleben von Non-Citizens, ihre Sorgen und Bedürfnisse von meinen?

Unsere Privilegien erkennen

Wir, als Personen mit Citizen-Status, müssen anfangen unsere Privilegien (neben eigenen Unterdrückungserfahrungen) zu erkennen. Um entweder diese privilegierte Position zu zerstören oder dafür zu sorgen, dass alle ohne Ausnahme einen Citizen- Status bekommen, müssen wir autonome Aktionen gegen „unsere“ Regierungen durchführen. Durch den Citizen/Non-Citizen-Diskurs wurden neue theoretische aber auch sehr praktische Möglichkeiten geschaffen, die eigene Position innerhalb der Gesellschaft und die damit zusammenhängende Verantwortung zu erkennen. Dies kann die Entwicklung weiterführender radikaler Theorien und Praxen ermöglichen, welche tatsächlich zu einer wesentlichen Veränderung der politischen Atmosphäre im Bezug auf „Asylsuchende“ führen könnten und damit zu einer Veränderung der

Lebensrealität von Non-Citizens.

Beschuldigungen und Aufschreie über ein „Aufspalten“ der „Szene“ kommen auf, sobald interne Kritik laut wird: Doch gegensätzliche strukturelle Positionen sind Realität und werden, wenn sie unbenannt bleiben, unausgesprochen unser tägliches Leben weiter beeinflussen. Indem Subjektpositionen klar benannt werden, können naive Rufe nach „Zusammenarbeit“ leicht in Frage gestellt und politische Allianzen, die auf dem Wissen um die eigene Position und den eigenen Handlungsspielraum basieren, gefunden werden.

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Schlussfolgerungen

No-Border-Camps waren nie antirassistisch, noch ist Antirassismus zwangsläufig das wichtigste politische Ziel oder die wichtigste politische Strategie von Asylsuchenden und Illegalisierten Personen – dem Citizen/Non-Citizen-Diskurs folgend, muss das 'Staatsbürger_innentum' abgeschafft werden, also die Organisation von Staaten auf der Grundlage eines Bürger_innenstatus. Die Probleme, mit denen sich die

/deutsche/ 'antirassistische' Szene konfrontiert sieht, hängen mit vorhandenen bzw.

eher nicht vorhandenen Definitionen als auch mit einem großen Defizit an ideologischer Reflektiertheit zusammen.

Die einzige Gemeinsamkeit zwischen den Geschehnissen in Köln und München ist, dass einige Aktivist_innen versucht haben, Subjekt-Positionen klar herauszustellen und unrechtmäßige Machtverteilungen innerhalb der 'antirassistischen' Szene zu benennen. Als eine Verfechterin von progressiver autonomer Selbstorganisation und als eine Person mit Citizen-Status, die die Kämpfe von Non-Citizens unterstützt, betrachte ich die Kämpfe Asylsuchender aus einer völlig neuen Perspektive, nämlich der Unterscheidung von Citizen- und Non-Citizen-Subjektpositionen. Die Position von Non-Citizens ist die von Augeschlossenen sowohl ihrer 'Herkunfts'gesellschaft als auch der Gesellschaft, in der sie sich aktuell befinden.

Ich freue mich auf weitere Debatten zu dieser Thematik und hoffe auf radikale Veränderungen innerhalb von Widerstandscommunities, die zu einer konsequenten theoretischen und praktischen Unterstützung der Kämpfe von Non-Citizen führen.

Referenzen

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